Geist & Leben 1/2022: Zeitschrift für christliche Spiritualität
Von Verlag Echter
()
Über dieses E-Book
n. 502
Notiz
Stefan Kiechle SJ
Vom Sterben der Orden [3-4]
Nachfolge
Bischof Manfred Scheuer
Auf dem Weg der Zärtlichkeit.
Eine besondere Seite von Papst Franziskus [6-14]
Hermann Kügler SJ
Sexualität, Spiritualität und zölibatäre Keuschheit [15-22]
Andreas Schmidt
Menschwerdung Gottes - in uns allen.
Reflexionen über die Gotteskindschaft [23-28]
Nachfolge | Kirche
Martin Blay
Freilegen oder Formen?
Zur Unterscheidung geistlicher Stile [29-36]
Thomas Neulinger SJ
Geistlicher werden.
Spirituelle Bildung im Priesterseminar - ein Entwurf [37-43]
Charles Wright
Der Kampf eines spirituellen Meisters.
Dom André Loufs verspäteter Rückzug [44-49]
Nachfolge | Junge Theologie
Katja Voges
Im Dialog mit Abdullah Saeed.
Wahrheitssuche als Basis interreligiöser Begegnung [50-56]
Reflexion
Rolf Kühn
Christologie als alltägliche Ästhetik [58-66]
Michael Rosenberger
Das Geistliche als Allmende.
Plädoyer für mehr Anthropologie der Spiritualität [67-75]
Christoph Böttigheimer
Hört Gott meine Bitten?
Das Bittgebet als Kristallisationspunkt bedrängender Glaubensfragen [76-84]
Lektüre
Georg Lauscher
Die Weltkugel - das gemeinsame Haus.
Eine Betrachtung, von Papst Franziskus inspiriert [86-94]
Joachim Schnürle
Zukunftsweisend auch nach 550 Jahren?
Das "Kleine ABC" des Thomas von Kempen [95-102]
Buchbesprechungen [103-110]
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Buchvorschau
Geist & Leben 1/2022 - Verlag Echter
Inhalt
Heft 1 | Januar–März 2022
Jahrgang 95 | Nr. 502
Notiz
Vom Sterben der Orden
Stefan Kiechle SJ
Nachfolge
Auf dem Weg der Zärtlichkeit. Eine besondere Seite von Papst Franziskus
Bischof Manfred Scheuer
Sexualität, Spiritualität und zölibatäre Keuschheit
Hermann Kügler SJ
Menschwerdung Gottes – in uns allen. Reflexionen über die Gotteskindschaft
Andreas Schmidt
Nachfolge | Kirche
Freilegen oder Formen?
Zur Unterscheidung geistlicher Stile
Martin Blay
Geistlicher werden. Spirituelle Bildung im Priesterseminar – ein Entwurf
Thomas Neulinger SJ
Der Kampf eines spirituellen Meisters.
Dom André Loufs verspäteter Rückzug
Charles Wright
Nachfolge | Junge Theologie
Im Dialog mit Abdullah Saeed.
Wahrheitssuche als Basis interreligiöser Begegnung
Katja Voges
Reflexion
Christologie als alltägliche Ästhetik
Rolf Kühn
Das Geistliche als Allmende. Plädoyer für mehr Anthropologie der Spiritualität
Michael Rosenberger
Hört Gott meine Bitten?
Das Bittgebet als Kristallisationspunkt bedrängender Glaubensfragen
Christoph Böttigheimer
Lektüre
Die Weltkugel – das gemeinsame Haus.
Eine Betrachtung, von Papst Franziskus inspiriert
Georg Lauscher
Zukunftsweisend auch nach 550 Jahren? Das „Kleine ABC" des Thomas von Kempen
Joachim Schnürle
Buchbesprechungen
Impressum
Liebe Bezieherinnen und Bezieher,
über fünf Jahre lang konnten wir den Preis für GEIST & LEBEN stabil halten.
Deutliche Mehrkosten für die Papierbeschaffung machen es jetzt jedoch nötig, den Preis anzupassen und moderat zu erhöhen. Die digitalen Ausgaben bleiben von der Preiserhöhung unberührt. Wir hoffen auf Ihr Verständnis und wünschen Ihnen weiterhin eine interessante Zeit beim Lesen von GEIST & LEBEN.
Ihr Echter Verlag
Impressum
GEIST & LEBEN – Zeitschrift für christliche Spiritualität. Begründet 1926 als Zeitschrift für Aszese und Mystik
Erscheinungsweise: vierteljährlich
ISSN 0016–5921
Herausgeber:
Zentraleuropäische Provinz der Jesuiten
Redaktion:
Christoph Benke (Chefredakteur)
Britta Konlechner-Mühl (Redaktionsassistenz)
Redaktionsbeirat:
Margareta Gruber OSF / Vallendar
Stefan Kiechle SJ / Frankfurt
Bernhard Körner / Graz
Edith Kürpick FMJ / Köln
Ralph Kunz / Zürich
Jörg Nies SJ / Stockholm
Andrea Riedl / Regensburg
Klaus Vechtel SJ / Frankfurt
Redaktionsanschrift:
Pramergasse 9, A–1090 Wien
Tel. +43–(0)664–88680583
redaktion@geistundleben.de
Artikelangebote an die Redaktion sind willkommen. Informationen zur Abfassung von Beiträgen unter www.echter.de/geist-und-leben/. Alles Übrige, inkl. Bestellungen, geht an den Verlag. Nachdruck nur mit besonderer Erlaubnis. Werden Texte zugesandt, die bereits andernorts, insbesondere im Internet, veröffentlicht wurden, ist dies unaufgefordert mitzuteilen. Redaktionelle Kürzungen und Änderungen vorbehalten. Der Inhalt der Beiträge stimmt nicht in jedem Fall mit der Meinung der Schriftleitung überein. Für Abonnent(inn)en steht GuL im Online-Archiv als elektronische Ressource kostenfrei zur Verfügung. Nichtabonnent(inn)en können im Online-Archiv auf die letzten drei Jahrgänge kostenfrei zugreifen. Registrierung auf www.echter.de/geist-und-leben/.
Verlag: Echter Verlag GmbH,
Dominikanerplatz 8, D–97070 Würzburg
Tel. +49 –(0)931–66068–0, Fax +49– (0)931–66068–23
info@echter.de, www.echter.de
Visuelle Konzeption: Atelier Renate Stockreiter
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Bezugspreis: Einzelheft € 13,50
Jahresabonnement € 45,00
Studierendenabonnement € 30,00
jeweils zzgl. Versandkosten
Vertrieb: Zu beziehen durch alle Buchhandlungen oder direkt beim Verlag. Abonnementskündigungen sind nur zum Ende des jeweiligen Jahrgangs möglich.
Auslieferung: Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH, Kreidlerstraße 9, D–70806 Kornwestheim
Auslieferung für die Schweiz: AVA Verlagsauslieferung AG, Centralweg 16, CH–8910 Affoltern am Alibs
Diesem Heft liegen folgende Prospekte bei: inspiration, Echter Verlag
Symposium zur Geistlichen Schriftauslegung, PTH Münster
Wir bitten um Beachtung.
Notiz
N
Stefan Kiechle SJ | Frankfurt a.M.
geb. 1960, Dr. theol., Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Stimmen der Zeit", Beauftragter des Jesuitenordens für ignatianische Spiritualität, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN
stefan.kiechle@jesuiten.org
Vom Sterben der Orden
Eher schleichend, halb heimlich, jedenfalls öffentlich kaum thematisiert sterben in Europa die Orden und Klöster vor sich hin. Wird irgendwo ein Ordenshaus geschlossen, gibt es in der lokalen Presse ein Aufstöhnen – aber man hatte ja schon länger damit gerechnet. An manchen Orten waren die Schwestern oder Brüder jahrhundertelang präsent – nach der Schließung sind sie bald vergessen. Allein in Deutschland geht es nicht um einige Dutzend, sondern um hunderte Häuser. Was bedeutet dies für die Kirche und für ihr spirituelles Leben?
Viele Kommunitäten sind überaltert. Sie sehen ihre Aufgabe darin, in Würde zu altern, ihr Leben schrittweise loszulassen und Abschied zu nehmen. Wo das Miteinander gut gestaltet und das Gebet, persönlich und im Chor, gut gepflegt wird, kann dies zum beeindruckenden Zeugnis werden – für eine insgesamt alternde und dennoch den Tod verdrängende Gesellschaft. Stützt und würdigt die Kirche dieses Zeugnis alter Ordensleute genügend?
Oft hat man den Eindruck, dass die Kirche arg von internen Querelen absorbiert wird und wenig Sinn hat für diese geistlichen Wege. Zum Sterben gehört das Loslassen des Materiellen: Was wird aus dem Mobiliar, den Bibliotheken, den Kunstschätzen? Was aus den gewaltigen Mutterhäusern, den barocken Klosteranlagen? Der Denkmalschutz stemmt sich zwar gegen die rücksichtslose Kommerzialisierung und bewahrt auf diese Weise viele alte Gemäuer, aber zugleich musealisiert er die Anlagen, denn ohne die Menschen, die in ihnen leben und beten, sind sie entleert. Die Ordensleute selbst, indem sie so viel aufgeben, bekommen nochmals die Chance, arm im Sinn ihrer Gelübde zu werden: Sie verlassen die Welt und gehen auf den Himmel zu. Für die Kirche ist das Sterben der Orden ein unfassbarer Verlust: Nicht nur sind es die Gäste- und Exerzitienhäuser, die vielen Menschen Einkehr, Besinnung, Wege der Gottsuche ermöglichen – sie werden enorm fehlen! Noch nicht einmal sind es nur die durchbeteten Kirchen, die auch säkulare Menschen anziehen, sie staunen machen und irgendwie auf den Himmel verweisen; Museen ersetzen das niemals. Vor allem werden fehlen: Menschen, die in existentieller Hingabe ihr Leben Gott weihen und so – auch wenn persönlich oft in beschämendem Mittelmaß – eben dennoch auf Gott verweisen, einfach durch ihr Dasein und durch ihren Dienst. Klöster und Ordenshäuser sind Orte des Heiligen, in denen das sonst meist perfekt verwaltete und (auch pastoral) funktionale Agieren der Kirche durchbrochen wird und auf das Eigentliche, auf Gott hin, transparent wird. Ohne diese heiligen Orte: Was wird aus der Kirche in unseren Landen? Eine Kultur von 1500 Jahren geht zu Ende – warum haben wir noch nicht angemessen zu trauern begonnen?
Anfang des 19. Jahrhunderts starben schon einmal die Klöster, allerdings meist durch äußeren Eingriff. Vorher waren viele von ihnen recht heruntergekommen: Sie waren aufgeklärt-säkular im Geist, verankert in einer feudalen Struktur, die sich überlebt hatte, und außerdem übermäßig reich geworden – vermutlich war dieser harte Abbruch nur heilsam. Ab etwa 1850 blühte das Ordensleben wieder auf, vor allem in den zahlreichen neu gegründeten Kongregationen, wie durch ein Wunder, mit einer enormen Wirkung für Kirche und Gesellschaft. Können wir heute ein neuerliches Erblühen erhoffen? Die Hoffnung stirbt ja zuletzt. Dennoch ist es wohl nicht zu pessimistisch, wenn man feststellt, dass heute im Gegensatz zu damals der spirituelle Humus der Kirche – in Familien, Jugendgruppen, Gemeinden… – zu sehr vertrocknet ist, um einen baldigen größeren Neuaufbruch des Ordenslebens realistisch erwarten zu lassen.
Braucht Gott die Ordensleute, die Mönche und die Nonnen nicht mehr? Manche überkommene Form und Kultur stirbt ab. Das ist vielleicht auch gut so. Mancher Missbrauch geht zu Ende, etwa der Einsatz von Ordensfrauen als billige Arbeitskräfte; durch solches Sterben reinigt sich etwas in der Kirche. Aber das viele Gute, dass die Orden beitrugen? Ja, vielleicht will Gott eine andere Kirche, säkularer, laikaler, mit anderen Formen der Hingabe. Aber wir Ordensleute oder auch spirituell Interessierte dürfen zugeben, dass wir hierbei den Willen Gottes nicht oder noch nicht verstehen. Wir dürfen auch öffentlich sagen, dass wir nicht meinen, allein in den immer stärker aufgeblähten „Ordinariaten/Generalvikariaten läge die Zukunft der Kirche oder in den „neuen pastoralen Strukturen
oder in den bleibend konfliktbeladenen, oft polarisierenden und dann doch ergebnisarmen „synodalen Prozessen" – schon die Wortungetüme verraten das Unbehagen mit diesen Phänomenen. Und die neuen geistlichen Bewegungen? Vor einigen Jahrzehnten weckten sie große Hoffnungen, und viele Kirchenobere bauten auf sie, doch derzeit sind viele von ihnen – wie eben auch manche Orden und die Kirche insgesamt – durch Missbrauch und andere Missstände gebremst und gedemütigt. Nochmals neu und dringend stellt sich die Frage: Wo bleiben die heiligen Orte? Wo das Zeugnis der sich ganz und nachhaltig Gott hingebenden Menschen? Das Sterben der Orden in unseren Landen – wir trauern, und wir verstehen es nicht.
NNachfolge
R
L
Nachfolge
N
Bischof Manfred Scheuer | Linz
geb. 1955, Dr. theol., 2003–2015 Bischof von Innsbruck, seit 2016 Bischof von Linz
sekretariat.bischof@dioezese-linz.at
Auf dem Weg der Zärtlichkeit*
Eine besondere Seite von Papst Franziskus
„Sooft er auf die Tür starrt, sie bewegt sich ausschließlich dienstlich, keine Freunde, nie. Ist denn ein jeder Abgesang so glanzlos? Er stirbt das erste Mal, er weiß nicht wie." – So der Liedermacher Konstantin Wecker¹: „Sie drehen ihn, sie waschen ihn, sie zieh’n ihn an. Am Mittwoch darf er in den Park. Er würde gerne in den blauen Frühling flieh’n. Er ist zu schwach. Er war noch nie sehr stark. „Bei Schwester Heike wagte er es zu lächeln. Die streichelt manchmal zärtlich sein Gesicht. Sonst ist es still um ihn. Keine Besuche. Auch sein betuchter Sohn besucht ihn nicht.
Was hier beschrieben wird, ist die Sehnsucht nach Berührung. Das zu Ende gehende Leben bringt Verlust von Stärke und Selbstkontrolle. Die Angewiesenheit auf andere prägt den Alltag. Aber gerade das kann Momente des Glücks und des Vertrauens schenken, Momente, wo man sich aufgehoben und geborgen weiß, wo man zu lächeln wagt. – „Wo ist dein Lächeln geblieben?" Diese Frage einer demenzkranken Frau während eines pandemiebedingten Lockdowns hat ihre Pflegerin dermaßen erschüttert, dass diese darauf in Tränen ausgebrochen ist. Der Mund-Nasen-Schutz verdeckte das vertraute Gesicht der Bezugsperson, verdeckte die Lebensfreude. Die Corona-Pandemie führte im privaten wie im öffentlichen Bereich zu einem schmerzlichen Verlust von Unmittelbarkeit. Die Sehnsucht nach Begegnung und Berührung war dabei nicht mehr nur den Einsamen vorbehalten, sie war für alle Menschen eindrücklich präsent. Viele Beziehungen konnten in ihren sinnlichen Dimensionen nicht mehr gepflegt werden, und sei es nur der Stammtisch oder die Kaffeerunde.
Wir erleben die (Wieder-)Entdeckung einer sonst im öffentlichen Diskurs häufig vernachlässigten Dimension. Nicht zuletzt die Pandemie öffnete neuen Raum für das Thema Zärtlichkeit. Zärtlichkeit ist eine Form der Zuneigung, der etwas Sanftes und Zerbrechliches anhaftet. In Zeiten einer verstärkt wahrgenommenen Vulnerabilität ist sie die Antwort auf die Sehnsucht nach Berührung. Papst Franziskus hat zur Verankerung der Kategorie der Zärtlichkeit innerhalb der Kirche richtungsweisende Pflöcke eingeschlagen. Er steht damit in einer Reihe von Ansätzen, die der Dominanz der Vernunft und ihrer Spielarten, die unser Denken und Handeln vielfach nach wie vor prägt, entgegentreten.
Niedere Sinnlichkeit?
Geschmäcker sind verschieden. De gustibus non est disputandum. – Über Geschmäcker lässt sich nicht diskutieren und streiten. Vonseiten der Philosophie und der Ästhetik gibt es eine weitgehend negative Einschätzung des Geschmacksinnes. Diese Marginalisierung des Geschmacks in der philosophischen und ästhetischen Tradition war im Wesentlichen dessen Flüchtigkeit und der Verhaftung ins Materielle geschuldet. Riechen und Schmecken wurden von Platon und Aristoteles als „niedrig" eingestuft.² Auch Immanuel Kant und Friedrich Hegel teilten diese Ansicht und waren der Meinung, der Geruchssinn sei untauglich für kognitive Erkenntnisse und ästhetische Urteile. Kant verhandelt Geruch und Geschmack als Genusssinne und grenzt diese von den Sinnen der Wahrnehmung ab. Über den Geschmack urteilt er nicht ganz so negativ wie über den Geruch. So schreibt er über seinen „ihm eigentümlichen Vorzug (…), dass dieser die Geselligkeit im Genießen befördert, was der vorige nicht tut."³ Entscheidend ist für Kant, dass Sinne und Sinnlichkeit für die Begründung der Sittlichkeit keine konstitutive Bedeutung haben. Er fragt zunächst in der Kritik der praktischen Vernunft nach den Bedingungen der Möglichkeit von Sollensaussagen. Nicht die Religion, nicht empirische Praxis oder die Sinnlichkeit können diese Frage beantworten, sondern nur die reine Vernunft. Der Mensch ist ein intelligibles Wesen, d.h. er ist in der Lage, in der Vernunft unabhängig von sinnlichen, auch triebhaften, Einflüssen zu denken und zu entscheiden. Kants Schrift Über Pädagogik⁴ zielt darauf ab, ganz im Sinne des Aufklärungsideals, Menschen zur geistigen Beweglichkeit zu führen. Es geht um eine Disziplinierung, eine Kultivierung (gegen die Verrohung), eine Zivilisierung (Vermittlung von „Weltklugheit" als Klugheit im Umgang mit Menschen) und eine Moralisierung im Prozess der Erziehung