Handwerk Humor
Von John Vorhaus
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Über dieses E-Book
Er zeigt, wie man Gags für eine Sitcom, die Königsdisziplin des Fernsehens, erfindet, wie man sie aufbaut und auf eine Pointe hin entwickelt.
Er erklärt, was ein Autor beachten muss, der für Comedians schreibt und warum manchmal der schönste Witz einfach nicht zünden will. Vor allem veranschaulicht er, dass die augenscheinlich chaotische Welt des Witzes voller kleiner praktischer Regeln steckt.
Vorhaus weiß: Die Kunst der Komik ist "Wahrheit und Schmerz" und verlangt jede Menge Mut zum Risiko, vor allem aber: Sie ist erlernbar.
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Buchvorschau
Handwerk Humor - John Vorhaus
Gedankenmüll entsorgen
Natürlich gibt es alle möglichen Arten von Gedankenmüll in dieser Welt: Sprühkäse ist eine grandiose Erfindung; eine Zigarette schadet nichts; das rote Lämpchen am Armaturenbrett muss ja nicht heißen, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit jetzt auf zwei besonders heimtückische Arten von Gedankenmüll lenken: irrige Annahmen und falsche Assoziationen.
Wenn wir einen unbekannten Witz erzählen, eine neue Idee ausprobieren oder überhaupt irgendwas Kreatives tun wollen, lauert hinter unserem bewussten Denken immer folgende irrige Annahme: Es funktioniert sowieso nicht; sie werden es nicht gut finden. Diese massive Blockade bauen humorlose Menschen sofort vor sich auf, wenn ihnen ein Scherz oder ein Witz eingefallen ist, also noch bevor sie ihn erzählen. Es funktioniert sowieso nicht. Sie werden es nicht gut finden. Vielleicht halte ich doch lieber meine große Klappe und gehe auf Nummer sicher; ja, das ist wohl das Beste. Und genau das tun sie dann auch meistens. Darum halten wir sie für schüchtern, gehemmt oder langweilig – für trübe Tassen, um die man auf Partys am besten einen großen Bogen macht.
Okay, und wieso ist Es funktioniert sowieso nicht nun eine irrige Annahme? Immerhin könnte es ja wirklich nicht funktionieren. Die Zuhörer könnten es tatsächlich nicht mögen. Stimmt schon, ausgeschlossen ist das nicht. Aber wir haben massenhaft Beweise fürs Gegenteil. Hin und wieder funktionieren Witze; die Annahme, sie würden in die Hose gehen, ist also prinzipiell schon zumindest teilweise falsch. Ebenso falsch wie die Annahme, sie würden voll einschlagen. Man weiß es eben erst, wenn man’s ausprobiert.
Und warum probieren wir’s dann nicht aus? Was haben wir zu verlieren? Tatsächlich plagt uns im tiefsten Innern das Gefühl oder die Angst, dass wir eine Menge zu verlieren haben. Hier kommen nun die falschen Assoziationen ins Spiel. Nachdem wir schon gleich zu Anfang zu dem völlig unsinnigen Schluss gelangt sind, dass unser Witz nicht funktionieren wird, springen wir nun zu der erstaunlichen Folgerung, dass »sie« nicht nur unseren Witz, sondern auch uns nicht gut finden werden. Wir verschaffen uns innerlich die grimmige Gewissheit, dass die anderen uns als Dummkopf, Hanswurst oder sonstwie minderwertigen Menschen betrachten werden. Warum ist das eine falsche Assoziation? Aus folgendem schlichten Grund: Die Menschen machen sich keine Gedanken über das Erscheinungsbild anderer. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich den Kopf über ihr eigenes Erscheinungsbild zu zerbrechen.
Jeder von uns ist der Mittelpunkt seines eigenen Universums, und unser jeweiliges Universum ist von verblüffend geringem Interesse für das Universum nebenan. Schwer beladen mit unseren Ängsten tun wir so gut wie alles, um in den Augen der anderen bloß nicht schlecht auszusehen. Aber wie es im Koran heißt: Wenn man wüsste, wie wenig Gedanken sich die Leute über einen machen, würde man sich keine Gedanken darüber machen, was sie denken.
Und es gibt noch eine weitere wichtige falsche Assoziation: Wenn die mich nicht gut finden, kann ich mich auch nicht gut finden. Das ist nun wirklich Furcht einflößend. Wir verbringen so viel Zeit damit, unser Selbstbild mit der Frage abzusichern, was die anderen wohl von uns denken werden, dass unser ganzes Ego auf dem Spiel steht, wenn wir den Witz endlich erzählen. Und wenn er dann misslingt, folgt daraus unausweichlich der Tod des Egos. Deshalb sagt der Standup-Comedian: Ich bin da draußen gestorben, wenn seine Show durchfällt. Hinter dem ganzen Gedankenmüll lauert der falscheste Gedanke von allen: Wenn ich versage, sterbe ich.
Schauen wir uns noch mal die ganze Schleife an, nur um sicherzugehen, dass wir sie auch wirklich verstehen. Man macht den Mund auf, um einen Witz zu erzählen, aber eine kleine Stimme sagt: Warte mal, das könnte danebengehen. Darauf antwortet eine weitere kleine Stimme: Natürlich geht’s daneben, und dann stehst du da wie ein Versager, wie ein Hanswurst. Und dann fällt eine dritte Stimme ein: Wenn sie dich für einen Hanswurst halten, bist du auch vor dir selbst einer. Und schließlich: Dein Ego wird sterben; und dann wirst du sterben. Ganz schön schwere Bürde für einen armen kleinen Witz, nicht wahr?
Nun kann ich diese ganzen Probleme mit dem Selbstbild nicht in einem kurzen Kapitel eines Buches ausräumen, in dem es nicht mal um dieses Thema geht. Aber ich kann Sie mit ein paar Strategien und Taktiken vertraut machen, die helfen, diese falschen Stimmen im Kopf zum Schweigen zu bringen. Hier ist die erste und wertvollste:
Machen Sie Ihrem scharfen inneren Zensor den Garaus
Bündeln Sie all Ihre falschen Stimmen zu einem metaphorischen Knoten und nennen Sie ihn »mein scharfer innerer Zensor«. Gestehen Sie diesem Zensor zu, dass es seine Aufgabe ist, Sie vor schlimmen Fehlern zu bewahren. Manchmal erfüllt er diese Aufgabe auf durchaus sinnvolle Weise, zum Beispiel wenn er Sie daran hindert, einen Polizisten anzupöbeln oder Ihrer Freundin zu sagen, was Sie wirklich von ihrer neuen Frisur halten. Aber Ihr scharfer innerer Zensor ist selbst nicht vor irrigen Annahmen gefeit. Er nimmt nämlich an, dass er weiß, was ein schlimmer Fehler ist, und glaubt überdies, stets in Ihrem besten Interesse zu handeln. Ihr scharfer innerer Zensor unterschätzt Ihre Erfolgsaussichten und überschätzt zugleich die Strafe für den Misserfolg. Erklären Sie ihm, er soll sich zum Teufel scheren.
Leichter gesagt als getan, stimmt’s? Ihr scharfer innerer Zensor ist schließlich ein willensstarker Mistkerl. Außerdem habe ich Ihnen das nützliche Märchen aufgetischt, er sei irgendwie eine oppositionelle Kraft und gehöre eigentlich nicht zu Ihnen; aber wir wissen es besser, nicht wahr? Ihr scharfer innerer Zensor sind Sie selbst, und wie kämpft man gegen sich selbst?
Wenn wir später darüber sprechen, wie man gute Witze verbessert oder einen Text überarbeitet, um die komische Wirkung zu verstärken, wie man also Ihre Schmuckstücke poliert, werden wir den scharfen inneren Zensor wieder zum Leben erwecken. Wir werden ihn mit folgenden Worten willkommen heißen: So, jetzt darfst du anspruchsvoll sein und unerbittlich auf Qualität pochen. Tu dir nur keinen Zwang an, du bist nämlich mein bester Freund. Aber in diesem frühen Stadium müssen wir seine Stimme wirklich zum Schweigen bringen, diesen Tyrannen im Kopf neutralisieren, der seine Ängste zu Ihren Ängsten machen will. Um Ihrem scharfen inneren Zensor den Garaus zu machen, brauchen Sie Waffen. Die Neunerregel ist eine meiner Lieblingswaffen.
Die Neunerregel
Von jeweils zehn Witzen, die Sie erzählen, werden neun Schrott sein. Von jeweils zehn Ideen, die Sie haben, werden neun nicht funktionieren. Wenn Sie zehn Mal ein Risiko eingehen, fallen Sie neun Mal auf die Nase.
Deprimierend? Eigentlich nicht. Sobald Sie sich die Neunerregel zu Eigen gemacht haben, erweist sie sich sogar als äußerst befreiend, denn Sie sind im Nu und für immer die alles vergiftende Erwartung los, dass Sie jedes Mal Erfolg haben müssten. Diese Erwartung und die daraus resultierende Versagensangst verleihen Ihrem scharfen inneren Zensor solche Macht über Sie. Wenn Sie diese Erwartung ablegen, entziehen Sie ihm seine Macht. Ganz einfach und sauber: ein Instrument.
Aber halt, besteht da nicht ein Widerspruch? Habe ich nicht eben noch gesagt, dass man weder einen Erfolg noch einen Misserfolg voraussetzen kann? Habe ich nicht gesagt, man weiß es erst, wenn man’s ausprobiert? Wie zum Henker kann ich dann von einer erschreckenden, erbärmlichen Erfolgsquote von zehn Prozent bei unseren humoristischen Bemühungen ausgehen? Kann ich eigentlich nicht. Es gibt keinerlei logische Begründung dafür. Die Neunerregel ist keine eherne Wahrheit, sondern eine weitere nützliche Fiktion, die mir in meinem niemals endenden Kampf gegen die Angst hilft.
Vielleicht halten Sie das für Haarspalterei. Ob man Angst vor einem Misserfolg hat oder von einem Misserfolg ausgeht, was gibt es da schon für einen Unterschied? Die Antwort heißt: Erwartung. Wenn man erwartet, dass man Erfolg haben wird, hat man Angst vor dem Misserfolg. Man hat etwas zu verlieren. Mit der Neunerregel setzt man seine Erwartungen jedoch so niedrig an, dass man kaum etwas zu verlieren hat. Aber das ist noch nicht alles.
Wenn man von vornherein annimmt, dass von zehn Witzen nur einer funktioniert, dann ist es einigermaßen logisch, dass man Hunderte und Aberhunderte von Rohrkrepierern braucht, um sich eine anständige Witzesammlung aufzubauen. Man muss es ausprobieren und scheitern, ausprobieren und scheitern, immer wieder, bis man dann irgendwann nicht mehr scheitert. Dank schlichter mathematischer Logik glaubt man dann am Ende selbst, dass der Prozess des Scheiterns von entscheidender Bedeutung für das Produkt des Erfolgs ist. Damit haben Sie auch Ihren scharfen inneren Zensor wieder auf Ihrer Seite: Er ist noch nicht tot, aber vielleicht piesackt er Sie nicht mehr ganz so sehr wie zuvor.
Die Neunerregel ist also ein Werkzeug zur Reduzierung von Erwartungen. Probieren wir’s aus, dann sehen wir, wie es funktioniert. Stellen Sie eine Liste mit zehn ulkigen Bandnamen zusammen. Denken Sie daran, es geht hier um Quantität, nicht um Qualität. Um Ihre Erwartungen noch weiter zu senken, sollten Sie versuchen, die Übung in höchstens fünf Minuten abzuschließen. Damit überzeugen Sie außerdem Ihren scharfen inneren Zensor, dass keine Gefahr droht, dass nichts auf dem Spiel steht.
Später werden wir einen ganzen Haufen Instrumente zur Verfügung haben, mit denen wir an so eine Aufgabe herangehen können. Jetzt aber beantworten Sie bitte nur diese Frage: Was wäre ein ulkiger Name für eine Band?
Zum Beispiel:
Die vollen Hosen
Papa Humba und die kleinen Täteräs
Blumtopf
The Metal-Monsters of Mecklenburg
Haddewaddemiddeohrn
Die Trockenfürze
Pillepalle
Heilen Sie Lassie
Die Band mit dem unglaublich langen, praktisch unaussprechlichen Namen, den sich eh keine Sau merken kann
…
Keine besonders ulkige Liste, wie? Aber dank der Neunerregel ist das auch nicht nötig. Wir wollen uns jetzt nur daran gewöhnen, etwas hinzuschreiben, ohne Risiko oder Belastung, Erwartung oder Angst. Jetzt probieren Sie’s mal. Nehmen wir an, Sie haben ein leeres Blatt Papier oder die Rückseite eines alten Briefumschlags, worauf Sie schreiben können. Ich werde Ihnen im Verlauf dieses Buches eine ganze Reihe Übungen vorschlagen, und auch wenn Ihnen niemand eine Knarre an die Schläfe hält, sollten Sie daran denken, dass der erste Schritt zur Beherrschung von Instrumenten darin besteht, ein Gefühl für die verdammten Dinger zu kriegen. Vielleicht sollten Sie Ihren Vorrat an alten Briefumschlägen aufstocken. Sie können natürlich auch ein Notizbuch benutzen oder an den Rand kritzeln; manchmal lasse ich ein bisschen Platz auf den Seiten. Wie gesagt, die erste Regel lautet, dass es keine Regeln gibt.
Wollen Sie Ihren scharfen inneren Zensor noch ein Stück weiter zurückdrängen? Dann tun Sie Folgendes:
Schrauben Sie Ihre Ansprüche herunter
Das ergibt keinen Sinn, nicht wahr? Schließlich erzählt man uns doch immer, wir müssten höhere Ansprüche stellen. Schon richtig, aber man erzählt uns ja auch immer, der Scheck sei schon unterwegs, man werde uns auch morgen früh noch respektieren und ein Zwölf-Zilliarden-Mark-Defizit sei kein Grund zur Sorge – also sollten wir nicht unbedingt alles glauben, was man uns so erzählt.
Ob Sie nun Standup-Comedian, Drehbuchautor, Romanschriftsteller, Verfasser von Glossen, Comic-Zeichner, bildender Künstler, Glückwunschkartenschreiber, Redner oder sonstwas sind, wahrscheinlich lastet der sehnliche Wunsch auf Ihnen, jetzt sofort sehr erfolgreich zu sein. Kaum bringe ich beispielsweise die ersten Zeilen dieses Buches zu Papier, schon ertappe ich mich bei der Frage, ob es sich wohl gut verkaufen, mich in die Talkshows bringen und berühmt machen wird, so dass ich weitere Bücher schreiben kann, Filmverträge kriege und zu den besten Partys eingeladen werde. Und dabei ist es noch nicht mal erschienen.
Dennoch hoffe ich, dass dieses Buch mich reich und berühmt machen wird. Ich wäre wirklich gern reich und berühmt, aber solange ich mich damit aufhalte, wie es ist, reich und berühmt zu sein, ein gemachter Mann, ein Gewinner, kann ich mich nicht darauf konzentrieren, dieses Buch zu schreiben – also das zu tun, was mich letzten Endes hoffentlich reich und berühmt machen wird. Um zwei Metaphern ganz abscheulich zu vermischen, ich stehe in den Startlöchern und baue Luftschlösser. Was in Gottes Namen soll ich jetzt tun?
Ich schraube meine Ansprüche herunter. Ich konzentriere mich auf dieses Kapitel, diesen Absatz, diesen Satz, diesen Satzteil, dieses Wort. Warum? Weil die Hoffnung auf Erfolg der Komik genauso sicher den Garaus machen kann wie die Angst vor dem Misserfolg. Mit der Neunerregel rücken wir unserer Versagensangst zu Leibe. Indem wir unsere Ansprüche herunterschrauben, rücken wir unserem Erfolgswunsch zu Leibe.
Ich kann diesen Punkt gar nicht genug betonen. Das Einzige, was in diesem Augenblick zählt, ist die unmittelbar vor uns liegende Aufgabe. Wenn wir uns auf die unmittelbar vor uns liegende Aufgabe konzentrieren, wird sich alles andere von selbst regeln.
Na klar, mein kleiner Sonnenschein. Mach nur brav deine Hausaufgaben, dann wird das Buch veröffentlicht, die Talkshows rufen an, und das Geld, der Ruhm, die Partyeinladungen kommen wie durch Zauberhand zum Fenster hereingeflattert. Okay, vielleicht auch nicht. Aber eins steht fest, und das wissen Sie: Wenn Sie sich nicht auf die unmittelbar vor Ihnen liegende Aufgabe konzentrieren, dann wird das Buch (oder das Stück, der Witz, die Karikatur, die Glosse, die Rede, die Glückwunschkarte, der Standup-Auftritt) nie fertig, und Sie können den ersehnten Ruhm in den Schornstein schreiben.
Der komische Prozess geht schrittweise vonstatten. Wenn Sie nicht Superman sind, können Sie nicht mit einem Satz auf Hochhäuser springen, und folglich ist es irgendwie ziemlich albern, sich einzureden, man müsste es tun. Seien Sie sich dessen bewusst. Verlangen Sie von sich nur, was Sie jetzt tun können. Dann wird Ihr scharfer innerer Zensor wie Schnee in der sprichwörtlichen Sonne