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Der Zorn des Schattenkönigs
Der Zorn des Schattenkönigs
Der Zorn des Schattenkönigs
eBook566 Seiten6 Stunden

Der Zorn des Schattenkönigs

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Über dieses E-Book

Gottesland: In dem der Wachsame Gott den Menschen das Ewige Leben verspricht, solange sie seine Gesetze befolgen.
Freiland: In dem die Magie den Menschen alles gibt, was sie begehren, solange sie bereit sind, ihre Schatten zu ertragen.
Ein Mann, der über die Mauer zwischen den Ländern herrscht - der Schattenkönig.

Im magiereichen Norden sinnt Arabelle auf Rache am Peiniger ihrer Schwester. Im Süden führt der Händler David eine Schriftrolle mit sich, die das Leben der Menschen auf beiden Seiten der Mauer für immer verändern wird. Wie auch der Schattenkönig, sein Stellvertreter Hunter und die mysteriöse Kämpferin Nicole werden sie vom Schicksal auf die Probe gestellt – und nicht jeder wird sie bestehen.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum31. Dez. 2021
ISBN9783969370773
Der Zorn des Schattenkönigs

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    Buchvorschau

    Der Zorn des Schattenkönigs - Monika Loerchner

    Monika Loerchner

    E-Book, Originalausgabe, erschienen 2021

    1. Auflage

    ISBN: 978-3-96937-077-3

    Copyright © 2021 LEGIONARION Verlag, Steina

    www.legionarion.de

    Text © Monika Loerchner

    Coverdesign: © Marta Jakubowska, LEGIONARION Verlag

    Umschlagmotiv: © shutterstock 409648249 / 1905446791 / 1545148340

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

    Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

    Dies gilt insbesondere für elektronische oder sonstige Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten dieses Buchs sind frei erfunden.

    Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv, nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

    ©LEGIONARION Verlag, Steina

    Alle Rechte vorbehalten

    http://www.legionarion.de

    Der LEGIONARION Verlag ist ein Imprint der Invicticon GmbH

    E-Book Distribution: XinXii

     www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Das Buch

    Gottesland: in dem der Wachsame Gott den Menschen das Ewige Leben verspricht – solange sie seine Gesetze befolgen.

    Freiland: in dem die Magie den Menschen alles gibt, was sie begehren – solange sie bereit sind, ihre Schatten zu ertragen.

    Ein Mann, der über die Mauer zwischen den Ländern herrscht: der Schattenkönig.

    Im magiereichen Norden sinnt Arabella auf Rache an dem Peiniger ihrer Schwester. Im Süden führt der Händler David eine Schriftrolle mit sich, die das Leben der Menschen auf beiden Seiten der Mauer für immer verändern wird. Wie auch der Schattenkönig, sein Stellvertreter Hunter und die mysteriöse Kämpferin Nicole werden sie vom Schicksal auf die Probe gestellt – und nicht jeder wird sie bestehen.

    Inhalt

    Prolog

    Freiwerder, Freiland

    In einem Gasthaus, Gottesland

    Grenzstadt, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Grenzstadt, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Grenzstadt, Gottesland

    Grenzstadt, Gottesland

    Grenzstadt, Gottesland

    Grenzstadt, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Grenzstadt, Gottesland

    Schule, Gottesland

    Schule, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Straße, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Grenzstadt, Gottesland

    Grenzstadt, Gottesland

    Grenzstadt, Gottesland

    Grenzstadt, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Grenzstadt, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Irgendwo, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Irgendwo

    Irgendwo

    Freiwerder, Freiland

    Irgendwo

    Irgendwo

    Irgendwo

    Freiwerder, Freiland

    Auf der Mauer

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Irgendwo

    An der Mauer, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Unterwegs, Freiland

    Unterwegs, Freiland

    Unterwegs, Freiland

    Unterwegs, Freiland

    Unterwegs, Freiland

    In der Mauer

    Irgendwo

    In der Mauer

    Irgendwo

    In der Mauer

    Unterwegs, Freiland

    In der Mauer

    In der Mauer

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Irgendwo

    Grenzstadt, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Grenzstadt, Gottesland

    Freiwerder, Freiland

    Im Norden, Freiland

    Im Norden, Freiland

    Auf der Straße nach Grenzstadt, Gottesland

    Unterwegs, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Auf dem Weg zur Mauer

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    Freiwerder, Freiland

    In einer Scheune, Gottesland

    Epilog

    Prolog

    Jochen saß in einer Klemme, aus der er nur auf vier Arten herauskommen konnte: Durch ein Wunder, den Tod, jede Menge Magie oder den Schattenkönig.

    An Wunder glaubte er nicht, sterben wollte er nicht und eine solch große Menge Magie anwenden erst recht nicht. Obwohl erst sechsundzwanzig Jahre alt ging Jochen bereits gebückter, als ihm lieb war. Sein Nacken schmerzte unaufhörlich und er hatte sich zum Leidwesen seiner Mutter angewöhnt, die Schultern nach vorn hängen zu lassen, sodass sein kleiner Bierbauch bereits unvorteilhaft über den Hosenbund quoll. Die Magie, die nötig wäre, ihn aus seiner Bredouille zu befreien, würde seine Magieschatten zweifellos ganz erheblich wachsen lassen.

    Nicht nur, dass Jochen eitel war, er wollte es sich zudem auf keinen Fall mit den Damen verscherzen. Welche wollte schon einen zum Mann nehmen, der schon jetzt fast so krumm war wie ein Vierzigjähriger?

    Blieb also nur Daniel.

    Schweren Herzens verzichtete Jochen auf seinen üblichen, Mut machenden Schluck Wein. Dem Bandenfürsten sollte man nicht nur mit wachem Verstand, sondern auch voller Respekt gegenübertreten. Niemand hätte es je gewagt, angeheitert oder gar betrunken vor Daniel zu erscheinen.

    Da Jochen in Freiwerder wohnte, war sein Weg nicht weit. Er musste nur zum südlichen Rand der Stadt. Von dort aus waren es tatsächlich nur wenige Meter bis zur Grenze nach Gottesland. Und diese Grenze gehörte Daniel. Seine Leute bewachten die Mauer Tag und Nacht und jeder, der hinein oder hinaus wollte, musste sich ihm stellen.

    Jochen schluckte. Eigentlich würde er nichts weiter tun, als von einer Straße in die nächste zu gehen. Doch jeder hier kannte den Unterschied. Wer von außerhalb kam, lernte schnell, dass er sich ab dem Wacholderweg in ein anderes Gebiet begab und sich unter eine andere Herrschaft stellte. Selbst die Vier Familien, die im Laufe der Jahrhunderte so viel Reichtum angehäuft hatten, dass sie es sich leisten konnten, ihre Kinder aufrecht zu vermählen, mussten sich an die Gesetze des Schattenkönigs halten.

    Zögerlich setzte Jochen einen Fuß vor den anderen. Ihm war, als würde sich die Welt um ihn herum verdüstern. Er drehte sich um und sah, dass sein Empfinden einen simplen Ursprung hatte. Die Fackellaternen, die die Straßen zu beiden Seiten säumten, hatten hinter ihm einen etwas helleren Schein als die in Daniels Gebiet. Auch brannten die Feuer vor ihm unsteter, flackerten mehr und ließen mehr Schatten an den Häuserwänden entlang tanzen.

    Absicht? Mit Sicherheit!

    Nun, da er das Rätsel um seine plötzliche Beklommenheit gelöst hatte, hätte sich Jochen eigentlich wohler fühlen müssen. Stattdessen steigerte sich sein Unwohlsein zu einer beklemmenden Angst. Was war das nur für ein Mann, der sich selbst um so etwas wie Straßenfackeln Gedanken machte und wie er ihre Wirkung ändern und für sich nutzen könnte? Wenn sich Daniel schon um solche Kleinigkeiten sorgte, was ging dann noch alles in seinem Kopf vor?

    Jochen schluckte, ging aber weiter. Er hatte gewusst, worauf er sich einlassen würde.

    Stur verfolgte er den Weg, den jedes Kind kannte und fast jeder Erwachsene einmal in seinem Leben ging. Durch die Engergasse, die Seilaue und über den kleinen gepflasterten Platz. Dann ein Stück den Moosweg entlang, links durch die Wolkengasse und da wäre es, das Hauptquartier des Schattenkönigs.

    Jochen senkte den Kopf und schaute stur auf das Pflaster unter seinen Füßen. Leider konnte er so seine Augen, nicht aber seine Ohren täuschen, die immer wieder Menschen an ihm vorbeihuschen hörten. Es kam ihm vor, als wären Dutzende Augenpaare auf ihn gerichtet. Was zweifellos der Fall war, denn Daniels Bande bestand aus einer unübersichtlichen Anzahl Männer und Frauen; die Armee seiner Spitzel war nahezu riesig.

    Bald werde ich dazu gehören, dachte Jochen. Er machte sich keine Illusionen. Wer einmal einen Gefallen von Daniel erbeten hatte, kam so gut wie nie wieder frei. Fast jeder fünfte Erwachsene stand bei dem Bandenfürsten in der Schuld und man tat gut daran, diese Schuld auf Befehl hin abzutragen.

    Ein Gefallen hier, ein Gegenstand oder Erzeugnis da – so funktionierte das System. Nur selten verlangte der Schattenkönig etwas Größeres wie eine gewalttätige Handlung, ein Aufbegehren gegen die Vier Familien oder einen jungen Menschen, den er in seinem Sinne ausbilden konnte.

    Da war er also nun, der Steinerne Erker. Wie der Name schon verriet, handelte es sich bei dem ehemaligen Gasthaus um eines der ersten Häuser, die aus Stein gebaut worden waren. Eine Legende besagte, dass die Einwohner von Freiwerder so neidisch auf den Besitzer waren, dass sie sich alle ohne Ausnahme ebenfalls Steinhäuser schufen. In ihrer Hast, es dem Ersten gleichzutun, benutzten sie sogar zum Abriss ihrer Holzhäuser Magie und luden dabei so große Schatten auf sich, dass Freiwerder fortan den Beinamen »Die Gebeugte Stadt« erhielt.

    Mittlerweile übertrafen die meisten Gebäude den Steinernen Erker an Pracht. Die Renovierungsarbeiten, die alle paar Jahre dringend notwendig waren, schienen am Erker mit echter Handarbeit, also ohne Magie, durchgeführt worden zu sein. Mörtel verschiedener Schattierungen und Holz in unterschiedlichen Verwitterungszuständen ließen das dreigeschossige Gebäude eher wie ein Flickwerk als ein Objekt, das einst so viel Neid hervorgerufen hatte, aussehen.

    Lediglich die Außenbalustrade des obersten Stockwerkes glänzte in frischem Holz. Die dahinter Wache stehenden Männer und Frauen wirkten dafür umso bedrohlicher. Stiefel, dunkle Lederhosen, Hemden und fein geschnittene Westen kleideten ihre drahtigen, angespannten Körper. Die Gesichter wirkten von unten verkniffen und finster. Das Licht der Laternenfackeln flackerte über Gürtel mit Peitschen und Schlagstöcken darin und ließ hier und da etwas unheilvoll Metallisches aufblitzen.

    Die können unmöglich alle den ganzen Tag da oben stehen, ging es Jochen durch den Kopf. Das müssen bald zwei Dutzend sein. Die wissen schon lange, dass ich komme, und wollen mich einschüchtern, das ist alles.

    Doch sein Verstand konnte ihn nicht davor bewahren, tatsächlich eingeschüchtert zu sein. Daniel konnte mal eben so über zwanzig bewaffnete und zweifellos gefährliche Schattenleute auf den Balkon seines Hauptquartiers beordern.

    Und das wegen eines einfachen Mannes wie Jochen. Wozu wäre der Bandenfürst dann erst in der Lage, wenn es um jemand Wichtigen ging?

    Etwas unschlüssig blieb Jochen stehen. Sollte er sich vorstellen, sein Begehr nennen? Wen sollte er dabei ansprechen? Er konnte doch auch nicht einfach hinein gehen – oder?

    Genau in diesem Moment öffnete sich mit einem leisen Klicken die Eingangstür des Steinernen Erkers. Ein Mann mit einem gepflegten Schnurrbart trat heraus und ging auf Jochen zu, als hätte er alle Zeit der Welt.

    Da Jochen nicht wusste, was er tun sollte, beschloss er, stehen zu bleiben und abzuwarten. Er bemühte sich, seinen Rücken möglichst weit durchzustrecken und den Kopf höher zu heben. Die einzige Frucht, die ihm seine Bemühungen allerdings eintrugen, war leises, spöttisches Gelächter von den Bandenleuten hinter der Balustrade.

    Der schnurrbärtige Mann blieb einen Hauch zu nah vor Jochen stehen. Dieser schluckte und kämpfte gegen den Impuls, zurückzuweichen.

    Die Klinge am Gürtel des Bandenmannes schimmerte bedrohlich. Da sie in keinem Holster steckte, sondern nur locker in den Gürtel geschoben war, konnte Jochen auch die Form der Schneide erkennen, lang, schlank und nur leicht gebogen. Er selbst hatte eine ähnliche Klinge zu Hause, ein Ausbeinmesser.

    »Mit dem kann man Fleisch von Knochen schneiden, aber auch Feinarbeit machen«, hatte ihm seine Mutter einst erklärt. Wozu genau dieser düstere Mann außerhalb der Küche ein Ausbeinmesser benötigte und welcher »Feinarbeit« er damit nachging, wollte Jochen lieber nicht so genau wissen.

    Der Mann hob das Kinn und straffte die Schultern. Eine subtile, aber deutliche Zurschaustellung seiner Macht. Jochen vermochte nur einen Hauch Magieschatten an dem Bandenmann zu erahnen. Die Schultern waren fast jugendlich gerade und der Kopf nur um ein paar Grad gesenkt. Jochen schauderte. Dieser Mann konnte, wenn er wollte, noch so viel Magie benutzen, dass Jochen ihm haushoch unterlegen war.

    Reue streifte den jungen Mann – wofür hatte er schon alles Magie benutzt? Immer wenn es ihm angebracht erschienen war, zweifellos, und doch wünschte er sich jetzt, er wäre weniger sorglos gewesen und könnte aufrechter vor diesem Mann stehen, der den Versuchungen offenbar erst ein paar Mal erlegen war.

    Er könnte glatt als ein Mitglied der Vier Familien durchgehen. Mit diesem Gedanken durchfuhr Jochen die altbekannte Wut. Hätte er von seinen Vorfahren solch einen Reichtum geerbt, müsste er auch nicht dauernd auf Magie zurückgreifen. Oder seine Eltern. Dass seine Mutter bereits zweimal Magieschatten auf sich geladen hatte, um ihm, ihrem einzigen Sohn, aus der Klemme zu helfen, würde er sich wohl bis an sein Lebensende vorhalten.

    »Was willst du, Jochen?«

    Die sanfte Stimme des Mannes ließ ihn zusammenzucken. Woher kannte er seinen Namen?

    »Ich … will zum … Ich meine, ich würde gern mit Herrn …«

    Unfähig, sich an den Nachnamen des Bandenfürsten zu erinnern, geschweige denn eine sonstige passende Anrede zu finden, verstummte Jochen.

    Der Mann vor ihm hob die Augenbrauen.

    »Du willst Daniel sprechen.«

    So wie er es sagte, klang es eher wie eine Aussage, denn wie eine Frage.

    Auch wartete der Mann Jochens Antwort gar nicht erst ab, sondern drehte sich um und gab ihm ein Zeichen, ihm zu folgen.

    Unter den wachsamen Augen der Bandenleute betrat Jochen den Steinernen Erker. Er hatte erwartet, dass sich seine Augen beim Betreten des Gebäudes an eine gewisse Finsternis gewöhnen müssten. Stattdessen war es überraschend hell.

    Wieso auch nicht, du Dummkopf!, schalt er sich. Warum sollte ausgerechnet dieses Haus von innen dunkel sein? Oder denkst du, Daniel hätte auch die Macht, im Dunkeln zu sehen?

    Dieser Gedanke ließ Jochen kurz schmunzeln. Er hatte das auch einmal ausprobiert. Ob aus Langeweile oder einer Bierlaune heraus, konnte er gar nicht mehr genau sagen. Er hatte schon so vieles ausprobiert, einfach, weil er es konnte. Die Quittung dafür zahlte er jeden Tag, wenn die Magieschatten schwer auf seinem Haupt und seinen Schultern lasteten.

    Tatsächlich war im Dunkeln sehen zu können nicht so spannend, wie er gedacht hatte. Noch ehe er seine Pläne, wie er diese Fähigkeit zu Geld machen könnte, zu Ende gedacht hatte, war ihm das gefährlich hohe Maß an Magie aufgefallen, dass er damit anwandte. Im Endeffekt war also außer Schatten nichts passiert, wie so oft in seinem Leben.

    Der Mann führte Jochen eine knarrende Holztreppe hinauf ins erste Obergeschoss. Der Flur war zum ehemaligen Schankraum hin offen, sodass Jochen ihn im Vorbeigehen mustern konnte. Die Möbel, Tische und Stühle, dazu zwei große Schränke und ein Klavier, wirkten solide, aber in ihrer Schlichtheit spärlich, und niemand sonst war zu sehen. Wer mochte schon wissen, was und wer sich hinter den zahlreichen Türen verbarg?

    Sie gingen den Flur bis zum Ende. Der Mann deutete auf die letzte Tür.

    »Dort hinein. Daniel erwartet dich.«

    Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort in das angrenzende Zimmer.

    Jochen schluckte, wischte sich seine Hände an der Stoffhose ab und fuhr sich über die für seine Familie väterlicherseits charakteristische Hakennase. Dann tastete er noch einmal nach den Edlen Steinen in seiner Hosentasche. Er hoffte, dass sie dem Bandenfürsten genügen würden. Immerhin erbat er von ihm keine große Sache. Für ihn selbst war der Gefallen, um den es ging, von elementarer Wichtigkeit; für einen so bedeutenden Mann wie Daniel hingegen war es sicher nur eine Kleinigkeit. Oder?

    Mit klopfendem Herzen streckte Jochen eine Hand aus und drückte die Türklinke nach unten. Ein leichter Stoß genügte, die Tür geräuschlos aufgehen zu lassen.

    Der Raum dahinter war nur spärlich beleuchtet. Eine einzelne Kerze brannte in einer Halterung, die auf einer Art Schreibtisch stand. Mit angehaltenem Atem betrat er das Zimmer. Noch ehe er sich orientiert hatte, ließ ihn ein leises Klacken herumfahren. Jemand war unbemerkt hinter Jochen getreten und hatte die Tür ins Schloss rasten lassen. Es kam ihm vor, als wäre ein Sargdeckel über ihm geschlossen worden.

    »Willkommen Jochen.«

    Die volle Stimme ließ Jochen zusammenzucken. Nun war es also soweit, ein Zurück gab es nicht mehr.

    »Gu-gu-guten Tag«, stotterte er und drehte sich wieder um. Verzweifelt bemühte er sich, seinen Kopf aufzurichten, doch die Magieschatten, die auf ihm lasteten, waren zu stark. Wenigstens konnte er die Schultern ein paar Millimeter weit anheben.

    »Setz dich«, bedeutete ihm die Stimme.

    Jochen schaute sich um. Weit und breit war kein Stuhl zu sehen. Hatte er sich verhört?

    Ein unsanfter Tritt traf ihn von hinten und ließ ihn nach vorn stürzen.

    »Wenn Daniel sagt, du sollst dich setzen, dann setz dich!«, knurrte es hinter ihm.

    »Ja. Ja, bitte entschuldigen Sie.«

    Umständlich drehte sich Jochen um und setzte sich auf seinen Hosenboden, unschlüssig, was er hier unten mit seinen langen Beinen machen sollte.

    »Da hast du aber auch zwei Kartoffelstampfer«, tönte eine dritte Stimme aus den Schatten. »Schlecht für einen wie dich. Noch zwei, drei Mal Magie und du fällst beim Gehen vornüber.«

    »Vielleicht ist er ja deshalb hier«, erklang eine weitere Stimme, nun aus der linken Ecke. »Um sich kürzere Beine zu besorgen!«

    Das spöttische Gelächter, das nun folgte, ließ Jochen wünschen, er wäre niemals hierhergekommen. Was hatte er sich nur dabei gedacht?

    Die Härchen an seinen Armen stellten sich auf. Würde Daniel ihn überhaupt anhören? Oder ihn gleich töten? Was würde den Bandenfürsten davon abhalten, seine Leute auf ihn zu hetzen und sich die Edlen Steine auch so zu nehmen, ohne Gegenleistung?

    »Schluss!«

    Der Befehl klang ruhig, dennoch herrschte augenblicklich Stille.

    »Steh auf!« Ein Seufzen. »Du bist schon so krumm, dass du mich von da unten aus nicht wirst sehen können. Dabei bist du erst wie alt? Sechsundzwanzig?«

    Scham stieg Jochen heiß in die Wangen.

    »Ja, Sir.«

    Die Stimme lachte. »Nenn mich Daniel, das genügt. Steh jetzt auf.«

    Mühsam rappelte sich Jochen hoch. Dann stand er, hob, soweit es die Schatten zuließen, den Kopf und starrte auf den Oberkörper eines Mannes.

    Ein erneutes Seufzen drang an sein Ohr.

    »Das wird so nichts. Macht mehr Licht.«

    Jochen registrierte ein Wirrwarr aus Schritten. Dann wurden fast gleichzeitig überall im Raum Kerzen entzündet und in Wandhalterungen gesteckt. Es wurde immer heller, schließlich war es fast taghell.

    Der Mann, auf dessen Brust Jochen noch wenige Momente zuvor gestarrt hatte, drehte sich um und ging hinter den Tisch. Aus dieser Entfernung nun konnte Jochen sein Gegenüber endlich ganz ansehen.

    Er erstarrte.

    Von einem gewissen Umstand abgesehen war an dem Mann, der diese Stadt, die Mauer und vielleicht auch noch mehr beherrschte, nichts Besonderes. Er war weder besonders groß noch klein, weder auffallend schmächtig noch übermäßig muskulös. Seine Augen hatten eine alltägliche blaugrüne Farbe, das Haar war nichtssagend braun und auch sonst hätte Daniel problemlos einfach ein weiterer Bandenmann sein können. Wenn eben dieser gewisse Umstand nicht gewesen wäre.

    Je länger Jochen darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien ihm, was er mit eigenen Augen sah. Beziehungsweise nicht sah, denn Daniels Leute befanden sich in den unterschiedlichsten Stadien der Magieschatten. Allerdings war jeder einzelne von ihnen in einem besseren Zustand als Jochen. Selbst diejenigen, die augenscheinlich die Fünfzig schon überschritten hatten, hielten sich aufrechter als er. Jochen würde darauf wetten, dass sich die Männer und Frauen, die er eben nur von unten aus gesehen hatte, ebenso aufrecht hielten. Das überraschte ihn nicht, kannte er doch viele der Bandenmitglieder vom Sehen. Dennoch imponierte ihm diese ungewöhnlich hohe Anzahl halbwegs aufrechter Menschen.

    Daniel jedoch stach aus dieser Menge hervor wie eine Pappel auf einer Flachlandweide. Es wollte Jochen nicht in den Kopf gehen. Nicht einmal der Hauch eines Magieschattens schien auf dem Bandenfürsten zu liegen!

    Aufrecht und gerade wie am Tag vor seiner Magiemündigkeit stand er da. Obwohl er um die dreißig Jahre zählen mochte, wirkte er dadurch in irritierender Weise wie ein Jugendlicher.

    In seinem ganzen Leben hatte Jochen noch niemanden gesehen, der nicht binnen eines Jahres nach Beginn seiner Magiefähigkeit, also mit Neunzehn, Magie angewandt hatte. Mal ehrlich, man musste achtzehn lange Jahre warten, bis man sie benutzen konnte … Wie hielt Daniel das nur aus?

    Was die Leute sagen, ist also wahr, dachte Jochen. Er selbst hatte es nie glauben wollen. Hatte immer gedacht, dass er, würde er einmal so nah an den Schattenkönig herankommen, wenigstens den Hauch eines Schattens an ihm erkennen würde. Wie konnte ein Mann einfacher Herkunft zum Befehlshaber einer ganzen Bande und so mächtig werden, als sei er das Oberhaupt einer der Vier Familien, ohne auch nur ein Fitzelchen Magie benutzt zu haben? Wie konnte jemand ohne Magie überhaupt so lange überleben?

    Noch immer starrte er den Anführer an. Jochens Augen suchten geradezu verzweifelt nach einem Anzeichen, und sei es noch so klein, dass doch ein Schatten auf dem Bandenfürsten lag, der ihn Richtung Boden drückte. Aber alles, was er erkennen konnte, war Aufrichtigkeit.

    »Bist du zufrieden mit dem, was du siehst?«

    Jochen zuckte ertappt zusammen. »Bitte entschuldigen Sie, Sir, äh, ich meine Daniel. Ich, äh, also …«

    Der Mann bedeutete ihm mit einer knappen Geste, zu schweigen.

    »Ich weiß, was du willst. Was bietest du mir?«

    Unsicher schaute sich Jochen nach beiden Seiten um. Er zählte vier Männer und eine Frau, die sich außer ihm und dem Anführer im Raum befanden. Es war zu spät, um einen Rückzieher zu machen.

    »Woher wissen Sie …?«

    Daniels Stimme klang so sanft, als sänge er ein Wiegenlied.

    »Ich weiß es, weil ich es weiß. Du willst, dass das Kind, das Nadine von dir in sich trägt, verschwindet. Ist es nicht so?«

    Jochen nickte. Erneut stieg Scham in ihm auf. Er hätte nicht mit ihr schlafen dürfen. Das hatte er schon in dem Moment gewusst, in dem er ihre Röcke hochgeschoben hatte. Trotzdem hatte er es getan.

    »Du verlangst viel. Sehr viel.«

    Jochen stockte der Atem. Erst jetzt kam ihm in den Sinn, dass Daniel alles wissen könnte.

    Nervös fuhr er sich wieder über die Nase.

    »Werden Sie mir helfen?«

    Daniels Augen schienen sich in die Jochens zu bohren.

    »Was bietest du mir?«

    »Ich habe drei Edle.«

    Jochen griff in seine Hosentasche und holte die erwähnten Steine hervor.

    Ein Schattenmann trat neben ihn und nahm sie ihm ohne ein weiteres Wort ab.

    »Ein Edler für mich, ein Edler für das Gewissen des Mannes, der es erledigt, ein Edler für Nadines Schmerzen.« Noch immer war die Stimme des Bandenführers sanft. »Was bietest du mir für das Kind?«

    Jochen schluckte. »Verzeihen Sie, aber ich habe nichts anderes.«

    »Du hast dein Leben.«

    »Mein Leben, ja.« Er schüttelte den Kopf. Gerade das versuchte er mit Daniels Hilfe zu retten!

    Der aufrechte Mann seufzte.

    »Du wirst in meiner Schuld stehen, bis du sie abgetragen hast.«

    Vor Erleichterung hätte sich Jochen am liebsten auf den Boden fallen lassen. Stattdessen nickte er stumm.

    »Du wirst mir drei Gefallen schulden, die jeweils mit einem Magieschatten der fünften Stufe einhergehen.«

    Wieder nickte Jochen. Würde er sich selbst um die Sache kümmern, müsste er so viel Magie benutzen, dass ihn der anschließende Schatten sofort verraten würde. Selbst wenn er wie durch ein Wunder davonkommen würde, würde er den Rest seines Lebens so gebeugt verbringen wie der alte Herr Muller. Das Kind mit seinen eigenen Händen zu töten, konnte er sich nicht einmal ansatzweise vorstellen. Wie sollte das auch gehen, es war ja noch im Mutterleib. Nadine würde sich zweifellos zu schützen wissen und auch ihre Familie ließ sie nicht mehr aus den Augen.

    Ein Magieschatten der fünften Stufe war schon etwas, gewiss, aber bis Daniel die Schulden eintreiben würde, mochten Jahre vergehen. Ein gutes Geschäft also.

    »Du wirst mein Spitzel sein, wann immer ich es dir sage«, fuhr der Bandenfürst fort.

    Auch diese Bedingung nahm Jochen mit einem Nicken an.

    Wieder einer, der die Seiten gewechselt hat, dachte er. Nun gehörte auch er dazu, war Teil der stillen Armee. Dafür würde Daniel sein Leben retten, das war gewiss. Er hielt sein Wort. Immer!

    Deutlich leichteren Herzens machte sich Jochen auf den Weg nach Hause.

    Daniel kam in Herrn Mullers Wohnzimmer, als schlendere er über die Marktstraße.

    »Ich hatte doch die Haustür abgeschlossen«, grummelte Muller halbherzig vor sich hin.

    Daniel machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten.

    »Helmut?«

    »Oben.«

    Der Bandenfürst hielt kurz inne. So tapfer sich der gebeugte Mann auch hielt, konnte er seine Furcht dennoch nicht verbergen.

    »Es geht nur um eine Gefälligkeit. Nicht viel, aber auch nicht wenig. Ein Dreierschatten.«

    Der alte Mann atmete auf. Die Erleichterung darüber, dass seinem Sohn kein größeres Übel drohte als die Last eines mittleren Magieschattens, war groß. Noch größer war allerdings der Stich ins Herz, dass sich Helmut entgegen allem, was sein Vater ihm gepredigt hatte, an Daniel gewandt hatte.

    »Weswegen er das wohl getan hat?«, grübelte der Kriecher.

    Doch es war müßig, denn der Gefallen, der nun eingefordert wurde, konnte schon Jahre her sein und Helmut würde schweigen wie ein Grab.

    Wenig später stieg Daniel die Treppe hinunter. Erst als er die Haustür hinter sich zugezogen hatte, wagte es Muller, nach seinem Sohn zu schauen. Doch der kam ihm bereits auf halbem Wege entgegen.

    »Ich muss noch mal weg«, erklärte Helmut und schob sich an seinem Vater vorbei. »Es wird nicht lange dauern.«

    Als er eine Stunde später wiederkam, ging er, als wäre er um Jahre gealtert.

    »Ist schon gut«, sagte er und drückte die Hand seines weinenden Vaters. »Es geht mir gut.«

    Der Bandenfürst forderte an diesem Abend noch weitere Gefallen ein, verstreut über die ganze Stadt. Überall erschien er persönlich und seine Leute überwachten jeden Einzelnen, ob er seine Schuld auch beglich.

    Es war so einfach, dass sich die Schattenleute immer wunderten, dass all die anderen Menschen nicht darauf kamen. Wenn viele etwas gaben, konnten sie Dinge erreichen, von denen der Einzelne nur träumen konnte.

    Eine junge Frau namens Nadine faltete die Hände über ihrem Unterleib und wartete sehnsüchtig auf den Schlaf.

    Freiwerder, Freiland

    Wie lange hast du ihm gegeben?« Als sein Stellvertreter war Hunter der einzige unter Daniels Männern, der sich offene Fragen an den Bandenfürsten erlauben konnte.

    Der Angesprochene starrte weiter reglos in die Schatten. Die beiden Männer, die sich in ihrer Mimik manchmal so sehr ähnelten, dass sie hätten Brüder sein können, aber in ihrem Inneren so unterschiedlich waren, saßen auf dem Balkon des Steinernen Erkers.

    Bis auf wenige, strategisch verteilte Wachen, die sich hier und da zu einem Rundgang aufmachten, lagen die Straßen still und reglos unter ihnen.

    »Das Übliche«, antwortete Daniel.

    Hunter dachte nach. »Also 25 Jahre für die Vergewaltigung des Mädchens und noch mal 25 für den Mordwunsch an dem Baby, macht 50.« Er pfiff durch die Zähne. »Das erklärt, dass du heute Nacht so beschäftigt warst.«

    Daniel nickte sachte. »Jeder meiner Schuldner hat Magie benutzt, um ein Jahr von Jochens Leben zu verfluchen. Die Schmerzen, die ihn ab morgen erwarten, werden ihn davon abhalten, sich je wieder einem Menschen aufzudrängen.«

    »Dennoch musst du dich an deinen Vertrag halten.«

    Diese, wenn auch mit Respekt hervorgebrachten Worte, brachten Hunter einen Blick seines Herrn ein, der ihn zusammenzucken ließ.

    »Bitte entschuldige«, murmelte Hunter hastig, »Ich bin müde und …«

    »Schon gut. Ich muss weg.«

    Hunter zog die Schultern hoch. »Wann?«

    »Noch heute Abend. Ich werde nicht lange wegbleiben. Drei Tage, vielleicht vier.«

    Hunter schwieg. Daniels Entschluss zu kommentieren, stand ihm nicht zu und Fragen erübrigten sich von vornherein. Sollte der Bandenfürst Instruktionen für ihn haben, würde er sie ihm mitteilen, ganz einfach.

    Daniel kniff die Augen zusammen und hob seinen Blick zu den Sternen. Hunter wusste, das Kind musste verschwinden. Nadine wies schwache, aber eindeutige Verletzungen auf. Doch stand, was den Täter anbelangte, ihr Wort gegen Jochens. Sollte das Kind allerdings zur Welt kommen und frappierende Ähnlichkeit mit Jochen aufweisen, was bei der in seiner Familie vorherrschenden Hakennase sogar recht wahrscheinlich war, würden sie den jungen Mann, der jeden näheren Kontakt zu Nadine vehement abgestritten hatte, hängen. Deshalb hatte er den Tod des Babys gewollt.

    Hätte der Schattenkönig Jochen seine Hilfe verweigert und den Dingen ihren Lauf gelassen, dann hätte die Gefahr bestanden, dass sich dieser skrupellose Versager auf andere Weise an der jungen Frau vergriffen hätte. Vielleicht mit Gift, vielleicht mit Hilfe eines Mannes, der vor körperlich begangenem Mord nicht zurückschreckte.

    »Ich habe zugestimmt, das Kind verschwinden zu lassen, und genau das werde ich tun«, verkündete Daniel der Nacht. »Du weißt, was du zu tun hast.«

    Beinahe beiläufig ließ er etwas in Hunters Schoß fallen. Er legte seinem Stellvertreter eine Hand auf die Schulter und sah ihm ernst in die Augen.

    »Mögest du keinem besseren Mann begegnen, während ich weg bin, und keinem schlechteren.«

    Wie jedes Mal spürte Hunter einen Kloß im Hals, eine bohrende Sorge, die er nicht loswerden konnte. Immer wenn Daniel unterwegs war, kam es ihm so vor, als wäre alles aus dem Gleichgewicht geraten. Dass er weder wusste, wo genau hin der Bandenführer verschwand noch, was er tat, machte die Sache nicht besser. Daniel hatte seine Geheimnisse und man tat gut daran, nicht daran zu rühren.

    Er sah dem Schattenkönig nach. Er wusste, es würde an ihm sein, morgen zu Nadines Familie zu gehen und ihnen die drei Edlen Steine zu geben. Er musste sie davon überzeugen, von hier fortzugehen. Die Bestrafung, die Daniel Jochen hatte zukommen lassen, würde ihnen die für einen Neuanfang nötige Genugtuung verschaffen.

    »Wohin denn so eilig?«

    Das Messer in der Hand des Mannes war rostig und fleckig. Welcher Art die Flecken darauf waren, konnte Daniel nur erahnen. Er tippte auf Bratenfett und Soße.

    »Geh mir aus dem Weg«, sagte er ruhig.

    »Sonst passiert was?« Die höhnische Stimme hatte Kameraden mit dabei, der Krümmung nach zu urteilen Männer zwischen vierzig und fünfzig.

    Die gute Nachricht war also, dass sie ihm nicht die Kehle aufschlitzen konnten; die schlechte, dass sich ihre Augen und Messer auf Höhe seiner Eingeweide befanden. Wenn sich Daniel vorbeugte, die Schultern hängen ließ und den Kopf senkte, verschwand er in der Menge all der anderen Menschen um ihn herum. Nichts unterschied ihn derzeit von jenen, die er befehligte und über die er so mühelos herrschte. Die drei Halsabschneider konnten nicht wissen, wen sie vor sich hatten. Das würde sich jetzt ändern. Daniel richtete sich auf.

    Die Männer japsten auf und machten instinktiv ein paar Schritte rückwärts.

    »Der Schattenkönig!«, hauchte der eine, während sich seine beiden Kumpane auf die Knie fallen ließen.

    »Vergeben Sie uns, Sir, wir wussten nicht, dass Sie es sind!«

    Nun kniete auch der dritte im Bund nieder.

    »Es tut uns leid!«

    Daniel blickte auf die drei Kreaturen herab.

    »Ich dulde keine Überfälle«, sagte er ruhig.

    Die Männer begannen zu zittern. Der Wortführer, das Messer noch immer in der Hand, streckte flehend seine Arme aus.

    »Vergeben Sie uns, Sir, wir wollen doch nur unsere Familien ernähren!«

    »Dann arbeitet.«

    Die Männer wechselten vorsichtige Blicke miteinander.

    »Wir wurden alle hinausgeworfen«, gab schließlich der Gebeugteste der drei zu.

    »Weswegen?«

    »Trunkenheit.«

    »Und jetzt finden wir nichts Neues«, fügte der dritte Mann Mitleid heischend hinzu. »Keine der Vier Familien will uns mehr einstellen, und hier in der Stadt finden wir auch nichts. Bitte, Sir!«

    Daniel schüttelte den Kopf. »Ihr hättet Magie nutzen sollen.«

    »Bitte, sehen Sie uns doch an!«

    Unbeholfen standen die Männer auf. Keiner von ihnen konnte Daniel auf diese kurze Distanz hin ins Gesicht sehen. Selbst seinen Bauch zu betrachten, bereitete ihnen sichtlich Mühe. Nach Daniels Einschätzung waren sie nur noch wenige Magieschatten davon entfernt, an Stöcken gehen zu müssen.

    »Das gibt euch nicht das Recht, andere zu berauben. Ihr hättet die Schatten auf euch nehmen können, euren Familien zuliebe. Ihr habt euch für den falschen Weg entschieden.«

    Schweißtropfen zogen helle Linien in die schmutzstarrenden Gesichter.

    »Bitte, Sir!«

    »Nein.«

    »Bitte!«

    Die Männer ließen sich wieder auf die Knie fallen und hoben flehend die Arme, soweit es ihre Schatten erlaubten.

    »Also gut.« Daniel hockte sich hin und schaute jedem der Männer der Reihe nach in die Augen. »Einer von euch darf nach Hause gehen.«

    Der Mann mit dem Messer schluchzte auf.

    »Beweist wenigstens einmal im Leben Anstand!«

    »Torben.«

    Die Stimme des dritten Mannes war mürbe vor Resignation.

    »Ohne uns wäre er nie auf die Idee gekommen, jemanden zu überfallen. Seine Frau ist schwanger.«

    Daniel wandte sich an den Mann mit dem Messer.

    »Was sagst du?«

    Der Mann nickte stumm. Nun waren es Tränen, sie sein Gesicht herabglitten.

    »Torben, steh auf.«

    Zitternd rappelte sich der Angesprochene hoch.

    »Bist du einverstanden?«

    »Ja … Es tut mir leid.«

    Vermutlich wünschte sich Torben in diesem Moment, er wäre ein weniger feiger Mann und würde sich mehr für seine Kameraden einsetzen. Oder aber er war intelligent genug zu wissen, dass es für seine Freunde kein Entrinnen gab. Selbst wenn sie es wagen sollten, den Bandenfürst anzugreifen, selbst wenn sie alle Magie dafür benutzen würden, die sie noch anwenden konnten, bevor die Schatten ihre Organe zerquetschten, wäre ihnen Daniel noch haushoch überlegen.

    »Geh jetzt zum Steinernen Erker. Melde dich bei Thomas, er gibt dir Arbeit. Erzähl jedem, dass ich keine Überfälle dulde.«

    Torben nickte. »Danke, Sir.«

    »Nun sag deinen Freunden Lebewohl. Du wirst sie nie wiedersehen.«

    Als Torben gegangen war, wandte sich Daniel an die noch knienden Männer.

    »Ihr habt Glück, dass ich derzeit einige Dinge benötige. Erschafft sie mir, dann werde ich gnädig sein und euch einen schnellen Tod schenken.«

    Als Daniel weiterging, war das Messer noch immer fleckig. Dieses Mal war es Blut.

    In einem Gasthaus, Gottesland

    Eines Tages, das schwöre ich dir, werde ich rüber gehen!«

    »Das sagst du schon seit Jahren. Du tust es ja doch nicht!«

    »Dann warts mal ab! Pass auf, ich husche nur

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