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Steff
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eBook285 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Kabadasch! So beginnt das erste Kapitel des Jugendkrimis "Steff", geschrieben von dem bekannten schwedischen Schriftsteller Bernt Danielsson. Theodor Bach wird darin unsanft aus dem Schlaf gerissen. Der etwas heruntergekommene, alternde Privatdetektiv quält sich daraufhin aus seinem Bett und geht zur Haustür. Als er öffnet, steht dort ein junges Mädchen, ihr Name Stephanie Lecksell...-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum13. Dez. 2021
ISBN9788726922387
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    Buchvorschau

    Steff - Bernt Danielsson

    Bernt Danielsson

    Steff

    Aus dem Schwedischen

    von Regine Elsässer

    Saga

    Steff

    Übersezt von Regine Elsässer

    Titel der Originalausgabe: Steff

    Originalsprache: Schwedischen

    Coverbild/Illustration: Shutterstock

    Copyright © 1996, 2021 Bernt Danielsson und SAGA Egmont

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN: 9788726922387

    1. E-Book-Ausgabe

    Format: EPUB 3.0

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

    www.sagaegmont.com

    Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

    1

    Kabadasch!

    Normalerweise wurde er unter schnorchelndem Protest gezwungen, sich aus dem Schlaf zu graben. Das fühlte sich dann so an, als ob er sich in einem dunklen, engen Tunnel befände und jemand ihm mit einem Schwert hinterhergekrochen käme und drohte, ihm den Hintern in Stücke zu schneiden, wenn er nicht weitergraben würde. Das machte er dann – er grub immer weiter, geriet immer mehr in Panik und konnte nicht begreifen, warum er nur mit einem so lächerlichen Plastikspaten ausgerüstet war.

    Nach 150 schweißtreibenden Kilometern gab die Erdwand endlich nach, und da plumpste er mit einem Platsch in ein dunkles stinkendes Gewässer, schluckte viel zu viel Wasser und schwamm verzweifelt zur Oberfläche, während der Sauerstoff im Gehirn zur Neige ging.

    Wenn der Kopf dann durch die Wasseroberfläche stieß, prustete er und schnappte nach Luft, bis er schließlich widerwillig einsehen mußte, daß es wieder einmal Morgen und er leider aufgewacht war.

    So war es also normalerweise.

    Aber jetzt machte es nur Kabadasch!, und er lag auf dem Rücken und war sehr wach. Er konnte sich nicht erinnern, schon jemals so schrecklich wach gewesen zu sein. Die Augen starrten geradewegs nach oben zu dem, was einmal eine weiße Decke gewesen war und inzwischen eine schmutzigcremiggraustaubige Farbe angenommen hatte. Aber er sah die Decke deutlich, und das mußte heißen, daß es nicht mehr Nacht war.

    Warum war er aufgewacht?

    ,Ich muß etwas gehört haben.‘

    Was denn?

    ,Keine Ahnung, aber ich glaube nicht, daß es etwas Angenehmes war. Es kann mein Fahrrad gewesen sein, also muß es etwas Unangenehmes sein.‘

    Er lag still und lauschte mit angespannten Nerven und Muskeln. Er hörte nichts, auf jeden Fall nichts Ungewöhnliches: Der Wecker auf dem Schreibtisch tickte müde, sein Herz schlug heftig, das Bett quietschte und knarrte (was darauf schließen ließ, daß gewisse Körperteile sich trotz Befehl nicht still verhielten), der Kühlschrank in der Küche brummte wie immer, die Kühltruhe räusperte sich und stimmte mit ein, der Morgenverkehr brauste abgelegen auf der Tranebergsbron (er hörte den Verkehr eigentlich nicht, aber er war überzeugt davon, daß man es merken würde, wenn es ihn nicht gäbe), ein Flugzeug brummte in ungewöhnlich niedriger Höhe über das Haus (und in seiner Erinnerung lief im Schnellvorlauf das Video von der langen Flugreise Tokio hin und zurück; vierundzwanzig Stunden in einer Blechkiste, die in 35000 Fuß Höhe über Sibirien hinweggeschaukelt war; schrecklich), im Badezimmer gluckste der Umschalter für die Dusche, der Kaltwasserhahn am Waschbecken tropfte fröhlich vor sich hin, und der kaputte Schwimmer in der Klospülung lärmte ständig, jemand stand vor der Haustür und rüttelte an der Klinke, die Vögel zwitscherten frühlingshaft, obwohl es Anfang November war, die Blätter, die in einer Frostnacht vor einer Woche steifgefroren waren, klirrten im leisen Wind und –

    ,Steht jemand vor der Tür und rüttelt an der Klinke?!‘

    Er setzte sich auf und blinzelte zum Wecker – halb neun.

    ,Da kann es auf jeden Fall weder der Briefträger noch ein unangenehmer Behördenbürokrat sein‘, dachte er einigermaßen erleichtert. ,Um die Zeit sitzen die beim Kaffee und reden dummes Zeug auf Kosten des Steuerzahlers.‘

    Als dann heftig an die Haustür im Erdgeschoß gedonnert wurde, war er, gelinde gesagt, ein wenig beunruhigt, denn nach den Faustschlägen zu urteilen, mußten sie von einem bodygebuildeten, zwei Meter großen, schrankähnlichen Muskelpaket stammen.

    ,Bestimmt so ein Verrückter, von denen es in amerikanischen Gefängnissen nur so wimmelt. Auf jeden Fall im Fernsehen. Oft sind es auch noch Schwarze, und dann haben sie meistens so eklige Tätowierungen auf ihren anabolika-mißgebildeten Oberarmen.‘

    Er schauderte vor Unbehagen und zog zitternd die Unterhose an. Mit nervösen, fahrigen Bewegungen durchwühlte er einen halben Meter hohen Berg mit Kleidern auf einem Stuhl am Fenster und fand schließlich zuunterst eine schwarze, zerknitterte Baumwollhose. Während er sie anzog, hörte er, daß es vor dem Schlafzimmerfenster raschelte, schlurfte und prasselte. Es klang, als ob jemand direkt durch den verwachsenen Jasminbusch trampeln würde. Seit zehn Jahren schaute er ihn jeden Herbst an und dachte, daß man ihn vielleicht ein bißchen zurückschneiden könnte.

    Dann klang es, als ob der Vandale mit schweren Militärstiefeln Größe 46 geradewegs in das Beet steigen und seinen mühsam gezogenen Thymianstrauch kurz und klein treten würde.

    Er lief zum Fenster und zog vorsichtig die Gardine zur Seite, um in den Garten schauen und den psychopathischen Mörder einschätzen zu können – um dann zu entscheiden, was er machen sollte, entweder wütend werden und fluchen oder aus dem Küchenfenster springen.

    Er sah aber nur dichten, milchigen Nebel, der wie eine große, wuschelig weiße Katze über dem Garten lag.

    Er wollte gerade mit einem Ruck den Hosenstall zumachen, als der Hooligan wütend gegen das Fenster schlug.

    ,Das gesunkene Ausbildungsniveau in diesem Lande kann einem allmählich Angst machen, es wird geradezu lebensgefährlich, wie soll das bloß enden, wenn die Leute nicht mal mehr Warnschilder lesen können?‘ Er holte tief Luft, machte den Hosenknopf zu, atmete aus und konnte förmlich hören, wie der schwarze Faden unter der Belastung stöhnte.

    ,Vielleicht brauche ich ein größeres Schild? Mit deutlicheren Buchstaben? Ein einfach zu lesendes Schild. Mit klaren, kurzen Sätzen, das sogar ein halbblinder Schimpanse mit minimaler Begabung begreifen würde.

    Aber vielleicht sieht man es nicht, wenn es so nebelig ist? Ich hätte mir so ein selbstleuchtendes Teil leisten sollen.‘

    Er fand das T-Shirt ganz oben auf dem Bücherregal, es hatte sich über alle Bücherrücken zwischen den Buchstaben B und D drapiert. Er sprang hoch, erwischte es an einem Ärmel und zog es runter.

    Eine neuerliche Faustattacke ließ die Scheiben unten im Wohnzimmer klirren.

    Nachdem er eine Weile überlegt hatte, ob er seine neuen Timberland-Tractor-Schuhe anziehen sollte, um fixoflotto abhauen zu können (er bewahrte seine Schuhe immer im Schlafzimmerschrank im ersten Stock auf, um im Katastrophenfall schnell ausrücken zu können), entschied er sich doch für die Chinapantoffeln, die er in Japan gekauft hatte.

    Er stürmte schweren Schrittes aus dem Schlafzimmer, hoffend, daß es ordentlich polterte und so den Eindruck erweckte, daß der Verursacher groß, um nicht zu sagen gigantisch war und außerdem undefinierbare Tätowierungen auf seinem muskulösen Bizeps hatte.

    „Ja, ja, immer mit der Ruhe, verdammt!" brüllte er und wollte eigentlich eine erschreckend tiefe Stimme hervorbringen, sie sollte durch den Flur dröhnen, schicksalsschwanger die Treppe hinabkollern und wie ein Donnerschlag in den Ohren des Eindringlings detonieren.

    Es gelang leider nicht, was daher kam, daß seine Stimme noch nicht aufgewacht war – sie hatte normalerweise das beneidenswerte Privileg, noch eine Stunde länger schlafen zu dürfen, wenn alle anderen schon hatten aufstehen müssen.

    Als sie jetzt überrumpelt wurde und plötzlich den Befehl bekam, unter Hochdruck zu arbeiten, war das Ergebnis eher ein krächzendpiepsiges Jaulen. Er fluchte in Gedanken vor sich hin, räusperte sich und versuchte es noch einmal.

    „Wart einen Moment! Ich lege bloß noch die Hunde an die Kette und schalte den elektromagnetischen Stolperdraht aus!" brüllte er und trampelte die Treppe runter.

    Die Stimme klang zweifellos ein bißchen besser, aber er fragte sich doch, ob er nicht ein wenig übertrieben hatte, auf jeden Fall hörte das Klopfen auf. Er stürmte ins Wohnzimmer, starrte durch das Fenster und glaubte zu sehen, wie eine undeutliche Gestalt von den Gazebinden des Nebels verschluckt wurde.

    ,Gazebinden des Nebels? War es nicht eben noch eine wuschelige Katze gewesen? Ja, ja, aber ist vielleicht auch egal.‘

    Er gähnte mit so weit aufgerissenem Mund, daß es in den Ohren knackte und das Gehirn sprudelte wie eine Vitamintablette in einem Glas Wasser.

    ,Der wahnsinnige Psychopath ist anscheinend wieder gegangen – wunderbar.‘

    Seine immer noch halb schlafenden Gedanken schüttelten die Kissen auf, streckten sich und gähnten. Dann überredeten sie ihn, wieder hinaufzugehen und sich noch einmal hinzulegen.

    Da klopfte es wieder an die Tür.

    ,Es gibt doch Trollos, die nicht aufgeben.‘

    Er machte die Innentür auf, fummelte die zwei Sicherheitsketten los, drückte die unsinnig kleinen Knöpfe des Kombinationsschlosses, drehte den Schlüssel im Sicherheitsschloß zweimal, schloß nacheinander das normale und das BKS-Schloß auf und machte dann die Tür mit einem Ruck auf.

    Wenn es wirklich ein wahnsinniger Psychopath war, der da draußen im milchigen Nebel vor der Haustür stand, dann war es ein ausgesprochen kleiner, und außerdem hatte sie große, wunderschöne Augen, die in jeden Walt-Disney-Film gepaßt hätten.

    ,Das ganze Mädchen hätte übrigens . . .‘

    Was?

    ,. . . in jeden Disney-Film gepaßt. Wenn sie in Hollywood aufgewachsen wäre und die richtigen Eltern mit den richtigen Kontakten gehabt hätte, dann hätte sie mit vier ihre erste Filmrolle bekommen und wäre heute stinking rich und hätte unzählige Abtreibungen hinter sich, wäre unheilbar kokainsüchtig und würde übers Liften nachdenken.

    Sie sieht aus wie dreiundzwanzig, ich schätze sie also auf neunzehn, aber es würde mich auch nicht wundern, wenn sie sechzehn wäre.‘

    Sie hatte lange, dunkle Haare, lässig zusammengefaßt in einem schwanzähnlichen Ding, das ihr über die eine Schulter hing. Sie trug schwarze, enge Hosen und eine schwarze Jeansjacke, die viel zu groß aussah, die Ärmel waren ein paarmal hochgekrempelt, und trotzdem konnte man ihre Finger kaum sehen.

    Er bemerkte, daß die Innenseite des Jackenkragens weiß war, was er ausgesprochen dumm fand, weil das die einzige Stelle an einer Jacke ist, die wirklich dreckig wird. ,Wahrscheinlich ist die Absicht, daß man bald eine neue kaufen muß‘, dachte er. Unter der Jacke trug sie ein hellblaues Jeanshemd mit nietenähnlichen Metallknöpfen.

    Er starrte sie mit offenem Mund an. Gleichzeitig kniff er mehrmals die Augen zusammen, weil er den vagen Verdacht hatte, immer noch zu schlafen und alles nur im Traum zu erleben.

    Sie ihrerseits starrte ihn mit ihren großen Augen an. Ihr erster Gedanke war, auf dem Absatz kehrtzumachen und doch in die Schule zu gehen.

    ,Was habe ich hier zu schaffen?‘ dachte sie. ,Was für eine abgedrehte Idee. Und wahrscheinlich ist das Schild nur Bluff – er sieht nicht die Bohne zuverlässig aus.‘

    Er war sehr groß – verglichen mit ihr jedenfalls. Die dunklen, lockigen, zerzausten Haare standen ab, das Kinn und das Stück zwischen Oberlippe und Nase war dunkel umschattet von Bartstoppeln, die Backen waren ,naja, nicht direkt fett, aber irgendwie rundlich. Man kann wirklich nicht behaupten, daß er gut aussieht – schön ist er wirklich nicht, aber man kann auch nicht behaupten, daß er häßlich ist. Oder vielleicht doch?‘

    Er hatte ein schrecklich zerknittertes, viel zu großes T-Shirt an, der Saum am Halsausschnitt war an mehreren Stellen aufgegangen, und es war auch nicht sonderlich sauber. Seine Arme waren dünn und weißlich bis zu den Ellbogen, die Unterarme hatten auf jeden Fall irgendwann einmal ein bißchen Sonne abgekriegt. Es würde sie nicht wundern, wenn er einen richtigen Bierbauch hätte, den er unter weiten Hemden und solchen flattrigen T-Shirts zu verstecken versuchte, genau wie ihr Vater.

    Er sah überhaupt nicht so aus, wie sie es sich vorgestellt hatte, außerdem war der Hosenstall seiner schwarzen ausgebeulten Hose offen.

    Als sie es bemerkt hatte, starrte sie wohl besonders in diese Richtung, denn er schaute auch hinunter, und seine linke Hand löste sich mit einem Ruck vom Türpfosten und schien auf den offenen Hosenstall zu zielen, änderte dann aber schnell die Richtung und zauste statt dessen in den Haaren.

    Er schaute wieder hoch und verzog den Mund zu einem merkwürdigen Lächeln.

    Er sah richtig dumm aus.

    „Sind Sie – bist du der . . .", stotterte sie und war erstaunt, daß ihre Stimme so unnormal und verwirrt klang.

    Das war die Stimme sonst nie, sie selbst übrigens auch nicht – oder auf jeden Fall sehr selten –, aber jetzt war sie es. Sie kam sich vor wie ein Baby, und außerdem wurde ihr auch noch heiß um die Wangen, kurz – sie wurde rot!

    ,Was für eine Katastrophe. Warum werde ich rot? So was von lächerlich.‘

    Sie senkte den Blick, um sich zu konzentrieren, aber da entdeckte sie seine schwarzen Chinapantoffeln. Sie hatten beide Löcher, ganz vorne am großen Zeh schaute das ehemals weiße Futter durch große, ausgefranste Löcher, und sie glaubte, die Nägel seiner großen Zehen zu sehen, was ihr merkwürdigerweise Übelkeit bereitete. Wirklich merkwürdig – ihr wurde sogar richtig schwindlig.

    Um sich und ihre Augen zu trösten, warf sie einen schnellen Blick auf ihre neuen wildledernen Jodphur-Stiefeletten, und stellte ein weiteres Mal fest, daß sie wirklich sehr schön, supercool und jede einzelne Krone wert waren.

    Sie holte tief Luft und schaute schnell hoch.

    „Bist du, bist du T-Th-Theodor Bach?" preßte sie hervor und spürte, wie eine saugende, spiralige Welle durch ihren Körper schwappte und alles schwarz wurde.

    2

    Ritsch!

    Doch, es war wirklich Theodor Bach, der in der Tür stand und, gelinde gesagt, erstaunt war. Noch nie war jemand direkt vor seinen Augen ohnmächtig geworden, und er fand es ein wenig theatralisch.

    ,Okay, ich seh morgens vielleicht nicht richtig taufrisch aus, aber deswegen ohnmächtig werden?‘ dachte er, als ihre Lider flatterten und die großen Pupillen verschwanden. ,Oder vielleicht hat meine Erscheinung einen solchen Eindruck auf sie gemacht, daß ihre Gemütsbewegungen sie überwältigt haben?‘

    Ihr Körper sank wie in einstudierter Zeitlupe zu Boden.

    ,Vielleicht ist sie Schauspielerin.‘

    Theodor wollte sie auffangen, wie er es schon so oft bei den Schönlingen auf den Videos gesehen hatte, aber die rechte Hand kam nicht vom Türgriff los, und die linke war immer noch intensiv damit beschäftigt, die Kopfhaut zu kratzen und über die peinliche Erinnerung an den Hosenstall hinwegzukommen. Die Folge war, daß ihr bewußtloser Körper direkt auf ihn zufiel, und obwohl sie als Ursache sehr klein war, gelang es ihr doch, eine große Wirkung zu entfalten.

    Theodor Bach fiel nicht in Zeitlupe.

    Er stürzte wie ein 500-Kilo-Elch an einem nebligen Herbstmorgen irgendwo in einem Sumpf droben in der norrländischen Wildnis und landete mit einem prachtvollen Donnern auf dem Holzboden der Eingangshalle. Gleichzeitig hatte er merkwürdigerweise das Gefühl, das Geräusch von zerbrechendem Glas zu hören – es klang ungefähr so, als ob jemand weit weg eine Glasschale auf den Boden fallen ließe. Aber die Gehörabteilung dachte nicht weiter darüber nach, weil Theodor nämlich in dem Moment einen seiner alten Holzschuhe in den Rücken bekam, direkt rechts oberhalb der Taille. Er war fest davon überzeugt, daß da eine von seinen Nieren saß, und sehr richtig, es tat weh. Der Gedanke, daß er sterben müßte, fing an, penetrant in seinem Gehirn zu blinken wie ein defektes Neonschild vor einem schäbigen Hotelzimmer.

    ,Es gibt Schlimmeres‘, murmelten die Gedanken, als die Nase mit großem Einfühlungsvermögen berichtete, daß ihre Wangen wie ein friedlicher Sommermorgen am Meer dufteten. Ein Bündel Nervenenden und Sinnesfühler, das immer noch im Bademantel herumschlurfte, meldete, daß es, auch wenn sie schwerer war, als sie aussah, keineswegs ein unangenehmes Gewicht war, ,ganz im Gegenteil, es ist ein weicher, durchtrainierter, perfekt proportionierter und warmer Körper, der auf uns liegt. Ausgesprochen angenehm, ja, um nicht zu sagen . . .‘

    ,Ihr verdammten Schweinigel.‘

    Er versuchte, sich zu bewegen, und war sehr dankbar, daß der Sturz und die Kollision mit dem Holzschuh ihn nicht zum Invaliden gemacht hatten. Er holte die Hände hervor und versuchte, den weichen Körper beiseite zu schieben.

    Das war gar nicht so leicht.

    Er grunzte und fluchte, schwieg dann jedoch plötzlich, als er ihre rotschwarzschimmernden Haare ins Gesicht bekam, ein großer Teil blieb ihm an den Lippen kleben, und als er Luft holte, wurden sie in seinen halboffenen Mund gezogen, was ihn zum Spucken und Schnauben brachte (und jetzt klang er wirklich wie ein Elch).

    Die Haare waren rot und schwarz, eigentlich vor allem schwarz, aber wenn das Licht auf eine ganz bestimmte Art drauffiel (und das tat es nun gerade), schimmerten sie in dunkelroten Schattierungen.

    ,Das schmeckt ausgesprochen komisch. Schmeckt überhaupt nicht so gut, wie es riecht. Es schmeckt sogar ein bißchen so, wie heißer Essig riecht – metallisch und so scharf, daß einem fast die Luft wegbleibt und man meint, Asthma zu kriegen. Nicht, daß ich schon mal Asthma gehabt hätte, aber so stelle ich es mir auf jeden Fall vor –‘

    Ja, ja. On with the show:

    Theodor Bach lag auf dem Boden und hatte ein Teenie auf sich liegen. Und sein Hosenstall war immer noch offen.

    ,Du meine Güte, stell dir vor, wenn so eine griesgrämige, moralinsaure Lehrerin vom Gymnasium drüben in Bromma uns so sehen würde?! Was das für Folgen hätte!‘

    Er holte angsterfüllt Luft, schob den reglosen Körper beiseite. Dabei paßte er besonders gut auf, daß es ja nicht so aussah, als würde er sie begrapschen. Er stöhnte und stand auf. Als erstes versuchte er, den Hosenstall zuzumachen, aber der Reißverschluß hatte sich verklemmt. Als er versuchte, das winzige Ziehdingens loszukriegen, fiel sein Blick auf seine großen Zehen, die durch die Löcher in den Chinapantoffeln guckten.

    ,Ich sollte mir öfter die Nägel schneiden‘, dachte er kummervoll. ,Dann würden nämlich die Pantoffeln ein bißchen länger halten. Aber das gehört zu den Sachen, die man irgendwie vergißt. Geht es anderen Leuten auch so?’

    Er gab den Versuch, seinen Hosenstall zuzumachen, auf, ebenso die Überlegungen betreffs des Fußnägelschneidens. Er schaute zur Tür hinaus. Er konnte nicht mal die unterste Treppenstufe sehen. Es muß der schlimmste Nebel seit Lützen sein. Auch wenn die Lehrerinnenziege auf dem Dach der Schule gestanden hätte und mit einem Infrarot-Laser-Fernglas ausgerüstet gewesen wäre, hätte sie nicht in seinen Eingang schauen können.

    ,Da war es also ganz unnötig – ich meine, da hätte ich doch . . . Verflucht noch mal . . .‘

    Er machte die Tür zu und schaute auf . . .

    ,Das Mädchen? Den Teenie? Die junge Dame? Was sagt man denn? Es ist einfacher, wenn man weiß, wie jemand heißt. Alles wird dann viel einfacher.‘

    Er ging mit einem Seufzer in die Hocke. Sie lag unbeweglich da und atmete ruhig und gleichmäßig. Es sah richtig gemütlich aus. Als ob sie schlafen würde.

    ,Wenn man doch bloß den Mut hätte. Was kann sie bloß von mir wollen?‘ Er schaute sie eine ganze Weile an. ,Sie sieht richtig gut aus. A real beauty, in fact. Sie ist bestimmt der Meinung, daß die fein modellierte und entschiedene Nase viel zu groß ist, aber ich würde Gott weiß was für so eine Nase geben; na, das wäre in ihren Augen bestimmt kein Kompliment.‘

    Er beugte sich vor und studierte ihr Gesicht aus verschiedenen Blickwinkeln. ,Hmm.‘ Er nickte zufrieden. ,Auch nicht zu viel Make-up-Geschmiere. Genau richtig.‘ Immer noch in der Hocke, rutschte er wie ein Frosch um sie herum. ,Und schau mal, was für tolle Schuhe. Oder Boots, so heißen die vielleicht. Sie haben Riemen um die Fesseln mit ganz kleinen Metallschnallen. Sieht sehr kompliziert aus. Kein Schuhe von der Sorte, in die man hineinsteigt, wenn man im Katastrophenfall schnell ausrücken muß. Ich glaube, solche Stiefel heißen Jodphurs. Keine Ahnung, warum. Komisches Wort. Ich muß es mal im Wörterbuch nachschlagen.‘ Er hob den einen Fuß und schaute auf die Sohle. ,Fünfunddreißig! Ja verdammt. Sie hat sie noch nicht oft getragen, das steht fest. Sie sehen total neu aus und waren bestimmt scheißteuer.‘

    Er lehnte sich ein wenig zurück und schaute

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