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Nordwestbrise
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eBook222 Seiten3 Stunden

Nordwestbrise

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Über dieses E-Book

Die Alemannin Utina und der Franke Hugo verlieben sich ineinander, obschon sie verfeindeten Stämmen angehören. Ein Roman um Liebe, den letzten Freiheitskampf der Alemannen und die Anfänge des Karolingerreichs in der heutigen Ostschweiz.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. März 2012
ISBN9783858826343
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    Buchvorschau

    Nordwestbrise - Monika Dettwiler

    1

    Die Schiffe sahen grösser aus als Fischerboote. Hart stiessen sie gegen den Steg von Arbon. Waren lagerten keine auf den Planken, da standen Männer, einer neben dem anderen. Sie trugen rote Wadenbinden, wie kein Alemanne sie hatte. Wuchtig stürzten sie von den Schiffen an Land. Metall blitzte auf, der Steg zitterte. Jetzt schwärmten die bewaffneten Männer über den Platz aus. Einer stürmte mit dem Schwert in der Hand auf Utinas Haus zu. Sie hatte Angst, war wie gelähmt und starrte durch den Mauerspalt nach unten.

    Hier, vom Kastell aus, hatte Utina etwas früher am Nachmittag in die andere Richtung geschaut. Über die Ställe hinweg zu den Wäldern. Die Sonnenstrahlen waren über feuchte Frühlingsblätter getanzt. Auf dem vom Regen aufgeweichten Pfad hatte Utina ihren Vater entdeckt. Otpert trug wieder das Tuch mit den zwei Löchern und den Holzreif bei sich. Er ging rasch, bald würde er im Wald verschwunden sein. Utina stieg über die Vorsprünge der Mauer nach unten und eilte ins Haus. In der Wohnhalle stand Utalind. Die ältere Schwester trug ihre helle Tunika und strich mit den Fingern über das feine Leder ihres neuen Täschchens, das am Gehänge an ihrem Gürtel befestigt war.

    «Heute folge ich Vater, ich will wissen, wohin er geht», sagte Utina. «Kommst du mit?» Die Zwölfjährige reckte energisch das Kinn empor und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Obwohl ihr rotbraunes Haar im Nacken in einen Zopf floss wie bei Utalind, war es weniger sorgfältig gescheitelt.

    «Kommst du nun mit?», wiederholte Utina, weil die Schwester schwieg.

    Nein, wollte Utalind sagen, und du gehst auch nicht! Aber sie sah Schalk und Lebensfreude in Utinas grünen Augen aufblitzen. «Lass dich von Gutan begleiten», sagte Utalind, lachte gutmütig, als die Schwester sie umarmte, und sah dann wieder zu den weissen Tüchern, die in einer offenen Truhe für sie bereitlagen.

    Utina nahm ein kleines Messer vom Herd, eilte vor das Haus und sagte zum Diener, ihr Vater habe etwas vergessen, sie müssten ihm folgen. Sie liefen schnell, und in Utinas Nacken tanzte der Zopf zum Takt des Liedes in ihr. Kurz vor der grossen Waldlichtung erblickten sie den Vater. Utina hielt Gutan zurück. Sie beobachteten, wie Otpert vor seltsamen Holzkästen halt machte, sich das Tuch über den von weissen Strähnen durchzogenen Rotschopf stülpte und mit dem Reif befestigte. Um die Hände wand er sich Lederstreifen. Während er eine Bienenwabe nach der anderen behutsam herausnahm und den Honig in einen Topf fliessen liess, sang Otpert leise vor sich hin. Utina schien es, als summe er mit den Bienen, die ihn immer hektischer umschwirrten.

    «Soll ich dir mein Versteck zeigen?», flüsterte Utina. «Von dort aus sehe ich alles, und niemand sieht mich.» Gutan nickte. Sie war die Tochter des Herrn und er ein Kirchenknecht, aber da Waldram, Utinas Grossonkel, Eigentümer der Kirche war, gehörte er der ganzen Sippe und damit ein bisschen auch ihr. Gutan war etwas älter als Utalind.

    Jetzt, in der Abenddämmerung, hörte Utina Gutans Atem hinter sich, sie umklammerte seine Hand. Durch die Mauerritze sahen sie, wie bewaffnete Männer durch die Gassen schwärmten. Einer trat gegenüber Utinas Haus die Tür ein, zwei weitere stürmten ins Innere und wieder hinaus. Ihre Umhänge waren mit Blut bespritzt, ihre Gesichter zu Grimassen verzerrt. Sie stiessen grauenvolle Schreie aus. Utina wollte schluchzen, aber kein Ton kam heraus, als die Krieger ins Haus ihres Grossonkels Waldram stürzten, das schönste Haus Arbons. Knechte warfen sich mit blossen Händen den Fremden entgegen, zwischen ihnen Waldram mit dem Schwert. Die Hörigen wurden beiseitegestossen und mussten zusehen, wie die Angreifer ihren Herrn niedermetzelten.

    Gott, hilf uns, schrie Utina, aber es war nur ein Gedanke, ihre Lippen bewegten sich nicht. Sie sah, wie ein Bewaffneter grinsend sein bluttriefendes Schwert am Körper des toten Waldram abstreifte. Als drei Männer in ihr eigenes Haus einbrachen, grub Utina ihre Fingernägel in Gutans Fleisch. «Utalind», brüllte er, riss sich los und drängte an ihr vorbei. Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Im letzten Moment schob Utina ihm das Messer in die Hand. Dann sah sie, wie zwei Krieger die Schwester aus dem Haus schleppten, ein Dritter trug ihre Tücher. Plötzlich war Gutan da und ging mit seinem Messer auf die Feinde los, bis er unter dem Schlag eines Schwertknaufs zu Boden sank. Utalinds Schreie verebbten zwischen den Häusern, dann sah Utina, wie die Schwester über den Steg in ein Schiff gezerrt und festgebunden wurde. Utina sank in sich zusammen und umklammerte zitternd ihre Knie. Im Dunkeln auf dem Mauerboden verschmolz das Klirren der Schwerter mit den Schreien zu einem Summen, das aus weiter Ferne zu kommen schien.

    Das strohbedeckte Pfostenhaus befand sich in einer Waldlichtung östlich von Arbon. Dahinter lagerten Holz und Schindeln neben mehreren Ochsenkarren. Dicht drängten sich Rinder und Schweine in einem Pferch. Hühner flatterten zwischen den vielen Menschen umher, die im Haus am Boden sassen oder an die Wände lehnten und kaum etwas sahen, weil das Licht nur durch eine einzige schmale Öffnung im Giebeldach drang.

    Er fühle sich matt und alt, aber er gebe nicht nach wie Waldrams Sohn, er gehe nicht nach Romanshorn, sagte Otpert zu seinen beiden Söhnen, die den blutigen Abend überlebt hatten. Utina wollte nicht zuhören, sie wollte um Utalind trauern, aber die Worte des Vaters waren laut. Alle in der Halle mussten erfahren, weshalb die Wehrmänner vom Nordwesten her über den See gekommen waren: Die Franken wollten den ganzen Kastellbezirk räumen. Im Namen des königlichen Hofs. Waldram hatten sie schon im Herbst angewiesen, seinen Besitz in Arbon aufzugeben und mit der Sippe auf seine Ländereien in Romanshorn zu ziehen. Aber Waldram hatte den Rat in den Wind geschlagen, er hatte einfach nicht damit gerechnet, dass die Franken mit so vielen Schiffen und Wehrmännern kommen und angreifen würden.

    «Zum Glück hat Waldram es mir erzählt, da habe ich als Fluchtort dieses Haus gebaut. Nun sind wir frei», fuhr Otpert fort. Utina bemerkte den seltsamen Singsang, in den er verfiel, wenn er lange sprach und alle ihm zuhörten.

    «Frei wofür?», hörte Utina ihren älteren Bruder fragen. Wolfgang trug sein blondes Haar schulterlang wie alle freien Alemannen, er war stolz auf seinen vollen rötlichen Bart.

    «Für unsere Rache», sagte Otpert, und sein jüngerer Sohn Waldo stimmte zu. Der Kleinwüchsige versuchte, seiner hellen Stimme einen kräftigen Klang zu geben. «Wir segeln über den See in die Fremde und holen Utalind zurück.»

    Otpert erklärte, die Franken hätten es nicht auf ganz Arbon abgesehen gehabt, nur auf Waldrams Familie. Aber dessen Sohn Waldbert habe durch Zufall überlebt. Der Mann, der bei den Franken alles lenke, heisse Karl. «Merkt euch seinen Namen, Wolfgang und Waldo! Karl, man nennt ihn auch den Hammer. Wer für ihn ist, ist euer Feind. Nicht ein König hat den Überfall befohlen, es gibt ja gar keinen mehr, sondern dieser Hausmeier, der sich über alle stellen will. Er hasst unser Alemannien.»

    «Was ist ein Hausmeier?», fragte Waldo.

    «Hausmeier sind Leute, die in einem Teil des Merowingerreichs an der Spitze der königlichen Hofverwaltung stehen.»

    «Und welchen Reichsteil regiert dieser Karl?»

    «Eigentlich den Nordosten. Aber jetzt glaubt er, der Führer aller Franken zu sein, und will auch Alemannien seinem Willen unterwerfen.»

    Utina wollte nichts mehr hören und nichts mehr denken. Zuhinterst in der Halle sah sie eine Ecke, wo niemand war, weil der Frühlingsregen durch die Dachritzen auf den Boden tropfte. Sie kauerte sich auf den verschmierten Lehmboden und starrte vor sich hin. Wirre Bilder tauchten vor ihr auf, Utalind, wie sie wob oder die Tücher aus Leinen ordnete und an ihre Zukunft dachte. Dann wieder schrie sie und sperrte sich gegen die Fremden.

    Erst als eine Hand sie am Kopf berührte, merkte Utina, dass sie wimmerte wie ein junges Tier. «Ich bin da», flüsterte eine Stimme, die sie aus allen heraus erkannt hätte. Utina kuschelte sich an ihre Grossmutter Amelia, lauschte ihrem Atem und schlief ein.

    Jeden Abend, beim Warten auf Otpert und seine Söhne, wiegte Amelia ihre Enkelin in den Schlaf, so, wie sie es nach dem Tod von Utinas Mutter oft getan hatte. Amelia war eine Langobardin mit dunklem Haar und dunklen Augen. Ihre Stimme klang kehlig und tief, wenn sie Utina in ihrer Muttersprache, die in Arbon nur sie beide verstanden, Geschichten erzählte.

    «Du bist doch auch geraubt worden, als du jung warst», sagte Utina. «Kann es sein, dass es Utalind gut geht wie dir?»

    «Bestimmt bringen die Männer sie zurück.»

    «Aber wenn nicht?»

    «Utalind ist eine schöne junge Frau, jemand wird sie beschützen.» Das sei bei ihr auch so gewesen. Amelia holte weit aus, obwohl Utina alles schon gehört hatte. Im Süden der grossen Berge habe sie gelebt, eine Braut vor ihrem Hochzeitstag. Da hätten Männer aus dem Norden ihr Langobardendorf überfallen. «All mein Brautschmuck lag schon für die Hochzeit bereit», erzählte Amelia. «Da gelang es mir, das Gold in den Kleidern, die ich trug, zu verstecken.» Der Anführer der Fremden habe sie auf sein Pferd gehoben und sei mit ihr davongaloppiert, obwohl ihr überrumpelter Vater und ihr Bruder schreiend hinter ihnen hergelaufen seien. «Aber dein Grossvater hat mich bis zu seinem Tod gut behandelt», sagte Amelia und zog zwei Fibeln aus ihrem Umhang hervor. «Schau, hier hat er sogar einen Liebesschwur eingraviert, den ich allerdings nicht lesen konnte.» Sie befestigte die Fibeln an Utinas Gürtel und sagte leise, sie selbst brauche keinen Schmuck mehr, sie gehe mit Waldbert fort und werde mit den frommen Frauen in der Kirche von Romanshorn leben.

    «Dann ziehen wir also doch nach Romanshorn?» Zwischen Utinas Augen bildete sich eine Falte. «Das kann ich nicht glauben. Vater will doch vom See weggehen.»

    Amelia legte die Arme um sie. «Es tut mir leid, Utina. Aber ich bin zu alt für eine so beschwerliche Reise.» Und Utalind ist bald wieder da, wollte sie hinzufügen. Oder: Du kannst mit mir kommen, nach Romanshorn. Aber sie kannte das Leben und ihren Sohn Otpert und schwieg. Ihre Hand war feucht von Utinas Tränen.

    Im Mai des Jahres 740 zog Otpert mit den Söhnen und Utina, mit Gefolgsleuten, Knechten, Mägden und seiner ganzen Habe, drei Pferden, Geflügel, Schweinen, Ziegen, Schafen, zwei Ochsen und einer Kuh nach Süden, zum Arboner Forst, einem Urwald, der bis zum Alpstein reichte. Weil die Karren mit Werkzeug, Sicheln, Eggen, einem Pflug, mit Saatgut und Hausrat beladen waren, mussten alle zu Fuss gehen. Sie folgten einem Weg, der sie in die Richtung des Klosters St. Gallen führen sollte und der ihnen genau beschrieben worden war.

    Da Otpert gehört hatte, Abt Otmar pflege mit seinem Esel auf einer Strasse von St. Gallen nach Arbon zu reisen, war er bald nicht mehr sicher, ob sie den richtigen Weg genommen hatten. Der Pfad war eng und sah aus, als werde er nur selten begangen, er war verwachsen und holprig. Immer wieder mussten sie anhalten, um Gehölz aus dem Weg zu räumen. Als es am zweiten Tag zu regnen begann, sanken die Räder in den Morast ein, und vor die Ochsen wurden Pferde gespannt. Dreimal mussten alle Geräte abgeladen, über eine seichte Stelle getragen und wieder aufgeladen werden. «Jeden Tag kommen wir so weit wie ein Alter am Stock», versuchte Otpert zu scherzen, denn er war froh, dass er Arbon und die Feinde hinter sich lassen konnte, aber niemand hatte Lust zum Fröhlichsein.

    Weil es weiterregnete, schwollen die Bäche an, und plötzlich ging es nicht mehr weiter. Ein Stück Pfad war einfach weggerutscht, hinunter in die Steinach. Utina hörte, wie die Männer hin und her diskutierten, ob man gleich dableiben oder weiterziehen solle. Einer schlug vor, bis nach St. Gallen zu reisen. Dort hätten schon zu Zeiten des heiligen Gallus Flüchtlinge aus Konstanz und Arbon Unterschlupf gefunden. Ganz so weit wollte niemand gehen, aber alle zog es vorwärts, auch Otpert. Er sagte, hier fühle er sich noch nicht sicher genug, und was Otpert wollte, galt.

    Im strömenden Regen machten sich die Männer daran, zwischen den Baumstämmen einen Weg durchs Gehölz zu hauen. Sie kamen nur langsam vorwärts und mussten Bogen schlagen, weil die Bäume manchmal so nahe beisammenstanden, dass die Karren nicht durchgekommen wären. Wo der Waldboden wegen der Wurzeln zu holprig war, mussten sie die Wagen hochstemmen und tragen.

    In der Nacht wurden Feuer angezündet, um die Bären fernzuhalten. Denn Otpert hatte darauf bestanden, seine Bienenstöcke mitzunehmen, und wo Honig war, da tauchte früher oder später ein Bär auf. Utina hatte Glück. Sie durfte mit anderen Frauen auf dem Holzbett schlafen, das ihr Vater für sich selbst mitgenommen hatte. Sie lagen aber direkt auf dem harten Holz, und Utina beneidete die anderen ein wenig, die sich in Tücher gewickelt auf den weichen Waldboden legten.

    Während alle schliefen, tastete Utina nach dem Amulett, das die Grossmutter in ihren Rocksaum eingenäht hatte. «Schau, wie schwer es ist, fast aus reinem Gold!», hatte Amelia geflüstert. «Es wird dich durchs Leben begleiten – wie früher mich. Zusammen mit diesem hier!» Amelia lachte und berührte mit dem Finger das herzförmige Muttermal auf Utinas linker Schulter. Das sei ein Erbe der Frauen ihrer Langobardenfamilie, das von Generation zu Generation weitergegeben worden sei wie das Amulett. Dann, kurz vor ihrer Abreise nach Romanshorn, hatte die Grossmutter Utina ihr Geheimnis anvertraut. Sie sprach langobardisch, so waren sie vor Lauschern sicher. «Das Amulett ist nur der kleinste Teil meiner Aussteuer gewesen. Ich verstehe heute noch nicht, weshalb dein Grossvater den Schatz nicht bemerkt hat», erzählte Amelia und lächelte. «Ich war so schwer, als er mich mit all den Münzen, Ketten, Ringen und Edelsteinen auf seinen Sattel hob!» Auf der anderen Seite der grossen Berge, in Begleitung dieser Männer, die sie nicht kannte und die nie mit ihr sprachen, habe sie plötzlich Angst bekommen um ihren Schatz. Da habe sie ihn irgendwo im Flachland an einem kleinen See neben alten Kastellmauern versteckt. Unter dem Herd des winzigsten Grubenhauses, das sie je gesehen habe.

    Fast jede Nacht erinnerte sich Utina an diese Geschichte und nahm sie in sich auf. Wenn ich gross bin, werde ich Amelias Schatz suchen, machte sie sich Mut, um an anderes als an Utalind und an Waldram zu denken, den sie bei der Kirche von Arbon begraben hatten.

    Der Vater, Wolfgang und Waldo waren Utalind ans andere Ufer des Bregenzersees nachgereist. In eine Gegend, wo sie noch nie gewesen waren. Auch dort gab es Alemannen, aber es waren andere Sippen und fremde Gesichter. Zuerst fragten sie überall am Ufer, dann weiter im Landesinneren, bis ein Bauer von einer weinenden jungen Frau erzählte, für die einige Bewaffnete um Brot und Wasser gebeten hätten.

    Sie fanden Utalind auf dem Hof eines Freien. Otpert forderte ihn auf, ihm seine Tochter zurückzugeben oder wenigstens die übliche Entschädigung, das Wergeld, zu bezahlen. Aber der Mann lachte nur und liess sie nicht zu Utalind. Er sei aus Ostfranken gekommen, auf Befehl des Hausmeiers Karl persönlich, und alemannisches Recht gehe ihn nichts an. Beim Besuch in Arbon sei er gar nicht dabei gewesen. Wehrmänner hätten ihm die Alemannin als Hörige verkauft, aber er behandle sie wie seine Frau. Als er das sagte, grinste er und sprach davon, Otpert das Wergeld für eine gewöhnliche Magd zu entrichten, doch dann besann er sich anders, wies die Besucher vom Hof und hetzte ihnen die Hunde nach.

    Aber Otpert und seine Söhne wollten den Weg in die Heimat nicht mit leeren Händen antreten. Auf dem Feld gleich hinter dem Hof nahmen sie zwei freie Bauern gefangen, schoren sie kahl und verkauften sie als Kirchenknechte nach Romanshorn, an Waldrams Sohn Waldbert. Das Entgelt, ein mit Weizen beladener Wagen und einige Waffen, kam ihnen mehr als gelegen.

    Als sie endlich auf dem gestampften Weg weiterziehen konnten, hörte der Regen auf. Otperts Knechte schwärmten nach allen Seiten aus, um einen Siedlungsplatz zu finden. Sie entdeckten einen nicht weit vom Weg, der nach St. Gallen führte. Er war viel grösser als eine Waldlichtung und lag an einem Rinnsal, das weiter unten zu einem Bach anschwoll, der sich in die Steinach ergoss. Otpert sagte, da habe vielleicht früher schon jemand gesiedelt. Er beschloss, gleich alle nötigen Häuser und Ställe zu bauen, und meinte, es sei sogar genug Land da, um nach dem Winter Erbsen, Bohnen, Rüben und Zwiebeln zu ziehen.

    In dieser Nacht schliefen die meisten tief, weil sie einen Ort zum Leben gefunden hatten. Nur Otpert lag wach. Er dachte an die Franken, die über den See gekommen waren, um sich in Arbon festzusetzen. Vor allem Karl, der Hausmeier, von dem er sich kein Bild machen konnte, brachte seine Gedanken in Aufruhr. Früher hatte es am merowingischen Hof immer einen König gegeben, und einen König konnte man sich irgendwie vorstellen, auch wenn man ihn nie sah. Aber dieser Hausmeier, der sich wie ein König aufführte und doch keiner war, der die Macht an sich reissen und das Leben in Alemannien bestimmen wollte, machte ihm Angst.

    Die munteren Rufe und Sprüche des ersten Morgens veränderten für Utina wenig. Sie sass herum und

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