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Spiritualität als Lebenskunst: Gestalttherapeutische Impulse
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Spiritualität als Lebenskunst: Gestalttherapeutische Impulse
eBook366 Seiten3 Stunden

Spiritualität als Lebenskunst: Gestalttherapeutische Impulse

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Über dieses E-Book

Der Autor legt eine umfassende und fundierte Einführung in die Bedeutung spiritueller Dimensionen innerhalb der Psychotherapie vor. Er beschreibt in Kenntnis der theologischen Spiritualitätsliteratur und der aktuellen Forschung, was den Begriff der Spiritualität jenseits des Esoterik-Booms ausmacht, und er versteht es, dies mit den Konzepten der Gestalttherapie in Beziehung zu bringen und Überschneidungen aufzuzeigen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Jan. 2008
ISBN9783897975323
Spiritualität als Lebenskunst: Gestalttherapeutische Impulse

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    Buchvorschau

    Spiritualität als Lebenskunst - Georg Pernter

    I Einführung

    1. Satirische Annäherungen im Feld: Fragmente zu Psychotherapie und Spiritualität

    »Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

    die sich über die Dinge ziehn.

    Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

    aber versuchen will ich ihn.

    Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,

    und ich kreise jahrtausendelang;

    und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm

    oder ein großer Gesang.«

    (Rainer Maria Rilke 1972, 11)

    »Es gibt viele grosse Theorien über Gott und die Welt.

    Doch am Ende kommt es immer darauf an, wie ich mit den ganz

    praktischen Anforderungen des ganz gewöhnlichen Alltags umgehe.

    Der Ort, an dem die grossen Fragen des Lebens zu reflektieren […] sind,

    ist immer da, wo ich gerade bin.«

    (Lorenz Marti 2004, 11f, zit. n. Hiestand & Müller 2005, 277)

    »Das Erstaunliche ist, dass die wissenschaftlichen Revolutionen

    uns nicht fundamental traurig machen.

    Wir werden auf ein Bündel von Chemikalien reduziert,

    ohne wirklich freien Willen, wir leben auf einem kreuznormalen Planeten,

    aber viele Menschen finden das immer noch aufregend.

    Vielleicht liegt es daran, dass wir durch unser größeres Verständnis der Welt

    nun das ganze Bild sehen können.

    Wir sind Teil von etwas Größerem, und wenn wir das wirklich verstehen,

    ist es nicht degradierend, es adelt uns vielmehr.«

    (Vilaynur S. Ramachandran 2005, 4, zit. n. Horx 2005b, 282)

    Divisionismus oder Pointillismus – so nennt sich eine französische Malrichtung Ende des 19. Jahrhunderts. Farbtupfer auf einer Leinwand. Aus der Distanz ergeben farbige Punkte für den Betrachter ein sinnvolles Ganzes. Fragmente sind ähnlich. Gedankensplitter. Sentenzen.

    Die hier folgenden sind bewusst pointiert formuliert, weil Ausführungen über Spiritualität oft schwerfällig und mühsam zu lesen sind. In guter gestalttherapeutischer Manier und Praxis, dass ein gewisser Hintergrund erst die Prägnanz einer Figur deutlich macht und ein Pol erst den Gegenpol richtig zur Geltung bringt, sind diese rudimentären Spuren zu sehen. »Unfertige« Ansichten sind dabei, bei längerem Verweilen vielleicht auch sehr untherapeutische, unspirituelle, »unmögliche«. Sie stehen wie ein unzensiertes Promemoria am Beginn des Buches. Fragmente¹ sind sie, weil sie nicht fertig sind oder – wie bei einer archäologischen Grabung – erst zu säubern sind, zu verifizieren, zu katalogisieren. Fragmente – darauf hat Ulrich Lessin (2002) schon hingewiesen – sind ein Gegengewicht zu Totalisierungstendenzen. Eine fragmentarische Perspektive kann wie ein Korrektiv wirken gegen den Wahn, alles unterordnen und einordnen zu wollen. Sie brechen auf, ecken an. Gar nicht rund wollen sie zum eigenen Nachdenken anregen. Das ist ihr Ziel. Sie bleiben Notizen, die, wenn sie auch manchmal bissig oder sarkastisch erscheinen, niemals verletzen wollen.

    Gute phänomenologische Grundeinsicht ist, dass der eigene »Standpunkt« immer auch begrenzt ist und man daher auch nicht alles sehen, begreifen oder erfassen kann. Leben und vor allem Lebensweisheit (die sich mit zunehmender Erfahrung hoffentlich verändert) dürfen wohl unvollendet bleiben …

    Fragment 1: Spiritualität gilt als ein Weg nach innen. Aber wie komme ich nach innen, wenn es kein Innen gibt? Und: Wo bleibt das Außen?

    Fragment 2: Der Begriff »Spiritualität« ist ein so missbrauchter bzw. inflationär verwendeter Begriff, gegenwärtig so verwaschen und trotzdem immer noch in Mode. Unter dem Deckmantel des Spirituellen wird vieles verkauft, wo sich einem bei näherem Hinsehen der Magen umdreht. Was aber nun ist Spiritualität?

    Fragment 3: Spiritualität präsentiert sich so vergeistigt und weltfremd, abgehoben vom Leben, perfektionistisch, dass ein normal sterbliches Menschlein dem, was Spiritualität meint, erst gar nicht nachzueifern beginnen braucht.

    Fragment 4: »Triffst du Buddha unterwegs…« (Kopp 1988) höre ihm zu und misstraue ihm, schalte deinen Kopf nicht aus und lebe, zwänge dich nicht ein und höre auf dich …

    Und überhaupt: Sagt mir nur ein erleuchteter Buddha, wie Leben, wie Spiritualität geht und wie es oder sie zu sein hat?

    Fragment 5: »If you meet Buddha, kill him!«² Sektiererischen Ausartungen jeglicher Art, sei es von spirituellen Gurus und sendungsbewussten Messiassen, sei es von Star-Therapeuten oder Möchtegern-Seelenklempnern, ist prinzipiell zu misstrauen. Allein ein klarer Kopf, allein ein in sich fest ruhender Mensch kann dem Adäquates entgegenhalten.

    Fragment 6: Alles, was nicht dem »lebendigen Leben« verhilft, kann ich getrost ins Museum stellen, denn: Spiritualität ist auch Lebenshilfe.

    Fragment 7: Wir haben nur dieses eine Leben, deshalb will ich es bunt treiben. Indem ich lebendig lebe und nicht bloß überlebe, nähere ich mich dem, was die »Sache mit Gott« (Heinz Zahrnt) und all die spirituellen Dinge meinen.

    Fragment 8: Spiritualität – besonders im Rahmen von Therapie – muss so angelegt sein, dass mehrere weltanschauliche Positionen Platz finden. Das hat für mich mit einer Weite nach innen wie nach außen zu tun. Genau dies ist im Übrigen die ursprüngliche Bedeutung von »katholisch« …

    Fragment 9: Wenn die sogenannte Erleuchtung nicht im einfachen, alltäglichen Leben möglich ist, kann sie bleiben, wo sie ist. Oder: Muss denn alles kompliziert und schwierig sein?

    Und andersherum: »Die Erleuchtung findet am Hauptbahnhof statt!«³

    Fragment 10: Allen Erleuchteten sei hinter die Ohren geschrieben: Ein Erleuchteter »vergisst«, dass er erleuchtet ist und tut das, was er immer schon getan hat. Oder: Gegen spirituellen Snobismus und für eine Betonung der Horizontalen innerhalb der Spiritualität.

    Fragment 11: Eine authentische Spiritualität kann mit den Attributen gesund, lebendig, erdig, ganzheitlich, vernünftig, alltäglich, verantwortet, erfahrungsorientiert … beschrieben werden. Das ist theologisch wie psychotherapeutisch veritabel und vertretbar.

    Fragment 12: Aschewerfende und Goldkettchen herbeizaubernde Spiri-Gurus, keifende, polternde und moralinsaure Prediger haben hier wohl nichts (mehr) zu suchen. Im Namen Gottes »Gott sei Dank!« Weil sie einen Nimbus ums Göttliche machen, wissen, wo der (mein!) Weg hingeht, apodiktisch Wahrheit verkünden und dadurch »Andersdenkende« ausgrenzen.

    Fragment 13: Die eine Wahrheit gibt es nicht (mehr) und hat es nie gegeben. Wahr ist vielmehr, dass Wahrheit sich individuell ortet, von jedem Individuum für sich selbst je neu erfahrbar und erlebt/gelebt, gesucht werden muss (religiös ausgedrückt: um seines »Heiles« willen; therapeutisch: um seiner Authentizität willen).

    Fragment 14: Spiritualität hat mit Qualitäten von Gehen, Wandeln, Innehalten zu tun. Diese Kennzeichen implizieren automatisch auch einen ethischen Impuls und Ansatz.

    Fragment 15: Vielleicht lässt sich das umkämpfte Territorium von Spiritualität und Religion sowie Psychologie und Therapie um des Menschen willen – weg von einer dualistischen Hortung des je eigenen Bereiches – überwinden durch den Vergleich mit einem bunt gemischten Blumenstrauß. Die – personifizierend gedachte – Religion/Spiritualität und die Psychologie/Therapie sitzen im Kreis, in dessen Mitte dieser Blumenstrauß als Symbol der Wahrheit ist. Wer hat Recht, wenn die eine behauptet, es sei bloß ein Rosenstrauß, weil sie nur die Rosen sieht, die andere auf einem Lilienstrauß beharrt? Ein Strauß ist ein Strauß, ist ein Strauß. Wollen wir den Strauß sehen, der die Buntheit erst ausmacht oder nur die einzelnen Blumen?

    Fragment 16: Der Therapeut darf ruhig Buddhist sein. Das ist seine Privatangelegenheit. In der Praxis aber muss er dem suchenden, fragenden, unsicheren Christen-Klienten zum Christ-Sein, dem Buddhisten-Klienten zu seinem je eigenen, individuellen Buddhist-Sein verhelfen (sofern er will) und darf ihm nicht seine spirituellen Ansichten aufoktroyieren, mögen seine eigenen Erfahrungen auch noch so plausibel, noch so »spirituell erhebend« sein und ihn »weitergebracht« haben.

    Fragment 17: »Ungetrennt und unvermischt« rangen sich die alten Kirchenväter vormals ab. Diese theologische Grundformel, ursprünglich auf die Gottes- und Menschennatur Jesu appliziert, könnte eine Spur sein für das Verhältnis von Theologie, Spiritualität und Therapie. In gestalttherapeutischen Termini ausgedrückt: »Nicht trennen und nicht mischen«. Das meint hier: keine Konfluenz, aber auch kein statisch abgekapseltes, monadisches In-der-Welt-Sein, sondern ein Sein in Beziehung, ein Sein im Feld.

    Fragment 18: Alte Gräben zwischen Spiritualität, Theologie, Religion einerseits und Psychologie, Therapie andererseits überwinden, weil sie nicht mehr relevant sind und uns in einer »Wir sind wir«-Mentalität verharren lassen und daher abschotten?

    Fragment 19: »Gott ist tot« (F. Nietzsche) – »Du bist alt, lieber Gott« (W. Borchert).

    Und ich bin müde, dich zu verteidigen und will nicht noch mehr Zeit verschwenden, dich in neuen, verständnisvolleren, gütigeren, moderneren Worten erklären müssen und am Leben erhalten. Zweitausend Jahre und mehr müssen reichen. Zweitausend und mehr Jahre und die Welt ist auch nicht besser und nichts hat sich verändert (vgl. Ventura & Hillman 2005).

    Fragment 20: Oder bist du das, was uns letztlich zutiefst angeht? (Paul Tillich)

    Dann gilt es, Prioritäten zu setzen und zu schauen, wie wir persönlich, individuell-privat, aber auch gesellschaftlich-politisch leben und handeln, ohne moralistisch zu werden, einzuengen und auf Fixiertheit zuzusteuern.

    Fragment 21: Einige Ansätze – spirituelle wie therapeutische – scheinen mir die himmlische Vertikale hinaufzuflüchten. Wo aber bleibt der Pöbel (im guten Sinn des Wortes)? Wo ist eine »normale« Psychotherapie und Spiritualität für die real existierenden, im Produktionsprozess schwitzenden, am Bruttosozialprodukt beteiligten Menschen?

    Fragment 22: Promemoria und Plädoyer für eine alltägliche, »stinknormale«, spirituelle (ja!), therapeutisch (na klar!) verantwortete Lebenseinstellung, Lebenshaltung. Hier begegnen sich Spiritualität und Psychotherapie. Aber nur für jene, die das auch sehen können.

    Schau genauer hin also!

    Fragment 23: Wenn Therapie (griechisch »therapeìa«) die »Arbeit der Götter tun«⁵ bedeutet und »religio« Rückverwurzelung meint in meinem eigenen Grund, dann müsste es doch ein wie auch immer geartetes Naheverhältnis von Therapie und Religion/Spiritualität geben.

    Fragment 24: Eine gefährliche Gleichung? Das Leben besteht im Gehen, im Kochen, im Sitzen, im Putzen, im Hintern-Abwischen. So weit, so gut. Gott ist das Leben, sagt MAN. Gott ist im Leben, behauptet SIE. Also: Gott ist im Gehen, im Kochen, usw. Würde MAN mir noch folgen oder bereits »Blasphemie« schreien, würde SIE da noch fromm sein?

    Wo aber, bitte schön, soll ein Unterschied sein zwischen Gott und Leben?

    Fragment 25: Ist heute nicht vielmehr eine trans-religiöse, konfessionslose Spiritualität gefragt und nötiger denn je, die Heimat und Räume bieten kann für Menschen, die sich keinem traditionellen religiösen Weg, auch keiner spirituellen Disziplin verpflichten möchten? Wie könnte eine solche aussehen? Ist dies ein apriorischer Widerspruch, das Gebot der Stunde oder nur wieder eine jener verkaufsfördernden Moden (»der letzte und neueste Schrei«) im Eso-Eck aufgrund einer Profilierungssucht irgendeines

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