Der Letzte macht das Licht aus?: Lust auf morgen in der Kirche - eine Ermutigung
Von Wunibald Müller
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Über dieses E-Book
Doch welch ein Reichtum, welch tiefe Erfahrung gingen uns verloren, gäbe es die Kirche nicht mehr?! Vielleicht muss aber andererseits vieles von dem, was wir bisher unter Kirche verstanden haben, vergehen, zusammenbrechen, damit wieder mehr in den Blick gerät, worum es geht. Denn das ist es, was Kirche ausmacht: Menschen, die beten, die lieben, die da sind für die anderen, die sich treffen in "seinem Namen" und dabei erfahren, dass "er" mitten unter ihnen ist.
Keine Rezepte oder gar Lösungen angesichts der schwierigen Situation, aber spirituell und psychologisch ausgerichtete Anregungen und Ermutigungen wider die Angst und Resignation.
Wunibald Müller
geb. 1950, studierte Theologie und Psychologie. Langjähriger Leiter des Recollectiohauses der Abtei Münsterschwarzach. Bekannt wurde er als Autor zahlreicher Bücher und Beiträge zu Themen der Spiritualität und Psychotherapie. Wunibald Müller ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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Buchvorschau
Der Letzte macht das Licht aus? - Wunibald Müller
I. TEIL
1. Kapitel
Der Letzte macht das Licht aus
Die alte Kirche verabschiedet sich
Der inzwischen 80-jährige kirchliche Würdenträger bleibt mit einer Selbstverständlichkeit in seinem Bischofshaus wohnen, auch wenn er nicht länger aktiver Bischof ist. Alle um ihn herum wundern sich, viele empören sich und sind entsetzt. Doch er scheint es nicht zu merken. So sehr hat das Anspruchsdenken, das er von seinem Amt herleitet, von ihm Besitz ergriffen. Er ist nicht länger in der Lage, sich auf die gleiche Ebene mit den anderen zu stellen. Der spirituellen Herausforderung, die für ihn darin bestehen könnte, sich zurückzuziehen, loszulassen, endlich den Weg nach innen anzutreten, stellt er sich offensichtlich nicht. Dabei hat er sich große Verdienste erworben, auf die er dankbar zurückblicken kann. Die Vollendung seines Lebens, so mein Eindruck, würde für ihn darin bestehen, sich jetzt von der inneren Sonne wärmen zu lassen und nicht länger von der äußeren, die ihm nicht geben wird, was er vielleicht immer noch von ihr erwartet.
Was mich erschreckt, ist, wie leicht man sich anscheinend selbst etwas vormachen kann. Da ist es dann auch nicht man selbst, der die Entscheidung trifft, weiterhin im Bischofshaus zu wohnen, sondern das Domkapitel. „Ohne mein Zutun", so sagt er, tut er das. Als müsste man ihn deswegen fast bedauern. Auch sei er natürlich nur aus Pflichtbewusstsein Bischof geworden und nur auf Bitten des Papstes mit 75 nicht zurückgetreten. Warum kann er nicht dazu stehen, dass natürlich auch er genau das wollte. Er gekränkt war, dass er nicht in einer größeren Bischofsstadt Bischof geworden war. Er tödlich beleidigt gewesen wäre, hätte der Papst ihn nicht gebeten, mit 75 weiterzumachen. Er über einen sehr ausgeprägten Ehrgeiz verfügt und durchaus auch autoritäre und klerikale Züge bei sich kennt.
Ich schwanke zwischen innerer Empörung und Traurigkeit. Empörung steigt in mir auf, weil hier jemand sein Amt, aber auch seine Popularität missbraucht, um sich Vorteile daraus zu erwerben, dies aber vehement abstreiten würde, würde man ihm das so sagen. Er offensichtlich nicht (mehr) spürt, wie unglaubwürdig er wird. Wie er wohl auch vorher nicht mehr mitbekommen hat, wie viele in seiner Diözese auf diesen Augenblick gewartet haben, dass endlich ein neuer Bischof kommt, der dann auch wirklich in der Diözese anwesend ist, der nicht ständig zu spät kommt, der nicht Versprechungen macht, die er nicht einhält, der alles besser weiß, der Probleme einfach weglacht. Das alles darf sein und ist menschlich. Entscheidend ist, dass es mir bewusst ist und ich dazu stehe.
Traurig bin ich, weil ich diesen Bischof sehr schätze. Er sich wirklich hingegeben hat und auch durch Rückschläge sich nicht hat entmutigen lassen, Reformen in der Kirche voranzutreiben. Auch hat er immer den konkreten Menschen im Blick gehabt, hat sich fair gegenüber kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verhalten, die in Schwierigkeiten geraten sind, weil sie sich nicht entsprechend den kirchlichen Normen verhalten haben. Es macht mich traurig, dass ein Amt jemanden so entstellen und blind für die eigenen dunklen Flecken machen kann. Er sagte einmal, das Amt eines Bischofs mache einen auch demütig. Davon spüre ich bei ihm wenig.
„Von nun an geht’s bergab"
Für mich ist dieser Bischof ein Beispiel für eine Kirche, ein Verständnis von Kirche und Leitung in der Kirche, die zunehmend der Vergangenheit angehören. Er wirkt wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in der die Kirche noch etwas darstellte, da und dort gar noch als ecclesia triumphans glänzen konnte. Diese Zeit ist vorbei, und es ist gut, dass sie vorbei ist. Aber auch gesamtgesellschaftlich spielen die großen Kirchen eine immer geringere Rolle. Darüber kann auch ihre äußere Präsenz in Form von kirchlichen Gebäuden oder medialen Großereignissen, wenn ein Papstbesuch ansteht, nicht hinwegtäuschen.
Vor einiger Zeit besuchte ich an einem hohen kirchlichen Festtag den Vespergottesdienst in einer Klosterkirche. Knapp 20 Gottesdienstbesucher waren anwesend. Dann zogen feierlich die Mönche ein, am Schluss der Abt mit Mitra und goldbesetztem Abtsstab. Bei mir löste das gemischte Gefühle aus. Ja, warum nicht feierlich und getragen? Doch es kam mir auch vor wie ein Geschehen aus einer anderen Welt oder eine Art Puppenspiel. Vor allem aber erinnerte es mich an eine Kirche, die etwas darstellte, es auch verstand, etwas darzustellen, die Einfluss und Macht hatte, von der heute aber nur noch Relikte übriggeblieben sind.
Diese Kirche befindet sich im rasanten Absturz. Man muss es so klar sagen, will man nicht länger den Kopf in den Sand stecken. „Von nun an geht’s bergab", heißt es in einem Schlager von Hildegard Knef, den die Älteren vielleicht noch kennen. Genau das trifft auf die Kirche zu. Ich begegne zunehmend einer Kirche, die morsch, hinfällig, einsturzgefährdet ist. Sie erinnert an ein krankes System, das dabei ist, einzustürzen trotz vielfältiger Versuche, es mit immer neuen Stützvorrichtungen davor zu bewahren.
Angesichts dieser Situation mutet es mich eigenartig an, mitzubekommen, wie die Leitungen in den Diözesen immer schneller neue Planungen vorlegen, wie dieser Trend gestoppt werden, wie auf ihn reagiert werden kann. Doch noch ehe die darin geforderten Veränderungen durchgeführt werden können, sind diese Planungen schon zur Makulatur geworden, also zu etwas, das nur noch für den Papierkorb taugt, und man sieht sich gezwungen, wieder neue Überlegungen anzustellen, um der Misere begegnen zu können.
Manche mögen das, was ich hier sage, nicht gerne hören. Ich erinnere mich an einen Vortrag, den ich für kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in einer großen bayerischen Diözese hielt. Viele stimmten mir zu, dass die Kirche sich in einer großen Krise befindet. Andere wieder verwiesen auf ihre Erfahrungen in ihren Gemeinden, in denen der Gottesdienst weiterhin gut besucht ist, und auch ein reges Gemeindeleben herrscht. Das ist natürlich schön und soll nicht schlechtgeredet werden. Auch kann sich darin vielleicht zeigen, wie Kirche vor Ort aussieht oder aussehen wird, die eine Chance hat, auch in Zukunft am Leben zu bleiben. Zugleich kann es aber auch sein, dass dort, wo es jetzt um das Gemeindeleben noch einigermaßen gut bestellt ist, der Zerfall einfach nur langsamer vonstattengeht, Traditionen, die anderswo längst schon obsolet geworden sind, sich hier – noch – als robuster erweisen.
Der Wirklichkeit ins Gesicht sehen
Wenn wir uns nichts vormachen und genauer hinschauen, wie dramatisch sich in den letzten Jahren die Gesamtsituation der Kirche verändert hat, dann muss man den Eindruck gewinnen, dass in der katholischen Kirche so langsam die Lichter ausgehen. Jüngstes Beispiel: die Zahlen der Priesterweihen in Deutschland im Jahr 2016. Sie bewegen sich, ohne dass man anscheinend etwas dagegen machen kann, in Richtung null. Wer der Wirklichkeit ins Gesicht sieht, der muss zur Kenntnis nehmen, dass selbst an Weihnachten die Gotteshäuser sich nicht mehr füllen, überhaupt die Zahl der Gottesdienstbesucher am Sonntag auch in der katholischen Kirche immer mehr auf die Größe zusammenschrumpft, wie man es in der Regel von den Protestanten her kannte.
Jeder Seelsorger, jede Seelsorgerin wird zahllose Beispiele aus seinem/ihrem Erfahrungsbereich nennen können, bei denen sie die Erfahrung machen, dass so langsam die Lichter ausgehen, das Interesse an Gott, an Kirche, an ihrer Arbeit gegen null geht. Was der Münsteraner Priester Thomas Frings, der sich vorerst von seiner Diözese verabschiedet und in ein Kloster zurückgezogen hat, in seinem Aufruf „Kurskorrektur" schreibt, bringt vieles auf den Punkt, was in der Kirche und in der Seelsorge im Argen liegt. Mit dem, was er sagt, spricht er vielen Seelsorgern aus dem Herzen. Sie haben wie er längst die Hoffnung aufgegeben, dass die Saat, die sie gesät haben, einmal aufgeht. Sie haben den Glauben verloren, dass der Weg, den sie als Gemeindeseelsorger einst mit Freude und Engagement gegangen sind, in die Zukunft weist.
Viele dieser Seelsorger stehen im Unterschied zu Pfarrer Frings – noch! – als „Verfügungsmasse einer Kirche bereit, „die auf allen Ebenen mehr an ihrer Vergangenheit arbeitet als an ihrer Zukunft
. Sie tun ihren Dienst, aber nicht wenigen unter ihnen ist