Zweifel
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Über dieses E-Book
Glaubenszweifel haben viele Gesichter. Sie sind weit verbreitet. Sie kommen aus dem Verstand. "Wo bleibt Gott in unserer technisch-wissenschaftlichen Welt?" Sie kommen aus dem Herzen: "Ich spüre Gott nicht mehr!" Sie werden bedrängend, wenn Leid uns trifft und betrifft.
Dieses Buch geht den Fragen nach. Es zeigt: Der Zweifel ist ein wertvoller Gefährte auf dem Weg des Glaubens.
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Buchvorschau
Zweifel - Stefan Liesenfeld
Stefan Liesenfeld
ZWEIFEL
Stefan Liesenfeld
ZWEIFEL
Der Autor: Stefan Liesenfeld, Jahrgang 1962, katholischer Theologe, Herausgeber und Übersetzer von Werken christlicher Spiritualität.
© Verlag Neue Stadt, München, 2009
Downloads und Zitate nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlags Neue Stadt.
E-BOOK-Ausgabe der gleichnamigen deutschen Ausgabe von 2008
© Verlag Neue Stadt, München
Umschlaggestaltung: Neue-Stadt-Graphik
ISBN 978-3-87996-903-6
Datenkonvertierung eBook:
Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg
www.kreutzfeldt.de
„Gott gibt uns so viel Licht,
wie zum Glauben genügt,
und so viel Dunkelheit,
wie unsere Freiheit braucht,
damit das Glauben
ein Akt der Freiheit sei."
(Carlo M. Martini, Kardinal,
langjähriger Erzbischof von Mailand)
Als ich mit dem Schreiben anfing, fragte ich jemand, der kirchlich engagiert ist und – was kaum jemand weiß – doch immer wieder auch sehr grundsätzliche Zweifel hat, was er sich von einem Buch zu diesem Thema erwarte. Die Antwort: „Zu erfahren, dass ich in guter Gesellschaft bin! Ja, er ist es. Zweifellos. Wenn er am Ende sagen kann: „Gott sei Dank!
, hat sich das Schreiben gelohnt.
Inhalt
Gesichter des Zweifels
H
eilige und Heiden, Laien, Ordenschristen, Priester, große Denker und „einfach so Dahinlebende kennen ihn: den Zweifel. Den Zweifel an dem, was man „eigentlich
glaubt oder glauben möchte. Wer aus dem Glauben leben will, mag versuchen, den Zweifel zu verdrängen, ihn beiseitezuschieben, vor ihm wegzulaufen; oft genug wird er, vermeintlich am Ziel angekommen, hören: „Ich bin schon (wieder) da!" Könnte es sich nicht lohnen, einmal stehen zu bleiben und genauer hinzuschauen, wer sich da immer wieder meldet, statt weiter hin und her zu eilen? Den Zweifel in den Blick zu nehmen kann uns helfen, den Glaubensweg anders, bewusster und tiefer fortzusetzen – ob mit den Stacheln des Zweifels oder ohne sie!
I
[Fragen über Fragen]
H
at man das Glück, mit anderen Gläubigen tiefer über den Glauben ins Gespräch zu kommen, stellt man womöglich staunend fest, wie verbreitet Zweifel sind. In allen Varianten. Jeder hat seine eigenen: Menschen jeden Alters, junge Leute, oft in der Pubertät, wenn vieles, in das jemand hineingewachsen ist, fraglich wird; Menschen „im besten Alter"; ja manch einem kommen sie erst mit den Jahren, vielleicht, weil das Bündel an zu tragendem Leid zu schwer geworden ist. Zweifel kommen von draußen und von drinnen, aus dem Kopf und aus dem Herzen. Laut oder leise sind sie da, urplötzlich oder lange schon, unterschwellig oder in der Helle des Bewusstseins.
Keiner scheint davor gefeit. Nicht einmal jemand wie Mutter Teresa war es. Als ich vor Jahren eine Gedankensammlung von ihr übersetzte, war ich sehr bewegt von ihrem kindlichen, fast ein wenig naiv anmutenden Glauben, von ihrer Gewissheit der Nähe Gottes, von ihrer so lebendigen Vertrautheit mit Jesus. Als Aufzeichnungen und Briefe von ihr veröffentlicht wurden („Komm, sei mein Licht"), in denen die Dauer und Dichte ihres eigenen Glaubensdunkels zutage trat, war ich überrascht ... – Zweifel, Zeiten des Glaubensdunkels erscheinen als Signatur, als Kennzeichen unserer Zeit. Kann man heute noch „einfach glauben"? Müssen, können wir unsere Zweifel überwinden? Oder müssen wir mit ihnen leben und glauben lernen? Wie gehen wir mit ihnen um? Wie schön wäre es, einfache Antworten geben zu können! Doch nicht nur die Fragen sind zu unterschiedlich, sondern auch die Ursachen und Hintergründe.
Schier endlos ist die Liste der Anfragen an den Glauben: „Gibt es Gott wirklich? „Und wenn der Himmel doch leer ist?
„Kann man das wirklich glauben? „Ist das nicht doch alles Einbildung?
„Widerspricht der Glaube nicht einem heutigen wissenschaftlichen Weltverständnis? „Wird es nicht eng für den lieben Gott, wo wir doch immer mehr erklären können?
„Vieles ist nicht mehr wie früher; was kann man eigentlich noch glauben?"
„Ich spüre nichts. „Ich spüre nichts mehr.
„Meine Seele ist leer."
„Wie kann, wie konnte Gott das zulassen? „Warum erhört er mich nicht?
„Wie passt das zu einem Gott, der Liebe sein soll?"
Es sind zum einen Fragen und Glaubensschwierigkeiten, die dem Verstand und der kritischen Reflexion entspringen; das Thema „Wissenschaft und Glaube" spielt dabei eine wichtige Rolle.
Es sind sodann „emotionale Zweifel", die aus Erfahrungen innerer Leere, aus dem Nicht-Spüren Gottes erwachsen.
Und schließlich ist es die wohl bedrängendste aller Menschheitsfragen: die nach dem Leid und dem Sterben, welche uns Gott immer wieder fraglich werden lässt. Vor allem dann, wenn es keine theoretische Frage ist, sondern wenn wir selbst oder ein lieber Mensch unmittelbar betroffen sind.
In diese „Gesichter" des Zweifels werden wir schauen, mit diesen Zweifeln wollen wir das Gespräch suchen. Zunächst aber noch einige Vorbemerkungen, die den Einstieg in ein fruchtbares Gespräch erleichtern sollen.
II
[Wie auf einem Marktplatz]
D
ie Zweifel fallen nicht vom Himmel, sondern wachsen aus dem Boden, auf dem wir leben. Es ist eine wissenschaftlich-technische Welt, eine Welt voller Widersprüche, ein globalisiertes Dorf und zugleich eine Welt mit vielerlei Welten, die kaum in Beziehung stehen. In unserer Gesellschaft lässt sich ein großes Interesse an den grundlegenden Fragen nach Welt und Mensch und Gott beobachten. Bücher, die – so oder so – die Gottesfrage thematisieren, bringen es in Bestseller-Listen; Magazine und Talkshows beschäftigen sich mit ihr. Von wegen „nur etwas für Fromme! Die Frage „Existiert Gott?
ist längst wieder im Brennpunkt der Öffentlichkeit. Viele Menschen sehnen sich nach Orientierung, nach Klärungen. Auf dem bunten Marktplatz unserer Gesellschaft gibt es die unterschiedlichsten Angebote; die Lautstärke, Popularität und Originalität der „Anbieter entscheiden oft mehr über den Verkaufserfolg als die Produktqualität. „Spiritualität
und „Religion finden in den letzten Jahren mehr Zulauf; doch sind die Stimmen derer, die sich für eine Rückkehr des Atheismus starkmachen, unüberhörbar. Aber kann das, was „man
(oder „frau) glaubt und wohin der Strom der Meinungen gerade fließt, über wahr und unwahr entscheiden oder darüber, wo ich stehe und wohin ich gehe und gehen will? Diese Fragen sind viel zu wichtig, als dass wir sie von modischen Strömungen abhängig machen können, von dem, was gerade „in
ist oder was der oder jener von sich gibt. Auf dem „Marktplatz" der Glaubens-, Unglaubens- und Zweifelsangebote brauchen wir eine kritische und zugleich offene Haltung.
Die Auseinandersetzung ist wichtig. Ob wir wollen oder nicht: Der vielgenannte „Zeitgeist", auch die Infragestellungen, die Unsicherheiten, die Irritationen angesichts der unüberschaubaren Glaubensangebote lassen niemanden unberührt.
Wichtig scheint mir auch bei der kritischsten Auseinandersetzung, auch beim Widerspruch in der Sache, nicht den Blick für den Menschen zu verlieren. Hinter vehement vorgetragenen Überzeugungen verbergen sich, öfter als wir meinen, Unsicherheiten, Verletzungen, Enttäuschungen und so fort. Dies entwertet nicht per se die Argumentationen. Kränkungen und Verletzungen können die Reflexion „schärfen"!
III
[Voneinander lernen]
G
lauben, Zweifeln und Nicht-Glauben liegen oft sehr eng beisammen. Als Glaubende haben wir teil an den Infragestellungen; Nichtglaubende können durch Glaubenserfahrungen und -zeugnisse ins Zweifeln an ihrem Unglauben geraten. Gerade der Zweifel kann zum Ort der Begegnung werden. Der Dialog ist im Übrigen auch für einen Gläubigen eine Chance; er lässt einen „demütiger werden und drängt dazu, sich bewusst auf die Suche zu machen, sich fragend vor den zu stellen, auf den man vertraut (Martini, Weg, 67); ja gerade die „Unruhe des Suchens und Fragens
der anderen kann zu einem Stimulus für den eigenen Weg werden – und ein Ansporn dazuzulernen.
Voneinander lernen setzt das Bewusstsein voraus, dass man noch nicht alles weiß, ja dass man womöglich hier und da irrt. Wer grundsätzlich keine Infragestellungen zulässt, macht sich fundamentalistischer Tendenzen verdächtig. Würde man sich anmaßen, alles begriffen zu haben, „wäre der Glaube eine Ideologie" (Weg, 66). Das zwischenmenschliche Zusammenleben und die eigene persönliche Entwicklung aber brauchen die fruchtbare Auseinandersetzung, das Zulassen von Kontroversen, die Bereitschaft, sich infrage stellen zu lassen und voneinander zu lernen.
Dass Fundamentalismen und ideologische Verhärtungen schädlich, ja gefährlich werden können, muss mit keinem Wort ausgeführt werden. Sie sind freilich nicht nur gefährlich, sondern auch gefährdet. Weil sie immer schon die Antworten wissen, können und wollen sie nicht sehen und nicht hören. Sie versperren sich der Realität, übersehen und überhören Entwicklungen, die wichtig für sie sein könnten. Fragen und Zweifel zulassen, sich infrage stellen lassen, das ist manchmal eine Frage der eigenen Zukunft. Auch wer keine Fragen hat, kann davon profitieren, dass er den Fragen anderer zuhört, und zwar so, dass er nicht schon die Antwort parat hat (was hieße, zu hören und doch nicht zu hören). Wir brauchen eine Kultur des Hörens, des Zuhörens, des Aufeinander-Hörens. Weise sei, wer von allen Menschen und nicht nur von den Lehrern lernt, heißt es in den Erzählungen der Chassidim, jener so fruchtbaren jüdischen Strömung im Osteuropa insbesondere des 19. Jahrhunderts. Und der Rabbi, der diese Einsicht aus einem Psalmwort gewonnen hat, fügt an: „Auch von dem Unwissenden, ja auch von dem Bösen kannst du eine Einsicht erlangen, wie du dein Leben zu führen hast" (Buber, Erzählungen, 254f).
Voneinander lernen also, auch in der Begegnung von Glaubenden und Nichtglaubenden. Wir sind ja „verbunden durch die Mühe des Suchens ...; im wechselseitigen Hinhören vermag ein jeder im anderen ,das andere seiner selbst‘ zu entdecken. Er kann sich läutern lassen, indem er vom anderen lernt, indem er sich in die Schule der Fragen und Zweifel des anderen begibt und sich von dem Licht treffen lässt, das in seinem unruhigen Herzen leuchtet" (Martini, Weg, 66).
Offene Ohren füreinander sind nicht zuletzt eine Frage der Liebe: Die Fragen, auch die bohrenden, die unbequemen zu hören, den Zweifel, der leiden lässt und quälen kann, mitzutragen – das ist eine Facette des „Nächster-Seins. Es geht um die Liebe zur wirklichen Welt und zu den wirklichen Menschen und ihren wirklichen Fragen, Anfragen und Zweifeln. Vergessen wir nicht: Zweifel sind Zweifel von Menschen, von Menschen, die suchen, die leiden und gelitten haben, die bedrängt und angefochten sind. Die Menschen ernst nehmen heißt auch: ihre Auffassungen, ihre Fragen und Zweifel ernst nehmen, sie an uns heranlassen. Vonnöten sind dabei „höchste intellektuelle Redlichkeit, unbedingter Verzicht auf bequeme Slogans und auf Vorurteile, auf innere Schutzwälle, die sich so schwer abbauen lassen. Es darf keine oberflächlichen Harmonisierungen geben, die um jeden Preis auch dort verbindende Punkte erkennen wollen, wo eine nüchterne Betrachtung zu einem anderen Ergebnis kommt
(Martini, Weg, 66f).
IV
[Jedes Gottesbild braucht den Zweifel]
V
ieles spricht dafür, den Zweifel ernst zu nehmen und zuzulassen. In den Naturwissenschaften hat der Zweifel Methode.