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Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt
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eBook483 Seiten6 Stunden

Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt

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Über dieses E-Book

Zwei Frauen und ein Mädchen auf dem Weg zum Orakel, um Informationen über eine schreckliche Bedrohung zu erhalten ...
Zwei Menschen und ein Nicht-Mensch, die wissen wollen, warum Kontakte zu anderen Lebensgemeinschaften kaum noch möglich sind ...
Ein Mann, der nicht begreift, weshalb sich alles um ihn herum verändert, aber niemand etwas davon bemerkt ...
Was ist das für eine Gefahr, die sie spüren?
Und was können sie dagegen unternehmen?
SpracheDeutsch
HerausgeberFuego
Erscheinungsdatum16. Nov. 2018
ISBN9783862872084
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    Buchvorschau

    Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt - Frank Westermann

    Coverbild

    Frank Westermann

    Eine andere Realität

    oder

    Die Zerstörung der Welt

    FUEGO

    - Über dieses Buch -

    Zwei Frauen und ein Mädchen auf dem Weg zum Orakel, um Informationen über eine schreckliche Bedrohung zu erhalten ...

    Zwei Menschen und ein Nicht-Mensch, die wissen wollen, warum Kontakte zu anderen Lebensgemeinschaften kaum noch möglich sind ...

    Ein Mann, der nicht begreift, weshalb sich alles um ihn herum verändert, aber niemand etwas davon bemerkt ...

    Was ist das für eine Gefahr, die sie spüren?

    Und was können sie dagegen unternehmen?

    Handlungsträger

    Die Spieler:

    Zardioc - Kartenmagier

    Sikrit - eine Gesandte

    Travian - ein Nicht-Mensch

    Steve Halloran - politischer Aktivist

    Per Vantryk - sein Freund, Fotograf und Journalist

    Yara - Chronistin

    Laura - Wächterin und Yaras Selbst-Schwester

    Fiora - Yaras Tochter

    Die Gegenspieler:

    Geldenkorn - Meister-Künstler

    Dschempetro - Konzernchef im Schweren Lager

    Boltagen - Bürgermeister von Goldentor

    Peter Ritmaister - General in Woltan

    Krieni - Techno-Rätin in Milnewor

    Vera von Camelsanien - eine absolute Herrscherin

    Weitere Personen:

    Azarach - ein Wesen aus der Sphäre

    Hsien - Geldenkorns Adept

    Rütig - Dschempetros Spion in Woltan

    Telström - Banker in Goldentor

    Leanda - eine Geächtete in Farewell

    1. Kapitel: Die Gesandten (I)

    Sikrit war sich der Ehre bewusst, die ihr mit der Erlaubnis, das Flügelpferd reiten zu dürfen, zuteil wurde. Nur in ihren kühnsten Phantasien hatte sie sich diesen Wunschtraum erfüllt. Nun war er Wirklichkeit geworden. Firlin hatte den Antrag im Außenrat eingebracht und hatte sich über ihre Verblüffung sichtlich amüsiert. »Für diesen Auftrag ist das Beste gerade gut genug,« hatte Firlin argumentiert und war damit bei allen durchgedrungen - trotz Sheitas vehementer Einrede (aber es war zur Genüge bekannt, dass diese nur aus persönlichen Gründen erfolgt war).

    Nach der Sitzung war Sikrit ihrer Freundin um den Hals gefallen und hatte sie mit Zärtlichkeiten überhäuft. Firlin hatte auch das genossen.

    Sikrit lächelte in der Erinnerung an die Szene. Jetzt stand sie also vor dem weiß-rot gescheckten Pferd und streichelte vorsichtig seine Nüstern, beruhigende Worte murmelnd. Es war ihr, als ob das Flügelpferd sie misstrauisch ansah, vielleicht barg es ebenso viel Unsicherheit in seinem robusten Körper wie sie. Nach einer Weile schnaubte es leise, als wollte es damit seine Zustimmung ausdrücken.

    »Ich weiß nicht, welche Namen dir andere, die dich geritten haben, gaben. Ich werde dich Khanur nennen nach der Göttin der Tapferkeit. Sie ist zwar nicht mehr besonders populär, aber der Name hat mir schon immer gefallen.«

    Flügelpferde waren selten zu finden. Niemand wusste, wie viele Exemplare ihre Zahl ausmachte, aber es waren sicher nicht mehr als einige hundert. An einigen Orten wurden sie als heilige Tiere verehrt und überall nur in seltenen Fällen geritten. Soweit ihr bekannt war, war es nie gelungen, ein Flügelpferd einzufangen. In manchen Fällen entschieden sie aus unerfindlichen Gründen selbst, bei dem Menschen, der sie aufgespürt hatte zu bleiben und sich in die Obhut seiner Lebensgemeinschaft zu begeben. Aus ebenso unergründlichen Motiven verließen sie dieses Terrain wieder. Sie liefen immer frei herum, jederzeit bereit zu kommen oder zu gehen.

    Unzählige Geschichten über sie machten die Runde, manche voller Bewunderung und Ehrfurcht, andere verhießen Vorsicht und Zurückhaltung.

    Khanur weidete seit jeher auf einer der ausgedehnten Wiesen am Nordende des Dorfes abseits der anderen Pferde. Das erweckte den Anschein, als schreckten sie vor ihm zurück oder sie wiesen es aus irgendwelchen Gründen ab. Ein einsames Tier, das aber auch die Gesellschaft der anderen nicht suchte.

    Sikrit befestigte den Rucksack auf ihrem Rücken und schob die Thermopistole zurecht. Die Waffe war ihr vom Techno-Rat zugebilligt worden. Die Bewegung erinnerte sie schmerzhaft an die Gefahren, die ihr aller Wahrscheinlichkeit nach bevorstanden. Wie fast alle Bewohnerinnen und Bewohner der matrilinen Dorfgemeinschaften verabscheute sie Gewalt - körperliche noch mehr als psychische. Als eine von wenigen war sie im Gebrauch von Waffen ausgebildet, aber sie hatte auf ihren Reisen erst einmal davon Gebrauch gemacht. Es war ihr nicht leicht gefallen, aber sie hatte nicht gezögert und kein schlechtes Gewissen quälte sie. Es hatte ihren Ruf als Pragmatikerin gefestigt.

    Sie schätzte es allerdings weitaus mehr, wenn ihr normales Durchsetzungsvermögen ausreichte, gerade deshalb wurde sie so oft auf Botschaftsritte geschickt. Außerdem hatte sie damals ein Messer benutzt. Sie konnte sich an keinen Fall erinnern, an dem Hochenergiewaffen ausgeteilt worden waren.

    Khanur war ein kleines Exemplar seiner Rasse, so dass sie sich ohne Mühe auf seinen Rücken schwingen konnte. Klein, aber kräftig. Wahrscheinlich konnte es ohne Anstrengung eine weitere Person ihres Gewichtes tragen.

    Es war früher Morgen, die Sonne hatte sich gerade erst über den Horizont geschoben, aber einige dunkle Wolken kündigten schon an, dass sich ihre Wärme nicht lange halten würde.

    Sikrit sah kurz zurück auf die ersten Häuser des Dorfes, das noch in friedlicher Stille ruhte. Vielleicht würde dieser Friede nicht mehr von langer Dauer sein, wenn sich Firlins Vermutungen bewahrheiteten oder die umlaufenden Gerüchte zu Tatsachen wurden.

    Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten der Bäume, die die Wiese von allen Seiten umschlossen, und kam auf sie zu. Mit Erstaunen erkannte sie Sheita. Eher noch hätte sie Firlin erwartet, von der sie sich allerdings schon in der letzten Nacht liebevoll verabschiedet hatte. Ihr wurde etwas ungemütlich, als die junge Frau, die in gewisser Weise eine Rivalin Firlins war, näher trat.

    »Ich möchte dir viel Glück auf deiner Reise wünschen, Sikrit,« begrüßte sie die hoch gewachsene, weißhaarige Techno-Expertin. »Ich möchte dir außerdem zu verstehen geben, dass ich weder aus Bosheit noch aus einer üblen Laune heraus gegen deine und Firlins Ideen opponiert habe. Meine Gründe, die ich in den Räten ausführlich dargelegt habe, entsprechen meiner Überzeugung und haben nichts mit meiner Beziehung zu euch zu tun. Ein anderes Motiv allerdings, das ich nur zu gut vor mir selbst versteckt hatte, ist mir erst vor kurzem offenbar geworden. Ich gebe zu, es fällt mir schwer, so offen gerade mit dir zu reden, aber du sollst nicht aufbrechen, ohne darüber Bescheid zu wissen. Ein wesentliches Merkmal, das mein Verhalten bestimmte, war einfach Angst.«

    Sikrits Augen weiteten sich und ihre rechte Hand krallte sich in die Mähne Khanurs. Angst? Wie konnte gerade Sheita Angst haben und wovor? Die Frau hatte für sie immer den Inbegriff des Mutes und der Furchtlosigkeit dargestellt.

    »Ich sehe Ungläubigkeit in deinen Augen,« fuhr Sheita fort, »aber du hast dich nicht verhört. Meine Angst beruht auf dem Bemühen, unsere Dörfer nicht in Gefahr zu bringen und ein neues Aufbäumen patriarchaler Gewaltstrukturen wie zuletzt in den paratechnischen Jahrzehnten von uns abzuwenden. Diesem Bestreben ordne ich alles andere unter. Und sollte sich diese Gefahr, von der ihr redet, als real erweisen, so fürchte ich um unsere Gemeinschaften. Denn was könnte uns stärker bedrohen als ein Zusammenschluss barbarischer, patriarchaler Horden, die zum wiederholten Mal ein finsteres Zeitalter für uns heraufbeschwören wollen?«

    »Ich weiss nicht,« meinte Sikrit stockend. Sheitas pathetische Wortwahl hatte sie schon immer unangenehm berührt. »Ich habe mir über die Natur dieser Gefahr keine weitergehenden Gedanken gemacht, da uns jeglicher Anhaltspunkt fehlt. Warum nimmst du an, die Struktur unserer Lebensgemeinschaft könnte bedroht sein?«

    »Darauf kann ich dir keine Antwort geben. Meine Angst manifestiert sich lediglich aus dumpfen Ahnungen heraus, doch darauf wirst du nichts geben, weil du zu sehr Realistin bist. Ich hoffe bei den Göttinnen, dass ich Unrecht habe und dass deine Mission negativ verläuft.«

    Sie nahm Sikrits Hand, drückte sie fest und entfernte sich dann mit schnellen Schritten.

    Bei Ceris, sie ist ja richtig aufgewühlt, dachte Sikrit und sah ihr nach, bis ihre Silhouette in der Morgendämmerung mit den Schatten der Häuser verschmolzen war. Dann schüttelte sie heftig den Kopf und straffte ihre schlanke Gestalt, als wollte sie düstere Gedanken vertreiben.

    »Auf gehts, Khanur,« trieb sie das Flügelpferd an, das daraufhin in einen leichten Trab verfiel.

    Als das Dorf nicht mehr zu sehen war, steigerte Khanur seine Geschwindigkeit zu einem schnellen Galopp, entfaltete seine weissen Flügel, ein kurzer Ruck durchfuhr Pferd und Reiterin, dann berührten die Hufe den Boden nicht mehr und sie gewannen langsam aber stetig an Höhe.

    Die Momente der ersten Panik, in denen Sikrit ihre Hände in der Mähne Khanurs verkrallte, vergingen rascher, als sie es sich vorgestellt hatte. Es war, als ginge ein beruhigender Einfluss von dem Pferd aus. Sie fühlte Erleichterung. Und bald bewunderte Sikrit, unsicher aber voller Zuversicht und Staunen, wie die gesprenkelten Landschaften unter ihnen vorbei glitten.

    In den folgenden Tagen hatte sich ein nie gekanntes Hochgefühl eingestellt. Der Traum vom Fliegen war wahr geworden und sie konnte nicht genug davon bekommen. Das Gefühl des Losgelöstseins von der Welt, die ihr als verkleinertes Abbild zu Füßen lag, ergriff sie mit jeder Flugphase von neuem. Alles schien an Bedeutung zu verlieren, nur Khanur und sie gehörten der Wirklichkeit an. Bisher war die Reise ohne Mühe verlaufen, es hatte keinerlei Schwierigkeiten mit den Gemeinschaften gegeben, deren Obhut sie sich nachts anvertraut hatten und die sie wieder auf den »Boden« der Realität zurückbrachten. Sie machte kaum Gebrauch von den zahllosen GesprächsangeGesandten und ließ nichts über den Zweck ihrer Reise verlauten. Sie bemerkte allerdings auch nichts von einer unbestimmten Gefahr. Die Gerüchte, die ihr in der Heimat zu Ohren gekommen waren, schienen aus der Luft gegriffen.

    Das Wetter hatte kaum Anlass zur Klage gegeben. Es wurde zwar kühler, je weiter sie nach Norden vordrangen, und einige starke Regenschauer zwangen Khanur zur Landung, aber im allgemeinen kamen sie zügig voran und lagen durchaus innerhalb der Zeitplanung.

    Von nun an erstreckte sich unbekanntes Terrain vor ihnen, doch wenn sie nicht einen weiten Umweg in Kauf nehmen wollten, mussten sie dieses Gebiet überqueren.

    Es handelte sich um einen sogenannten Magischen Bereich. Länder, in denen bevorzugt magische Kräfte gebräuchlich waren, stellten keine Ausnahmeerscheinung auf der Erde dar. Sie waren meist im östlichen Teil der Welt zu finden und weitgehend isoliert geblieben.

    Aus Erzählungen wusste Sikrit, dass sich die Sitten und Gebräuche der Lebensgemeinschaften der östlichen Hemisphäre derart von denen der westlichen unterschieden, dass sie kaum verständlich waren. Es handelte sich eben um Kulturen, die auf einer völlig anderen Basis aufgebaut waren. Sie musste allerdings zugeben, dass sie persönlich keinen Menschen kannte, der jemals in eines der Magischen Länder vorgestoßen war, und so blieb eine gewisse Skepsis über den Aussagewert dieser Erzählungen.

    Ebenso wie es Ausläufer technischer oder post-technischer Kulturen im Osten der Welt gab, existierten Magische Bereiche vereinzelt in der Westhälfte. Um einen solchen Bereich handelte es sich hier.

    Im Allgemeinen wurden Magische Bereiche gemieden und umgangen, und ihr war kein Beispiel bekannt, dass je Personen oder irgendetwas anderes daraus in die ihr bekannte Welt eingedrungen wären. Diese Zonen waren tabu. Sie stellten keinerlei Bedrohung dar, bereiteten aber naturgemäß den Menschen, die nahe ihren Grenzen lebten, Unbehagen und Unannehmlichkeiten und man machte Umwege um diese Gebiete.

    Es war unbekannt, nach welchen Regeln das Leben in den Magischen Bereichen verlief. Es war die Rede von wunderlichen und beängstigenden Vorgängen, aber diese Geschichten entbehrten jeder Grundlage. Menschen neigten nun mal dazu, dem Unbekannten ihre eigenen verborgenen Ängste anzudichten. Natürlich hatte es wagemutige Frauen und Männer gegeben, die in Magische Zonen vorgedrungen waren, sei es aus Neugier, Forschungsdrang oder als Ausspähungsversuch. Sie wurden nie wieder gesehen. Anders verhielt es sich bei Menschen, die ohne Wissen und Absicht dort hineingeraten waren: sie tauchten unversehrt wieder auf und berichteten - mit geringen Abweichungen in ihren Erzählungen -, dass es sich um verlassene Landstriche handelte, die lediglich einige bekannte Tierarten aber keine Menschen beherbergten. Es wurde vermutet, dass sie nicht die wirkliche magische Welt zu sehen bekommen hatten oder ihnen die Erinnerung daran auf irgendeine Weise genommen worden war. So erwiesen sich diese Augenzeugenberichte als nutzlos.

    Auch in der westlichen Welt waren Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und Begabungen bekannt und Bezeichnungen wie Zauberinnen, Magier, Hellsichtige, Thaumaturgen oder Psi-Begabte waren durchaus geläufig. Meist waren sie integriert in das alltägliche Leben der Gemeinschaften, nur in wenigen Kulturen spielten sie eine besondere Rolle. Sie beherrschten nicht den Lauf der Dinge, ihre Fähigkeiten wurden so selbstverständlich wie die anderer Menschen in Anspruch genommen und ihnen blieb ebenso der Kontakt zu den magischen Bereichen verwehrt.

    In einigen Lebensgemeinschaften fungierten sie als Ratgeber, da ihnen Wissen um ein erweitertes Weltbild zugesprochen wurde und in seltenen Fällen hatten sich Kulte um sie herum gebildet.

    All das kannte Sikrit aus eigener Erfahrung, ihre Reisen hatten sie selbst in entlegene Gegenden des Kontinents geführt. Doch ein Magischer Bereich war eine andere Sache.

    Sie war nicht gefeit gegen die unbestimmten Ängste, die das Geheimnisvolle erzeugt, vertraute aber auf die Friedfertigkeit ihrer Mission und ihre Absicht, sich lediglich einen Umweg zu ersparen. Trotzdem hatte sie vorsichtshalber ihre »Rüstung« angelegt, die ihr Sicherheit geben sollte, obwohl sie sie im Ernstfall wahrscheinlich nicht schützen konnte. Die Rüstung war ihr zusammen mit der Thermowaffe übergeben worden und bestand aus Jacke und Hose aus einem Material, das sich wie Leder anfühlte und sogar Schutz vor Schüssen aus Energiewaffen bieten sollte. Das war sicherlich eine Übertreibung, und Sikrit hoffte, gar nicht erst in eine Situation zu geraten, in der die Rüstung einem solchen Test unterworfen wurde.

    Weiter nahm sie sich vor, mit Khanur höher als gewohnt zu fliegen, so dass Ausspähungsversuche von vornherein ausgeschlossen waren. Mehr konnte sie nicht tun.

    Jetzt, im Anflug auf den Grenzbereich zur Magischen Zone, kamen ihr Zweifel, ob es wirklich angebracht war, gerade in ihrer Angelegenheit das Risiko auf sich zu nehmen. Schließlich sollte sie sich ausdrücklich nicht m Gefahr begeben, bevor sie ihr Ziel erreicht hatte. Und wenn nun ihr Auftrag mit den Magischen Ländern in Zusammenhang stand?

    Doch das war Spekulation und eine Umkehr nicht mehr möglich.

    Die Überquerung der Grenze machte sich wie ein körperlicher Schlag bemerkbar. Khanur flatterte kurze Zeit hilflos mit den Flügeln, als ob die Luft an Dichte verloren hätte, und es fühlte sich an, als fielen sie in ein Luftloch. Sikrit merkte, wie ein Schwall von Übelkeit und Erbrechen in ihr hochstieg.

    »Zurück,« wollte sie schreien. »Wir müssen umkehren!«

    Aber die Worte drangen wie träge, blubbernde Blasen aus ihrem Mund, und die Töne lösten sich vor ihren Lippen auf. Ein widerlicher Geruch stach ihr in die Nase, und kaum hatte Khanur sein Gleichgewicht wiedergefunden, warf ihn eine starke Kraft aus der Flugrichtung und ein unwiderstehlicher Sog zerrte sie und das Pferd dem Erdboden entgegen.

    Sikrit versuchte den Schock über die unerwartete Attacke zu vertreiben.

    Ihre schlimmsten Befürchtungen waren übertroffen worden.

    Khanur stemmte sich verzweifelt gegen den Einfluss, der sie nach unten zog, aber je mehr er kämpfte, desto stärker schien die Kraft zu werden.

    Sikrit selbst war hilflos bei diesem Kampf. Sie sah den Schaum vor Khanurs Nüstern in großen Flocken wie durch ein Vergrößerungsglas davonfliegen. Die Farbe des Himmels um sie herum hatte sich verändert. Aus dem dunklen Blau war ein verwaschenes Grau geworden, von schwefelgelben Adern durchzogen. Die Perspektive hatte sich auf unheimliche Weise verzerrt: der Erdboden schien direkt vor ihren Augen zu liegen, während ihre Arme sich kilometerweit entfernt um Khanurs Hals schlangen, als ob sie nicht mehr zu ihrem Körper gehörten. Dazu erklang ein schrilles Heulen, das ihre Ohren marterte und beständig anwuchs.

    Mein gesamter Wahrnehmungsbereich wird angegriffen, dachte sie erstaunlich klar. Ich darf mich davon nicht überwältigen lassen. Bloß nicht das Gleichgewicht verlieren!

    Zumindest die Augen konnte sie schließen und versuchen, sich auf ihr inneres Kräftereservoir zu konzentrieren. Die Übung war schwierig unter diesen Umständen, aber sie bekam einen Zipfel der Energie zu fassen, die ihr sonst ungehindert zur Verfügung stand.

    »Trugbilder, Illusionen!« schrie sie ihre Wut heraus und öffnete ihre Augen wieder. Mit solchen Tricks werdet ihr mich nicht hereinlegen!«

    Khanur landete mühsam. Mit zitternden Beinen stand er in der Nähe zweier riesiger Bäume, die sich wie Ungetüme aus der flachen Landschaft erhoben. Sikrit stellte erleichtert fest, dass die Perspektivverschiebungen aufgehört hatten. Auch das erbarmungswürdige Heulen war abgeklungen. Nur der Himmel drohte weiter in düsteren Farben und das Gras und die Bäume besaßen eine fremdartige, bläuliche Kolorierung.

    Sie stieg von Khanurs Rücken und zog die Thermowaffe, um sich und das Pferd gegen weitere Angriffe zu verteidigen. Mit beiden Beinen auf der Erde und einem kräftigen Baumstamm im Rücken fühlte sie sich wesentlich wohler als zuvor. Sie konnte ungehindert bis zum Horizont blicken, entdeckte aber kein Lebewesen. Die eingekehrte Stille wirkte fast bedrohlicher als die unheimlichen Geräusche, selbst der Wind schien eine Pause eingelegt zu haben.

    Obwohl Sikrit um das Trügerische der Situation wusste, kam der Überfall völlig überraschend.

    Von allen Seiten prasselten Schläge und Tritte auf sie ein und zwangen sie auf die Knie. Nach wie vor war kein Mensch zu sehen, doch das war nur eine weitere Illusion aus der Trickkiste der Angreifer. Mit einem Schmerzensschrei sprang Sikrit zurück in ihre Verteidigungsstellung. Ihr Finger krümmte sich um den Abzug der Thermowaffe, doch die Energieblitze wurden einige Meter vor ihr von unsichtbaren Hindernissen verschluckt. Obwohl sie ihre Gegner nicht erkennen konnte, hatte sie den Eindruck, dass ihre Schüsse irgend- welche Ziele trafen, denn sie vernahm stöhnende und angstvolle Laute und ein klägliches Wimmern.

    Der vermeintliche Erfolg gab ihr neuen Mut. Ihr Körper handelte jetzt automatisch nach einem eingeübten Schema. Sie schwang die Pistole in einem Halbkreis, die Attacken auf sie ließen nach.

    Es schien, als hätten die Angreifer nicht mit Widerstand gerechnet, aber sie war sich darüber im Klaren, dass sie sich auf Dauer in einer besseren Position befanden. Ihre Unsichtbarkeit schützte sie, und sobald sie ihre plumpe Taktik änderten, hatte sie kaum eine Chance gegen die Übermacht. Sie konnte froh sein, dass die Angreifer bisher auf Waffen verzichtet hatten - auch das konnte sich schnell ändern.

    Der einzige Ausweg bestand in der Flucht, Khanur stand nur wenige Schritte von ihr entfernt. Er war bisher nicht belästigt worden und wirkte verwirrt, aber einigermaßen erholt. Ein kurzer Galopp bis hinter die Grenze in bekanntes Gebiet musste ausreichen. Sikrit schöpfte neue Hoffnung.

    2. Kapitel: Die Gesandten (II)

    Der Regen stürzte seit Stunden mit erbarmungsloser Monotonie vom nachtdunklen Himmel. Eine dichte Wolkendecke verbarg Mond und Sterne, so dass die Konturen der Landschaft nicht zu erkennen waren.

    Die Hufschlage des Pferdes, das in leichtem Trab zwischen den Bäumen hervorkam ertranken in dem steten Rauschen. Sein Reiter stieß einen erleichterten Laut aus, als er schließlich gewahr wurde, dass der Wald hier ein Ende nahm. Er wischte sich in einer mechanischen Handbewegung die Nässe aus dem Gesicht und hielt das Pferd kurz an, um sich zu orientieren. Es dauerte eine Weile, bis er in der Ferne endlich das schimmernde Licht von erleuchteten Fenstern entdeckte. Das Gasthaus. Es musste das Gasthaus sein. Er seufzte erneut vor Erleichterung.

    Die letzte Etappe war die anstrengendste gewesen. Der Regen hatte ihn überrascht, nachdem er die Ansiedlung weit hinter sich gelassen hatte, und es war ihm keine andere Wahl geblieben, als den Ritt bis zum Gasthaus fortzusetzen. Außerdem wollte er rechtzeitig ankommen. Das Plätschern des Regens hatte ihn schläfrig gemacht, trotzdem musste er sich besonders in dem Waldstück auf den Weg konzentrieren und jetzt war er erschöpft und ausgepumpt .

    Der Reiter gab dem Pferd einen aufmunternden Klaps, der es zu einer schnelleren Gangart veranlasste. Auf dem restlichen Wegstück würde er so besser vorankommen, obwohl er vorsichtig blieb, denn die Straße hatte sich inzwischen in ein Gemisch aus Matsch und losem Geröll aufgelöst und ihre Begrenzungen waren in der Dunkelheit kaum erkennbar.

    Langsam freundete er sich mit dem Gedanken an, dass er in Kürze eine warme Mahlzeit sowie ein Zimmer mit Ofen und Bett erhalten würde. In den letzten Stunden hatten seine Gedanken nur dem Zweck gegolten, den Weg nicht zu verfehlen und sein Pferd nicht stürzen zu lassen.

    Welcher vernünftige Mensch war bei so einem Unwetter auch unterwegs?

    Doch sein Ehrgeiz, den ersten Stichtag nicht zu verpassen, hatte ihm angetrieben. Er wollte endlich wissen, wofür er diese Strapazen auf sich genommen hatte, die Welt außerhalb seiner Heimat hatte ihn verunsichert und allzu heftig aus gewohnten Bahnen gerissen.

    Nun sah es so aus, als hätte er es geschafft, aber es war mitten in der Nacht und er war bis auf die Haut durchnässt.

    »Ich werde mir zumindest eine Erkältung holen,« brummte er frierend vor sich hin, während das Gasthaus langsam in erreichbare Nähe rückte. »Da werden mir auch Leandas Kräuter nicht helfen.«

    Gegen die Gewalten der Natur versagten eben auch die üblichen Schutzzauber .

    Er nickte zufrieden, als er die Beschriftung über der matt erleuchteten Tür des Gasthauses las. Er brauchte immer diese letzte Bestätigung dafür, dass er nichts falsch gemacht hatte.

    Als er vom Pferd stieg, wäre er fast auf dem schlüpfrigen Boden ausgerutscht, wenn er sich nicht noch an die Mähne des Tieres geklammert hätte. Das Pferd drehte den Kopf und schaute ihn verwundert an, als begriffe es nicht, und der Mann musste lächeln. Doch gleich darauf überzog sich sein Gesicht wieder mit jenem mürrischen Ausdruck, mit dem er seit Tagen seine Umgebung abschreckte. In dem Licht der Laterne über dem Eingang schälten sich die Konturen von Pferd und Reiter nun deutlicher heraus.

    Der Mann war sehr groß und hager und ganz in Schwarz gekleidet: schwarze Stiefel, schwarze Hosen und einen schwarzen Umhang. Auch seine Hautfarbe war ein tiefes Schwarz, das verschlossene Gesicht wirkte kantig, verriet aber in seiner Unfertigkeit das junge Alter.

    Er schnallte die Satteltasche ab, dann nahm den breitkrempigen Hut vom Kopf, schüttelte das Regenwasser von ihm ab und stieg die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf. Sein Pferd, eine kräftige, schwarze Stute, blieb gehorsam an ihrem Platz stehen.

    Die Tür führte direkt in die hell erleuchtete Gaststube. Zu dieser Stunde hielten sich nur noch wenige Gäste darin auf, die alle um einen klobigen runden Tisch gruppiert saßen und einen ziemlich betrunkenen Eindruck erweckten.

    Wahrscheinlich irgendeine Handelsgruppe, dachte der Ankömmling und ließ seinen Blick schnell über die Gesichter streifen. Es handelte sich ausnahmslos um Menschen, und der Bote befand sich mit Gewissheit nicht unter ihnen. Er empfing kein entsprechendes Signal. Einige von ihnen sahen ihn staunend an. Wahrscheinlich waren sie nicht an seine Hautfarbe gewöhnt. Wie oft hatten ihn die Menschen in Farewell, die ihn aus irgendeinem Grund nicht leiden konnten, hinter vorgehaltener Grund »Schwarzer« oder »den Schwarzen« genannt. Denn selbst in seinem Heimatort, in dem der weitaus überwiegende Teil der Bewohner von dunkler Hautfarbe war, stach er durch sein tiefes Schwarz hervor. Andererseits hatte er sich auch erst daran gewöhnen müssen, dass er auf seiner Reise so viele hellhäutige Menschen zu Gesicht bekommen hatte.

    Der Wirt, der offensichtlich dabei war aufzuräumen und zu schließen, sah erstaunt von seiner Arbeit auf, als die schwarze Gestalt den Schankraum betrat. Missmutig betrachtete er die Pfütze, die sich an der Stelle bildete, an der der neue Gast stehengeblieben war, um sich umzusehen.

    »Haben Sie noch ein Zimmer für mich?« fragte die schwarze Gestalt. Seine Stimme klang ungeduldig im abgehackten Dialekt der Bergvölker.

    Der Angesprochene war ein grobknochiger stämmiger Mann mit zerzaustem, roten Haar, dem anzumerken war, dass er den Ankömmling am liebsten wieder hinausgesetzt hätte. Doch dies verbot sich ihm schon angesichts der fortgeschrittenen Zeit und des miserablen Wetters.

    »Natürlich,« knurrte er. »Es gibt allerdings kein Bad.«

    Der schwarz Gekleidete nickte abwesend und sah sich genauer um: der Schankraum war nüchtern und zweckmäßig eingerichtet mit einer Theke am anderen Ende und gradlinig aufgestellten Tischreihen verschiedener Größe. Es war durchweg gutes Holz für das Mobiliar verwandt worden, dessen dunkle Farbgebung eine gewisse Düsterkeit hervorrief. Weiterhin fiel ihm die elektrische Beleuchtung auf, die Gegend war also an ein funktionierendes Stromnetz angeschlossen, was in seiner Heimat durchaus nicht selbstverständlich war.

    »Ich muss mein Pferd unterstellen,« fuhr er fort. »Gibt es hier einen Stall oder etwas Ähnliches?«

    Links um die Ecke, antwortete der Wirt, der sich in seiner Arbeit nicht beirren ließ. »Es stehen noch andere Reittiere dort. Passen Sie auf, dass Sie den Kadu nicht stören, die Viecher mögen das nicht.«

    Der Mann nickte wieder, obwohl er nicht wusste, was ein Kadu war.

    Nachdem er seinen Rappen untergebracht und versorgt hatte, ließ er sich vom Wirt sein Zimmer zeigen. Die anderen Gäste waren inzwischen zu Bett gegangen, und der Wirt beeilte sich, um ebenfalls seinen verdienten Schlaf zu bekommen. Es ging eine schmale Holztreppe hinauf, die bis unter das Dach führte. Das Zimmer ähnelte eher einer Abstellkammer, in die notdürftig ein Bett, ein Ofen, ein Tisch und ein Stuhl hineingeschoben worden waren. Der Mann war sicher, dass es noch komfortablere freie Zimmer gab, aber der Wirt hatte ihn als Störenfried auserkoren und das bekam er nun zu spüren. Vielleicht hielt er ihn auch für einen Spinner in seiner schwarzen Aufmachung, deren Bedeutung er nicht kennen konnte.

    »Die Kosten für das Zimmer sind für jeden Tag im Voraus zu bezahlen.«

    Der hagere Mann drehte sich zu ihm um. Seine schwarzen Augen blitzten den kleineren an.

    »Glauben Sie, ich habe kein Geld für diese Unterkunft?« Er betonte das vorletzte Wort scharf. Er war nahe daran, den aufgestauten Ärger der vergangenen Tage an dem Wirt auszulassen.

    »Wenn es Ihnen nicht gefällt, können Sie jederzeit wieder gehen,« forderte ihn dieser unerschrocken auf.

    Der Hagere schwieg und suchte in seiner Tasche nach den Münzen. Es war das erste Mal, dass er Geld benötigte. Dort, wo er herkam, war das Wort Bezahlung unbekannt. Er warf dem Wirt die Münzen zu. Was hatte er davon, sich mit dem Mann anzulegen? Er war auf die Unterkunft angewiesen, der Treffpunkt war eindeutig festgelegt und außerdem musste er sich langsam an die hiesige Profit-Mentalität gewöhnen.

    Und schließlich galten seine gesammelten Aggressionen nicht diesem Mann, sondern eher den Umständen, die dazu geführt hatten, dass er sich nun in dieser unerfreulichen Lage befand. Er fragte sich zum wiederholten Mal, was ihn nun genau dazu bewogen hatte, sich auf diese vage umrissene »Mission« zu begeben. Waren die Zeichen wirklich so schrecklich gewesen oder wollte er nicht vielmehr dem eingefahrenen Trott in Farewell entkommen, nach dem er sich inzwischen öfter zurückgesehnt hatte? Nun, heute Nacht würde er sich mit derartigen Grübeleien bestimmt nicht mehr abgeben, dazu war er viel zu müde.

    Als der Wirt gegangen war, machte er sich daran, den Ofen anzufeuern. Zum Glück reichte ein einfacher Spruch, um Holz und Kohlen zum Entflammen zu bringen. Auf eine warme Mahlzeit würde er wohl vorerst verzichten müssen. Er packte ein paar vom Regen durchweichte Scheiben Brot aus. Das würde bis morgen früh reichen müssen, im letzten Ort war man auch nicht besonders gastfreundlich zu ihm gewesen.

    Der kleine Raum wurde schnell warm. Erleichtert zog er seine Sachen aus und verteilte sie vor dem Ofen, damit sie eventuell bis zum nächsten Tag trocknen konnten. Bevor er zu Bett ging, zog er noch das wasserdicht verpackte Kartenspiel aus der Tasche seines Umhangs. Doch es entglitt seinen klammen Fingern und fiel zu Boden. Er fluchte leise. Angesichts dieses unliebsamen Vorzeichens verzichtete er darauf, eine Karte zu ziehen.

    Düster starrte er eine Weile vor sich hin, ehe er die wollene Bettdecke bis zum Kinn hochzog und das Licht löschte. Bevor das Gefühl von Einsamkeit weiter an ihm nagen konnte, war er eingeschlafen.

    Obwohl er zu so später Stunde ins Bett gekommen war, wachte Zardioc am nächsten Morgen früh auf. In der Dachkammer war es angenehm warm, der Ofen knisterte leise vor sich hin. Wieder zwang er sich dazu, seinen lauernden Gedanken nicht nachzuhängen, und stand sofort auf. Seine Stimmung verschlechterte sich noch, als er merkte, dass seine Kleidung noch nicht völlig trocken war. Er hatte in der Eile nur Unterwäsche zum Wechseln mitgenommen und musste die Sachen anziehen. Er nahm sich vor, demnächst einiges einzukaufen, in seinen Satteltaschen war Platz genug. Zum Glück war wenigstens von einer Erkältung nichts zu spüren, aber sein Pessimismus sagte ihm, dass das durchaus noch kommen konnte.

    Dann ging er einen Stock tiefer, um dort die Toilette auf dem Flur zu benutzen. Als er die Tür zum Waschraum öffnete, blickte ihm von der gegenüberliegenden Wand sein schwarzes Spiegelbild entgegen. Mit einem Fluch auf den Lippen zertrümmerte er den Spiegel in einer Reflexbewegung mit dem Ellbogen.

    »Der Tag fängt so an, wie der andere aufgehört hat,« murmelte er zwischen den Zähnen und betrachtete seinen am Arm eingerissenen Pullover.

    Spiegel brachten Unglück. Dieser Glaubenssatz der Magier-Gilde war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Was in einem Spiegel erschien, tat so, als wäre es die Wirklichkeit, war aber eine Täuschung. In ganz Farewell hingen Spiegel deshalb nur an ganz bestimmten dafür vorgesehenen Stellen.

    Mit dem Fuß kehrte Zardioc die Scherben in einer Ecke zusammen. Ein Grund mehr für den Wirt, sich über ihn aufzuregen.

    Nachdem er sich frisch gemacht hatte, ging er in die Gaststube hinunter, um sich ein ausgiebiges Frühstück zu bestellen. Gestern hatte er nur von trockenem Brot und einigen unterwegs gepflückten Früchten gelebt, und sein Magen machte sich unmissverständlich bemerkbar.

    Wie er erwartet hatte, war er der erste Gast - er brauchte eben nicht viel Schlaf -, nur der Wirt war schon auf den Beinen. Er sah misstrauisch zu ihm hinüber, als er es sich in einer Ecke bequem machte. Nach einer Weile machte er Zardioc klar, dass er noch warten müsse, es wäre noch keine Frühstückszeit. Er nahm es gelassen hin und stand wieder auf, um nach seinem Pferd zu sehen.

    Draußen war es noch immer bewölkt und windig, aber es hatte aufgehört zu regnen. Die Luft war frisch und empfindlich kühl, und Zardioc zog seinen Umhang enger um sich, als er zum Stall hinüberging.

    Der Rappe begrüßte ihn mit leichtem Schnauben und rieb seine Schnauze an ihm. Noch mehrere andere Pferde waren im Stall festgebunden, meist ziemlich abgemagerte Gäule, denen der Mangel an Pflege anzusehen war. Zardioc vergewisserte sich, dass genug Heu und Wasser bereitstand, als er ein krächzendes Geräusch aus dem hinteren Teil des Stalles vernahm. Neugierig trat er näher und erblickte, abgesondert von den anderen Reittieren, einen majestätisch aufgerichteten straußenähnlichen Laufvogel. Das Gefieder schimmerte in glänzendem Weiss und war sorgfältig geputzt. Neben dem Laufvogel lag ein seltsam geformter, reich verzierter Sattel.

    Der Kadu, vermutete Zardioc und fragte sich, wem das Tier wohl gehören mochte. Es wirkte noch mehr wie ein Fremdkörper als sein Rappe.

    Dann verließ er den Stall und ging noch eine Weile vor dem Gasthaus auf und ab.

    Anstatt leichter fiel es ihm immer schwerer, sich an die fremden Sitten und Gebräuche anzupassen. Er stammte eben aus einer Gemeinschaft, in der alles in recht engen Bahnen verlief, eine Tatsache, die ihm erst jetzt so richtig zu Bewusstsein gekommen war. Noch nie hatte er sich so weit von Farewell entfernt, das war auch nicht üblich, sie waren eine sehr bodenständige Gemeinschaft. Er fühlte sich unsicher und verlassen ohne die vertrauten Gesichter und Stimmen um sich herum, er vermisste den Schutz der Gilde und Familie, wär hinausgeschleudert in ein fremdes Universum. Aus der anfänglichen Neugier war schnell Angst geworden, er vermied Kontakte zu anderen, genoss eher schon den Ritt durch unbewohnte Gebiete des Landes und die Einsamkeit. Gleichzeitig spürte er ein heftiges Verlangen nach Nähe und Gedankenaustausch, aber das blieb unerreichbar für ihn, die Kluft in ihm selbst war zu groß.

    Der Umgang mit Geld war eine weitere Barriere zu dem Abschnitt, der vielleicht noch vor ihm lag. Er war es nicht gewöhnt, sich darüber Gedanken zu machen, was wie viel kostete und welche Bequemlichkeit man für eine bestimmte Summe erwarten konnte. Auch das Verhalten der Menschen zueinander schien sich mehr danach zu richten, welcher Wert einander zugemessen wurde.

    Zardioc schüttelte den Kopf. All dies war schwer zu begreifen, und die Spielregeln sagten ihm nicht zu. Leanda hatte ihn zwar vorbereitet, aber der Gedanke, dass er sich damit noch weiter auseinandersetzen musste, bereitete ihm Unbehagen. Es konnte natürlich geschehen, dass er sich morgen wieder auf den Heimweg machte, aber diese Möglichkeit war unwahrscheinlich. Es hing alles davon ab, was ihm die Kontaktperson berichten würde. Hoffentlich kam das Treffen heute zustande, er wollte diesen ungastlichen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen.

    Als er von seinem Spaziergang zurückkehrte, hatte sich die Gaststube gefüllt. Er fühlte neugierige, teilweise ängstliche Blicke auf sich ruhen. Augen, die ihn anstarrten und rasch wieder wegblickten. Die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, störte ihn, unauffällig fühlte er sich wohler.

    Außer zwei Geschöpfen hatte er es bei den Anwesenden mit Menschen beiderlei Geschlechts zu tun. Er erkannte die Trinkrunde von gestern Abend wieder, und auch ein Tisch, an dem nur Frauen saßen, alle mit verhüllten Gesichtern, fiel ihm auf. Ansonsten schenkte Zardioc den Menschen keine weitere Aufmerksamkeit, er hätte es sofort gemerkt, wenn der Bote unter ihnen gewesen wäre.

    Die beiden Nicht-Menschen, die sich an einem kleinen Tisch gegenübersaßen, interessierten ihn schon eher. Ein Nicht-Mensch als Kurier wäre zwar ungewöhnlich, aber er musste jeder Möglichkeit nachgehen.

    Den einen identifizierte er ohne Schwierigkeiten als einen Fung, dessen Fell grünrosa gefärbt war. Fungs gab es relativ zahlreich, und es waren vielerlei Geschichten über sie in Umlauf, deren Inhalt meist humoristischer Natur war. Der Fung trug lediglich eine weite grüne Hose aus seidenartigem Stoff, und seine kleinen, lidlosen Augen in dem runden Kopf blinzelten nervös.

    Der andere Nicht-Mensch war von klobiger Gestalt. Ein wuchtiger Körper saß auf vier Beinen, und die Arme, die aus seinem Obergewand hervorragten waren schuppenbedeckt. Er würdigte Zardioc, der nicht wusste, welchem Volk der Gepanzerte angehörte, keines Blickes.

    Einem der beiden mochte der Kadu gehören, wahrscheinlich dem Fung, denn Zardioc konnte sich nicht vorstellen, dass der Laufvogel das Gewicht des anderen zu tragen vermochte. Er konzentrierte sich kurz auf die Nicht-Menschen, bis er sich sicher war, dass keiner von beiden der erwartete Gesandte war. Dann nahm er an einem freien, abseits stehenden Tisch Platz und wartete geduldig, bis der Wirt ihm sein Frühstück brachte.

    Dieser war jetzt offensichtlich besser gelaunt. Er bot Zardioc an, für ihn ein besseres Zimmer bereitzustellen,

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