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Herzstück Musizieren
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eBook220 Seiten2 Stunden

Herzstück Musizieren

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Über dieses E-Book

Instrumentalpädagogik hat das Potenzial, erfülltes Musizieren nicht nur als Ziel von Lehren und Lernen anzusehen, sondern schon auf dem Wege dahin immer wieder möglich zu machen. In ihr ist die Sensibilität für das Künstlerische und mithin für ein sich selbst genügendes Geschehen mit ästhetischem Anspruch wach, das jedoch dem zielgerichteten didaktischen Tun durchaus in die Quere kommen kann.
Die Beiträge dieses Bandes zeigen unterschiedliche Möglichkeiten, ein solcherart verstandenes Musizieren als Ausgangspunkt des instrumentalen Gruppenunterrichts theoretisch zu fassen und praktisch zum "Herzstück" des Unterrichts werden zu lassen. Es bleibt zu wünschen, dass diese Möglichkeiten im theoretischen Diskurs und in der Unterrichtspraxis erprobt und weiterentwickelt werden, damit der instrumentale Gruppenunterricht sein volles Potenzial entfalten und damit den instrumentalpädagogischen Diskurs – auch jenen über den Einzelunterricht – stärker als bisher prägen und beflügeln kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberSchott Music
Erscheinungsdatum3. März 2021
ISBN9783795723965
Herzstück Musizieren

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    Buchvorschau

    Herzstück Musizieren - Schott Music

    Wüstehube

    Herzstück Musizieren?

    EIN EMPIRISCHER BLICK AUF HANDLUNGS-

    UND ORIENTIERUNGSMUSTER VON LEHRENDEN

    IM INSTRUMENTALEN GRUPPENUNTERRICHT

    ULRIKE KRANEFELD

    Die Frage, was einen guten Instrumentalunterricht bzw. ein erfülltes Musizieren in der Gruppe ausmachen könnte, ist innerhalb der musikpädagogischen Forschung sowohl Gegenstand normativer bzw. konzeptioneller Überlegungen als auch Hintergrund empirischer Untersuchungen, wie die Beiträge in diesem Tagungsband facettenreich zeigen. Dabei beziehen die Initiatoren der Tagung in Wien 2015 schon mit der Wahl des Tagungstitels Position: Ziel bzw. Bedingung eines Unterrichts, der Musizieren als Herzstück betrachtet, sollte es demnach sein, differenziert zu lehren, individuell zu fördern und den gemeinsamen Klang zu entwickeln. Damit sind zentrale Qualitätsmerkmale benannt, die die musikpädagogische Diskussion seit jeher – aktuell verstärkt auch im Kontext des Umgangs mit heterogenen Lernvoraussetzungen in inklusiven Kontexten – beschäftigen.

    Für meine folgende empirische Perspektive auf den instrumentalen Gruppenunterricht wird der Begriff der Qualität insbesondere dann produktiv, wenn man ihn auf seinen lateinischen Ursprung als qualitas, also Beschaffenheit, zurückführt. Es stellt sich also die Frage: Wie ist die Praxis des aktuellen instrumentalen Gruppenunterrichts beschaffen im Hinblick auf die Aspekte Differenzierung und Individuelle Förderung und welche Rolle spielt in der Praxis das Ziel, einen gemeinsamen Klang zu entwickeln?

    In Bezug auf den Forschungsgegenstand bedarf es der Einschränkung, dass sich die folgenden Ergebnisse grundsätzlich nur auf ein bestimmtes Praxisfeld, nämlich auf den instrumentalen Gruppenunterricht im Programm „Jedem Kind ein Instrument" (JeKi) beziehen, wie er in den Jahren 2008 bis 2013 in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde,¹ und die Reichweite der Ergebnisse auf die untersuchten Fälle beschränkt ist. Dennoch sind die Einblicke in diese spezifische Praxis vermutlich auch für andere Kontexte instrumentalen Gruppenunterrichts relevant.

    Eine Stärke des empirischen Zugriffs liegt grundsätzlich darin, Orientierungs- und Handlungsmuster der beteiligten Akteure erfassen zu können und so – auch jenseits des Blicks auf die konzeptionellen Überlegungen der Programmentwickler – die Beschaffenheit eines Programms beschreiben zu können – und zwar im Kontext seiner aktuellen Praxis. Dahinter steht die Vermutung, dass die didaktische Praxis eines solchen Programms zu einem großen Teil durch die jeweiligen individuellen Handlungsmuster der beteiligten Lehrkräfte geprägt wird. Dies gilt umso mehr für die Anschubphase eines Programms wie „Jedem Kind ein Instrument", in dem für die Lehrenden nicht von Beginn an vollständig deutlich wurde, welche Ziele mit dem Programm verfolgt werden sollten.

    Erst im Lauf der Jahre entstand ein Zieldiskurs, in dem JeKi je nach disziplinärem und weltanschaulichem Standpunkt als „kulturelle Teilhabe (Landmann 2012), als „flächendeckende Basismusikalisierung (Grunenberg und Gerland 2010), als „musikalische Alphabetisierung (Völckers 2007) oder doch als Chance, „die Teilnahme aller zu sichern und gleichzeitig die Spitzenleistung einiger Schüler möglich zu machen (Lepenies 2010), gedeutet wurde. Zudem sieht Peter Röbke in JeKi die Möglichkeit zur Verwirklichung einer „musikalischen Praxisgemeinschaft" (Röbke 2010). Angesichts dieser Diversität und teilweise auch Pauschalität der Zielformulierungen werden die individuellen Zugänge der Lehrenden umso bedeutsamer.

    Deshalb möchte ich im Folgenden exemplarisch drei Fragestellungen zu Orientierungs- und Handlungsmustern von JeKi-Lehrenden verfolgen, denen wir zuletzt in Studien² zum instrumentalen Gruppenunterricht in JeKi nachgegangen sind, und diese dabei auf die drei Themenschwerpunkte des Tagungsthemas beziehen:

    1. Differenziert lehren: Wie positionieren sich Lehrende im Spannungsfeld zwischen Einzelförderung und Gruppenfokus?

    2. Individuell fördern: Wie vollzieht sich die situative Aushandlung von Differenz in der Unterrichtsinteraktion selbst?

    3. Den gemeinsamen Klang entwickeln: Welche Relevanz geben Lehrende dem Lernfeld musikalische Gestaltung im instrumentalen Gruppenunterricht?

    Die Varianz der methodischen Zugriffe³ reicht dabei von der videobasierten, fallübergreifenden Rekonstruktion typischer Handlungsmuster von Lehrenden (1.) über die fallbezogene Interaktionsanalyse einer Unterrichtssequenz (2.) bis hin zur quantitativen Auswertung einer Befragung von Lehrenden (3.). Deutlich wird hier, dass sich empirische Forschung aus sehr unterschiedlichen Perspektiven auf den Unterricht richten kann und dabei den „Gegenstand Unterricht" jeweils neu konstituiert: als Gestaltungsraum für Lehrende (1.), als Interaktion der beteiligten Akteure (2.) und als Reflexionsgegenstand von Lehrenden (3.).

    1. Differenziert lehren

    Das oben erwähnte anfängliche Zielvakuum im Programm JeKi kann einerseits von Lehrenden als Belastung angesehen werden, positiv gewendet stellt es aber auch einen relativ großen individuellen Handlungsspielraum dar. Allerdings fordert dies wiederum von den Lehrkräften zwingend ein, sich mit ihrer Art und Weise der Gestaltung des Unterrichts in diesem relativ offenen Feld zu positionieren, also je eigene Inszenierungsmuster zu entwickeln. In der videobasierten Unterrichtsforschung wird der Begriff des Inszenierungsmusters verwendet, „um Sozialformen, unterschiedliche inhaltsbezogene Lehrer- und Schüleraktivitäten und vor allem deren Funktion im Lernprozess in ihrer Anordnung und Sequenzierung im zeitlichen Verlauf der Unterrichtseinheit zu beschreiben" (Hugener 2008, 92).

    Wie unterschiedlich solche Inszenierungsmuster aussehen können und wie Lehrende damit den Unterricht je unterschiedlich deuten, zeigt exemplarisch ein kurzer Blick in die Praxis des Ensembles Kunterbunt, einer zusätzlichen Ensemblestunde, die ab der dritten Klasse als Ergänzung des instrumentalen Gruppenunterrichts in JeKi angeboten wird und mit Gruppen bis zur Klassenstärke durchgeführt wird.⁴ Hier findet man ganz unterschiedliche Formate der Umsetzung, die im Folgenden in einem polarisierenden Vergleich zweier Fälle aus unserer Stichprobe zugespitzt werden:

    ■ Lehrkraft A stellt eine typische Schulorchestersituation her. Die Kinder werden in homogene Stimmgruppen aufgeteilt und es wird entsprechend im Raum eine feste Orchestersitzordnung mit dem Lehrenden als Dirigenten in zentraler Position etabliert. Auf dieser Basis wird eine klassische Probensituation hergestellt. Entsprechend wird in der Ensemblestunde im Modus des kontinuierlichen Wechsels von Stimmgruppenübung und Spiel im Plenum gearbeitet.

    ■ Lehrkraft B dagegen lässt alle Kinder sich unabhängig von ihrer Instrumentengruppe im Raum aufstellen und sie anschließend gemeinsam eine grafische Notation verklanglichen, die die Kinder zuvor in der Lerngruppe entwickelt haben. Angezeigt wird der Verlauf der Komposition von einer Schülerin, die Lehrerin tritt zur Seite und begleitet den Prozess von der „Seitenlinie".

    Allein schon der vergleichende Blick auf die beschriebenen „Raumordnungen" (Dinkelaker und Herrle 2009, 52) spiegelt die sehr unterschiedliche Deutung des Formats Ensemble Kunterbunt durch die zwei Lehrkräfte und damit zwei kontrastierende Inszenierungsmuster.

    Auch im instrumentalen Gruppenunterricht, dem anderen Unterrichtsformat in JeKi, gibt es Bereiche, in denen Lehrende durch ihr Handeln spezifische Inszenierungsmuster entwickeln. In der Bielefelder Evaluationsstudie zum Gruppen-Instrumentalunterricht (BEGIn), in der wir insgesamt siebzehn Instrumentalgruppen über zwei bzw. drei Jahre in Nordrhein-Westfalen und Hamburg⁵ videografisch begleitet haben, wurden Kategorien zur Beschreibung von JeKi-spezifischen Inszenierungsmustern entwickelt. Gleichzeitig wurde versucht, die Genese von möglichen Problemstellen zu verstehen. Dazu gehört zentral die Positionierung der Lehrenden im Spannungsfeld von Einzelbetreuung und Gruppenbetreuung. Hierzu konnten vier relevante Inszenierungsmuster voneinander unterschieden werden (Kranefeld et al. 2015; Kranefeld und Dücker 2013):

    1. Ausschließlicher Plenumsbezug,

    2. Sequenzieller Einzelunterricht,

    3. Ritualisierter Wechsel von Plenumsbezug und Einzelbetreuung,

    4. Aufrechterhaltung eines Beschäftigungsradius bei gleichzeitiger Einzelbetreuung.

    Charakteristisch für das jeweilige Inszenierungsmuster ist – analytisch betrachtet – die je spezifische Kombination der Ausprägung der Kriterien der Involviertheit der Kinder der Lerngruppe und der Zuwendung der Lehrkräfte zu Einzelnen:

    ■ Beim Sequenziellen Einzelunterricht (Inszenierungsmuster 2) etwa gibt es keine Involviertheit der übrigen Kinder bei intensiver Zuwendung zu einem einzelnen Schüler oder einer einzelnen Schülerin, die nacheinander allen Kinder der Gruppe zuteil wird.

    ■ Im Kontrast dazu spielt beim Inszenierungsmuster Ausschließlicher Plenumsbezug (Inszenierungsmuster 1) die individuelle Rückmeldung kaum eine Rolle. So werden Korrekturhinweise hier in der Regel nicht individuell gegeben, sondern werden an das gesamte Plenum formuliert. Als Reaktion (auch auf individuelle Schwierigkeiten) lassen die Lehrenden die Passage dann noch einmal gemeinsam spielen, ohne Einzelne besonders anzusprechen. In einigen Fällen betonen Lehrkräfte den Plenumsbezug noch dadurch, dass sie sich selbst in das Plenum – zumindest sprachlich – miteinbeziehen mit Formulierungen wie: „Worauf müssen wir bei dieser schwierigen Stelle achten?"

    Die beiden Extrempositionen von Sequenziellem Einzelunterricht und Ausschließlichem Plenumsbezug werden ergänzt durch zwei Inszenierungsmuster, die Einzel- und Gruppenbetreuung stärker verbinden, allerdings in sehr unterschiedlichen Formaten, die man als konsekutiv und integrativ bezeichnen könnte.

    Im Muster des Ritualisierten Wechsels von Plenumsbezug und Einzelbetreuung (Inszenierungsmuster 3) entsteht die Verbindung konsekutiv in der kurzfristigen Abfolge von Gruppenbetreuung und Einzelbetreuung. Auf Phasen des gemeinsamen Spiels eines musikalischen Abschnitts folgen jeweils sehr kurze Einzelspielphasen der Schülerinnen und Schüler mit der gleichen Passage, meist in derselben Reihenfolge und gegebenenfalls mit kurzer, individueller Rückmeldung des Lehrenden.

    Fachdidaktisch besonders interessant sind die Unterrichtsszenen, in denen der Beschäftigungsradius der Gruppe aufrechterhalten wird und gleichzeitig eine Einzelbetreuung stattfindet (Inszenierungsmuster 4). Den Begriff Beschäftigungsradius nutzt Jacob Kounin als Beobachtungskategorie zur „Charakterisierung des Unterrichtsaufbaus im Hinblick darauf, wie stark sich die Gruppenmitglieder an den Aktivitäten beteiligen müssen" (Kounin 2006, 120). Entsprechend den oben genannten Kategorien gilt die Zuwendung der Lehrkraft sowohl der Gruppe als auch speziell einem einzelnen Schüler und alle Gruppenmitglieder sind involviert. Während die Lehrerin oder der Lehrer sich individuell einem einzelnen Kind widmet, sollen die anderen Kinder zum Beispiel

    ■ zuhören und Töne erraten,

    ■ sich gegenseitig beobachten, um anschließend untereinander Feedback zu geben,

    ■ stumm auf dem Instrument mitspielen oder

    ■ das solistische Spiel eines einzelnen Schülers begleiten, der aktuell im Fokus der Zuwendung steht: Eine Cello-Lehrerin wendet sich z. B. jeweils nacheinander einem einzelnen Kind zu, unterstützt es bei der Bogenführung und gibt individuelle Hilfestellungen, leitet gleichzeitig die anderen dabei an, im Pizzicato das Streichen auf der leeren Saite zu begleiten (vgl. Kranefeld et al. 2015). Dies sind Beispiele für Versuche von Lehrenden, die Einzelbetreuung und die Aufmerksamkeit für die Gruppe integrativ zu verbinden.

    Bei den beschriebenen Inszenierungsmustern handelt es sich zunächst lediglich um „beobachtbare Oberflächenstrukturen" (Hugener 2008, 93) von Unterricht, die per se keine Auskunft über die Qualität des Unterrichts geben, sondern zunächst jenseits normativer Bewertung dazu dienen können, Handlungsmuster von Lehrenden systematisch zu beschreiben und zu unterscheiden.

    Diese können anschließend unter unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, etwa auch in Bezug auf Merkmale guten Unterrichts, wie sie die Unterrichtsqualitätsforschung diskutiert, etwa die Frage nach dem Anteil aktiver Lernzeit⁶ an der Unterrichtszeit: Wird etwa ein Sequenzieller Einzelunterricht konsequent und ausschließlich durchgeführt, so werden die Kinder in der Regel nacheinander „instruiert, die übrigen Kinder sind in der Zeit unbeschäftigt und es entsteht für sie die Situation, die Kounin als „untätiges Warten (Kounin 2006, 124) und Lohrmann als „ungenutzte Lernzeit (Lohrmann 2008, 97) beschrieben haben und die dort als Ursache für Störungen bzw. für Langeweile assoziiert wird. Bei einem so ausgerichteten JeKi-Unterricht wird dann die steigende Gruppengröße unweigerlich zum Problem, das Unbeschäftigtsein der Kinder wird durch die Anzahl der Einzelbetreuungsphasen vervielfacht. Gerade der Anteil aktiver Lernzeit wird aber in der empirischen Unterrichtsforschung als „wichtigste Voraussetzung für wirkungsvolles und erfolgreiches Lernen (Weinert 1996, 124) angesehen. Anders verhält es sich beim Inszenierungsmuster 4, bei dem durch die Aufrechterhaltung eines Gruppen-Fokus (Kounin 2006) ein hoher Anteil aktiver Lernzeit für alle Kinder in der Stunde entsteht.

    Keine der von uns beobachteten Lehrpersonen hat ausschließlich ein einziges Inszenierungsmuster genutzt, dennoch ließ sich bei den meisten Lehrkräften eine Bevorzugung eines dieser Inszenierungsmuster konstatieren, die bei der oben beschriebenen Überbetonung zu charakteristischen Problemstellen führen kann. Dies gilt ebenso für die konsekutive Verknüpfung von Einzelzuwendung und Plenumsphasen, wenn – wie in einem beobachteten Fall – der ritualisierte Wechsel zum bestimmenden Muster einer gesamten Unterrichtsstunde wird und die Abläufe für die Schülerinnen und Schüler somit monoton und vorhersehbar werden und damit wenig Überraschungen oder Abwechslung bieten.

    Neben dem Aspekt einer aktiven Lernzeit kann man die unterschiedlichen Inszenierungsmuster auch vor dem Hintergrund eines anderen häufig genannten Merkmals guten Unterrichts diskutieren, etwa unter dem Aspekt des angemessenen Umgangs mit Differenz. Bestimmte Formate des instrumentalen Gruppenunterrichts können ein grundsätzliches Dilemma sichtbar machen: Sobald individuelle Rückmeldungen vor dem Plenum der Gruppe (als Publikum) stattfinden, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Kinder (auch unabsichtlich) zu exponieren, insbesondere wenn sie in der musikalischen Aktivität isoliert werden, indem sie noch einmal gesondert vorspielen müssen.⁷ So könnte etwa ein Ausschließlicher Plenumsbezug wie im Inszenierungsmuster 1 dazu beitragen, kein Gruppenmitglied besonders hervorzuheben oder den anderen Gruppenmitgliedern gegenüber zu exponieren. Im integrativen Inszenierungsmuster 4 wird die Exposition,⁸ die durch die Zuwendung zum Einzelnen entstehen könnte, abgemildert, weil die anderen Kinder ebenfalls in die musikalische Aktivität involviert sind. So wird eine „Isolierung in der musikalischen Aktivität", die Kerstin Heberle und Ulrike Kranefeld (2012 b) als einen möglichen Beitrag zur Exposition von Schülerinnen und Schülern in der Gruppe identifiziert haben, vermieden: Die übrigen Kinder bleiben nicht unbeteiligte Zuschauer, sondern Akteure im gemeinsamen Spiel.

    Unterricht als Gestaltungsraum für Lehrende

    Die Rekonstruktion von Inszenierungsmustern auf der Ebene von Oberflächenstrukturen fokussiert in der Tradition der empirischen Unterrichtsforschung fast ausschließlich das Lehrerhandeln. Unterricht wird hier also durch den spezifischen Forschungszugriff als Gestaltungsraum der Lehrenden gedeutet, um ihre Inszenierungsmuster systematisch zu erfassen. Dass durch die ausschließliche Fokussierung auf die Lehrerrolle automatisch wichtige Phänomene, die sich innerhalb der Interaktion der beteiligten Akteure vollziehen, ausgeblendet werden, zeigt zum Beispiel Peter Röbkes Idealbild einer musikalischen Praxisgemeinschaft, in der Lernimpulse nicht unweigerlich nur von der Lehrkraft ausgehen: „Wissen und Können zirkulieren unter allen Beteiligten. Lehrer- und Schülerrollen bilden sich vielleicht für den Moment heraus, lösen sich auf, bilden sich wieder neu." (Röbke 2010, 49)

    Inwieweit man solche Interaktionsprozesse als wesentlichen Bestandteil der Praxis rekonstruieren kann, zeigt die folgende Perspektive.

    2. Individuell fördern

    Die hier vorgestellte zweite Perspektive auf den instrumentalen Gruppenunterricht richtet sich auf die individuelle Förderung in der Gruppensituation und die damit verbundene Frage zum Verhältnis von individueller Rückmeldung bei Fehlern und der möglichen Gefahr einer negativen Exposition. Zu bedenken ist dabei, dass der instrumentale Gruppenunterricht etwa im Vergleich zum Klassenunterricht in der allgemeinbildenden Schule wie kaum ein anderes Unterrichtssetting Leistungsdifferenzen präsent werden lässt, weil sie für alle hörbar werden (Heberle und Kranefeld 2014).

    An einer Unterrichtssequenz soll im Folgenden gezeigt werden, wie ein Lehrender versucht, die Gefahr einer Exposition zu umgehen, und wie sich die damit verbundene Aushandlung von Differenz in einem Gruppenprozess vollziehen kann. Im Gegensatz zum Vorherigen wird nun aber nicht die Oberflächenstruktur des Unterrichts betrachtet, sondern die Interaktion der beteiligten Akteure als Tiefenstruktur des Unterrichts in den Blick genommen.

    Zum Kontext der Situation

    Es handelt sich um den instrumentalen Gruppenunterricht Gitarre in einer 2. Klasse in einer Grundschule im Ruhrgebiet. Die Kinder (drei Jungen und zwei Mädchen) haben erst vor wenigen Wochen mit dem Gitarrenspiel begonnen. Zu Beginn der Stunde initiiert der Lehrer eine Übung in der Gruppe: Er

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