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Der verlorene Affe und andere Erzählungen
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eBook166 Seiten2 Stunden

Der verlorene Affe und andere Erzählungen

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Über dieses E-Book

Die Handlung dieser Sammlung satirischer Novellen spielt auf drei Kontinenten: In der Titelerzählung macht ein Privatdetektiv in der französischen Unterwelt Jagd auf einen verschwundenen Affen, der gleichzeitig ein Meisterkünstler ist; in Amerika setzt ein Unternehmer all seine Ersparnisse auf "die große Chance"; und in "Leda mit dem Schwan" terrorisiert eine weiße Frau ihre afrikanischen Zeitgenossen mit aufdringlicher Freundlichkeit, die allerdings eines Tages plötzlich umschlägt.Wie in den meisten von Scherfigs Werken steht auch hier die kompromisslose Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft ganz oben auf der Tagesordnung.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum17. Juni 2019
ISBN9788711842799
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    Buchvorschau

    Der verlorene Affe und andere Erzählungen - Hans Scherfig

    www.egmont.com

    Der verlorene Affe

    1

    Gewissenhafte Zeitungsleser erinnern sich wahrscheinlich noch an die Geschichte mit dem Affen, der aus der Isolierstation von Helsingør entführt wurde.

    Der Affe war vom Zoll zurückgehalten worden, als ein älteres schwedisches Ehepaar versuchte, das Tier in Dänemark einzuschmuggeln. Man hatte es als Säugling verkleidet, aber der kinderfreundliche Zöllner, der mit dem Kleinen scherzen wollte, sah überrascht, daß es einen grauen Backenbart und ungewöhnliche Zähne und einen erfahreneren Blick hatte, als das bei Babys üblich ist. Außerdem besaß dieses Kind einen ziemlich langen, behaarten Rollschwanz.

    Bei einer gründlicheren Untersuchung stellte man fest, daß der Säugling, der von dem Ehepaar als sein eigener ausgegeben wurde, ein Affe der Gattung Cebus capucinus – ein sogenannter Sapajus oder Kapuzineraffe – war, dessen lebhafte und gesellige Natur Dr. Grimpe so schön beschrieben hat. Nach Dr. Grimpes Meinung stehen diese Affen in geistiger Hinsicht unter den Westaffen an erster Stelle und können sich sehr wohl mit den Meerkatzen und den Pavianen der Alten Welt messen.

    Vor dem Zoll und der Polizei gab das schwedische Ehepaar zu, daß der Affe ihnen nicht gehörte. Er sei ihnen von einem Bekannten in Oslo anvertraut worden, und sie hätten sich überreden lassen, ihn in ihrem Auto mitzunehmen. Die Kinderwäsche sei keine Verkleidung, sondern ein zweckmäßiger Anzug für ein kälteempfindliches Geschöpf, das über eine weite Entfernung durch Länder mit kühlem Klima transportiert werden müßte. Sei seien unterwegs nach Frankreich, wo das Tier einer näher bezeichneten Person, die sie aber nicht persönlich kannten, übergeben werden sollte. Das Ehepaar war, was Affen betrifft, nicht sehr fachkundig, aber beide waren Tierfreunde und der Ansicht, es sei für den Affen besser, mit guten Menschen im Auto zu reisen, als allein in einer Kiste verschickt zu werden. Es sah jedoch so aus, als habe sich der Affe, obgleich er warm angezogen war, auf der Reise dennoch erkältet. Er wirkte unlustig und hatte bei seiner Ankunft in Dänemark möglicherweise leichteres Fieber.

    Wer der tatsächliche Besitzer des Affen war, ließ sich nicht ermitteln. Die Schweden gaben die Adresse einer Osloer Familie an, bei der der Kapuzineraffe vorübergehend als Gast gelebt hatte, und sie nannten auch den Namen der Person in Frankreich, die ihn in Empfang nehmen sollte. Es war ein gewisser Monsieur Ménard; hier seine Visitenkarte: Maurice Menard, Rue Beauregard 25, Paris.

    Der Name schien die Polizei nicht zu interessieren. Wäre man jedoch aufmerksamer gewesen und hätte man sich die Zeit genommen, in den Berichten nachzuschlagen, würde man festgestellt haben, daß eine Person dieses Namens im August 1952 im Hotel Bristol in Kopenhagen gewohnt hatte und daß dieser Maurice Ménard des Landes verwiesen worden war, nachdem man bei einer Leibesvisitation vier Goldbarren bei ihm gefunden hatte.

    Der Affe hieß Primus. Dies wurde den Behörden jedoch nicht mitgeteilt, was eine gewisse Nachlässigkeit bei der weiteren Behandlung der Angelegenheit erklären mag.

    Primus wurde vorläufig in der Isolierstation von Helsingør untergebracht, wo ein Tierarzt ihn betreuen sollte, und die Schweden hinterlegten willig den Betrag, den die Behörden als ausreichende Sicherheit für eine eventuelle Bestrafung des Ehepaares und für die Verpflegung des Affen ansahen, bis dessen Identität und die näheren Umstände seiner illegalen Einreise ermittelt waren.

    Hierauf durften die Schweden ihre Reise nach Süden fortsetzen. Sie versprachen, sich bei den dänischen Behörden zu melden, wenn sie drei Wochen später auf der Rückreise wieder durch Helsingør kommen würden. Man hatte auch festgestellt, daß sie weder vorbestraft noch übel beleumundet waren. Der Mann hieß Bertil Boman und war Antiquitätenhändler in Göteborg.

    Später ereignete sich das, worüber die Zeitungen berichteten und woran sich gewiß noch viele erinnern: Eine ältere, stark geschminkte Dame erschien in der Isolierstation von Helsingør und verlangte, den zurückgehaltenen Kapuzineraffen besuchen zu dürfen. Sie behauptete, eine gute Bekannte des Tieres zu sein und daß es den Internierten aufmuntern würde, wenn er eine alte Freundin sah. Die Dame erklärte, Frau Poulsen zu heißen, was sich später als unwahr erwies.

    Das Stationspersonal hegte gegen die falsche Frau Poulsen keinen Verdacht. Man gönnte dem Äffchen gern ein wenig Aufmunterung durch einen Besuch, und da die Isolierstation dem Charakter nach keine Untersuchungshaftanstalt war und der Affe keines Verbrechens beschuldigt wurde, hatte man keine Bedenken, die beiden Freunde allein zu lassen, damit sie sich ungestört unterhalten konnten. Man forderte nur, daß Primus während des Besuches nicht gefüttert werden durfte, und nahm eine kleine Tüte mit Nüssen und Rosinen, die Frau Poulsen mitgebracht hatte, in Verwahrung, bis das Einverständnis des Tierarztes vorlag.

    Die diensthabende Schwester erklärte später, der Affe habe bei Frau Poulsens Eintreten keine besondere Wiedersehensfreude gezeigt; er sei ihr gegenüber kühl und höflich zurückhaltend gewesen. Die Frau habe erklärt, der Affe friere, und sie, die Schwester, daraufhin versprochen, in seiner Nähe ein Heizgerät aufstellen zu lassen.

    Bald nachdem die Schwester gegangen war, bemächtigte sich Frau Poulsen des Kapuzineraffen und verschwand mit ihm unbeachtet vom Gelände der Isolierstation. Es ist denkbar, daß sie einen Helfer hatte, der draußen wartete, und es ist nicht auszuschließen, daß die beiden mit dem Affen in einem Auto davongefahren sind. Einige Zeugen glauben jedoch, eine Dame bemerkt zu haben, deren Aussehen auf die Beschreibung der Frau Poulsen zutraf und die mit einem blauen Kinderwagen in der Nähe der Isolierstation spazierenging.

    Später wurde eine Fahndung eingeleitet und die Beschreibung des Affen und der Dame allen Polizeirevieren zugestellt.

    Der entführte Kapuzineraffe wurde als durchschnittlich groß beschrieben, das heißt bei einem Kapuzineraffen um die fünfundvierzig Zentimeter (plus etwa fünfunddreißig Zentimeter Schwanz). Er hatte ein braunes Fell; Schläfen, Backenbart, Kehle, Bauch und Oberarme waren etwas heller als der übrige Körper. Auch der Schwanz war bis zur pinselförmigen Spitze behaart. Das Kopfhaar war dunkel und bildete gleichsam eine Art Kapuze, die in der Form denen ähnelte, die früher die Kapuzinermönche trugen. Das Gesicht hatte eine helle Fleischfarbe, und die Stirn war runzlig beziehungsweise faltig. Der Affe trug bei der Entführung eine hellblaue, wollene Strickjacke, Strickhosen von der gleichen Farbe, Windeln und Gummihöschen und eine weiße Strickmütze mit blauen Bändern.

    Das Alter der angeblichen Frau Poulsen wurde auf siebzig bis fünfundsiebzig Jahre geschätzt. Ihr Haar war hellblond gefärbt. Sie war auffällig gepudert und geschminkt, trug Ohrringe mit länglichen grünen Steinen und einen sektfarbenen Mantel mit abgewetztem Pelzbesatz. Möglicherweise führte sie einen blauen Kinderwagen mit sich.

    Hinweise zu beiden würden unter der Telefonnummer 21 14 48 oder vom nächsten Polizeirevier entgegengenommen.

    Es kamen keine Hinweise. Offenbar hatte niemand das auffällige Paar gesehen. Und niemand schien am Auffinden des Affen interessiert zu sein.

    2

    Das Merkwürdige an dieser Angelegenheit war, daß die Behörden offenbar nicht ermitteln konnten, wem der Affe gehörte. Niemand meldete irgendeine Forderung an, und niemandem schien daran gelegen, die Interessen des Verschwundenen wahrzunehmen.

    Hierin ist vielleicht auch die Erklärung für die Tatsache zu suchen, daß die Polizei keine umfangreicheren Nachforschungen anstellte, sondern den Vorfall mit einer gewissen Kaltblütigkeit hinnahm und die Zeit verstreichen ließ. Der Affe war verschwunden. Es lag keine Anzeige vor, keiner vermißte ihn, und sein Verschwinden war ordnungsgemäß bekanntgemacht worden. Was sollte man da noch unternehmen?

    Daß sich niemand zu dem verschwundenen Kapuzineraffen bekennen wollte, war um so merkwürdiger, als sich später erweisen sollte, daß Primus kein gewöhnlicher Affe war. Der Name Primus war für Kenner sowohl in Europa wie auch in Amerika ein Begriff. Sogar Literatur gab es über diesen merkwürdigen Affen. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß der Kapuzineraffe Primus weltberühmt war, bevor er entführt wurde.

    Doch man kann in der großen Welt berühmt sein, ohne in Helsingør beachtet zu werden. Die kuriose Verkleidung des Kapuzineraffen, seine Festnahme und vorübergehende Internierung in der Isolierstation sowie die mysteriöse Entführung gaben natürlich zu manchem Zeitungsartikel Anlaß. Aber weder die Zeitungen noch die Behörden ahnten, daß es sich um einen Affen handelte, der nicht nur berühmt war und bestaunt wurde, sondern wahrscheinlich auch mächtige Feinde hatte. Und es muß zur Entschuldigung der dänischen Polizei gesagt werden, daß der Name Primus überhaupt nicht erwähnt worden war. Es ist sehr gut möglich, daß die schwedischen Eheleute, die sich so leichtfertig über die geltenden Quarantäne- und veterinärpolizeilichen Bestimmungen für die Einfuhr und den Transit von Affen hinweggesetzt hatten, selbst nicht wußten, wer in Wirklichkeit in ihrem Auto mitgefahren war.

    Es gibt eine Gruppe von Menschen, die auf seltsame Art Schönheitsverehrung mit Verschlagenheit und hohes Streben mit niedrigem Neid vereinen. Dieser geistige Widerspruch ist kein modernes Phänomen und kann nicht einfach mit dem harten Konkurrenzkampf und der kommerziellen Moral der Gegenwart erklärt werden. Das ist schon seit Jahrhunderten so. Bereits in der Frührenaissance haben bildende Künstler aller Kategorien einander mit großem Eifer verleumdet und befehdet und bisweilen auch ermordet. Mit dem Stilett umgehen können gehörte zum Handwerk. Der Dolch war für den Maler ein ebenso notwendiges Werkzeug wie Pinsel und Spachtel, und Kenntnisse in der Giftmischerei waren in diesem Fach ebenso erforderlich wie das Wissen über Öle und Lacke und die harzhaltigen Mischungen, die die Farbstoffe binden und den göttlichen Bildern einen überirdischen Glanz verleihen.

    Der Maler, Kritiker und Kunstagent Vasari, der sich vor vierhundert Jahren durch ausgeklügelte Intrigen und rohe Brutalität eine Monopolstellung als meinungsbestimmender Schöngeist und Mittelsmann erkämpfte, war ein Meister, wenn es galt, seine Mitbewerber um den Markt aus dem Wege zu räumen. Sein Freund, Benvenuto Cellini, der wie durch ein Wunder zahlreiche Mordanschläge und hinterhältige Überfälle neidischer Kollegen überlebte, führte nach seiner eigenen Aussage blitzschnell Dolch und Degen, und unter den Werken, die diesem Meister zugeschrieben werden, befindet sich auch eine reich verzierte Silberkanne mit doppelter Tülle, und doppeltem Boden und einer sinnreichen Einrichtung für vergifteten Wein.

    Das junge Genie Masaccio, das der größte Maler seines Jahrhunderts zu werden drohte, wurde rechtzeitig von mißgünstigen Kameraden umgebracht. Der große Michelangelo kam mit einer gebrochenen Nase davon, die er einem Konkurrenten in der Kunst verdankte, und lebte neunundachtzig Jahre haßerfüllt und rachsüchtig und menschenfeindlich, aber stets nach dem Vollkommenen strebend.

    Als der Kapuzineraffe Primus mit eineinhalb Jahren zum erstenmal ein Stück Kreide in die Finger bekam und damit kindliche Striche auf Fußboden und Wände kritzelte, ahnte er kaum etwas von der Gefährlichkeit dieses Faches. Und als man ihm später Farbstifte gab und ihn nonfigurativ auf abgemessenen Papierbogen malen ließ, war er noch immer unschuldig unwissend, was die Intrigen des Kunstlebens und die Heimtücke der menschlichen Kollegen anging.

    Im Alter von zwei Jahren konnte Primus einen Pinsel in verschiedene Farbtöpfe tauchen und auf einer ausgespannten Leinwand fächerförmige Kompositionen hervorbringen. Mitunter benutzte er bei dieser Tätigkeit die bloßen Finger und erzielte auch so interessante Ergebnisse. Durch den Zusatz stark riechender Stoffe verhinderten seine Lehrmeister, daß der junge Affe an den schädlichen Farben leckte und sich den Magen verdarb, wie das bei anderen malenden Primaten so oft der Fall gewesen war.

    Als Beispiel für die Gefährlichkeit solchen künstlerischen Wirkens sei an den ergreifenden Bericht erinnert, den Prof. H. Hediger aus Basel im Jahre 1953 über die Erkrankung und Operation des Gorillas Achilla herausgab. Wie bekannt, hatte Achilla bei der Ausführung einer abstrakten Komposition in seinem Eifer einen Bleistift der Marke Faber Nr. 5 verschluckt. Durch eine gewagte Operation gelang es zwar, das Leben des Gorillas zu retten, doch nach seiner Genesung hatte Achilla jegliches Interesse an der Kunst verloren, und seither ist er nicht mehr zum Zeichnen oder Malen zu bewegen (H. Hediger: „Operative Fremdkörperentfernung aus dem Magen

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