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Frankenstein
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eBook299 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Die weltbekannte Geschichte eines Experiments, das aus dem Ruder läuft und Tod und Schaden anrichtet: Der junge Schweizer Viktor Frankenstein erschafft an der Universität Ingolstadt einen künstlichen Menschen. Als dieser jedoch viel hässlicher und furchteinflößender ist, als gedacht, flieht Viktor vor ihm und das Wesen entkommt. Doch es dauert nicht lange, bis der erste Todesfall in seiner Familie eintritt, und er bleibt nicht der letzte...-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum5. Okt. 2020
ISBN9788726539394
Autor

Mary Shelley

Mary Shelley (1797-1851) was an English novelist. Born the daughter of William Godwin, a novelist and anarchist philosopher, and Mary Wollstonecraft, a political philosopher and pioneering feminist, Shelley was raised and educated by Godwin following the death of Wollstonecraft shortly after her birth. In 1814, she began her relationship with Romantic poet Percy Bysshe Shelley, whom she would later marry following the death of his first wife, Harriet. In 1816, the Shelleys, joined by Mary’s stepsister Claire Clairmont, physician and writer John William Polidori, and poet Lord Byron, vacationed at the Villa Diodati near Geneva, Switzerland. They spent the unusually rainy summer writing and sharing stories and poems, and the event is now seen as a landmark moment in Romanticism. During their stay, Shelley composed her novel Frankenstein (1818), Byron continued his work on Childe Harold’s Pilgrimage (1812-1818), and Polidori wrote “The Vampyre” (1819), now recognized as the first modern vampire story to be published in English. In 1818, the Shelleys traveled to Italy, where their two young children died and Mary gave birth to Percy Florence Shelley, the only one of her children to survive into adulthood. Following Percy Bysshe Shelley’s drowning death in 1822, Mary returned to England to raise her son and establish herself as a professional writer. Over the next several decades, she wrote the historical novel Valperga (1923), the dystopian novel The Last Man (1826), and numerous other works of fiction and nonfiction. Recognized as one of the core figures of English Romanticism, Shelley is remembered as a woman whose tragic life and determined individualism enabled her to produce essential works of literature which continue to inform, shape, and inspire the horror and science fiction genres to this day.

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    Buchvorschau

    Frankenstein - Mary Shelley

    Mary Shelley

    Frankenstein

    Übersetzt

    Christian Barth

    Saga

    Frankenstein

    Übersetzt

    Christian Barth

    Coverbild/Illustration: Shutterstock

    Copyright © 1818, 2020 Mary Shelley und SAGA Egmont

    All rights reserved

    ISBN: 9788726539394

    1. Ebook-Auflage, 2020

    Format: EPUB 3.0

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

    SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

    – a part of Egmont www.egmont.com

    VORWORT

    Dr. Darwin und einige deutsche Wissenschaftler hielten das Ereignis, von dem im Folgenden berichtet wird, für möglich. Von mir kann man nicht erwarten, daß ich einem solchen Hirngespinst auch nur den geringsten Glauben schenke. Ich benützte es zwar als Grundlage meiner phantastischen Erzählung, doch wollte ich keineswegs nur eine Reihe seltsamer Schrecknisse miteinander verknüpfen. Der Begebenheit, die Interesse verdient, haften durchaus nicht die Nachteile einer gewöhnlichen Spukgeschichte an. Mag sie in physischer Hinsicht auch unmöglich sein, so bietet sie doch eine völlig neuartige Situation: Die Einbildungskraft dringt weiträumiger und tiefer in die menschlichen Leidenschaften ein als sonst bei gewöhnlichen Beziehungen zwischen tatsächlichen Geschehnissen.

    Ich habe mich bemüht, an der Wahrheit der elementaren Gesetze der menschlichen Natur festzuhalten, während ich ohne Bedenken neuartige Verwicklungen einführte. Die Ilias, die tragische Dichtung Griechenlands, Shakespeare im »Sturm« und im »Sommernachtstraum« und besonders Milton im »Verlorenen Paradies« richten sich nach dieser Regel; der simpelste Schriftsteller, der nur unterhalten will, wendet ohne Anmaßung dieselbe Regel an, nach der so viele ausgeklügelte Verwicklungen menschlichen Empfindens in den größten Dichtungen verlaufen.

    Meine Geschichte stützt sich auf Dinge, die einmal beiläufig erwähnt wurden. Ich fing sie aus Vergnügen und als ein Mittel zur Belebung brachliegender geistiger Fähigkeiten zu schreiben an. Andere Motive vermischten sich damit während der Arbeit. Wenn ich auch nicht gleichgültig gegenüber den moralischen Wirkungen bin, die durch die Empfindungen oder die Charaktere des Werks auf den Leser ausgeübt werden, so beschränkte ich mich dennoch darauf, die entnervenden Effekte der Gegenwartsromane zu vermeiden und dafür die Liebenswürdigkeit persönlicher Neigung und die Größe universaler Tugend herauszustellen. Die Ansichten, die sich natürlicherweise aus dem Charakter und der Situation des Helden ergeben, dürfen nicht als meine eigene Überzeugung betrachtet und keine Folgerung auf diesen Seiten als eine voreilige Beurteilung eines philosophischen Systems bewertet werden.

    Für mich ist es zudem reizvoll, daß die Niederschrift in jener eindrucksvollen Landschaft begonnen wurde, von der auch die Handlung ihren Ausgang nimmt, sowie in einem geselligen Kreis, den ich immer vermissen werde. Ich verbrachte den Sommer 1816 in der Umgebung Genfs. Die Jahreszeit war kühl und regnerisch; an den Abenden drängten wir uns um ein flackerndes Holzfeuer und amüsierten uns an deutschen Geistergeschichten, auf die wir zufällig gestoßen waren. Sie erregten in uns den spielerischen Wunsch, ähnliches zu erfinden. Meine zwei Freunde – aus deren Feder das Publikum weitaus bessere Erzählungen als aus meiner erwarten dürfte – und ich kamen überein, jeder von uns solle eine Geschichte um eine gespenstische Begebenheit schreiben.

    Das Wetter heiterte sich plötzlich auf; meine beiden Freunde brachen zu einer Alpenwanderung auf und vergaßen beim Anblick der großartigen Szenerie ihre Gespenstervisionen. Die folgende Erzählung wurde als einzige vollendet.

    Marlow, September 1817

    ROBERT WALTON AN FRAU SAVILLE, SEINE IN ENGLAND LEBENDE SCHWESTER:

    Erster Brief

    St. Petersburg, den 11. Dezember 17. .

    Du wirst gewiß mit Freude hören, daß sich mein Unternehmen trotz der üblen Vorzeichen bisher gut anließ. Ich traf gestern hier ein und habe nichts Eiligeres zu tun, als meiner lieben Schwester mein Wohlergehen zu versichern und ihr Vertrauen auf meinen Erfolg zu stärken.

    Von London aus gesehen, befinde ich mich bereits weit im Norden. Wenn ich durch die Straßen von St. Petersburg wandere, verspüre ich eine kalte Brise auf meinen Wangen, die meine Nerven kräftigt und mir frohen Mut verleiht. Verstehst Du diese Empfindung? Die Brise weht aus jenen Breiten, denen ich mich nähere, und vermittelt mir einen Vorgeschmack des eisigen Klimas. Meine Tagträume werden durch diesen Wind der Verheißung zu funkelnder Lebhaftigkeit ermutigt. Vergeblich suche ich mich zu überreden, der Pol sei der Ursprung des Frostes, der Trostlosigkeit. Stets bietet er sich meiner Vorstellung als ein Ort der Schönheit, der Freude an. Dort, Margret, leuchtet die Sonne ewig. Ihr gewaltiges Rad rollt am Horizont hin und verströmt einen beständigen Glanz. Dort – Du erlaubst, liebe Schwester, daß ich den mir zuvorgekommenen Seeleuten glaube – gibt es weder Schnee noch Kälte. Sind wir über das stille Meer gefahren, so werden wir an ein Land getragen, dessen wunderbare Beschaffenheit jede bisher entdeckte Gegend auf dem bewohnbaren Erdball übertrifft. Seine Erzeugnisse und seine Formen sind wie die Erscheinungen der Himmelskörper in jener unbetretenen Einsamkeit zweifellos ohne Beispiel. Was ist nicht alles zu erwarten in einem Land des ewigen Lichts? Ich könnte dort die geheimnisvolle Kraft entdecken, die den Kompaß lenkt; ich könnte tausend Himmelsbeobachtungen erklären, die nur diese Reise erfordern, um ihre scheinbaren Unregelmäßigkeiten als richtig zu erweisen. Ich werde meine brennende Neugierde mit dem Anblick eines noch unerschlossenen Teils der Welt sättigen; ich werde ein Land betreten, das noch nie die Fußspuren eines Menschen trug. Das ist mein Ansporn, der jede Angst vor Gefahr oder Tod verscheucht und mich veranlaßt, die mühselige Reise mit einer Freude zu beginnen, wie sie ein Kind empfinden muß, das mit seinen Ferienkameraden im kleinen Boot zu einer Entdeckungsfahrt längs des heimatlichen Flusses aufbricht. Aber angenommen, alle Mutmaßungen wären falsch, dann kannst Du dennoch die unschätzbare Wohltat nicht abstreiten, die ich der ganzen Menschheit bis ins letzte Glied erwiese, wenn ich eine Durchfahrt nahe dem Pol für jene Länder entdeckte, die man gegenwärtig erst nach vielen Monaten erreichen kann, oder wenn ich das Geheimnis des Magneten ermittelte, was – falls überhaupt – nur durch ein Unternehmen wie meines geschehen kann.

    Diese Überlegungen haben die Unruhe, mit der ich den Brief zu schreiben begann, zerstreut und eine himmelstürmende Begeisterung in meinem Herzen entfacht. Nichts trägt mehr dazu bei, dem Geist Ruhe zu schenken, als ein stetiges Ziel – ein Punkt, auf den die Seele ihr inneres Auge richtet. Diese Expedition war der Lieblingstraum meiner Jugend. Ich las mit heißem Eifer die Berichte über die verschiedenen Reisen, auf denen man den Nordpazifik über die den Pol umgebenden Meere erreichen wollte. Gewiß erinnerst Du Dich, daß eine Geschichte aller Forschungsreisen die ganze Bibliothek unseres guten Oheims Thomas darstellte. Meine Erziehung wurde zwar vernachlässigt, doch las ich leidenschaftlich gern. Tag und Nacht verbrachte ich über den Büchern; meine Vertrautheit mit ihnen vermehrte mein Bedauern, als ich im Kindesalter erfuhr, daß der ausdrückliche Wunsch meines Vaters meinem Qheim verbot, mir ein Seemannsleben zu gestatten.

    Derartige Visionen verblaßten, als ich zum erstenmal jene Dichter las, deren Ergüsse meine Seele in höhere Sphären entrückten. Auch ich wurde ein Dichter und lebte ein Jahr lang im Paradies meiner eigenen Schöpfung; ich träumte davon, eine Nische im Tempel, in dem die Namen Homers und Shakespeares geheiligt werden, zu erhalten. Du kennst mein Versagen zur Genüge und weißt, wie schwer ich an der Enttäuschung trug. Gerade damals erbte ich das Vermögen meines Vaters, und frühere Wünsche wurden wieder in mir wach.

    Vor sechs Jahren entschloß ich mich zu meinem gegenwärtigen Unternehmen. Die Erinnerung an die Stunde, in der ich mich dem großen Wagnis weihte, lebt noch in mir. Zunächst gewöhnte ich meinen Körper an Beschwernisse. Ich begleitete die Walfischer auf mehreren Fahrten ins Nordmeer; ich ertrug freiwillig Kälte, Hunger, Durst und den Mangel an Schlaf; ich arbeitete tagsüber härter als die Seeleute und widmete meine Nächte dem Studium der Mathematik, der Medizin und jener Zweige der Naturwissenschaft, die einem Abenteurer auf See nützlich sind. Zweimal heuerte ich als Untermaat auf einem Grönlandwalfänger an und erwarb mir einiges Ansehen. Ich gestehe, daß ich stolz war, als mir der Kapitän die zweite Stelle auf dem Schiff anbot und mich dringlich ums Bleiben ersuchte, da meine Dienste ihm wertvoll erschienen.

    Warum, liebe Margret, sollte ich mir nicht die Ausführung eines größeren Plans zumuten? Mein Leben hätte in Wohlstand und Überfluß verlaufen können; aber ich zog den Ruhm jeder Lockung vor, die der Reichtum in meinen Weg stellte. Wenn nur eine einzige bestätigende Stimme mich ermunterte! Mein Mut und mein Entschluß wanken nicht, aber meine Hoffnungen schwanken, und oft bin ich niedergedrückt. Ich will eine lange, schwierige Reise fortsetzen; unerwartete Ereignisse werden meine ganze Tapferkeit erfordern. Ich muß nicht nur die Stimmung anderer zu heben, sondern auch meine eigene zu halten suchen.

    Jetzt ist die günstigste Zeit, um in Rußland zu reisen. Die Schlitten fliegen eilig über den Schnee; so läßt sich weit gemütlicher fahren als in einer englischen Postkutsche. Die Kälte beißt nicht zu arg, wenn man – wie ich nun – in Pelze gehüllt ist. Es besteht nämlich ein großer Unterschied zwischen Herumlaufen und stundenlangem, bewegungslosem Sitzen, wenn keinerlei Tätigkeit das Blut daran hindert, in den Adern zu gefrieren. Ich beabsichtige nicht, mein Leben auf der Straße zwischen St. Petersburg und Archangelsk einzubüßen.

    Ich werde nach der letztgenannten Stadt in zwei oder drei Wochen aufbrechen. Dort will ich ein Schiff mieten – was nicht schwerfallen dürfte, wenn ich dem Eigentümer die Versicherung bezahle – und so viele mit dem Walfang vertraute Matrosen anheuern, wie ich brauche. Vor Juni werden wir nicht segeln – wann werde ich wiederkehren? Wer weiß die Antwort, liebe Schwester? Habe ich Erfolg, dann vergehen viele Monate, vielleicht Jahre, bevor wir uns wiedersehen. Mißlingt es mir, wirst Du mich bald oder nie mehr erblicken.

    Leb wohl, meine teuerste Margret! Der Himmel möge Dich segnen und mich beschützen, damit ich auch in Zukunft meinen Dank für Deine Güte und Freundlichkeit bezeugen kann.

    Herzlichst, Dein Bruder!

    Zweiter Brief

    Archangelsk, den 28. März 17 . .

    Wie träg verrinnt die Zeit in diesem Kerker aus Frost und Schnee! Dennoch – ein zweiter Schritt auf meinem Weg ist getan: Ich habe ein Schiff gemietet und sammle nun meine Matrosen. Die Männer, die ich bereits angeheuert habe, scheinen verläßlich und guten Muts zu sein.

    In mir lebt ein Wunsch, dem bisher keine Erfüllung beschieden war. Ich leide sehr darunter, Margret, daß ich keinen Freund habe. Wenn die Begeisterung über ein gelungenes Werk in mir glüht, dann gibt es niemanden, der meine Freude teilt; wenn mich die Enttäuschung niederdrückt, ist niemand da, der mich in meinem Trübsinn aufrichtet. Gewiß, ich werde meine Gedanken dem Papier anvertrauen; aber das ist eine armselige Hilfe, um Gefühle mitteilen zu können. Ich sehne mich nach der Gesellschaft eines Mannes, der wie ich empfindet, dessen Blick dem meinen antwortet. Du hältst mich für romantisch, liebe Schwester, doch mich schmerzt es einfach, keinen Freund zu besitzen. Niemand steht neben mir, dessen Sinn ruhig und mutig, dessen Geist sowohl kultiviert als auch weit gespannt, dessen Geschmack dem meinen ähnlich ist, der meine Pläne billigt oder verbessert. Ein solcher Freund könnte die Fehler Deines Bruders wettmachen! Ich handle oft übereilt und werde bei Schwierigkeiten ungeduldig. Noch schlimmer ist, daß ich Autodidakt bin, denn die ersten vierzehn Jahre meines Lebens wucherte ich wie eine Wildpflanze und las nichts außer den Reisebüchern unseres Oheims Thomas. Dann lernte ich unsere gefeierten Dichter kennen; erst als es zu spät war, Vorteile daraus zu ziehen, erkannte ich die Notwendigkeit, mehr Sprachen als nur die eigene zu beherrschen. Jetzt, im Alter von achtundzwanzig, bin ich ungebildeter als mancher fünfzehnjährige Schuljunge. Ich habe zwar mehr nachgedacht, und meine Phantasie ist ausgedehnter und glänzender, aber sie bedarf – wie ein Maler sagen würde – der Gestaltung. Ich brauche einen Freund, der so viel Verständnis hat, um mich nicht als Phantasten zu verachten, und so große Zuneigung, um die Aufgabe, meinen Geist zu formen, auf sich zu nehmen.

    Ich weiß, das sind müßige Klagen; auf dem weiten Ozean finde ich bestimmt keinen Freund, und auch hier nicht unter den Kaufleuten und Matrosen in Archangelsk. Allerdings schlägt selbst bei ihnen, unter Schlacke verborgen, manch warmes Herz. Mein Leutnant ist ein Mann, der Kühnheit und Unternehmungslust besitzt; er verzehrt sich nach dem Ruhm, oder eigentlich nach Verbesserung seines Berufs. Er ist Engländer und trotz der nationalen und standesmäßigen Vorurteile nicht durch die Zivilisation verweichlicht; er zeichnet sich durch die Neigung zu vornehmer Menschlichkeit aus. An Deck eines Walfängerschiffs lernte ich ihn kennen. Als ich ihn in dieser Stadt ohne Beschäftigung antraf, heuerte ich ihn ohne weiteres an, um meinem Vorhaben seine Unterstützung zu gewinnen.

    Auch der Steuermann zeigt einen ansprechenden Charakter. An Bord fällt seine milde Zucht auf. Dieser Umstand – zu dem seine wohlbekannte Untadeligkeit und sein unbezweifelbarer Mut kamen – ließ mich ihn anwerben. Meine einsame Jugend, meine glücklichen Jahre unter Deiner sanften Obhut, haben die Grundzüge meines Wesens so verfeinert, daß ich eine gehörige Abscheu vor der Brutalität, wie sie auf Schiffen üblich ist, nicht überwinden kann. Ich glaubte niemals, daß sie unumgänglich ist. Als ich von einem Seemann hörte, der gleicherweise wegen seiner Herzensgüte und des Respekts, den ihm seine Mannschaft erweise, gerühmt wurde, hielt ich es für günstig, mir seine Dienste zu sichern. Eine Dame, die ihm ihr Lebensglück verdankt, erzählte mir seine recht romantische Geschichte. Sie hört sich so an: Vor einigen Jahren entbrannte er in Liebe zu einer jungen Dame russischer Abkunft, die keineswegs reich war. Nachdem er durch Prisengelder ein beträchtliches Vermögen angehäuft hatte, stimmte der Vater des Mädchens der Heirat zu. Er sah seine Angebetete nur einmal vor der vereinbarten Hochzeit; sie wär von Tränen überströmt, warf sich ihm zu Füßen und flehte ihn um Gehör an. Sie gestand ihm, daß sie einen anderen liebe, der aber arm sei und den ihr Vater nie als Schwiegersohn annehmen würde. Großherzig besänftigte er sie, gab sein Werben sogleich auf und bat nur um den Namen ihres Geliebten. Das bereits erworbene Gut, auf dem er sein künftiges Leben verbringen wollte, übereignete er samt dem restlichen Prisengeld seinem Rivalen, der damit ein wohlhabender Mann wurde. Dann bat er den Vater des Mädchens, der Heirat mit ihrem Geliebten zuzustimmen. Der alte Mann weigerte sich und hielt an seiner Verpflichtung gegenüber meinem Steuermann aus Ehrengründen fest. Dieser verließ das Land und kehrte erst zurück, als er hörte, daß seine frühere Angebetete ihrer Liebe gemäß verheiratet war. »Das ist ein edler Mann!« wirst Du sagen. Du hast recht; aber er ist ungebildet und schweigsam wie ein Türke. Eine unbewußte Sorglosigkeit haftet ihm an, die sein Verhalten zwar um so erstaunlicher werden, Interesse und Zuneigung, die er sonst erwarten könnte, aber zurücktreten läßt.

    Glaube aber nicht, daß ich mich beklage oder mir einen unerreichbaren Trost für meine Mühsal ersinne, daß meine Entschlüsse schwanken. Sie stehen fest wie das Schicksal. Meine Reise ist nur aufgeschoben, bis das Wetter die Einschiffung erlaubt. Der Winter war äußerst streng, aber der Frühling beginnt hoffnungsvoll und gilt als erstaunlich vorzeitig. Vielleicht kann ich früher segeln, als ich erwartete. Ich werde nichts übereilen. Du kennst meine Vorsicht und Überlegtheit, sobald mir die Sicherheit anderer anvertraut ist.

    Ich kann Dir meine Empfindungen angesichts des nahen Beginns meines Unternehmens nicht schildern. Unmöglich vermag ich dir einen Begriff der Erregung zu vermitteln, die halb freudig, halb ängstlich ist. Unerforschtes Gebiet will ich betreten, »das Land des Nebels und des Schnees«; doch keinen Albatros töten. Sei deshalb unbesorgt, auch wenn ich zu Dir so erschöpft und elend zurückkehren sollte wie der »Alte Seemann«. Du wirst über meine Anspielung lächeln, aber ich will Dir ein Geheimnis entdecken. Oft schrieb ich meine Neigung, meine leidenschaftliche Begeisterung für die gefahrvollen Wunder des Ozeans jenem Werk des phantasievollsten der neueren Dichter zu. Etwas geht in meiner Seele vor, das mir unverständlich bleibt. Ich bin praktisch, fleißig, sorgfältig, ein Arbeiter, der mit Beharrlichkeit und Anstrengung werkt; aber daneben ist eine Liebe für das Wunderbare in all meine Pläne verflochten, die mich hinwegtreibt von den gewöhnlichen Pfaden der Menschen, hinaus auf die wilde See und in unbekannte Gebiete, die ich erforschen will.

    Doch wenden wir uns angenehmeren Gedanken zu. Wann sehe ich Dich wieder, nachdem ich die ungeheuren Meere überquert habe und um das südlichste Kap Afrikas oder Amerikas zurückgekehrt bin? Ich wage kaum auf solchen Erfolg zu hoffen; dennoch kann ich es nicht ertragen, das Gegenteil anzunehmen. Schreibe mir vorläufig bei jeder Gelegenheit. Deine Briefe sollen mich dann erreichen, wenn ich eine Aufmunterung meiner Stimmung benötige. Ich liebe Dich zärtlich. Behalte mich in freundlichem Gedächtnis, wenn Du nie mehr etwas von mir hörst.

    Herzlich, Dein Bruder.

    Dritter Brief

    Den 7. Juli 17 . .

    Liebe Schwester, in Eile ein paar Zeilen: Ich bin wohlauf, und meine Reise schreitet frisch voran. Ein Kaufmann, der von Archangelsk heimreist, soll diesen Brief nach England bringen. Er ist glücklicher als ich, denn ich sehe mein Vaterland vielleicht jahrelang nicht mehr. Doch erfüllt mich frohe Hoffnung; meine Leute besitzen Kühnheit und ernsten Willen. Selbst die treibenden Eisschollen, die ohne Unterlaß an uns vorüberziehen und die Gefahren jenes Gebiets, dem wir näher kommen, anzeigen, können sie nicht schrecken. Wir haben nun einen sehr hohen Breitengrad erreicht. Der Höhepunkt des Sommers ist überschritten; obwohl es nicht so warm ist wie in England, tragen die südlichen Stürme, die uns schnell auf jene von mir so leidenschaftlich ersehnten Küsten zutreiben, eine recht belebende Wärme zu uns her, wie ich sie nicht erwartet hätte.

    Bisher überraschten uns keine Zwischenfälle, die in einem Brief erwähnenswert wären. Eine oder zwei steife Brisen und ein Leck sind Unfälle, deren erfahrene Seeleute sich kaum erinnern; ich werde zufrieden sein, wenn uns auf der Reise nichts Schlimmeres zustößt.

    Ade, liebe Margret; sei gewiß, daß ich um meinetwillen wie um Deinetwillen mich nie unüberlegt einer Gefahr aussetzen werde. Ich werde kühl, beharrlich und vorsichtig sein.

    Aber der Erfolg soll meine Bemühungen krönen. Warum auch nicht? Ich bin weit gelangt, ich habe einen sicheren Weg über das pfadlose Meer gezogen; die Sterne selbst sind Zeugen und Beweis meines Triumphes. Warum soll ich nicht weiter vordringen auf dem ungezähmten und doch gehorsamen Element? Was kann das entschlossene Herz und den festen Willen eines Menschen zurückhalten?

    Mein übervolles Herz will sprechen. Aber ich muß aufhören. Der Himmel segne meine geliebte Schwester!

    Vierter Brief

    Den 5. August 17 ..

    Ein seltsames Ereignis ist geschehen, das ich Dir berichten muß, obwohl Du mich wahrscheinlich sehen wirst, ehe diese Blätter in Deinen Besitz gelangen.

    Letzten Montag, den 21. Juli, waren wir von Eis umgeben, das sich allseits an unser Schiff klammerte und ihm kaum Raum ließ, vorwärts zu kommen. Unsere Lage war gefährlich, zumal uns dichter Nebel einhüllte. Wir drehten bei und hofften auf eine baldige Änderung des Wetters. Gegen zwei Uhr lichtete sich der Nebel, und wir sahen ringsum weite und unregelmäßige Ebenen aus Eis, die kein Ende zu nehmen schienen. Einige meiner Gesellen murrten; ich selbst begann stutzig zu werden und ängstliche Gedanken zu hegen, als ein merkwürdiger Anblick plötzlich unsere Aufmerksamkeit auf sich zog und uns von der Sorge um die eigene Situation ablenkte. Wir sahen ein niedriges Gefährt, das auf Schlittenkufen befestigt war und von Hunden gezogen wurde, eine halbe Meile entfernt in nördlicher Richtung vorbeifahren. Ein Wesen, das die Umrisse eines Menschen hatte, aber augenscheinlich von gigantischer Statur war, saß in dem Schlitten und lenkte die Hunde. Wir beobachteten das schnelle Vorüberfliegen des Reisenden mit unseren Fernrohren, bis er in den fernen Unebenheiten des Eises verschwand.

    Unverhohlenes Staunen bemächtigte sich unser aller. Wir waren nach unserer Meinung viele hundert Meilen von jedem Land entfernt; aber diese Erscheinung schien zu bedeuten, daß es in Wirklichkeit weniger weit war, als wir vermutet hatten. Da wir von Eis umschlossen blieben, konnten wir der Spur, die wir mit größter Aufmerksamkeit betrachtet hatten, nicht folgen.

    Ungefähr zwei Stunden danach vernahmen wir das Grollen der Grundsee. Vor Mitternacht barst das Eis, und unser Schiff war frei. Wir lagen jedoch bis zum Morgen still, weil wir fürchteten, in der Dunkelheit mit den schwimmenden Ungeheuern zusammenzustoßen, die nach dem Brechen des Eises herumtrieben. Ich nützte diese Zeit, um einige Stunden auszuruhen.

    Am Morgen ging ich, sobald es hell geworden, an Deck und fand alle Seeleute auf der einen Seite des Schiffs versammelt; sie unterhielten sich anscheinend mit jemandem auf dem Meer. Tatsächlich war in der Nacht ein Schlitten, jenem gleich, den wir gestern gesehen hatten, auf einer Eisscholle auf uns zugetrieben. Nur ein Hund war am Leben geblieben, doch es befand sich ein Mensch darin, den die Matrosen gerade überredeten, auf das Schiff zu kommen. Er war nicht, wie es der andere Reisende gewesen zu sein schien, ein wilder Bewohner einer unentdeckten Insel, sondern ein Europäer. Als ich an Deck trat, sagte der Steuermann: »Da kommt unser Kapitän, der gewiß nicht zulassen wird, daß Ihr auf offener See zugrunde geht.«

    Der Fremde blickte mich an und sagte dann in englischer Sprache, allerdings mit ausländischem Akzent, zu mir: »Ehe ich den Fuß auf Ihr Schiff setze, möchte ich Sie in aller Freundlichkeit um eine Erklärung bitten, warum Sie hier sind.« Gewärtige Dir meine Verwunderung über eine derartige Frage aus dem Munde eines Mannes, der am Rande des Untergangs stand und für den meiner Überzeugung nach unser Schiff eine Zuflucht bilden mußte, die er nicht für alle Kostbarkeiten der Welt eingetauscht hätte. Ich antwortete, daß wir auf einer Forschungsreise zum Nordpol wären.

    Als er das hörte, schien er befriedigt; er willigte ein, auf das Schiff zu kommen. Mein Gott, Margret – hättest Du nur den Mann sehen können, der so auf seine Sicherheit bedacht war! Wie erstaunt wärest Du gewesen! Seine Glieder waren nahezu erfroren, und sein Leib war durch die Erschöpfung in erschreckender Weise ausgemergelt. Niemals sah ich einen Menschen in solch bejammernswertem Zustand. Wir trugen ihn in eine Kajüte; sobald er sich nicht mehr an der frischen Luft befand, fiel er in Ohnmacht. Wir brachten

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