Und der Tod lacht dazu
Von Fritjof Guntram
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Und der Tod lacht dazu - Fritjof Guntram
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1. Kapitel
Es scheint, als wäre der rätselhafte Tod einiger Mitglieder der Künstlerkolonie von Nizza nie aufgeklärt worden, wenn sich nicht zu der Zeit zufällig Peter Dixon, der junge Kunststudent aus London, dort aufgehalten hätte. Und noch heute schwört Peter darauf, daß es weniger sein kriminalistisches Talent war, das ihm half, die Sache aufzudecken, als seine kunsthistorischen Kenntnisse, die ihm gerade mit dem Abschlußdiplom der Akademie bescheinigt worden waren. Die aber, so meint er, hätten allein wohl kaum ausgereicht, um hinter die komplizierte Affäre zu kommen, und es ist auch Tatsache, daß den Ruhm hinterher ein ganz anderer einheimste. In diesem Zusammenhang sei nicht verschwiegen, daß Peter Dixon bei der Entdeckung des Mörders jener französischen Maler einen bemerkenswerten kriminalistischen Spürsinn aufwies, der es zumindest zeitweise zweifelhaft machte, ob der Beruf als Maler für ihn wirklich das richtige war. Wer ihn kennt, der weiß, daß er stets mit einer Bescheidenheit von seiner Rolle bei jenem Fall zu sprechen pflegt, die seiner wahren Bedeutung dabei gar nicht gerecht wird. Aber um dies deutlich werden zu lassen, ist es notwendig, den Fall ganz von vorn zu erzählen.
Es begann mit einem Brief. Peter Dixon hatte gerade sein Abschlußexamen in London bestanden und war zu seiner Familie aufs Land gefahren, als ihn ein Schreiben seines französischen Freundes Michel Blanchard erreichte. Michel war vor etwa einem Jahr in London gewesen und hatte ihn besucht, nachdem sie sich anläßlich eines früheren Aufenthaltes Peters auf dem Kontinent kennengelernt hatten. Dabei hatte er Peter erzählt, er habe in Nizza einen älteren Kunsthändler kennengelernt, der ihn in sein Geschäft aufnehmen wolle. Seitdem war fast ein Jahr verstrichen, ohne daß er von Michel etwas gehört hatte, und nachdem ein paar Briefe unbeantwortet geblieben waren, hatte Peter es aufgegeben, zu schreiben. Nun meldete Michel sich überraschend wieder. Das Schreiben war in Nizza aufgegeben worden und verriet immer noch dieselbe unbekümmerte Art, die Dinge zu sehen, die Michel schon seit jeher ausgezeichnet hatte.
„Mon cher Peter!
Meinen Glückwunsch zum Examen. Ich hätte nie geglaubt, daß Du es noch jemals schaffen wirst. Jetzt bin ich richtig stolz auf Dich. Trotzdem muß ich Dir mein Mißfallen darüber aussprechen, daß Du entschlossen bist, Dein Leben im englischen Nebel und Regen mit dem Anfertigen von ein paar trüben Bildern zu verbringen, denn etwas anderes wirst du bei Eurem Klima wohl kaum hinbringen. Wenn ich Dir dagegen sage, daß heute der vierundzwanzigste Tag ist, an dem hier in Nizza ununterbrochen die Sonne scheint, dann wirst Du mir folgen, wenn ich Dir den Befehl gebe, mit einem Handkoffer, Zahnbürste, Deinem alten Bentley-Sportwagen und einem Scheck Deiner allerhöchsten Herrschaften sofort zu mir zu kommen.
Im Ernst, der Grund ist natürlich ein anderer. Wie ich Dir schon früher mitteilte, kenne ich hier in Nizza einen Kunsthändler, der immer noch mit dem Gedanken spielt, mich zu seinem Teilhaber zu machen, damit ich in ein paar Jahren, wenn er sich zurückzieht, den ganzen Laden übernehmen kann. Ich habe bis heute nicht zugesagt, aber erst recht nicht abgesagt. Wahrscheinlich werde ich es einmal machen, aber für den Moment will ich mir meine Freiheit bewahren. Das versteht der alte Mollet — so heißt der Mann — durchaus, und er versucht nur, mich durch alle möglichen Attraktionen, die er mir in seinem Laden zeigt, für seinen Beruf zu begeistern. Dabei ist ihm nun gestern wirklich ein toller Fisch ins Netz gegangen. Ein alter, etwas verschrobener Notar, schleppte ihm ein verstaubtes Oelgemälde ins Haus und bat ihn, es auf seihen Wert zu prüfen. Mollet löste den Rahmen, und was entdeckt er? Die Signatur Goyas. Das Bild ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein echter Goya. Für heute hat sich Mollet einen Kollegen bestellt, der nachprüfen soll, ob das stimmt. Aber er — und übrigens auch ich — wir sind bereits fest davon überzeugt, daß das Bild echt ist. Das dürfte eine kunstgeschichtliche Sensation ersten Ranges sein, und um Dich daran teilnehmen zu lassen, habe ich Dir geschrieben. Das wäre außerdem die beste Gelegenheit für Dich, den schon länge versprochenen Besuch bei mir abzustatten. Wenn ich Dir etwas Zeit zum Packen und Abschiednehmen lasse, erwarte ich Dich in einer Woche in Nizza. Alles Weitere dann mündlich.
Gute Fahrt, bien amicalement
Michel."
P. S. Uebrigens habe ich hier ein paar Maler kennengelernt. Alles Typen, die Dir gefallen werden, wenn sie auch bis auf einen, Antoine, nichts vom Malen verstehen."
Michel.
Da es zu der Zeit, als Peter Dixon diesen Brief erhielt, draußen wirklich regnete, da andererseits die Aussicht, bei der Wiederentdeckung eines echten Goya dabeisein zu können, ihn lockte, setzte sich Peter hin und kabelte an Michel:
„Ankomme voraussichtlich Ende der Woche.
Gruß Peter."
Danach packte er seinen Koffer, überprüfte an seinem Bentley-Sportwagen Zündkerzen, Ventile, Batterie, Reifen und Bremsen, lockte seinem besorgten Familienrat einen ansehnlichen Reisescheck heraus und befand sich zwei Tage später bereits auf dem Schiff, welches den Kanal in Richtung Calais überquerte. Nachdem er sich an den auf dem Kontinent herrschenden Rechtsverkehr gewöhnt hatte, brauste er in rascher Fahrt durch den Westteil Frankreichs hinunter an die Cote d’Azur.
Genau zu dem ausgemachten Zeitpunkt hielt sein staubbedecktes, in seinem englisch-altmodischen Aeußeren leicht antiquiertes Gefährt vor der Behausung Michels in Nizza. Michel kam, durch den Motorenlärm alarmiert, herausgestürmt, und die beiden führten zur Begrüßung einen wilden Indianertanz auf offener Straße auf, der von einigen älteren Damen mißbilligend betrachtet wurde.
Nachdem sich der erste Sturm der Begeisterung gelegt hatte, führte Michel Peter ins Haus, wobei er mit großen Gesten alles erklärte.
„Voilà, mon appartement, sagte er und wies auf die altmodische Villa, „erschrick nicht, wenn dir alles sehr feudal vorkommt. So ist nur die Fassade. Die Villa steht seit Jahren leer, weil kein Mensch Lust hat, die hohe Miete zu bezahlen. Ich habe auch nur die Mansarde gemietet, die als Atelier eingerichtet ist. Gib mir deinen Koffer jetzt.
Sie stiegen die breite Freitreppe empor und betraten die große Eingangshalle. Sie war ehemals sehr vornehm eingerichtet, jetzt aber waren alle Möbel bis auf einen riesenhaften Spiegel entfernt, der vom Fußboden bis zur Decke ging.
„Mein Rasierspiegel, sagte Michiel mit eleganter Handbewegung. Sie stiegen weiter und kamen im ersten Stock durch eine weitere, etwas kleinere Halle, ebenfalls mit einem großen Spiegel. „Hier kämme ich mich, wenn mir danach zumute ist
, erklärte Michel wiederum und wies dann auf zwei helle Flecken auf der nachgedunkelten Tapete.
„Hier hing Madame, und dort Monsieur. Die Bilder wurden entfernt, als Madame in die Schweiz ging — mit dem Vermögen —, weil man Monsieur mit einer Tänzerin in Paris gesehen hatte. Jaja, so grausam ist das Leben. Michel deutete mit der Hand nach oben. „Dort ist mein Atelier.
Ueber eine schmale Wendeltreppe erreichten sie einen verhältnismäßig großen Raum mit schrägen Wänden, in welche große Glasfenster eingelassen waren.
„Hier ist mein Reich, erklärte Michel und breitete die Arme aus. „Herzlich willkommen im oberen Drittel von Nizza. Du kannst deine Sachen dort in den Schrank hängen. Daneben ist die Wasserleitung, auf dem Tisch steht der Kaffeekocher, Zigarettenasche kommt auf den Boden.
Er warf sich in einen Sessel und forderte Peter mit einer einladenden Bewegung auf, das gleiche zu tun.
Peter entdeckte sofort die Staffelei mit einem darauf stehenden, angefangenen Porträt. Es zeigte ein junges Mädchen mit langen, blonden Haaren. Auf seinen fragenden Blick hin erklärte Michel:
„Eine junge Amerikanerin. Das Original zeige ich dir später. Aber wahrscheinlich wird dich erst einmal der alte Goya interessieren."
„Ganz recht, sagte Peter, „das heißt, mich interessiert beides. Aber schieß erst einmal los, Michel.
„Der Goya, sagte Michel zerstreut und sah sich um, bis er die Wermutflasche entdeckt hatte, „ist echt. Mollet hat ein Gutachten erhalten, demzufolge das Bild tatsächlich von Franzisco Goya stammt und wahrscheinlich um das Jahr 1795 gemalt wurde. Es stellt eine Parklandschaft dar. Du weißt ja, daß Goya damals Kammermaler des spanischen Königs war. Man vermutet, daß es sich um den Park eines spanischen Schlosses handelt. Jedenfalls stellt das Bild einen ganz schönen Wert dar.
„Und der Eigentümer ist ein Notar?"
„Ja, ein Notar. Uebrigens der größte Sonderling, den man sich denken kann. Ein alter, schrulliger Junggeselle, mürrisch, unverträglich und geizig. Ich glaube, es gibt keinen Menschen hier in Nizza, der ihn näher kennt. Ich habe ihn schon oft auf der Promenade des Anglais gesehen, stets mit einer weißen Leinenjacke, abgetragenen blauen Hosen, einem Schlapphut und einem riesigen Schnauzbart. Manchmal taucht er auch in Villefranche auf, mit einer Staffelei und Leinwand und malt. Er ist ein richtiger Sonntagsmaler, malt furchtbar altmodisch, sehr seelenvoll. Man lächelt über ihn. Aber er besitzt eines der schönsten Häuser von Nizza."
„Und einen echten Goya."
„Er sagte Mollet, er habe eines Tages in seinem Dachboden Ordnung gemacht. Dabei fiel ihm das Bild auf, das mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Er nahm es herunter, säuberte es, und weil es ihm gefiel, schleppte er es zu Mollet, damit dieser ihm mitteilte, was es wert sei."
„Vermutlich hängt es jetzt in seiner Eingangshalle und ist sein ganzer Stolz", meinte Peter.
„Nein, überraschenderweise nicht. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich von Mollet erfuhr, er sei beauftragt, das Bild zu verkaufen."
„Verkaufen?" entfuhr es ungläubig Peter.
„An einen Amerikaner, erklärte Michel. „Deswegen hat Mollet dem Notar versprochen, keinem Menschen weiter von seiner Entdeckung zu berichten. Nach einem in Frankreich gültigen Gesetz ist nämlich der Verkauf von alten Kunstwerken ins Ausland so ohne weiteres nicht gestattet. Außerdem will der Notar nicht, daß die Sache bekannt wird. Deswegen soll Mollet das Bild unter der Hand an einen Amerikaner verkaufen, und ich Unglücklicher bin dazu ausersehen, die Verbindung mit dem Amerikaner herzustellen.
„Gegen eine Provision?" mutmaßte Peter Dixon anzüglich.
Michel spreizte die Finger der rechten Hand und hob die Schultern. „Nichts geht umsonst auf dieser Welt. Aber sei beruhigt, ich bin nicht sehr teuer. Und da ich das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden weiß, habe ich mich an die Tochter des von uns ausersehenen Amerikaners herangemacht. Du siehst sie dort im Bilde auf der Staffelei."
Peter erhob sich und trat vor die Staffelei. Nachdenklich musterte er den Mädchenkopf. Das Bild war gespachtelt. In der Regel werden die Konturen dadurch härter als bei einem gemalten Bild, hier aber schien gerade das Gegenteil der Fall zu sein.
„Sie scheint sehr hübsch zu sein", erklärte Peter.
„Was heißt ‚scheint‘, begehrte Michel auf. „Sie ist es. Das Bild trifft sie gar nicht richtig. In Wirklichkeit ist sie viel hübscher. Aber warte nur ab, bis du sie kennenlernst. Sie heißt Diana Hamilton, und ihr Papa ist ein ganz reicher Bursche.
„Doch nicht etwa der Papier-Hamilton?" mutmaßte Peter überrascht.
„Ganz recht, der ist es: Hamilton-Papierfabriken, Hamilton-Zellulose, Hamilton-Sägewerke — ein Begriff in fünf Kontinenten. Der kann sein Geld überhaupt nicht zählen."
„Und den kennst du?" verwunderte sich Peter aufs neue.
„Nein, aber ich möchte ihn kennenlernen. Komm, setz dich noch einmal. Die Geschichte ist interessant. Ich schrieb dir doch, daß ich hier ein paar Maler näher kennengelernt habe. Es sind insgesamt vier Burschen, Franzosen. Sie haben sich alle vier klingende Namen zugelegt. Basse-le-Bas ist der älteste. Etwa vierzig Jahre, Vollbart wie ich, schwarzes Haar, klein, wendig. Kann alles, nur nicht malen. Der nächste heißt Claude-le-Petit, malt und dichtet, letzteres besser als das erste. Trägt die Haare extrem lang und ist Kettenraucher. Dann kommt Antoine, meiner Ansicht nach ein erstklassiger Maler. Er wird auch der intelligenteste von den vieren sein. Ein hageres, ausdrucksvolles Gesicht, straffe Bewegungen. Er war früher Offizier, noch früher Schauspieler. Ein Gespräch mit ihm ist das Interessanteste, was ich mir vorstellen kann. Nur schade, daß er kaum ein Bild verkauft. Der letzte ist Rhodendron, der jüngste in der Gruppe. Mitte Zwanzig, typischer Beau. Kleiner, eleganter Bart, geht immer hervorragend gekleidet in weißen Anzügen, hat von Haus aus etwas Vermögen. Rhodendron war es, der Diana Hamilton am Strand aufgetrieben hat. Sie war begeistert, einen richtigen französischen Maler kennengelernt zu haben. Er bat sie, sich portraitieren zu lassen. Nun, sie sagte zu und kam in das große Atelier der vier. Jetzt wird sie nicht nur von Rhodendron gemalt, sondern auch von Claude-le-Petit und Basse-le-Bas. Und von mir."
„Was sagt ihr Vater dazu?" wollte Peter wissen.
„Der weiß es nicht. Gott sei Dank. Denn sie hat Rhodendron ernsthaft versichert, wenn ihr Vater erfährt, daß er sie malt, bringt er ihn um."
„So wild?" lachte Peter.
„Ihr Vater soll ein richtiger Selfmademan aus dem wilden Westen sein, erklärte Michel. „Wir taten der Kleinen selbstverständlich den Gefallen und nahmen ihre Warnung ernst. Rhodendron allerdings hat die Absicht, sein Bild dem Vater zuzuschicken. Vielleicht bezahlt er etwas dafür.
Er sah auf seine Uhr. „Uebrigens bin ich mit Rhodendron verabredet, das heißt, ich sagte, ich käme eventuell vorbei. Hast du Lust, mitzukommen? Wenn wir uns etwas beeilen, dann treffen wir Diana Hamilton noch."
Selbstverständlich hatte Peter Dixon bei dieser Aussicht Lust, und die beiden Freunde machten sich auf den Weg. Das Atelier der vier Maler lag unweit der Behausung Michels in der Nähe des Strandes. Es befand sich im obersten Geschoß eines geräumigen Wohnhauses.
„Die anderen sind heute am Strand und arbeiten, das heißt, sie werden in der Sonne liegen, sagte Michel aufgeräumt. „Außer Rhodendron und Diana Hamilton wird niemand zu Hause sein.
Sie stiegen die