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Triumph der Lüge - Schweden-Krimi
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eBook273 Seiten3 Stunden

Triumph der Lüge - Schweden-Krimi

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Über dieses E-Book

Ein spannender Fall, der in geheimen Agentenkreisen spielt: Der Stockholmer Polizist Jörgen Blom wird seit seinem Einsatz in der russischen Botschaft in Stockholm von der Sicherheitspolizei überwacht, da man ihn verdächtigt, ein Doppel-Agent zu sein. Um vor der Topagentin des Mossad gut dazustehen, spielt Blom das Spiel mit, doch dann wird plötzlich gefährlich für ihn: Es geschieht ein Mord, der wohl eigentlich Blom galt...-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum9. März 2020
ISBN9788726444919
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    Buchvorschau

    Triumph der Lüge - Schweden-Krimi - Ralph Herrmanns

    www.egmont.com

    Die Hauptpersonen

    Richte dir Wegzeichen auf, setze dir Steinmale und richte deinen Sinn auf die Straße, auf der du gezogen bist!

    Kehr zurück . . . kehr zurück zu diesen deinen Städten!

    Jeremia 31,

    Auf die beste Art und Weise wird man hereingelegt, wenn man fest daran glaubt, daß man alle anderen überlistet.

    I

    Die erste Meldung an die Zentrale der Küstenwache auf Muskö gab er von Lyckovägen in Bromma aus durch. Es war 4 Uhr 42. Er schrieb die Uhrzeit mehrmals an den Rand der Seekarte. 4 Uhr 42 am Tag vor Mittsommer – seine Frau und seine Tochter schliefen noch. Es dauerte minutenlang, bis auf Muskö jemand den Hörer abhob, vielleicht schlief man dort auch noch.

    «Ich rufe von Sandhamn aus an», erklärte Misha. «Mein Name ist Per Olof Holmström, Oberstleutnant Holmström. Ich glaube, ich habe ein U-Boot gesehen vor . . . vor zweiundzwanzig Minuten. Ich kam von Grönskär. Irgend etwas bewegte sich im Wasser, etwa 250 Meter ostwärts von mir, mit schnellerer Fahrt, als ich sie drauf hatte. Ich würde schätzen, daß es sich mit acht Knoten Geschwindigkeit bewegte. Kurs Ostnordost.»

    «Beschreiben Sie bitte, was Sie gesehen haben. Ein Periskop? Eine Funkantenne?»

    Er war vorbereitet und wußte, was er antworten mußte, um ernst genommen zu werden. Er brauchte nur die Druckwelle eines U-Bootes zu beschreiben.

    «Keins von beiden. Was ich gesehen habe, erinnerte mich an einen Buckel auf dem Wasser. Ein Buckel, der sich schneller bewegte als mein Ruderboot.»

    «Darf ich wiederholen?» fragte die Zentrale der Küstenwache. «Zeit ungefähr 4 Uhr 20, zwischen Grönskär und Sandhamn mit Kurs Nordost. Vielen Dank für den Anruf.»

    Er wußte, was aus seiner Meldung wurde – sie war bereits per Telex unterwegs an den Militärbefehlshaber in Strängnäs. Sie würde vielen Menschen das Mittsommerwochenende verderben, auch weil er vorhatte, einige Stunden später Meldungen über Beobachtungen an anderen Plätzen durchzugeben. Misha hatte in der Seekarte markiert, wo das U-Boot als nächstes und danach in schöner Reihenfolge entdeckt werden sollte, so daß man schließlich auf der Basis der Orte und der angenommenen Geschwindigkeit einen Pfeil zeichnen konnte, der genau auf den Schärengarten von Söderarm wies.

    Er wußte auch, wie die Schweden auf dieses Telefongespräch reagieren würden. Es gab einen Offizier, der Holmström hieß und ein Sommerhaus auf Sandhamn hatte. Das Marinepersonal war erfahren in der Auswertung von Hinweisen auf U-Boote, die aus der Bevölkerung kamen. Was am wahrscheinlichsten erschien, zum Beispiel eine Tonne, die sich aufrecht auf der Wasseroberfläche bewegte – der Turm eines U-Boots –, führte seltener zu irgendwelchen Maßnahmen, als man sich im allgemeinen vorstellte. Aber die genaue Beschreibung einer ungewöhnlichen Erscheinung – eines Buckels auf dem Wasser – würde mindestens einen Hubschrauber der Division in Berga in die Luft bringen.

    Sie waren eingeladen worden, beim Aufstellen der Mittsommerstange auf der Wiese vor dem Bull-August-Hof auf Arholma dabeizusein. Das Wetter war sagenhaft. Jeder sagte zu jedem, daß man von dieser Mittsommerfeier noch nach Jahrzehnten sprechen würde. Die Frauen und die Kinder hatten im Wäldchen Blumen für ihre Kränze gepflückt: Wiesenkerbel, Margereten, Vergißmeinnicht, Körner-Steinbrech, Sauerampfer, Gemeiner Hornklee, Waldstorchschnabel . . .

    Misha hatte sich an die Polizei in Norrtälje gewandt, diesmal um mitzuteilen, daß er einen fremden beweglichen Gegenstand entdeckt hätte, der sich auf dem Weg nach Norden befand. Mit seinem Transistorradio hörte er sich nun alle Nachrichtensendungen an. Noch hatte der Rundfunk nichts über einen U-Boot-Alarm gebracht, obwohl er seit dem Telefonat am frühen Morgen mit Muskö drei Beobachtungen gemeldet hatte. Das machte ihn unsicher, das paßte nicht in seinen Plan. Er wollte die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf den nördlichen Skärgård lenken, aber offenbar wurde der Nachrichtenfluß vom Oberbefehlshaber zensiert. Immerhin mußten inzwischen Hunderte von Stockholmer Freizeitseglern auf die Aktivitäten der Marine aufmerksam geworden sein. Aber vielleicht zuckten die nur mit den Schultern und stellten mit typisch schwedischer Wochenendlaune fest: Was geht mich das an?!

    Die schwedische Küstenverteidigung hatte Anfang Juni ihr größtes Manöver seit zwölf Jahren durchgeführt. Die Bezirksverwaltung hatte die Gewässer im nördlichen Skärgård vor Stockholm für die Allgemeinheit gesperrt, und weder Misha noch seinen Mitarbeitern war es gelungen, in die Nähe des Manövergebiets zu gelangen. Ihm war der Zweck einer der wichtigsten Übungen bekannt gewesen: das Probeschießen vom Land aus mit den neuen Seezielrobotern von Saab und Bofors. Moskau hätte die Schießprotokolle gern gelesen, aber Misha war es nicht gelungen, sie in die Hand zu bekommen. Das Mißgeschick mit dem Robot 15 hatte ihn zu dem Plan angeregt, den er jetzt anlaufen ließ: An diesem Mittsommerwochenende sollten die «unsichtbaren Illegalen» des KGB aus Stockholm und Umgebung die Invasion im strategisch wichtigen Skärgård üben. Er hatte die Schweden zum Mitspielen provoziert – das Militär würde in dem Manöver die Rolle des Feindes übernehmen.

    Misha diskutierte mit dem Verleger, der Gastgeber dieses Mittsommerfestes war, über die Spielpläne von Dramaten und die des Fernsehspiels mit der hübschen mexikanischen Frau des amerikanischen Kulturattachés, über Frida Kahlo und mit allen anderen über die bevorstehenden Wahlen. Er fand es komisch, daß die eigentlichen Bewohner des Skärgård , wenn sie ihre politische Meinung sagten, sich eher für die Gemäßigten aussprachen, während die Leute, die hier nur im Sommer wohnten, mit Jakob Ceder und seiner Partei sympathisierten. Nachdem alle nach der Melodie Kleine Frösche um die Mittsommerstange getanzt hatten, erledigte er zwei Telefongespräche vom Mickey-Mouse-Apparat des Gastgebers aus. Der Polizei in Norrtälje meldete er ein U-Boot-Periskop westlich von Stora Kålskär, den Nachrichtenredaktionen in Radio und Fernsehen erzählte er von der Suche nach U-Booten im Stockholmer Skärgård , die schon den ganzen Tag über andauerten.

    Um achtzehn Uhr wurde ein Presseoffizier des Verteidigungsstabes im «Tagesecho» interviewt. Er bestätigte, daß sich wahrscheinlich ein oder mehrere fremde U-Boote im nördlichen Stockholmer Skärgård aufhielten, mußte aber zugeben, daß keine der Einheiten, die an der Suche beteiligt waren, bisher direkten Kontakt bekommen hatten. Die Mitteilungen, die von der Bevölkerung im Laufe des Tages telefonisch durchgegeben worden waren, hatten allerdings solche Qualität, daß der Verteidigungsstab die Suche wahrscheinlich innerhalb der nächsten Stunden intensivieren würde.

    «Im Klartext heißt das, das gesamte schwedische Militär ist unterwegs und tanzt um die Mittsommerstangen», bemerkte der Verleger trocken. «Und es dauert einige Tage, bis alle wieder nüchtern sind und mit der Jagd auf die Russen beginnen können.»

    Der KGB-Offizier, der die U-Boote am Morgen erfunden hatte, war geneigt, ihm zuzustimmen, äußerte statt dessen jedoch eine andere Meinung.

    «Die strengen sich bestimmt an und tun ihr Bestes», sagte Misha herablassend. «Aber das Ganze ist so sinnlos. Ich meine, wozu hat Schweden überhaupt Streitkräfte? Wir können uns ja doch nicht verteidigen! Die Russen überrennen uns innerhalb von Stunden. Wir finden ja nicht mal in Friedenszeiten deren U-Boote.»

    Innerlich mußte er lachen, als alle anderen ihm so eifrig zustimmten. In den Kreisen, in denen er verkehrte, unter den sogenannten Kulturschaffenden, gab es niemanden, der mit ihm zu diskutieren wagte, das war nicht ratsam zu einer Zeit, in der alle anständigen Menschen für die Abrüstung waren. Eigentlich erledigte er die Arbeit des Kollegen Eugen Radek: er verbreitete Desinformation, statt Sabotageakte zu planen. Deshalb die falschen Angaben über ein U-Boot, das es nicht gab. Da die Suche nach etwas, das nicht existierte, zu keinem Ergebnis führen konnte, schwächte er das Vertrauen der Schweden in ihre Küstenverteidigung.

    In der Frühe des Mittsommertages führte er sein letztes Telefongespräch mit der Zentrale der Küstenwache und lenkte damit das fremde U-Boot direkt auf Söderarm zu. Auch diese Meldung ging unmittelbar an die Nachrichtenredaktion des Rundfunks, der jetzt seine musikalische Unterhaltung alle zwanzig Minuten unterbrach, um U-Boot-Meldungen zu bringen.

    Diejenigen, die in den Gewässern zwischen Blidö und Björkö sowie zwischen dem Festland und RöderSkärgård en vor Anker gegangen waren, stellten fest, daß sie sich in gefährlichen Gewässern befanden. Viele warfen die Leinen los und nahmen Kurs auf Söderarm, äußerlich nicht viel mehr als ein Felseneiland mit einem Leuchtturm. Nur wenige wußten, daß sich in den Felsen hineingesprengt eine Feuerleitzentrale für den nördlichen Stockholmer Skärgård befand.

    Südlich von der Insel mit dem Leuchtturm zwischen den unzähligen Felsen und Schären lagen Boote mit KGB-Offizieren an Bord. Die meisten der knapp sechzig Männer, die zum Manöver über Mittsommer einberufen worden waren, kannten diesen Teil des Skärgård wie ihre Hosentasche. Hier hatten sie viele Male vorher Verteidigungsanlagen beobachtet, manchmal als Fischer, manchmal als Freizeitsegler getarnt. Im großen und ganzen kannte der Sowjetische Geheimdienst, Komitet Gosudarstvennoj Bezopasnosti, Söderarms Skärgård genau. Die Fluglinie von Moskau nach Stockholm führte exakt über den Leuchtturm, die Satellitenüberwachung hatte den Eingang zur Feuerleitzentrale und die vermuteten Feuerstellungen auf Tyvskär und den anderen Felseninseln markiert. Aus schwedischen Segler- und Motorbootzeitschriften hatte der KGB Unterlagen für den Angriff mit Jagdflugzeugen im Tiefflug zusammengestellt. Aber in keinem Land mit moderner Verteidigung gab sich der KGB irgendwann mit dem Informationsstand zufrieden. Was Monate vorher stimmte, konnte sich jetzt bereits als nicht mehr aktuell erweisen. Die Schweden gliederten ihre Küstenbewachung ständig um: neue Feuerstellungen oder Radarstationen, ein neues Leitsystem für Fahrrinnen, neue Minenfelder.

    Die Hubschrauber der Marine waren wie die Leithammel – ihnen folgten Scharen neugieriger Freizeitsegler. Am Sonntag befanden sich bereits über tausend Boote in Söderarms Skärgård . Die militärische Führung überlegte, das Gebiet abzusperren, aber der Oberbefehlshaber hatte sich dagegen ausgesprochen. Das sei sinnlos, weil man noch keinen Waffeneinsatz gegen das fremde U-Boot plante, sondern es nur lokalisieren und identifizieren wollte. Unter diesen Umständen würde man nur ohne Not ein unfreundliches Klima gegenüber den Verteidigungskräften provozieren. Warum nicht statt dessen die Gelegenheit wahrnehmen und einen Teil dessen vorzeigen, wofür die Schweden Steuern zu bezahlen hatten?

    Zwei Torpedoboote wurden von Hårsfjärden aus in Richtung Norden in Marsch gesetzt. Das waren die schnellsten im Skärgård stationierten Schiffe, und sie imponierten mit ihren Bugwellen. Einheiten der Küstenjäger wurden mit Helikoptern hinausgeflogen, gruben sich ein und gingen in Stellung. Hubschrauber flogen den ganzen Söderarms Skärgård ab, draußen vor den Schären liefen die Torpedoboote und in den Schären Patrouillenfahrzeuge. Reservisten aus dem Skärgård mit MOB-Verwendung in der Feuerleitzentrale wurden diskret über Telefon mobilisiert und kamen mit eigenen Booten nach Söderarm. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis das fremde U-Boot gesichtet war.

    Die KGB-Männer im Skärgård -Manöver beobachteten alles genau wie die Freizeitsegler. Aber sie richteten ihr Augenmerk nicht auf die großen und spektakulären Bewegungen in der Luft und auf dem Wasser, sondern visierten mit ihren Ferngläsern die Schären und Inseln an. Sie entdeckten Radarantennen, die aus den Felsen hochkamen, Kanonenrohre, die enttarnt und gerichtet wurden, Luken, die geöffnet wurden, und wie bestimmte Batterien bemannt wurden. Mit Hilfe eines U-BootPhantoms konnten sie sich ein gutes Bild von der aktuellen Verteidigung im nördlichen Stockholmer Skärgård machen. Drei Tage später berichtete Misha nach Moskau.

    II

    An dem Montag im September, an dem endgültig klar war, daß der Generalsekretär der UNO, Jakob Ceder, wieder schwedischer Staatsminister geworden war, ging Jörgen Blom in Pension. Diejenigen, die seine politischen Ansichten und seine Meinung über Ceder kannten, sahen einen Zusammenhang, den es nicht gab. Blom hatte das Büro B, den schwedischen Geheimdienst, schon im Juni um seine Entlassung gebeten, aber bereits im Mai hatte er von dem siegessicheren Generalsekretär einen hohen Posten in der zukünftigen sozialdemokratischen Regierung zugesagt bekommen. Blom hatte mit den Schultern gezuckt; Ceder war für voreilige Versprechen bekannt, die dann doch erst eingelöst wurden, wenn die Partei ihre Zustimmung gegeben hatte. Ceder war auch als geschwätziger Kritiker des schwedischen Geheimdienstes und der Spionageabwehr bekannt. Vielleicht fühlte er sich Blom in gewisser Weise zu Dank verpflichtet, denn der hatte ihm in Jerusalem das Leben gerettet und dabei seine eigene Karriere aufs Spiel gesetzt.

    Blom wußte, daß er für rücksichtslos und eigenmächtig gehalten wurde, er hatte sich oft über die Anweisungen der Planungsabteilung hinweggesetzt, und er hatte sowohl mit Mossad, dem israelischen Geheimdienst, als auch mit der Spionageabwehr des FBI zusammengearbeitet. So verhielt sich kein schwedischer Geheimdienstmann. Bloms Chef begann in ihm ein Sicherheitsrisiko zu sehen, einen Beamten, der sich weigerte, Anweisungen der Regierung zu befolgen und statt dessen selbständig handelte. So etwas durfte es in Schweden nicht geben, einem Land, in dem die Tätigkeit des Sicherheitsdienstes durch Kapitel achtzehn und neunzehn des Strafgesetzbuches geregelt ist und in dem das Personal des Geheimdienstes wie eine Hebamme arbeitet: nicht mit Kraft, sondern mit Geschicklichkeit. Nur Jörgen Blom hatte The Swedish Way verlassen.

    Blom hatte sich achtundvierzigjährig vorzeitig pensionieren lassen, bevor man ihn zu einer anderen Aufgabe überreden konnte, zum Beispiel in einer der offenen Abteilungen in der Reichspolizeileitung. Nun würde die Sicherheitspolizei ihn wahrscheinlich gelegentlich beobachten und alle Ausländer, mit denen er in Kontakt war, genau durchleuchten. Er hoffte, daß Sven Åke Hjälmroth weibliche Überwacher auf ihn ansetzen würde. Im siebten Stock des Polizeihauses auf Kungsholmen gab es einen Flur, auf dem hinter jeder Tür Frauen saßen, Reeperbahn wurde der genannt. Die Königin der Reeperbahn hieß Monika Hasselgren, war 38 Jahre alt, blond, schlank, ging gern tanzen. Auf dem Parkett verschwieg sie ihren Partnern allerdings ihren Beruf.

    Blom hatte die Schule nach der mittleren Reife verlassen und war Matrose auf der Sunnanland geworden, wo er im Maschinenraum arbeitete. In Alexandria hatte er sich zwei Propeller auf das Gesäß tätowieren lassen. Er hängte die Seefahrt an den Nagel, wurde Taucher in einem Bergungsunternehmen und im Laufe der Zeit Ombudsmann im Stockholmer Jugendverband der bürgerlichen Partei. Nach einer Wehrübung 1964 auf Järvafältet hatte er eine Anstellung im Büro B bekommen. Sowjetische Froschmänner hatten mit Übungen in der schwedischen Küstenregion begonnen und GRU, der Geheimdienst des russischen Militärs, bildete Sabotageeinheiten auf der schwedischen Seite der Zwölfmeilenzone aus, kontrollierte die Minenfelder im Skärgård und übte Landungsunternehmen mit kleinen Verbänden. Gleichzeitig arbeitete der KGB, der staatliche Geheimdienst der Sowjets, in Schweden. Jörgen Blom wurde beauftragt, eine Bestandsaufnahme aller dieser Aktivitäten anzufertigen. Häufig übte der KGB zielstrebigen, raffinierten und unmenschlichen Druck auf Leute aus, die von den Geheimdiensten als wertvoll eingestuft waren. Seit 1979 wurde diese Arbeit von Eugen Radek geleitet, der Kulturattaché an der sowjetischen Botschaft in Marieberg war. Radek und andere KGB-Offiziere vermieden den Kontakt zu den linken Gruppen in Schweden. Statt dessen suchten sie sich ihre Objekte unter den gelangweilten Bürgern in der Verwaltung, im Verteidigungsbereich, in der Industrie, bei Pfingst- oder Baptistengemeinden.

    Bloms Aufgabe im Büro B war es gewesen, ein weiteres Vorgehen zu verhindern und zum Gegenangriff überzugehen. Seine Erfolge waren als streng geheim eingestuft worden und die Ergebnisse, unter anderem zwei Morde, waren von geringem Nutzen bei der Suche nach einer neuen Arbeit. In fast allen anderen Berufen hätte Blom durch freundschaftliche Beziehungen innerhalb der Branche bald eine neue Anstellung gefunden – die meisten Jobs werden über solche Verbindungen besetzt. Blom mußte allerdings feststellen, daß er keine Freunde hatte, lediglich frühere Kollegen. Dafür machte er den Beruf verantwortlich: seit er im Büro B angestellt worden war, hatte er nie mit jemandem über seine Arbeit sprechen können, wie es sonst vorkommt, wenn Männer sich in ihrer Freizeit treffen. Und bei Treffen mit Frauen, in der Absicht, mit ihnen ins Bett zu gehen, lassen sie die Frauen erzählen.

    Blom kannte viele Frauen. Des öfteren machte er sich Hoffnungen, die er dann selbst wieder zerstörte. Er glaubte nicht, daß auch nur eine einzige seinen eigentlichen Berufgeahnt hatte. Seine Anstellung als Bürochef bei der Einwanderungsbehörde gab ihm durch ihre absolute Langeweile einen effektiven Schutz.

    Blom wußte, daß er eine Art emotionales Motel war, wo Frauen eher zufällig eine oder zwei Nächte verbrachten. Damit hatte er sich beinahe abgefunden, als die Jakob-Ceder-Affäre ihn zwang, mit einem der Operationschefs des israelischen Geheimdienstes zusammenzuarbeiten, mit Tamara Amram. Einige Monate danach trafen die Israelin und er sich wieder, diesmal in New York anläßlich der vom Generalsekretär Jakob Ceder einberufenen Konferenz über den internationalen Terrorismus. Wieder arbeiteten sie zusammen, Tamara hatte ihm geholfen, einen Terroranschlag auf Zigtausende von Menschen zu verhindern. Während dieser Aktion war ihr Verhältnis zueinander enger geworden. Beide wünschten sich eine gemeinsame Zukunft, auch wenn keiner von ihnen sich vorstellen konnte, wie das zu bewerkstelligen war.

    Tamara begann über Möglichkeiten zu spekulieren, Blom für den israelischen Geheimdienst anzuwerben. Blom ahnte ihre Absicht, die ihm nicht völlig abwegig erschien. Natürlich war so etwas in Schweden rechtswidrig, aber Moral und Recht waren auch früher schon auf Kollisionskurs gegangen. Ein erfahrener schwedischer Geheimdienstmann mit direktem Kontakt zu einem leitenden Mitarbeiter von Mossad würde einen verstärkten Nachrichtenfluß für Schweden bedeuten. Israel war gezwungen worden, sowohl den KGB als auch den GRU zu unterwandern, denn die Russen rüsteten seine Gegner in der arabischen Welt aus. Aber nach der Wahl des neuen Staatsministers war es mit einem Austausch von Informationen vorerst vorbei – Ceder war kein Freund Israels. Blom konnte sich vorstellen, daß Jakob Ceder die Informationen der Israelis an die PLO weitergab und damit direkt nach Moskau, nur um seine Neutralität zu beweisen.

    Jörgen legte Bull Frog Blues mit Muggsy Spanier auf den Plattenteller und dachte über seine Zukunft nach. Wirtschaftlich war er abgesichert, dafür sorgten die Steuerzahler. Wer behauptete denn, daß man arbeiten mußte, um zufrieden zu sein? Es gab vieles, zu dem er früher nie gekommen war. Hinausfahren zu Thore Jederby und sich dessen Jazz-Memoiren aus dem Stockholm der dreißiger Jahre anhören. Die SchallplattenAntiquariate rund ums Rathaus und auf Folkungagatan durchstöbern. Einen Jugendtraum verwirklichen, nämlich auf dem roten Samtsofa vor der Liljeforskulisse im Biologischen Museum eine hübsche Besucherin verführen. Oder sollte er, wie etliche Kollegen der CIA, seine Erinnerungen schreiben: «JÖRGEN BLOM – SPION»? Der eine oder andere würde dann in die nächste Buchhandlung laufen, vor lauter Angst, darin nicht erwähnt worden zu sein.

    Er ging in seine Kleiderkammer und packte die schmutzige Wäsche in ein Laken. Als er aus der Waschküche heraufkam, klingelte das Telefon.

    «Blom», meldete sich Jörgen Blom.

    «Shalom, Jorgen!» sagte Tamara.

    Jörgen war nicht sehr gesprächig. Tamara wußte, wie mißtrauisch er war, er war überzeugt, daß alle Telefone in Israel abgehört wurden. Das war natürlich Unsinn. Nicht alle – ihres jedenfalls nicht.

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