Selbsthilfe für inklusive Schulen: Praxisbewährte Lösungen
Von Saskia Erbring
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Spickzettel für Lehrer Systemische Beratung für eine inklusivere Gesellschaft Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Selbsthilfe für inklusive Schulen - Saskia Erbring
https://dl.kohlhammer.de/978-3-17-039270-0.
1 Einleitung
1.1 Salutogenese in der inklusiven Schulentwicklung
In zunehmendem Maße werden in Schulen die am Inklusionsparadigma orientierten Vorgaben der Vereinten Nationen implementiert. Grundsätzlich setzt sich eine an Inklusion orientierte Schulentwicklung mit Heterogenität auseinander und zielt auf das Erkennen und Überwinden ausgrenzender und marginalisierender Praktiken und Strukturen ab (Sturm 2013; Werning 2014).
Die in der UN Konvention geforderten Standards wurden deutschlandweit bisher nicht erreicht. So konstatiert das Institut für Menschenrechte acht Jahre nach Ratifizierung der Konvention auf der Umsetzungsebene in Deutschland erhebliche Mängel und »eine ernüchternde Stagnation« (Aichele & Kroworsch 2017, 3). Es sei den Bundesländern nicht gelungen, ein inklusives Schulsystem zu etablieren, so dass Deutschland als Vertragsstaat der UN-Behindertenrechtskonvention hinter den völkerrechtlichen Erwartungen weit bis extrem weit zurückbleibe.
Der mit dem Inklusionsauftrag transportierte Schulentwicklungsauftrag fordert insbesondere Personen in Leitungspositionen innerhalb der Regelschulen heraus, also Schulleitungen und Lehrkräfte, die sich innerhalb von Steuergruppen und Leitungsgremien engagieren. Nach einer Befragung von Schulleitungen in Deutschland äußert sich jedoch die Hälfte der Befragten gegenüber der Umsetzung des Inklusionsauftrages gemäß der Menschenrechtskonvention skeptisch oder unentschieden. Insbesondere fehlende externe Ressourcen, vor allem personelle, sachliche und räumliche, werden von den befragten Schulleitungen als Begründung für ihre skeptische Haltung genannt. Die gegenüber der Umsetzbarkeit des Inklusionsauftrages positiv eingestellten Schulleitungen dagegen nennen vorrangig die bereits in Grundzügen erfolgreiche Prozessgestaltung als Grund für die Umsetzbarkeit (Badstieber et al. 2017). Aus den Befragungsergebnissen kann man ableiten, dass »Machbarkeitserfahrungen« in inklusiven Schulentwicklungsprozessen besonders wichtig sind und dazu beitragen, dass die Prozessgestaltung positiv gestimmt und konstruktiv weitergeführt wird.
Schulen werden bei der Einführung von Inklusion aufgefordert, die Schulentwicklungsprozesse intern zu regulieren und auszugestalten. Hierfür erforderliche Orientierungs- und Einführungskonzepte sind in der Schullandschaft unterrepräsentiert, so dass Einzelschulen und regionale Vertretungen aus Schulamt und Bezirksregierung sich an externe Anbieter*innen von Fort- und Weiterbildung zum Thema Inklusion und Schulentwicklung wenden. Gefragt wird nach Konzepten sowie nach Veranstaltungsangeboten für Einzelschulen oder Schulen in der Region, die sich jedoch hinsichtlich der Umsetzung und Umsetzungsmöglichkeiten stark unterscheiden. Unterschiedlichen Ausgangsbedingungen entstehen u. a. aufgrund der Spezifika des Kollegiums, der Schüler*innenschaft, des vorhandenen Know-hows und des Budgets für die erfolgreiche Gestaltung von Schulentwicklung. Schulinterne Kontroversen rund um das Thema generieren innerhalb der Schulen nahezu unüberwindliche Gräben, auch innerhalb der Kollegien, zwischen vehementer Befürwortung und Skepsis bzw. Ablehnung der anstehenden Veränderungen. Darunter leiden nicht nur Unterricht und Schüler*innenschaft, sondern auch die Gesundheit von Lehrkräften und Schulleitungen.
Daher hat sich in den letzten Jahren insbesondere auch die Unfallkasse NRW u. a. im Modellprojekt »Inklusion ressourcenorientiert umsetzen« zur Aufgabe gemacht, Angebote zu entwickeln und eingesetzte Maßnahmen zu evaluieren. Denn es besteht ein nachweislicher Zusammenhang zwischen der Qualität von Schule und der Gesundheit ihrer Lehrenden und Lernenden: »Das Wohlergehen aller ist nicht nur ein Zeichen von Schulqualität, es fördert sie auch. Wer Qualität will, muss also die Gesundheit fördern und umgekehrt« (Rolff 2004, 42; Dadacynski & Paulus 2011). Gesundheitsorientierte Qualifizierungsformate setzen insbesondere an der Stärkung des Kohärenzgefühls (Antonovsky 1997) an: Mit einem hohen Kohärenzgefühl erleben Menschen Anforderungen als stimmig, da sie diese verstehen, sie für bedeutsam und für bewältigbar halten. Neue Anforderungen werden dann als weniger bedrohlich erlebt und motiviert verfolgt, da eine Identifikation mit der Aufgabe stattfindet und den eigenen Problemlöse- und Gestaltungsmöglichkeiten vertraut wird (Krapp & Ryan 2002). Gesundheitskonzepte aus der Salutogeneseforschung wurden daher in diesem Band und in den hier enthaltenen Selbsthilfeimpulsen auf inklusive Schulentwicklungsbedarfe hin adaptiert.
Veränderungen in Schulen lassen sich nur schwer erreichen, wenn sie ausschließlich von außen ›angeordnet‹ werden. Anordnungen, insbesondere wenn diese größere Veränderungen nach sich ziehen, wird an Schulen eher mit Skepsis und Ablehnung begegnet werden, eine Veränderungsbereitschaft bei allen Mitwirkenden kann diesbezüglich nicht vorausgesetzt werden. Schulentwicklungsprozesse sind demnach nur dann erfolgreich, wenn sie ›verstanden‹ (Verstehbarkeit), ›gekonnt‹ (Machbarkeit) und ›gewollt‹ (Bedeutsamkeit) werden, d. h. wenn die Akteur*innen innerhalb der Schule das notwendige Wissen und Können besitzen und wenn den Mitgliedern der Schulgemeinschaft deutlich ist, welchen Nutzen sie von einer entsprechenden Entwicklung haben. Die aus der Salutogeneseforschung bekannten Faktoren der Verstehbarkeit, Machbarkeit und Bedeutsamkeit sind also in inklusiven Schulentwicklungsprozessen besonders zu berücksichtigen.
Eine gesundheitsfördernde Schulentwicklung im hier vertretenen Ansatz nimmt auch schulische Arbeits- und Organisationsbedingungen in den Blick. Schulen unterscheiden sich von anderen Organisationen. Sie besitzen einerseits eine bürokratische Organisation und andererseits eine starke Autonomie mit eher loser Kopplung der Tätigkeiten der einzelnen Lehrkräfte, so dass dann das Gefühl aufeinander angewiesen zu sein und kooperieren zu müssen häufig fehlt. Oft verstehen Lehrkräfte sich noch als Einzelkämpfer und nicht als Mitglieder eines wechselseitig gebrauchten Teams. Dementsprechend stellt Schumacher (2012) heraus, dass sowohl für die Erreichung der Bildungsziele als auch für die Förderung von Gesundheit es unerlässlich ist, dass Lehrkräfte ihre Schule als Kollektiv begreifen, das gemeinsam seine Ziele verfolgt, Orientierung und Schutz bietet, aber auch Engagement und Loyalität verlangt. Im System Schule liegen demnach vielfältige Ressourcen, beispielsweise soziale Unterstützung und Wertschätzung seitens der Kolleg*innen und Schulleitung, ein hoher Zusammenhalt im gesamten Schulteam und eine gute, effiziente Schulorganisation, die wirksam zur Bewältigung von Stress und Belastung und zur Förderung von Wohlbefinden und Gesundheit beitragen können.
Bezüglich einer inhaltlichen Schwerpunktsetzung orientiert sich das hier entwickelte Selbsthilfeprogramm für Schulen auch