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Rennfahrertraining: Körperliche und mentale Optimierung im Motorsport
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eBook777 Seiten6 Stunden

Rennfahrertraining: Körperliche und mentale Optimierung im Motorsport

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Über dieses E-Book

Rennsport ist Präzisionsarbeit unter atemberaubenden Geschwindigkeiten und führt die Renn-sportler an äußere wie innere Grenzbereiche. Der Sportwissenschaftler und Sportpsychologe Gernot Emberger ist einer der wenigen Experten, der sich sowohl aus wissenschaftlicher als auch praktischer Sicht mit der Belastungssituation und dem gezielten Vorbereitungstraining von Rennfahrern beschäftigt hat. Der gebürtige Österreicher mit Lebens- und Arbeitsmittel-punkt in Köln war selbst aktiver Motorsportler und ist seit über 15 Jahren bis in die Bereiche Formel 1, DTM und WTCC hinein als Trainer, Coach und Berater für Rennfahrer, Hersteller so-wie Nachwuchs-Förderinstitutionen tätig.
Zusammen mit seinem Co-Autor Alexander Prinz hat er mit diesem Buch ein bisher weltweit einzigartiges Werk geschaffen, das von den Formel-1-Rennfahrern Timo Glock und Nikolas Hülkenberg, dem DTM-Champion Bruno Spengler, Maro Engel sowie dem Porsche-Carrera-Cup-Dominator René Rast durch zahlreiche Praxisberichte aktiv unterstützt wurde. Das Buch stellt die Belastungsfaktoren im Rennsport ausführlich vor und gibt den aktuellen Stand der Forschung zur körperlichen wie mentalen Beanspruchung von Rennfahrern wieder. Es macht deutlich, dass sich für das Training von Rennfahrern ganz spezielle Konsequenzen ergeben und sich die Trainings-ziele und -methoden von vielen anderen Sportarten un-terscheiden. Gleich ob Profi oder ambitionierter Freizeit-Racer, der interessierte Leser erhält klare Empfehlungen und konkrete Trainingsprogramme, die nach modernen trainingswissenschaftlichen sowie leistungspsycholo-gischen Erkenntnissen zusammengestellt worden sind. Wer dieses Buch gelesen hat, der weiß nicht nur, warum Rennsport Höchstleistungssport ist, er hat vor allem reichlich Rüstzeug für die Optimierung seiner körperli-chen und mentalen Voraussetzungen an die Hand be-kommen, um fi t fürs Rennen zu werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberHEEL Verlag
Erscheinungsdatum11. Dez. 2020
ISBN9783966642811
Rennfahrertraining: Körperliche und mentale Optimierung im Motorsport

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    Buchvorschau

    Rennfahrertraining - Gernot Emberger

    Autorenportrait

    Vorwort

    Christian Danner

    Als ich 1977 angefangen habe, Motorsport zu betreiben, da war die Fitnessvorbereitung von Rennfahrern durchaus schon ein Thema, dies allerdings so allgemein und vage, dass man nicht ernsthaft von einem gezielten oder gar professionellen Training sprechen konnte. Damals gab es keinerlei Orientierung darüber, wie und was ein Rennfahrer trainieren soll. Es gab auch niemanden, der glaubhaft begründen konnte, warum größere Fitness im Cockpit etwas bringt. Dementsprechend konnte man die Autorennfahrer dieser Zeit rein körperlich auch nicht wirklich als Leistungssportler bezeichnen.

    Mein erstes Aha-Erlebnis im Zusammenhang zwischen Training und der Leistungsverbesserung im Cockpit hatte ich dann Anfang der achtziger Jahre. Als Mitglied des damaligen BMW-Junior-Teams nahm ich an Trainingsveranstaltungen teil, die der ehemalige Eisschnellläufer Günter Traub in St. Moritz durchführte. Aus heutiger Sicht war das damalige Training noch sehr rudimentär und nicht auf die spezifischen Anforderungen des Autorennsports abgestimmt, jedoch bereits gekennzeichnet durch erkennbare Trainingsstrukturen. Auch wenn ich als junger Kerl bei der einen oder anderen Trainingssitzung die Nase gerümpft habe (am Anfang sah ich etwa in Dingen wie Yoga überhaupt keinen Sinn), konnte ich deutlich wahrnehmen, dass ich mich nach solchen Trainingsveranstaltungen im Cockpit wesentlich wohler gefühlt habe. Ich hatte mich vor wie während des Fahrens insgesamt besser im Griff und konnte meine Herangehensweise im Cockpit deutlich souveräner steuern. Meinen damaligen Kollegen aus dem Junior-Team erging es ähnlich.

    Durch diese Erfahrungen wurde ich natürlich entsprechend angetriggert. Ich fing an, regelmäßig zu trainieren. Darüber hinaus versuchte ich auch, mir mehr theoretisches Wissen anzueignen. Eine ganz neue Dimension bekam das Ganze für mich dann in der Zusammenarbeit mit dem legendären und inzwischen leider verstorbenen Willi Dungl, einem Physio-therapeuten und Heilpraktiker aus Österreich, durch dessen Hände von den Achtzigern bis Ende der Neunziger nahezu alle professionellen und erfolgreichen Rennfahrer sowie unzählige weitere Spitzensportler gingen. Das damals Revolutionäre war seine ganzheitlich orientierte Herangehensweise. Dabei stimmte er das körperliche Training nicht nur auf die besonderen Anforderungen des Rennsports ab, sondern gab auch der sportgerechten Ernährung einen enorm hohen Stellenwert. Darüber hinaus arbeitete er ganz gezielt mit Methoden, die man heutzutage in den Bereich des mentalen Trainings und des Coachings einordnen würde. Auf wie neben der Rennstrecke brachte mir das nochmals einen gewaltigen Sprung nach vorne – körperlich ebenso wie mental.

    Bereits in meiner aktiven Zeit war abzusehen, dass der Weg zum Erfolg im modernen Autorennsport über kurz oder lang nur noch über eine ganzheitliche und kontinuierliche Optimierung sämtlicher Leistungsfaktoren gehen würde. Gab es gegen Ende meiner Karriere selbst auf DTM-Niveau immer noch viele Fahrer, die außer Espresso-Trinken vor dem Start nichts Nennenswertes für ihre körperliche und mentale Fitness taten, so werden die internationalen Spitzenbereiche des Autorennsports inzwischen längst von den Fahrern beherrscht, die sich mit einem kontinuierlich durchgeführten und ganzheitlich ausgerichteten Training auf ein enorm hohes Leistungsniveau geschraubt haben. Im Gegensatz zu meiner aktiven Zeit verdienen zumindest diese Fahrer heutzutage dann tatsächlich auch das Prädikat „Hochleistungsathlet".

    Durch Beobachtungen und die zahlreichen Gespräche, die mein Job als Formel-1-Experte für RTL mit sich bringt, ist bei mir der Eindruck entstanden, dass heutzutage die Fahrer in der Formel-1 auch allesamt von Trainern und Experten betreut werden, die sich mit ihrem praktischen Können wie mit ihrem theoretischen Wissen auf Top-Niveau befinden. Das war beileibe nicht immer so. In meiner aktiven Zeit habe ich noch zahlreiche selbsternannte Gurus erlebt, die vielen Fahrern durch zweifelhaftes Auftreten und teilweise äußerst dubiose Methoden eher geschadet als genutzt haben.

    Trotz einiger vielversprechender Ansätze von diversen Nachwuchs-Förderprogrammen sehe ich die aktuelle Betreuungssituation unterhalb der Formel 1 insgesamt auch weiterhin als eher kritisch an. Häufig wird da der Trainer vom nächstgelegenen Fitness-Studio angesprochen, der sich dann mit einem eher oberflächlichen Wissen daran macht, ein rennsportspezifisches Training zu gestalten. Von psychologisch geschulten Ansprechpartnern für die professionelle Optimierung der mentalen Aspekte des Rennsports brauchen wir an dieser Stelle gar nicht erst zu reden. Schaut man da auf den Nachwuchsbereich von Sportarten wie Fußball oder Ski-Alpin, muss man klar festhalten, dass hier der Autorennsport noch einiges nachzuholen hat. Das Problem liegt einerseits natürlich auf der finanziellen Seite. Gute Trainer und qualifizierte Mentalexperten haben einfach ihren Preis. Gleichzeitig ist es aber auch eine Frage des Bewusstseins. Im Rennsport wird meines Erachtens immer noch viel zu isoliert auf möglichst frühzeitige Versorgung mit Top-Material gesetzt und gleichzeitig das Potenzial, das die fundierte und ganzheitlich ausgelegte Entwicklung der Fahrer bietet, sträflich vernachlässigt.

    Aus diesem Grund freue ich mich enorm über das vorliegende Buch und war gerne dazu bereit, das Vorwort zu schreiben. Durch eine fundierte Übersicht über die Belastungs- und Beanspruchungssituation des modernen Autorennsports gelingt es Gernot Emberger gleich zu Beginn, offene Fragen zu klären und zu verdeutlichen, dass Autorennsport für den Körper wie für den Geist alles andere als ein Ponyhof ist. Daran schließt er eine klare Darstellung der Prinzipien an, nach denen sich ein effektives und erfolgreiches Training auszurichten hat. Was hier dargestellt wird, dürfte wohl nur wenigen Autorennsportlern bekannt sein. Spätestens hier sollte auch dem größten Skeptiker klar werden, dass Leistungsoptimierung kein Spiel des Zufalls ist, sondern ein Ergebnis von klaren und strukturiert ablaufenden Entwicklungsprozessen. Unter Mitwirkung des Co-Autors Alexander Prinz werden diese Prozesse im weiteren Verlauf des Buches auf die für Rennfahrer relevanten körperlichen Leistungsfaktoren übertragen und durch praxisnahe Trainingspläne und Übungsvorschläge ergänzt.

    Mit dem Kapitel zur mentalen Optimierung wechselt Gernot Emberger dann das Thema und führt seine Leser in einen völlig neuen und hoch faszinierenden Bereich ein. In der mentalen Optimierung steckt meiner Meinung nach schon jetzt für sämtliche Hochleistungssportarten der Schlüssel für die wirklich großen Erfolge. Für die Zukunft gilt das dann noch einmal mehr. Abgestimmt auf den Rennsport werden Sie erfahren, welche grundlegenden psychologischen Prozesse in einer Leistungssituation ablaufen und wie schnell man sich selbst im und außerhalb des Cockpits ein mentales Bein stellen kann. Das Ganze wäre natürlich nur die Hälfte wert, wenn darauf nicht auch die entsprechenden Optimierungs- und Lösungswege folgen würden. Ausgesprochen gut gefallen mir in diesem Zusammenhang auch die Anregungen sowie die praktischen Möglichkeiten zur Selbstreflektion. Sich selber gut zu kennen, sehe ich als Grundvoraussetzung an, um im Hochleistungssport die Spitze nicht nur zu erreichen, sondern sich dort auch über einen längeren Zeitraum halten zu können.

    Ganz egal ob Profi, Amateur oder Nachwuchshoffnung: Dieses Buch bietet Ihnen alles, um körperlich und mental fitter und dadurch in Ihrem Sport erfolgreicher werden zu können. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass es auch bei allen anderen Personen aus dem direkten oder indirekten Umfeld des Rennsports zu zahlreichen Aha-Effekten führen wird. Und last but not least ist es wohl auch für Rennsportfans reizvoll zu erfahren, wie viele unterschiedliche Puzzlesteinchen es im modernen Rennsport gibt, die über Sieg oder Niederlage ihrer Idole entscheiden.

    Unabhängig davon, in welcher Form und wie stark Sie mit dem Rennsport verwachsen sind, wünsche ich Ihnen nun beim Lesen dieses Buches viel Freude und zahlreiche erhellende Momente.

    Ihr Christan Danner

    1. Einleitung

    „Geh‘ Holzhacken!" So lautete vor nicht all zu langer Zeit die lapidare aber leider auch ernst gemeinte Antwort eines bis in die Formel 1 tätigen Rennfahrer-Managers auf die Frage eines seiner Schützlinge (der damals in der Formel Renault unterwegs war), wie er sich für Autorennen und eine Karriere in der Formel 1 am besten fit machen kann. Frage wie Antwort lassen tief blicken. Obwohl im Autorennsport längst anerkannt ist, dass körperliche wie mentale Fitness maßgebliche Faktoren für eine erfolgreiche Rennkarriere sind, gibt es auch im 21. Jahrhundert wenig wirklich handfestes darüber, wie sich Autorennfahrer optimal auf ihren Sport vorbereiten können.

    Orientierungen ergeben sich in der Regel durch wissenschaftliche Erkenntnisse. Mit der sportlichen Vorbereitung beschäftigt sich die so genannte Trainingswissenschaft. Da lässt sich in Bezug auf den Rennsport aber leider kaum etwas finden. In der nur spärlich vorhandenen Forschungsliteratur geht es primär um die Frage, ob Automobilrennfahrer bei der Ausübung ihres Sports nicht ausschließlich mental beansprucht werden und ob die körperliche Komponente überhaupt eine Rolle spielt. Von einer Orientierung in Richtung optimale Vorbereitung auf den Rennsport ist die Trainingswissenschaft ebenso weit entfernt wie die wissenschaftliche Sportmedizin oder die Sportpsychologie.

    Zur Orientierung könnte man auch Praktiker fragen, also Ärzte, Physiotherapeuten und Mental-Trainer. Obwohl die Zahl der Betreuer im gesamten Motorsport seit Jahren ständig wächst, wird man jedoch auch hier nicht wirklich schlauer: Der eine Arzt hält es für wichtig, dass vor allem die Ausdauer eines Rennfahrers gut trainiert ist, der andere dagegen sieht keinen Sinn darin „aus Rennfahrern Marathonläufer zu machen. Dem einen Physiotherapeuten ist nichts wichtiger, als die Beweglichkeit von Rennfahrern zu fördern, der andere trainiert sie lieber mit Bodybuilding-Methoden. Schließlich setzt der eine Mentaltrainer ganz auf die Macht von großen Zielen, der andere auf die Konzentration auf das „Hier und Jetzt.

    Mit diesem Buch möchte ich, mit Unterstützung durch meinen langjährigen Mitarbeiter Alexander Prinz, Rennfahrern eine seriöse und fundierte Orientierung darüber geben, wie sie sich auf und neben der Rennstrecke optimal auf ihren Sport vorbereiten können. Dafür lassen wir unsere praktischen Erfahrungen einfließen, die wir über mehr als zehn Jahre in der Zusammenarbeit mit Nachwuchswie mit Profirennfahrern aus dem Kart-Sport bis in die Formel 1, WTCC und DTM hinein sammeln konnten. Da sich die Welt immer weiter dreht und die Menschheit ihr Wissen ständig vermehrt und verfeinert, sind solche Erfahrungen allerdings nur die Hälfte wert, wenn man sie nicht ständig auf den Prüfstand stellt und mit aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen abgleicht. Daher stellen wir unsere Methoden und Empfehlungen in diesem Buch nicht einfach nur vor, sondern platzieren sie vor den jeweiligen wissenschaftlichen Hintergrund. Dabei gilt das Motto: „So viel wie nötig und so wenig wie möglich."

    „Angegast" wird mit der Frage, warum Autorennfahrer überhaupt fit sein müssen. Dafür sind in Teil I des Buches die Belastungsfaktoren im Autorennsport und die entsprechenden körperlich-mentalen Belastungsreaktionen von Autorennfahrern dargestellt. In Teil II geht es dann ans Eingemachte: Dort wird konkret beschrieben, wie Autorennfahrer ihre körperliche und ihre mentale Fitness verbessern können. Ehrgeiziges Ziel war, jedem Leser

    a) grundlegende Trainingsprinzipien verständlich zu machen,

    b) das Wissen zu vermitteln, um sein aktuelles Training kritisch hinterfragen zu können und

    c) das Rüstzeug an die Hand zu geben, um sich selbst ein sinnvolles Training zu gestalten.

    Die Autoren Gernot Emberger (rechts) und Alexander Prinz

    Sie werden als Rennfahrer in diesem Buch hoffentlich auf vieles stoßen, was Ihnen hilfreich für Ihre Karriere erscheint und auch umsetzbar ist. Zusammen mit meinem Co-Autor würde ich mich darüber hinaus freuen, wenn unser Werk im gesamten Autorennsport, also auch für Förderer, Betreuer und Teamverantwortliche zu einem Leitfaden werden könnte. In dieser hoch technisierten, um Hundertstelsekunden ringenden und extrem kostenintensiven Sportart ist es höchste Zeit, sich von den „Holzhackermethoden" endlich ganz zu verabschieden und auf ein Training mit nachvollziehbaren Inhalten sowie auf Nachhaltigkeit ausgelegte Steuerung zu setzen. Alle Rennfahrer, die dieses Buch mit wertvollem Input und unbezahlbaren Praxisberichten aufgewertet haben, mein Co-Autor Alexander Prinz und selbstverständlich auch ich wünschen Ihnen nun viel Freude mit diesem Buch und hoffen, dass Sie vom Ertrag mächtig profitieren können.

    Unser besonderer Dank für den tollen Input aus der Praxis des Rennsports geht an diese Fahrer:

    Timo Glock

    Maro Engel

    Bruno Spengler

    René Rast

    Nicolas Hülkenberg

    TEIL I:

    Warum Rennfahrer fit sein sollten

    2. Belastungsfaktoren im Autorennsport

    Um ein Training von Autorennfahrern effektiv gestalten zu können, ist es notwendig, sich die Belastungen in dieser Sportart genauer anzusehen. Art und Intensität der auftretenden Belastungen bestimmen, ob und in welcher Form ein Rennfahrer beim Fahren körperlich und mental beansprucht wird.

    In nahezu allen professionell betriebenen Sportarten wird mit so genannten Anforderungsprofilen gearbeitet. Ein solches Anforderungsprofil wird anhand von wissenschaftlich gewonnenen Daten erstellt und ist die Grundlage gezielter Trainingsplanung und -gestaltung. Ein entsprechendes Anforderungsprofil für Autorennfahrer ist zurzeit leider noch nicht auf dem Markt. Wer fundierte Trainingsplanung und -steuerung anstrebt, dem bleibt daher nichts anderes übrig, als sich die wenigen Untersuchungen anzuschauen, die bislang im Autorennsport gelaufen sind. Außerdem ist man auf eigene Beobachtungen und Erfahrungen angewiesen.

    Die primäre Anforderung, die an einen Rennfahrer gestellt wird, ist, sein Auto so schnell wie möglich um die Rennstrecke zu bewegen – respektive so schnell wie nötig, um zu gewinnen. Maximal schnell sein heißt für den Fahrer, Lenkrad, Schaltung, Gaspedal und Bremse beim Fahren so zu bedienen, dass sich sein Auto am physikalischen Limit bewegt. Um das zu bewerkstelligen müssen spezielle Muskelbereiche zum einen schnell, zum anderen aber auch sehr exakt und aufeinander abgestimmt arbeiten. Das wird umso schwieriger, je stärker die Fahrtkräfte werden. Sind die Beschleunigungs- und Vibrationskräfte massiv, so erhöht sich die körperliche, aber auch die mentale Anforderung im Auto um ein Vielfaches. Herrschen dazu noch extreme Temperaturen, so ist schnell die Grenze der menschlichen Toleranz erreicht.

    Aber selbst wenn die Fahrtkräfte tolerabel und die Temperaturen mäßig sind: Spätestens in der Formel 1 sind die Geschwindigkeiten so hoch, dass menschliche Wahrnehmungssensoren teilweise nicht mehr mithalten können. Ohne einen hohen Automatisierungsgrad der Aktionen und Reaktionen im Auto, gepaart mit einer Wahrnehmung, in der die Augen nicht mehr die Hauptrolle spielen, wäre selbst das größte Talent kaum in der Lage, ein Auto der Königsklasse des Rennsports ans Limit zu bringen, geschweige denn, es dort kontinuierlich zu halten. Und last but not least: Auch bei den größten Könnern verpuffen alles Talent und jegliche Erfahrung, wenn die Belastungen im Wettkampf aufgrund von äußeren wie inneren Stressfaktoren übermäßig groß werden.

    Die Belastungsfaktoren im Autorennsport

    2.1 Muskelarbeit beim Fahren

    Bleiben wir erst einmal beim Wesentlichen: Lenkrad, Schaltung, Gaspedal und Bremse werden mit Arm- und Beinbewegungen bedient. Diese Bewegungen – und seien sie noch so klein oder leicht – hängen immer mit dem Einsatz von Muskulatur zusammen. Beim Drehen des Lenkrades werden Teile der Hand- und Unterarmmuskulatur (Festhalten des Lenkrades) und Teile der Oberarm-, der Brust- und der Schultermuskulatur (Drehen des Lenkrades) aktiv. Abhängig von der Art der Schaltvorrichtung sind beim Schalten nur einzelne Fingermuskeln gefordert (Schaltwippe am Lenkrad) oder die gesamte Muskulatur eines Armes bis in den Schulterbereich hinein (bei sequenzieller oder konventioneller Schaltung).

    Beim Gasgeben, Kuppeln und Bremsen werden Muskeln in den Beinen aktiv. Dabei ist es nach meinen Beobachtungen sowohl eine Frage des individuellen Stils als auch abhängig vom Fahrzeug, ob ein Fahrer bei der Bewegungen nur die Füße einsetzt – dafür braucht er vor allem die Unterschenkelmuskulatur – oder die Pedale mit einer Art Stampfbewegung über das gesamte Bein hinweg bedient – dafür benötigt er den Einsatz nahezu aller Muskeln in Unter- wie Oberschenkel sowie einzelner in der Hüftregion. So oder so – zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Fahren eines Rennwagens aktive Muskelaktionen im Finger-, Arm-, Brust, Schulter-, Bein- und Hüftbereich verlangt.

    Drängt sich die Frage auf: Wie stark ist diese Muskelbelastung? Die Antwort lautet: Es kommt auf das Rennfahrzeug an. Im Falle einer Servoünterstützung verursachen Lenkkräfte und der Druck von Gas-, Brems- und Kupplungspedal keine nennenswerte Muskelanstrengung. In Klassen, in denen diese Servounterstützung fehlt, kann die Anstrengung für die Muskeln allerdings durchaus gewaltig werden. So kommt es etwa bei Neueinsteigern in die GP2-Klasse nicht selten vor, dass während der ersten Testfahrten so genannte Long-Runs abgebrochen werden müssen, weil die Armmuskulatur nicht mehr mitspielt. Und legendär ist, dass Eddy Irvine in der Formel 1 seine ersten Testfahrten für Jaguar abbrechen musste (und ihm ein verschärftes Fitness-Programm verordnet wurde), weil dieses Fahrzeug im Vergleich zu seinem vorherigen (Ferrari) damals eben nicht über Servolenkung verfügte und seine Muskelkraft für einen ganzen Testtag offenbar nicht ausreichte.

    Muskelarbeit ist aber nicht nur eine Frage von Muskelkraft, sondern auch von Bewegungsschnelligkeit. Zumindest bei geringem Widerstand ist für die Schnelligkeit von Bewegungen gute Muskel- respektive Bewegungssteuerung (die so genannte Koordination) verantwortlich. Dass die Bewegungsschnelligkeit für die Leistungsfähigkeit von Rennfahrern ein nicht zu unterschätzender Faktor ist, macht eine Untersuchung deutlich, in der 1992 in der DTM bei geübten Piloten für einen damals noch mechanischen Schaltvorgang 0,07 Sekunden, bei ungeübten Piloten bis zu 0,4 Sekunden gemessen wurden (Voigt, 1992). Auch bei Michael Schuhmacher wurde zu Anfang seiner Formel-1-Karriere darüber gesprochen, dass die Schaltvorgänge bei ihm im Vergleich zu denen der Teamkollegen schneller und obendrein exakter auf die Drehzahl abgestimmt erfolgten. Das war bereits in den Nachwuchsklassen ein wichtiges Puzzlestück für seine Überlegenheit.

    Wenn es um die Muskelarbeit im Auto geht, dann ist auch die Art und Weise der Beanspruchung interessant. Beim Drehen des Lenkrades leistet die Arm- und Schultermuskulatur dynamische Arbeit, beim Halten des Lenkrades in der Kurve ist die Arbeit dagegen trotz kleinerer, vibrationsbedingter Ausgleichsbewegungen statisch. Wie unter Punkt 5 näher beschrieben wird, ist der gesamte Körper durch dynamische Muskelarbeit umso weniger beansprucht, je kleiner die Anzahl der beteiligten Muskelgruppen ist.

    Ist die Muskelarbeit dagegen statisch, so kann sich bereits die Arbeit kleinerer Muskelgruppen deutlich auf die Funktionen des gesamten Körpers auswirken. Leistet ein Muskel Haltearbeit, so verändert er seine Länge nicht und ist dauerhaft angespannt. Beides führt dazu, dass seine inneren Blutwege abgequetscht werden und die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen eingeschränkt ist. Der Effekt tritt bereits ab einem Einsatz von 15 Prozent der maximalen Kraftmöglichkeiten des Muskels auf, ab 50 Prozent kommt die Blutversorgung völlig zum Erliegen. Ist die Blutversorgung eingeschränkt oder ganz gekappt, dann kann ein Muskel zum einen seine Leistung nicht lange aufrechterhalten, zum anderen wird der gesamte Körper in erhöhte Alarmbereitschaft gesetzt. Dabei kommt es vor allem innerhalb der Systeme, die für den Bluttransport verantwortlich sind, zu kompensatorischen Notfallmaßnahmen. Im Endeffekt kann so bereits eine statische Beanspruchung von kleineren Muskelgruppen im Körper zu einer deutlich vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen führen, was unter anderem sämtliche Herz-Keislaufparameter, darunter auch die Herzfrequenz, in die Höhe schnellen lässt.

    2.2 Einfluss von Beschleunigungskräften

    Werden durch die Aktionen an Lenkrad, Schaltung und Pedalerie eher kleinere Muskelmassen beansprucht, so wirken die Kräfte, die sich beim Fahren ergeben, auf den ganzen Körper. Spätestens durch den Einfluss von Beschleunigungskräften wird für Rennfahrer die statische Muskelarbeit zum dominierenden Thema. Beim Durchfahren einer Kurve müssen die Muskeln in Armen, Brust, Schultern und Beinen ihre Haltearbeit gegen das Zerren der seitlichen Beschleunigungskräfte leisten. Und als Träger und Beweger des Kopfes bekommen die Kraftmöglichkeiten in der Halsmuskulatur umso mehr Bedeutung, je massiver die Einwirkung der Beschleunigungskräfte ausfällt.

    Je höher die Kräfte sind, die auf den Körper wirken, desto stabiler müssen die Ansatzpunkte für die Bewegungsmuskulatur sein. Im Fall von Armbewegungen heißt das: Die gesamte Rumpfmuskulatur (Bauch- und Rückenmuskulatur) wird unter Spannung gesetzt. Nur wenn die Rumpfmuskulatur zusammen mit der Schultermuskulatur angespannt ist, können die Arme stabil agieren. Ein deutliches Zeichen dafür, dass beim Fahren auch die Rumpfmuskulatur arbeitet, ist, wenn ein Fahrer in Kurven in die so genannte Pressatmung¹ verfällt.

    Meist wird im Autorennsport nur über die enormen seitlichen Beschleunigungskräfte gesprochen, mit denen der Körper eines Rennfahrers konfrontiert wird. Beim Fahren eines Rennwagens wirken aber natürlich Beschleunigungskräfte aus sämtlichen Richtungen.

    Die Beschleunigungskräfte erreichen in den großen Formel-Klassen die höchsten Werte. Für Formel-1- Fahrzeuge werden Maximalwerte von 4 bis gut 5 g angegeben. Ein g entspricht der Erdbeschleunigung, ein mit 4 g beschleunigter Körper ist also seinem vierfachen Normalgewicht ausgesetzt. Diese Werte gelten sowohl für die seitlichen (beim Durchfahren von Kurven) als auch für die positiven (beim Beschleunigen), negativen (beim Bremsen) und unter besonderen Streckenbedingungen auch für horizontale Kräfte (von oben in die Senke von Eau Rouge/Spa). Offensichtlich dabei ist, dass die Halsmuskulatur als Träger und Beweger des Kopfes hier enorme Arbeit leisten muss. Mit Helm hat der Fahrerkopf in der Regel ein Gewicht von gut 6,5 kg. Beim Durchfahren von Streckenpassagen, in denen die Beschleunigungskraft 4 g erreicht, ziehen also stattliche 26 kg an der Halsmuskulatur, ebenso beim Beschleunigen und beim Bremsen.

    Auch wenn 26 kg auf den ersten Blick viel erscheint: Dauert die Einwirkung der Bescheunigungskraft nur Sekundenbruchteile, so ist das auch für die Halsmuskulatur von Nicht-Rennfahrern kein allzu großes Problem. Kurze Belastungsstöße kann ein gesunder menschlicher Körper überraschend locker verkraften. Beschleunigungskräfte werden erst dann zum richtigen Problem, wenn sie über einen längeren Zeitraum auf den Körper einwirken. Dabei erhöht sich mit zunehmender Einwirkzeit nicht nur die statische Beanspruchung der Muskulatur. Auch die Schwelle, ab der Beschleunigungskräfte gesundheitliche Schäden verursachen, sinkt deutlich. Die nachfolgende Tabelle zeigt Werte, die von der Luft- und Raumfahrtmedizin für Beschleunigungskräfte alsobere Toleranzgrenzen für den menschlichen Körper angegeben werden (in sitzender Position mit Oberkörper in 90°).

    ¹ Pressatmung: Ausatmung gegen geschlossene Luftröhre; schafft im Brust- und Wirbelsäulenbereich stabile Ansatzverhältnisse für die angrenzende Muskulatur.

    Richtung der auf den Fahrer einwirkenden Beschleunigungskräfte (G) beim Fahren eines Rennautos Frontalkräfte (Gx): 1 = von hinten (–) 2 = von vorne (+); Seitkräfte (Gy): 3 = von links (–) 4 = von rechts (+); Horizontalkräfte (Gz): 5 = von unten (–) 6 = von oben (+)

    Beschleunigungskräfte (g) und menschliche Toleranzwerte, sitzend, Oberkörper 90° (in Anlehnung an Ernsting et al., 1999)

    Die menschliche Toleranz für die Kurzzeiteinwirkung von Beschleunigungskräften ist durch die Festigkeit von Knochen und Bändern sowie durch die Widerstandsfähigkeit der Blutgefäße gegeben. Verantwortlich für die verminderte Toleranz bei Langzeiteinwirkung ist dagegen eine massive Verschiebung des Blutvolumens im Körper. Wenn große Mengen Blutes durch die Beschleunigungskräfte in die Beine oder in eine Körperseite gepresst und dort gehalten werden, besteht die Gefahr, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Unter Sauerstoffmangel ist das Gehirn nur etwa vier Sekunden lang funktionsfähig (das so genannte Sauerstofffenster¹), danach kommt es innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einem massiven Abfall der mentalen Leistungsfähigkeit. Das macht sich kurzfristig in Wahrnehmungsstörungen wie Greyout², Blackout³ und Tunnelblick⁴ bemerkbar, mittelfristig verliert die Person das Bewusstsein und fällt ins G-LOCK⁵.

    Dass die negativen Effekte von länger einwirkenden Beschleunigungskräften in den höchsten Klassen des Motorsports mehr als nur eine theoretische Gefahr sind, weiß man spätestens, seit 2001 in der amerikanischen CART-Serie ein Rennen auf dem neu erbauten Texas Motor Speedway nach dem Qualifikationstraining aus Sicherheitsgründen abgesagt werden musste. Nahezu alle Fahrer berichteten damals über deutliche Wahrnehmungsstörungen und Bewusstseinseintrübungen während des Fahrens. Ihr Gehirn wurde dabei so stark strapaziert, dass einige Fahrer aufgrund von Gleichgewichtsstörungen gar nicht mehr in der Lage waren, nach den schnellen Runden selbstständig aus ihrem Auto zu steigen, geschweige denn sich danach auf den Beinen zu halten (Guedry et al. 2002). Wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass auf Formel-1-Rennfahrer etwa auf der Gand-Prix-Strecke der Türkei in der Kombination der Kurven 7,8 und 9 rund vier Sekunden lang kontinuierlich eine seitliche Beschleunigungskraft von deutlich über 4 g wirkt, dann wissen Sie, dass in der Königsklasse des Autorennsports die Grenzen des menschlich Möglichen zumindest angekratzt werden.

    Das Herz-Kreislaufsystem hat nur begrenzte Möglichkeiten, auf Verschiebungen des Blutvolumens zu reagieren. Indem es öfter schlägt, versucht das Herz, die verringerte zirkulierende Blutmenge zu kompensieren. Damit das wenige Blut, das zur Verfügung steht, schneller durch den Körper fließen kann, kommt es zudem zu einer Engstellung von Blutgefäßen. Diese Veränderungen sind sinnvoll, werden allerdings problematisch, wenn die Wirkung der Beschleunigungskraft abrupt nachlässt und dem Körper von jetzt auf gleich wieder das gesamte Blutvolumen für die Zirkulation zur Verfügung steht. Ein schnell schlagendes Herz pumpt dann plötzlich ganz viel Blut in ein Kreislaufsystem, dessen Gefäße noch eng gestellt sind. Resultat ist eine rasante Zunahme des Blutdrucks innerhalb kürzester Zeit. Ist dieser Effekt extrem, so kann dies vor allem für die Gefäße im Gehirn gefährlich werden.

    ¹ Sauerstofffenster: Zeitraum, in dem vom Gehirn eine Minderung der Sauerstoffversorgung toleriert werden kann

    ² Greyout: Eintrübung des Farbensehens

    ³ Blackout: Zustand der kurzfristigen Bewusstlosigkeit und der momentanen Erblindung

    ⁴ Tunnelblick: Einschränkung des Gesichtsfeldes

    ⁵ G-LOCK: durch Beschleunigungskräfte hervorgerufener schlagartiger Verlust des Bewusstseins

    „Heinz-Harald Frenzen

    (Formel 1 Vizeweltmeister 1997)

    „Manchen Fahrern wird sogar, für Bruchteile von Sekunden, schwarz vor Augen, weil das Gehirn diese freiwerdenden Kräfte nicht immer gleich verar-beitet." (in Spiegel Special 6/1999)

    Je öfter länger einwirkende Beschleunigungskräfte aus unterschiedlichen Richtungen innerhalb von kurzer Zeit auf den Körper einwirken, desto massiver wird das Herz-Kreislaufsystem beansprucht. Ist das Herz-Kreislaufsystem gesund, besteht allerdings keine größere gesundheitliche Gefahr. Ist das System jedoch vorgeschädigt, wird es kritisch. Rennfahrern ab spätestens 40 Jahren kann daher nur dringend zu einem regelmäßigen medizinischen Check geraten werden, bei dem als Mindestanforderung ein vernünftiges Belastungs-EKG durchgeführt wird.

    Beschleunigungskräfte wirken sich auch auf die Atmung aus. So wird etwa beim harten Bremsen der Körper eines Formel-1-Rennfahrers bis über 4 g hinaus in die Sicherheitsgurte gepresst. Dabei wird der gesamte Rippenbogen zusammengedrückt, was die Atmung massiv behindert. Im Extremfall kann dabei sogar die Lunge komprimiert werden. Auch Beschleunigungskräfte, die beim Durchfahren einer Kurve seitlich wirken, können sich negativ auf den Rippenbogen und die Lunge auswirken. In der Luft- und Raumfahrtmedizin sind Fälle beobachtet worden, bei denen extreme Beschleunigungskräfte dazu geführt haben, dass Körperflüssigkeit in die Lunge gepresst wurde und sich Lungenödeme¹ gebildet haben (Ernsting et al. 1999).

    ¹ Lungenödeme: Ansammlung von Flüssigkeit im Lungengewebe und/oder in Lungenbläschen mit negativer bis lebensbedrohlicher Auswirkung auf Atmung und Sauerstoffversorgung des Körpers.

    Bruno Spengler über die Atmung in schnellen Kurven:

    „Ich weiß, dass es im Auto Situationen gibt, in denen ich wenig oder kaum atme. In schnellen Kurven zum Beispiel passiert mir das oft. In der Situation nehme ich das aber gar nicht richtig wahr, ich weiß nur, dass es passiert. Und ich weiß auch, dass das nicht unbedingt gut ist. Besser wäre, weiterzuatmen. Aber das zu kontrollieren und das zu machen, ist nicht so einfach. Ich kann mich auch an eine gute Qualifying-Runde erinnern, eine mega-gute Qualifying-Runde, bei der ich kaum geatmet habe. Das ist mir aber auch erst danach bewusst geworden. Ob man das so machen muss, um die optimale Performance aus sich rauszuholen, weiß ich nicht. Aber das kommt automatisch, zumindest in einer Qualifying-Runde. Im Rennen ist das natürlich anders, da atme ich, da muss ich atmen. Letztendlich macht mir das aber bewusst, dass ich das Auto auch am Limit bewegen kann, wenn ich dabei die Atmung nicht stoppe."

    Atempause in schnellen Kurven: Bruno Spengler

    Beispiel für die Höhe von seitlichen Beschleunigungskräften in einem Formel 1 Rennwagen auf der GP-Strecke Türkei

    Um Beschleunigungskräfte besser tolerieren zu können, wird Formel-1-Rennfahrern eine spezielle Atemtechnik empfohlen. Diese Atemtechnik stammt aus der Luft- und Raumfahrtmedizin und wird als „Assisted Positive Pressure Breathing" (APPB) bezeichnet. Das APPB stabilisiert zum einen den Brustkorb, zum anderen kann damit auch die Blutzirkulation beeinflusst und das Auftreten von Grey- bzw. Blackouterscheinungen (s.o.) hinausgezögert werden.

    Einen eindrucksvollen Einblick in die Praxisanwendung dieser Atemtechnik bieten Cockpitaufnahmen von Kunstflugpiloten, die an Wettbewerben wie den Red Bull Air Races teilnehmen (gleichzeitig sind in diesem Sport die Beschleunigungskräfte derart massiv, dass die Piloten spezielle Hosen und Anzüge tragen, die Blut- und Sauerstoffmangel im Gehirn verhindern helfen). Die APPB-Methode ist eine systematische Erweiterung und gezielte Anwendung der bereits zuvor angesprochenen Pressatmung, in die selbst Rennfahrer aus kleineren Klassen beim Durchfahren von Kurven häufig automatisch verfallen.

    Schon bei der einfachen Pressatmung kommt es zum verstärkten Einsatz der Muskulatur, die für das Atmen verantwortlich ist. Das sind zum einen das Zwerchfell und die Muskeln zwischen den einzelnen Rippen, zum anderen aber auch so genannte Atemhilfsmuskeln, die sich über die gesamte Hals-, Brust- und Schulterregion erstrecken. Dabei ist die Arbeit der Muskeln überwiegend statisch. Je öfter und je massiver die gesamte Atemmuskulatur durch statische Arbeit Druck im Brustkorb aufbaut, desto deutlicher wirkt sich das auf die Blutzirkulation im Körper aus. So wird durch Pressatmung stets auch das Herz-Kreislaufsystem kräftig mitbeansprucht.

    2.3 Einfluss von Vibrationskräften

    Zu Vibrationen kommt es, wenn die Richtung einer Bewegung auf einer Bewegungsebene wiederholt hin und her wechselt. Eine Hin- und Herbewegung pro Sekunde entspricht einem Hertz (1 Hz). Maßgeblichen Anteil an der Belastung des Körpers hat neben der Vibrationsfrequenz, also der Häufigkeit, auch die Bewegungsamplitude, also die Wegstrecke der einzelnen Ausschläge.

    Autorennfahrer sind Vibrationsbelastungen alleine schon durch die Eigenschwingungen von Chassis und Motor ständig ausgesetzt. Die Vibrationskräfte treten vermehrt auf, wenn etwa der Streckenbelag uneben oder beschädigt ist, wenn Randsteine überfahren werden und natürlich, wenn sich ein Fahrer den berühmten Bremsplatten eingefangen hat.

    Die Frage, wie stark Vibrationskräfte den Körper von Autorennfahrern beanspruchen, ist abhängig vom Fahrzeug, vom Material und der Passgenauigkeit des Fahrersitzes, aber auch vom Körper des Fahrers. Menschliche Körper unterscheiden sich in ihrer Masse, in ihrem Volumen sowie in der Statik, und die Wirkung von Vibrationskräften auf den Körper wird von all diesen Faktoren bestimmt. Eine generelle Aussage über die menschlichen Toleranzwerte in Bezug auf Vibrationskräfte ist daher nicht möglich.

    Man kann davon ausgehen, dass Vibrationskräfte nahezu alle Funktionen des Körpers beanspruchen. Im Bereich der Muskulatur, der Bewegungssteuerung und der optischen Wahrnehmung sind diese Auswirkungen umso deutlicher, je mehr sich zu einer eher niedrigen Frequenz eine hohe Bewegungsamplitude gesellt. Eine präzise Steuerung der Lenkbewegung, des Gasgebens, Kuppelns und Bremsens wird unter Einfluss solcher Vibrationskräfte mitunter deutlich erschwert. Durch die Notwendigkeit, das Lenkrad auch unter starken Vibrationen zu halten, werden vor allem Arm-, Schulter- und Halsmuskulatur beansprucht.

    Kann die Muskulatur unter Einfluss von massiven Vibrationen bereits in sehr kurzer Zeit überfordert sein, so wirken sich leichtere Vibrationen eher langfristig aus. Der amerikanische Luft- und Weltraummediziner J.R. Stott (Ernsting et al. ,1999) gibt an, dass das menschliche Nervenssystem durch Vibrationen in einem Frequenzbereich von 20 bis 100 Hz ganz automatisch aktiviert wird. Resultat ist eine unwillkürliche, leichte Daueranspannung in der Muskulatur. Das lässt die Muskulatur beim Fahren zum einen schneller ermüden, zum anderen behindert eine unwillkürliche Daueranspannung das schnelle Agieren und situationsgerechte Reagieren im Auto.

    Eine ganz eigene Beanspruchung für die Muskulatur entsteht, wenn es zu einer Kombination von Beschleunigungskräften und Vibrationen kommt. Wie bereits angesprochen, leisten die einzelnen Muskeln unter dem Einfluss von Beschleunigungskräften im Auto vor allem Halte- und Stabilisierungsarbeit, sind also statisch beansprucht. Treten Vibrationskräfte auf, dann wirken gleichzeitig kurze und mehr oder weniger starke Stöße und Schwingungen auf den ganzen Körper. Selbst die angespannteste Muskulatur kann dann nicht verhindern, dass Kopf, Rumpf, Arme und Beine minimal in Bewegung geraten. In diesem Fall wird die Form der Muskelbeanspruchung als exzentrisch¹ bezeichnet. Ist ein Muskel an diese Art von Belastung nicht gewöhnt, führen diese minimalen Bewegungen zu kleineren, so genannten Mikroverletzungen².

    Die Kombination aus Haltearbeit und Vibrationsbelastung ist übrigens auch der Grund dafür, dass Formel-1-Rennfahrer selbst nach massivstem Training der Halsmuskulatur in der Winterpause nach den ersten Testtagen dann doch wieder von Ermüdungserscheinungen, mindestens jedoch von Muskelkater in der Halsmuskulatur berichten.

    Vibrationskräfte können auch in der Atmung ungünstige Körperreaktionen provozieren. Bei Hubschrauberpiloten wurde beobachtet, dass es durch den Einfluss von Vibrationskräften in der Lunge zur Stimulation von Dehnrezeptoren gekommen ist, was letztendlich zu einer Steigerung der Atemfrequenz führte (Stott, 1999). Das heißt, obwohl die Piloten keinen Mehrbedarf an Sauerstoff hatten, atmeten sie plötzlich öfter! Mehratmung ohne größeren Sauerstoffbedarf heißt Hyperventilation³. Dauert die länger an, besteht die Gefahr, dass die Atemregulierung des Körpers völlig durcheinander gerät und nicht mehr auf den eigentlichen Sauerstoffbedarf abgestimmt ist. Im Extremfall kann die Atmung selbst dann ausbleiben, wenn im Körper bereits massiver Sauerstoffmangel besteht.

    Ob diese Problematik bei Rennfahrern schon einmal beobachtet worden ist, ist mir nicht bekannt. Im Zusammenhang mit Maschinen, in denen Menschen sitzen, ist der Einfluss von Vibrationskräften auf die Atmung jedoch immer ein nicht zu unterschätzendes Thema. Und im Automobilrennsport gibt es zumindest Fälle, in denen Unfälle letztendlich mit so genannten Mini-Black-Outs – also mit kurzzeitigem Sauerstoffmangel im Gehirn der Fahrer – erklärt wurden, bei genauerem Hinsehen ein Einfluss von übermäßigen Beschleunigungskräften jedoch ausgeschlossen werden konnte.

    ¹ Exzentrische Muskelbelastung: Eine so genannte dynamisch-negative Muskelarbeit. Der Muskel wird unter Anspannung in die Länge gezogen und entwickelt sehr hohe Spannung.

    ² Mikroverletzungen: Kleine Risse innerhalb von Muskelzellen.

    ³ Hyperventilation: Zu tiefe und/oder zu schnelle Atmung. Dadurch wird mehr Kohlendioxid abgegeben als Sauerstoff aufgenommen. Die Konzentration an Kohlendioxid im Blut ist für den Körper ein maßgeblicher Faktor der Atemregulation. Ist die Konzentration an Kohlendioxid durch das Abatmen stark reduziert worden, so besteht die Gefahr, dass der Körper auch bei Sauerstoffmangel keinen Anreiz zum Atmen erhält.

    Maro Engel über die unterschiedliche Art der Beanspruchung in DTM und Formel 3

    „Zwischen DTM und Formel 3 unterscheidet sich die Stärke der seitlich einwirkenden Beschleunigungskräfte in schnellen Kurven kaum voneinander. Allerdings ist die Art, wie diese Kräfte auf den Fahrer einwirken, zwischen beiden Klassen kaum zu vergleichen. Das DTM-Auto bewegt sich in einer Kurve deutlich mehr auf und ab, es schlägt praktisch ständig durch. Und als Fahrer bist du dabei im Vergleich

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