Der Händler von Serdescht: Erzählung aus "Auf fremden Pfaden", Band 23 der Gesammelten Werke
Von Karl May
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Über dieses E-Book
"Der Händler von Serdescht" ist eine Kurzgeschichte. Sie wurde bereits in "Auf fremden Pfaden" (Band 23 der Gesammelten Werke) veröffentlicht.
Karl May
Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May)[1] war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. (Wikipedia)
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Buchvorschau
Der Händler von Serdescht - Karl May
KARL MAY
DER HÄNDLER VON SERDESCHT
REISEERZÄHLUNG AUS DEM ORIENT
Aus
KARL MAYS
GESAMMELTE WERKE
BAND 23
„AUF FREMDEN PFADEN"
© Karl-May-Verlag
eISBN 978-3-7802-1312-9
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
Inhalt
DER HÄNDLER VON SERDESCHT
Der Armenier
Bei den Sebari-Kurden
DER HÄNDLER VON SERDESCHT
Der Armenier
Wir kamen von Serdescht und ritten am rechten Ufer des kleinen Sab hin, den wir später verlassen wollten, um Erbil, das von Alexander dem Großen her berühmte Arbela, zu erreichen. Wenn ich sage ‚wir‘, so meine ich damit nur zwei Personen, nämlich mich selbst und meinen kleinen tapferen Hadschi Halef Omar, der früher mein Diener und Reisebegleiter gewesen war, jetzt aber, seit er den Rang eines Scheiks aller Haddedihn-Araber einnahm, nicht mehr in einem untergeordneten Verhältnis zu mir stand und mich nur aus treuer Anhänglichkeit, nicht aber für Lohn begleitete. Die Leser meiner Erzählungen werden das liebe, wackere Männchen gewiss noch kennen. Wir wollten in Erbil einige Tage ausruhen und dann über den Tigris setzen, um auf den Weiden der Dschesireh seinen Stamm aufzusuchen.
Wir waren nur zwei Tage in Serdescht gewesen und hatten den Ort in sehr großer Aufregung gefunden. Schon im letzten Frühjahr waren drei Mädchen von dort spurlos verschwunden; man hatte erfahren, dass auch an anderen Orten plötzlich welche vermisst wurden, und da die betreffenden die schönsten ihrer Gespielinnen gewesen waren, so musste man annehmen, dass ihre Schönheit ihnen verhängnisvoll geworden sei und es sich nicht um ein zufälliges Verschwinden, sondern um einen Raub handle. Man sprach von einem Kys-Kapan[1], der im Lande umherziehe, um für vornehme Harems hübsche, junge Mädchen zusammenzustehlen, und gab sich alle Mühe, eine Spur von ihm oder seinen Opfern zu entdecken, doch vergeblich. Das war nicht bloß verbotener Handel mit Sklavinnen, sondern Frauenraub, ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft wird. Der Räuber musste ein außerordentlich verwegener und ebenso listiger und verschlagener Mensch sein und zahlreiche Helfershelfer zur Seite haben, da es einem Einzelnen unmöglich war, sich einer ganzen Anzahl von Mädchen zu bemächtigen und den gefährlichen und mühsamen Transport durchzuführen.
Sein verbrecherisches Geschäft war jedenfalls sehr einträglich, denn seit dem Verbot des Handels mit Sklavinnen war deren Preis außerordentlich in die Höhe gegangen und die Nachfrage größer als das Angebot geworden. Gefragt nämlich war die Menschenware trotz des strengen Verbots, und weil die betreffenden Beamten ihren Bedarf selber heimlich und auf ungesetzlichem Wege deckten, fiel es ihnen nicht ein, die Händler zu verfolgen oder gar zu bestrafen.
Nun waren zwei Tage vor unserem Eintreffen in Serdescht wieder drei Mädchen vollständig spurlos verschwunden und alles Forschen nach ihnen hatte nicht das geringste Ergebnis gehabt. Wir beiden ahnungslosen und unschuldigen Menschen wurden sofort bei unserer Ankunft überfallen und in das Sindân[2] geschafft, und wenn ich nicht so vortreffliche Legitimationen besessen hätte, wäre es uns wohl nicht möglich gewesen, den Staub dieses Ortes so bald von unseren Füßen zu schütteln.
Mein guter Halef war empört über den Verdacht, mit dem man mich und ihn gekränkt hatte; er konnte unsere Verhaftung gar nicht vergessen, fing immer wieder an, von ihr zu sprechen, und sagte auch jetzt, als wir nebeneinander dahinritten:
„Du bist so still, Sihdi. Gewiss denkst du an das, was wir in Serdescht erleben mussten, und dein Zorn darüber ist so groß, dass er keine Worte findet. Ich aber muss reden, sonst bekommt meine Seele einen Riss und mein Körper zerplatzt vor Wut. Wir sollen Frauenräuber sein? Ist nicht Hanneh, mein Weib, die allerschönste der Blumen unter den Gemahlinnen? Kann ich eine bessere finden? Werde ich mir ein Weib stehlen, das ich gar nicht brauche, eine Gattin, die mir vollständig überflüssig ist? Ich, der berühmte Hadschi Halef Omar, der erste und oberste Scheik der Haddedihn, ein Spitzbube, ein Mädchenräuber! Und du, dessen Seele noch unverheiratet ist, dessen Herz keine Ehe kennt und dessen Verstand lebenslänglich ohne Weib bleiben will, auch du bist mit in das Gefängnis gesteckt worden! Maschallah! Es ist wirklich ein Wunder Gottes, dass wir dieses Serdescht nicht so zugerichtet haben, dass kein Stein mehr auf dem anderen liegt! Wir haben den Löwen erlegt und den schwarzen Panther erschossen, wir haben mit Hunderten von Feinden gekämpft und sind stets Sieger geblieben. Wir kennen alle Wissenschaften und Vorteile, in uns beiden wohnen die Begriffe sämtlicher Gelehrsamkeiten; die größten Helden haben uns um Verzeihung gebeten und die höchsten Beamten der Herrscher uns um unsere Freundschaft ersucht – und kaum sind wir in diese Stadt der Dummheit, in diesen Aufenthalt der gehirnlosen Köpfe eingeritten, so werden wir nach dem Sindân gebracht! Ich hätte mich bis zum letzten Tropfen meines Blutes dagegen gewehrt; da aber du es für klug hieltest, ruhig zu bleiben, so habe ich mich bemeistert und die Flut meines