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Kleopatra
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eBook302 Seiten4 Stunden

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Über dieses E-Book

Emil Ludwigs Bericht vom Leben der Kleopatra ist eine glänzende psychologische Studie der Königin und jener beiden Männer, mit denen ihr Name für immer verbunden bleibt: Caesar und Antonius. Statt der exzentrischen Amoureuse zeigt uns der eigenwillige Autor eine echt und tief Liebende, eine Mutter und Kämpferin.
Die Darstellung Emil Ludwigs bedient sich des historisdien Materials, das Plutarch und andere antike Autoren hinterlassen haben. Doch treten die äußeren Fakten hinter der Schilderung innerer Vorgänge zurück: Ludwigs „Kleopatra“ ist vor allem eine imaginativ entworfene Seelengeschichte der ägyptischen Königin. Was dabei sichtbar wird, ist nicht, wie man vermutet hätte, die verführerische, in allen Farben des weiblichen Spektrums schillernde Kurtisane, die Cäsar und Marcus Antonius mit ihren exotischen Reizen bezauberte und faszinierte, sondern die aufrichtig liebende, großgesinnte Frau und Kämpferin für das im Brennpunkt weltpolitischer Verwicklungen stehende Ägypten. „Möchten meine Leser“, schrieb Emil Ludwig, „diese Darstellung als einen Beitrag zur Geschichte des menschlichen Herzens aufnehmen, an der ich seit dreißig Jahren arbeite.“
SpracheDeutsch
HerausgeberClassica Libris
Erscheinungsdatum3. Juli 2020
ISBN9788835858928
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    Buchvorschau

    Kleopatra - Emil Ludwig

    Emil Ludwig

    KLEOPATRA

    Geschichte einer Königin

    Copyright

    First published in 1937

    Copyright © 2020 Classica Libris

    Vorwort

    „Außerordentliche Menschen treten aus der Moralität heraus; sie wirken zuletzt wie physische Ursachen, wie Feuer und Wasser."

    GOETHE

    Zuletzt bin ich ihr am Nil begegnet, aber da war ihr ganzes Sinnen nach Norden gerichtet, Ägypten blieb ihr beinahe fremd. Drüben, am Mittelmeer, war sie zu Hause, Meerwind weht durch ihre Geschichte.

    Von allen Lebensbildern, die ich entwarf, ist dieses durch das fast völlige Fehlen von Zitaten unterschieden. Die intimen Dokumente, Briefe, Gespräche, Memoiren, die ich sonst häufte, um einen Charakter durch sich selbst oder seine Freunde und Feinde zu erklären, hier fehlen sie vollkommen: die Liebesbriefe der Kleopatra, die meisten Privata des Antonius und Cäsar sind als Dokumente verloren; es existieren noch drei Sätze aus einem einzigen Briefe des Antonius. Aber das öffentliche Leben der Königin ist bis auf eine kurze unbekannte Epoche sicher überliefert, und auch das nur, weil die drei Römer in die Weltgeschichte gehören, um die sich ihr Leben gerankt hat.

    Und doch ergibt, was sich an Charakterzügen bei dem halben Dutzend antiker Autoren findet, die ihr rasch folgten, ein lebendiges Bild, dem wenigstens eine echte Büste zu Hilfe kommt. Vor allem ist es Plutarch, mein Meister, dem ich hier zum erstenmal unmittelbar folgen kann; denn obwohl ich nach Rasse, Lebenslauf und Bildung dem Mittelmeer und der Antike angehöre, habe ich griechische Gestalten nur dramatisch geschildert, historisch nie.

    Im Anblick jener naiv-raffinierten Berichte der Alten erschienen mir alle modernen Historiker entbehrlich; einzig Ferreros große Römische Geschichte und die schönen Bücher über Kleopatra von Stahr und Weigall (1864 und 1927) habe ich gelesen und benutzt. Denn wäre Plutarch auch nicht moderner als alle Analytiker unserer Zeit, so war er doch seinen Gestalten näher, und wenn er schreibt, sein Großvater habe sich noch vom Küchenchef des Antonius in Alexandria die Geheimnisse seiner Braten erzählen lassen, so spricht mich dieser Bericht frischer an als jede Polemik zwischen zwei Gelehrten von heute, deren einer dem andern vorwirft, er habe dem Sueton zuviel geglaubt oder dem Appian zuwenig.

    Dem Mangel psychologischer Dokumente verdanke ich die Freiheit, Stimmungen und Selbstgesprächen stärker nachzuhängen, als ich es bei reicheren Quellen durfte. Als ich 1919 mit „Goethe eine neue Kunst der Biographie begann, habe ich mir zuweilen mit Selbstgesprächen geholfen, auch noch in „Napoleon, später nicht mehr. Hier aber, bei dieser vollkommenen Leere an psychologischen Quellen, waren Monologe geboten. Die Handlung ist auch hier überall verbürgt, auf die Gefühle aber konnte schon von Plutarch nur geschlossen werden. Und doch ist keine Schlacht, kein Parteikampf und keine Provinz aus jener Zeit für uns von irgendwelcher Bedeutung; nur die Gefühle sind ewig, sie sind zugleich die unsrigen, durch sie allein können wir uns in den Gestalten spiegeln.

    Ist damit die Grenze des historischen Romans erreicht, so ist sie doch nirgends überschritten; denn alle die hundert Dialoge, die historische Gestalten vor den Ohren eines hingegebenen Betrachters tauschen, habe ich hier wie überall verschwiegen und bin auch in der Szenenführung den antiken Autoren exakt so weit gefolgt, wie sie eben gehen. Die wenigen Sätze, die in direkter Rede folgen, stehen in den Quellen.

    So ist diese vielbewegte Historie fast ganz der Seelengeschichte der Heldin und ihrer drei Römer gewidmet. Freilich wird man hier nicht mehr die Psyche einer großen Amoureuse finden, als die Kleopatra entgegen sämtlichen Quellen in die Legende kam, sondern eine Geliebte und Mutter, eine Kämpferin und Königin. Jenseits aller Formprobleme mögen meine Leser diese Darstellung als einen Beitrag zur Geschichte des menschlichen Herzens aufnehmen, an der ich seit dreißig Jahren schreibe.

    L.

    I

    Aphrodite

    „Nimmt das Weib von dem Manne etwas an, so gewinnt sie: denn wenn sie ihre übrigen Vorzüge durch Energie erheben kann, so entsteht ein Weib, das sich nicht vollkommener erdenken läßt."

    GOETHE

    1

    Oben, in der offnen Fensternische, im Schatten der Säulen, sitzt eine elfjährige Prinzessin und blickt über das Meer. Die Hände halb gefaltet zwischen dem braunen Lockenkopf und der Marmorwand, die Beine auf Kinderart angezogen, so daß sie auf den Sandalen sitzt, hockt sie in ihrem gelben Seidenhemd, denn viel mehr hat sie nicht an, und der leise Wind bauscht es ein wenig um die kleinen, spitzen Brüste, sie ist schon eine Jungfrau. Im Norden würde sie für fünfzehn gelten, aber wir sind am Mittelmeer, und der Palast steht in Alexandria an der afrikanischen Küste.

    Groß ist sie nicht, aber unglaublich leicht, und wenn sie jetzt von ihrem Wachtposten herunterspränge, würde der Eunuch, der dort auf dem Boden kauert, zu spät kommen, um ihr zu helfen, denn da wäre sie längst bei der Tür, so schlank und behend ist die kleine Prinzessin. Aus seiner Schattenecke kann er sie ansehen und sich einbilden, daß sie es nicht merkt. Ach, sie merkt alles rings um sich her, und während ihr goldbrauner Blick dem großen Segel draußen folgt, das eben am Leuchtturm vorüberzieht, hat sie drinnen das feuchte Auge des kauernden Sklaven erhascht und zugleich das Knistern des Seidenüberzuges unterschieden, an dem er leise den braunen Rücken reibt; was er fühlt, kümmert sie nicht, er ist nur ein Sklave, ein Tier, er ist kein Mann. Zugleich hat sie etwas wie Teer gerochen und geschlossen, daß unter ihrem Fenster im Gewölbe die nassen Taue aufgehängt werden, mit denen man gestern ihre kleine Lustjacht an die Stufen zog.

    Unbeweglich, wie eine stumme Klage, ruht der feuchte Blick des zerstörten Menschen auf der Prinzessin. – Sie ist weiß, denkt er. Berenice, die Schwester, ist gelblich, und der Vater, der König, beinah schon braun. Aber so weiß wird sie nicht bleiben, die Liebe und der Wein werden sie schon färben. Warum wohl die Nasenflügel zittern? Jetzt denkt sie sicher nach, wie man die Schwester am leichtesten vergiften könnte. Wenn sie’s mir anvertraute, täte ich’s gleich: ihre Stimme allein kann einen verrückt machen. Das war mein Vater, der ihren Großonkel damals umgebracht hat. Am Ende ist er dafür geköpft worden. Einmal muß man doch sterben. – Und er starrt auf die Prinzessin.

    Unbeweglich sitzt sie, die Hände hinter den Locken halb gefaltet, die kleinen Füße angezogen, so blickt sie über das Meer: wenn sie das Segel des Vaters erkennen wird, dann wird ihre Gefangenschaft enden! Aber vielleicht haben sie ihn längst umgebracht, in Rom oder auf dem Meere? Nun, dann kommt vielleicht morgen ein lateinisches Segel und bringt einen Römer in den Hafen, mit kurzem Wams und kurzem Schwert, mit den scharfen strengen Zügen, um die Teufelsschwester abzusetzen, sie selber aber in ihres Vaters Namen zu befreien.

    Von Rom kommt alles Heil und Unheil, denkt sie. Warum von Rom? Geht nicht die halbe Ernte in jedem Frühjahr hier aus dem Hafen auf den langen Seglern nach den italischen Häfen? Die schönsten Gewebe, herrliche Amethyste, die das Geheimnis des Dionysos bergen, das goldgelbe Ambra und Moschus und Weihrauch, alles, was hier im Hafen eingelaufen und hoch bezahlt worden ist, kaum ist es da, wird es umgeladen und geht auf den langen Seglern nach Rom. Was zahlen die dafür? Alle paar Jahre muß der Vater große Barren Gold aus den Gewölben heben lassen – und fort auf die Schiffe, und dann segeln wieder tausend Talente nach Rom. Je mehr sie von uns kaufen, um so mehr müssen wir ihnen bezahlen. Warum?

    Jetzt sitzt der Vater schon wieder zwei Jahre drüben in dem Landhause des Pompejus und schachert, wieviel er zahlen muß, damit er die Krone behalten darf. Wer sind sie eigentlich, die immer fordernden, immer drohenden Männer? Auf der Münze sah er recht plebejisch aus, der große Pompejus! Cäsar, der andere, soll besser aussehen, aber von dem gibt’s noch keine Münze. Alles heraufgekommene Händler und Krieger! Und wir, die wir von Alexander stammen, dreihundert Jahre aus einem Geschlechte von Königen, Nachkommen der Götter und ihre Stellvertreter auf Erden, wir müssen betteln gehen nach Rom, damit sie uns in unserem Palaste dulden! Da fährt schon wieder ein Kornschiff die Mole entlang, das werden sie wieder nicht bezahlen!

    Plötzlich erkennt die Prinzessin den Grund: sie stellt sich das gedunsene Gesicht ihres Vaters vor Augen; wie unköniglich er sich hier in seiner Hauptstadt gebärdet hat, wie er sich zu den Spielleuten setzt, auf der Straße die Flöte spielt und seine Sklaven nach seiner Pfeife tanzen läßt. Gibt es ein Kind in der riesigen Stadt, das den König nicht Auletes nennt, den Flötenspieler? Gibt’s einen Vornehmen, der seinen König nicht schon betrunken durch die Straßen wanken sah? Wie viele Weiber haben ihm nicht auf die Finger geschlagen, wenn er nach ihren Brüsten griff! Da ist es kein Wunder, daß sie ihn kurzerhand abgesetzt und Berenice zur Königin erklärt haben, die älteste Tochter, die er, selber ein Bastard, man weiß nicht, mit welcher dunklen Sklavin, gezeugt hat.

    Vergiften! denkt die Prinzessin, so wie es andere Ptolemäer gemacht haben. So wie der vierte Ptolemäus Bruder und Schwester erwürgt hat. Immer, wenn ihr Lehrer in der Geschichte ihres Hauses einen plötzlich sterben ließ, war’s eine Verschwörung. Sie weiß Bescheid, sie hat noch andere Quellen.

    Einen Taschenspieler zum Vater, zum König zu haben, denkt sie weiter. Eine Mutter, verschollen, niemand weiß, wer sie war. Eine Hure zur Schwester und Königin! Können dann die Sklaven, kann das Volk noch glauben, daß der König das lebende Bild des Gottes Amon sei, der Erwählte des Ptah, wenn er im Purpur, die Königsschlange auf der Stirn, zum Tempel fährt? Können die Gelehrten ihn noch in ihren Schriften feiern, seit er den weisen Demetrios, dessen Ruhm durch die Welt hallt, mit dem Tode bedrohte, wenn er sich nicht sofort auf offener Straße besaufe?

    Da kommt Demetrios. – Wie tief er die schöne Stirn beugt, fast bis zum Boden! Er spricht das schönste Griechisch in der Stadt, so viel weiß er von den Göttern und den Elementen, und wenn er es mit milder Stimme seiner Schülerin vorträgt, fragt sie sich, ob der Geist nicht wirklich mehr wert sei als die Krone, so wie sie’s der jüdische Philosoph gelehrt hat; aber dann lächelt sie heimlich und glaubt es nicht.

    Doch man muß lernen, alles, was die Griechen wissen, muß man lernen, damit man einst den Römern gewachsen ist, die nichts wissen und nur kämpfen können! Alle Weisheit und alle Schönheit stammt aus Athen: das lehren sie heute morgen wieder die drei Gelehrten, die in den Palast kommen, denn sie ist unersättlich nach Wissen, lernt mehr, als ihre Väter gelernt haben, und viel mehr, als ihre ältere Schwester und die drei jüngeren lernen. Das ganze Museion weiß es, daß im Palaste nach hundert Jahren wieder einmal eine Prinzessin lebt, die alles wissen möchte, alles im Fluge fängt und behält, was sie sie in dem großen Saal an Zeichnungen und Apparaten lehren: Mechanik und Schiffbau, Skelette und den Körper des Menschen, Münzen, viele Münzen, aus denen sie Gesichter verstehen lernt, dazu ein halbes Dutzend Sprachen vom Mittelmeer. Am liebsten steht sie vor der großen Karte, und wenn ihre feste Hand, die nie zittert, mit dem Nagel eine Linie vom Nildelta nach Osten zieht, und das macht sie oft und preßt dabei die Lippen aufeinander, so umreißt sie Syrien, Kappadozien, Epirus, wohl auch noch Brindisi, aber dann krallt der Nagel sich quer durch Italien und schnellt südlich direkt nach Hause, als fordere sie das ganze östliche Mittelmeer mit ihrer Heimat verbunden: alle Küsten unter Ägypten! Nur Rom umkreist ihr Finger nie.

    Und doch ist ihr Ägypten nur ein Name: sie kennt das Land dort oben am Nil sowenig, wie ihre Väter es kannten, sie lebt nicht in seinem Kultus, in seinen Göttern, der Nil ist ein fremdes Gewässer, das man hier draußen auf der Lagune vor dem weiten Mörissee nicht mehr sieht. Denn Alexandria liegt nicht mehr am Nil wie Memphis; es liegt am Meere der Griechen. Was sie fühlt, die Sprache, in der sie träumt, was sie lernt und wie sie’s deutet, die Väter, die Bauten, der Trubel des Hafens mit seinen hundert Sprachen und Rassen, alles ist griechisch geleitet, und wenn sie durch die hallenden Säle des Palastes läuft, mit ihren leichten, hingetupften Schritten, dann blicken sie die Büsten der Ptolemäer an, zwar nicht mehr mit der klassischen Nase, aber in athenischer Form, in Haltung und Stil nachahmend den Großen Alexander, der damals an dem wüsten Strande landete, sich umsah und beschloß, hier die Hauptstadt der Welt zu begründen. War sie es nicht heute noch?

    Abends ist die Prinzessin auf das flache Dach des Palastes gestiegen: dort kann man fast so weit Umschau halten, wie es der Leuchtturm tut, vielleicht bis nach Zypern, bis nach Griechenland, vielleicht bis nach Rom! Jetzt träumen die verankerten Schiffe. Sie träumen von ihrer Ladung, vielleicht ist es Glas und Papyrus, von ihrer Fahrt durch das blaue Meer, vom nächsten Hafen und den rauhen Händen, die sie an Tauen fassen und dann mit Gepolter löschen werden; sie träumen von ihrer ungewissen Zukunft, der großen Frage der Stürme, die schon warten, um sie zu vernichten, die Schiffe, Boten von einer Rasse zur andern, Träger des Handels, des Krieges und der Macht, immer der Gefahr entgegensegelnd, denn wenn sie je lange im Hafen verbringen, müßten sie faulen und sterben.

    Ihrem Wasserpfade folgt die Prinzessin auf dem Dache des Palastes, aber sie träumt nicht mit ihnen. – Einst, so spricht ihr heißes Herz, einst, so sagt ihr heller Verstand, will ich auf einem dieser schnellen Segler an die Küste von Syrien und Kappadozien fahren, gefolgt von 600 dreideckigen Galeeren, nach Ephesus, Korinth und nach Athen! Alle Inseln in den großen Buchten werden mein sein! Berenice wird bei den Schatten sein, und ich werde die Krone mit der Königsschlange tragen, Aphrodite und Isis, und auf meinem Ring das Siegel wird sagen: Kleopatra die Siebente, Königin von Ägypten. Dann wird nur noch Rom in der Welt sein neben mir – und dann wollen wir einmal sehen, ob das Korn Ägyptens weiter diesen Italikern zusegeln soll, und wenn es segelt, ob sie nicht Gold dafür nach Alexandria senden werden, statt es zu holen, Gold und große Huldigung aus dem binnenländischen Rom in die strömende Hauptstadt der Erde!

    2

    Nächtlich versinken solche Zukunftsbilder des Ostens mit der Abendsonne im westlichen Meere.

    Was sie aus Rom erfährt, bald durch die Philosophen, bald durch den Hauptmann, durch einen Eunuchen, ist dunkel und verworren, so wie die Vergangenheit ihres Vaters, so wie die Gegenwart der römischen Republik, die eben untergeht.

    Sie wußte, was in den zehn Jahren ihres jungen Lebens vorgegangen war: Ein Ptolemäer hatte, dreizehn Jahre vor ihrer Geburt, Ägypten dem römischen Volke vermacht, aber der Senat hatte die Erbschaft nicht antreten wollen: so groß war die Eifersucht aller gegen alle, die dieses reichste Land zu verwalten berufen werden konnten. War nicht ein schwaches Königreich am Nildelta ungefährlicher als ein starker römischer Prokonsul? So hatte man lieber zwei illegitimen Söhnen jenes königlichen Erblassers Ägypten und Zypern übergeben, auf ihre Wüstheit vertrauend: je mehr man von ihnen erpreßte, um so schwächer würden sie werden. Jeder der drei oder vier Machthaber in Rom wartete heimlich auf den Tag, der ihn stark genug finden würde, das wunderbare Land zu fassen und zu halten, von dem sich Rom in Fabeln mehr als in Rechnungen zu unterhalten liebte.

    Dann hatten die großen römischen Herren den flötespielenden König alle paar Jahre erwischt und, gleich den Katzen, wieder laufen lassen, dann wieder Gold aus dem sagenhaften Schatze der Ptolemäer holen, ihn wieder zahlen lassen, bis ihn schließlich zur Belohnung Volk und Senat von Rom endgültig anerkannten. Man schrieb das Jahr der Stadt, das dem Jahr 59 entsprach; Cäsar war Konsul. Aber er war noch lange nicht mächtig genug, um einen andern Machthaber, Clodius, seinen Feind und Rivalen, zu hindern, daß er, unzufrieden mit einer Bestechung, den König von Zypern absetzt, Bruder und Vasall des Ägypters. Sein Schatz wurde eingezogen, Zypern römische Provinz, aber der ägyptische König tat, als ginge ihn Zypern nichts an. Vielmehr suchte er gerade jetzt dem Lande 30 Millionen Goldfranken auszupressen, um damit Cäsars Partei in Rom zu bezahlen, ohne den Schatz seines Hauses anzugreifen.

    Da brach ein Aufstand los in Alexandria: jetzt konnten die Großen des Palastes und der Stadt, Priester und Junker, Grundbesitzer und Hofbeamte, jetzt konnten sie leicht das immer labile, neuerungslustige Volk der Weltstadt von der Verächtlichkeit ihres Königs überzeugen. Er flieht nach Rom, Berenice, die älteste Tochter, wird von ihrer Partei zur Königin erhoben. Sein Bruder aber, jener König von Zypern, nimmt Gift und stirbt.

    Staunend hatte die zehnjährige Kleopatra vor dieser Nachricht innegehalten. Viel Blutiges hatte sich in der Geschichte ihres Hauses zugetragen, durch 250 Jahre waren einander dreizehn Ptolemäer gefolgt, beherrscht oder verfolgt von ihren Frauen und Kindern, ganz wie die Pharaonen, ihre Vorgänger am Nil. Gift und Dolch hatte sie in den Schicksalen ihrer Väter wüten sehen, wie Brüder ihre Schwestern aus dem Leben rissen, Prinzen ihre Väter, Königinnen ihre Gatten, die zugleich ihre Brüder waren: alles um Macht, alles um ein gesteigertes Leben, oft nur, um nicht selber erschlagen zu werden. Von eigener Hand aber war noch keiner gefallen! Nun hob ein später Erbe dieses in Schande versinkenden Geschlechtes noch einmal das Zeichen des Stolzes empor. Aus einer verfallenden Dynastie erhob sich noch einmal ein männlicher Nachfolger jener Griechen, die die Legende verherrlicht hatte und deren Verse dem entthronten Inselkönig nachklangen, als er den Giftbecher nahm. Betroffen stand die Prinzessin. Hatte sie ihren Vater verachten gelernt, der sich die Macht von einem Lustrum zum andern in Rom erschacherte, nun mußte sie seinen Bruder verehren. Es war also doch wahr, was sie die Philosophen des Museion lehrten, noch heute gab es etwas über der Krone und über dem Golde. Die zehnjährige Kleopatra erkannte, daß der Stolz eines Königs noch schöner sei als die Macht; tief in ihre junge Seele senkte sich und verharrte für immer diese große Erfahrung, daß Knechtschaft, wie die ihres Vaters, unwürdig sei und Gift eine schnelle Erlösung.

    Sie aber, in ihrer jungen Lebenskraft, war entschlossen, die Knechtschaft zu überwinden, in der sie ihre Schwester hielt. War Berenice glücklich? Der erste Mann, der bei ihr schlief, irgendein Vetter, den man ausgewählt, damit er König hieße und für Kinder sorgte, war so verdorben, daß er, dem Willen des Hofes gemäß, bald getötet werden mußte. Der zweite, den sie nehmen mußte, war besser, aber war dieser vorgebliche Sohn des Perserkönigs nicht doch vielleicht ein Abenteurer? Wer waren überhaupt diese Perser, die immer in engen Hosen herumgingen, gut reiten konnten, aber von griechischem Geist, von den Feinheiten des Lebens nichts verstanden? Und war er frei und nicht von den Eunuchen abhängig, die den Palast regierten? Liebte oder verachtete er seine Frau? Lebten sie einen Tag ohne Furcht vor Rom? Fordernd und frech lag das unsichtbare Rom im Norden, jeden Tag konnte es kommen, sie töten, alles rauben, alles zerstören.

    Es war der Weg der Schmach, den ihr Vater ging; aber da man nicht gegen Rom regieren konnte, so mußte man sich mit ihm vertragen, das fühlte die Prinzessin. Das fühlten auch die Alexandriner und ihr Königspaar. Deshalb sandten sie dem abgesetzten König hundert vornehme Bürger nach, um Rom zu einem Bündnis mit ihrer Partei zu bewegen. Monat um Monat verstrich, nichts hört man von der Gesandtschaft; die einsame Prinzessin ist beinahe die einzige in Alexandria, die auf Abweisung jener Gesandten hofft; denn nur, wenn ihr verachteter Vater in Rom siegt, kann sie selber der Krone entgegenhoffen.

    Als dann nach dem schiffelosen Winter die ersten Segler wieder am Pharos herangleiten, erfährt sie mit der ganzen Stadt, Auletes habe die Gesandten in Italien einzeln töten lassen. Doch die ungeduldige Prinzessin hat schon ihren eigenen Späher, sie hört noch manches, was andern verschlossen bleibt: ihr Vater habe 6.000 Talente aus seinem Schatze geboten, wenn man ihn wieder einsetzte, Rom sei jetzt arm nach seinen verlorenen Perserkriegen, Cäsar und Crassus, Crassus und Pompejus intrigierten gegeneinander, wer wohl Ägypten nehmen sollte und den Schatz der Ptolemäer, um damit Herr über seine Rivalen zu werden. Alles kommt darauf an, daß jetzt ihr Vater so viel zahlt, um nicht als unterworfener, sondern als verbündeter König aus Rom zu scheiden.

    Da kommt schon neue Kunde über das Meer! Jetzt, heißt es, steigert sich in Rom der Endkampf zum politischen Kernstück; Cäsar, aus Gallien zurück, habe durch sein „Julisches Gesetz den flötespielenden König zum „Verbündeten und Freunde des römischen Volkes erklären lassen. Doch zugleich haben die schlauen Herren ihren neuen Freund und Verbündeten in Millionenschulden bei römischen Wucherern gestürzt, damit er sie am Ende nicht bezahlen und schließlich doch erliegen soll.

    Schon bildet sich um die unterdrückte kleine Prinzessin ein Kreis von Schlecht-Weggekommenen, die einen neuen Umsturz wünschen, Auletes läßt geheime Weisung geben, man solle der kleinen Kleopatra folgen, und während der schlaue und feige Ptolemäer in Rom seinen Thron zurückerbettelt, rüstet sich hier im Palaste der Königin ihre schweigende Schwester und denkt nach, wie man die Römer benutzt, um aufzusteigen.

    Eines Tages ist es soweit. Irgendein römischer Feldherr in Syrien, der seine Kohorten nicht mehr bezahlen kann, bricht auf, um sich 12.000 Talente zu holen, den Preis, den der Flötenspieler für seinen Thron zuletzt aussetzen mußte. Von Gaza marschieren ein paar tausend Soldaten durch die Wüste nach Pelusium im östlichen Delta, dort, wo drei Jahrhunderte zuvor Alexander und wo in früheren Jahrtausenden manch persischer, hebräischer, assyrischer Feldherr an den Nil gezogen kam.

    Endlich war die Erlösung da – wenn auch durch verhaßte Römer. Die Pulse der Prinzessin schlugen, wie sie sich bald vor der mächtigen Schwester versteckte, bald zwischen der neuen Partei fordernd erschien. Nun hörte Alexandria den Kampf der heranreitenden Fremden immer näher dröhnen, die Tore der Weltstadt springen auf, die Fliehenden verstecken oder ergeben sich. Jetzt sah Kleopatra das verwüstete Gesicht ihres Vaters wieder, wie er, geschützt von fremden Legionen, sich Thron und Heimat wiedernahm; sie sah den entstellten Leichnam des jungen Königs, die Unterwerfung der Vornehmen und der Priester, die wehrlose Haltung der ewig neugierigen Alexandriner und wie sie dem einst verjagten, alten König schon wieder ihre Treue versicherten. Endlich sah sie auch den Kopf der verhaßten Schwester, vom Vater verurteilt, in den Sand rollen: Bedingung ihrer eignen künftigen Macht! Niemand stand mehr zwischen ihr und der Macht als ein alter, erschlaffter Verbrecher, den sie ihren Vater nennen mußte. Ein Tag des schweigenden Triumphes, als ihre Schwester umkam.

    Noch höher schlägt das stolze Herz der kleinen Prinzessin, als sie die fremden Soldaten genau ins Auge faßt. Dies also sind die Römer? Dies das römische Heer? Blonde, wüste Germanengesichter, Männer, die ihr in keiner Zunge Antwort geben, kleine, wildblickende Asiaten, großäugige Juden, niederstirnige Byzantiner: so zerrüttet erschien das römische Heer in Afrika. Die schlechtesten Römer, nicht die besten bekam die Prinzessin zu sehen, die Rom so sehr mißtraute – und ihre alte Furcht begann zu weichen.

    Und doch, zugleich stieg ihr Erstaunen. Ein Reiteroberst, derselbe, der Pelusium genommen und auch den Schlag vor der Hauptstadt geführt hatte, saß nun bei ihrem Vater im Palaste zum Mahle. Geehrt wie der Feldherr, schien er diesen in jedem Zuge zu übertreffen. War dies ein Römer, nun, das war ein Mann! Die weite Tunika sehr tief gegürtet, das große Schwert noch immer neben sich, halb saß, halb lag er da, mit seinem Herkuleskopf, dem kurzen Bart, der großen Adlernase. Schweigend revidierte die forschende Prinzessin ihr Vorurteil gegen die Römer.

    Der Reiteroberst merkte die Unruhe der schönen Prinzessin nicht. Kleopatra war vierzehn Jahre, er siebenundzwanzig, als sie sich an diesem solennen Königsfeste zum ersten Male begegneten. Berge und Ströme, Meere und Städte mußten in Aufruhr geraten, das Schicksal eines Helden mußte sich steigern und erfüllen, bevor sich diese beiden Menschen nach dreizehn Jahren wieder treffen sollten. Vielleicht

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