Der Krieg der Armen
Von Éric Vuillard
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Über dieses E-Book
Vuillard setzt dieser außergewöhnlichen historischen Figur ein fulminantes literarisches Denkmal und beweist mit seiner temporeichen Schilderung der Aufstände, dass Müntzers Kampf nicht zu Ende, die Wut der Armen nicht erloschen und die in der Gesellschaft tief verwurzelte Ungerechtigkeit noch lange nicht beseitigt ist.
Éric Vuillard
Éric Vuillard, 1968 in Lyon geboren, ist Schriftsteller und Regisseur. Für seine Bücher, in denen er große Momente der Geschichte neu erzählt und damit ein eigenes Genre begründete, wurde er u. a. mit dem Prix de l’Inaperçu, dem Franz-Hessel-Preis und dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
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Buchvorschau
Der Krieg der Armen - Éric Vuillard
enthauptet
Die Geschichte von Thomas Müntzer
Sein Vater war gehängt worden. Er war ins Leere gefallen wie ein Sack Körner. Man hatte ihn nachts auf den Schultern tragen müssen, er war schweigsam geblieben, den Mund voller Erde. Dann ging alles in Flammen auf. Die Eichen, die Wiesen, die Flüsse, das Labkraut in den Hecken, die karge Erde, die Kirche, alles. Er war elf Jahre alt.
Schon mit fünfzehn hatte er, weil er ihnen den Tod seines Vaters anlastete, einen geheimen Bund gegen den Erzbischof von Magdeburg und die Römische Kirche geschlossen. Er las den Klemensbrief, das Martyrium des Polycarp, die Fragmente des Papias. Mit ein paar Kameraden besang er die Herrlichkeiten Gottes, watete im Morgenrock durch den Jordan und malte das kosmische Rad, Zeichen der Einheit, mit Kreide auf den Boden; der Reihe nach legten sich alle hinein und streckten beide Arme zur Seite, damit der Himmel auf Erden komme. Und er erinnerte sich an den Leichnam seines Vaters, an seine Zunge, die so riesig war wie ein einziges, getrocknetes Wort. »Ich lebte in der Freude, doch mit Gott vereint man sich nur in furchtbaren Schmerzen und Verzweiflung.« Das war, was er glaubte.
Es heißt, in Stolberg sei ein gewisser Barthol Munzer als Winzer tätig gewesen; ferner ist von einem Monczer Berld und einem Monczers Merth die Rede, aber Genaues weiß man nicht. Es gibt auch einen Thomas Miinzer, umgekommen bei einer Wirtshausschlägerei. Es ist nicht bekannt, ob er eine Maulschelle oder die Kante eines Holzscheits in die Fresse bekommen hatte, ebenfalls unbekannt ist, ob er verwandt war mit dem anderen Thomas Müntzer, dessen Vater um 1500 aus unbekannten Gründen auf Befehl des Grafen zu Stolberg hingerichtet wurde, manche sagen gehängt, andere sagen verbrannt.
Fünfzig Jahre zuvor war eine glühende Masse ausgeflossen, von Mainz durch das ganze übrige Europa, war zwischen die Hügel jeder Stadt, zwischen die Buchstaben sämtlicher Namen geflossen, über die Regenrinnen, durch die Windungen jedes einzelnen Gedankens; und jeder Buchstabe, jeder Ideenzipfel, jedes Satzzeichen war in ein Stück Metall eingegangen. Man verteilte sie in einer Holzschublade. Die Hände wählten eines aus, und noch eins, und so entstanden Wörter, Zeilen und Seiten. Sie wurden in Tinte getaucht, und eine ungeheuerliche Kraft presste die Lettern langsam auf das Papier. Das wurde dutzende und aberdutzende Male wiederholt, bis die Blätter viermal, achtmal oder sechzehnmal gefaltet wurden. Sie wurden in die richtige Reihenfolge gebracht, zusammengeklebt, genäht und in Leder gebunden. Daraus wurde ein Buch. Die Bibel.
Innerhalb von drei Jahren entstanden so einhundertundachtzig davon, während ein Mönch in derselben Zeit nur eine einzige abgeschrieben hätte. Und die Bücher vermehrten sich wie Würmer in einem Körper.
Der kleine Thomas Müntzer las die Bibel, er wuchs mit Ezechiel, Hosea und Daniel auf, aber es waren Gutenbergs Ezechiel, Gutenbergs Hosea und auch sein Daniel; und nachdem er den morschen Türflügel hinter sich gelassen hatte, der beim Öffnen über den Boden schrammte, saß er lange unten in der alten Küche und rieb sich die Augen. Er wusste weder, was er sah, noch was er sehen sollte. Er war einsam wie