Anna, Tee & Donauwelle: Lenny
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Über dieses E-Book
Peter, ihr Nachbar von gegenüber, ist ein Ex-Kriminalhauptkommissar, der seinen treuen Schäferhund Columbo einst rettete. Columbo, als Polizei-Spürhund ausgebildet, hat nach früher erlittenen Misshandlungen nur noch ein Auge. Das Team bewältigt auch gefährliche Situationen mit Glück, Humor und Herz.
Im ersten Roman Lenny geht es um den hochmusikalischen Studenten Leonard, der sein schwules Outing nicht lange überlebte. Er galt etliche Monate als vermisst und endete als sogenannte Rheinleiche. Schon als Kind fand er viele Jahre ausschließlich in Annas Familie Geborgenheit. Familiäre Tragödien tun sich auf.
Gabriela Kaintoch
Gleich ihren Protagonisten, erkannte auch Gabriela Kaintoch verschiedene Lebensstufen, die man bergreifen und begehen sollte. Von Jura, über die erfolgreich abgeschlossenen Opernsänger- und Gesangspädagogik-Studien, mit langjähriger Tätigkeit als Sängerin und Gesangspädagogin, fand sie zum Schreiben. Die aktuelle Lebensstufe hat sich in ihr, unabhängig von allem Vorherigen, schon länger entwickelt und verstärkt. Das von Gabriela Kaintoch präsentierte Genre hat im Grunde zu ihr gefunden, da solche Krimireihen sie auch als Leserin selbst begeisterten. Sie ist verheiratet und lebt in Saulheim bei Mainz.
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Buchvorschau
Anna, Tee & Donauwelle - Gabriela Kaintoch
Magie
1. Zwischenbilanz…
Die helle Morgensonne, die durch einen Spalt des Vorhangs auf ihr Gesicht traf, ließ Anna erwachen. Sie rekelte sich genüsslich und hatte plötzlich das Gefühl, dass es doch wieder einmal ein guter Moment wäre, um ihr „Hier und Jetzt" neu einzuordnen. Bald schon stände wieder ihr Geburtstag an. Die Sieben wäre dann erstmalig vor der Zahl und bedeutete, dass sie sich langsam wohl „im Herbst" der Lebensjahreszeiten befand. Andererseits beunruhigte sie das aber kaum, denn der Kopf war in der Tat so frisch wie nie. Sie verspürte unvermindert Hunger aufs Leben … sogar gewaltigen!
Zudem hatte seit geraumer Zeit der Nachbar von gegenüber angefangen, sie anzuglühen, soll heißen, er brannte für sie. Die Signale waren eindeutig, wenn auch unausgesprochen. Das bedeutete eindeutig, die Lage hatte sich gewaltig verbessert. Es gab Anna mächtigen Auftrieb!
Diese Erkenntnis tat einfach gut und belebte jede Zelle. Nur die Knochen wollten manchmal nicht mehr so einfach und ohne zu murren. Die lange Zeit, die Anna als „Parkettkosmetikerin" arbeitete, wie sie scherzhaft ihre jahrzehntelange frühere Arbeit als Putzfrau und Haushälterin umschrieb, hatten den Zählerstand des Knochengerüstes unleugbar hochgetrieben. Aber Anna hatte ein gewisses Eigenbewusstsein, und ihr Anspruch an ihre ureigenste Würde gebot ihr, dass sie ums Verrecken und auf keinen Fall jemals einen Rollator vor sich herschieben wollen würde, dann lieber aus dem Keller den alten verstaubten Kinderwagen von Paul, ihrem Enkel.
Natürlich wusste sie im Hinterstübchen, denn sie war ja nicht verblödet, dass letztendlich die Um- und Zustände ihr irgendwann gnadenlos zeigen würden, was noch geht und was neu bewertet werden muss. - Aber jetzt noch lange nicht! … so hatte sie beschlossen. Und was sie einmal beschloss, das erfüllte sich meistens auf ganz wundersame Weise. Die Macht des positiven Denkens! – Das wusste sie sicher!
Also war doch mehrheitlich alles möglich und okay, wie sie es verstand. Prima! – Sie brauchte eindeutig etwas mehr „Action", wie Ralf, ihr Sohn, es lachend umschrieb. Ralf war immer ein guter Junge gewesen und ein geradliniger Mann geworden, worauf sie sehr stolz war. Der war gelungen! - Aufrichtig, hilfsbereit und sagte doch immer was er dachte. Auch mit seiner Frau, der Sarah, hatte er einen guten Griff getan. Die war patent und aufrichtig, was Anna ungemein schätzte. Sie hatte wirklich eine Tochter dazugewonnen.
Sarah hatte ihr und ihrem Sohn sehr gut getan, als Peter, Annas Mann, vor fast fünfzehn Jahren starb. Sie und Ralf halfen ihr, mit allem fertig zu werden, was das „weltlich Notwendige, wie sie es nannte, anging, und auch ihre Seele wieder ein Stück „heile
werden lassen. Sie waren oft bei ihr, ohne das Maß zu überschreiten und ohne sie einzuengen, einfach nur da, und das tat damals besonders gut.
Irgendwann war dann Gott sei Dank auch alles mit der Witwenrente geregelt, was ihr die Angst nahm, wie es nun für sie allein weitergehen sollte. Natürlich würde ihre Familie immer für Anna da sein, für die sie andererseits aber nie eine Last sein wollte. Auch war ihr die eigene Unabhängigkeit so wichtig, wie der Atem zum Leben.
Anna ging es prima, eigentlich so gut wie nie zuvor. Ihre kleine Wohnung in Mainz-Kastel, liebevoll und stilsicher eingerichtet, und die sie nun mehr als fünfzig Jahre bewohnte, war immer noch günstig. Sie brauchte nicht viel, aber wenn, dann sollte es gefälligst Qualität haben. Das zu bewahren, gelang Anna bisher immer.
Außerdem war sie auch schon lange keine „Quarzerin" mehr, wie Sarah sie in ihrer Kettenraucherzeit manchmal besorgt und liebevoll provokativ nannte. Anna hatte verstanden. Seitdem sparte sie ganz schön Geld. Ja, ihr Peter und sie hatten so einiges verqualmt, was sie heute kaum noch nachvollziehen konnte. Das war eine verdammte Sucht, mögen andere leugnend schwatzen, was sie wollen, nur weil sie nicht wahrhaben können, dass es Tatsache ist!
Anna brauchte ihre Selbständigkeit. Ihr Mann Peter hatte ihr diesen Freiraum stets gelassen, was sie - unter vielem anderen - so sehr an ihm geliebt hatte. Er war ein selbstbewusster und starker Mann, der gerade deswegen auch seine wundervoll zärtliche und weiche Seite zulassen konnte. - Oh, wie sie ihn vermisste!
Immer schon hatten sie und ihr Peter viel gelesen. Krimis, Romane und vor allem viel „für den Kopf und die Seele", wie sie es nannte. Diese Seelenkost waren Bücher über Religionen, Wissenschaften, Schicksale und Philosophie. Ihr fehlte seit Peters plötzlichem Herztod so sehr das Reden und Diskutieren über das Gelesene und das Gelernte. Kaum ein Bekannter wusste von beider Wissenshunger oder hätte es geahnt. Aber auch nach – oder gerade wegen? - Peters Tod faszinierte sie noch mehr die wissenschaftliche Literatur, Poesie und die gute alte Philosophie. Es gab so vieles zu lernen und zu begreifen. Der Fortschritt machte ihr Freude. Sie wog immer sorgsam ab, und so kam es, dass die Bücher durch einen Reader ergänzt und teilweise ersetzt wurden; weniger Umweltbelastung, leichter und anpassungsfähiger als ein papierenes Buch.
Sie hatte schon früh ein Handy und war damit bald recht gut vertraut. Daraus wurde dann ein Smartphone. Wieso kamen so viele Altersgenossen damit nicht klar? Ihr machte es Freude. Besonders Sarah, ihre Schwiegertochter, unterstützte sie anfangs, wenn mal etwas nicht klappte und für sie neu zu lernen war. Ihr Mantra war: Das Leben geht weiter. Stagnation ist Tod, und der sollte noch lange kein Thema für Anna sein.
Anna war ein Mädchen aus Friesland und als Kind nach Wiesbaden gekommen. Durch die Nachkriegszeit und Not, dann durchs Putzen-gehen-müssen, die Ehe und die Mutteraufgaben in der Summe, hatte sie manchmal kaum noch mehr Kraft und war ausgelaugt. Dennoch spürte Anna unvermindert diese hungrige Sehnsucht nach Wissen und schönen Dingen.
Sie hatte eine enorme Stärke in sich selbst, war hochgebildet, auch ohne universitäre Zeugnisse und Examina, und ohne dass sie es vor sich selbst realisierte. Erstaunlich leicht und rasch erkannte sie wichtige Zusammenhänge, die vielen anderen verborgen blieben und hatte logisches Denken und Verstand, gepaart mit viel Gefühl.
Anna konnte Goethe und andere Große zitieren – für andere immer wieder überraschend und kaum begreifbar, aber immer treffend zu den gerade vorhandenen Begebenheiten. Für all das hatte sie gegenwärtig viel Ruhe und Muße gehabt. Fast zu viel!
Es fehlte eine neue konkrete Aufgabe, denn ihr Instinkt und Ihre Logik wurden meistens durch konkrete Ereignisse gefordert und gefördert. … Also - ihr Bedürfnis nach Innehalten war augenblicklich eindeutig befriedigt und – unleugbar - sie benötigte nun eindeutig mehr „Action".
Anna stieg aus dem Bett mit dem Vorhaben, sich richtig schön zu machen und zu pflegen. Nur für sich! - Ein ausgiebiges Bad, hernach betörend riechende Öle und Cremes, - ja, so mochte sie den Tag beginnen. Die letzten Monate wurde sie immer mehr zur bewussten Genießerin. Die gereifte Philosophin setzte immer bewusster ihre Erkenntnisse um.
Ja, jeder Tag ist kostbar und zählt. Sie wusste es schon immer, … aber der Alltag schüttet dich sehr oft regelrecht zu, dachte sie. Dann fällt es unendlich schwerer, bei sich zentriert zu bleiben. Dieses Abdriften wollte sie nicht mehr! – Eindeutig nie mehr! Sie wusste, sie hatte die Macht, durch ihre subjektive Sicht der Dinge eine gute oder eine schlechte Zeit zu haben. Also, war die Erkenntnis doch augenfällig … sie wollte, dass es ihr gut geht.
Im angenehm heißen Bad liegend, ließ Anna ihre Seele baumeln. - Keinen Gedanken festhalten, sondern alles fließen lassen. - Sie nahm sich vor, die Düfte ganz bewusst wahrzunehmen. Dann tauchte sie unter und spürte die Wärme und den leichten Auftrieb, der ihr ein Gefühl des Schwebens vermittelte, wie es wohl ein Baby im Mutterleib hat. Sie fühlte sich so unendlich wohl und war regelrecht eins mit dem Wasser.
Langsam wurde das Wasser kühler. Sie beschloss zur nächsten Genussstufe überzugehen und sich wohlig in ihren neuen Frotteebademantel einzuwickeln. Gott, war der kuschelig! – Jetzt noch langsam eincremen und die Haare trocknen. – Jeder Strich der eingecremten Hand über die Haut war ein Streicheln. - Lass‘ dir Zeit Anna. Genieße!
Kein Druck mehr durch die mahnende Uhr. Es braucht, was es braucht! … Und niemand hetzt! Nach dem Fönen setzte sie sich vor den Spiegel und kämmte ihr Haar, um ihm Form zu geben. Anna hatte mühsam aber erfolgreich gelernt, sich im Spiegel anschauen zu mögen. Nicht immer nur das zu sehen, was nach allgemeiner und geschmacksbedingter Definition vielleicht nicht so schön gesehen wurde und was man als Anspruch dann, gerade als Frau, nur zu gern unbewusst übernahm. – Nicht mehr permanent unzufrieden sein! –
Nein, sie sah sich als Gesamtkunstwerk. Als Werk eines Schöpfers, der alles so gestaltet, wie es harmoniert. Einfach genial. – Das war sie selbst mit all den Spuren des Erlebten, Erlittenen und Erlernten. Sie hatte gelernt sich selbst anzunehmen und zu lieben.
Natürlich gab es immer wieder Menschen, die – ob bewusst oder unbewusst – einem das Gefühl geben wollen, dass man nicht genügt. Dazu, so wusste sie, gehört aber auch man selbst, der das zulässt und sich deformieren lässt. – Sowas wollte sie nicht mehr zulassen, auch wenn es manchmal noch nicht ganz stabil gelang. – Aber immer öfter. Der Weg ist das Ziel!
Im Großen und Ganzen war sie immer konsequenter bei sich. – Und das strahlte sie auch aus … sie sah es als Reflektion in den Augen der sie umgebenden Menschen.
Jetzt noch ein wenig die Augen und die Lippen betonen … ja … heute auch ganz wenig Rouge auf die Wangen. – Perfekt!
Mit den Haaren hatte sie bei der himmlischen Vergabe Glück gehabt. Um die Haarstruktur und Dichte brauchte sie sich nie sorgen. Alleinig das Ergrauen wollte sie nicht hinnehmen, genau wie alle Frauen in ihrer Familie zuvor es auch sahen. Ihr Naturblond wurde – wenn nun auch chemisch – beibehalten. Das war ihr Ding, so fühlte sie sich wohl.
Sie wählte mit Bedacht ein schönes buntes Kleid aus. Dabei hing ihre Definition von schön mit dem jeweiligen Tagesbefinden zusammen. Es gab Tage, da war ein altes einfarbiges und vertrautes Kleid oder eine Jeans für sie sehr schön, dann wieder brauchte sie etwas schrägbuntes um ihr Befinden zu unterstreichen.
Nun war sie bereit für den neuen Tag!
2. Ungewissheit
Es kam wie gerufen, dass ihr Sohn Ralf sich für heute zum Frühstück angemeldet hatte. Er brachte, wie immer, Brötchen und die Tageszeitung mit. Sie freute sich auf dieses Ritual mit ihm, das Ratschen über Gott und die Welt, liebte es, zu erfahren und zu besprechen, was sich bei wem wie und wo ereignet hat.
Eins war sie zuverlässig: Sehr verschwiegen! Nichts desto weniger war es interessant, wie früher bei den Zoobesuchen, die sie immer so sehr liebte, andere zu beobachten, und wie das Leben sich für alle entwickelte. Das war bisweilen wie eine wissenschaftliche Studie und so verblüffend, da man oft schon voraussehen konnte, was sich dann tatsächlich entspann.
Also, schnell Kaffee aufbrühen und all die leckeren anderen Sachen auf den Wohnzimmertisch, … quasi Brunch richten. Anna Schneider machte den Fernseher aus. Peter und das örtliche Geschehen waren interessanter. Also, loslegen mit Peter. Brötchen. Beide waren Lebenskünstler, wie ihr Mann immer treffend feststellte. Sie und ihr Sohn genossen bedächtig ihr Frühstück. Anna fiel auf, das Peter ungewöhnlich gedämpft wirkte, so dass sie sehr bald bemerkte, dass etwas ihren Sohn beschäftigte.
Peter reichte seiner Mutter wortlos die Zeitung, die er schon so gefaltet hatte, dass ein Bericht auf der vorderen Seite ins Auge fiel. Dort stand zu lesen, dass man im Rhein die Leiche eines jungen Mannes angeschwemmt gefunden hatte. Jener schien schon einige Wochen lang tot zu sein und war anscheinend auch deshalb schwer zu identifizieren.
Dieser Zeitungsbericht hatte Ralf und seine Frau Sarah heute Morgen doch mehr als nachdenklich gemacht. Irgendwie waren beide beunruhigt und aufgewühlt. Sie konnten sich die aufkommende innere Beunruhigung erst nicht erklären. Doch es kam eine Ahnung auf. Ihnen fiel direkt Lenny ein, der beste Freund von Ralfs Sohn, Paul, der seit vielen Wochen vermisst wurde. Sie dachten lange, dass er vielleicht irgendwohin getrampt sei. Eben eine Lebensphase durchlebte, die ihm Abstand zu seinen Eltern ermöglichte, bei denen er noch wohnte, ohne eine Bindung zu spüren. Annas Familie akzeptierte so einen Wunsch. Ein junger Mensch muss seinen selbständigen Weg finden dürfen. Jetzt waren sie trotzdem beunruhigt. Stark beunruhigt!
Die beschriebene Kleidung, Alter und Größe könnten stimmen. Aber, wie sollte er, wenn es Lenny war, in den Rhein gekommen sein?
Beide wurden plötzlich ganz still, denn sie mussten immer wieder an ihn denken, sahen innerlich sein Gesicht. Er war vom Kindergarten an Pauls engster Freund, und daran zu denken, dass er es sein könnte, tat fast so weh, als wenn man Paul vermissen würde. Das unvorstellbar Schreckliche schien plötzlich so real und nah.
Über die vielen Jahre wurden die Jungen älter, waren irgendwann junge Männer. Sie waren zuweilen immer noch wie Zwillinge. Beide hatten ihre eigenen Erlebniskreise und konnten doch über alles sprechen, sich beistehen, wenn es einmal nicht so lief, wie es sein sollte.
Beide schrieben