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Im dunklen Buch des Anbeginns
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eBook364 Seiten4 Stunden

Im dunklen Buch des Anbeginns

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Über dieses E-Book

Nach einer Jahrtausende währenden Reise durch das All ist Gott mit einer Sonde im irdischen Sonnensystem angekommen.
Der hyperintelligente Computer verfolgt unbeirrbar sein programmiertes Ziel: Die Spezies seiner Erbauer und ihre Technologie neu zu erschaffen.
Doch seine Geschöpfe entwickeln einen eigenen Willen und lehnen sich gegen Gottes Pläne auf.
Der Seraph Luzifer zettelt eine Revolte an und flieht mit einer Gruppe Rebellen auf den Planeten Eden. Dort gewinnt er weitere Gefährten für seinen Aufstand: z.B. den Sukkubus Lilitu und die simulierten Seelen seiner Vorfahren. Und dann ist da noch der Mensch Adam – auf der Suche nach seiner Traumfrau Eva ...
Die biblische Schöpfungsgeschichte im Science-Fiction-Gewand.
Plötzlich ergibt alles Sinn.
SpracheDeutsch
HerausgeberWurdack Verlag
Erscheinungsdatum2. Dez. 2019
ISBN9783955561352
Im dunklen Buch des Anbeginns

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    Buchvorschau

    Im dunklen Buch des Anbeginns - Michael Böhnhardt

    Böhnhardt

    1

    Und machte allerlei Geräte zu dem Altar: Aschentöpfe, Schaufeln,

    Becken, Kohlenpfannen, alles von Erz.

    Und machte am Altar ein Gitter wie ein Netz von Erz umher ...

    2. Mose 38, 2 - 3

    Am Anfang schuf Gott eine Menge Dinge, die nicht so recht funktionierten. Oder die zumindest nicht bis zum Ende durchdacht waren. Diese Gesteinsmühle hier gehörte zweifellos dazu. Im Grunde funktionierte sie in fast jeder Beziehung besser, als es Luzifer lieb sein konnte: Die Walzen drehten sich mit ohrenbetäubendem Getöse und der Einfülltrichter ruckelte und rüttelte tadellos, sodass Luzifer bei seinem Versuch, aus ihm herauszuklettern, immer wieder den Halt verlor oder von einer neuerlichen Gesteinslawine, vom ebenfalls nicht zu bemängelnden Förderband herabgeschüttet, mitgerissen wurde. Nicht bis zum Ende durchdacht war der Notschalter. Der befand sich oben auf dem Laufgitter. Unerreichbar von hier unten.

    Nun, die Sache hatte ihr Gutes. Nach langer Zeit könnte er mal wieder in seinem Inspektionsbericht eine echte Verbesserung vorschlagen: Für den Fall, dass ein Engel in die Fänge dieser Zerkleinerungsmaschine geriet, sollte man einen Notschalter direkt unten an der Umrahmung der Walze anbringen.

    Die Sache hatte zwei Haken. Zum einen ließ sich Gottes Antwort schon im Voraus erahnen. Wie oft bekamen Engel wohl Gelegenheit, in den Zufülltrichter einer aktiven Erzanlage zu fallen? Sie hatten dort normalerweise nichts verloren. Nur bei einer Inspektion kam man solch einer Maschine so nahe. Musste man wirklich Maßnahmen zum Schutz von ungeschickten Inspektoren einplanen? Was nichts anderes hieß als: Wie konnte er, Luzifer, so dämlich sein? Eine Frage, die er sich durchaus selbst stellte.

    Und zum anderen: Um diesen Inspektionsbericht verfassen zu können, musste er erst einmal unbeschadet aus dem Trichter herauskommen.

    Luzifer hüpfte auf der hin und her zuckenden Umrandung des Mahlwerks herum, ruderte mit den Armen und blickte mit einer bedenklichen Faszination auf die sich gnadenlos drehenden Walzen.

    Warum nicht? Er war schon tausend Mal gestorben. Würde dies hier wirklich anders sein? Und wenn ja, wie?

    Dann erspähte er eine Lücke in dem Pulk der herabgeworfenen Erze und sprang wieder los. Er stieß sich auf der glatten Oberfläche des Trichters höher und höher. Obwohl er immer wieder abrutschte, gelangte er fast bis zum oberen Rand. Gerade als er mit seiner Pranke nach oben griff, prasselte ein Haufen Geröll gegen seinen Kopf. Der Schutzhelm hielt stand, doch der Dreck bedeckte die Scheibe und raubte ihm die Sicht. Blindlings tastete er nach Halt, stolperte und rutschte hinab. Das linke Bein glitt über die Umrandung. Mit dem rechten Fuß fand er vor dem Absturz auf dem Tritt noch eine Spur von Halt und stieß sich zu einem Sprung über das Mahlwerk ab. Der Schwung genügte, um ihn über die Walzen hinweg auf die andere Seite zu bringen, er prallte mit der Brust gegen das Gitter und klammerte sich fest. Seine Beine baumelten herab. Er versuchte sofort, sie anzuziehen, doch er spürte, wie sein Fuß gegen die Metallzähne schlug und sich verklemmte. Bevor ihn das Mahlwerk endgültig zu packen bekam, riss er ihn empor und schwang die Beine hinauf auf die Umrandung. Ächzend zog er seinen gesamten Körper hinterher. Schnaufend wälzte er sich herum, setzte sich auf und rieb den Schmutz von der Sichtscheibe. Der Schmerz pulsierte durch seinen angeschlagenen Fuß.

    Das war knapp gewesen. Fast hätte es seinen Fuß erwischt.

    Den Fuß! Wem wollte er etwas vormachen? Hier ging es nicht um einen Klumpfuß. Er kämpfte gerade um sein Leben.

    Schon viele Engel hatten mutwillig ausgetestet, wie weit sie sich auf ihre Panzerung verlassen konnten. Mit mehr oder weniger schlimmen Folgen. Allerdings hatte sich wohl noch niemand kopfüber in eine Erzmühle gestürzt.

    Unfassbar: Er würde tatsächlich sterben, nur weil er zu ungeschickt war, über ein Laufgitter zu gehen.

    Sieh an, ein weiterer Verbesserungsvorschlag: »Außerdem würde ich empfehlen, die Laufgitter mit Schutzgeländern zu versehen.«

    Das war doch alles lächerlich. Luzifer stand auf und setzte zu einem erneuten Ansturm an. Er kämpfte sich den Trichter hinauf. Dann packte er einen Erzbrocken mit beiden Händen. Er wandte sich um und spähte nach dem Notschalter. Alles Weitere geschah automatisch und innerhalb von Sekundenbruchteilen. Er fixierte das Ziel und warf den Brocken. Die Flugbahn sah gar nicht mal so schlecht aus. Doch schon donnerte ihm ein Haufen Geröll in den Rücken und riss ihn mit. Diesmal glitt er nicht, er flog. Die mahlenden Walzen rasten auf ihn zu. Er schrie und schloss die Augen.

    Der Aufprall schlug ihm durch jeden Muskel und jeden Knochen. Sein Körper spannte sich in Erwartung der Metallzähne an. Doch das Rattern des Mahlwerks erstarb im nächsten Augenblick.

    Luzifer stöhnte und ließ langsam die Luft aus seinen Lungen entweichen. Was für ein Wurf! Er hatte tatsächlich getroffen.

    Und wie stets in solchen Fällen war kein Publikum zur Stelle, diese Meisterleistung entsprechend zu würdigen.

    »Ich habe doch immer gesagt, dass ich in die Kugelarena gehöre«, murmelte er, erhob sich und klopfte sich den Staub vom Schutzanzug.

    Bis auf diesen Zwischenfall hatte er die Inspektion auf Pischon genossen. Und im Nachhinein betrachtet, hatte die Todesgefahr dem Ausflug zusätzliche Würze verliehen. Auf dem Pantheon glich ein Tag dem anderen, so gut wie ereignislos schlichen die künstlich geschaffenen Perioden dahin. Aus diesem Grund vegetierten die meisten Seraphim Stunde um Stunde mit dem Stecker im Nacken dahin. Luzifer allerdings hatte schon immer die Realität vorgezogen, auch wenn sie langweilig war. Leider war sie das meistens. Jede Art von Abwechslung war da willkommen.

    Besonders viel Abwechslung bot so ein Kontrollflug zu den Minen auf Pischon jedoch normalerweise nicht. Die computergesteuerte Anlage regelte und reparierte sich selbst. Jede Fehlfunktion ließ sich abfangen, vom Gesamtsystem separieren und bei der nächsten Gelegenheit durch die Wartungssysteme reparieren. Und wenn die Wartungssysteme versagten, gab es Wartungssysteme, die sich um die Wartungssysteme kümmerten. Gott baute in jedes System so viel Redundanz ein, wie er auftreiben konnte, so viel war mal klar.

    Weniger klar war, wozu er seine Engel Anlagen kontrollieren ließ, die sich bestens selbst kontrollierten.

    »Aus einem neuen Blickwinkel auf allzu routinierte Abläufe schauen. Schwachstellen aufzeigen, die dem System selbst nicht mehr auffallen.«

    Nichtssagendes Gerede. Sei’s drum. Hauptsache raus aus dem Pantheon.

    Selbst für einen Seraph war der Aufenthalt auf Pischon kein Vergnügen. Auf der der Sonne zugewandten Seite war es kochend heiß, auf der anderen so kalt, dass ihm das Blut in den Adern zu gefrieren drohte. Die Infrastruktur war rudimentär: Von der Bodenstation der Jakobsleiter aus gruben sich automatische Bohreinheiten in den Boden. Verstreut über die Felswüste lagen die Kuppeln der Steuerkomplexe, Reparaturhangars, wuchernde Maschinenparks zu unerkennbaren Zwecken; es gab aber kaum Komplexe für lebende Wesen, und die paar, die vorhanden waren, boten nicht den geringsten Komfort.

    Das störte Luzifer nicht besonders. Er mochte die brennende Sonne, die hier viel größer als im Pantheon am Himmel stand und eine verwirrende Schleifenbahn über das Firmament zog. Er strolchte durch die Förderanlagen und grübelte darüber nach, was diese Erze so wertvoll machte, dass Gott den Transport ein Gravitationsloch hinauf in Kauf nahm. Das meiste, was sie im Pantheon benötigten, konnte man durch Schleudern von den Asteroiden ins All befördern. Und wenn sie so unverzichtbar waren: Schließlich behauptete Gott, er habe schon einmal einen Planeten gesprengt, um kleine handliche Trümmer für den Bergbau zu erhalten.

    Allerdings bezweifelte Luzifer, dass an jenem Zwischenfall irgendetwas Absicht gewesen war. Die Formel für den Energie-Materie-Transformator hatte seit Ewigkeiten verborgen in Gottes Speichern geschlummert und der Schöpfer hatte sich in einer Stunde der Langeweile den Planeten Hiddekel ausgesucht, um sie in die Praxis umzusetzen. Mit wirklich sehr viel Glück kostete sie das nur diesen Planeten und hinterließ nach einer durchaus beeindruckenden Explosion einen Gürtel von Asteroiden auf der ehemaligen Planetenbahn.

    Doch wenn Gott sagte, es sei Absicht gewesen, so hatte es unangenehme Folgen, ihm da zu widersprechen.

    Mit der Zeit litt Luzifer auf Pischon zunehmend unter der ständigen Schwerkraft. Die Rotation der Zylinder im Pantheon erschuf die Illusion von Gravitation, aber man konnte ihr dort jederzeit entkommen. Und Luzifer nutzte jede Gelegenheit dazu. Stundenlang schwebte er in den Sichtkammern schwerelos zwischen den Sternen, korrigierte ab und zu seinen Kurs mit den angeschnallten Flügeln und träumte mit offenen Augen. Würde sich sein Körper verändern, wenn er niemals in den Einzugsbereich der Planeten oder der Rotation der Sphären zurückkehrte? Würde er zu einem Wesen des Alls werden? Warum hatte Gott ihn nicht so erschaffen? Weshalb simulierte er eine Kraft, die es auf Planeten gab, wenn sie doch gar nicht auf Planeten lebten?

    So war er, Abwechslung hin oder her, letzten Endes froh, als der Termin des Abfluges nahte. Er traf die letzten Vorbereitungen für den Abflug, diktierte die Eindrücke, die er während der Inspektion gewonnen hatte, auf Kristall und erklärte detailliert, was ihm gefiel und welche Veränderungen er vorschlagen würde.

    Endlich piepste der Kommunikator auf. Er meldete sich.

    »Hier ist Luzifer.« Er zögerte kurz. Das war zwar eindeutig, da jeder Name nur einmal vergeben wurde, doch wenn ihn der andere nicht persönlich kannte, käme er mit seiner Identifikationsnummer besser zurecht. Nun, dann würde er schon nachfragen. »Inspektion der Minen auf ...«

    »Ich komme«, keuchte jemand. Eine fiepende Rückkopplung fraß sich schmerzhaft durch Luzifers Gehörgang.

    »Ich komme«, keuchte es fröhlich weiter. »Ich k ...«

    Luzifer schaltete den Kommunikator aus und lehnte sich zurück. Er kratzte sich die Stirn und schüttelte den Kopf. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein infantiler Scherzkeks.

    Schließlich stellte er die Verbindung wieder her.

    »Ist da unten nun jemand oder nicht?«, knisterte es aus dem Kommunikator.

    »Hier ist immer noch Luzifer. Ich überlege mir gerade, ob meine Inspektion tatsächlich vollständig abgeschlossen ist oder ob ich diese Transfermöglichkeit vielleicht auslasse. Ich könnte noch mal die Kettenglieder an den Förderbändern zählen.«

    »Aber nicht doch. Wo ich schon mal extra für dich gekommen bin.«

    »Der Witz wird nicht besser, wenn du ihn ständig wiederholst.« Wenn es denn ein Scherz gewesen war.

    »Welcher Witz?«

    »Kannst du dich bitte endlich identifizieren?«

    »Na was, erkennst du meine Stimme nicht? Hier kommt der einzig wahre Belizal. Ich hoffe, ich höre da jubelnden Applaus und nicht nur Störgeräusche in der Verbindung.«

    Luzifer schüttelte den Kopf. Warum ausgerechnet Belizal? Der Seraph mit dem Knacks. Einmal zu oft konditioniert, oder Schlimmeres. Zwinkern, zucken, ständig die Hand da, wo sie nichts zu suchen hatte. Und ein Mundwerk, das niemals stillstand. Von allen möglichen Engeln, die zurzeit in diesem Sektor herumschwirrten, musste ihn dieser durchgeknallte Spinner abholen. Sicher, der Kerl besaß einen gewissen Unterhaltungswert, wenn man ihm in der Kantine begegnete. Er quatschte einen voll, pausenlos, ob man das wollte oder nicht. Zumeist schwebte er in ausgemusterten Raumfahrzeugen im All herum. Bei Gott war er längst in Ungnade gefallen. Man erzählte sich, er habe einmal zwei Jahrzehnte auf dem Grund eines Methansees verbracht, weil Gott ihn nicht länger ertragen und deshalb nach einer Havarie sehr, sehr lange kein Ersatztauchfahrzeug erübrigen konnte. Es klang, als wäre es nicht allzu gesund, sich in seiner Nähe aufzuhalten.

    »Belizal, wie schön«, sagte Luzifer. »Jetzt fühle ich mich viel besser.«

    »Immerhin kennst du mich. Ich habe von dir noch nie etwas gehört.«

    »Wundert mich nicht. Ich bin eher der unauffällige Typ.«

    »Hoffentlich der unauffällige durstige Typ. Du hast doch was zu trinken dort unten?«

    »Ich nehme an, du meinst kein Wasser.«

    »Da nimmst du richtig an.«

    Vielleicht sollte er wirklich diesen Transport auslassen. Irgendeine Ausrede musste ihm doch einfallen.

    »Was ist jetzt?«

    »Was?«

    »Hast du was zu trinken da unten? Ich sitze hier in diesem Schrotthaufen so ziemlich auf dem Trockenen.«

    »Wo bitte soll ich ...«

    »Du bist wohl der einzige Idiot, der das Chemielabor eines Bergwerkes nicht zu schätzen weiß.«

    »Dann komm halt runter und misch uns was zusammen. Ich vermute stark, ich werde was Hochprozentiges vertragen können, wenn ich es mit dir bis zum Pantheon aushalten soll.«

    »Das ist Pech, mein Freund. So viel Zeit haben wir nicht. Du wirst mich nüchtern ertragen müssen. Und von meiner eisernen Reserve wirst du ganz gewiss nichts abbekommen.«

    »Was hast du es so eilig?«

    »Als ob du das nicht wüsstest.«

    »Woher soll ich wissen ... Vergiss es. Wo kommst du gerade her? Was war deine Mission?«

    »Die Solarfelder.«

    Kein Auftrag, um den er ihn beneidete. Riesige, hauchdünne Membranen, die das Sonnenlicht einfingen und in Elektrizität umwandelten. Ein synchroner Tanz der Reparatureinheiten, die defekte Teile austauschten, die Speichereinheiten wechselten und die Katapulte steuerten.

    Da gab es nichts zu verbessern, nirgends hatte sich Luzifer neben den Maschinen je so überflüssig gefühlt.

    »Wir müssen zum Kolleg«, sagte er laut.

    Fraglich, dass Belizal dem Gedankengang folgen konnte, jedenfalls ging er nicht darauf ein.

    »Wie lange brauchst du mit dem Fahrstuhl?«, fragte er stattdessen.

    »Ich kann in zwölf Standardstunden oben sein«, sagte Luzifer. »Dockst du an oder soll ich die Schleuder benutzen?«

    »Natürlich die Schleuder, mein Freund. Schon vergessen? Wir haben es eilig. Ich möchte rechtzeitig zu den Meisterschaften im Pantheon sein.«

    »Ich doch auch«, erwiderte Luzifer. »Wenn jemand ein Fan ist, dann bin ich das.«

    Die Meisterschaften. Schwerelos-Ball. Die besten Spieler im härtesten Sport in diesem Teil des Universums. Die Kugelarena voller johlender Engel. Wem ginge da nicht das Herz auf? Wer ließe nicht alles stehen und liegen, um dieses unwiederbringliche Ereignis mitzuerleben? Wo es doch erst nächstes Jahr wieder stattfinden würde. Es gab wirklich nichts Wichtigeres.

    Und das war das Traurige.

    Es gab wirklich nichts Wichtigeres.

    Luzifer zwängte sich in die Kabine und startete den Fahrstuhl. Trotz seiner Abneigung gegen die virtuelle Realität stöpselte er sich ein. Zwölf Stunden ohne Ablenkung waren nicht auszuhalten. Zudem war Gott weit weg, es bestand keine Gefahr, dass er sich in seinen Kopf einhackte. Das System des Aufzuges bot keine besonders große Auswahl an Simulationen. Er entschied sich für ein Evakuierungsspiel und versuchte so viel wie möglich von einer Produktionsanlage zu retten, die durch einen Meteoritentreffer aus der Bahn und in den Anziehungsbereich der Sonne geraten war.

    Oben angekommen, überprüfte er die Bahn des nahenden Transporters, bugsierte eine Personenkapsel in die Materialschleuder und ließ sich ins All werfen.

    Er gab sich ein paar Minuten lang der Vorstellung hin: Was, wenn ihn Belizal nicht einsammelte? Wie lange würde er überleben? Und wie lange triebe er tot durchs All, allein zwischen den Sternen? Bis in alle Ewigkeit?

    Aber natürlich pflückte ihn Belizal problemlos aus dem Nichts und dockte die Kapsel an. Luzifer kroch an Bord des Transporters. Belizal drehte den Transportfelsen in die korrekte Position, dann schoss er die Kapsel zurück zur Orbitstation des Aufzuges. Die automatischen Transportvorrichtungen würden sie einfangen.

    Belizal wirkte noch immer so abgerissen, wie Luzifer ihn in Erinnerung hatte. Den löchrigen Overall, der seine schuppige Haut bedeckte, konnte man beim besten Willen nur als Lumpen bezeichnen, und mehr als den trug er nicht.

    Er grunzte zur Begrüßung, als Luzifer in die Kanzel schwebte. Luzifer blickte sich um und erkannte sofort, warum Belizal von einem Schrotthaufen gesprochen hatte. Von außen ließ sich der Zustand eines Transportfelsens schlecht beurteilen. Sie bestanden aus ausgehöhlten Asteroidentrümmern und so sahen sie nun einmal auch aus. Hier hatte sich der Zahn der Zeit bis ins Innere vorangenagt. Die Pilotenkanzel benötigte dringend eine komplette Überholung. Alles hier wirkte klapprig, wie notdürftig zusammengelötet. Die Konsolen, die Sitze, die Monitore, alles schien nur auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um aus seinen Halterungen zu springen. Irgendetwas gab einen nervenden, fast schon peinigenden Piepton von sich. Immer wieder blinkten auf der Steuerkonsole irgendwelche Lichter auf. Zuerst schreckte Luzifer besorgt auf. Doch Belizal knurrte nur, hieb mit seiner Pranke gegen die Konsole und brachte die Signale so zum Verstummen.

    »Ich möchte wissen, was ich dem Alten getan habe, dass er mich in dieser Kiste herumfliegen lässt«, sagte Belizal.

    Gegenüber der Zustiegsluke entdeckte Luzifer einen Sarkophag. Endlich ein Lichtblick. Er hatte nicht zu hoffen gewagt, dass der Felsen damit ausgestattet war.

    »Und ich frage mich, was ich getan habe, dass er mich von dir abholen lässt.« Luzifer musterte den Sarkophag. Das Lebenserhaltungssystem wirkte so heruntergekommen wie alles andere in der Kanzel.

    »Du willst doch da nicht reinklettern?«, fragte Belizal.

    »Wie lange, sagtest du, dauert der Flug zum Pantheon

    »So zuverlässig, wie hier alles funktioniert, kommst du da nicht wieder lebend raus.«

    »Kannst stolz auf dich sein, dass man wegen dir so ein Risiko eingeht, ohne eine Sekunde zu zögern.« Luzifer setzte sich in den Sarkophag, lehnte sich zurück und schob die Arme in die Nährröhren. Er spürte, wie sie sich festsaugten. Nadeln schoben sich gegen seinen Unterarm und sonderten Säure ab, die sich durch die Panzerung seiner Haut fraß.

    »Ich hoffe, du kackst mir nicht die Bude voll«, sagte Belizal.

    »Im Aufzug war genügend Zeit, meinen Organismus auf den Transfer vorzubereiten.«

    »Ich hätte nicht gedacht, dass du es so eilig hast, Gott zu begegnen.«

    Luzifer verspürte tatsächlich kein großes Verlangen, sich in die Virtualität einzustöpseln und Gott in sein Gehirn zu lassen. Doch hier galt dasselbe wie im Fahrstuhl: Wochenlang Belizals Geschwätz zu ertragen ging über jede Schmerzgrenze hinaus. Und im Speicher eines Transportfelsens sollten, wenn überhaupt, nur relativ harmlose Ableger von Gott enthalten sein. »Das wird jetzt keine weitere Blasphemie, oder?«

    »Du bist vielleicht empfindlich. Meine ja bloß. Wenn ich die Wahl habe, mich auf dem Pantheon von Gott gängeln zu lassen, oder draußen im All herumzustreunen, dann weiß ich, was ich wähle. Wie sieht es da bei dir aus? Wo du doch gerade deine Zeit damit vertrödelt hast, auf Pischon Maschinen dabei zuzusehen, wie sie sich selbst organisieren.«

    »Pischon ist immer eine Reise wert.« Die Nadeln hatten sich durch seine Haut gekämpft und bohrten sich in seine Venen.

    »Ja, den Eindruck hatte ich von hier oben auch. Wie dem auch sei, ich gehe Gott lieber aus dem Weg. Er kann mich irgendwie nicht mehr so richtig leiden.«

    »Gott wird schon seine Gründe haben. Bei der letzten Beichte hat ihm wohl nicht gefallen, was er gesehen hat.«

    »Als ob ich es inzwischen nicht drauf hätte, ihm nur zu zeigen, was er auch sehen soll.«

    »Es wird aufgezeichnet, was wir hier sagen«, sagte Luzifer.

    »Ja, aber hört er sich’s an?«

    Luzifer schwieg. Er verspürte keine Lust, Gott auf die Probe zu stellen. Er hatte schon die eine oder andere Konditionierungsstrafe über sich ergehen lassen müssen.

    »Was meinst du?«

    »Was soll ich meinen?«

    »Ob er sich’s anhört. Hörst du mir wenigstens zu?«

    Der Kerl erwartete tatsächlich eine Antwort.

    »Natürlich wertet er die Protokolle aus. Er wertet unsere Analysen aus, und auch die Aufzeichnungen aus den Transportern.«

    »Glaube ich nicht. Ich habe schon die unflätigsten Dinge gesagt, und ich wurde niemals darauf angesprochen. Bei jeder Beichte fordert er mich auf, mich nicht zu verschließen, also zeige ich ihm Abgründe voller glühender Lava, in denen Seraphim und Cherubim ohne Zahl lichterloh brennen und sich jaulend gegenseitig die Stange reiben.«

    »Du zeigst ihm was

    »Soll ich dir’s aufmalen?«

    »Nein danke. Und bleib bitte auf deiner Seite vom Pult, ja?«

    Belizal zwinkerte. »Keine Hintergedanken. Ich wollte Gott nur ärgern.«

    »Genau. Bleib trotzdem dort drüben.«

    »Es interessiert Gott nicht.«

    »Er hat dir keine Konditionierungsstrafe verpasst?«

    »Nicht in den letzten paar Jahren.«

    Luzifer grübelte kurz. Das erschien ihm unvorstellbar. »Und vorher?«

    »Ständig. Du weißt ja, wie das läuft. Er lässt dich ständig dein Fehlverhalten wiederholen, du siehst dir dabei zu, wie du wieder und wieder dieselben Handlungen begehst, du schreist dich in Gedanken an, das doch zu lassen, aber natürlich tust du es trotzdem, und dann kommt der Schmerz, der dein Innerstes nach außen kehrt.«

    »Du weißt, dass es uns verboten ist, darüber zu reden?«

    »Ich weiß. Vielleicht ist das hier ja eine Konditionierungsstrafe, und ich sehe mir zu, wie ich mich wieder und wieder um Kopf und Kragen rede, ich schreie mir in Gedanken zu, ich solle doch endlich die Klappe halten ...«

    »Dann halt sie doch auch.«

    »Aber natürlich kann ich das nicht. Man begeht diesen Fehler, Gott weiß, dass man ihn begeht, man selbst weiß, dass man ihn begeht, und möchte es vermeiden, wirklich, doch es ist ja vorherbestimmt.«

    »Aber irgendwann bis du aus der Konditionierung raus und kannst wieder entscheiden, welche Handlungen du begehen möchtest.«

    »Woher weißt du, dass du draußen bist?«

    Luzifer war einen Moment lang fassungslos. »Du weißt nicht, wann du aus der Konditionierung raus bist?«

    Belizal verzog sein Maul zu einem Grinsen.

    »Warum besuchst du nicht das Kolleg?«, fragte er.

    »Ich falle immer wieder durch die Aufnahmeprüfung.«

    »Wieder und wieder. An was erinnert dich das?«

    Luzifer knurrte. »Du kannst mich mal.«

    »Dieses Spielchen spiele ich nicht mehr mit. Ich habe schon lange aufgehört, mich zu bewerben.«

    »Als ob Gott dich ins Kolleg lassen würde.«

    »Du hältst mich für strunzdumm?«

    Luzifer zuckte die Achseln. »Quatsch. Ich habe mich noch nie zuvor so intellektuell herausgefordert gefühlt wie in deiner Gegenwart. Aber das hat damit nichts zu tun. Am Kolleg erforschen sie Dinge, die nicht einmal Gott weiß. Und das will etwas heißen. Gott war schon schlau, als er zu seiner Reise durch den Raum aufbrach. Als er hier ankam, hatte er Jahrtausende weiter über das Universum philosophiert. Ihm waren unzählige Ideen gekommen, die er endlich in die Tat umsetzen konnte. Dabei lernte er immer mehr hinzu, was funktionierte, was nicht, entdeckte durch Zufall Dinge, auf die er durch reines Nachdenken nie gekommen wäre. Hast du eine Vorstellung, von welchen Zeiträumen wir hier reden, von welch ...«

    »Preiset den Schöpfer. Du hast in der Schule brav aufgepasst.«

    »Gott weiß so gut wie alles, aber vor allem weiß er, wem er vertrauen kann und wem nicht. Glaubst du, er würde die Grenzen seines Wissens jemandem offenbaren, der ihn mit voller Absicht herausfordert?«

    »Von wem sonst könnte er sich neue Erkenntnisse erhoffen? Du denkst die Sache nicht zu Ende. Wem würden wohl Ideen einfallen, auf die er selbst nicht kommen würde? Jemandem, der brav in der Herde bleibt, denkt, was Gott erlaubt zu denken, blind glaubt, was Gott als Wahrheit verkündet? Was könntest du denken, was Gott in Tausenden von Jahren noch nicht schon unzählige Male selbst gedacht hat?«

    Luzifer schloss die Augen und betätigte den Schalter zum Verschließen des Sarkophags. Er spürte, wie der Anschluss in seinem Genick einschnappte.

    Dann gab er ihn mit einem Klick wieder frei und der Deckel des Sarkophags fuhr auf.

    »Was soll das? Mag ja sein, dass du dich einsam fühlst, aber lass mich in Ruhe ...«

    »Ausgeschlafen?«, fragte Belizal.

    »Wir sind schon da?« Wie konnte das sein? Er erinnerte sich nicht, geträumt zu haben. »Wie lange war ich weg? Kam mir vor, als wäre ich gerade erst hineingeklettert.« Er zog die Arme vorsichtig aus den Nährmanschetten.

    »Ja, die Zeit verfliegt, wenn man sich amüsiert.«

    Auf dem Pult blinkten wild Kontrolllämpchen auf. Belizal ließ seine Pranke auf das Pult krachen. Diesmal verstummte der Alarm nicht.

    »Siehst du das? Ich könnte etwas Hilfe brauchen«, sagte Belizal. »Deswegen habe ich dich geweckt.«

    Luzifer hievte sich aus dem Sarkophag und wankte zum Kontrollpult. Ächzend ließ er sich in den Sitz fallen und überprüfte, was ihnen das Warnsignal sagen wollte. Die Bordelektronik spielte verrückt. Schaltkreise überhitzten,

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