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Das Endspiel des Kapitän Wronka (eBook): Ein Fall für Kommissar Polowski
Das Endspiel des Kapitän Wronka (eBook): Ein Fall für Kommissar Polowski
Das Endspiel des Kapitän Wronka (eBook): Ein Fall für Kommissar Polowski
eBook511 Seiten6 Stunden

Das Endspiel des Kapitän Wronka (eBook): Ein Fall für Kommissar Polowski

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Über dieses E-Book

Ein todgeweihter Mafiaboss droht, den angesehenen Frankfurter Herzchirurgen Prof. Franz Scharffenrath und dessen Tochter umbringen zu lassen, wenn es diesem nicht gelingt, ihm das Leben zu retten. Kurz darauf schwebt der Fußballstar Feliciano Wronka nach einem hochbrisanten Spiel in akuter Lebensgefahr, und ein bekannter Richter wird mit einem schweren Herzinfarkt eingeliefert. Scharffenrath steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe: Er muss schnellstmöglich drei Kunstherzen beschaffen. Was tun? Zwischen Frankfurt, Palermo, Lissabon und dem brasilianischen Regenwald gerät er in die Untiefen des internationalen Organhandels. Doch was niemand ahnt: Er hat noch einen Joker in der Hand …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum30. Apr. 2013
ISBN9783869139654
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    Buchvorschau

    Das Endspiel des Kapitän Wronka (eBook) - Werner Möllenkamp

    978-3-7472-0044-5

    Inhalt

    Hintergrund

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    Nachwort

    Dank des Autors

    Hintergrund

    Professor Franz Scharffenrath ist ein begnadeter Chirurg. Wenn die Zeitungen über den Ersatz von Organen schreiben, erwähnen sie Scharffenrath als den Papst der Herztransplantation. Seine Mitarbeiter vergöttern ihn. Bei ihm zu arbeiten ist in der Regel der Anfang einer eigenen chirurgischen Karriere. In dem Moment, in dem das Skalpell in den Herzraum vordringt, um gegen den Humandefekt zu agieren oder den Austausch des Organs einzuleiten, löst sich Scharffenraths Selbst inmitten der dramatischen Situation auf und geht in die magische Leidenschaft eines Mannes über, dem die höchste haute chirurgie gestattet, ein Werkzeug des Schöpfers zu werden. Er kann es sein. Doch weil die Bereitschaft der Menschen, Organe zu spenden, mit dem Bedarf an noch transplantationsfähigen Herzen niemals Schritt halten wird, entwirft Scharffenrath ein großes Projekt, das nur seinen Gesetzen folgen soll. Das Internationale Frankfurter Herztransplantationszentrum, IFHZ genannt, das in der Fachwelt sehr bald auf HZ-Projekt gekürzt in Zweifel gezogen wird. Spötter verfassen Glossen für die Presse. Zum einen steht ein Kunstherz selbst auf weite Sicht nicht zur Verfügung, zum anderen wird Scharffenraths Idee an den ungeheuren Kosten scheitern. Doch Scharffenraths Besessenheit überschreitet alle Grenzen, er wird es umsetzen, koste es, was es wolle. Unermüdlich.

    | 1 |

    Kommissar Polowski war der Auffassung, es habe sich viel verändert. Jeder, der nicht wusste, wohin, konnte ins Land und in die Stadt kommen. Arm und Reich. Krethi und Plethi, wie seine Großmutter den alten König David zitierte. Die Stadtverwaltung hatte soeben für die Hungernden eine Tafel, die erste Suppenküche, eröffnet. Das Traurigste von allem war das Schicksal der kleinen Amy, die an Leukämie litt und einen passenden Stammzellenspender suchte. Claudia Nadolny, die Journalistin von Sodom-Live, hatte einen Artikel über Amy geschrieben, den sie Polowski zeigte, als sie der Konstabler Wache den täglichen Besuch abstattete, um den Polizeibericht über die Kriminalität in der Großstadt und die Arbeit der Polizei abzuholen.

    Vor einigen Jahren hatte es noch in der Hauptwache in der City eine kleine Polizeistation gegeben. Im Zuge der Rationalisierung hatte man sie durch eine Patrouille und ein Auto Marke Opel Vectra ersetzt.

    Die Veränderungen, von denen Polowski gerne sprach, kamen einer Krake aus den Tiefen der Unterwelt gleich. Die Journalistin wollte es nicht einfach bei der Unterwelt belassen. Sie meinte, die Upperclass habe hier und da auch die Finger im Brei, was Polowski nicht bestritt. Aber der Gedanke, darum müsse er sich auch noch kümmern, sei, wie er meinte, reichlich meschugge.

    Der Polizeipräsident hatte der Konstabler Wache die Bekämpfung der Kriminalität, wo immer sie auftrat, aufgetragen, dazu die Fahndung in Mordfällen. Im Unterschied zu den Verbrechen insgesamt hatten aber Mord und Totschlag ihre höchste Quote in der Unterwelt. Folglich gab es für Polowski die meiste Arbeit in der auch von der ausländischen Presse in diesem Zusammenhang zitierten underworld of the city of Frankfurt, der Mitte der Main-Metropole. Wollte die Journalistin darüber etwas schreiben? Sie könnte die Mordkommission ja gelegentlich mal begleiten. Seinen Männern würde das gefallen. Er fand, Claudia Nadolny sei ein schönes Mädchen. Und gescheit war sie auch. Eine unterhaltsame Begleiterin. Vielleicht mal im Sommer. Wenn die Nächte warm und trocken und die Menschen länger auf den Beinen waren.

    Im Sommer war Frankfurt am Main eine Stadt, die niemals schlafen ging. Eine Stadt für Verliebte. Eine aufregende Stadt. Eine Stadt, die auch hart sein konnte. In der Hanauer Landstraße nahe der Ostend-Straße standen morgens um 5 Uhr die hungrigen Tagelöhner. Das war der freie Markt für die Discount-Anbieter der Ware Arbeitskraft. »Suche Arbeit jeder Art«. Tagelöhner. Man konnte die Männer kaufen. Zu dieser Zeit betrug der Preis 50 Euro, bar auf die Hand, für den ganzen Tag. Auch das, meinte Polowski, gehöre zu den Veränderungen.

    »Ich weiß«, bestätigte die Nadolny. Sie hatte darüber schrei- ben müssen.

    | 2 |

    Donnerstag, 28. April. Früher Morgen

    Frankfurt am Main. Chirurgie des Sachsenhäuser Klinikums. Hektik

    Der Professor galt schon zu dieser Zeit als Koryphäe auf dem Gebiet der Herzchirurgie. Seine Transplantationschirurgie wurde als ausgereift bezeichnet. Junge Chirurgen bewarben sich um eine Assistentenstelle in seinem Team. Da sprach sich viel herum. Es war ehrenvoll, bei Scharffenrath zu arbeiten, und jeder, der sich darum bewarb, ließ gern sein Privatleben fahren. Hier wurden Fleiß und Zuverlässigkeit gewogen, die Stunden nicht gezählt. Der Dienst begann um 7 Uhr und jedermann tat gut daran, schon vor der Zeit auf seinem Posten zu sein. Und Geld konnte man auch verdienen.

    Scharffenrath verließ sein Haus um sechs. Da musste eine Katzenwäsche reichen. Vor Jahren schon gab er das morgendliche Rasieren auf. Nun trug er einen gepflegten Hemingway-Bart, der einmal wöchentlich gestutzt wurde und die Wangen und den Unterkiefer bedeckte. Das Kopfhaar kurz im Bürstenschnitt. Vor den Operationen zog er eine grüne Baumwollkappe über Kopf und Kinn, die eine Schwester festzurrte und verschnürte, um den Operationsherd vor fallenden Haaren zu bewahren. Die Vorbereitung der Patienten war um diese frühe Zeit in vollem Gange.

    »Was haben wir denn heute?«, fragte er seine Sekretärin.

    »Das wissen Sie doch, Chef.« Theresa lächelte. Die Septima-Begrüßung. Übliche Routine. Die 7-Uhr-Frage: Was haben wir denn? »Also, zwei Herzen. Bypässe. Eine Herzklappe.«

    »Sind die beiden Herzen schon da?«

    »Das Erste ist soeben mit dem Hubschrauber gekommen. Der Patient wird vorbereitet.«

    »Und das Zweite?«

    »Ist für elf angekündigt.«

    »Sagen Sie Dr. Hakim, ich komme gleich. Er soll die Blutgruppen noch einmal vergleichen.«

    »Mach ich.«

    »Ist die Portugiesin da?«

    »Natürlich. Die ist immer als Erste da. Dr. Hakim könnte dann ja schon mal anfangen.«

    »Wenn die Mannschaft komplett ist.«

    »Ist sie, Chef.«

    »Gut, Theresa. Dann mal los!«

    Es galt die Regelung, den Operateuren niemals den Namen des Transplantationskandidaten zu nennen, wenn es der Professor nicht wollte. Wem könnte denn auch der Name nützen? Unbefangen sollte jeder an die Arbeit gehen. Namen waren Schall und Rauch. Was galt, das war allein das Glück, ein gutes Menschenleben zu verlängern.

    Auf der breiten Fensterbank stand ein Terrarium. War es still im Zimmer, hörte man den jungen Leguan am Grünzeug schnüffeln und knabbern.

    »Doktor Hakim« nannten sie den Chirurgen David Fortenay, einen Exil-Ägypter aus der Stadt Alexandria, wo sein armer Vater eine bescheidene Buslinie nach Kairo unterhielt, bis der Krieg begann. Ein asketischer Haut- und Knochen-Typ. Schmale Hände. Leptosome Finger, die Wunder vollbrachten. Der Vater konnte nur ein Kind studieren lassen; dass er David wählte, erwies sich als Glücksfall. Und selbst dieser Glücksfall verlangte Gefälligkeiten für den Drogenmarkt von Kairo. Die Busse brachten in ihren doppelten Böden die Ware, die an der Insel Pharos ausgeladen wurde, nach Kairo. David kannte sich in Vaters Keller aus. Wenn er vor den Examina an der Universität ein paar Morphinkristalle schluckte, verbesserten sich die Zensuren. Nur ein wenig. Nur ein bisschen. Wer davon wusste? Wer viel fragt, bekommt viele Antworten, meinte Theresa. Scharffenraths Sekretärin steuerte das ganze Projekt, überblickte alles, sah alles, wusste alles, sagte nichts und lächelte gleich einer Sphinx.

    Weiter, Leute, weiter.

    Zu diesem Zeitpunkt blieb Theresa noch einen Augenblick an der Tür stehen. »Haben wir für das Wochenende ein Programm?«

    »Meine Frau will im Garten arbeiten. Ich denke, sie wird mich einspannen. Rasen mähen. Also eher nein.«

    »Die Frankfurter Springer spielen am Sonntag gegen den FC Porto, sieht ganz gut aus. Die Springer haben einen neuen Trainer, einen harten Knochen namens Schaper. Dazu einen Spieler aus Brasilien, soll ein Ballkünstler sein. Mein Freund hat zwei Karten gekauft.«

    »Dann gehen Sie da mal hin.«

    »Danke, Herr Professor«, sagte sie.

    »Fußball ist gut. Kommen Sie bloß nicht auf die Idee zu heiraten. Quotenfrau ja oder nein. Kinder kann auch eine Quotenfrau bekommen, sie gibt sie in den Kindergarten. Erst einmal verheiratet, werden die Frauen hin- und hergerissen zwischen Beruf und Ehe. Und das Gezeter nimmt kein Ende.«

    Kaum war Theresa draußen, riss sie die Tür von außen wieder auf. »Draußen sind Besucher aus Palermo, wollen Sie sofort sprechen ... lassen sich nicht abweisen ...«

    »Dr. Hakim soll …«

    »Seien Sie vorsichtig, Chef. Drücken Sie den roten Knopf!«

    »Wer hat die denn reingelassen …?«

    »Vorsicht, Chef, Kriminelle!«, schrie sie.

    Und dann standen der Mann und die junge Frau auch schon am Schreibtisch des Professors. Sie suchten nach Worten, und jedes Wort, das sie fanden, war eine Drohung. Ihr Auftraggeber sei Padrone Gregório, er sei sehr schwer herzkrank. Die Ärzte in Palermo gäben ihn verloren, wenn er nicht ein neues Herz bekäme. Der Padrone bereite seinen Flug nach Frankfurt vor. Ein paar Tage. Molto urgente. Capisce?

    »So schnell geht das nicht, mein Herr.«

    »Aurelio Contrelli.«

    »So schnell geht das nicht, Signore Contrelli.«

    Dann fing die Frau an zu keifen. »Molto pericoloso.« Fuchtelte mit einer Pistole herum.

    »Ich verstehe«, meinte der Professor.

    »Nein, ich glaube, du nicht verstehen.«

    Seine Tochter Susanne war mit ihrem Freund nach Sizilien geflogen, um sich auf den bewässerten Terrassen die Zitronenblüte anzusehen. Scharffenrath, der Vater hatte sie gewarnt. Sizilien. Zitronen. Abenteuer. Der Vater! Nun waren sie Geiseln dieses ominösen Padrone Gregório und der Preis sei ein neues, vollwertiges Herz. Uno cuore, capisce? Deutsche Qualität. Exportacione germanica molto buono. Bedingung für das Leben der Geiseln: subito. Sofort. Leider habe dieser junge Mann, dieser Michael, den Cavaliere gespielt. Man habe zuschlagen müssen. Er sei sehr verletzt. Aber die Bambina sei o.k.

    Professor Scharffenrath versuchte es mit Höflichkeit. Er bot den beiden einen Platz an. Sie fragten, wer der Mann auf dem Bild hinter dem Schreibtisch sei. Professor Sauerbruch, erklärte der Professor. Ebenfalls ein berühmter Chirurg. Contrelli wusste damit nichts anzufangen, aber die junge Frau nickte. »Ich kenne.« Sie sei Studentin der Medizin.

    Zu seinem 50. Geburtstag hatten seine Leute Professor Scharffenrath ein hölzernes Spruchband geschenkt. Ein schöner Spruch von Ovid. Pauper ubicumque iacet. Der Arme hat überall zu leiden. Das Band hing Sauerbruch zu Füßen. Der Professor sagte, er wolle seine Tochter und Michael wieder haben. Lebend. Michael müsse sofort hierher geflogen werden. Er werde den Rettungsdienst anrufen. Und im Übrigen, na ja, er werde alles tun, was er tun könne. Aber es gebe auch für ihn zwei große Probleme. Nicht jedes Spenderherz sei für den Padrone Gregório geeignet. Man müsse den Padrone untersuchen, diagnostizieren und nach dem Befund das Spenderherz suchen. Das werde dauern. Bis dahin müsse man den Padrone am Leben erhalten. Vielleicht einfach, vielleicht sei aber das allein ein Kunststück. Da sei auch Gott im Spiel. »Verstehen Sie?« Dio e fortuna. Und das zweite Problem sei das Geld. Er sei Herzspezialist und müsse sich mit der Suche nach einem Ersatzherz befassen. Eine kostspielige Organisation. Und die Mittelbeschaffung sei nicht seine Sache.

    »Was ist das, Geld?«

    »Soldi?«

    »Ja.«

    »Großes Geld?«

    »Ganz großes Geld.«

    »Sie ein reicher Mann?«, fragte der Sizilianer. Eine rhetorische Frage. Ein reicher Professor, das würde doch wohl passen.

    »Nein, und außerdem …«

    »Was heißt ›außerdem‹?«

    »Außerdem heißt, um das Geld kann ich mich nicht auch noch kümmern.«

    Der Mann und das Mädchen unterhielten sich dann eine Weile in italienischer Sprache. Das zog sich hin. Sie sollten sich hinsetzen, schlug der Professor vor, immer um eine friedliche Lösung bemüht. Theresa musste Kaffee bringen.

    Soldi. Was heißt soldi? Money. Professore, wie viel Geld? Millione, Massimo?

    Ein gutes Herz – nicht unter einer Million. Hängt von den Umständen ab. Alles gut oder Komplikationen, das war die Frage.

    »Complicazione?«

    »Ja, oder alles molto bene

    »Der Padrone kommt noch vor dem Wochenende«, meinte Contrelli. Na ja, er hoffe, dass es mit dem Fliegen keine Schwierigkeiten geben würde.

    »Ihr Padrone muss meine Tochter und Michael mitbringen. Haben Sie das verstanden?«

    »Ma certo.«

    »Ohne meine Tochter Padrone kaputt. Und Michael muss her.«

    »Wir verstehen.«

    Der Professor entnahm der Schreibtischschublade einen Bogen seines Briefpapiers und schrieb alles auf. Die Bankadresse sei Lissabon. Die junge Frau wiederholte alles. Die localitá ist Lisbona. Die Bank heißt Banco Aurum Lusitano. Das Bankkonto sei ein Nummernkonto. Während er schrieb, dachte er, die Mühe sei vergebens. Er würde von dem Geld keinen Cent sehen. Auch wenn die Sizilianer behaupteten, die Cosa Nostra sei eine ehrenwerte Gesellschaft. Eine was? Eine ehrenwerte Gesellschaft? Lächerlich, aber er möchte seine Tochter wiedersehen, so Gott will. So wahr Gott lebt. Der Italiano nickt. Com’é vero Dio! Woher das neue Herz nehmen und nicht stehlen? Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist die Vergütung für seine Crew. Nicht zu vergessen die Verwaltung. Man wird sehen. Erst einmal die Tochter wiederhaben. Michael, den Freund der Tochter, gibt er fast schon verloren.

    »Wir rufen Sie an«, befahl Aurelio Contrelli. »Abends. Nach 19 Uhr. Capisce?« Sie tauschten die Telefonnummern aus. Dann verließen Contrelli und die junge Frau, Valeria ihr Name, rasch das Zimmer.

    Den Leguan ärgerte dieses capisce. Er mochte die Stimme Contrellis nicht und tönte so laut es eben ging: Chree ... Chree ... Chree ...

    Als sie draußen waren, sagte der Professor zu Theresa: »So ist das mit den Kindern. Ich habe sie gewarnt.«

    »Ich weiß, Chef.«

    »Sizilien! Da hatte ich gleich kein gutes Gefühl.«

    »Soll ich Sie mit der Polizei verbinden?«

    »Vorerst nicht.«

    »Keine Panik?«

    »Nein, Theresa, Panik bringt nichts.«

    Panik hatte noch nie etwas gebracht. Sein Dozent an der Universität hatte seine Studenten vor Nervosität gewarnt, sollten sie sich entschließen, Herzchirurgen zu werden.

    | 3 |

    Donnerstag, 28. April, 11:05 Uhr

    Frankfurt – Neu-Isenburg

    Um diese Zeit sind die Parkhäuser im Zentrum Frankfurts ausgebucht. Contrellis Begleiterin, die junge Frau namens Valeria, ist nicht zum ersten Mal in Deutschland. Sie kennt sich an Rhein und Main ein wenig aus. Sie hat sich hier einen Sommer lang herumgetrieben. Mitgenommen von einem Geschäftsmann, hielt sie sich mit Drogen und Prostitution über Wasser. Na ja, das Übliche. Sie ist für diesen Job die Chauffeurin. Den Leihwagen, einen schwarzen Opel Vectra, hat sie auf einen für Frauen reservierten Parkplatz nahe dem Börsenplatz abgestellt. Sie ist eine mollige Frau mit elfenbeinfarbener glatter Haut und blässlichen kräftigen Lippen. Ihre Stimme ist rau und spröde, doch das volle tiefschwarze Haar macht sie interessant und sexy. Bisher sind zwei Streifenpolizistinnen vorbeigekommen und haben den Parkschein kontrolliert. Vorsichtshalber hat Valeria am Automaten einen neuen Parkschein gezogen. Die Tür auf der Fahrerseite lässt sie geöffnet, als wolle sie jeden Moment losfahren. Nun steht sie seit 20 Minuten zwischen Türrahmen und Tür und blickt nervös in Richtung Rossmarkt, wo Contrelli langsam auftauchen müsste. Contrelli ist ihr Boss. Er hat sie in Rom auf der Straße aufgelesen, wo sie im Fortschreiten ihrer Prostituiertenlaufbahn auf Freier wartete. Contrelli hat sie am Morgen danach gefragt, ob sie nicht lieber ehrlich, wenngleich hart arbeiten wolle. Als sie diese Frage bejahte, nahm er sie mit nach Palermo. Dort muss sie tatsächlich einen harten Job machen, manchmal auch Drecksarbeit, und sie muss blindlings gehorchen, was einer gewissen Eingewöhnung bedurfte, aber nun ist sie froh, dass sie diese ehrliche Arbeit hat. Und sie gehorcht Contrelli wie ein abgerichteter Hund ihrem Herrn.

    In Frankfurt kennt sie sich nicht gut aus, aber die Flughafen-InterRent hat ihr einen Stadtplan mitgegeben und sie hatte Zeit, sich die Strecke nach Neu-Isenburg einzuprägen. Dann sieht sie Contrelli kommen. Er hat in einem Schnellimbiss zwei Brötchen und eine Flasche Wasser gekauft. Bis zum Frankfurter Südkreuz spricht er nicht mit ihr. Dann sagt er: »Tutto va bene.« Er wiederholt seinen Plan. Die Hessische Raiffeisenkasse schließt am heutigen Banktag um 12:30 Uhr und öffnet wieder um 14 Uhr. Geht alles gut, werden sie Neu-Isenburg um 14:30 Uhr wieder verlassen können und die Nachmittagsmaschine nach Rom und Palermo erreichen. Morgens gekommen, nachmittags abgeflogen. Rasch und entschlossen. Die Cosa Nostra ist eine paramilitärische Organisation.

    »Und ehrlich«, sagt sie und lächelt. Wenn sie lächelt, verliert ihr Gesicht an Strenge. Fast wird sie zu einer hübschen Gefährtin. Gut für den Besuch in der Bank. Wenn die Leute vernünftig sind. Er hat nicht die Absicht, Krach zu machen.

    In Neu-Isenburg fahren sie mehrmals über die Bahnhofstraße, Friedrich-Straße und Schützenstraße an der Sparkasse vorbei, um sich ortskundig zu machen. Valeria parkt in einer Seitenstraße zwischen zwei Betonblöcken. Sie legt die Plastik-Parkscheibe unter die Windschutzscheibe und schließt die Tür nicht ab. Es gibt aus dem Auto nichts zu stehlen. Ihre Handtasche klemmt sie unter den linken Arm. Sie ist Rechtshänderin. Ihre Jacke und die mollige Figur lassen die Tasche in der Achselhöhle fast verschwinden. Nur einen kurzen Augenblick müssen sie vor der Tür warten, dann wird von innen aufgeschlossen. Contrelli bittet höflich um ein Gespräch mit dem Filialleiter. Seine Firma wolle in Neu-Isenburg bauen. Man habe schon etwas Geld, aber man brauche auch Kredite. Mit anderen Banken wurde gesprochen. Unterschiedliche Zinsen. Die Bedingungen könnten besser sein. Die Raiffeisenkasse sei flexibler, habe man ihnen gesagt. Die Angestellte führt die beiden in das Büro des Filialleiters. Ein Sportsmann. Kurzärmliges weißes Hemd. Schwarze Krawatte. Kurzgeschnittene blonde Haare. Glatt rasiert. Etwa 35 Jahre alt. Aufsteigertyp. Kredite? Moment. Er lässt seine Mitarbeiterin für das Investmentbanking kommen. Der Filialleiter setzt sich. Die Mitarbeiterin schaltet, wie gewohnt, den PC ein und bleibt neben ihm stehen.

    »Können Sie das Projekt beschreiben?«, fragt der Filialleiter.

    »Na ja, Organhandel«, meint Contrelli etwas unsicher. »Export-Import. Herzklinik mit Transplantationsfabrik.« Er weiß nicht, ob das so richtig ist. Er hat es übersetzt. Fabrica di transplantazione. Oder vielleicht denkt er auch an eine Clinica industriale. Der Padrone hat von einem Industriezweig gesprochen, den man nutzen wolle. Und das ist dann auch schon alles. Nein. Er fügt hinzu, es handele sich um Risikokapital. Erst müsse man den Markt erkunden. Genug der Schwafelei. »Eine Million benötigen wir. Eine Million nach Lissabon zu überweisen. Jetzt. Sofort. Ein Online-Transfer. Von welchem Konto? Aus dem Konto Nostro der Raiffeisenkasse.«

    »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!«

    »Regen Sie sich nicht auf«, mahnt Contrelli. »Tutto va bene.«

    Der Filialleiter springt auf. »Ein Überfall ...«

    »Aber nein, regen Sie sich …«

    »Polizei! Verdammt, ein Überfall!«

    Die Mitarbeiterin kreischt.

    Die Situation eskaliert ungewöhnlich schnell. Contrelli schlägt sie links und rechts ins Gesicht. Die Mitarbeiterin schreit, als hinge sie schon am Spieß.

    Contrelli gibt ein Zeichen. Valeria grabscht die Pistole aus ihrer Tasche. Eine Damenpistole mit Schalldämpfer. »Setzen«, zischt Contrelli.

    »Wie stellen Sie sich das vor?«, brüllt nun auch der Filialleiter. Blitze zucken durch seinen Kopf. Es ist sein erster Fall. Die Investmentbankerin versucht sich zu beherrschen, versucht, ihn zu beruhigen, will ihrem Chef helfen.

    »Erst Zentrale, dann Western Union ...!«

    »Sind Sie verrückt?« Er begreift seine Situation, will aber nicht klein beigeben. Wo verdammt ist der Knopf für den Polizeiruf?

    Da gibt Contrelli noch einmal ein Zeichen.

    Valeria drückt zweimal ab. Plopp ... plopp. Keine große Sache. Beide Kugeln schlagen in den Brustkorb des Filialleiters. Contrelli rührt das nicht. Er ist nicht hier, um zu diskutieren. Er fordert die Mitarbeiterin für das Investmentbanking auf, ganz cool zu bleiben und die Überweisung nach Lissabon vorzunehmen. Das Geld interessiert ihn selbst nicht. Er spielt nicht den Bankräuber. Fordert keine Banknoten. Alles, was er verlangt, ist eine kleine hübsche Überweisung. Subito! Valeria hebt die Hand und die Pistole und droht nun ebenfalls: »Subito!« Jetzt. Sofort. Auf das Nummernkonto. »Rufen Sie Lissabon!«

    Blutspritzer beflecken die weißen DIN-A4-Ausdrucke auf dem Schreibtisch des toten Filialleiters. Sein Gesicht erstarrt zu einer kalten Maske. Die weit geöffneten Augen zielen auf den grünen Himmel des Büros über sich.

    »No cash.«

    »Ich tue, was ich kann.«

    »Rufen Sie Lissabon!«

    »Schießen Sie nicht.«

    »In Ordnung. Calma. Calma.« Contrelli stellt sich neben sie und kontrolliert das Manöver.

    »Ich habe Lissabon«, sagt sie. »Wo ist das Nummernkonto?«

    »Weisen Sie eine Million Euro auf dieses Konto an, capito?«

    »Ich weiß, was Sie meinen.«

    »Lassen Sie sich die Überweisung bestätigen und drucken Sie die Bestätigung aus.«

    »Ich verstehe.«

    Er liest die Bestätigung. Gibt das O.k. weiter an Valeria.

    »Schalten Sie den PC wieder aus!«

    »Ist ausgeschaltet.«

    »Sind Sie sicher?«

    »Ganz sicher.«

    Valeria schießt das ganze Magazin leer. »Wir verlassen dieses Haus in aller Ruhe. Rufen Sie nicht die Polizei, capito?«

    »Ich verstehe.«

    Was den Banditen so alles einfällt. »Sie sind zu jung und zu schön, um zu sterben.« Das ist sein Ernst.

    »Schießen Sie nicht.«

    »Va bene.« Contrelli und Valeria verlassen den Raum, ohne Hast, doch zügig, und wenden sich dem Ausgang zu. Die Mitarbeiterin für das Investmentbanking sieht das Blut ihres Chefs auf den Fußboden tropfen. Sie weint. Schluchzt verzweifelt. Contrelli zieht Valeria in die Seitenstraße, wo ihr Opel Vectra steht. Er sagt ihr, sie solle die Pistole in die Mülltonne fallen lassen. Schade, denkt sie. Aber sie gehorcht wortlos. Aus der Ferne hört man die Sirene des Polizeiwagens.

    Sie erreichen ungehindert den Flugplatz. Am späten Abend sind sie wieder in Palermo. Melden sich zurück. Mehr können sie nicht tun.

    Alles perfekt.

    Was hat der Professor gesagt?

    Va bene. Er macht das.

    | 4 |

    Freitag, 29. April, 8:45 Uhr

    Frankfurter Zentrum, Konstabler Wache

    Wie jeden Morgen findet auch an diesem Freitag in der Konstabler Wache eine Lagebesprechung über die Arbeit der Bank, den Handel in der Börse, die Zinssituation statt. Die Stadtteil-Referenten fassen kurz zusammen, was sich am Donnerstag und in der Nacht zum Freitag in der Metropole und den angeschlossenen Vorstädten getan hat. Zwei Stunden später werden die Journalisten anklopfen, um das Protokoll abzuholen und ein paar persönliche Infos einzuheimsen, die ein besonderes Interesse der Leser wecken könnten. Schön, wenn sich ein Teil davon ins Wochenende treideln ließe, die Zeitungsredaktion honoriert Neuigkeiten, die die Abonnenten aufmischen. Da ist eine, die das gut kann. Claudia Nadolny von dem Massenblatt Sodom-Live. Die plustert ihre Sex-&-Crime-Storys mit Feder, Pfeil und Bogen so auf, dass die Kioske um 10 Uhr Nachschub anfordern. Und die Leser zischen durch die Zähne. Welche Leser? Na ja, alle Leser. Manchmal könnte man aufgrund ihrer Geschichten meinen, sie sei eine Lesbe. Aus anderen Berichten gewinnt man den Eindruck, sie halte es wohl eher mit den Männern. Und obendrauf immer Salz und Pfeffer. Doch wer sie in der Konstabler Wache ein wenig genauer kennt, weiß, dass Claudia vor allem gern diesen Polowski aufmischen würde. Sie mag ihn wirklich. Kommt sie ihm zu nahe, beginnt dieses Kribbeln in ihrem Bauch. Und deshalb taucht sie mehrmals in der Woche bei ihm auf und bietet der Polizei Hilfe an. Man bedenke, Sodom-Live bietet der Konstabler Wache Infos aus der Halbwelt an! Und die Claudia sich selbst auch. Diskret. Und doch deutlich. Und natürlich nur dem Kommissar. Das wird wohl irgendwann klappen. Man wettet. Auch Claudia wettet. Sie wettet, dass sie es schafft. Und bis dahin will sie clean bleiben. In etwa.

    Polowski hat Mitarbeiter. Ausgezeichnete Fachleute bilden sein Team. Seine rechte Hand ist Helene Tell, sie kommt aus der Schweiz. Polowski mag sie, und sie mag Polowski. Natürlich lässt sie Polowski das merken. Es sind Worte, manchmal legt sie ihre Hand auf Polowskis Arm. Sie kann sehr eifersüchtig sein. Warum kommt diese Claudia Nadolny jeden Tag in die Konstabler Wache? Kann man die Polizeinachrichten für die Medien nicht mailen?

    »Was stört dich daran?«, fragt Polowski manchmal.

    »Sie will dich doch nur in ihrer Kiste haben.«

    »Na und?«

    »Sie ist kein Umgang für einen Kommissar.«

    Das ist es. Helene Tell wäre der richtige Umgang. Meint sie.

    Nicht so viel los heute, denkt der junge Hauptkommissar Polowski. Einige Drogentote, etwas Totschlag. Und dann mal was anderes. Ein wenig Mord. Eine 22-jährige, selbstbewusste Asylantin ersticht ihren Mann. In ihrer Heimat musste sie Schafe hüten und bei der Schur zur Hand gehen. Sie ist es gewohnt, Wollschere und Messer zu gebrauchen. Lämmer zu schlachten. Nach ihrer Zwangsverheiratung kommen Gewalt, Streit und Hass auf. Demütigungen der Frau sind an der Tagesordnung. Das staut sich. Die Nachbarn hören nicht hin. Man soll sich nicht um alles kümmern. So rächt sie sich, indem sie ihren Mann nach 40 Messerstichen entmannt. Einfach so. Die Rache ist süß. Gott möge ihr verzeihen. Nur die Lache roten Blutes geniert sie. Sie hat die Wohnung stets sauber gehalten. Nach der Zigarette gut gelüftet. Also wischt sie auf. Reinigt den Boden. Räumt auf. Zündet eine Räucherkerze an. Ruft die Polizei. Bittet höflich, den restlichen Mann mitzunehmen. Es gibt Dinge, an denen führte kein Weg vorbei, sagt sie. Damit ist der Hass verflogen.

    »Großer Gott, entmannt?«

    »Ja. Und auf die herkömmliche Art«, sagt ein junger Polizist. Er grinst. Niemand fragt, was er damit meint. Herkömmlich entmannt.

    »Und was sagt sie dazu?«

    »Sie sagt, sie will nie wieder gedemütigt werden.«

    »Dann wollen wir ihr verzeihen.«

    »Einsprüche?«

    »Nein.«

    »Weiter«, fordert Polowski, »was sonst noch?«

    Auch den Bankraub in Neu-Isenburg stuft die Polizei als herkömmlich ein. Keine Sensationen. Eine Bankräuberin gibt zwei Schüsse auf den Filialleiter ab. In der Kriminalität vollzieht sich die Emanzipation. Die Frauen sind auch dabei. Mit Pulver und Blei. Das sind die neuen Zeiten. Muss man wohl akzeptieren. Der Filialleiter wird erfolgreich operiert, stirbt aber in der Nacht im Katharinenhospital. Von den Bankräubern keine Spur. Im Büro des Filialleiters gibt es keine Kamera. Ob die Kamera im Geschäftsraum die Bankräuber erfasst hat, muss man untersuchen. Die Angestellte für das Investmentbanking steht noch unter Schock. Der Chef der Konstabler Wache erklärt, dass Neu-Isenburg um Amtshilfe gebeten habe. Er überträgt den Fall Hauptkommissar Polowski.

    Die Sitzung endet mit dem beiläufigen Bericht der Verkehrspolizei. Verkehrschaos am Frankfurter Kreuz. Die Analysten sagen, dass am Sonntag, dem 1. Mai, mit einem Megachaos zu rechnen sei. Schönes Ausflugswetter. Es gibt viele gute Kommissare in Frankfurt. Polowski ist nicht nur gut, er ist auch fleißig. Der Chef der Wache überträgt ihm gern Fälle, die er rasch vom Tisch haben will. Also hat Polowski eine Menge zu tun. Die Arbeit sucht sich immer die Fleißigsten. Außerdem hat der Chef ihm eine tüchtige Fouché-Schülerin, Studentin für die gehobene Polizeilaufbahn, zugeteilt, die bei Polowski gelernt hat und jetzt frisch von der Polizeiakademie kommt – Helene Tell. Sie ist nun Kommissarin. Polowskis Mitarbeiter wiederholen die Geschichte gern, eine Liebelei im Büro belebt das Geschäft. Polowski schätzt sie. Er muss sie jetzt richtig beschäftigen. Die frischgebackenen Kommissarinnen kommen bisweilen auf die Idee, sie würden nun bald Polizeipräsidentin werden. Helene Tell hätte nichts dagegen, Polizeipräsidentin von Frankfurt zu werden. Es gäbe dann allerdings ein kleines Problem. Sie weiß nicht recht, ob die Polizeipräsidentin von Frankfurt den Hauptkommissar Polowski heiraten kann, und das läge ihr doch sehr am Herzen. Sagt man.

    Beim Hinausgehen trägt er Helene auf, sie solle sich mal in Neu-Isenburg umsehen. Sie sei ja ohnehin total unterbeschäftigt.

    »Wie recht du hast«, sagt Helene Tell. Ist ihr auch lieber, wenn Polowski gut drauf ist. Schmonzes kommt bei ihr nicht an. Sie fährt nach Neu-Isenburg, mal schau’n, was da los war.

    | 5 |

    Freitag, 29. April, 17:30 Uhr

    Herzklinik

    Der Professor operierte bis in den Nachmittag hinein. Sein Patient war ein neugeborener Junge namens Tommy, der mit einem Einkammerherz zur Welt gekommen war. Es erwies sich als unmöglich, auf ein passendes Spenderherz zu warten. Sie mussten Arterien und Venen auf ein Einkammersystem umstellen. Weitere Operationen würden folgen. Und jede Operation bedurfte einer computergesteuerten Vorbereitung. Für diesen Tag reichte es. Er trug seiner Sekretärin Theresa auf, für Sonnabend, 9 Uhr, eine Besprechung mit dem Oberarzt anzusetzen und selbst dabei zu sein.

    Theresa protestierte. »Ich habe doch morgen meinen freien Tag, Chef.«

    »Tut mir leid. Wie soll das denn ohne Sie gehen?«

    »Müsste doch mal möglich sein, Chef.«

    »Ist aber nicht möglich, meine Gute.«

    »Also gut, dann komme ich.«

    »Sehen Sie, auf Sie ist immer Verlass.«

    »Leider, Chef.«

    »Nun seien Sie mal nicht so«, forderte Scharffenrath mit schmeichelnder Stimme.

    »Es ist alles in Ordnung, Chef.« Immer das gleiche Lied.

    »Dann sagen Sie bitte den Eltern von Tommy, ich hätte morgen fünf Minuten Zeit für sie.«

    »Die Ärmsten haben schon zweimal angerufen.«

    »Kann ich mir denken.«

    Er setzte sich in den Wagen und fuhr in den Taunus, verordnete sich einen Spaziergang und eine Stunde Nachdenken als Selbsttherapie. Theresa fluchte noch ein Weilchen. Aber sie parierte. Sie war ein Schatz.

    | 6 |

    Sonnabend, 30. April, 9:20 Uhr

    Herzklinik

    Zu dem Implantations- und dem Transplantations-Kern seiner OP-Familie gehörten der Oberarzt Dr. Hakim, der Chirurg Dr. Timo Cordes und die Anästhesistin Dr. Nadja Quindt. Sie alle waren hervorragende Fachkräfte, aber unkompliziert war allein der Ägypter Hakim. Ein Könner. Konzentriert, diszipliniert, geduldig und gefeit gegen Paniksituationen. Auch Timo Cordes war ein guter Chirurg, aber er beunruhigte die Schwestern. Und die jungen Schwestern beunruhigten ihn, was sich in der Geschichte des Ruheraumes niederschlug. Cordes war ein durchtrainierter Sportsmann und erfolgreicher Hochseesegler. Nach dem Staatsexamen hatte er ein Jahr pausiert und mit Freunden das Cap Hoorn umsegelt. Er konnte wunderbare Geschichten erzählen von Feuerland und den Osterinseln. Alaska fehlte noch. Kam für eine Hochzeitsreise infrage. Und genau das beflügelte die Fantasien der Schwestern.

    Dr. Nadja Quindt, die Anästhesistin, hatte nach der Promotion an der Charité gearbeitet, die von Wilhelm I. als Militärkrankenhaus gegründet wurde und immer noch einen guten Ruf genoss. Doch der Betrieb in Berlin gefiel ihr nicht, ebenso wenig wie die große gesichtslose Stadt, in der es schwerfiel, einen Freundeskreis zu bilden. Keiner schien den anderen zu kennen, oft fühlte sie sich allein. Vor allem vermisste sie die gemütlichen Kneipen des Frankfurter Nachtlebens. Sie wollte sich habilitieren, nicht einfach an der Charité rackern, auch wenn sie sich nicht scheute, hart zu arbeiten. Etwa 1,70 groß war sie, eine Frau von schöner Gestalt, ein Nackte-Haut-Typ, eine Sonnenanbeterin, gut gebaut, wie Cordes wiederholt urteilte. Ein Körper von aufregender Sinnlichkeit. Sie verheimlichte nicht, auf der Suche nach einem Mann zu sein. Ein Mann für die schnellen Stunden tat es schon. Auch eine Frau, wenn sie zärtlich und erotisch sein konnte. Wenn sie den OP betrat, knisterte die Luft. Sie trug unter ihrem grünen OP-Kittel niemals Unterwäsche und schon gar nicht einen BH. Narkose und Kreislauf-Überwachung erhitzten sie, und sie brauche für ihr Wohlbefinden über die Narkosezeit eine gewisse Bewegungsfreiheit, meinte sie.

    Und niemand protestierte. Während jeder von ihnen für das Geschehen an seinem Arbeitsplatz die Verantwortung trug, lag die klandestine Gesamtverantwortung bei der ersten OP-Schwester Roberta Luna. Sie war dem Professor in Coimbra empfohlen worden, wo er viermal im Jahr Vorlesungen in deutscher Sprache über die Chirurgie der Herztransplantation hielt. Auch ihr fiel es schwer, sich in Frankfurt einzuleben. Das Klinikleben in Coimbra war schlicht und familiär, hier in der hessischen Metropole gab es nicht einmal eine kleine portugiesische Kolonie. Doch mit den Fortschritten im Zusammenwachsen der Europäischen Union vergrößerte sich der multikulturelle Kreis. Voraussetzung dafür war, dass die Zugereisten sich nicht scheuten, sich den Frankfurtern anzuschließen. Da gaben Geselligkeiten vielfältige Anlässe.

    Für das Klinikum arbeitete seit Jahren Anastasias Mann, sie und er gebürtige Griechen und einander treu verbunden. Theo, ein forscher Odysseus-Typ, hatte es im Krankenhaus bis zum Chef der klinischen Samariter-Dienste gebracht. Zu seinen Tugenden gehörte ein Herz für die Alten und unbeholfenen Patienten. Frau Anastasia, eine lustige hellenische Schönheit, deren Frisier- und Beauty-Salon im ersten Stock eines Geschäftshauses auf der Zeil lag, bot Hilfe an, wo Haarpflege und nach einer Chemo die Anfertigung von Perücken gefragt waren. Verließen die Chemotherapierten der Frankfurter Upperclass Anastasias Salon, schienen sie schöner und gesünder als zu Zeiten der Entsetzen auslösenden Diagnose. So galt Anastasia in manchen Kreisen als eine Künstlerin. Weil Roberta Luna ihr üppiges Haar nicht bändigen konnte und Haare im OP unerwünscht waren, rasierte Anastasia ihr regelmäßig den Schädel kahl und fertigte ein halbes Dutzend Perücken an. Mittlerweile hatte Roberta hier in der Klinik in ein kleines Wohnschlafzimmer mit einem allerdings komfortablen Duschbad umziehen dürfen, um dem Arbeitsplatz so nahe wie möglich zu sein, und die Perücken ruhten wohlgeordnet auf Glasköpfen in einem Regal. Dass sie in der Klinik meist glatzköpfig oder mit einem weißen Baumwolltuch auf dem Kopf herumlief, störte niemand. Dr. Hakim nannte sie »Nönnchen«.

    Während der Professor mit den tariflichen Gehältern und Löhnen der Klinik nicht befasst war, führte er über seine Experten-Mannschaft, die acht Mitarbeiter umfasste und niemals mehr, eine geheime Rangliste für ein Bonussystem, das jährlich zwei Ausschüttungen vergab. Aus der Höhe der Gutschrift hätte ein Fachmann die Rangliste ermitteln können, aber einen solchen Fachmann gab es nicht. Wen immer es interessieren sollte, seien hier zwei Plätze genannt. Dr. Hakim lag unumstritten auf Platz eins, auf Platz zwei folgte die Portugiesin Roberta Luna, Hakims Nönnchen. Und so war es gut, dass Robertas hoher Rang im Dunkeln blieb. Des Professors rechte Hand, die tüchtige, zuverlässige und stets für ihn streitende Chefsekretärin Theresa kam in dieser Liste überhaupt nicht vor. Sie war ganz einfach da und tat ihre Pflicht. Nun, sie bekam ein ordentliches Gehalt.

    Was zwar den Platz zwei der Portugiesin Roberta nicht rechtfertigen konnte, aber erwähnenswert scheint, war die Tatsache, dass sie, von Havarien abgesehen, die Technik der Herz-Lungen-Maschinerie und der Geräte beherrschte und für die keimfreie Reinheit des Geräteparks zuständig war. Sie war die Meisterin der OP-Technik, und sie hatte ein Gespür für die Beschaffenheit von Reinsträumen.

    Dr. Hakim beschwerte sich immer wieder über seine Überempfindlichkeitsreaktionen. Der Professor diagnostizierte eine Elektrosmog-Allergie. Der Arzt meinte, der OP sei durch die üppige Gerätemedizin und die veraltete Klimaanlage verseucht, der Elektrosmog irritiere sie alle. Häufig sagte er nach langen Stunden am Operationstisch, er sei total aufgeladen.

    »Ich muss erstmal duschen«, stöhnte er dann. Scherzhaft fügte er hinzu: »Wer duscht mit?«

    Also ließ der Professor das OP-Zentrum vollständig erneuern. Der Boden wurde mit geerdeten Nietenfliesen ausgelegt. Dr. Hakim persönlich kontrollierte den Erdungswiderstand, gemessen in Ohm. Sie nannten den Oberarzt bewundernd ihren Buddystrom und lästerten über Mister Ohm. Anlässlich der Renovierung richtete man nahe dem OP zwei Ruheräume ein. Einen von ihnen nahm Dr.

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