Alpenmedizin
Von Arnold Achmüller
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Über dieses E-Book
Apotheker Arnold Achmüller beschäftigt sich seit Jahren mit der traditionellen Alpenmedizin und überträgt sie in das Heute – damit dieses Heilwissen nicht verloren geht.
- Welche alpinen Hausmittel helfen wirklich?
- Wie können Worte und Rituale heilen?
- Wie gesund sind Beeren, Wurzeln und Rüben?
- Warum tut Höhenluft so gut?
- Mit Leseband
Mehr als 60 Rezepte für Salben, Badezusätze, Wickel und mehr
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Wickel, Salben und Tinkturen: Das Kräuterwissen der Bauerndoktoren in den Alpen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie besten Kräutertipps gegen Husten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Alpenmedizin - Arnold Achmüller
Zum Buch
Steigern Sie Ihr Wohlbefinden mit der altbewährten Heilkunst aus den Bergen. Kräuter, Wasseranwendungen, aber auch Bewegung, Ernährung und soziale Kontakte tragen zu einem gesunden Leben bei.
Apotheker Arnold Achmüller beschäftigt sich seit Jahren mit der traditionellen Alpenmedizin und überträgt sie in das Heute - damit dieses Heilwissen nicht verloren geht.
- Welche alpinen Hausmittel helfen wirklich?
- Wie können Worte und Rituale heilen?
- Wie gesund sind Beeren, Wurzeln und Rüben?
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Mehr als 60 Rezepte für Salben, Badezusätze, Wickel und mehr
Der Autor
Arnold Achmüller, geboren 1982 in Südtirol, ist Apotheker in Wien und erfolgreicher Buchautor. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Heilkräutern und alten medizinischen Anwendungen im Kontext der wissenschaftlichen Forschung. Sein besonderes Interesse gilt der traditionellen europäischen Medizin, insbesondere jener des Alpenraums. Er hält Vorträge zum Thema, organisiert Workshops und Kräuterwanderungen. Zusammen mit Astrid Felderer betreibt er den Blog „Kraut und Wurzel" (www.krautundwurzel.com).
Bei Edition Raetia erschienen:
„Teufelskraut, Bauchwehblüml, Wurmtod. – Das Kräuterwissen Südtirols. Mythologie, Volksmedizin und wissenschaftliche Erkenntnisse" (2012)
„Wickel, Salben und Tinkturen. Das Kräuterwissen der Bauerndoktoren in den Alpen" (2015)
„Kraut und Wurzel"-Reihe:
Band 1: „Verdauung und Entschlackung" (2018)
Band 2: „Haut und Haare" (2018)
Band 3: „Husten und Schnupfen" (2018)
Alpenmedizin
Arnold Achmüller
Impressum
Gedruckt mit Unterstützung der Südtiroler Landesregierung, Abteilung
Deutsche Kultur
1. Auflage
© Edition Raetia, Bozen 2018
Projektleitung: Magdalena Grüner
Korrektur: Helene Dorner, Maria Vieider
Foto Umschlag: Shutterstock / natalia bulatova
Foto Umschlagrückseite: Caroline Renzler, www.silbersalz.photo
Umschlag und Layout: Philipp Putzer, www.farbfabrik.it
Satz: Alessandra Stefanut, www.cursiva.it
ISBN 978-88-7283-654-5
ISBN E-Book 978-88-7283-671-2
Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.
Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.
Die Angaben zu den Kräutern in diesem Buch wurden sorgfältig geprüft. Autor und Verlag lehnen jedoch jegliche Haftung für allfällige Schäden, die sich aus dem Gebrauch oder Missbrauch der hier vorgestellten Informationen ergeben, ab. Die Behandlungsmöglichkeiten in diesem Buch ersetzen nicht eine ärztliche Therapie.
Moderne Alpenmedizin – Rückbesinnung auf eine ganzheitliche Heilkunde
Von Paracelsus bis Sebastian Kneipp
Die Zutaten für ein gesundes Leben
Innere und äußere Rhythmen
Der äußere Rhythmus: der Jahreskreis
Der circadiane Rhythmus: die innere Uhr
Reizmethoden und Reiztherapie
Schmerzen mit Schmerzen kurieren: die klassische Reiztherapie
Alpine Reizstoffe
Wassertherapie nach Kneipp
Sauna und Winterbäder
Moderates Höhentraining
Bewegung
Soziale Kontakte
Alpine Ernährung
Tipps für eine gesunde Ernährung
Übergewicht und Gewichtsreduktion
Nahrungsmittel als Heilmittel
Die Magie in der Medizin
Wenn Worte und Rituale heilen
Placebo- und Noceboeffekte
Die Heilmittel des Alpenraumes
Husten und Erkältung
Stärkung des Immunsystems
Halsschmerzen und Heiserkeit
Schnupfen und Erkältung
Husten
Haut
Pickel und Akne
Trockene Haut und Ekzeme
Psoriasis und Neurodermitis
Venenprobleme
Hämorrhoiden
Magen und Darm
Sodbrennen und Magenschmerzen
Blähungen und Völlegefühl
Erbrechen
Durchfall
Verstopfung
Kopfschmerzen, Nervosität und Schlafstörungen
Kopfschmerzen
Schlafstörungen
Unruhe und Angst
Konzentrationsschwäche und Müdigkeit
Herz und Kreislauf
Stärkung des Kreislaufs
Bluthochdruck
Mund- und Rachenraum
Aphthen und Druckstellen
Zahnfleischentzündung
Muskeln und Gelenke
Sportverletzungen und Muskelkater
Rheuma und chronische Gelenkschmerzen
Rückenschmerzen
Blase und Prostata
Harnwegsinfekte
Prostatabeschwerden
Menstruation und Wechseljahre
Menstruationsbeschwerden
Wechseljahre
Ganzheitlich gesund – Tipps für ein besseres Leben
Quellen
Weiterführende Literatur
Bildquellen
Anhang
Empfohlene Tagesdosierungen
Neben- und Wechselwirkungen
Sammelzeitpunkte und Bezugsmöglichkeiten
Verzeichnis der Heilmittel
Verzeichnis der Rezepte und Anwendungen
Moderne Alpenmedizin – Rückbesinnung auf eine ganzheitliche Heilkunde
Einem jeglichen Lande wächst seine Krankheit selbst, seine Arznei selbst, sein Arzt selbst. Sie wollen Arzneien aus überseeischen Ländern, und im Garten vor ihrem Haus wächst Besseres.
Paracelsus, 16. Jahrhundert
Der Alpenraum, der sich von den französisch-italienischen Küsten in einem Bogen über Mitteleuropa bis in das Pannonische Becken Niederösterreichs bzw. bis nach Slowenien zieht, ist ein ganz besonderes Gebiet. Menschen stellen sich hier seit Jahrtausenden den widrigen Umweltbedingungen und entwickelten in ihrem jahrhundertelangen Ringen um Kulturlandschaft eine tiefe Naturverbundenheit und einen ausgeprägten Sinn für Tradition. Genau das sind die idealen Voraussetzungen für das Entstehen einer eigenen, auf Althergebrachtem beruhenden und den regionalen Gegebenheiten angepassten Heilkunde: der traditionellen Alpenmedizin.
Das Heilwissen im Alpenraum ist reich an Tradition, Geschichten, Ritualen und geprägt von einer Vielfältigkeit, die man heutzutage nur mehr selten findet. Lange Zeit wurden diese Überlieferungen nicht wahrgenommen, dann belächelt, bis man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts endlich den Wert dieses teilweise bis heute verborgenen Wissens erkannte. Denn mit der systematischen Erforschung der heimischen Heilpflanzen, die noch lange nicht abgeschlossen ist, entdeckte man auch, dass zahlreiche Anwendungen durchaus ein therapeutisches Potenzial entfalten.
Jede Kultur hat ihre eigene Heilkunde, die auf jahrhundertelang gewachsenen Glaubensvorstellungen, regional verfügbaren Pflanzen und soziokulturellen Einflüssen gründet. Viele dieser regionalen Heilströmungen gingen allerdings im Laufe der Zeit mit dem Verschmelzen kultureller Eigenheiten und letztlich mit der Globalisierung in einem einheitlichen Kontext auf und verschwanden. Wissen und Glaubensvorstellungen, die sich früher oft regional und kleinräumig unterschieden, wurden also zunehmend vereinheitlicht. Gerade in leicht zugänglichen, städtisch geprägten Gegenden gingen dabei große Teile regionalen Heilwissens verloren. Alte Heilmethoden und volksmedizinische Kenntnisse, wie sie ursprünglich auch lange Zeit außerhalb des Alpenraumes zu finden waren, bewahrten sich aber in den entlegenen Tälern des Alpenraumes. Grund hierfür war die vielfach unwegsame Landschaft, die spärliche Mobilität und der daraus folgende Zwang zu einer gewissen Eigenständigkeit in Gesundheitsfragen. So spielen in vielen Tälern bis heute Heilpflanzen, Rituale und magisch anmutende Handlungsweisen erwiesenermaßen eine ähnliche Rolle wie bereits in der Antike. Im Grunde handelt es sich dabei um einen ganzheitlichen Ansatz, wie wir ihn auch in anderen indigenen Kulturen wiederfinden. Gesten und Sprüche gehören hierbei oft neben den verabreichten Mitteln zum Heilungsprozess. Dass auch sie in der Heilung nützlich sein können, zeigen neuere Forschungen und medizinische Disziplinen. Sie belegen, dass Psyche und Körper eine Einheit bilden und dass Rituale und Scheinbehandlungen tatsächliche körperliche und geistige Reaktionen hervorrufen können. Die alpine Heilkunde bietet somit eine Möglichkeit der Rückbesinnung auf einen ganzheitlichen Blick in der Medizin.
Gleichzeitig existiert in der alpinen Volksmedizin noch das Grundverständnis für anderswo bereits fast vergessene Heilverfahren. So bietet die klassische Reiztherapie ebenso wie andere Verfahren, etwa die Wassertherapie nach Kneipp, Möglichkeiten zur präventiven Stärkung und zur Behandlung.
Dies alles findet in einem Raum statt, dessen Natur noch weitgehend intakt geblieben ist. Außerhalb der städtischen Siedlungsgebiete findet man meist sehr rasch unberührte Natur und saubere Luft. Diese Faktoren und eine abwechslungsreiche Landschaft mit großen Höhenunterschieden erlauben es den Alpenbewohnern und ihren Besuchern grundsätzlich, ein gesundes und aktives Leben zu führen.
Von Paracelsus bis Sebastian Kneipp
Die Heilkunde im Alpenraum gründet auf der bis heute vielerorts lebendigen und immer wieder erweiterten Volksmedizin. Das Wissen um mögliche Heilmittel wurde über Jahrhunderte gesammelt und veränderte sich immer wieder. An wirksamen Methoden und heilkräftigen Mitteln hielt man fest und man fand optimale Einsatzgebiete und Verarbeitungsmethoden. So bildete sich ein medizinisches Konzept, das neben der Kräuterkunde auch Ratschläge für eine optimale Lebensführung und Ernährung sowie Möglichkeiten zur allgemeinen Stärkung und Gesunderhaltung von Körper und Psyche umfasste.
Da die vorchristlichen Bewohner des Alpenraumes bezüglich der Heilkunde nichts Schriftliches hinterlassen hatten, liegt der Ursprung vieler Heilmittel und eines medizinischen Grundverständnisses allerdings bis heute im Dunkeln. Es waren die Schriftsteller der Antike, wie z. B. Plinius, die erstmals über Heilmittel und -rituale aus dem Alpenraum berichteten. Sie lebten allerdings im Mittelmeerraum, weit entfernt von den Alpen, und schrieben nur über jene Praktiken, die den Weg bis in ihre Heimat gefunden hatten. So nennt uns Plinius den Enzian und den Keltischen Baldrian, die bereits in der Antike aus dem Alpenraum in das Römische Reich gelangt waren. Mit Letzterem soll sogar der römische Kaiser Marc Aurel sein nervöses Magenleiden kuriert haben.
Paracelsus (ca. 1493–1541) hat nicht nur die Volks-, sondern auch die Schulmedizin geprägt.
Die frühesten ausführlicheren schriftlichen Überlieferungen zu Anwendungen von Heil- und Hausmitteln im Alpenraum, die diesen Namen auch verdienen, stammen aus dem Spätmittelalter. Geistliche und Adelige verfassten Kräuterbücher, vielfach kopierten sie die Texte antiker Vorgänger und ergänzten sie um die heimischen alpinen Pflanzen. So geben diese auch immer wieder Teile einer sehr ursprünglichen Volksmedizin preis. Eines der ersten Kräuterbücher aus dem Alpenraum ist der „Codex Bellunensis" aus der Kartause von Vedana bei Belluno. Dieser entstand im 15. Jahrhundert und enthält die illustrierten Beschreibungen von etwa 200 Heilpflanzen, eine Vielzahl davon stammt aus den Alpen. Ein besonders wertvolles Kräuterbuch ist in diesem Kontext auch jenes von Pietro Andrea Mattioli aus dem 16. Jahrhundert. Mattioli war ein Arzt, der unter anderem in Trient und Görz lebte und viele alpine Heilpflanzen erstmals erwähnte.
Mit Paracelsus erscheint am Beginn der Neuzeit eine Person auf der Bildfläche, die nicht nur die Volksmedizin im Alpenraum, sondern auch die Schulmedizin in erheblichem Maße mitprägen sollte. Er ging in seinen Schriften nicht nur auf zahlreiche Heilmittel ein, sondern sah den Menschen und seine Gesundheit eingebettet in die Natur und einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt.
Paracelsus wurde als Philippus Theophrastus Bombast von Hohenheim vermutlich 1493 im schweizerischen Einsiedeln als Sohn eines Arztes geboren. Sein Vater zog mit ihm 1502 nach Villach, wohin er auch in späteren Jahren wiederholt zurückkehrte. In seiner naturkundlichen Ausbildung und seiner späteren Tätigkeit als Arzt interessierten ihn im Besonderen die Metallscheidekunst und die Alchemie. Er sah in der „Alchemia medica" eine Möglichkeit, Heilmittel in reiner Form zu produzieren. Dabei versuchte er sich auch in der Extraktion von wirksamen Bestandteilen der einzelnen Heilpflanzen. Um diese Fertigkeiten zu erlernen, reiste er in die Bergbaugebiete, die damals auch im Alpenraum zahlreich waren. Denn dort fand er die Laboratorien, die er für seine Arbeiten brauchte. Seine Wanderungen führten ihn daher unter anderem nach Basel, Salzburg, Schwaz, Hall, Sterzing, Meran, Siebenbürgen, Böhmen, ja sogar bis nach Moskau.
Paracelsus lebte in einer Zeit weitreichender politischer und sozialer Umbrüche – und auch er war jemand, der Neues wagte und Althergebrachtes hinterfragte. So lehnte er beispielsweise die bis dahin propagierte Säftelehre ab. Stattdessen plädierte er für eine auf Beobachtung und Erfahrung fußende Lehre und betrachtete die alten Lehrmeister der Medizin wie Galen, Dioskurides und mittelalterliche Kräuterbuchautoren als überholt. Er lehnte die Säftelehre auch deshalb ab, weil er erkannt hatte, dass viele Krankheiten durch äußere Umwelteinflüsse entstehen, die Säftelehre Erkrankungen aber vor allem auf innere Ursachen, das heißt ein schlechtes Mischverhältnis der Körpersäfte, zurückführte. Dementsprechend kontrovers, meist ablehnend wurde er in vielen Fachkreisen behandelt.
Die gründliche Erprobung und die Erfahrenheit sind nach Paracelsus die wichtigsten Tugenden eines Heilers. Sein Denken war für seine Zeit sehr modern. Eine auf Erfahrung basierende und über wissenschaftliche Experimente errungene Meinung war damals noch nicht etabliert. Auch sein Drang, das Wissen von kräuterkundigen Laien zu erforschen, wirkt aus heutiger Sicht geradezu fortschrittlich. Paracelsus sah auch in der Prophylaxe und einer richtigen Ernährung eine Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben.
Eine gute Erfahrung ist notwendig, nicht Hörensagen, sondern eigenes Wissen und Können.
Paracelsus
Paracelsus versuchte eine neue Medizin und Weltanschauung zu postulieren, in der Oberes und Unteres, Inneres und Äußeres stets in Harmonie zueinander standen. Aus dieser innigen Verbundenheit des gesamten Kosmos leitete er auch die Signaturenlehre ab, nach der die äußere Beschaffenheit eines Heilmittels, beispielsweise einer Heilpflanze, auf die Wirkeigenschaft schließen lässt.
Die Natur zeichnet ein jegliches Gewächs, das von ihr ausgeht, zu dem, dazu es gut ist. Darum, wenn man erfahren will, was die Natur gezeichnet hat, so muss man es an dem Zeichen erkennen, was Tugenden in ihm sind.
Paracelsus
Diese Vorstellung ist sehr alt und weit verbreitet, wir finden diese Denkweise beispielsweise auch in indigenen Kulturen, aber Paracelsus hat sie für Europa erstmals konkret postuliert. Die Volksmedizin ist bis heute voll mit Vorstellungen zur Signaturenlehre. Paradebeispiele hierfür wäre die Verwendung des Leberblümchens, das in seiner Form der menschlichen Leber ähnelt, bei Leberleiden und des Lungenkrautes, dessen weiß gefleckte Blätter einer Lunge gleichen, bei Lungenbeschwerden. Auch der Einsatz von Augentrost bei Augenleiden, der Distel gegen Schmerzen, des gelben Saftes des Schöllkrauts gegen Leberbeschwerden, des Johanniskrauts wegen der gepunkteten Blätter gegen Stichwunden und von Mannstreu, dessen hochragende Blüte Standhaftigkeit symbolisiert, bei Potenzproblemen.
Das Lösen von Substanzen im Wasserbad in einem Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert
So gesehen prägte Paracelsus die Volksmedizin im Alpenraum wie kaum ein anderer und gehört zu den ganz großen Heilern, die diese Region hervorgebracht hat. Paracelsus starb 1541 in Salzburg.
In den darauffolgenden Jahrhunderten sind es vor allem Rezeptbüchlein, verfasst von Bauerndoktoren, die uns einen Einblick in das alpine Heilwissen geben. In dieser Zeit wurden erstmals auf breitem Raum schriftliche Werke von heimischen Heilern hinterlassen. Bauerndoktoren waren Laienmediziner, deren Wissen meist tief in der alpinen Heilkunde verwurzelt war und die hauptsächlich heimische und leicht verfügbare Heilmittel gebrauchten. Somit waren sie die Experten der Volksmedizin und ideale Vermittler dieses jahrhundertealten Wissens.
Ein Laienmediziner war auch der bis heute berühmte Sebastian Kneipp. Er ist neben Paracelsus die wohl einflussreichste Person in der alpinen Volksmedizin. Seit mehr als einem Jahrhundert prägen seine Wasser- und Kräutertherapie als äußerst populäre Anwendungen die Volksmedizin im Alpenraum maßgeblich.
Sebastian Kneipp wurde 1821 im bayerischen Allgäu geboren und stammte aus einfachen Verhältnissen. Während seines Theologiestudiums erkrankte er an Tuberkulose. Diese schwächte ihn so sehr, dass seine Ärzte jede Hoffnung aufgaben. Dann stieß er auf ein „Wasserbüchlein" von Johann Siegmund Hahn, das ihn fesselte und ihm Hoffnung gab. Mitten im Winter begann er, die beschriebenen Vorschläge umzusetzen, und badete in der eiskalten Donau bei Dillingen. Seine Krankheit verschwand innerhalb weniger Monate. Bald darauf schloss er sein Theologiestudium ab und wurde zum Priester geweiht. Seine Erfahrungen ließen ihn aber nicht mehr los und so widmete er sich neben dem seelischen Wohl immer stärker auch dem körperlichen Wohl seiner Schützlinge. Neben den Wasseranwendungen beschäftigte er sich auch mit der Pflanzenheilkunde und der Prävention. Er entwickelte ein ganzheitliches Heilkonzept, das im Wesentlichen auf fünf Säulen beruhte: die Wasserkur, eine geordnete Lebensführung, Heilkräuter, ausreichend Bewegung und eine ausgewogene Ernährung. Sein Therapiekonzept umfasste dabei physische, psychische und soziale Aspekte und sah den Menschen im Mittelpunkt dieser Einflussgrößen. Aus heutiger Sicht ist dieser ganzheitliche Ansatz geradezu sensationell und aktuell, gehen doch gerade die Bemühungen der biopsychosozialen Medizin, die den Menschen in seiner Gesamtheit betrachtet, in dieselbe Richtung.
Kneipps Ratschläge sind größtenteils alltagstauglich, sehr einfach umzusetzen und leicht verständlich. Dies ist ein wesentlicher Faktor, weshalb er viele Menschen bis heute begeistert. Kaum ein anderer Heilkundiger hat die Schul- und Volksmedizin im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert derart stark geprägt wie Sebastian Kneipp.
Sebastian Kneipp (1821–1897): Bekannt ist der Bayer heute vor allem für seine Wasseranwendungen.
Die Zutaten für ein gesundes Leben
Volksmedizinische Sammlungen wirken auf den ersten Blick oft chaotisch und die Ratschläge willkürlich zusammengewürfelt. Das hat damit zu tun, dass es keine Moderation, keine Lenkung in diesem Wissen gibt. Stattdessen finden sich bis heute darin beispielsweise Vorstellungen der Säftelehre, Ratschläge von Kneipp neben jenen der Signaturenlehre und viele populäre Heilmittel aus verschiedenen Jahrhunderten wieder.
Betrachtet man das verfügbare gesammelte Wissen in seiner Gesamtheit, sieht man aber sehr schnell, dass bei den einzelnen Krankheits- oder Beschwerdebildern immer wieder dieselben Heilmittel genannt werden. Außerdem beinhaltet die Volksmedizin noch viel mehr: Neben Heilpflanzen bietet sie ein Sammelsurium von Ratschlägen für ein gesundes Leben, das Krankheiten erst gar nicht entstehen lassen sollte. Die Prophylaxe ist deshalb neben der Therapie ein wichtiges Fundament der alpinen Heilkunde. Interessant erscheint dabei, dass viele Erkenntnisse auch von der modernen Wissenschaft als sinnvoll und gesundheitsfördernd bestätigt werden. Jene jahrhundertealten Ratschläge, die für einen regelmäßigen Tagesablauf mit entsprechenden Schlafzeiten und eine regelmäßige Bewegung plädieren, lassen sich vielfach eins zu eins auf eine moderne Gesundheitsvorsorge übertragen.
Ähnlich wie Sebastian Kneipp die Gesundheit des Menschen in seinem umfassenden Heilkonzept auf fünf Säulen stellte, kann man dies für die gesamte alpine Heilkunde definieren. Allerdings muss man diese fünf Säulen zum einen wegen weiterer Einflussfaktoren in der Volksmedizin, zum anderen im Hinblick auf die moderne Wissenschaft um mindestens zwei Punkte erweitern:
So spielen im Alpenraum seit jeher – früher noch viel mehr als heute – rituelle Handlungen der Volksmagie eine bedeutende Rolle. Bis ins 20. Jahrhundert waren diese weit verbreitet und integrale Bestandteile vieler Heilrituale. Vor allem bei der Warzenentfernung findet man magisch anmutende Handlungen bis heute in Form von Warzenbesprechungen und symbolischen Übertragungen (beispielsweise werden so viele Knöpfe in einen Faden gemacht, wie Warzen zu entfernen sind, siehe dazu S. 54ff).
Daneben spielten und spielen bis heute soziale Kontakte eine zentrale Rolle für die Gesundheit des Menschen. Früher waren diese – auch weil man einander viel stärker im Alltag brauchte – selbstverständlicher als heute. In der typischen bäuerlichen Großfamilie war man zudem selten allein. Die soziale Isolation ist ein gesundheitliches Risiko, das heutzutage in weiten Teilen des Gesundheitssystems unterschätzt wird. Denn auch hier haben neue medizinische Fachrichtungen, wie z. B. die biopsychosoziale Medizin, wertvolle Erkenntnisse gewonnen: Eine psychische Belastung oder Probleme im sozialen Umfeld wirken sich negativ auf den menschlichen Körper aus.
Im Sinne einer optimalen Prophylaxe und einer ganzheitlich modernen Therapie