Auf dünnem Eis: Ich wagte zu beten - und mein toter Sohn lebte
Von Joyce Smith und Ginger Kolbaba
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Über dieses E-Book
Es folgen bange Tage, in denen Johns Leben am seidenen Faden hängt. Doch entgegen aller Expertenmeinungen kann er sechzehn Tage später das Krankenhaus verlassen – völlig geheilt.
Joyce Smith
Joyce Smith wurde in Wichita, Kansas, geboren, wuchs in Ohio auf und lebte an verschiedenen Orten in den USA sowie in Kanada und Deutschland. Sie hat vier Söhne und fünf Enkelkinder.
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Auf dünnem Eis - Joyce Smith
JOYCE SMITH
mit Ginger Kolbaba
AUF
DÜNNEM
Eis
Ich wagte zu beten -
und mein toter Sohn lebte
Aus dem amerikanischen Englisch
von Heide Müller
SCM | Stiftung Christliche MedienSCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7412-1 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5842-8 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© der deutschen Ausgabe 2018
SCM Verlagsgruppe GmbH · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: info@scm-haenssler.de
Originally published in English under the title: The Impossible
The Impossible
Copyright © 2017 by Joyce Smith
This edition published by arrangement with Faith Words, New York,
New York, USA. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische
Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.
Weiter wurden verwendet:
Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis –
Brunnen Basel
Übersetzung: Heide Müller
Umschlaggestaltung: Patrick Horlacher, Stuttgart
Titelbild: Michael Aleo, Tom Barrett, Nathan Anderson
www.unsplash.com
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
INHALT
1 | Eine böse Vorahnung
2 | Auf dünnem Eis
3 | Wettlauf zum Krankenhaus
4 | Das Gebet einer Mutter
5 | Der schönste Ton der Welt
6 | Nur ein Herzschlag
7 | Genug gehört!
8 | Die Macht der Worte
9 | Engel halten Wacht
10 | Meine längste Nacht
11 | Wider medizinisches Wissen
12 | Ein wundervoller Tag
13 | Frieden und Unruhe
14 | Ein schrecklicher Tag
15 | Zusammenbruch
16 | Angst und Vertrauen
17 | Loslassen
18 | Die Grenzen der modernen Medizin
19 | Eine liebevolle Hand
20 | Wunder über Wunder
21 | Auf wackeligen Beinen
22 | Lasst mich hier raus!
23 | Viele Fragen
24 | Das Unmögliche
EPILOG
NACHWORT von Jason Noble
ANMERKUNG DER AUTORIN
ANHANG
An der Schrift festhalten
Dr. Sutterers Brief an die Schüler der christlichen Mittelschule
DANK
ÜBER DIE AUTORINNEN
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
1.
EINE BÖSE VORAHNUNG
Sonntag, 18. Januar 2015
Spannung lag in der Luft. Üblicherweise schrien bei Basketballspielen in der christlichen Mittelschule Living Word Schüler und Geschwister wild durcheinander, jubelten und feuerten ihre Mannschaft an, Eltern erteilten lautstark Ratschläge, Schiedsrichter pfiffen und Trainer riefen den Spielern Anweisungen zu. Aber bei diesem Spiel war es ungewöhnlich still. Keine Schreie oder Jubelrufe. Wir hörten nur die Stimmen der Spieler, die sich untereinander austauschten, den Aufprall des Balls auf dem Holzboden und das quietschende Geräusch der Schuhsohlen bei jeder Drehbewegung. Unser Achtklässler-Team A, die Eagles, hatten im Spiel gegen die Duchesne Pioneers einen toten Punkt erreicht. Wir gewannen einfach keinen ausreichenden Vorsprung. Diese Saison war für unser Team bisher nicht so gut gelaufen, deshalb brauchten wir unbedingt einen Sieg. Aber den schien uns das Duchesne-Team nicht zu gönnen. Bei jedem Punkt, den unser Team holte, gelang den Pioneers kurz darauf der Ausgleich. Elf, elf. Fünfzehn, fünfzehn. Zweiundzwanzig, zweiundzwanzig.
Wie gebannt verfolgte ich den gut aussehenden schwarzhaarigen Jungen mit der olivbraunen Haut, der das Trikot mit der Nummer 4 auf dem Rücken trug. Schwarz, Petrol und Weiß waren die Farben seiner Mannschaft. Als Point und Shooting Guard (Verteidiger und Werfer) gab mein Sohn John die Taktik vor, kontrollierte das Tempo und sprach mit dem Schiedsrichter, wenn einer der Spieler ein Problem hatte. Er holte auch die meisten Punkte für sein Team. Gar nicht so schlecht für einen Jungen von nur 1, 62 Metern. Zu behaupten, ich sei stolz auf ihn, wäre maßlos untertrieben. In meinen Augen war er einfach genial. Was heißt in meinen Augen – er war genial. Das bedeutet aber nicht, dass ich deshalb über seine Macken hinweggesehen hätte, zum Beispiel seinen Hang, mit dem Trainer über die richtige Taktik zu streiten und entrüstet die Augen zu verdrehen. Dafür hatte der Trainer ihn beim letzten Mal vom Feld genommen.
Ich war froh, dass John dieses Mal wieder mitspielen durfte, wusste jedoch, dass der Vorfall vom letzten Mal immer noch an ihm nagte. Aber er spielte konzentriert, sein Kampfgeist war voll erwacht. Er schob sich vor andere und löste sich durch geschickte Finten von seinen Gegnern. Basketball war sein Leben. Schon im Alter von drei Jahren hatte er einen Basketball in den Händen gehalten. Bei jedem Spiel ging es für ihn um alles oder nichts.
Nun war die Zeit fast abgelaufen – und noch immer stand es unentschieden. Mein Mann Brian und ich waren völlig fertig von dem spannenden Spiel. Wie musste es da erst John und seiner Mannschaft gehen? Die Anzeigetafel zeigte dreiunddreißig zu dreiunddreißig, als im letzten Viertel nur noch vierzig Sekunden zu spielen waren. Ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, eroberte John den Ball, rannte über das Feld und dribbelte auf den Korb zu. Er löste sich blitzschnell von seinem Gegner und setzte zum Wurf an. Der Ball flog durch die Luft und rauschte durch das Netz. Ein perfekter Korbleger!
Fünfunddreißig zu dreiunddreißig.
Brian und mich hielt nichts mehr auf unseren Sitzen. Zusammen mit den anderen fünfzig bis siebzig Zuschauern auf der Tribüne brachen wir in lauten Jubel aus. Unsere Eagles hatten den Sieg nun fast in der Tasche.
Die Uhr lief ab, während die Pioneers vergeblich versuchten, noch auszugleichen. Der Schlusspfiff ertönte. Die christliche Mittelschule hatte gewonnen! Und mein Sohn hatte den entscheidenden Korb geworfen.
Die Spieler warfen sich übereinander, umarmten sich, schrien und lachten. Sie hatten sich so angestrengt für diesen Sieg und nun war es Zeit zum Feiern. Da sie am nächsten Tag wegen des Martin-Luther-King-Gedenktags schulfrei hatten, hatten sie dafür ausreichend Zeit.
Brian und ich verließen die Tribüne. Wir wussten, dass die Jungs einige Zeit brauchen würden, um sich so weit zu beruhigen, dass sie zum Umziehen in die Kabinen verschwinden würden und bereit wären, nach Hause zu fahren. Daher stellten wir uns darauf ein, geduldig zu warten. John kam jedoch mit seinen beiden Freunden und Teamkollegen Josh Rieger und Josh Sander schnurstracks auf uns zu.
Ich stöhnte innerlich, denn ich wusste, was sie wollten. Das ganze Wochenende hatte John mir in den Ohren gelegen, dass er nach dem Spiel zusammen mit Josh Sander bei Josh Rieger übernachten wollte. Und das ganze Wochenende über hatte ich ihn abgewimmelt, weil ich das nicht wollte. Warum, konnte ich selbst nicht erklären, ich hatte einfach ein ungutes Gefühl dabei.
Solche bösen Vorahnungen waren eher selten bei mir, aber wenn sie hochkamen, hatte ich gelernt, darauf zu hören, denn sie waren immer ein Zeichen dafür, dass irgendetwas passieren würde. In einer bestimmten Situation wurde das besonders deutlich. Einer meiner älteren Söhne, Tom, war gerade neu an der High School, als eines Tages sein Footballtrainer vor unserer Tür stand und fragte, ob Tom auf ein Trainingslager mitkommen dürfe. Irgendetwas an diesem Trainer gefiel mir nicht. Er war zwar nett, aber ich konnte mein Unbehagen einfach nicht abschütteln. Deshalb sagte ich Nein. Einige Monate später wurde dieser Trainer festgenommen, weil er Jungen sexuell belästigt hatte.
»Bitte, Mrs Smith! Kann John bitte mitkommen? Lassen Sie ihn bei mir übernachten. Biiitte!« Die beiden Joshs hatten sich gegen Brian und mich verschworen. Sie wussten, bei Brian würden sie leichtes Spiel haben, bei mir aber mussten sie hartnäckig sein.
»Darf ich, Mom? … Darf ich?«, rief auch John.
Alles in mir wehrte sich, ich wollte seinen verschwitzten Körper in meine Arme schließen und ihn nach Hause in Sicherheit bringen – aber wovor? Das wusste ich nicht. Stattdessen sah ich in die großen dunklen Augen, die vor Aufregung leuchteten. Wie konnte ich ihm diesen Wunsch abschlagen? Schließlich hatten sie gerade das Spiel gewonnen und alle drei waren gute Jungs. John hatte schon oft bei Josh Rieger übernachtet. Die Riegers waren eine nette Familie und Kurt und Cindy, Joshs Eltern, verantwortungsvoll und aufmerksam. Ich mochte sie und vertraute ihnen unseren Sohn gern an, und John fühlte sich wohl bei ihnen.
Sicher geht mein mütterlicher Beschützerinstinkt mit mir durch, dachte ich. Ich sah diese Vierzehnjährigen an, wie sie vor mir standen, so wild darauf, ihren Sieg noch weiter zu feiern und nach der Anstrengung etwas gemeinsam zu unternehmen. Joyce, sei doch kein Spielverderber. Das kannst du nicht machen!
»Mom?« John brauchte eine Antwort.
Ich seufzte und nickte, wider besseres Wissen, denn ich konnte meinem Kind etwas so Belangloses nicht einfach verwehren. Bestimmt war ich nur überbesorgt. »Okay. Du darfst.«
Die Jungs schrien erleichtert. »Oh, danke, Mrs Smith. Super! Wir werden –«
»Passt einfach auf, dass euch nichts passiert. Und macht keine Dummheiten!« Ha, dachte ich. Sie sind vierzehn. Sie sind Jungs. Natürlich werden sie Dummheiten machen. Solange es nur keine gefährlichen sind …
»Danke, Mom! Danke, Dad!«
»Und melde dich mal«, rief ich John noch zu, als Brian und ich unsere Mäntel holten und aufbrachen.
»Mach ich. Bis bald.«
John drehte sich um und rannte zu seinen Teamkollegen, die immer noch mit ihrem Trainer feierten.
John hielt Wort und schickte mir am späten Abend noch eine Textnachricht. Es sei voll cool. Sie würden mit Josh Riegers Familie zusammen Pizzabrötchen essen und Call of Duty spielen. Nichts Besonderes.
Ich lächelte erleichtert. Die Jungs waren in Ordnung. Ich konnte mir meine Unruhe nicht mehr erklären. Was war schon dabei, dass John dort übernachtete? Kein Grund zur Sorge, sagte ich mir.
Was John mir nicht erzählt hatte, war, dass er mit seinen Freunden am frühen Abend aus Langeweile einen Abstecher zum Lake Ste. Louise gemacht hatte. Sie liebten diesen kleinen, nur zwei Häuserblocks von den Riegers entfernt gelegenen See. Als sie sahen, dass er zugefroren war, kamen sie auf die verrückte Idee, hinaus aufs Eis zu laufen, sich hinzuhocken, ein Selfie zu schießen und es auf Instagram zu posten. Sie waren nur leicht angezogen. John trug Shorts und ein ärmelloses T-Shirt. Es war zwar warm für einen Januartag in der Region St. Louis, aber trotzdem … Shorts und ein ärmelloses T-Shirt? Hätte ich von seinem unpassenden Aufzug gewusst – oder vielmehr von seinen Eskapaden auf dem Eis –, wäre ich schnurstracks hingefahren und hätte ihn nach Hause geholt. Aber ich wusste nichts davon. Eltern wissen so selten etwas von dem, was ihre Vierzehnjährigen tun – leider!
Nachdem wir unserem Sohn noch »Wir lieben dich« geschrieben hatten, gingen Brian und ich zu Bett, ohne etwas von diesem Ausflug aufs Eis zu ahnen.
Montag, 19. Januar 2015
Der nächste Morgen verlief ohne besondere Ereignisse. Brian ging zu seiner Arbeit als Spezialist für Unternehmensmedien-Events bei Boeing, denn der Martin-Luther-King-Gedenktag war in seinem Unternehmen kein offizieller Feiertag. Ich fütterte unseren Hund Cuddles und kuschelte mit ihm, telefonierte mit meiner Schwester Janice, nahm mir etwas zu essen und meine Bibel und setzte mich damit in die Küche, um mit Gott allein zu sein.
Dort sah ich auf die Uhr meines Handys. Es war fast zwanzig nach elf. Joshs Mutter Cindy und ich hatten vereinbart, den »Kindertausch« erst am Nachmittag vorzunehmen, also blieb mir noch etwas Zeit. Cindy wollte mir Bescheid geben, wenn sie losfuhren. Üblicherweise traf ich Cindy und die Jungs in einem Kaufhaus oder irgendwo auf halbem Weg, da wir in St. Charles, Missouri, wohnten, und sie fast zwanzig Minuten entfernt in Lake St. Louis, etwa fünfundsechzig Kilometer entfernt von der Großstadt St. Louis. Wenn wir uns auf halbem Weg trafen, musste keiner von uns die ganze Strecke zurücklegen.
Nach dem Abholen würde John wohl noch ins Freizeitzentrum Rec Plex bei uns in der Stadt gehen wollen, um ein paar Körbe zu werfen und zu trainieren, das tat er gewöhnlich an schulfreien Tagen. Ich fragte mich, ob er am liebsten direkt dorthin fahren oder vorher noch einen kurzen Stopp zu Hause einlegen würde. Daher beschloss ich, das mit ihm zu klären. Auf meinem Telefon war es nun 11:23 Uhr und ich überlegte, was sie wohl gerade taten.
»Hey, fahren wir gleich zum Rec Plex oder willst du erst noch mal heim und wann?«, schrieb ich ihm.
John antwortete sofort: »Schreib Cindy, KA.« KA, das wusste ich, war die Abkürzung für »Keine Ahnung«.
Was hat Cindy damit zu tun, ob John ins Freizeitzentrum fahren oder vorher noch einmal heimwill?, fragte ich mich. »Nein«, schrieb ich zurück. »Ich frage dich, wie es aussieht mit dem Rec Plex. Ja oder nein?«
»IME.« Ist mir egal. »Kommt Dad auch?«
Ich lächelte. John und sein Vater unternahmen gern etwas miteinander. Sie machten zusammen Sport, gingen ins Freizeitzentrum und frühstückten, seit John acht Jahre alt war, jeden Samstag »unter Männern« im Waffle House in der Stadt.
»Nein, er ist auf der Arbeit. Er kommt erst später nach Hause. Vielleicht dann. Ich weiß es nicht.«
»Okay«, schrieb er zurück. Das war alles. Frustriert seufzte ich. Ich wusste nicht, wozu er sein Okay gab, und hatte auch keine Antwort bekommen, ob wir gleich zum Rec Plex fahren würden oder ob er noch einmal heimwollte. »Das Kind bringt mich noch ins Grab«, grummelte ich. »Ich rufe ihn einfach an.«
Um 11:26 Uhr wählte ich die Nummer meines Sohnes, entschlossen, eine Antwort auf meine Frage zu bekommen.
Er nahm sofort ab. »Hallo!«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte ich. »Willst du jetzt ins Rec Plex oder nicht? Wenn ja, kann ich Cindy bitten, dich dort abzusetzen, und dich später abholen.«
»Hm, ja, klingt gut«, sagte er. Er wirkte fröhlich, als sei sein Tag bisher gut gelaufen.
»Okay, also dann bis später. Ich hab dich lieb.«
Nachdem diese Sache nun geklärt war, widmete ich mich wieder meinem Smartphone, diesmal jedoch aus einem anderen Grund. Ich öffnete die Facebook-App und besuchte die Seite von Mark Callaway, dem ehemaligen Jugendpastor meiner älteren Söhne. Mark arbeitete in einer Gemeinde, in die wir als Familie vor vielen Jahren gegangen waren, als wir noch in Indianapolis gelebt hatten. Er und seine Frau Leslie waren gute Freunde von uns. Mark postete täglich Andachten auf Facebook und ich versuchte, sie jeden Morgen zu lesen. Was er schrieb, schien mir immer genau das bewusst zu machen, was ich für den Tag brauchte.
Was tun, wenn du in einer Krise steckst, sei sie nun selbst verschuldet oder durch andere verursacht? Wir können dasitzen und uns aufregen, wie gemein uns jemand behandelt hat, oder uns einreden, was für Versager wir doch sind … aber das nützt rein gar nichts (außer dass wir es aufschieben, die Dinge in Angriff zu nehmen). David schrieb »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Warum bist du so fern und hörst meine Hilferufe nicht?«, und kaum einen Atemzug später sagte er, dass Gott heilig ist und Israel ihn mit seinen Liedern lobt (Psalm 22). An anderer Stelle sagt die Bibel, wir sollen Gott in allen Dingen danken (1. Thessalonicher 5, 18). Sorge und Entmutigung sind ganz natürliche Reaktionen. Es kommt darauf an, was wir damit tun. Bleiben wir dabei stehen oder gehen wir weiter? Wenn wir uns von einem großen Problem weg- und unserem großen Gott zuwenden, eröffnet uns das eine neue Perspektive und hilft uns über unsere emotionale Kurzsichtigkeit hinweg. Gehen wir noch einen Schritt weiter und danken wir Gott für die Herausforderung, dann beginnt der Prozess der Überwindung. Wenn wir Gott als größer ansehen und anfangen, ihm für die Herausforderung zu danken, nehmen wir die Herausforderung als etwas an, was wir mit Gott besiegen können … Dann wissen wir nach der Krise mehr von Gott als vorher.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es war 11:51 Uhr und Cindy war am Apparat.
Johns Tag hatte gut begonnen. Das Land feierte an diesem Tag das Leben von Martin Luther King jr. und die Errungenschaften seiner Bürgerrechtsbewegung. John und seine zwei Freunde hingegen fanden es einfach nur cool, schulfrei zu haben. Sie standen spät auf und beschlossen dann, mit Joshs älterer Schwester Jamie noch einmal hinunter zum See zu laufen. Schließlich hatte das Eis am Vorabend gehalten, als sie ihr Foto geschossen hatten, also war es doch noch einen Versuch wert! Ein gefrorener See – eine Seltenheit in unserer Region – war einfach zu verlockend.
Im strahlenden Licht der Sonne wirkte der See, als wäre er aus purem Glas. Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit und das Thermometer würde im Laufe des Tages noch auf zehn Grad Celsius klettern. Ein perfekter Tag für Mitte Januar und ein willkommener Ausgleich für den Kälteeinbruch mit Temperaturen unter null.
Nur mit Muskelshirts und kurzen Hosen bekleidet sammelten die Jungs zunächst ein paar Steine am Ufer auf und warfen sie aufs Eis, um die Dicke zu prüfen. Zufrieden, dass es wohl noch stabil genug war, sie auch an diesem Tag zu tragen, wagten sie sich hinaus, mit jedem Schritt ein Stück weiter. Jamie hingegen war die Sache zu riskant und sie blieb am Ufer zurück. Die Jungen lachten, rutschten und fanden es toll, auf dem Wasser »gehen« zu können.
Auf dem Gebiet der Gemeinde St. Louis in Missouri gibt es zwei benachbarte Seen. Mit einer Fläche von etwas mehr als 260 Hektar ist der Lake St. Louis der deutlich größere. Seine kleine Schwester, der Lake Ste. Louise, ist mit nur 28 Hektar zwar nicht sehr groß, aber dennoch tief – an den meisten Stellen zwischen fünfzehn und achtzehn Meter – und der Grund ist mit Schlick und Schlamm bedeckt. Bei Gewässern ist die Größe jedoch nicht der entscheidende Punkt. Unter ungünstigen Bedingungen kann einer Person ein Teich genauso zum Verhängnis werden wie das offene Meer. John hatte dies erst im Sommer hautnah erfahren, als er und Josh Rieger in genau diesem See bis zur Mitte hinausgeschwommen waren und ohne Hilfe nicht mehr allein zum Ufer zurückschwimmen konnten.
Aber heute lag für John der Gedanke an den Vorfall an jenem warmen Sommertag in weiter Ferne und er ließ sich unbekümmert über die Eisfläche gleiten. Er und seine Freunde rutschten und hüpften auf dem Eis herum, ungeachtet der Gefahr, dass es brechen könnte. Es reizte sie auszuprobieren, wie weit hinaus zur Mitte sie sich wagen könnten. Währenddessen blickte nur wenige Meter entfernt an der westlichen Uferseite Ron Wilson, der Manager des Klubhauses am Lake Ste. Louise, aus seinem Bürofenster, sah das Treiben der Jungen und lief hinaus, um sie zur Rede zu stellen.
»Hey Jungs!«, schrie er. »Ihr müsst runter vom Eis! Es ist zu gefährlich da draußen. Kommt sofort zum Ufer!«
Sie nahmen seine Warnung zwar zur Kenntnis, hatten es aber offenbar nicht eilig, darauf zu hören. Schließlich ging Ron zurück in sein Büro. Mittlerweile hatten John und ich uns Textnachrichten geschrieben. Als ich ihn anrief, um mit ihm die Sache mit dem Rec Plex zu klären, stand er gerade fünfzehn Meter vom Ufer entfernt – und ich hatte keine Ahnung!
Eine Eigenart meiner vier Söhne ist, dass sie beim Telefonieren andauernd auf und ab laufen. Wenn ich sie lange genug in der Leitung halten würde, könnten sie es vermutlich zu Fuß bis nach Kalifornien schaffen. Als ich also um 11:26 Uhr an diesem Vormittag mit ihm sprach, im Sitzen und mit festem Boden unter den Füßen, schritt er gedankenlos hinaus auf immer dünneres Eis.
Nur wenig später grollte ein bedrohliches Krachen über den See. Das Eis brach unter Johns Füßen und das Wasser schlug über ihm zusammen. Josh Sander ließ sich sofort auf Knie und Hände fallen und versuchte, Johns Hand zu ergreifen. Aber auch unter ihm brach das Eis. Sofort eilte aus einigen Metern Entfernung Josh Rieger seinen Freunden zur Hilfe. Auf dem Bauch liegend wollte er John aus dem Wasser ziehen, fiel dabei aber selbst hinein.
Die Jungen platschten und strampelten wild in dem verzweifelten Versuch, sich aus dem Zugriff des dunklen, eiskalten Wassers zu befreien.
Um 11:33 Uhr warf Ron Wilson erneut einen Blick aus seinem Bürofenster, aber diesmal wurde er Zeuge, wie das Eis einbrach und die Jungen verschluckte. Er wählte sofort die Notrufnummer 911 und informierte die Polizeidienststelle Lake St. Louis.
Draußen rief John Jamie Rieger zu: »Ruf die 911! Ich will nicht sterben!«
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
2.
AUF DÜNNEM EIS
Montag, 19. Januar 2015
Um 11:35 Uhr ertönte der Alarm bei der Feuerwehr Lake St. Louis und bei der des Nachbarbezirks Wentzville.
Als die ersten Helfer auf dem Weg zum See waren, gelang es Josh Sander gerade, ein Stück festes Eis zu ergreifen und sich aus eigener Kraft herauszuziehen. Halb kriechend, halb rutschend erreichte er schließlich den Bootssteg beim Klubhaus, der der Einbruchstelle am nächsten gelegen war. John und Josh Rieger strampelten immer noch wie wild im Wasser und gingen immer wieder unter. Schließlich schaffte es John, Josh über den Rand der Eisfläche zu schieben, während er verzweifelt versuchte, sich auch selbst herauszuziehen.
Die Polizeibeamten Rick Frauenfelder und Ryan Hall saßen gerade in der Polizeidienststelle Lake St. Louis, schrieben Berichte und arbeiteten die Aktenstapel auf ihren Schreibtischen ab, als der Notruf sie erreichte. Drei Teenager seien auf dem Lake Ste. Louise ins Eis eingebrochen. Augenblicklich ließen sie alles liegen und rannten zu ihren Streifenwagen. Mit Blaulicht und Sirenen rasten die beiden Polizisten zum nahe gelegenen See. Officer Hall fuhr um den See herum zur anderen Uferseite hinüber, Officer Frauenfelder zum Anlegesteg beim Klubhaus. Keiner von beiden wusste, wo die Jungen genau eingebrochen waren. Wenn sie sich aufteilten, würde einer von ihnen die Stelle hoffentlich schnell finden.
Als die Beamten am See eintrafen, befanden sich der Brandmeister des Feuerwehrbezirks Wentzville, Chief Mike Marlo, und seine Frau Kathy gerade mit ihrem Wagen auf dem Weg ins Zentrum von Wentzville zur Parade anlässlich des Martin-Luther-King-Gedenktags. Sie sollten dort die Rettungskräfte ihrer Gemeinde vertreten – eine gute Sache, die sie gern unterstützten. Sie waren fast am Ziel angelangt, als der Feueralarm einen Notruf ankündigte. Chief Marlo horchte genau auf die Ansage: »Eisrettungseinsatz, drei dreizehn bis fünfzehn Jahre alte Jungen, Lake Ste. Louise.« Als Bezirksbrandmeister übernahm Marlo zwar keine Bereitschaftsdienste, er fühlte sich aber irgendwie gedrängt, in diesem Fall selbst dabei zu sein. Ohne genau erklären zu können, warum, wusste er, dass er dort gefragt war.
Er sah seine Frau an und sagte: »Wir fahren zu diesem Einsatz.«
Zu diesem Zeitpunkt hatte gerade die 48-Stunden-Schicht von Tommy Shine, der bereits seit elf Jahren dem Feuerwehrbezirk Wentzville angehörte, und seiner Einheit begonnen. Dies war der ideale Moment für einen Abstecher zum Lebensmittelladen, um für ihre Zeit im Feuerwehrhaus einzukaufen. Die Männer hatten gerade den Supermarkt betreten und ihren Einkaufswagen durch die Obst- und Gemüseabteilung geschoben, als sie ein Notruf erreichte: Kinder seien ins Wasser gefallen, eines davon komplett untergegangen.
Die Feuerwehrmänner ließen ihren Einkauf stehen und rannten hinaus zu ihrem Löschfahrzeug.
Nur Minuten nach dem Notruf traf Officer Frauenfelder um 11:38 Uhr als Erster am Ort des Geschehens ein, dicht gefolgt von den Beamten Ryan Hall, Tyler Christeson, Cody Fry und Detective Sergeant Bret Carbray. Josh Sander rutschte zu diesem Zeitpunkt bäuchlings über das Eis und war schon fast am Bootssteg angekommen, durchnässt und durchgefroren, aber in Sicherheit. Die Beamten sahen, wie sich Josh Rieger verzweifelt an einer Eisplatte – dem größten und stabilsten Eisblock – festklammerte. Er konnte sich aber nur noch mit Mühe halten, denn seine Kräfte ließen nach. John tauchte immer wieder unter, schlug um sich, paddelte platschend mit den Armen und versuchte, irgendetwas Festes zu ergreifen. Aber bei jedem Griff nach dem Eis löste sich ein Brocken und er fand keinen Halt.
»Hilfe! Helft uns!«, schrien Josh und John, als sie die Männer erblickten.
Rick Frauenfelder und Ryan Hall rissen ihre Waffengürtel, Jacken und restliche Montur herunter und rannten zum Seeufer. Ohne Zeit zu verlieren, gingen die beiden Polizisten sofort hinaus aufs Eis. Sie wussten, dass Bret Carbray sie noch mit Rettungsausrüstung aus dem Kofferraum ihrer Streifenwagen versorgen würde. Sie waren ungefähr vier Meter weit gekommen, als Bret ihnen Schwimmwesten und Seile zuwarf. Schnell zogen sie die Westen über und krochen auf allen vieren weiter hinaus, aber Frauenfelder stellte fest, dass das Eis matschig und mürbe war – kein gutes Zeichen. Mit jeder Bewegung gab es etwas mehr nach. In seinen fünfzehn Dienstjahren als Polizeibeamter – acht davon bei der Dienststelle Lake Ste. Louise – war er schon zu unzähligen Einsätzen auf diesen See gerufen worden, aber keiner davon war so ernst gewesen. Diese Teenager waren in Lebensgefahr und er war sich nicht sicher, ob er ihnen helfen konnte. Aber versuchen würde er es.
»Dreht euch auf den Rücken und legt euch flach aufs Wasser! Bleibt ruhig! Und versucht nicht, allein herauszukommen«, rief er den Jungen zu, denn er befürchtete, dass sie sich in ihrer Panik selbst noch mehr schaden würden. Doch die Jungen waren schon so hysterisch, dass sie auf seine Anweisungen nicht mehr hören konnten. Frauenfelder versuchte, schneller vorwärtszukommen, aber das Wasser bildete bereits Pfützen und die Eisfläche wurde zur Mitte hin immer dünner.
Mittlerweile war John in dem eiskalten Wasser so außer Kräften und unterkühlt, dass er sich immer nur für kurze Zeit über Wasser halten konnte. Schließlich ging er ganz unter.
Der Feuerwehr-Rettungswagen Medic 9 und die Einheit 9224 der Feuerwehr Lake St. Charles trafen um 11:43 Uhr ein, als von einem der Jungen nur