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Afrikablut
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eBook368 Seiten4 Stunden

Afrikablut

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Über dieses E-Book

´Als der Napf leer, die Lippen blutverschmiert und ihre Freundschaft auf ewig und alle Zeiten besiegelt war, lachten sie befreit.`
Zentralafrika, irgendwann Anfang der 70er-Jahre: Sarah und Elias verbringen einen Teil ihrer Kindheit auf einer Jagdfarm in Afrika. Bei einem abenteuerlichen Ausflug in den Busch kommt es zu einer Begegnung, die ihr Leben verändert. Frankreich, viele Jahre später: Ein mysteriöser Mordfall vereint die Kinder von einst wieder. Noch während sie erforschen, wovon sie unwissentlich ein Teil sind, flackern Erinnerungen auf. Diese führen sie dorthin zurück, wo alles begonnen hat. Mitten ins dunkle Herz Schwarzafrikas.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum25. Juni 2018
ISBN9783752844320
Afrikablut
Autor

Christopher L. Ries

Christopher L. Ries, geboren 1961, lebte siebzehn Jahre in Korsika, wo er die Légion étrangère, seine ´Schule des Lebens` besuchte, die ihn mit ihren Abenteuern und geheimen Zünften zum Geschichtenerzählen inspiriert hat. 2002 zog er nach Deutschland, wo er unter anderem als Bild- und Tontechniker am Theater am Neunerplatz in Würzburg arbeitete. Derzeit schreibt er an seinem neuen Roman.

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    Buchvorschau

    Afrikablut - Christopher L. Ries

    Dieses Buch widme ich voll Dankbarkeit meiner

    Frau Diana. Sie hat mich gelehrt, frei zu sein.

    Diana, du bist mein Herz, mein Leib, meine Seele

    Vitae Christopher L. Ries

    Christopher L. Ries, geboren 1961, lebte siebzehn Jahre in Korsika, wo er die Légion étrangère, seine 'Schule des Lebens` besuchte, die ihn mit ihren Abenteuern und geheimen Zünften zum Geschichtenerzählen inspiriert hat. 2002 zog er nach Deutschland, wo er unter anderem als Bild- und Tontechniker am Theater am Neunerplatz in Würzburg arbeitete. Derzeit schreibt er an seinem neuen Roman.

    Inhaltsverzeichnis

    Teil Eins - Kindheit

    Ein Paradies mitten im Nirgendwo

    Der Schamane

    Das Kreuz des Südens

    Ein hölzernes Kreuz mitten im Busch

    Teil Zwei - Goodbye Afrika

    Der Ire

    Elias

    Das Amulett

    Erinnerungen mit Beigeschmack

    Worte sind wie der Wind

    Kein gewöhnlicher Fall

    Männerjagd

    48 Stunden. Elias hat ein Déjà-vu

    Das Tagebuch

    Teil Drei – Lauras Welt

    Adieu, altes Europa

    Die katholische Mission in der Wildnis

    Eine schicksalhafte Begegnung

    Erste Liebe

    Endlich glücklich

    Die Farm am Gounda-Fluss

    Teil Vier – Die Rückkehr

    Und wieder Afrika

    Geister von einst

    Elias spürt etwas

    Wie eine große Heuschrecke

    Nicht ohne Sarah

    Der Ursprung aller Dinge

    An der Quelle des Weißen Nils

    Krokodilstränen

    Der Kreis schließt sich

    Lexikon

    TEIL EINS - Kindheit

    Die Sonne war längst am Horizont erloschen, doch noch herrschte Zwielicht. Der sterbende Tag sowie die beginnende afrikanische Nacht erlebten erneut diesen eigentümlichen Augenblick der Ungewissheit. Es war ein Moment der inneren Unruhe. Es war der Augenblick, in dem sich ein instinktiver Tatendrang und das Verlangen nach Ruhe und Schlaf einem Zwiespalt hingaben, der so alt schien wie die Menschheit und das Leben selbst. Und es war mild. Venus stand schon eine ganze Weile an der Stelle, an der die Sonne untergegangen war. Nach und nach lugte auch so manch anderer Stern hervor. Von der Feuchtsavanne, wo Felsenwildnis und Grassteppe sich abwechselten, blies ein warmer Wind. Es roch nach Thymian, nach feuchter Erde und nach dem Dung von Büffeln.

    „Hey! Tiere tragen keine Kleider, warum sollten wir es tun?"

    Adebayo, schwarz wie die Nacht und knapp vier Fuß in die Höhe geschossen, hatte große Mühe, das Mädchen von der Bedeutsamkeit dieser Aussage zu überzeugen. White Boy Elias nickte bedächtig mit dem Kopf. Es war eine ernstzunehmende Entscheidung. Noch zögerte er.

    Der dünnen Sarah schoss die Schamröte ins Gesicht.

    „Was ist denn los, Spargelgewächs?, spöttelte Adebayo. „Hast du etwa Angst?

    „Wovor bitte?"

    „Davor, dich lächerlich zu machen."

    „Blödsinn."

    „Sie hat doch Angst", schlussfolgerte Adebayo.

    „Siehst du, White Boy. Ich habe dir doch gesagt, dass sie’s nicht tun wird."

    „Schon", erwiderte White Boy Elias und zuckte mit den Schultern. Am liebsten hätte er laut geschrien: Das ist ein Fehler. Blasen wir alles ab und gehen nach Hause. Aber genau in diesem Augenblick führte Adebayo seinen Stänkerfeldzug fort. „Sind alle weißen Mädchen so spießig oder tun sie nur so? Niemand beantwortete ihm diese Frage. Er beharrte. „Na schön, Elias. Wir wissen doch, dass schwarze Mädchen Feuer im Arsch haben?

    Elias, innerlich hin- und hergerissen, sagte kein Wort.

    Adebayo sah sein Schweigen als Aufforderung, weiterzusprechen. „Da gibt es eine im Dorf, die uns immer ansieht, als ob sie uns fressen wollte.

    Diese Blicke sprechen Bände, Mann. Immer noch klar ausgedrückt?"

    „Joop, brachte Elias nun mühsam hervor. „Sie heißt Djalia.

    Sarah funkelte Adebayo zornig an. Sie wusste, dass Elias dieser Djalia wegen ihrer offen zur Schau gestellten, nackten, stolz aufgerichteten Brüste oft nachstarrte und dabei die Welt um sich herum vergaß.

    „Ihr seid Affen", stieß sie mit trotzig erhobenem Kinn hervor und begann mit zitternden Fingern ihr Hemd aufzuknöpfen. Elias sah zuerst weg, nur um dann doch wieder hinzusehen – überzeugt, dass ihm der Mond auf den Kopf fallen würde.

    Adebayo gab ein zufriedenes Schnauben der Vorfreude von sich. Einen Augenblick lang herrschte Grabesstille. Nur in der Ferne durchbrach der Schrei eines Leoparden die Nacht.

    „Was geschrieben steht, steht geschrieben, sagte Sarah schließlich. „Aber lasst uns anfangen, sonst verlässt mich der Mut.

    „Wie lange müssen wir so liegen bleiben?", fragte Sarah später in der Nacht. Sie schwankte zwischen Verunsicherung und innerem Jubel. Verunsichert war sie, weil die Savanne zu dieser fortgeschrittenen Stunde ein unheilbringender Ort war. Ja, und sie jubilierte, weil sie sich inmitten der beiden Jungs besser aufgehoben fühlte, als sie anfänglich gedacht hatte. Hier zu sein, war ein unbeschreibliches Gefühl. Nun ganz in der Nähe fauchte der Leopard ein zweites Mal. Elias sah derweil mit einem mulmigen Gefühl auf den Jutesack, den Adebayo neben sich abgelegt hatte.

    Etwas bewegte sich darin.

    „Jesus Maria, was ist das?"

    „Das wirst du schon noch früh genug erfahren, Angsthase. Zuerst werden Sternschnuppen gezählt."

    Elias zitterte vor Aufregung. Ihre Körper berührten sich. Die schwarze Haut von Adebayo fühlte sich hart und rau an. Wie die Haut einer alten Echse.

    Sarahs Haut war warm und glatt. Und sanft.

    „Wie heißt ‚Stern‘ in deiner Sprache?"

    „Tongolo", erwiderte Adebayo.

    „Tongolo. Das ist schön", flüsterte Sarah.

    „Das ist Sango, unsere Sprache, nickte Adebayo und erhob sich. „Ich habe alles vorbereitet, wir müssen gehen.

    Fast augenblicklich verschmolz er mit der Dunkelheit und war kurz darauf nur noch als eine vage Silhouette auszumachen, die schemenhaft in der afrikanischen Nacht verschwand. Nach ungefähr einer Meile, die sie dem Flussbett - einem dunklen Schacht voller Schatten, gefolgt waren, holten sie Adebayo endlich ein. Zu dritt legten sie schweigend den Rest der übrigen Strecke zurück. Knapp fünfzig Meter vor ihnen bog der Fluss plötzlich im rechten Winkel nach links ab. Unmittelbar nach der Flussbiegung blieb Adebayo abrupt stehen. Mit vorgestrecktem Kinn wies er nach vorne. „Da oben ist es. Hoffentlich hat niemand das Versteck gefunden."

    Vor ihnen türmte sich eine terrassenförmige Plattform in die Höhe. Auf ihr hatte der Fluss im Laufe der Jahrzehnte seine überflüssigen Mitbringsel abgelegt. Es war ein Wirrwarr aus zerborstenen Felsstücken, vermoderten Baumstämmen und alten, von der Sonne gebleichten Knochen.

    „Wir sollten von hier verschwinden", sagte Elias einer plötzlichen Eingebung folgend. „Claude hat selbst gesagt, dass die Löwen nachts bis runter zum Fluss kommen. Es gibt wenig Wild zurzeit.

    Alles, was kriechen kann oder mindestens ein Bein hat, dürfte sich heute Nacht am Fluss herumdrücken."

    Sarah trat neben Elias und schaute ihn an, als hätte er ihr einen Dolchstoß versetzt. „Claude hat auch gesagt, dass Angst ein niederträchtiger Ratgeber ist", sagte sie. Genau das, was Elias befürchtet hatte, war eingetroffen. Sie hielten ihn für einen Hasenfuß. Seit Langem schon ahnte er, dass Adebayo ihn genau beobachtete. Der junge Afrikaner hatte ihn auf den Prüfstand gehoben.

    Hier im Busch, wo hinter jedem Strauch tückische Gefahren auf sie lauerten, stand Elias als Stadtmensch und Nicht-Afrikaner in der ständigen Beweispflicht. Das war ganz in Ordnung. Dass Sarah aber in die gleiche Kerbe schlug, ging ihm ganz gewaltig gegen den Strich.

    Er verspürte ständig den Zwang, alles doppelt so gut machen zu müssen. Auf Dauer war das natürlich belastend. Völlig in Gedanken versunken spähte er über die Plattform hinweg.

    Am mondbeschienenen Horizont erhob sich dunkelgrau und silbern ein enormes Felsengebirge. Das Bongo-Massiv. Man erzählte sich viel über das Gebirge. Die Quelle des Flusses lag irgendwo dort oben. Sarahs Vater Claude war bislang der einzige Weiße, der sich je die Mühe gemacht hatte, sich diesen Landstrich etwas genauer anzusehen. Selbst die Afrikaner mieden den Ort wie die Pest. In diesem Niemandsland ging es nicht mit rechten Dingen zu. In den tiefen Schluchten und Tälern dieser unheilvollen Berge trieben angeblich Bambingas ihr Unwesen. Die von ihrem Volk verstoßenen Pygmäen, so sagte man, vereinten Bosheit und Heimtücke.

    Adebayo warf den Sack nach oben und erklomm flink wie ein Wiesel die Plattform. „Ihr müsst unten warten", rief er über seine Schulter hinweg.

    „Die Vorbereitungen für unsere Zeremonie dauern etwas und die Tradition will, dass nur ein Afrikaner sie trifft."

    Dies gesagt tastete er im Dunkeln nach einem Bündel aus Antilopenfell, das er tags zuvor unter einem Haufen verwelkter Blätter versteckt hatte, und begann damit, den Inhalt – kleine Krüge mit Farben, ein Messer, einige Muscheln, bunte Federn und die Ohren einer kleinen Antilope, sorgfältig vor sich auf den Boden zu legen. Als er damit fertig war, errichtete er aus trockenem Holz einen großen Stapel. Mit raschen Handgriffen stopfte er Elefantengras darunter und zündete das Holz mit einem Sturmfeuerzeug an. Sofort loderten Flammen gelb auf und warfen gespenstische Schatten gegen Felswand und Schilf.

    „Adebayo, mach schon."

    Die Stimme kam von Sarah. Sie stand am Fuße der Plattform und starrte hilflos nach oben.

    Seelenruhig überprüfte Adebayo nochmals seine Utensilien, bevor er sich dazu herabließ, ihr zu antworten. „Eigentlich sollte ich euch da unten noch etwas schmoren lassen und warten, bis euch die Löwen aufgefressen haben."

    Während er sprach, ließ er sich bäuchlings am Rande der Plattform nieder, streckte seine beiden Hände nach unten und half ihnen hoch. Zur gleichen Zeit ertönte das tiefe, unverkennbare Brüllen eines Löwen. Jäh durchbrach es die nächtliche Stille.

    „Es wird Zeit", sagte Adebayo, nachdem Erregung und Angst sich gelegt hatten. Er öffnete den Sack, griff hinein und brachte eine kleine, zu Tode erschrockene Ziege zutage. Nase und Maul waren so fest zugebunden, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie noch lebte. Mit einem schnellen Schnitt quer über die Kehle tötete er das Tier und fing das heiße Blut mit einem Blechnapf auf.

    Sofort darauf machte er sich mit Eifer ans Werk.

    Seine wendigen Hände waren überall, arbeiteten fieberhaft und ununterbrochen, während der Schweiß in Sturzbächen aus all seinen Poren drang. Das warme Blut und die gelben und roten Farben, mit denen er sie bemalte, waren an manchen Stellen schon fast getrocknet und begannen bereits zu bröckeln, als er zum krönenden Abschluss des Rituals Stich für Stich die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen mit der aus Blut und schwarzer Tinte gemischten Flüssigkeit auf ihre Ellbogen tätowierte.

    SEA.

    Er trat zurück, betrachtete Elias und Sarah wie ein eifriger Priester seine folgsame Gemeinde. Und er war zufrieden. Dann nahm er den Blechnapf, trank und reichte ihn an Elias weiter.

    „Trink. Es ist Ziegenblut", sagte er und kam somit allen Fragen zuvor. Elias trank widerwillig und reichte das Schälchen dann weiter an Sarah.

    Als der Napf leer, die Lippen blutverschmiert und ihre Freundschaft auf ewig und alle Zeiten besiegelt war, lachten sie befreit.

    „Sag mal, White Boy. Wie viele Sternschnuppen hast du gesehen? Nein, sag es nicht. Wünsch dir einfach etwas, für jede einzelne."

    „Du liebe Güte, sagte Elias entmutigend. „Ich habe dreiundfünfzig gezählt. Wir müssten zwei Wochen hier draußen bleiben, wenn ich anfangen würde, mir für jede einzelne etwas zu wünschen.

    „Nun stell dich nicht so an!"

    „Ist ja schon gut, reg dich ab", stöhnte Elias und wunderte sich, dass es immer der gleiche Wunsch war, der sich ihm mit Macht aufdrängte. Dieser Wunsch hatte natürlich mit Sarah zu tun.

    „Ich hab nur eine Sternschnuppe gesehen", sagte Sarah. Sie schloss ihre Augen und tastete nach Elias’ Hand, die sie dann fester drückte, als sie es eigentlich vorhatte. Adebayo schwieg. Als es vorbei war, wurde das Feuer gelöscht und alle Spuren verwischt. Flugs kletterten sie die Plattform hinunter zurück in das Flussbett und machten sich von dort aus schweigend auf den Rückweg. Elias und Sarah folgten Adebayo durch die Nacht, bis an die Stelle, an der sie sich bei Sonnenuntergang getroffen hatten.

    „Sollen wir dich ins Dorf begleiten?"

    Elias wartete gespannt auf Adebayos Reaktion. Er ahnte, dass seine Frage pure Zeitverschwendung war, und natürlich sollte er recht behalten.

    „Wenn ein Löwe mich angreifen will, dann tut er es auch, entgegnete Adebayo großspurig. „Der Neid der Geister sorgt dann schon dafür und es würde ihn nicht weiter beeindrucken, wenn wir zu dritt wären. Wisst ihr, alles steht in den Sternen geschrieben. Einem Löwen kannst du nicht davonlaufen und dem Schicksal erst recht nicht.

    Als er außer Sichtweite war und nach einer Weile, die den beiden wie eine Ewigkeit vorkam, alles ruhig blieb, wandte Elias sich an Sarah.

    „Neid der Geister? Was meinte er damit?"

    „Unkulukulu, Geisterkult. Sarah starrte in die pechschwarze Nacht. „Einer von Adebayos Vorfahren war Zulu, deshalb.

    „Oh, ich verstehe", spöttelte Elias.

    „Geheimnisvolles Gedankengut."

    „Ich find‘s nicht lustig", sagte Sarah in einem Tonfall, der Elias eine Gänsehaut bescherte.

    „Tut mir leid, sagte er schnell. „Und woran glauben Zulus nun wirklich?

    „An Naturgeister. Sie leben im Wasser, in Tieren, in Pflanzen oder auch im Gestein", bemerkte sie.

    Doch auch ihr war das alles nicht ganz geheuer.

    „Sie bringen Opfer, um erboste Ahnengeister wieder gutmütig zu stimmen. Na ja. So einen Blödsinn halt."

    „Du meinst wirklich, dass es Blödsinn ist?"

    „Ja. Nein. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht."

    Elias spürte, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, tiefer in die Materie zu dringen. Je früher wir hier fortkommen, desto besser ist es, dachte er, sagte aber: „Wir sollten zurück ins Camp, bevor jemand von unserem nächtlichen Ausflug Wind bekommt."

    Währenddessen fuhr er mit seinen Fingerspitzen vorsichtig über die brennende Stelle an seinem Ellenbogen, dachte daran, dass sie nun für ewig miteinander verbunden waren. SEA. Jeden Tag seines Lebens würde er an sie denken, ob er wollte oder nicht. Er lächelte, sah Sarah mit einem seltsam verlegenen Seitenblick an.

    „Was hast du dir gewünscht? Du weißt schon ..."

    Sarah lächelte geheimnisvoll. „Es wird nicht in Erfüllung gehen, wenn ich es dir verrate.

    Außerdem ist es nicht so wichtig." Sie wandte sich dabei von Elias ab, sodass diesem der träumerische Blick, der ihre Worte Lügen strafte, entging.

    „Ich habe mir gewünscht, dass wir ..."

    Mit einem Sprung war Sarah ganz nahe bei ihm und legte ihre Hand auf seinen Mund. Dann stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen und presste ihre Lippen eine Sekunde lang zärtlich auf seine.

    „Ich mag dich auch, hauchte sie. „Und wie.

    Lachend und leichtfüßig fegte sie davon. Elias, einige Augenblicke perplex, wusste mit den Gefühlen, die ihn übermannten, nichts anzufangen. Er spürte nur, dass etwas vor sich ging, was er nicht mit Worten beschreiben konnte. So zuckte er nur mit den Schultern und schlenderte langsam Richtung Camp davon. Er wusste, dass er nicht sofort einschlafen würde, denn die Eindrücke der vergangenen Stunden waren zu intensiv gewesen. Lautlos schlüpfte er durch das angelehnte Küchenfenster im Erdgeschoss des Hauses und verschloss es von innen. Im Haus war alles still. Barfüßig durchquerte er den Salon und stieg die robuste Holztreppe hinauf in den Korridor, der am Zimmer seiner Eltern vorbei direkt in seine Stube führte. Dort zog er sich aus und wischte sich mit einem Handtuch, das er mit Wasser befeuchtete, die Farben vom ganzen Körper. Mit beiden Händen fegte er das Moskitonetz beiseite und kroch nackt in sein Bett, wo er einige Zeit vor sich hin döste.

    Sechs Monate war es nun her, seit er zum ersten Mal afrikanischen Boden betreten hatte. Das Verhältnis zu seinem Stiefvater David hatte sich nicht geändert. Er hasste ihn! Seine Mutter hingegen liebte er wie eh und je, wenn nicht gar etwas mehr als vorher. Elias war nicht mehr derselbe Junge wie noch vor einigen Wochen. Er strahlte innere Ruhe aus, war ausgeglichen und selbstbewusst und betrachtete das Land plötzlich mit anderen Augen. Es schien ihm, als hätte er dieses Afrika immer schon gekannt, als wäre er hier auf dieser warmen braunen Erde geboren.

    Afrika war mit einem Male in seinem Blick, in seinen Gesten und in seinen Gedanken. In Gedanken, die wie bunte Fische waren. Afrika war in seinen Haaren, es klebte auf seiner Haut und hatte sich schleichend, wie ein Dieb in der Nacht auch in sein Herz gestohlen. Afrika war überall und vor allem war es in Sarah Bourbon.

    Er verbrachte jede freie Minute mit ihr. Kränkelte sie, litt er. War sie fern, konnte niemand ihn trösten, und stand sie neben ihm, sehnte er sich danach, sie noch näher bei sich zu haben. Kurz, er war besessen von diesem schwarzen Kontinent und dem kleinen Mädchen mit den rötlichen Locken und den grünen Augen. Elias dachte an den Tag zurück, an dem er hier mit seinen Eltern angekommen war.

    Vom Gemüt her war David der typische Beamte im Vorruhestand. Auf der einen Seite fühlte er sich alt und ausgepowert, andererseits aber war er unruhig und fieberte längst neuen Aufgaben entgegen. Dass er mit seiner Familie gerade jetzt nach Afrika flog, kam für alle zwar etwas überraschend, war aber vor langer Zeit schon geplant gewesen. Spät, aber dennoch rechtzeitig hatte er sich daran erinnert, dass ihm aufgrund eines alten Versprechens die Stelle eines stellvertretenden Jagdaufsehers zustand. Nicht irgendwo, sondern mitten in Zentralafrika. Die Jagdfarm, für die er arbeiten sollte, lag am Koumbala-Fluss im Norden der späteren Zentralafrikanischen Republik. Claude und Florence Bourbon waren verantwortlich für die Bewirtschaftung dieses Stücks Land, das doppelt so groß war wie das kühle Périgord in ihrer Heimat Frankreich. Beide, David und seine Frau Laura, kannten die Farm aus früherer Zeit nur allzu gut, doch waren die Eindrücke, die er darüber gesammelt hatte, heute längst verblasst.

    Laura hatte hingegen höchst lebendige Erinnerungen an damals. Erinnerungen, die mit großen Schmerzen verbunden waren. Tatsächlich schlug ihr das Herz bis zum Hals, als sie aus dem runden Fenster des Flugzeugs nach unten auf die majestätische Weite des zentralafrikanischen Urwaldes sah.

    Nie würde sie sich an dieser grandiosen Landschaft sattsehen können. Mein Afrika, wie gut du mir tust, dachte sie. Mit einer zärtlichen Geste strich sie ihrem Sohn Elias die Haare aus dem Gesicht und musterte ihn eingehend. Elias, ein in sich gekehrter Junge, vergötterte seine Mutter. Das Verhältnis zu seinem Stiefvater David jedoch hatte nie auch nur annähernd die gleiche Intensität erreicht wie diese außergewöhnliche Mutter-Sohn-Beziehung.

    Irgendetwas fehlte in Elias’ Blick, wenn er David ansah, und während dieser sichtlich darunter litt, gab sich Elias mit dem Verhältnis, das mehr einen rationellen, zweckmäßigen Charakter hatte, höchst zufrieden.

    „Elias, schnall dich gefälligst an, oder soll ich das für dich tun?"

    Wortlos befolgte Elias Davids Befehl und drückte die Hand seiner Mutter heimlich noch etwas fester.

    „Sieh doch, Mama, sie kommen!" Sarah, dreizehn, rot gelocktes Haar und recht zierlich für ihr Alter, stand am Rande der Landepiste und deutete aufgeregt auf den kaum erkennbaren Punkt fern am Horizont. Eine Minute später fegte eine zweimotorige Maschine in einem halsbrecherischen Tiefflug über sie hinweg, entfernte sich wieder, vollführte, als sie kaum mehr sichtbar war, eine Schleife am Himmel und setzte schließlich zum Landeanflug an.

    „Wird der Junge länger hierbleiben, Mama?"

    Adebayo schnitt Grimassen. „Zumindest so lange, bis er seinen ersten Löwen sieht", meinte er spöttisch.

    Florence Bourbon saß mit gerunzelter Stirn am Steuer des Land Rover.

    „Los, Kinder, steigt schon ein."

    Schweigend kletterten die beiden auf die Ladefläche. Nachdem das geschehen war, warf Florence ihnen einen mahnenden Blick zu.

    „Untersteht euch, Elias gegenüber unpassende Bemerkungen zu machen. Er ist unser Gast. Hab ich mich deutlich genug ausgedrückt?"

    „Ja, Mama."

    „Hab verstanden", bestätigte Adebayo.

    Der Junge stieg zuerst aus der Maschine. Er war etwas pummelig, trug Stadtkleidung, einen akkuraten Scheitelschnitt und passte irgendwie gar nicht in diese abgelegene Wildnis. Halbwegs unsicher sah er sich mit zusammengekniffenen Augen um.

    „Ein gebildeter Großstadtlümmel, das fehlte uns noch, entfuhr es Sarah. „Der spielt bestimmt noch Blindekuh.

    „Vielleicht, sagte Florence und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Aber ich bin mir sicher, dass er nicht so albern ist wie ihr beide.

    „Albern oder nicht", entgegnete Adebayo. „Auf keinen Fall werde ich Mister zu ihm sagen, nur weil er der erste weiße Junge ist, der uns besucht.

    White Boy, puh. Das stinkt nach Ärger."

    „Und nach Langeweile. Aber schau doch, er ist gar nicht weiß, konterte Sarah. „Er ist ein Mestize, nicht wahr, Mama?

    „Ja. Ist er."

    „Ich nenne ihn trotzdem White Boy. An ihm, mir das Gegenteil zu beweisen."

    „Und wie soll er das anstellen, du Idiot? Sich kurz mal schwarz anmalen etwa?"

    „Schluss jetzt", fuhr Florence energisch dazwischen. Sie hatte im Augenblick andere Sorgen und ihr Eingreifen in den kindlichen Dialog fiel deshalb etwas schroff aus. Ihr Gesicht war bleich und wirkte müde. „Ihr werdet ihm auf jeden Fall die Hand geben und euch benehmen.

    Sarah, du zeigst ihm sein Zimmer. Und ich möchte, dass er spätestens morgen Abend jede Parzelle unserer Farm kennt."

    „Dürfen wir denn nicht mitkommen, wenn Claude die Wilderer jagt?"

    Adebayos Stimme klang enttäuscht, was auch verständlich war. Am heutigen Tage würde der große Jäger Claude Bourbon den Wilderern bei lebendigem Leibe das Herz herausreißen und es, zuckend und blutig, wie es war, roh verschlingen.

    Und er, Adebayo, durfte nicht dabei sein?

    „Eines Tages vielleicht. Wenn du etwas älter bist", antwortete Florence lächelnd, doch dieses Lächeln erreichte nicht ihre Augen.

    Claude, ein Hüne von Mann, sprang leichtfüßig aus der Maschine, streckte seine benommenen Glieder und strahlte übers ganze Gesicht. „Na, haben sie dir die Hölle heiß gemacht, diese Rabauken?"

    Erst als er seine Frau küsste, merkte er, dass sie den Tränen nahe war.

    „Stimmt was nicht?"

    „Sie waren wieder da", sagte Florence mit belegter Stimme.

    Claude versteifte sich und löste die Umarmung.

    „Wo?"

    „Zwischen den Sümpfen Dongole und Gata", erwiderte Florence gefasst.

    „Und wie viele haben sie diesmal getötet?"

    „Vermutlich alle. Es war Simbas Herde."

    „Simba, mein Gott! Ausgerechnet Simba."

    Florence legte ihrem Mann mitfühlend die Hand auf die Schulter. Sie wusste, wie stark das Gefühl war, das ihn mit dem riesigen Elefantenbullen verbunden hatte. „Salomon hat ihre Spuren, sagte sie. „Er ist alleine da draußen. Ich erhielt heute Morgen einen verzweifelten Funkspruch von ihm, in dem er mir mitteilte, dass er auf Kontakt ist und auf dich wartet.

    Claude runzelte die Stirn. Er wusste, was das bedeutete.

    „Angeblich lassen sie sich Zeit, fügte Florence hinzu. „Weil sie wissen, dass du nicht da bist. Sal denkt aber, dass sie morgen früh noch die Grenze überschreiten werden. Und zwar ungefähr hier.

    Sie zog eine Landkarte aus dem Handschuhfach des Land Rover, betrachtete sie kurz und tippte dann mit ihrem Zeigefinger auf einen Punkt, gefährlich nahe der nördlichen Grenze. „Ich habe die Koordinaten und Joseph hat alles vorbereitet.

    Die Crew wartet auf deine Befehle. Sie schmiegte sich ein letztes Mal fest an seinen stählernen Körper. „Das Haus wird öde und leer sein ohne dich, aber geh. Tu, was zu tun ist, großer Jäger, aber komm mir nur heil zurück.

    „Ich beeile mich", versprach er und wandte sich mit einer entschuldigenden Geste an

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