Der tolle Mensch
Von Rudolf Ruessmann
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Über dieses E-Book
Die 43 Kurzgeschichten und 75 Aphorismen dieses Buches sind Zeugen dieser Zeit und so als NOTAUFNAHMEN im übertragenen Sinne zu verstehen. Sie wurden über die Jahre hinweg von mir selbst verfasst und dienten mir häufig als Resümee, Wegzehrung und Hilfe.
Meine Bitte ist, das Buch nicht in einem Rutsch zu lesen, sondern sich Zeit zu lassen und jede einzelne Geschichte auf sich einwirken zu lassen. Danke!
Rudolf Ruessmann
Der Autor ist in 1951 Wuppertal geboren. Er arbeitete von 1982 bis 2016 im Gesundheitswesen.
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Buchvorschau
Der tolle Mensch - Rudolf Ruessmann
Der tolle Mensch
1 PUNKT 4 5 7
Artgerechte Tierhaltung
ASYMMETRISCH
AUFSTANDSBEKÄMFUNG
BASSLINIE
DAS QUADRATISCHE FENSTER
DER BOTE
DER EMPFANG
DER HORIZONT
DER KONKRETE RAUSCH
DER TOLLE MENSCH
DER TÜMPEL
DIE EWIGE REIFEPRÜFUNG
DIE KUH
DIE TRINKERIN
ERLÖSUNG
ERSCHAFFEN
EUROSPORT
FLÜCHTIG
FREMDES LAND
GRUß
ICH, DER OFEN
IDENTITÄT
IN DER U-BAHN
KOPFTUCH
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MEINE HOMEPAGE
NYMPHAEUM
PREPARE YOURSELF
PRIVATKLINIK DR. ALEX KÜFER
PVC
SEELENLOS
SELTSAMES SPIEL
STAUB
THE COMPLEXITY OF A SOLDIER
THIS CONTENT CAN BE HOT
TISCH UND STUHL
TRÄUME ICH
VERLIERER
WC
ZUM SCHLUSS
ZWEI SÄTZE
Impressum
1 PUNKT 4 5 7
Auf der Heimfahrt mit seinem Firmenwagen kam bei Stefan Niemitz aus für ihn nicht erklärlicher Ursache nachhaltige Übelkeit auf. Sie steckte auf einmal in ihm und wollte nicht mehr aus ihm heraus. Obwohl die Klimaanlage angestellt war, hatte er das Bedürfnis, das Seitenfenster seines dunkelblauen Passats ein wenig herunterzudrehen. Lärm, der wegen der regennassen Fahrbahn und des auffallend hektischen Straßenverkehrs aufdringlicher als sonst erschien, veranlasste ihn nach einem Moment des Zögerns, die Scheibe wieder hochzufahren. Der Verkehrsfunk meldete sich mit einer kurzen Nachricht zu Wort. Gereizt schaltete Niemitz das Radio aus.
Beim Stopp vor einer belebten Kreuzung realisierte er, dass ihm momentan entfallen war, welches Produkt bzw. welche Dienstleistung seine Firma, in der er seit mehr als einem Jahr arbeitete, auf dem Markt anbot. Dieser Aussetzer seines Gedächtnisses irritierte ihn, obwohl es mehrere Gründe für dieses passagere Versagen gab. Er hatte einen langen Arbeitstag hinter sich und war mehr als sonst erschöpft. Die augenblickliche Verkehrssituation erforderte alle Konzentration. Und nicht zuletzt beeinträchtigte der aufkommende Brechreiz ihn so stark, dass es nicht verwunderlich war, dass Teile seines Großhirns mehr oder weniger außer Funktion gesetzt waren.
Der Regen wurde dichter. Der Scheibenwischer mühte sich ab, die Sicht nach vorn freizuhalten. Niemitz versuchte das Problem indirekt anzugehen, indem er zu rekapitulieren versuchte, wie sein Arbeitsfeld aussah. Maschinen, Werkstücke, irgendwelche Fabrikate konnte er – selbst bei großen Anstrengungen – nicht visualisieren. Produktionsanlagen und Lagerhallen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Aber sie blieben merkwürdig fern und irgendwie fremd.
Er meinte, sich erinnern zu können, heute einer PowerPoint-Präsentation beigewohnt zu haben. Er sah die Ziffern 1 Punkt 4 5 7 noch deutlich vor seinen Augen. Aber waren es Tausend oder Millionen, waren es Stückzahlen oder Euros, Output pro Arbeitskraft oder Minuten pro Werkstück – er wusste es nicht.
Er beschleunigte, um besser aufzuschließen. Der Hintermann praktizierte einen nahezu nötigenden Fahrstil. Beim Blick durch die regennasse Seitenscheibe meinte Niemitz, sicherlich war das eine Täuschung, die Silhouetten und Halbprofile seiner Kollegen erkennen zu können, wie sie im Halbdunkel des Beamers zwischen innerer Anspannung und Langeweile hin und her changierten und im vollen Licht die Maske von unterwürfigen, latent bisswütigen Sakkoträgern annahmen.
Der PKW hinter ihm, immer noch derselbe, drängelte und hing ihm beim Stop and Go nahezu auf der Stoßstange. Niemitz machte nicht einmal den Versuch, sich die Autonummer zu merken. Alles Neue war ihm zuwider, das Vergangene entzog sich seinem Zugriff. An das im Vortrag Präsentierte konnte er sich, so sehr er sich auch bemühte, nicht einmal ansatzweise erinnern. Er versuchte, den Tagesablauf zu rekonstruieren. Er war früher als sonst zur Arbeit gefahren, warum – darüber konnte er nur spekulieren. Er sah sich mit leicht verzögerten Schritt und entschlossener Miene die Führungsetage betreten, um den einen persönlich mit Handschlag zu begrüßen, den anderen dort devot durch die Glasscheibe zuzunicken, um sogleich anschließend den kleinen Pulk, der sich zu einem spontanen Tete-a-Tete zusammengefunden hatte, kurz und, fast ohne den Schritt anzuhalten, zu umarmen.
Niemitz war verärgert, nicht so sehr über das Parken in der zweiten Reihe, das ihn zu einer recht abrupten Bremsung zwang, sondern dass ihm bei all diesen Zahlenkolonnen und Diagrammen nicht in den Sinn kam, worauf sie sich bezogen. Die durchschnittliche Kalorienzahl pro Burger-Menu in England, Deutschland und in den Vereinigten Staaten konnte es nicht sein. Er war in dieser Firma die Karriereleiter hinauf gefallen und hatte sie, kaum dass er Boden unter den Füßen gefasst hatte und ihn die Realität einzuholen drohte, wieder in Richtung ‚weiterer Aufstieg’ verlassen. Auch um effektive Kostengewichte, Basis- und Sonderentgelte bzw. Verweildauern konnte es sich bei den Werten auch nicht handeln. Seine Arbeit für ein aufstrebendes Krankenhausunternehmen war im Rahmen eines Restrukturierungsprojekts erfolgt und lag schon längere Zeit zurück.
Niemitz wurde es leicht schwindelig. Die in ihm schwelende Übelkeit zeigte offenbar keine Anzeichen einer spontanen Besserung, ganz im Gegenteil. Ob sie mit seinem Unvermögen, den Ziffern und Zahlen einen Namen zu geben und sich dessen, was seine jetzige Firma eigentlich auf dem Markt substantiell anbot, bewusst zu werden, zu tun hatte, konnte er nicht genau sagen. Übel wurde ihm nämlich auch schon bei dem Gedanken, dass die Scores, Benchmarks und Leitziffern, die man ihm zu generieren abverlangte und die er in all den Jahren seines bisherigen Berufslebens wohlfeil angeboten hatte, auf ein und demselben Betrug beruhten: pseudogenaue Datenerhebungen zu generieren, um dann mal hier 10, mal dort 15 Prozent mehr Leistung zu verlangen und zum Ersticken jedes aufkommenden Protests mal hier 20, mal dort 25 Prozent der Arbeitskräfte zu streichen.
Widerlich saurer Geschmack stieg aus seinem Magen auf und zwang ihn zu würgen. Eindrücke beruflicher