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Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik
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eBook1.041 Seiten11 Stunden

Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik

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Über dieses E-Book

"Seit 1977 verleiht die Ludwig-Erhard-Stiftung jährlich den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik. Die über 80 Reden der Preisträger dokumentieren vier Dekaden des Ringens um Erhaltung und Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft, die den Werten von Freiheit und Verantwortung verpflichtet ist – zeitlos und ohne Verfallsdatum." Roland Tichy, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung

Mit Beiträgen von:
Klaus Adomeit, Leszek Balcerowicz, Hans D. Barbier, Stefan Baron, Raymond Barre, Norbert Berthold, Samuel Brittan, Wolfgang Clement, Karl Darscheid, Claus Döring, Juergen B. Donges, Sir Roger Douglas, Günter Ederer, Jürgen Eick, Wolfram Engels, Gerhard Fels, Herbert Giersch, Peter Gillies, Heike Göbel, Hans Herbert Götz, Johannes Gross, Armin Gutowski, Walter Hamm, Rainer Hank, Heinz Heck, Hans-Olaf Henkel, Hans K. Herdt, Rudolf Herlt, Karen Horn, Otmar Issing, Harold James, J. Jürgen Jeske, Josef Joffe, Michael Jungblut, Wolfgang Kaden, Walter Kannengießer, Carola Kaps, Paul Kirchhof, Václav Klaus, Roger Köppel, Fides Krause-Brewer, Otto Graf Lambsdorff, Nicola Leibinger-Kammüller, Willy Linder, Thomas Löffelholz, Wulf D. von Lucius, Dirk Maxeiner, Renate Merklein, Ernst-Joachim Mestmäcker, Michael Miersch, Karel van Miert, Wernhard Möschel, Rudolf Mühlfenzl, Werner Mussler, Peter Norman, Nikolaus Piper, Werner Plumpe, Karl Otto Pöhl, Bernd Rüthers, Karl Schiller, Helmut Schlesinger, Thomas Schmid, Gerhard Schröder, Gerhard Schwarz, Horst Siebert, Dorothea Siems, Olaf Sievert, Holger Steltzner, Diether Stolze, Thomas Straubhaar, Wolfgang Stützel, Franz Thoma, Roland Tichy, Ernst Günter Vetter, Dieter Vogel, Henry C. Wallich, Ursula Weidenfeld, Jens Weidmann, Martin Wolf, Artur Woll, Hans-Henning Zencke
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Nov. 2017
ISBN9783889910912
Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik

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    Buchvorschau

    Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik - Ludwig-Erhard-Stiftung

    1977–2016

    1977

    Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten

    Dr. Jürgen Eick

    Leiter des Wirtschaftsteils der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seit 1949, ab 1963 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

    „In dem Publizisten Jürgen Eick vereinigen sich die Genauigkeit der Beobachtung mit der Solidität des politischen und ökonomischen Urteils und vor allem mit einer von kämpferischem Elan getragenen Kunst der Darstellung, die […] das Komplizierte einsichtig macht […]." Johannes Gross

    Noch etwas benommen von der in bekannt scharfsinniger Diktion ausgesprochenen Laudatio durch Johannes Gross bleibt zunächst einmal der Dank, der Dank eines Wirtschaftsjournalisten, der seit etwa 30 Jahren dem Ordoliberalismus verbunden ist und ihn in diesen ganzen Jahren mit den Mitteln der Publizistik vertreten hat. Ein solcher Wirtschaftsjournalist kann sich schlechterdings keine schönere Auszeichnung denken als die mit dem Namen Ludwig Erhard verbundene.

    Nun haben wir drei Preisträger als geschworene Wettbewerbspolitiker noch eben schnell ein Kartell gegründet: dass wir uns an die Redezeit halten wollen! Deshalb nehme ich meine Uhr, damit ich nicht des Kartellverbrechens – oder wie man das nennt – geziehen werde. Ich werde also versuchen, in knappster Zeit die Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten zu skizzieren; mehr kann es nicht sein.

    Zunächst muss gesagt werden: Ein Wirtschaftsjournalist ist zunächst einmal und vor allem ein Journalist. Er ist nicht zunächst Wirtschaftler; er ist zunächst Journalist und teilt die Leiden und Freuden all der Kollegen aus den anderen Ressorts. Aber mir scheint, er hat etwas Glück, nämlich mit seinem Darstellungsobjekt, verglichen mit den Kollegen in den anderen Ressorts, denn dieses Darstellungsobjekt ist konkreter, fassbarer, solider – das klingt ein bisschen arrogant, natürlich von anderen Ressortstandpunkten aus gesehen – und es unterliegt zum Teil rechenhafter Kontrolle, und zwar im Bereich der Privatwirtschaft durch die Finanzen. Etwas von dieser rechenhaften Strenge und Verlässlichkeit wird Wesensbestandteil des Wirtschaftsjournalisten, verhilft ihm zu einem keineswegs immer voll gerechtfertigten oder wenigstens doch unverhofften Respekt, weil der Mensch das, was er sicher zu beherrschen glaubt, meist selbst nicht so fürchterlich hoch einschätzt. Aber man erinnert sich vielleicht in diesem Zusammenhang, dass Goethe die doppelte Buchführung als eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes bezeichnet hat.

    Die Nationalökonomie ist die Lehre vom menschlichen Handeln

    Dies wäre nun freilich ein miserabler Wirtschaftsjournalist, der nur das faktisch Registrierbare als Basis und als Hauptgegenstand seiner Überlegungen und Kommentare betrachtet. Die Nationalökonomie ist trotz aller quantitativen Elemente, trotz aller Versuche der Mathematisierung nach wie vor eine Lehre von menschlichem Handeln. Da Herr Professor Schmölders zu unser aller großen Freude anwesend ist, haben wir hier einen Vertreter der Nationalökonomie, der das sozusagen ein Leben lang vorgelebt hat, von Herrn Professor Erhard ganz zu schweigen. Mit Statistik allein kann man keine Konjunkturpolitik machen. Dazu gehört psychologisches Einfühlungsvermögen, Sinn für das Spekulative und im besten Fall jener Schuss Intuition, den Professor Ludwig Erhard als Konjunkturpolitiker so oft bewiesen hat. Er hat sich nicht in die letzten Dezimalen verloren, aber er wusste, wohin der Hase läuft. Etwas davon steckt auch in der konjunkturpolitischen Analyse der Wirtschaftsjournalisten, so schwer erklärbar und nachweisbar dies im Einzelnen sein mag.

    Das ökonomisch Wünschenswerte steht vor dem politisch Machbaren

    Was zur Autorität der Wirtschaftsjournalisten beiträgt, sind zweifellos ihre Spezialkenntnisse. Aber da ich sagte, dass wir ohnehin eben doch Journalisten sind, hat das auch eine sehr gefährliche Kehrseite. Friedrich Sieburg, unser alter hochgeschätzter Kollege, hat geschrieben: „Der Journalist weiß, dass er nicht alles wissen kann, dass aber sein Geheimnis die Universalität ist, deren letzte Spuren sich in seinem Beruf finden. Oder man könnte auch etwas sarkastisch mit Lichtenberg sagen: „Wer nur Chemie kann, kann auch die nicht recht. Den Spezialisten noch „spezialistisch" genug, den Nicht-Spezialisten aber verständlich und interessant genug, damit sie das lesen wollen, was sie eigentlich lesen müssen! In dieser ewigen Spannung steht der Wirtschaftsjournalist nicht allein, aber vielleicht er ganz besonders.

    Schließlich muss der Wirtschaftsjournalist auch die politischen Kräfte im Auge behalten. Er muss sehen, was auch politisch geht, aber er darf um Gottes willen das politische Judiz nicht vor das ökonomische setzen. Zunächst muss das ökonomische Judiz da sein, zunächst muss festgestellt werden, was ökonomisch wünschenswert ist, und dann muss man darüber nachdenken, ob, wie und unter welchen Voraussetzungen das politisch geht. Wenn ein Wirtschaftsjournalist dies umkehrt, dann ist er meiner Meinung nach verloren, dann bringt er in die Debatte sein spezifisches Kapital, sein spezifisches Judiz überhaupt nicht ein, sodass man in Gefahr gerät, dass die wirtschaftliche Vernunft hinter sogenannten politischen Notwendigkeiten und Zwängen immer wieder überfahren wird.

    Hinter den dunklen Lettern auf weißem Grund sollte, vielleicht besonders in den wirtschaftspolitischen Kommentaren, auch der Mensch nicht vergessen sein. Der Mensch zum Beispiel als Konsument, der im Mittelpunkt der Marktwirtschaft steht, aber auch der schreibende Mensch, der Autor. Ohne spürbare Passion bewirkt man nichts, bewegt man nichts. Jedes Geistesprodukt, ohne Begeisterung vorgetragen, ohne spürbares menschliches Engagement, entbehrt des zündenden Funkens. Der schweizerische Kollege Dr. Stutzer hat einmal gesagt: „Die meisten Journalisten sind nicht nur ehrgeizige Handwerker, sondern Idealisten. Sie möchten nicht nur informieren, sondern auch Einfluss ausüben auf politisches Denken, auf wirtschaftliches Verhalten." Wohl dem Wirtschaftsjournalisten, der da auf dem festen Boden des Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft steht. Aber nach Alexander Rüstow liegt der ungeheure Vorteil der staatlichen Zwangswirtschaft darin, dass man deren Prinzip jedem blutigen Laien innerhalb von 10 Minuten mit Begeisterung klarmachen kann, während zum Verständnis der komplizierten Marktvorgänge innerhalb der Marktwirtschaft oft ein Studium der Wirtschaftswissenschaften kaum auszureichen scheint.

    Dies bedeutet, dass der liberale Wirtschaftsjournalist gemeinsam mit dem liberalen Wirtschaftspolitiker keinen leichten Stand hat. Es ist schwer, wenn wir Wirtschaftsjournalisten liberalen Geblüts für scheinbar so abstrakte Dinge eintreten wie Wettbewerb, freie Marktpreise und Stabilität. Dies weiß jeder, der einer vielgliedrigen Redaktion angehört, das weiß aber auch ein Mann wie Bundeswirtschaftsminister Erhard, der so oft im Kabinett und in der Führung der Partei so stark mit seinen politischen antimarktwirtschaftlichen Widersachern zu kämpfen hatte bis zum Überdruss. Mit dem Kartellgesetz und der Stabilitätspolitik kam es in den fünfziger Jahren zum Schwur.

    Wenn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" von Anbeginn auf dieser Linie stand, so darf ein Name nicht unerwähnt bleiben: Professor Erich Welter, Gründungsherausgeber dieser Zeitung, geistiger Vater, Promotor und amtierender Seniorpartner. Spätestens seit diesen fünfziger Jahren ist auch das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Wirtschaftsjournalisten als abgeklärt zu bezeichnen. Inzwischen weiß jedermann, dass nur unabhängige Gazetten gelesen werden und Einfluss haben. Ich kann sagen: Die Arbeitsbedingungen, die ein Wirtschaftsjournalist heute in der Bundesrepublik vorfindet, kann man nur als ideal bezeichnen. Ich bekenne gern: Es ist eine Freude, diesen Beruf auszuüben.

    Die Bevölkerung besitzt in der Mehrheit Verstand und Vernunft

    Aber nun zu den traurigen Erfahrungen. Dazu gehört in erster Linie das, was hier schon bei Herrn Altmann und bei Herrn Professor Erhard anklang, dass offensichtlich nicht einmal das von aller Welt bewunderte Großexperiment Soziale Marktwirtschaft, das Bundeswirtschaftsminister Erhard auf so glanzvolle Weise inszeniert hat, ausreicht, um dieses Wirtschaftssystem auf Dauer in unserem Land zu sichern. Im Gegenteil: es scheint gefährdeter als etwa vor zehn Jahren. Die Mehrheit der Bevölkerung weiß gewiss den marktwirtschaftlichen Segen zu schätzen. Wir befinden uns in der merkwürdigen Situation, dass man Verstand und Vernunft, die man einst einer elitären Oberschicht zugeordnet hat, heute eher suchen muss bei der Masse der Bürger, beim Durchschnittsmenschen, auch beim „kleinen Mann auf der Straße, während eine zahlenmäßig nicht große, aber ungeheuer einflussreiche Schicht seit Jahren dabei ist, den Boden der Marktwirtschaft zu unterhöhlen, leider mit dem gewissen Erfolg. Anarchisten, Radikale, sogenannte Reformer, überzeugte Marxisten, vom Leben frustrierte Überdemokraten, die aus der Demokratie das Zerrbild des Demokratismus machen wollen, politische Schwärmer – sie alle bilden ein gefährliches Bündnis, um die freiheitliche Ordnung zu stören. Wir lassen es zu, dass diese brisante Politik der Zerstörung des Bestehenden völlig risikolos ist und noch dazu höchst einträglich. Ich würde zu bestimmten Gruppen sarkastisch sagen: „Sie leben wie die Maden im Speck, indem sie eben jenen Speck madig machen.

    1977

    Erfahrungen eines Hochschullehrers

    Prof. Dr. Wolfram Engels

    Lehrstuhl für Bank- und Betriebslehre an der Universität Frankfurt

    „Unsere Auszeichnung gilt […] seinem öffentlichen Engagement für die Soziale Marktwirtschaft, wie es sich akademisch ausdrückt im Behaupten einer prinzipienfesten Position inmitten des feindseligen Ambiente einer von sozialistischen Affekten gequälten Universität […]." Johannes Gross

    Ich war in meiner Studienzeit lange Zeit Studentenvertreter, Fakultätssprecher und Fachverbandsleiter der deutschen Wirtschaftsstudenten. Ich habe damals für eine Hochschulreform gekämpft und gehöre zu der ersten Generation derer, die die Hochschulreform forderten. Ich habe in zwei Artikeln die Prognose geäußert, die Professoren würden ihre Indolenz und ihr Desinteresse an der Hochschulreform noch einmal bitter bereuen, und die zweite Prognose, man könne an der deutschen Universität ändern, was man wolle – es könne immer nur besser werden. Von dieser Prognose ist eine eingetroffen, die andere hat sich als falsch erwiesen. Eingetroffen ist die Prognose, dass sich die Professoren noch einmal bitter beschweren würden. Nur waren diejenigen, die ich damals meinte, längst emeritiert und ich war inzwischen Professor. Nachdem ich Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, habe ich gelernt, dass es nicht an den Personen dieser Professoren lag, dass nicht die Professoren schuld sind, weil sie konservativ waren. Wir selbst stecken in derselben Mühle in einem System, das alle unsere Anstrengungen zunichtemacht, das es uns nicht erlaubt, unsere Kräfte auf ein Ziel zu richten, das es uns nicht erlaubt, das an Begabung und Energie zu entfalten, was immer noch in den deutschen Professoren und immer noch in den deutschen Studenten heute wie früher steckt.

    Die zweite Prognose hat sich als falsch erwiesen. Man hat an der deutschen Hochschule sehr viel geändert, und es ist noch schlechter geworden. Das ist die eigentliche Überraschung der ganzen Hochschulreformgeschichte.

    Die anfänglich eher gemütliche Studentenrevolte in Saarbrücken

    Als ich mich in Saarbrücken habilitierte, war die Studentenrevolution noch eine gemütliche und fast familiäre Angelegenheit. Als das Rektorat in Saarbrücken besetzt werden sollte, sagte der damalige Rektor Maihofer: „Nur über meine Leiche!" Wer Herrn Maihofer kennt, weiß, dass das eine Drohung war. Infolgedessen wurde das Rektorat nicht besetzt. Als er dann einmal verreist war und sein Stellvertreter Fragstein das Rektorat übernahm, wurde das Rektorat prompt besetzt. Das war sehr gemütlich. Eine Tochter Maihofers soll auch dabei gewesen sein."

    Das ist ein Gerücht in Saarbrücken. Meine Frau – ich hatte kurz vorher geheiratet – war nur mit Mühe davon abzuhalten, an der Rektoratsbesetzung teilzunehmen. Das war eben eine nette Sache; da war etwas los. Das war auch nicht so bösartig. Als wir meinen früheren Lehrer, Herrn Gutenberg, zum Ehrendoktor promovierten, wurde die Treppe vorne von feindlichen Studenten besetzt, und von befreundeten Studenten wurde die Hintertreppe besetzt. Wir sind dann durch die Hintertreppe entwichen. Das war so eine Art Indianerspiel auf höherer Ebene. Ich glaube auch, es war in Saarbrücken nie so hart, wie es nachher in Frankfurt wurde. Als ich zu ersten Berufungsverhandlungen nach Frankfurt kam, kam ich gleich in den Kampf der Lager, in eine Demonstration mit allem, was dazu gehört, mit Flaschenwerfen, mit Polizei, mit Wasserwerfern, mit Hass, mit Angst auf beiden Seiten, auch bei der Polizei, auch bei mir. Die ganze Bewegung war mir nicht mehr so harmlos, wie ich sie noch aus Saarbrücken kannte. Saarbrücken war eben eine kleine Universität, wo man sich kannte, Frankfurt war eine große Universität.

    Der Ton des Protests wird ruppiger

    Von damals – 1968/69 – bis heute hat sich viel geändert. Die damalige Protestbewegung war intellektuell ungemein attraktiv, eine interessante Bewegung. Sie war organisatorisch und auch wohl intellektuell chaotisch. Aber sie war doch interessant, sie hatte ein ungemein starkes moralisches Pathos. Man konnte sich auch als Hochschullehrer der Faszination dieser neuen Linken nur sehr schwer entziehen. Das hat sich geändert. Die K-Gruppen, die die Nachfolge des alten SDS angetreten hatten, sind wohlorganisiert, aber dogmatisch erstarrt und intellektuell langweilig. Es fehlt der neuen Linken an Führerpersönlichkeiten. Die Aktionen werden gröber, zum Teil gemeiner. So hat sich auch die Faszination auf die Studenten verringert. Die Studenten stehen heute ohne vernünftige Idee da. Es gibt keine Idee, für die die Masse der Studenten sich begeistern kann. Als ich selbst das Opfer der Unruhen wurde, war die Sache längst vorher geplant. Das war wohl „strategiert". Ich wusste etwa schon drei Wochen vorher, was geplant war, wer in den Planungsgruppen saß – man hatte ja auch seine Spione da –, und es gab schon vorher das Rechnen, wie viele Stunden ich wohl durchhalten würde. Wir planten dann Gegenstrategien. All das, was in der Vorlesung gesagt oder getan wurde, spielte überhaupt keine Rolle. Es spielte nur eine Rolle als Rechtfertigung. Die Sprengung der Vorlesung war beschlossen, bevor ich das erste Wort gesagt hatte.

    Es war auch nicht meine Person, die zur Debatte stand. Einer der Anführer kam ganz freundlich zu mir und sagte: „Sie müssen nicht denken, dass es um Ihre Person geht; es geht ums Prinzip. Ich musste ihm eine „Eins in einem Seminar geben, das zu gleicher Zeit stattfand, weil er ein sehr eifriger und interessierter Student war. Es tat ihm offensichtlich leid, dass er meine Vorlesung so stören musste. Es ging einfach darum, dass ich kurz vorher für die CDU zum Deutschen Bundestag kandidiert hatte; das gab einen Aushängeeffekt, einen Mobilisierungseffekt. Deshalb war meine Vorlesung, die eine große Vorlesung war, gut geeignet zum Stören. Deshalb kann ich auch nicht sagen, dass ich die Unruhen selbst schwergenommen hätte, ich war eben ein Stein in dieser ganzen Auseinandersetzung. Meine Person war eher zufällig darin.

    Meine Person wurde auch vom damaligen Präsidenten insofern gebraucht, als er sagte: „Der ist in der CDU, der hat zum Bundestag kandidiert; er kann nicht so leicht zurückziehen, er muss es einmal durchhalten." Ich konnte die Vorlesung nicht abbrechen – das ist für den Professor das Allerschönste, damit spart er sich viel Arbeit –; ich musste einfach durchhalten, weil ich aus der Bundestagskandidatur heraus bekannt geworden war. Ich muss auch sagen, dass ich die Studenten als fair empfand. Als es ganz heiß wurde, als der Saal, der 600 fasste, mit 1.000 gefüllt war und man die Masse nicht mehr kontrollieren konnte – da wurde ich durch einen Ring von befreundeten Studenten abgeschirmt, und um den Ring der befreundeten Studenten stand noch ein Ring gegnerischer Studenten, die mich auch abschirmten. Ich hatte Angst; ich dachte, es käme zur Schlägerei. Nein, es sollte gerade keine Schlägerei geben. Es war ein dicht gestaffelter Ring von Kommunisten um mich herum, die mich für den Notfall abschirmen wollten.

    Fehlgerichtete Motivationen – kranke Universität

    Die Universität ist zwar ruhiger, aber nicht gesünder geworden. Die Krankheit der Universität äußert sich nicht mehr in allzu großartigen Explosionen; sie äußert sich darin, dass die Universität völlig unbeweglich geworden ist, dass keine Entscheidungen mehr gefällt werden, dass es 14 Monate dauert, bis eine Professur besetzt werden kann, dass es fünf Jahre lang dauert, bis eine neue Prüfungsordnung beschlossen ist, kurz, dass der ganze Reform-Elan, der nicht nur bei Studenten, sondern zum Teil auch bei Professoren vorhanden war, versiegt ist, dass man sich in der Mühle nur noch mühsam vorwärtsbewegt – wenn überhaupt vorwärts. Man weiß gar nicht, ob eine Reform oder eine Änderung überhaupt noch etwas ist, das einen irgendwohin bringt, ob man nicht einen Schritt zurück macht oder in eine andere Richtung machen sollte. Der Druck vom Arbeitsmarkt wirkt selbstverständlich in die Universitäten hinein. Schließlich muss man auch sagen, dass die Revolte dazu geführt hat, dass ganze Fachbereiche von der Neuen Theologie übernommen worden sind.

    Was ich aber gelernt habe – eben auch als Ökonom und Organisationstheoretiker –, ist, dass die Misere nicht an den Personen liegt, weder an den Professoren noch an den Studenten. Wir haben hier ein System geschaffen, in dem sämtliche Motivationen fehlgerichtet sind, sowohl die Motivation der Studenten, wie der Assistenten, wie der Professoren. Wir haben ein System geschaffen, in dem eigentlich niemand mehr für irgendetwas Verantwortung trägt. Denn „Verantwortung tragen" ist natürlich ein leeres Wort, wenn keine Sanktion dahinter steht. Die Professoren tragen doch nicht die Verantwortung für die Universität! Ihr Gehalt läuft doch weiter, ganz gleich, wie schlecht die Universität beschaffen ist. Hier trägt niemand Verantwortung. Hier ist unter dem Druck des Numerus clausus, unter dem Druck des Nicht-wählen-Könnens Gewalt und Protest das einzige Mittel für die Studenten, das ihnen bleibt, wenn sie ihrem Unmut Luft machen wollen. Wer mit seinem Einzelhändler unzufrieden ist, geht nicht hin und protestiert, sondern wechselt seinen Einzelhändler. Das ist der Markt. Diesen Mechanismus haben wir an der Universität nicht. Ein bedeutender Kollege in Amerika, Hirschmann, hat gesagt: Wo diese Mechanismen fehlen, sucht sich das soziale Gebilde andere Mechanismen – eben Protest und Revolution. Die Studentenrevolution ist leicht damit zu erklären, dass es einfach keine anderen Möglichkeiten gibt, dem Unmut Bahn zu verschaffen, dass der Student gegenüber dem Professor nicht in der Situation eines Kunden ist, wie im Einzelhandelsgeschäft, sondern dass er weitgehend von ihm abhängig ist – und zwar heute viel mehr, als ich jemals von meinen Lehrern abhängig war. Das meine ich mit Verschlechterung der Studienverhältnisse.

    Ich habe auch ein gutes Verhältnis zu meinen Lehrern gesucht, aber deshalb, weil ich von ihnen sehr viel lernte. Ich habe meine Lehrer zum Teil verehrt, deshalb suchte ich ihre Anerkennung. Aber unsere Studenten suchen ein Verhältnis zu uns, weil sie großenteils glauben, es könne ihnen irgendwie nützen. Das meine ich mit der Verschlechterung der Studienverhältnisse. Wir sind in einer stärkeren Machtposition, als selbst unsere Lehrer es damals waren. Die Hochschulen werden nie wieder leistungsfähig, wenn wir nicht die Prinzipien anwenden, von denen wir am Markt gelernt haben, dass sie die vitalen Energien zu entfalten vermögen, wenn wir nicht Organisationszüge des Marktes auch auf die Universität übertragen, wenn wir nicht den Studenten zum Kunden an der Universität machen und den Professor wieder zur Verantwortung ziehen.

    Schlussbemerkung

    Ich darf eine persönliche Schlussbemerkung hinzufügen. Ich habe mich von der Wirtschaftstheorie, der Betriebswirtschaftslehre speziell, immer mehr auf das Gebiet der Organisationstheorie begeben. Die Prinzipien der Organisation, die man in einem Bereich hat, etwa am Markt, lassen sich auf andere Bereiche übertragen – Armee, Kirche, Schule, Staat. Sie gelten eben nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für ganz andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.

    Ich bin Herrn Kollegen und Altbundeskanzler Ludwig Erhard dankbar. Er ist in doppelter Weise für diesen Preis verantwortlich. Ich hätte niemals Wirtschaftswissenschaften studiert, wenn ich nicht so fasziniert gewesen wäre von den Debatten von Erhard und Nölting damals in den fünfziger Jahren. Von allen Politikern, die ich damals bewundert habe, Konrad Adenauer, Thomas Dehler

    1977

    Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten im Fernsehen

    Diether Stolze

    Stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit" und Leiter des Wirtschaftsressorts

    „Diether Stolze [ist] zu ehren, weil er im Fernsehen, in dem die Anhänger der Marktwirtschaft nicht eigentlich dominieren, gegen heftigen Druck von außen als Mitmoderator der Sendung „Plusminus des ersten Programms die Grundzüge jener wirtschaftlichen Ordnung allezeit expliziert und energisch verteidigt hat […]. Johannes Gross

    Eigentlich müsste ich mich entschuldigen, dass bei einer Feierstunde, die der Marktwirtschaft gewidmet ist, so viel von Kartellen gesprochen wird. Herr Eick hat gleich zu Anfang das Geheimnis gelüftet: Wir haben ein Kartell gebildet – und Sie haben mittlerweile gesehen, dass es nicht funktioniert.

    Herr Eick hat allerdings nur die eine Hälfte der Kartellvereinbarung genannt. Denn wie es mit Kartellen so ist: Viel Wettbewerb herrscht da nicht. Als ich hierher eingeladen wurde, rief Herr Dr. Hohmann mich an und sagte mir: Herr Eick spricht über Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten, Herr Professor Engels über Erfahrungen eines Hochschullehrers – worüber sprechen Sie? Da habe ich erkannt, dass die Marktchancen hier nach dem Alphabet zugeteilt werden. Aber wir kennen ja die schöne Erfindung der Marktnische. So habe ich meine Marktnische ausgesucht: die Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten im Fernsehen. Dieses Thema schließt in manchen Punkten auch an die Ausführungen von Herrn Altmann über Wirtschaftspolitik und Öffentlichkeit an.

    Eine zweijährige Nebentätigkeit als Herausgeber und Moderator eines Fernsehmagazins, das in unregelmäßigen Abständen fünfmal im Jahr über die Bildschirme geht, bleibt im Leben eines Journalisten Episode. Wenn ich dennoch heute dazu einige Anmerkungen machen möchte, so im Hinblick auf die Diskussion über die Zukunft der Medien, insbesondere über die „innere Pressefreiheit". Vielleicht mögen den einen oder anderen die Beobachtungen eines Journalisten interessieren, der einige Zeit auf beiden Seiten des Zauns gearbeitet hat, der das öffentlich-rechtliche System der Fernsehanstalten von der privatwirtschaftlichen Sphäre der Zeitungsverlage trennt.

    Thema meiner Anmerkungen ist nicht die gewiss faszinierende Technik des Fernsehens, auch nicht seine Breitenwirkung – die im Übrigen manchmal überschätzt wird. Der „Stern zum Beispiel erreicht mit durchschnittlich 8,2 Millionen Lesern pro Woche einen größeren Teil der Bevölkerung als jedes Fernsehmagazin. Selbst „die Zeit, die weder von ihren Lesern noch von ihrer Redaktion als Massenpublikation empfunden wird, bringt es jede Woche auf 1,2 Millionen Leser, was umgerechnet einer „Einschaltquote" von 4 Prozent entsprechen würde, mehr also als viele politische Sendungen in den dritten Programmen. Mein Thema sind nur die Inhalte, die sozusagen verfassungsmäßigen Unterschiede zwischen den beiden Medien-Bereichen. Dabei beschränke ich mich auf die Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen, präziser gesagt, im ersten Programm.

    Vernachlässigung der Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen

    Meine These lautet: Das Fernsehen, gemeint ist die ARD, hat die politische Dimension ökonomischer Entwicklung lange Zeit nicht erkannt, hat die Wirtschaftsberichterstattung vernachlässigt, sie überdies weitgehend dafür – ich betone ausdrücklich: dafür – nicht oder nicht ausreichend kompetenten Journalisten überlassen und wird schon von seinem System her immer Schwierigkeiten beim Verständnis der Marktwirtschaft haben.

    Die „Wirtschaft hat viele Jahre hindurch in der ARD ein Dasein irgendwo zwischen Volkshochschule und Ratgeber geführt, als Minderheiten-Service abgedrängt in den Nachmittag oder die dritten Programme. Auch als das ZDF 1966 das Magazin „Bilanz einführte, wirkte das für das erste Programm nicht als Ansporn. Erst der Paukenschlag der sogenannten Ölkrise vom Herbst 1973 hat die Verantwortlichen die Bedeutung der Wirtschaft erkennen lassen. Doch selbst dann war noch das persönliche Engagement eines der Wirtschaft besonders verbundenen Chefredakteurs, Frau Julia Dingwort-Nusseck, notwendig, um der Wirtschaftspolitik einen adäquaten Sendeplatz einzuräumen, der freilich die Übermacht der politischen Redaktionen nicht gebrochen hat.

    Immer noch halten es die politischen Magazine in den Fernsehanstalten für selbstverständlich, dass sie Wirtschaftsprobleme behandeln – und zwar aus ihrer Sicht. Und die Sicht politischer Journalisten ist nun einmal meist anders als die von Wirtschaftsjournalisten.

    Als die Wirtschaft in den ersten zwanzig Jahren wie von selbst lief, konnten politische Journalisten ökonomische Fragen dilatorisch behandeln. Ihr großes Thema war damals die Ostpolitik. Als dann die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die Systemkrise von links die Wirtschaftspolitik in den Mittelpunkt rückten, galt es den politischen Journalisten vor allem, auch hier progressiv zu erscheinen.

    Die Zeitungen haben eine marktwirtschaftliche Antwort gefunden – das Fernsehen nicht

    Politische Journalisten neigen nun einmal, um ein Beispiel zu nennen, mehr als Wirtschaftsjournalisten dazu, die Parole „Bildung ist Bürgerrecht" zu benutzen, ohne über die finanziellen und sozialen Fragen nachzudenken. Sie sehen die politische und soziale Stabilität dieses Landes eher dadurch bedroht, dass irgendein katholisches Krankenhaus in Bayern die Abtreibung verweigert als durch die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, eher dadurch, dass irgendwo zu Unrecht ein vermeintlicher oder tatsächlicher Kommunist nicht in den öffentlichen Dienst darf, als von der Anspruchsgesellschaft, die mittlerweile die finanziellen Grundlagen unserer Alterssicherung zerstört hat. Wirtschaftsjournalisten sehen das meist anders herum.

    Ich bin hier Partei, nicht Schiedsrichter. Ich möchte deshalb nicht zur Sache sprechen, sondern auf die unterschiedliche Entwicklung in den beiden Medienkreisen verweisen. Das Problem, damit fertig zu werden, dass Wirtschaft eben doch Politik ist, stellte sich ja beiden – dem Fernsehen und den Zeitungen. In der privatwirtschaftlichen Presse hat sich mit ihrer zunehmenden Bedeutung die Wirtschaft längst einen bedeutenden Platz in Kommentar und Nachricht auf den ersten Seiten erobert – also, um es in der Sprache des anderen Mediums zu sagen, „in der besten Sendezeit".

    Wenn über die ZEIT der Scherz erzählt wird, es handle sich bei ihr um drei verschiedene Zeitungen, die beschlossen hätten, am gleichen Tag und am gleichen Ort unter einem gemeinsamen Titel zu erscheinen, so hat das durchaus eine ernste Bedeutung. Wir haben, aus guten Gründen, einen eher links-progressiven Kulturteil, ein links-liberales politisches Ressort und einen marktwirtschaftlich orientierten, meinetwegen auch liberal-konservativen Wirtschaftsteil. Auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung, die „Welt oder die „Süddeutsche Zeitung" haben längst Abschied vom klassischen Handelsteil genommen und begreifen ihren Wirtschaftsteil als ein durchaus eigenständiges wirtschaftspolitisches Ressort. Ich finde, dieses hat zu einer fruchtbaren Konkurrenz zwischen Meinungen geführt. Die Presse hat eine, wenn Sie so wollen, marktwirtschaftliche Antwort gefunden.

    Die Fernsehanstalten dagegen sind nicht bereit, eine vergleichbare Entwicklung zuzulassen. Im Gegenteil: Auch nach der Einführung des Wirtschaftsmagazins fühlen sich die politischen Magazine für Wirtschaftspolitik zuständig – wobei es manchmal zu grotesken Verzeichnungen kommt, wie im vergangenen Jahr ein „Panorama"-Beitrag über die Lohn-Preis-Spirale gezeigt hat. Und wenn nicht die Zeichen trügen, dann wird das Wirtschaftsmagazin der geplanten Strukturreform wieder zum Opfer fallen. Man könnte dies darauf zurückführen, dass der Medienexperte der SPD, Ministerpräsident Heinz Kühn, die Wirtschaftsmagazine pauschal als „einseitig konservativ" kritisiert hat – was eigentlich nur komisch ist, weil gemäß bewährtem ARD-Proporz natürlich drei der fünf Moderatoren den Koalitionsparteien nahestehen. Doch hier nur einen Sieg der SPD zu vermuten, schiene mir zu vordergründig.

    Das Problem geht tiefer, der Proporz eröffnet nicht nur den Parteien Einfluss, sondern mächtigen Gruppen, den sogenannten „gesellschaftlich relevanten Kräften". Und diese sind nun einmal am Sport oder auch an der Außenpolitik nicht so interessiert wie an Wirtschaftspolitik.

    Das Fernsehen übt sich in Konfliktvermeidung

    Aus nachvollziehbaren Gründen wird nichts in den Fernsehanstalten weniger gern gesehen als Kritik an den Gewerkschaften, auch wenn sie selbstverständlich zugelassen wird. Das ganze Proporz-System ist eben darauf angelegt, Konflikte mit den Mächtigen tunlichst zu vermeiden. Mächtig aber sind, mächtiger werden zum Beispiel die Gewerkschaften.

    Hier bahnt sich nun in den Fernsehanstalten eine Entwicklung an, die ich für äußerst bedrohlich halte. Es besteht die Gefahr, dass gerade durch die Forderung nach institutionell abgesicherter „innerer Pressefreiheit die Unabhängigkeit des Journalisten verloren geht. Wo immer Journalisten in Zeitungen über Statuten beraten und sie durchgesetzt haben, war bei allen Unterschieden doch immer eines unstrittig: Die Pressefreiheit steht, unbeschadet der Rolle des Verlegers, den Journalisten zu, nicht den Setzern, dem Betriebsrat oder sonst einem Gremium. In den ARD-Anstalten aber findet die Forderung nach Mitbestimmung durch „andere Programmitarbeiter, wie sie von der RFFU lautstark erhoben wird, sogar bei Journalisten Resonanz. Das aber möchte ich erst erleben, dass eine individuelle Freiheit von einem Kollektiv verwaltet wird.

    Noch etwas anderes kommt hinzu. Die meisten Fernsehjournalisten finden schon deshalb nicht den rechten Kontakt zur Marktwirtschaft, weil sie für ihr Medium die Gesetze von Angebot und Nachfrage nicht akzeptieren mögen. Die Tatsache etwa, dass das Wirtschaftsmagazin „Plusminus im letzten Jahr mehr als eine Million Zuschauer hinzugewonnen, „Panorama dagegen 2,5 Millionen verloren hat, dürfte bei der Entscheidung über ihre Fortexistenz allenfalls marginale Bedeutung haben. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist eben schon ein Stück Investitionskontrolle verwirklicht: Nicht der Konsument entscheidet über die Qualität des Produkts, sondern der Produzent.

    Eine besonders abstruse Angelegenheit sind auch die sogenannten Schutzzonen. Die Fernsehanstalten haben untereinander vereinbart, dass Sendungen, die nach ihrer eigenen Einschätzung wichtig sind, sich nicht der Konkurrenz zum anderen Programm aussetzen müssen. So darf etwa der „Große Preis des ZDF gegen die ARD-Wirtschaftsmagazine konkurrieren, gegen „Panorama oder „Monitor aber nicht, nur „Plusminus ist zur Konkurrenz freigegeben. Mir kommt das so vor, als ob Jürgen Eick und ich nun wirklich ein Kartell bilden würden: Die FAZ verzichtet auf das Feuilleton, und wir auf den Wirtschaftsteil, damit wir uns gegenseitig keine Leser wegnehmen. Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich würde das Kartell natürlich platzen lassen. Ich gönne Jürgen Eick alle Leser, die er hat, aber noch lieber würde ich sie ihm alle wegnehmen. Das ist die fröhliche Marktwirtschaft.

    Für Wettbewerb im Fernsehbereich!

    Wenn diese Ausführungen als Plädoyer für Marktwirtschaft im Fernsehbereich, für, sagen wir es doch offen, die Einführung privatwirtschaftlich organisierter Konkurrenz zu den bestehenden Anstalten genommen werden sollte, so werde ich gewiss nicht hinterher behaupten, missverstanden worden zu sein. Exakt dies scheint mir notwendig, um Meinungsvielfalt zu sichern und zu erweitern, die doch eine Voraussetzung für das von allen – nicht zuletzt von den öffentlich-rechtlichen Anstalten – deklamierte Ziel ist, eine Gesellschaft informierter Bürger zu schaffen.

    1978

    Das Unternehmerbild im Fernsehen

    Rudolf Mühlfenzl

    Wirtschaftsjournalist

    „Rudolf Mühlfenzl […] trug dazu bei, Wirtschaftsinformationen zu popularisieren und marktwirtschaftliches Funktionieren deutlich zu machen. […] Persönliches Engagement für die Soziale Marktwirtschaft strahlt er auch in seinen Fernseh-Kommentaren und als Moderator über den Bildschirm aus." Leo Brawand

    „Das Unternehmerbild im Fernsehen heißt mein Thema. Ich habe es mit dem Untertitel „Die Ungeliebten versehen. „Wer sind die Ungeliebten?" werden Sie fragen. Die Unternehmer aus der Sicht der Fernsehleute? Oder die Fernsehleute aus der Sicht der Unternehmer? Lassen Sie mich bei den Unternehmern beginnen. Ich sehe den Unternehmer als einen der entscheidenden Akteure auf dem Markt, wobei ich den Markt definiere als den besten wirtschaftlichen Organisator für eine freie Gesellschaft.

    Das Negativbild des Unternehmers wird immer noch verbreitet

    Aber Ihnen wie mir ist gegenwärtig, dass das Bild des Unternehmers seit Mitte der sechziger Jahre, ich nenne das Stichwort „Außerparlamentarische Opposition", eine nachhaltig negative Einfärbung erfahren hat. Die Ursachen hierfür, die zweifellos auch eine spezifisch politische Seite haben, sind vielfältig. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass vonseiten der Unternehmer sicherlich nicht alles und nicht rechtzeitig getan worden ist, um dieser Verzerrung des Bildes entgegenzuwirken.

    Als Ursachen für das immer noch bestehende Negativbild vom Unternehmer sind zu nennen: Erstens: Die Erinnerungen an das soziale Elend der ersten Phase der Entwicklung des Kapitalismus. Hier steht historischen Verdiensten der Unternehmer auch historische Schuld gegenüber. Und auch wenn die Weitergabe dieser Erinnerungen in den Familien hierzulande längst gestoppt ist: Charles Dickens und Gerhart Hauptmann werden heute an unseren Schulen sicher nicht nur wegen ihrer literarischen Qualität und Bedeutung gelesen. Aber dass die Soziale Marktwirtschaft, wie sie Ludwig Erhard verstand und praktizierte, dass diese Soziale Marktwirtschaft mit jenem oft freibeuterischen Kapitalismus nichts zu tun hat, wird von manchen Erziehern und manchen Meinungsbildnern auch heute noch bewusst verschwiegen.

    Zweitens spielt die Tatsache eine Rolle, dass die Arbeitswertlehre irgendwie gefühlsmäßig nachwirkt, und das nicht nur in Ländern mit marxistischer Vergangenheit. Daraus folgt drittens, dass der Kapitalgewinn und das Gewinnstreben überhaupt in ihrer wirtschaftlich-sozialen Leistung und Bedeutung verkannt werden, weil sie unterschwellig als sittlich suspekt angesehen werden. Gefühlsmäßig sind Profit und vergleichbare Begriffe eben suspekte Begriffe; und dabei wird die sachlich beweisbare Bedeutung eben dieses Gewinns und auch des Gewinnstrebens bewusst oder unbewusst herausdividiert. Die Folge ist, dass es gerade jetzt auch manchen Gewerkschaftern schwerfällt, ihren Mitgliedern klar zu machen, dass Gewinne der Unternehmen notwendiger sind denn je.

    Als vierte Ursache nenne ich das Phänomen, dass in der Geistesgeschichte der Begriff Besitz, mit Ausnahme des landwirtschaftlichen Besitzes, mit einem „Hautgout" behaftet ist.

    Den Industriellen als positiven Helden sucht man in Romanen wie eine Stecknadel

    Aber Unternehmertum ist eben eng verbunden mit Besitz. In diesem Sinn bedeutet Besitz nicht mehr ausschließlich Eigentum, sondern funktionalen Besitz, über den die Unternehmer verfügen. Besitz an Geld, Wertpapieren, Produktionsanlagen – all dieser Besitz hat in der deutschen Geistesgeschichte – man kann fast sagen traditionell – einen negativen Anstrich. Wann hätte schon ein Dichter oder ein Dramatiker, mit Ausnahme von Thomas Mann, in einem Kaufmann oder einem Industriellen einen positiven Helden gesehen? Die künstlerische, journalistische und auch die humoristische Darstellung dieser Gruppe ist gekennzeichnet durch Adjektive wie primitiv, machthungrig, intolerant, erbarmungslos, profitgierig. Und wie eine Stecknadel werden Sie den kultivierten, den verständnisvollen, menschlich bemühten Unternehmer als Helden in Romanen oder Dramen suchen müssen.

    Der Einfluss des Bildungssystems auf das verzerrte Unternehmerbild

    Ein weiterer wichtiger Grund für das gelegentlich verzerrte Bild vom Unternehmer ist im Einfluss unseres Bildungssystems zu suchen. Vielleicht übertreibe ich nicht einmal, wenn ich sage, dass gerade in unserem Bildungssystem die eigentliche Ursache für bestimmte Verzerrungen liegt. Trotz mehrfacher Schulreformversuche gilt auch heute noch: Unser Bildungsideal ist überwiegend idealistisch und romantisch geprägt. Dieses Bildungsideal wurde von Menschen entwickelt, denen Erwerb und Arbeit keine hohen und notwendigen Ziele waren. Wenn Bismarck noch vor 80 Jahren feststellen musste, dass er sich wegen seiner mangelnden Kenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge den Aufgaben eines Zukunft gestaltenden Politikers nicht mehr gewachsen fühle, wie soll man dann Humboldt den Vorwurf machen, dass er diese Entwicklung nicht in die Formulierung seines Bildungsbegriffes mit aufgenommen hat?

    Präziser gesagt: Unserem von Humboldt geprägten idealistischen Bildungsideal liegen utopische Träume für die Gestaltung der Gesellschaft näher als Betrachtungen über wirtschaftliche Realitäten.

    Die Unternehmer selbst tragen zum Zerrbild bei

    Die Ursachen für diese Verzerrung liegen ganz sicher aber zu einem nicht geringen Teil bei den Unternehmern selbst. Tendenziell besteht bei den meisten Unternehmern eine Scheu, als gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitisch aktive Kraft öffentlich in Erscheinung zu treten. Wenn sie in der Presse zitiert werden, dann geschieht das meistens in Verbindung mit düsteren Prognosen. Bei der Diskussion großer sozialpolitischer Themen wie Vermögensbildung oder auch Mitbestimmung – man mag dazu stehen wie man will – ist immer wieder zu beobachten, dass die Unternehmer meist nicht als erste mit einem Konzept auf den Plan treten. Nehmen Sie ein ganz simples, alltäglich gewordenes Beispiel. Bei jeder Lohnrunde ist der Mechanismus der gleiche, oder sagen wir besser: das Ritual ist das gleiche.

    Erste Runde: Die Gewerkschaften legen ihre Forderungen auf den Tisch. Die Medien berichten: Acht Prozent sind gefordert. Im Heer der Arbeitnehmer steigen die Hoffnungen auf diesen genannten Prozentsatz.

    Zweite Runde: Die Unternehmer erklären: Nur vier Prozent sind drin. Die Medien berichten wieder: Die Unternehmer wollen nur vier Prozent zugestehen. Und schon ist der Eindruck da, dass der Unternehmer nur reagiert und in aller Regel auch „nein" sagt zu den so überzeugend vorgetragenen Forderungen.

    Und dann geschieht ein Wunder: Dieselben Unternehmer, die am Nachmittag um 17 Uhr erklären, mehr als vier Prozent Lohnerhöhung führen die Hälfte ihrer Mitglieder an den Rand der Pleite, unterschreiben 18 Stunden später bei 6,3 Prozent. Und erstaunlicherweise gehen sie nicht pleite! Haben diese selben Unternehmer auch einmal darüber nachgedacht, wie es um die Glaubwürdigkeit jener Wirtschaftsjournalisten bestellt ist, die ihnen die Unrealisierbarkeit der vier Prozent geglaubt und die in überzeugend geschriebenen Kommentaren versucht hatten, in der Öffentlichkeit um Verständnis für die unternehmerische Haltung zu werben?

    Ich sage das so deutlich, weil sich all das naturgemäß in den journalistischen Sendungen des Fernsehens – den aktuellen wie den analysierend-kritischen – widerspiegelt. Lassen wir die Beiträge scheuklappentragender Weltverbesserer einmal buchstäblich links liegen, so bleibt also auch in der bloßen Nachricht der Unternehmer als der Reagierende, als der in Untätigkeit Verharrende, der erst aufgerüttelt werden muss. Reagieren, Reaktion – und der sprachliche Schritt zum Reaktionär ist nicht weit.

    Dieses Spiegelbild lässt den Unternehmer verständlicherweise unzufrieden, macht ihn misstrauisch, führt im Extremfall auch zu einer Anti-Haltung gegen „die vom Fernsehen. Das Misstrauen mag in manchen Fällen zugestandenermaßen berechtigt sein, insgesamt aber verhindert diese gleiche Haltung, dass die Unternehmer aus ihrer Ecke der „Ungeliebten herauskommen.

    Das Unternehmerbild im Unterhaltungsfernsehen

    Lassen Sie mich einen Sprung machen von den journalistischen Sendungen des Fernsehens zu den Unterhaltungssendungen oder ganz allgemein zu den Spielen im Fernsehen. Denn diesem Bereich kommt bei der Betrachtung des Verhältnisses von Unternehmern und Fernsehen eine große, eine wachsende Bedeutung zu.

    Wie sieht denn das Unternehmerbild im Bereich der Unterhaltung in unserem Medium aus?

    Lassen Sie mich ein Ergebnis vorweg formulieren. Ein einheitliches Unternehmerbild in der Gesamtsparte Unterhaltung gibt es nicht, und es lässt sich auch nicht formulieren: Es muss aber gesagt werden, dass die negativen Charakterisierungen der Unternehmerfiguren die positiven weit überwiegen. Generell ist der Trend festzustellen, dass in erstaunlich vielen Sendungen ausgesprochen sozial- und gesellschaftskritische Darstellungen zu finden sind, die sich in Einzelfällen bis hin zur Ablehnung der marktwirtschaftlichen Ordnung und auch zur kritiklosen Bewunderung marxistischer Systeme steigern.

    Der negativ gezeichnete Unternehmer hat in der Unterhaltungsbranche kaum ein Gegengewicht. Den Bösewicht in Gestalt des Gewerkschaftssekretärs werden Sie dort vergebens suchen.

    Wenn ich nun aufgrund meiner eigenen langjährigen Programmbeobachtung und meiner Programmerfahrung die Vielfalt einzelner Unternehmerbilder in verschiedenen Sendungen bündele, dann stoße ich auf das Phänomen, dass der Unternehmer in dieser Programmsparte in seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktion so gut wie gar nicht dargestellt wird. Wenn man ihn darstellt, dann erscheint dort der moderne Unternehmer als ein nur gelegentlich arbeitender Playboy. Unternehmer dieser Gattung haben Privatjagden in den Karpaten, eine Yacht in St. Tropez und beschäftigen als Sekretärin jeweils die Schönheitskönigin des Jahres. So entstehen Klischees, die den Blick für den wirklichen Unternehmer und seinen Auftrag verstellen. Und das meine ich, meine Damen und Herren, wenn ich sage, dass das negative Unternehmerbild durchaus nicht nur ideologisch motiviert sein muss.

    Der Soziologe Erwin Scheuch hat es einmal so formuliert: „In der Vorstellung der Öffentlichkeit steht heute Unternehmer für Macht und Reichtum zugleich, deshalb werden dem Unternehmer Oberschicht-Attribute zugeteilt. Er wird so geschildert, wie einmal Adel dargestellt wurde, als es Adel noch gab. Gute oder schlechte Unternehmer werden, vor allem im Fernsehen, immer eindeutig und ohne Schattierungen dargestellt", denn – so sagt Scheuch: „Differenziertheit, so lautet eine verbreitete These oder Vermutung der Fernsehschaffenden selber, lässt sich nicht im Bild darstellen."

    Woher kommt das Negativklischee?

    Wie kommt es nun zu diesem undifferenzierten Verzerrungsbild, das sich im Laufe der letzten Jahre zu festen Negativklischees geformt hat? Und wie kann man das ändern?

    Meine Damen und Herren, auch in der Presse, bei Funk und Fernsehen – und ich weiß, wovon ich rede – hat der berühmte „Marsch durch die Institutionen" seine Wirkungen gezeitigt. Anders gesagt: Natürlich gibt es auch in den Zeitungen und in den Massenmedien stark ideologisch eingefärbte Redaktionen, deren veröffentlichte Ergüsse einen massiven, gewollten Linkstrend haben.

    Nun bin ich zwar der Meinung, dass sich gerade in diesem Punkt der Wind gedreht hat. Aber ich weiß, dass wir – und damit meine ich uns, die Programmschaffenden und Programmverantwortlichen in Hörfunk und Fernsehen – hier noch viel tun müssen, um wieder zu normalen, zu seriösen journalistischen Usancen zu kommen.

    Wenn Sie heute eine Tageszeitung, ein Magazin oder eine Illustrierte durchblättern, wenn Sie das Hörfunk- und Fernsehprogramm verfolgen, darin können Sie im Vergleich zurzeit vor zehn oder zwanzig Jahren feststellen, dass wirtschaftliche Themen heute in einem weitaus größeren Umfang Teile des journalistischen Alltags geworden sind. Das ist eine logische Entwicklung, weil eben wirtschaftliche Tatbestände heute weit mehr denn je den politischen und gesellschaftspolitischen Alltag eines Landes mit hohem Lebensstandard bestimmen.

    Und gleichermaßen, so meine ich, besteht kein Zweifel, dass der Unternehmer mit den von ihm geleiteten Mitarbeitern, im Kleinbetrieb des Handwerkers, auch in den Montagehallen des Großbetriebes, an dem Erreichen eben dieses Lebensstandards entscheidenden Anteil gehabt hat und weiterhin haben wird. Aber, diese Erkenntnis ist nun keineswegs Allgemeingut, schon gar nicht in Kreisen, die den höheren Bildungsweg durchlaufen haben, wie etwa Lehrer, Ärzte, Pfarrer, Juristen und nicht zuletzt Journalisten, wenn wir einmal von dem kleinen Kreis der Fach- und Wirtschaftsjournalisten absehen. Deshalb müssen die Unternehmer versuchen, über diesen Kreis hinaus zu wirken und auch andere Meinungsträger zu erreichen.

    Noch müssen wir konstatieren, dass trotz Pressekonferenzen, emsig arbeitenden Presseabteilungen und mehr oder weniger planvollen Aufklärungsbemühungen seitens der Unternehmerschaft die Erfolge nicht gerade übermäßig sind. Vielfach fühlt sich auch heute noch der Unternehmer in der sogenannten Öffentlichkeit, vor allem aber von der Jugend, nicht verstanden. Und auch heute noch kann man die Erfahrung machen, dass der Unternehmer dazu tendiert, sich, weil enttäuscht, aus dem Licht der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Aber damit reiht er sich in die Reihe der schweigenden Mehrheit ein, in die Reihe der politischen Mitte. Er wundert sich dann aber, wenn unternehmerische Abstinenz ein Vakuum schafft, in das rasch andere Kräfte eindringen. In der Regel überlässt der Unternehmer das Porträtieren seiner Tätigkeit den Verbänden. Das ist nicht schlecht, aber heute genügt das nicht mehr.

    Meine Damen und Herren, seien Sie sich über eines im Klaren: Die Fragen, mit denen Unternehmer in unserer Zeit konfrontiert werden, tragen allesamt den Charakter von Herausforderungen. Und diesen Herausforderungen müssen sich die Unternehmer stellen, und zwar persönlich. Dabei können sie sich nicht vertreten lassen!

    Der Einfluss der heutigen Massenmedien – und das Versäumnis der Unternehmer Damit kommen wir zum Kern des Problems. Wir müssen von der Tatsache ausgehen, dass öffentliche Meinung heute entscheidend von Massenmedien beeinflusst wird und nicht nur von einem wohlausgewogenen Leitartikel einer bedeutenden, renommierten Zeitung. In den Massenmedien, vor allem am Bildschirm, präsentiert sich buchstäblich heute das Bild des Unternehmers der Öffentlichkeit.

    Nun höre ich von Unternehmern immer wieder: Ich bin doch in meinem Beruf angetreten, um meinen Betrieb zu führen, und nicht, um Public-Relations-Arbeit zu leisten. Das ist sicher nicht falsch, aber keine Antwort auf die Feststellung, dass sich der Unternehmer heute wirkungsvoll und überzeugend in den Massenmedien zu Wort melden und auch zur Auseinandersetzung stellen muss. Denn, wenn er dies nicht tut, und vor allem nicht wirkungsvoller als in der Vergangenheit, dann wird die Meinungsbildung ohne seine Mitwirkung vollzogen werden.

    Die Unternehmer stehen heute vor der Aufgabe, eine skeptische Umwelt, vor allem eine skeptische Jugend, die aufgrund ihrer Ausbildung anspruchsvoll und besonders kritisch ist, von den Leistungen des Unternehmers, von der Leistungsfähigkeit, auch im gesellschaftspolitischen Bereich, einer unternehmerisch orientierten Wirtschaft zu überzeugen. Diese Aufgabe wird nur dann gelingen, wenn der Unternehmer selbst bereit ist, sich aktiv an der geistigen Auseinandersetzung zu beteiligen.

    Deshalb sollten, so meine ich, die Unternehmer – auch wenn es ihnen schwerfällt – ihre Scheu und ihre Zurückhaltung aufgeben! Sie müssen sich als Staatsbürger zu den Aufgaben unserer Zeit zu Wort melden. Es ist überhaupt nicht einzusehen, meine Damen und Herren, dass ausgerechnet der Unternehmer, der als Einzelperson mit vielen Menschen aller Schichten in seinem Betrieb, seinem Unternehmen zusammentrifft und darüber hinaus weite Strecken der Welt kennt, sich nur auf die Erläuterung seiner Bilanz, die Darstellung seiner Produkte und Probleme beschränken soll.

    1978

    Marktwirtschaft auf dem Bonner Markt – Anmerkungen eines Korrespondenten

    Hans-Henning Zencke

    Wirtschaftspolitischer Bonner Korrespondent

    „Was die Jury an Hans-Henning Zenckes Arbeit für besonders verdienstvoll hält, ist das ständige Bemühen, seinen Lesern wirtschaftliche Zusammenhänge nicht abstrakt, sondern an verständlichen Beispielen zu verdeutlichen und klarzumachen, warum marktwirtschaftliche Instrumente dirigistischen Heilsmethoden vorzuziehen sind." Leo Brawand

    Was für ein Jahr liegt hinter uns, was für ein verworrenes, elendes Jahr! Zum einen Ludwig Erhards 80. Geburtstag mit allen Feiern und Nachfeiern, drei Monate später sein Tod, im Sommer die Ermordung Jürgen Pontos, im Herbst die Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers. Und zum anderen: Heute Preisträger der Ludwig-Erhard-Stiftung zu sein, das ist nicht nur eine berufliche Auszeichnung, die einen ehrt und freut und unter Umständen das eigene Korrespondentengeschäft ein wenig erleichtert. Das ist schon eine gehörige Verpflichtung, bei allem, was man sagt und schreibt, den Kompass nun niemals mehr aus den Augen zu verlieren, schon gar nicht, wenn man sich das Recht herausnimmt, anderen auf die Finger zu schauen, die Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft für sich beanspruchen. Mein Umgang mit der Marktwirtschaft hat mit dieser Preisverleihung jeden Rest journalistischer Unverbindlichkeit verloren.

    Persönlicher Rückblick: „Brigade Erhard" und Opposition gegen Adenauer

    Wie bin ich dazu gekommen? Warum zählte man mich unter den Zeitungsjournalisten zur „Brigade Erhard", von der im Nachhinein so oft die Rede ist, obwohl ihre Aktivitäten sich in bescheidenem Rahmen hielten? Als ich Ludwig Erhard als dem Direktor der Zweizonenverwaltung für Wirtschaft 1948 zum ersten Mal in Frankfurt am Main begegnete, da war ich – Leo Brawand erwähnte es schon – immerhin noch Korrespondent des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der damaligen sowjetischen Besatzungszone und keineswegs damit einverstanden, dass Erhard die Währungsreform mit der Aufhebung von Bewirtschaftungsvorschriften und mit der Freigabe von Preisen verknüpfte. Notabene hatte ich seitdem sehr viel hinzuzulernen. Mir kam dabei zu Hilfe, selbst wenn es paradox klingen mag, dass ich von Hause aus kein gelernter Ökonom bin, kein studierter Volkswirt, sondern mir das Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge und um die Wirkungen der Wirtschaftspolitik in der journalistischen Tagesarbeit aneignen musste, immer bestrebt, die Vorgänge, über die ich schrieb, nicht abstrakt, sondern konkret, ja handfest zu verstehen und sie damit auch den Lesern nach Möglichkeit verständlicher zu machen.

    Indem ich auf diese Weise über den Zweizonenwirtschaftsrat und später ab 1954 über die Wirtschafts-und Finanzpolitik in Bonn zu berichten hatte, musste ich zwangsläufig teilnehmen an allen Auseinandersetzungen der ersten Jahre, die sich immer wieder um die Frage drehten, wie weit Prinzip und System der Marktwirtschaft den jeweiligen Erfordernissen tatsächlich angemessen und angepasst waren. Das heißt, ich habe die Marktwirtschaft und ihre Bewährung sehr viel unmittelbarer erfahren als mancher, der ihr zuerst in den Lehrbüchern begegnete. Mir kam auch zu Hilfe, dass mein journalistisches Bedürfnis nach Opposition – ich bemühe mich bis heute, es mir zu erhalten – dank Ludwig Erhard eine Orientierung fand. Auch das mag paradox klingen, aber ich merkte bald, dass ich nicht gegen ihn zu opponieren hatte, sondern mit ihm gegen ganz andere Kräfte.

    Der patriarchalische Stil, mit dem Konrad Adenauer regierte, schien mir einer effektiven Opposition zu bedürfen, die nach meinem Urteil damals nur innerhalb und nicht außerhalb des Regierungslagers stattfinden konnte. Hinzu kam, dass die Widerstände gegen die Marktwirtschaft vielfältig waren und keineswegs allein von der SPD ausgingen, sondern auch – und nicht zu knapp – von Teilen der Unternehmerschaft und Teilen der CDU/CSU. Mit anderen Worten: Ludwig Erhard gab mir die Chance, den für mich notwendigen journalistischen Widerspruch zu artikulieren und gleichzeitig mich von planwirtschaftlichen Heilslehren zu lösen.

    Ich habe in der Folgezeit das Auf und Ab der Bonner Politik aus nächster Nähe erfahren, beschrieben und kommentiert, und es war zum größten Teil die Wirtschaftspolitik Professor Erhards, die es an den Leser zu bringen galt, seine Politik und die seiner Nachfolger und Nacheiferer Kurt Schmücker, Professor Karl Schiller, Dr. Hans Friderichs und Dr. Otto Graf Lambsdorff. Ihnen allen stand und steht in den leitenden Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums ein Team zur Seite, das darauf trainiert ist, Kurs zu halten, und das auch dem freien Journalisten mit seinem Bauchladen von Zeitungen gelegentliche Orientierungshilfe nicht versagt.

    Skepsis ist angebracht: Alle bekennen sich zur Sozialen Marktwirtschaft

    Damit bin ich in der Gegenwart angelangt. Heute meine ich, in der deutschen Politik zwei Entwicklungslinien zu erkennen, die nur scheinbar auseinanderlaufen. Auf der einen Seite gibt es innerhalb der Regierungsparteien von SPD und FDP starke Kräfte, denen die marktwirtschaftliche Denkweise abhandengekommen ist oder denen von vornherein der Zugang zu dieser Denkweise verschlossen blieb. Der Rücktritt von Wirtschaftsminister Dr. Friderichs im vorigen Jahr gilt mir in diesem Zusammenhang als ein Signal, die permanente Bedrohung des Ordnungssystems nicht zu unterschätzen, die von diesen Kräften ausgeht. Diese Bedrohung existiert, auch wenn auf den Parteitagen in Hamburg und Kiel Sozialdemokraten und Freie Demokraten zu einem Selbstverständnis zurückgefunden haben sollten, das die Fundamente der marktwirtschaftlichen Ordnung unbeschädigt lässt. Die Frage ist eben, ob dieses Selbstverständnis von Dauer sein kann.

    Und das hängt zusammen mit der anderen Entwicklungslinie, die auf den ersten Blick so erfreulich erscheint, bei deren Beurteilung jedoch Vorsicht geboten sein sollte. Es gibt heute keine demokratische Partei in der Bundesrepublik, deren Spitzenpolitiker sich nicht zu den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft bekennen. Dieses Bekenntnis in seiner ganzen Variationsbreite ist geradezu Mode geworden. Und eigentlich dürfte man nur mit Beifall vermerken, dass somit der Begriff „Soziale Marktwirtschaft eine Renaissance erfahren hat, dass er nicht von einem politischen Lager gepachtet ist, sondern quer durch die Fronten geht und sie auflockert als der gemeinsame Nenner verantwortlicher Politiker „über die Parteiungen hinweg, um mit Ludwig Erhard zu sprechen.

    Nur muss gefragt werden: Ist eigentlich jeder Politiker in jeder Situation bereit und in der Lage zu erklären, weshalb er marktwirtschaftlichen Methoden den Vorzug gegenüber dirigistischen Experimenten gibt? Für den einen oder anderen ist „die Marktwirtschaft" mitunter doch nur noch ein Schlagwort, meinetwegen eine Parole zum Sammeln der Gleichgesinnten; aber der Inhalt lässt sich nur noch schwer definieren, ist eigentlich auch zu ökonomisch, als dass man sich als Politiker, der aufs Ganze geht, lange damit aufhalten müsste. Und von daher – so fürchte ich – wächst die Gefahr, dass man – gleichsam das Lied von der Marktwirtschaft auf den Lippen – in der Praxis sich ganz anders verhält. Dass die Regierung ganz andere Weichenstellungen vornimmt, zulässt oder sich abringen lässt, beispielsweise auch von ihren europäischen Partnern. Dass die Opposition ganz andere Entscheidungen hinnimmt oder gar selbst fordert. Und dass die Wirtschaft und die Gewerkschaften teils im Strom mitschwimmen, teils selbst dazu beitragen, ihn falsch zu kanalisieren.

    Information muss sachgerecht, einfach und anschaulich sein!

    Daraus folgt: Wir alle müssen uns davor hüten, zu plakativ zu argumentieren oder – schlimmer noch – zu meinen, wenn man nur „Marktwirtschaft" sagt, könnte man sich die Begründung für sein Handeln beinahe schon sparen. Man ist dann nicht mehr weit davon entfernt, die Marktwirtschaft in die Ecke der begründungsfreien, geglaubten Ideologien, sprich Ersatzreligionen, zu drängen, wo sie doch überhaupt nicht hingehört. So wenig einer von Marktwirtschaft begriffen hat, wenn er sie nur als ökonomische Verhaltenslehre versteht, – mit Ideologie hat Erhards Marktwirtschaft dennoch nicht das Geringste zu tun. Allerdings muss marktgerechtes politisches Handeln immer wieder erklärt und erläutert werden, zumal ja – wie man weiß – im Ablauf des Geschehens heute richtig sein kann, was gestern falsch war, und morgen wieder falsch, was heute richtig ist. Den Bürgern wird hier viel Einsicht abverlangt, die ihnen nur vermittelt werden kann, wenn man sie ständig sachgerecht, einfach und anschaulich informiert.

    Übrigens: Der Facharbeiter und die Raumpflegerin werden es vielleicht besser verstehen als so mancher vorbelastete Akademiker. Wenn nicht, so liegt das meist nicht an mangelnder Aufnahmefähigkeit, sondern an der zu tönernen und daher unzulänglichen Sprache der Politiker, an der zu hoch gestochenen und daher unzulänglichen Sprache der Journalisten. Und noch ein Letztes: Der Hang der sogenannten Medien, ihr Publikum vornehmlich zu unterhalten und nur beiläufig zu informieren, ist Gift für das Verständnis der Marktwirtschaft. Diese Art von Unterhaltungsjournalismus wird in ihrer schädlichen Wirkung nur noch übertroffen von der Vorliebe gewisser Meinungsjournalisten, in Schwarz-Rot-Malerei bei den Bürgern Emotionen zu wecken und gegeneinander auszuspielen, statt die marktwirtschaftliche Tugend der Toleranz um der Klärung der Sachverhalte willen auch und gerade gegenüber der politischen Konkurrenz gelten zu lassen.

    Wenn der Einzelne überhaupt eine Chance haben soll, seine demokratischen Bürgerrechte zugunsten der Marktwirtschaft zu gebrauchen, so muss er wissen, worum es geht. Mehr noch als Rundfunk und Fernsehen – Herr Kollege Mühlfenzl

    1978

    Einige Bemerkungen über den Nachwuchs an Volkswirten

    Prof. Dr. Wolfgang Stützel

    Professor für Volkswirtschaft an der Universität des Saarlandes

    „Wolfgang Stützel zögert [nicht], etwa auf einer Spartacus-Veranstaltung vor jungen Leuten für seine ordnungspolitische Überzeugung, beispielsweise für die Privatisierung öffentlicher Dienste, zu streiten. Und gerade im vergangenen Jahr hat er in seiner Partei, der FDP, erfolgreich für die Soziale Marktwirtschaft gekämpft: Das unter seiner Leitung erarbeitete Saarbrücker Positionspapier nannte ‚die Zeit‘ ‚ein so klares Bekenntnis zur Marktwirtschaft, wie es inzwischen in unserem Lande Seltenheitswert‘ habe." Leo Brawand

    Die Ludwig-Erhard-Stiftung hat mir soeben einen Preis verliehen. Ich freue mich sehr darüber und möchte mich hiermit herzlich dafür bedanken. Ich werte diesen Preis hauptsächlich als eine Verpflichtung, im Sinne Ludwig Erhards weiterzuarbeiten. Ich meine, ich könnte meinen Teil hierzu an diesem Vormittag am besten in der Weise beisteuern, dass ich hier von der Hauptsorge berichte, die einen Wirtschaftsprofessor als Lehrer überkommt, wenn er an die Aufgabe denkt, die Soziale Marktwirtschaft in unserem Lande zu sichern und auszubauen. Diese Hauptsorge ist die Sorge um unseren Nachwuchs an Volkswirten.

    Erfordernisse von Großorganisationen

    Jede soziale Großorganisation, Staat, Kirche oder Großunternehmung, braucht ihre Organisationshelfer. Sie braucht ihre Kader: Sie braucht erstens Schulungsleiter, Lehrer, Schriftsteller, die ihre Funktionsweise erläutern. Sie braucht zweitens Personen, die sich bereithalten, Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Sie braucht drittens Personen, die die nötigen Verbesserungen durchzusetzen helfen: Propagandisten, Manager, Politiker. So auch unsere Organisation einer Sozialen Marktwirtschaft. Auch sie braucht – meine Vorredner wiesen schon darauf hin –, soll sie intakt bleiben, ständig Erläuterungen ihrer Funktionsweise, Vorschläge zu ihrer Verbesserung, Personen, die die nötigen Verbesserungen durchzusetzen vermögen.

    Gewöhnlich müssen Organisationen besondere Vorkehrungen treffen, um ihre Kadermitglieder zu gewinnen. Die preußischen Könige hatten ihre Kadettenanstalten. Die liberalen Staaten haben ihre Ausbildungsstätten für den benötigten Nachwuchs eingerichtet, für Juristen und Polizisten bis hin zu den benötigten Regierungsbauräten und den in Gesundheitspolizei, sprich Seuchenverhütung, versierten Medizinalräten. Und wird heute auch nur ein kleiner Teil etwa unserer Besteuerungs-Ordnung geändert, so richtet man ebenfalls prompt Schulungskurse ein, damit die Funktionäre in Behörden und Unternehmen Gelegenheit haben, in allen Details der neuen Ordnung sattelfest zu werden.

    Für die Soziale Marktwirtschaft gab es keine Schulungslager

    Ganz anders war es, als hierzulande unter Ludwig Erhard die neue marktwirtschaftliche Ordnung etabliert wurde. Die Einführung der Marktwirtschaft kam ohne jedes Schulungslager aus. Die Anschauung selbst, das Erlebnis des Vergleichs reichten völlig dazu aus, die nötigen Organisationshelfer in Marktwirtschaftsordnung zu schulen. Von den verschiedensten Ausbildungsstätten kamen die vielen her, die sich damals, 1948, ans Werk machten, als Publizisten ihren Lesern Marktökonomisches zu erläutern, als Ministerialbeamte ordnungspolitisch bessere Normen zu entwerfen, als Parteifunktionäre ihre Genossen von der Überlegenheit der neuen Ordnung zu überzeugen.

    Natürlich hatte es die paar vollberuflichen Volkswirte gegeben, die von Freiburg, Münster oder einer der wenigen anderen Pflanzstätten marktwirtschaftlichen Denkens herkamen und von vorneherein darauf geschult waren, Marktökonomie zu propagieren und mitzugestalten. Und gewiss hatten diese die Kerntruppe gebildet (und sie bilden sie, wenn ich mich im Saale umsehe, zum Teil bis heute). Aber für die meisten, die dann mitwirkten, dem Vertrauen in die Marktwirtschaft zu der überwältigenden Mehrheit zu verhelfen, die etwa Anfang der sechziger Jahre zu verzeichnen war, ging der Lernweg ja gerade anders herum: Diese Menschen waren ja nicht für Marktwirtschaft, weil sie Eucken, Böhm oder Müller-Armack gelesen hatten. Sondern sie griffen in den Ministerien, Parteien und Medien zu den Arbeiten von Lehrern marktwirtschaftlichen Denkens, weil sie von den größeren Leistungen der Marktwirtschaft im Vergleich zur Bürokratie-Wirtschaft durch eigenes Erleben beeindruckt worden waren.

    Die Ausbildung von Volkswirten ist ein öffentliches Gut

    Diese Zeiten, in denen das Leben selbst allen Menschen unseres Landes eine so eindrucksvolle Schulung in Wirtschaftstheorie, Kapitel „Systemvergleich", erteilt hat, sind vorbei. Zunehmend ist unsere sozial-marktwirtschaftliche Ordnung, will sie sich ihre Kader sichern, auf eine förmlich eingerichtete Schulung und Einübung angewiesen.

    Um den Nachwuchs an marktökonomisch versierten Betriebswirten brauchen wir uns dabei nicht so sehr große Sorgen zu machen. Dort kann man den dem MarktÖkonomen geläufigen Selbstheilungskräften vertrauen. Mögen zum Beispiel die staatlichen Ausbildungsstätten für Betriebswirte Defekte aufweisen, etwa ins allzu Weltferne abdriften. Dort kann man darauf setzen, dass die Wirtschaft prompt selbst mit besseren Ausbildungsstätten konkurrierend auf den Plan tritt: Harzburg, Baden-Baden, Unternehmerseminare. Das Privatschulgeschäft gelangt zu kräftiger Blüte. Und je schlechter der betriebswirtschaftliche Unterricht an staatlichen Schulen, desto höher werden die Geldgewinne der findigen Leute, die derlei Privatschulung unternehmen.

    Man braucht sich ja nur einmal die dort verdienbaren Schulgelder anzusehen, und man erkennt recht bald: Die bessere Betriebswirtschaftslehre, die Nachwuchsschulung für die Kader der marktwirtschaftlichen Unternehmungen, das ist ein Artikel, bei dem die bessere Qualität leicht in höhere Geldeinkommen derer gewendet wird, die ihn herstellen. Leidlich gute Betriebswirte bekämen wir vermutlich immer, auch ohne vom Staate bezahlte besondere Schulen. Ähnliches gilt für den Nachwuchs von Lobbyisten, die nur einzelner Gruppen Interessen vertreten. Auch den Nachwuchs regeneriert und finanziert eine Marktwirtschaft von sich aus ohne staatliches Zutun.

    Aber wirkliche Volkswirte? Unterricht in Wirtschaftssystem-Vergleich, Nachwuchsschulung für Kader einer sozial-marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik, das ist ein anderer Artikel. Das ist ein Artikel, bei dem die bessere Qualität nicht ohne Weiteres in höhere Geldeinkommen derer gewendet wird, die ihn herstellen. Wie die reine Luft oder die Geldwertstabilität oder die Seuchenfreiheit – siehe die eben erwähnte Gesundheitspolizei – ist dieser Artikel „Nachwuchsschulung für die Kader einer sozial-marktwirtschaftlichen Ordnung" ein von der zeitgenössischen Wirtschaftstheorie sogenanntes öffentliches Gut. Man kann nicht darauf setzen, dass es von einer Marktwirtschaft aus eigenem Antrieb angeboten wird. Dieses Gut ist, um es in den Jargon unserer Bildungspolitiker zu übersetzen, ein reines Orchideenfach.

    Die Volkswirte, die wir da brauchen, haben einen merkwürdigen Beruf. Sie müssen ja ständig neu überlegen, wie der Datenkranz staatlicher Normen zu gestalten sei, damit Menschen, gerade wenn sie auch nur ihrem eigenen Vorteil nachjagen, dennoch das tun, was zum Vorteile aller gereicht.

    Die Aufgabe, für dieses Fach den nötigen Nachwuchs zu finden, begegnet ganz besonderen Schwierigkeiten. Es geht dabei, betrachtet man das ganze Feld junger Menschen, aus dem solche Volkswirte nachwachsen können, zunächst um das Verhältnis zwischen Idealismus und Sachverstand, zwischen gesellschaftspolitischem Engagement und rechts- und wirtschaftskundlicher Einsicht.

    Studenten im Spannungsfeld zwischen Idealismus und Sachverstand

    Damit aus einem Studenten ein Volkswirt in unserem Sinne werde, ein marktökonomisch versierter Journalist, Lehrer, Beamter oder Parteifunktionär, braucht es nämlich ein ganz bestimmtes Verhältnis zwischen beidem. Nun überwiegt aber bei den jungen Menschen gewöhnlich das eine oder das andere, der Idealismus oder der Sachverstand. Hier liegt eine Grundschwierigkeit in Sachen Volkswirte-Nachwuchs. Es strömen heute zwar sehr viele junge Menschen zu unseren Universitäten, die lebhaft an Fragen der Wirtschaft interessiert sind. Aber: Die überwiegend Sachkundigen, die vor oder mit ihrem Studium die Marktökonomie gut gelernt haben, die werden nicht Volkswirte, sondern Betriebswirte. Die rechtswissenschaftlich Versierten werden ebenfalls nicht Volkswirte, sondern Juristen. Beide, Betriebswirte und Juristen, finden ihren Lebensberuf, indem sie innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung als bloße Mitspieler tätig werden.

    Die Idealisten aber reagieren anders. Es wirkt sich erstens aus, dass sie es nicht am eigenen Leib verspürt haben, was bürokratisch gelenkte Wirtschaft vor allem auch rein menschlich bedeutet. Es wirkt sich zweitens aus, dass gegenüber einem ersten stürmischen Aufbau der sorgsame Ausbau einer im Prinzip sehr guten Ordnung ein viel, viel mühsameres und langweiligeres Geschäft ist. Vor allem: Die Selbstsucht von Unternehmern – gewöhnlich „Gewinnmaximierung genannt, zurzeit vielleicht besser als „Verlustminimierung bezeichnet – als Datum hinzunehmen und sie durch organisatorische Tricks zum Promotor von Segnungen für alle werden zu lassen, dieses Grundprinzip aller Marktwirtschaft, das widert diese jungen Idealisten an. Sie kommen mit dem ungebrochenen Glauben, es ließe sich die Welt zu dem Paradies umbauen, in dem kraft Konsenses alle Konflikte aufgehoben sind. Sie wollen die reine Welt bauen, in der jeder nicht nur für sich, sondern auch für die anderen wirkt, weil er diesen anderen von sich aus menschlich helfen will. So reagieren diese jungen Idealisten auf alles Marktökonomische schon von Anfang an recht sauer.

    Sie studieren es gewöhnlich erst gar nicht bis zur nötigen Einsicht in seine menschlich so wichtige Hauptfunktion, nämlich seine Funktion, hunderttausende alltäglicher Interessenkonflikte auf menschenwürdigere Weise zu erledigen als alle noch so phantasievoll dezentralisierte und demokratisierte Verwaltungswirtschaft. – Ja, das ist doch die Hauptleistung aller Marktökonomie: Nicht der Fleischwolf zu sein, der aus einem Input an Ressourcen am effizientesten ein Maximum an Output materieller Güter hervorgehen lässt, sondern – und nun wiederhole ich – die Hauptleistung der Marktökonomie besteht darin, hunderttausende alltäglicher Interessen- und Zuteilungskonflikte auf menschenwürdigere Art zu erledigen als alle noch so phantasievoll dezentralisierte und demokratisierte Verwaltungswirtschaft.

    Aber bis zu derlei Einsichten dringen unsere jungen Idealisten gewöhnlich erst gar nicht vor. So satteln diese Leute schon vorher um. Sie werden Psychologen und Soziologen. Sie werden Politologen und Theologen. Mit dem ihnen eigenen gefährlichen Überschuss ihres Idealismus über ihren Sachverstand lernen sie dort alles zu bestreiten, ausgenommen ihren Lebensunterhalt. Sie werden zu professionellen Systemkritikern.

    So zeigt die Soziale Marktwirtschaft, einmal etabliert, im

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