Anna und der Vagabund: Dr. Daniel 111 – Arztroman
Von Marie Francoise
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Ein eisiger Schneewind pfiff Gabriel Ebert um die Ohren. Fröstelnd zog er die Schultern hoch und faßte den verschlissenen Mantel vor der Brust enger zusammen, aber das nützte nicht viel. Der Mantel war alt und wärmte kaum noch.
Gabriel schritt ein wenig schneller aus, um den schützenden Wald zu erreichen, den er in ein paar hundert Metern Entfernung vor sich sah. Er fühlte Nässe und Kälte durch seine Schuhe kriechen.
»Verdammter Winter«, knurrte er.
Während der Sommermonate war sein Dasein als Vagabund recht schön, im Frühjahr und Herbst war es erträglich, im Winter allerdings wurde es zur Tortur.
Er hatte den Wald erreicht, aber der eisige Wind strich auch hier noch durch die Bäume und ließ Gabriel erneut frösteln. Er brauchte einen Unterschlupf… irgend etwas, wo es warm war… oder wenigstens trocken.
Vorsichtig hob er den Kopf, was ihn der Schneewind sofort büßen ließ. Die Kälte stach wie tausend Nadeln auf seiner Haut. Gabriel schlug den Mantelkragen hoch, während er sich weiter nach einem Unterschlupf umsah. Die gefrorenen Eiskristalle auf dem Kragen bohrten sich schmerzhaft in seine Wangen, aber wenigstens hatte der Wind jetzt nicht mehr so viel Angriffsfläche.
Gabriels Augen schmerzten, ebenso sein Kopf und seine Brust, was jeden Atemzug zur reinsten Qual werden ließ. Seit Stunden kämpfte er sich schon durch Schnee und Kälte. Er war müde, und er fror ganz erbärmlich. Die Nässe in seinen Schuhen erstarrte allmählich zu Eis.
In diesem Moment erblickte er die alte Scheune. Eine vage Erinnerung aus einer fernen Vergangenheit wehte ihn an, aber sie war so flüchtig, daß
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Anna und der Vagabund - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 111 –
Anna und der Vagabund
Marie Francoise
Ein eisiger Schneewind pfiff Gabriel Ebert um die Ohren. Fröstelnd zog er die Schultern hoch und faßte den verschlissenen Mantel vor der Brust enger zusammen, aber das nützte nicht viel. Der Mantel war alt und wärmte kaum noch.
Gabriel schritt ein wenig schneller aus, um den schützenden Wald zu erreichen, den er in ein paar hundert Metern Entfernung vor sich sah. Er fühlte Nässe und Kälte durch seine Schuhe kriechen.
»Verdammter Winter«, knurrte er.
Während der Sommermonate war sein Dasein als Vagabund recht schön, im Frühjahr und Herbst war es erträglich, im Winter allerdings wurde es zur Tortur.
Er hatte den Wald erreicht, aber der eisige Wind strich auch hier noch durch die Bäume und ließ Gabriel erneut frösteln. Er brauchte einen Unterschlupf… irgend etwas, wo es warm war… oder wenigstens trocken.
Vorsichtig hob er den Kopf, was ihn der Schneewind sofort büßen ließ. Die Kälte stach wie tausend Nadeln auf seiner Haut. Gabriel schlug den Mantelkragen hoch, während er sich weiter nach einem Unterschlupf umsah. Die gefrorenen Eiskristalle auf dem Kragen bohrten sich schmerzhaft in seine Wangen, aber wenigstens hatte der Wind jetzt nicht mehr so viel Angriffsfläche.
Gabriels Augen schmerzten, ebenso sein Kopf und seine Brust, was jeden Atemzug zur reinsten Qual werden ließ. Seit Stunden kämpfte er sich schon durch Schnee und Kälte. Er war müde, und er fror ganz erbärmlich. Die Nässe in seinen Schuhen erstarrte allmählich zu Eis.
In diesem Moment erblickte er die alte Scheune. Eine vage Erinnerung aus einer fernen Vergangenheit wehte ihn an, aber sie war so flüchtig, daß Gabriel sie nicht greifen konnte. Er versuchte es auch gar nicht. Diese Scheune versprach Schutz vor Schnee und Wind, das war das einzige, was für ihn zählte.
Entschlossen stapfte er zwischen den Bäumen hindurch und trat schließlich auf die schneebedeckte Wiese. Der Wind war noch stärker geworden und warf ihn fast um, als er ihn nun mit aller Macht traf. Gabriel taumelte und kämpfte sich mit letzter Kraft zu der alten Scheune.
Das riesige Vorhängeschloß, das er schon von weitem an dem mächtigen Tor erkennen konnte, weckte Entsetzen in ihm. Wenn diese Scheune tatsächlich verschlossen war…
Er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Noch etliche Stunden in Kälte und Wind – das wäre selbst für ihn zuviel… noch dazu in dem desolaten Zustand, in dem er sich befand.
Während er sich der Scheune näherte, glaubte er plötzlich, ein Stöhnen zu hören. Oder war es nur der Wind gewesen? Gabriel lauschte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. Er mußte sich getäuscht haben. Wer sollte an einem so eisigen Tag auch hier draußen sein?
Mühsam kämpfte er gegen den immer stärker werdenden Wind an. Sein Gesicht, das er krampfhaft gesenkt hielt, schmerzte vor Kälte. Aber dann hatte er die Scheune endlich erreicht und stellte erleichtert fest, daß das riesige Vorhängeschloß nur eingehakt, das Tor aber offen war.
Es kostete ihn einige Mühe, mit seinen halb erfrorenen Fingern das schwere Tor aufzustemmen. Der Geruch von Heu und Stroh schlug ihm entgegen, aber auch noch etwas anderes, was er nicht zu deuten wußte. Es war ihm auch egal. Hier drinnen war es trocken und sogar verhältnismäßig warm. Er würde den restlichen Tag und die Nacht über hierbleiben – wenn es sein mußte sogar ein paar Tage, sollte sich das Wetter nicht bessern.
Gabriel wollte gerade den Mantel ausziehen, als das Stöhnen wieder ertönte und diesmal war kein Zweifel möglich. Es war ein Mensch, der hier Qualen litt.
»Hallo!« rief Gabriel. In der Scheune war es ziemlich dunkel und seine Augen hatten sich noch nicht daran gewöhnt, so daß er sich fast blind fühlte.
»Hilfe.« Die Stimme war schwach und leise, aber dennoch sehr deutlich.
Gabriel tastete sich vor, dann stolperte er über eine am Boden liegende Gestalt und stürzte. Er rappelte sich aber gleich wieder auf und kroch zu dem Menschen, der da hilflos vor ihm lag.
»Haben Sie sich verletzt?« fragte er besorgt.
»Mein… Baby…«, keuchte die Gestalt und erst jetzt erkannte Gabriel, daß es sich dabei um eine Frau handelte.
Mittlerweile hatten sich auch seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt und nun gewahrte er den gewölbten Leib. Übelkeit stieg in ihm auf. Sollte er hier ganz unvermutet zum Geburtshelfer werden?
Die Frau stöhnte wieder und krümmte sich zusammen, ehe sie erschöpft zur Seite kippte.
»Seit wann liegen Sie hier schon?« wollte Gabriel aufgeregt von ihr wissen. Es gab hundert andere Fragen, die vermutlich weitaus wichtiger gewesen wären, aber in diesem Moment fiel ihm keine einzige ein.
»Ich… weiß nicht«, keuchte die Frau mit letzter Kraft, dann griff sie nach Gabriels Hand. »Helfen Sie mir. Es tut… so weh…«
Der junge Vagabund nickte nur. Vorsichtig tastete er den harten Bauch der Schwangeren ab, obwohl er keinerlei Ahnung hatte, wonach er suchen sollte, und überhaupt… er war kein Arzt und keine Hebamme. Er wußte ja gar nicht, was er tun sollte, falls das Baby wirklich in den nächsten Minuten kommen würde.
»Ich muß Hilfe holen«, meinte er und erhob sich.
Die Frau bäumte sich auf, erhaschte eine Hand von ihm und klammerte sich daran fest. »Lassen Sie mich bitte nicht allein! Die ganze Nacht… es war so schrecklich…«
Gabriel brach förmlich der Schweiß aus. Sollten ihre Worte bedeuten, daß sie die ganze vergangene Nacht schon hier verbracht hatte? Mit Wehen? Er wußte, daß eine Geburt unter Umständen ziemlich lange dauern konnte, aber wenn die Frau schon an die zwanzig Stunden hier war…
»Ich muß jemanden herholen, der was davon versteht«, entgegnete Gabriel eindringlich. »Haben Sie keine Angst. Ich lasse Sie nicht im Stich. Ich hole wirklich nur Hilfe.«
Er löste sich aus ihrem Griff, schlüpfte rasch in seinen Mantel und verließ die Scheune wieder. Der eisige Schneewind empfing ihn und warf ihn beinahe um. Mühsam kämpfte Gabriel dagegen an. So schnell seine eiskalten Füße es erlaubten, rannte er über die verschneite Wiese und hoffte dabei nur, daß er in der richtigen Richtung unterwegs war.
Die Dämmerung zog bereits herauf, als er in der Ferne endlich Licht sah. Mittlerweile keuchte er schon und das heftige Seitenstechen ließ keinen schmerzlosen Schritt mehr zu, dazu kamen die massiven Stiche in seiner Lunge, die jeden Atemzug zu einer Qual machten. Mit letzter Kraft erreichte er die stattliche weiße Villa, ließ sich gegen die schwere, eichene Eingangstür fallen und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen, weil er gar nicht auf den Gedanken kam, nach einer Klingel zu suchen.
*
Dr. Robert Daniel, seine Frau Manon und sein Töchterchen Tessa saßen gerade beim Abendessen, während der kleine Gerrit in seiner Babywippe lag und