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Das Kind verstehen: Entwicklung und Erziehung von 0-3 Jahren nach Maria Montessori
Das Kind verstehen: Entwicklung und Erziehung von 0-3 Jahren nach Maria Montessori
Das Kind verstehen: Entwicklung und Erziehung von 0-3 Jahren nach Maria Montessori
eBook305 Seiten4 Stunden

Das Kind verstehen: Entwicklung und Erziehung von 0-3 Jahren nach Maria Montessori

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Über dieses E-Book

Die italienische Ärztin Dr. Silvana Montanaro bringt auf anschauliche und verständliche Weise die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen vor, während und nach der Geburt des Kindes nahe. Dabei zeigt sie deutlich auf, worauf es jeweils aus der Sicht der Montessori-Pädagogik besonders ankommt: Es geht es in diesem Handbuch um zentrale Themen wie Bindung und Urvertrauen, Stillen und Schnuller, die Anregung der Sprach- und Bewegungsentwicklung.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Herder
Erscheinungsdatum4. Nov. 2014
ISBN9783451801228
Das Kind verstehen: Entwicklung und Erziehung von 0-3 Jahren nach Maria Montessori
Autor

Silvana Quattrocchi Montanaro

Dr. Silvana Montanaro, Ärztin, international ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet frühkindlicher Entwicklung und exzellente Kennerin der Frühpädagogik nach Maria Montessori.

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    Buchvorschau

    Das Kind verstehen - Silvana Quattrocchi Montanaro

    Silvana Quattrocchi Montanaro

    Das Kind

    verstehen

    Entwicklung und Erziehung

    von 0–3 Jahren nach Maria Montessori

    Übersetzt von

    Markus Bennemann

    Impressum

    Titel der italienischen Originalausgabe: Un Essere Umano, erschienen bei der Cooperativa

    Editrice IL VENTAGLIO, Rom 1987

    Alle Rechte vorbehalten.

    © Silvana Quattrochi Montanaro

    Titel der englischen Ausgabe: Understanding the Human Being, erschienen bei Nienhuis Montessori, Mountain View (Kalifornien) 1991. Die vorliegende Übersetzung folgt der im Jahr 2000 erschienenen vierten Auflage der englischen Edition.

    © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

    Alle Rechte vorbehalten

    www.herder.de

    Umschlagkonzeption und -gestaltung: Berres & Stenzel, Freiburg

    Umschlagfoto: © Eva Steiner Fotografie

    Fotos im Innenteil: © Andrea Donath,

    außer: 29, 59 (Emi Yuda); 37, 43 (Hitoe Isobe); 110, 113 (Seiichiro Takahashi)

    E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

    ISBN (E-Book) 978-3-451-80122-8

    ISBN (Buch) 978-3-451-32793-3

    Inhalt

    Geleitwort

    Vorwort der Autorin

    Teil I:

    Erziehung als »Hilfe zum Leben«

    1 Vor der Geburt

    Einleitung

    Die Entwicklung des Nervensystems

    Die vielfältigen Sinneswahrnehmungen im Mutterleib

    Die Selbstwahrnehmung des Kindes

    Die Mutter-Kind-Beziehung während der Schwangerschaft

    Die verschiedenen Bewusstseinszustände des Embryos

    Die Vorbereitung auf die Geburt

    2 Die Geburt: Trennung und Bindung

    Ein Erfahrungskontinuum: Ein anderer Ort, derselbe Mensch

    Die Bezugspunkte des Neugeborenen

    Trennung und Bindung

    Das Konzept der »äußeren Schwangerschaft«

    Warum das Neugeborene so hilflos ist

    Die grundlegenden Bedürfnisse des Neugeborenen

    3 Das symbiotische Leben der ersten sechs bis acht Wochen

    Die Bedeutung des symbiotischen Lebens und seine Vorteile

    Der biologische Sinn der Nahrung

    Die emotionale Bedeutung der Nahrung

    Die Weisheit des Lebens

    Grundvertrauen

    4 Die Präsenz des Vaters

    Was ist ein »Vater«?

    Warum zwei Elternteile besser sind als einer

    Der Vater während der Schwangerschaft

    Der Vater bei der Geburt

    Ein »Schutzwall« für das symbiotische Leben

    Wie der Vater Autonomie und Eigenständigkeit fördert

    Teil II:

    Alles, was wir mit dem Kind tun, ist »Erziehung«

    5 Die Bedeutung der mütterlichen Fürsorge

    Was ist mütterliche Fürsorge?

    Auf dem Arm gestillt werden und Vertrautheit erfahren

    Säuglingspflege als Fürsorge und soziale Interaktion

    Interne psychosomatische Geschlossenheit

    6 Kommunikation mit dem Kind

    Einleitung

    Nonverbale Kommunikation mit dem Neugeborenen

    Die besondere Kommunikation zwischen Mutter und Kind

    Kommunikation und Wissen

    7 Das Potenzial des Gehirns und der absorbierende Geist

    Wunderwerk Gehirn

    Die menschliche »Hardware«

    Die beiden Gehirnhälften

    Der absorbierende Geist

    Die verschiedenen Komponenten des menschlichen Geistes

    8 Abstillen

    Nahrung und Selbstständigkeit

    Eine neue Beziehung zur Umwelt

    Wie man das Abstillen vorbereitet

    Gemischte und künstliche Nahrung

    Teil III:

    Die ganzheitliche Entwicklung des Menschen

    9 Die motorische Entwicklung

    Einleitung

    Die verschiedenen Stufen der Bewegungsfähigkeit

    Eine bewegungsfreundliche Umgebung

    Bewegung und Wissen

    Warum geeignete Kleidung für Bewegung so wichtig ist

    10 Die Entwicklung des Sprachvermögens

    Das Rätsel der gesprochenen Sprache

    Die Stufen der sprachlichen Entwicklung

    Mehrsprachige Erziehung

    11 Die Entwicklungskrisen der ersten drei Jahre

    Einleitung

    Die Krise der Geburt

    Die Krise des Abstillens

    Die Krise des Ungehorsams

    12 Kindererziehung und die Zukunft der Menschheit

    Fazit

    Literatur

    Geleitwort

    Hilfe zum Leben

    Das Thema Frühpädagogik ist hoch aktuell. Nachdem in den letzten Jahren viele neue Kindertagesstätten-Plätze (Kita-Plätze) geschaffen worden sind, fehlt es jedoch häufig an speziell ausgebildetem Personal und an guten pädagogischen Konzepten.

    Das nimmt die Deutsche Montessori-Gesellschaft (DMG) zum Anlass, um mit einem Schwerpunkt die Altersphase der Kinder von 0–3 Jahren in den Blick zu rücken. 2012 wurde in diesem Zusammenhang bereits das Buch der international bekannten amerikanischen Autorinnen Paula Polk Lillard und Lynn Lillard Jessen ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel Montessori von Anfang an im Verlag Herder herausgegeben.

    Hier folgt nun ein weiteres wichtiges Buch zum Thema, das international bereits ein Standardwerk ist. Die Autorin Silvana Quattrocchi Montanaro ist Ärztin mit dem fachlichen Schwerpunkt Psychiatrie. Sie hat über Jahrzehnte in den internationalen Ausbildungskursen für ›Assistants to Infancy‹ mitgearbeitet und dort vor allem Neuropsychiatrie, Hygiene und Ernährung gelehrt. Montanaro war lange Zeit gleichsam der geistige Mittelpunkt der Frühpädagogik, wie Maria Montessori sie konzipiert und in Ansätzen für die Praxis vorbereitet hatte. Das Buch wurde erstmals 1987 in italienischer Sprache unter dem Titel Un Essere Umano publiziert, später als Comprendere i bambini. Im Jahr 1991 erschien eine englische Ausgabe des Werkes mit dem Titel Understanding the Human Being. Es geht also darum, das menschliche Sein und Wesen zu verstehen, und dafür haben nach der Kenntnis und den Erfahrungen der Autorin die ersten drei Lebensjahre eine zentrale Bedeutung. Das Verstehen des sehr jungen Kindes steht im Mittelpunkt, und zwar nicht zuletzt aus ärztlicher Sicht. Die deutsche Übersetzung erfolgte mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin auf der Grundlage der englischen Fassung des Buches. – Wie schon erwähnt, erschien dieses Buch zuerst 1987. Von daher ist es verständlich, dass im Text noch Spuren jener Zeit zu finden sind. Die Autorin hat das Buch aber mehrfach umgearbeitet, sodass in die meisten Kapitel aktuelle Erkenntnisse eingearbeitet wurden.

    Der Text ist deutlich appellativ geschrieben. Es geht der Verfasserin mit großem Ernst darum, dass besonders die Eltern sowie alle, die mit jungen Kindern zu tun haben, verständnisvoll und mit dem erforderlichen Wissen mit ihnen umgehen. Damit argumentiert sie ganz im Sinne Maria Montessoris, dass die Erziehung eine »Hilfe zum Leben« sein solle.

    Das Buch beginnt mit einer ausführlichen und ungewöhnlich differenzierten Darstellung der Entwicklung des vorgeburtlichen Lebens des Kindes; dabei erfährt hier wie auch später die Gehirnentwicklung besondere Aufmerksamkeit. Nach dem für alle Beteiligten ebenso großartigen wie einschneidenden Ereignis der Geburt folgt während der ersten 6–8 Wochen eine Phase, die Montanaro – wie zuvor schon Montessori – sehr einleuchtend als die eines ›symbiotischen Lebens‹ zwischen Kind und Mutter bezeichnet und beschreibt. Worüber selten geredet wird, findet sich hier in einem ausführlichen Kapitel: die Rolle und die Bedeutung des Vaters in der Beziehung zu Kind und Mutter.

    Besonders wichtig dürfte das Kapitel über die »Kommunikation mit dem Kind« sein und danach das über das Potenzial des Gehirns und den »absorbierenden Geist«.

    Sehr aufschlussreich ist unter anderem das zweite Kapitel, in dem die Autorin die psychologisch so bedeutsamen Erfahrungen von Trennung und Bindung erörtert, wobei explizit dargestellt wird, wie in der frühkindlichen Entwicklung Trennungen und neue Bindungen einander ablösen, wodurch der Fortschritt der Entwicklung gefördert wird. Dies zu erkennen ist Montanaro ein besonders wichtiges Anliegen.

    »Kinder sind wunderbare Wesen« schreibt Silvana Montanaro in der Widmung ihres Buches. Sie widmet das Buch den Eltern und allen Erwachsenen, die mit Kindern leben und bemüht sind, der Entwicklung dieser einmaligen, sensiblen jungen Menschen keine Hindernisse in den Weg zu legen.

    Für den Vorstand der Deutschen Montessori-Gesellschaft e. V.

    Ela Eckert

    »Lasst uns an einem Strang ziehen und mit einem Lied auf den Lippen gemeinsam auf das eine große Ziel hinarbeiten: Bedingungen zu schaffen, in denen unsere Kinder zu jener Art von Menschen heranwachsen können, die sie in den Augen Gottes sein sollen.«

    Mario Montessori (1898–1982)

    Widmung

    Ich möchte dieses Buch allen Eltern widmen, weil sie bei jedem Menschen die ersten Erzieher sind, ebenso wie allen »Assistants to Infancy« und Grundschullehrern. Je nach der Umgebung, die sie einem Kind bieten, steht es in ihrer Macht, sein Potenzial zu fördern oder dieses Potenzial in falsche Bahnen zu lenken und zu begrenzen.

    Kinder sind wunderbare menschliche Wesen. Ihr Leben als Eltern oder Erzieher zu teilen bietet uns die wertvolle Chance, unser eigenes Dasein zu bereichern und zugleich das Leben dort zu fördern, wo es seinen Anfang nimmt.

    Bei der Einweihung des ersten Kinderhauses, die am 6. Januar 1907 in Rom stattfand, also am Dreikönigstag, zitierte Maria Montessori den biblischen Propheten Jesaja, der im 60. Kapitel seines Buches vom Zug der Könige zum neugeborenen Heiland spricht: »Auf, werde licht, denn es kommt dein Licht …« (Jes 60,1). Sie empfand die Worte als gutes Omen für das Werk, mit dem sie gerade begonnen hatte.

    S. Q. M.

    Danksagung

    Meinen tiefsten Dank möchte ich Karen und Edward Voorhees aussprechen, die mir bei der Bearbeitung des englischen Manuskripts mit Rat und Tat zur Seite standen. Ohne ihre Mitarbeit, Geduld und Unterstützung wäre die englische Ausgabe des Buches nicht zustande gekommen.

    S. Q. M.

    Rom, November 1990

    Vorwort der Autorin

    Warum eine genaue Kenntnis des Kindes so wichtig ist

    In der 1948 erschienenen Auflage ihres Buches The Discovery of the Child (Die Entdeckung des Kindes) nannte Maria Montessori das Kind ein unbekanntes Wesen, und mit dieser Einschätzung hatte sie sicherlich nicht unrecht. Selbst heute, nach so vielen Jahren der Psychoanalyse, Psychologie, Psychiatrie und Kindermedizin, sind all diese Disziplinen noch nicht zu einer einzigen verschmolzen worden, und es ist ihnen nach wie vor nicht gelungen, auf die Erziehung des Menschen nennenswert Einfluss zu nehmen. Das Kind ist weiterhin ein Rätsel, besonders in seinen ersten drei Lebensjahren, obwohl uns nur allzu bewusst ist, dass gerade in diese Zeit die wichtigsten Phasen seiner persönlichen Entwicklung fallen. In genau dieser Zeit liegt die Erziehung des Kindes hauptsächlich in den Händen der Eltern (beziehungsweise anderer zur Familie gehöriger Erwachsener) oder wird, wenn beide Eltern berufstätig sind, von speziellen Institutionen übernommen, deren Mitarbeiter oft nur unzulänglich für ihre wichtige Aufgabe ausgebildet sind.

    Die Familie eines Kindes ist gewiss derjenige Faktor, der den größten Einfluss darauf hat, ob es sich positiv entwickelt. Allen Eltern sollte deshalb bewusst sein, dass sie den Schlüssel dazu in der Hand halten, ob ihr Kind zu einem glücklichen, ausgeglichenen und widerstandsfähigen Menschen heranwächst oder nicht. Um das reiche Potenzial eines jeden Kindes auszuschöpfen, ist kompetente Hilfe nötig. Maria Montessori nannte die Aufgabe, dem Kind bei seiner Entwicklung zu helfen, eine »Mission, die das Kind zwingt, zu wachsen und ein vollständiges menschliches Wesen zu werden, sich selbst zu verwirklichen. Aus diesem Grund kann das Kind auch wahrhaftig als der Vater des Erwachsenen gelten.«

    Es ist wichtig zu verstehen, dass wir bei der Geburt erst am Anfang der wichtigen Aufgabe stehen, Menschen aus uns zu formen, doch am nötigen Potenzial dafür fehlt es uns nicht. So sagt Erich Fromm: »Das gesamte Leben eines Individuums ist nichts anderes als ein Prozess des sich ständig selbst neu Gebärens: Voll und ganz geboren sind wir im Grunde erst, wenn wir sterben.« Doch wenn es auch zutreffen mag, dass wir für dieses Werk der Selbsterziehung eine ganze Lebensspanne benötigen, so ist die Erziehung im frühen Kindesalter doch besonders wichtig. Die ersten Jahre des Lebens sind im wörtlichen Sinne als das Fundament zu verstehen, auf dem die Persönlichkeit wie ein Gebäude errichtet wird. Wollen wir beim Errichten dieses Gebäudes auf sinnvolle Art helfen, sind allein Fleiß und guter Wille nicht genug; wir brauchen auch das nötige Wissen. Nur wenn wir unsere Liebe zum Kind mit den Erkenntnissen der Wissenschaft verbinden, können wir eine »neue Erziehung« erschaffen, welche die Entwicklung des Menschen zu fördern vermag und ihn angemessen auf unsere Welt vorbereitet. Diese Welt steckt voller großartiger technischer Errungenschaften, die der Menschheit zu echtem Fortschritt und wahrem Frieden verhelfen könnten, wenn sie nur auf die richtige Weise genutzt würden. Indem wir unsere Kinder auf sinnvolle Art unterstützen, können wir zu diesem Fortschritt beitragen. Für Maria Montessori bedeutete Erziehung, »Hilfe zum Leben« zu geben. Doch um darin erfolgreich zu sein, müssen sich Pädagogen sowohl über die Bedeutung als auch über die Grenzen ihrer Rolle im Klaren sein.

    Ziel dieses Buches ist, ein besseres Verständnis für das Kind zu vermitteln, von der pränatalen Phase bis zum Alter von drei Jahren, damit wir ihm gleich vom Anfang seines Lebens an die richtige Unterstützung bieten können. Bei meinen Ausführungen werde ich mich sowohl auf die jüngsten Erkenntnisse der Wissenschaft als auch auf die reiche Erfahrung beziehen, die ich selbst im Umgang mit Eltern und Kindern habe. Unsere Kinder besser zu verstehen hilft uns, auch uns selbst und unsere Umwelt besser zu verstehen. Darum dürfen wir bei unseren Überlegungen den allgemeinen Bezugsrahmen nicht aus den Augen verlieren, der für unser Dasein gilt, nämlich das Projekt Leben. Das große Potenzial, das jeder Mensch in sich birgt, kann sich nur im Zusammenspiel mit seiner Umwelt entfalten und nur mithilfe dieser Umwelt. Ein wichtiger Teil unserer Umwelt besteht jedoch immer auch aus anderen Menschen, denn nur sie können diese Umwelt so gestalten, dass das Leben sich darin gut entwickelt.

    Meiner tiefen Überzeugung nach beginnt jeder persönliche Veränderungsprozess damit, dass man neues Wissen in sich aufnimmt – das man dann für sich akzeptiert, seinem bisherigen Wissen hinzufügt und versteht. Dieses neue Wissen löst einen inneren Veränderungsprozess aus, der dann wiederum zu einer Änderung des Verhaltens führt. Mithilfe der Erziehung solche durch neues Wissen ausgelösten Veränderungen herbeizuführen bedeutet, einem Menschen echte Lebenshilfe zu bieten. Bei einer Vorlesung, die sie im Jahre 1931 in Rom gehalten hat, sagte Maria Montessori: »Um das Kind zu verstehen und es richtig erziehen zu können, müssen wir erst das Leben verstehen.«

    Einen Menschen zu erziehen beinhaltet jedoch immer auch, eine zwischenmenschliche Beziehung zu ihm einzugehen. Unsere Beziehungen zu Kindern bieten uns die besondere Möglichkeit, uns selbst zu vervollkommnen und unsere Wahrnehmung der Realität zu erweitern. Sie bieten uns die Chance, an unsere Grenzen zu gehen und intensiver am Leben teilzuhaben.

    Mit seinem enormen körperlichen und geistigen Potenzial kommt das Kind einem Wunder gleich, auch wenn wir das erst im Laufe der letzten Jahrzehnte wirklich verstanden haben. Es wäre gut, wenn wir unsere neue Sicht auf das Kind an möglichst viele Eltern, Erzieher und andere an Kindern interessierte Menschen weitergeben könnten, denn eine Erziehung, die ganz am Anfang des Lebens ansetzt, könnte für große Veränderungen in der Gesellschaft sorgen. Gleichzeitig sollten wir als Erzieher jedoch nicht vergessen, dass die Entfaltung des menschlichen Potenzials nicht ausschließlich in unserer Hand liegt. Wir können bei der Förderung dieses Potenzials nur eine »dienende« Rolle übernehmen, da seine Entfaltung sich in einer Umwelt abspielt, in der das richtige Funktionieren eines jeden Menschen von bestimmten Gesetzen abhängt und jede Entwicklung mit jener der ganzen Welt und des gesamten Universums in Einklang stehen muss.

    Das Hauptziel jeder Erziehung muss sein, dem Menschen zu einem besseren Selbstverständnis zu verhelfen und ihm Wege zum inneren Wachstum und zur Verwirklichung seiner Möglichkeiten aufzuzeigen, und zwar zu seinem eigenen Nutzen wie auch zu dem seiner Mitmenschen. In diesem Zusammenhang sind folgende grundsätzlichen Punkte wichtig:

    Jeder Mensch kommt mit einem enormen inneren Potenzial zur Welt.

    Jeder Mensch verfügt über großartige Mechanismen der Selbstregulierung, deren Arbeit wir oft behindern, indem wir unnötig in grundlegende Prozesse eingreifen.

    Jeder Mensch, der mit Kindern zu tun hat, ist wichtig und kann als »Erzieher« tätig werden, da er – das richtige Wissen vorausgesetzt – die Entwicklung des Kindes zu fördern vermag.

    Die Phase von 0–3 Jahren ist diejenige, in der Körper und Geist zu einer harmonischen Balance finden müssen, da das gesamte spätere Leben von dieser ersten Entwicklungsphase abhängt.

    Eine Erziehung, die sich als »Hilfe zum Leben« versteht, muss immer im Einklang mit unserer Vergangenheit stehen und gleichzeitig auf die Zukunft ausgerichtet sein. Wir sind Teil eines riesigen Experiments namens Evolution, das nunmehr schon seit mehr als vier Milliarden Jahren läuft. Diese gesamte Entwicklungsgeschichte wiederholt sich in der Entwicklung jedes einzelnen Menschen; die Ontogenese rekapituliert die Phylogenese.

    In diesem Buch werde ich mich mit den verschiedenen Stufen der menschlichen Entwicklung beschäftigen und mithilfe von Erkenntnissen aus sämtlichen Bereichen der Humanwissenschaften versuchen, die Bedeutung dieser Stufen zu ergründen. Die Forschung hat uns gelehrt, dass der Lebensenergie eines Menschen zwar kein vollständiger Einhalt geboten werden kann, sie jedoch manchmal vom rechten Weg abgelenkt wird, wodurch es dann zu körperlichen und seelischen Erkrankungen kommt. Um solche negativen Auswirkungen zu verhindern, brauchen wir ein möglichst genaues Wissen über das von uns zu erziehende Kind und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Mehr über das Kind zu wissen sollte zum Hauptziel unserer Bestrebungen und zur Grundlage einer neuen Form der Erziehung werden, die dem Menschen hilft, in emotionaler, geistiger und moralischer Hinsicht eine möglichst vollständige Persönlichkeit zu werden. Durch eine große Liebe zum Leben und ein besseres Verständnis des Kindes können wir jene auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Form der Erziehung erreichen, die Maria Montessori am Anfang des vergangenen Jahrhunderts begründete und von der die moderne Forschung zunehmend bestätigt, dass sie sich für eine vollständige Selbstverwirklichung des Menschen am besten eignet.

    1 Vor der Geburt¹

    Einleitung

    Um ein besseres Verständnis des Menschen zu gewinnen, hat die Forschung seine Entwicklung immer weiter bis in seine frühen Lebensphasen zurückverfolgt. Dank technischer Fortschritte ist es heute möglich, sich sogar ein Bild von jener Phase des Lebens zu machen, die sich verborgen im Mutterleib abspielt, und das hat zu vielen interessanten neuen Erkenntnissen geführt. Inzwischen ist es gang und gäbe, diese Phase als eine der wichtigsten in der menschlichen Entwicklung zu betrachten: Was in ihrem Verlauf geschieht, kann sowohl kurzfristig als auch langfristig wichtige Folgen für unser Leben haben.² Empfängnis und Schwangerschaft bilden sozusagen das erste Kapitel unserer persönlichen Lebensgeschichte, ein Kapitel, das ungefähr 280 Tage dauert und sich in einer Umwelt abspielt, die sich komplett von der Umwelt nach der Geburt unterscheidet. Doch selbst diese spezielle Umwelt bietet viele Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Interaktion, und bereits hier kann eine Pädagogik, die als »Hilfe zum Leben« verstanden wird, sinnvoll ansetzen. Menschen sind von Anfang an dynamische Wesen, die aktiv nach jeder Art von Stimulation suchen, die ihnen bei ihrem körperlichen und seelischen Wachstum helfen kann.

    In ihrem Buch The World of the Unborn Child betont Leni Schwartz, wie wichtig die Erfahrungen sind, die das Kind im Mutterleib macht, und zeigt, dass sie das gesamte spätere Leben beeinflussen können. Deshalb sollten wir uns unbedingt vor dem Irrglauben hüten, dass die Zeit vor der Geburt eine ereignislose Zeit sei, in der das Kind in vollkommener Sicherheit lebe, und dass die Probleme erst nach der Geburt anfingen. Wie jede andere Lebensphase kann auch diejenige im Mutterleib von vielen positiven und negativen Faktoren beeinflusst werden. Sobald uns die Schwangerschaft auffällt, ist das neue menschliche Wesen im

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