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Psychologie der Schwangerschaft: Veränderungen bewusst erleben und sich selbst verstehen
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eBook381 Seiten4 Stunden

Psychologie der Schwangerschaft: Veränderungen bewusst erleben und sich selbst verstehen

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Über dieses E-Book

Eltern zu werden geht mit tiefgreifenden Veränderungen der Persönlichkeit einher, vergleichbar mit denen in der Pubertät. Nicht nur der weibliche Köprer verändert sich daher, auch in der Psyche der werdenden Eltern spielen sich intensive physische Umwälzungen ab. Beide, Mutter und Vater, müssen mit mit Ängsten, Hoffnungen und mit neuen familiären Beziehungen zurecht kommen. Die Autorinnen beschreiben erstmalig detailliert die psychischen Prozesse, die Schwangerschaft, Geburt und Stillen für Paare mit sich bringen.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Herder
Erscheinungsdatum12. Juli 2016
ISBN9783451809941
Psychologie der Schwangerschaft: Veränderungen bewusst erleben und sich selbst verstehen

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    Buchvorschau

    Psychologie der Schwangerschaft - Luis Alvarez

    Luis Alvarez | Véronique Cayol

    Psychologie der Schwangerschaft

    Veränderungen bewusst erleben und sich selbst verstehen

    Aus dem Französischen von Antje Peter

    © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

    Alle Rechte vorbehalten

    www.herder.de

    Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler

    E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, München

    ISBN (E-Book) 978-3-451-80994-1

    ISBN (Buch) 978-3-451-61387-6

    Inhalt

    Impressum

    Vorbemerkung

    Einführung

    Erster Teil: Eltern werden

    Kapitel 1: Weshalb wünschen wir uns Kinder?

    Kapitel 2: Das Baby von gestern in den Eltern von heute

    Die elterliche Funktion

    Die mütterliche Funktion

    Die väterliche Funktion

    Bindungstheorie, Differenzierung und Ablösung

    Kapitel 3: Der Kinderwunsch – ein Ausweg aus dem Konflikt mit den Eltern

    Warum spielen kleine Kinder Eltern?

    Kapitel 4: Der Kinderwunsch macht es möglich, Geschlechterdifferenz und Generationenunterschied zu überwinden

    Die Geschlechterdifferenz

    Der Generationenunterschied

    Die Theorien zur infantilen Sexualität

    Kapitel 5: Der Kinderwunsch und das Kind der Träume – von der Kindheit zur Eltern­schaft

    Trauma und traumatische Erkrankungen

    Das Schocktrauma

    Das sekundäre Trauma

    Die Anhäufung von Mikrotraumata

    Die Latenzperiode

    Trauer

    Trennungen, Brüche und Bindungs­diskontinuitäten

    Inzestuöses familiäres Klima, Inzest und sexueller Missbrauch

    Inzestuöses familiäres Klima

    Inzest und sexueller Missbrauch

    Die Entdeckung von Liebe und Sexualität im Jugendalter

    Die Entdeckung von Liebe und Sexualität

    Inzestuöses familiäres Klima in der Jugendzeit

    Sexuelle Übergriffe

    Schlussbemerkung zum ersten Teil

    Zweiter Teil: Das Seelenleben in der Schwangerschaft

    Kapitel 6: Warum ist die Schwangerschaft eine Krise?

    Große körperliche Veränderungen in einer kurzen Zeitspanne

    Der Generationswechsel

    Ein Wandel der Identität

    Die Suche nach einer Bezugsperson

    Kapitel 7:»Hilfe, ich werde nicht schwanger!« – das Warten auf die Schwangerschaft

    Das Warten auf die Schwangerschaft

    Die psychologischen Faktoren der Unfruchtbarkeit

    Psychologische Aspekte der verschiedenen Formen von Unfruchtbarkeit

    Primäre Unfruchtbarkeit

    Sekundäre Unfruchtbarkeit

    Die Feststellung einer organischen Anomalie

    Der Weg der künstlichen Befruchtung

    Kapitel 8:»Hilfe, ich bin schwanger!« – Wie es sich anfühlt, wenn man eine Schwangerschaft feststellt

    Der Wunsch, schwanger zu werden

    Was geschieht im Moment der Befruchtung?

    Die Ambivalenz: »Bin ich sicher, dass ich ein Kind will?«

    Die Angst: »Wird mein Körper die Schwangerschaft bewältigen?«

    Die Unsicherheit: »Werde ich eine gute Mutter sein? Wird unsere Beziehung das aushalten?«

    Kapitel 9:Wie das erste Schwangerschafts­drittel erlebt wird – »Ich fühle mich nicht schwanger!«

    Was passiert beim Test auf Trisomie 21?

    Müdigkeit, Schläfrigkeit und Übelkeit

    Kapitel 10:Die psychologischen Herausforderungen des Ultraschalls

    Die Begegnung mit dem Baby von drinnen

    Das grundlegende Missverständnis

    Der Ultraschallarzt aus Sicht der schwangeren Frau

    Vorstellung und Anamnese

    Die Untersuchung

    Was die schwangere Frau sieht

    Die mütterlichen Träume

    Fötus, Kind der Träume, Baby?

    Schlussbemerkung zu Kapitel 10

    Kapitel 11:Wie das zweite Schwangerschafts­drittel erlebt wird – »Endlich sieht man, dass ich schwanger bin, auch wenn es nicht so ist, wie ich dachte«

    Die psychische Durchlässigkeit der schwangeren Frau

    Die Hinterfragung des körperlichen Ich-Bewusstseins der schwangeren Frau

    Die Besetzung des Kindes: zwischen Wirklichkeit und Imagination

    Die Neuordnung der Identität der schwangeren Frau

    Die psychische Undurchlässigkeit

    Die zweite Härteprüfung: Der Ultraschall im zweiten Trimester – Mädchen oder Junge?

    Stress, Arbeit und Schwangerschaft

    Kapitel 12:Wie das dritte Schwangerschafts­drittel erlebt wird – »Ich kann nicht mehr! Was erwartet mich?«

    Die körperliche Erfahrung des Schwanger­schaftsendes

    Primäre Mütterlichkeit (PMP)

    Die Antizipation der Geburt

    Der Weg des Babys von drinnen zum Baby von draußen

    Kapitel 13:Sind die Männer »schwanger«?

    Rund um die Zeugung

    Während der Schwangerschaft

    Das Couvade-Syndrom

    Das Ende der Schwangerschaft, die ­Geburt und die Begegnung mit dem Kind

    Schlussbemerkung zu Kapitel 13

    Kapitel 14:Unsere Familie verändert sich

    Die elterliche Funktion: Was heißt eigentlich Elternsein?

    Die Lage der Geschwister: Was wird aus den älteren Kindern?

    Die Erwartung eines Geschwisterkindes im ­zweiten Lebensjahr

    Die Erwartung eines Geschwisterkindes zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr

    Die Erwartung eines Geschwisterkindes zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr

    Die Erwartung eines Geschwisterkindes im Jugend­alter

    Kapitel 15:Ich erwarte Zwillinge

    Der Zweifel

    Zwillinge! Wie kann das sein?

    Der Schock der Erkenntnis

    Die Entwicklungskrise der Schwangerschaft wird intensiver

    Das Ende der Schwangerschaft und die Begegnung mit den Kindern

    Kapitel 16:Eine unglückliche Schwangerschaft

    Fetalpathologie

    Der Moment der Mitteilung

    Die Anomalie verstärkt die für jede Schwangerschaft ­typische Angst, Ambivalenz und Unsicherheit

    Die Anomalie verknüpft sich mit Ereignissen aus der ­Vergangenheit

    Die Anomalie lässt die Kluft zwischen Fötus und Baby ­größer werden

    Die Anomalie ist ein Angriff auf die psychische Integrität der Eltern

    Die Anomalie stellt die Weitergabe des Lebens infrage

    Die Zeit für die Fortschritte in der Fetalmedizin

    Die Zeit der Entscheidung und der Erstellung eines Geburtsplans

    Das Geburtsprojekt

    Der Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer ­Indikation

    Frühgeburten

    Die Situation des frühgeborenen Kindes

    Die Begegnung zwischen dem Frühgeborenen und seinen Eltern

    Der pränatale Verlust

    Die undenkbare pränatale Trauer

    Dritter Teil: Die Psyche rund um die Geburt und die Begegnung mit dem Kind

    Kapitel 17:Die Geburt steht bevor – »Los, lass uns gehen!«

    Die Geburtserfahrung

    Kapitel 18:Die erste Begegnung mit dem Kind

    Die Zeit unmittelbar nach der Geburt

    Die Situation der Mutter

    Die Situation des Vaters

    Die Situation des Babys

    Kapitel 19:Die Rückkehr nach Hause

    Die Entdeckung des Babys

    Kapitel 20:Stillen und orale Phase

    Der Milcheinschuss

    Die Illusion, die Schwangerschaft durch das Stillen fortsetzen zu können

    Das Thema Unabhängigkeit

    Die orale Phase

    Das Stillen als unzulässige sexuelle Handlung

    Kapitel 21:Der Babyblues

    Kapitel 22:Der Verlauf der Mutterschaft oder: Wie vermeidet man die Einsamkeit der Mütter?

    Vierter Teil: Psychiatrische Aspekte der Schwangerschaft und der ersten Zeit nach der Geburt

    Kapitel 23:Risikofaktoren – Wann sind Frauen gefährdet?

    Die Krankengeschichte und die Schwangerschaft

    Körperliche Krankheiten bei den Eltern

    Psychosoziale Faktoren

    Kapitel 24:Grundsätzliches zur Psychopathologie der Schwangerschaft

    Kapitel 25:Die Psychopathologie der Schwangerschaft

    Vorgeburtliche psychosomatische Krankheiten

    Hyperemesis gravidarum – schwere Schwanger­schaft­sübelkeit

    Die drohende Frühgeburt

    Anpassungsstörungen an die Situation der Schwangerschaft

    Depressionen in der Schwangerschaft

    Der wehmütige Blick zurück, die Ambivalenz und die normalen Ängste jeder Schwangerschaft

    Das Eintreten einer ersten depressiven Episode

    Die Verleugnung der Schwangerschaft

    Kapitel 26:Die Psychopathologie in der ersten Zeit nach der Geburt

    Das posttraumatische Belastungssyndrom (PTBS) nach der Geburt

    Die postnatale Psychose

    Die postnatale Depression (PND)

    Schlussbemerkung

    Literatur

    Informationen zu den Autoren

    Vorbemerkung

    Dieses Buch handelt von den psychischen Veränderungen, die mit der Weitergabe des Lebens verbunden sind. Es geht also um die Situation von Frauen und Männern während der Schwangerschaft, während der Geburt und bei der ersten Begegnung mit dem Kind. Dabei bestand unsere Aufgabe darin, die äußerst komplexe Funktionsweise der menschlichen Psyche während dieser Lebensphase für jedermann verständlich darzustellen, ohne die Zusammenhänge allzu sehr zu vereinfachen und auf unsere klinischen Erfahrungen zu verzichten. Dazu ein paar Worte vorab.

    Es erschien uns notwendig, zuerst die wichtigsten Etappen zu erläutern, die zur Konstituierung der erwachsenen Persönlichkeit führen. Und zwar aus zwei Gründen: zunächst, um den für jeden Menschen einzigartigen Weg zu beschreiben, der von der Kindheit zur Elternschaft führt; und dann, um deutlich zu machen, inwiefern er während einer Schwangerschaft erneut an Aktualität gewinnt. In diesem Sinne bilden die hier vorgestellten theoretischen Konzepte gewissermaßen die Grundlage dafür, die vielfältigen Erfahrungen besser zu verstehen, die Körper und Seele durchleben, dann gedanklich strukturiert werden und die Menschen schließlich auf unterschiedliche und einzigartige Weise zu Eltern machen. Es geht hier also bewusst nicht um einen modellhaften, normativen Weg zur Elternschaft.

    Die Einsicht, wie komplex die Zusammenhänge tatsächlich sind, soll uns auch davor bewahren, allzu simplifizierende und beschränkte Schlüsse zu ziehen und eine unmittelbare, eindeutige Beziehung zwischen einem Ereignis aus der Vergangenheit und den Erfahrungen der Gegenwart abzuleiten. Eine solche Sichtweise würde uns an die guten oder schlechten Aspekte der Vergangenheit ketten und uns zugleich – durch die Konstruktion eines alles begründenden Determinismus – jeder Freiheit berauben. Unser Ziel ist vielmehr, den Leserinnen und Lesern dieses Buchs Einblick in die komplexen Zusammenhänge der menschlichen Seele zu gewähren, die aus einem fortwährenden Ineinandergreifen der Erlebnisse der Gegenwart und der Ereignisse in unserer Vergangenheit hervorgeht – dergestalt, dass die Gegenwart Einfluss darauf nimmt, wie wir die Vergangenheit interpretieren und wie unsere Vergangenheit wiederum unsere Vorstellung von der Gegenwart bestimmt. Dieses Ineinandergreifen hat einerseits zur Folge, dass unsere Erinnerungen die Gegenwart bereichern; andererseits schützt uns der sich verändernde Blick auf die Vergangenheit davor, zu Gefangenen unserer eigenen Geschichte zu werden.

    Wir hoffen, dass wir den werdenden Eltern mit diesem Buch eine Art Reiseführer zum eigenen Kind mit auf ihren Weg geben können, auf dem sie die Hauptfiguren sind. Durch die persönlichen Erfahrungsberichte wird sich die schwangere Frau ebenso wie der künftige Vater angesprochen fühlen, und beide können sich über ihre eigene Situation klar werden. Auch wenn dieses Buch keine Konsultation eines Fachmanns für pränatale Psychopathologie ersetzen kann, so darf es doch als Hilfestellung für all jene gelten, die in einem entscheidenden Moment ihres Lebens zu Recht nach Hilfe suchen: dem Moment, in dem sie zu Eltern werden.

    Dieses Buch ist die Frucht einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen einer Geburtshelferin und einem auf das ungeborene Kind spezialisierten Psychiater – eine Zusammenarbeit, bei der es gleichermaßen um das Wohl der schwangeren Frau, das Wohl des Paares und des ­Babys geht. Bei der Arbeit an diesem Buch haben wir daher versucht, die Verschränkungen zwischen Körper und Seele sowie die ungemein intensiven Bindungen, die zwischen dem Baby und seinen Eltern auf dem Weg ins Leben entstehen, zu berücksichtigen. Indem wir Körper und Psyche als Einheit verstehen und achtsam mit den sich frühzeitig entwickelnden Beziehungen umgehen, eröffnet sich uns ein ebenso umfassender wie respektvoller Blick auf das überwältigende Ereignis der Geburt eines Kindes.

    Einführung

    Die Möglichkeit, schwanger zu werden, ein Kind auszutragen und auf die Welt zu bringen, es anschließend zu ernähren und großzuziehen, ist nicht nur eine der größten Herausforderungen für jede Frau, sondern auch für das Paar und nicht zuletzt für den Erhalt unserer Art insgesamt. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Licht- und Schattenseiten weiblicher Fruchtbarkeit, die die Geschichte der Menschheit begleiten, schon immer zugleich Gegenstand von Faszination und Schrecken gewesen sind. Wie sehr man vom Geheimnis der Weitergabe des Lebens, von Mütterlichkeit, Abstammung, Vererbung und der Ausbildung eines Gedächtnisses fasziniert war, so sehr war man auch erschreckt vom Schatten der Unfruchtbarkeit, einer unglücklichen Schwangerschaft und dem Leiden und Tod während der Geburt. In der Kunst findet man einen Widerhall jener Faszination für die Fruchtbarkeit, wie dies etwa die sinnlichen Venusstatuen aus Elfenbein bezeugen, die unsere Vorfahren geschaffen haben, ebenso wie die unzähligen Gemälde, deren Gegenstand Mariä Verkündigung oder Mariä Heimsuchung sind. Auch in vielen mythologischen und religiösen Erzählungen besitzt die Geburt einen zentralen Stellenwert.

    Unsere moderne Gesellschaft ist nicht mehr ganz so tolerant. Sie basiert auf Eile und Unmittelbarkeit, verherrlicht den Individualismus und nährt so die Illusion, man habe das Leben unter Kontrolle. In diesem Zusammenhang hat sich der Platz, den die Frau, der Mann und das Kind jeweils einnehmen, grundlegend verändert. Die Frau muss einen Kompromiss finden zwischen ihren beruflichen Zielen, ihrer Weiblichkeit, dem Paar- und Beziehungsleben – ein Umstand, der häufig dazu führt, dass sie die Entscheidung für ein erstes Kind immer weiter hinauszögert. Männlichkeit wiederum ist heutzutage nicht mehr so sehr an Attribute wie Kraft und Virilität gebunden. Männer erlauben sich viel eher, ihre Neugier, das heißt ihre Lust auf feminine Verhaltensmuster auszuleben, was dazu führt, dass einige von ihnen mit ihrer Partnerin förmlich um die Mutterstellung rivalisieren. Nicht zuletzt haben auch die Fortschritte in der Medizin, die zu deutlich mehr Sicherheit bei Geburt und ärztlicher Versorgung geführt haben, der verbreitete Gebrauch von Verhütungsmitteln und die erst später vorhandene Bereitschaft, Eltern zu werden, dazu beigetragen, dass sich unter den Paaren die Illusion verbreiten konnte, die Weitergabe des Lebens liege ganz in ihrer Hand. Aus diesem Grund und im Gegensatz zu vorangegangenen Generationen fühlen sich heute viele Eltern nicht mehr so verantwortlich für die Erziehung ihrer Kinder. Im Übrigen scheinen sie auch weniger bereit, eigene Bedürfnisse mit denen der Kinder abzustimmen. Mehr noch: Einige Kinder werden nur deshalb in die Welt gesetzt, um die Bedürfnisse der Erwachsenen zu befriedigen – eine heikle Konstellation, da die Verletzlichkeit dieser Kinder, ihre Schwäche und Abhängigkeit von der Erwachsenenwelt, leicht missverstanden werden können. Die sich verändernden Beweggründe, einen Kinderpsychiater zu Rate zu ziehen, spiegeln diesen Wandel in den familiären Strukturen. Sie reichen von: »Herr Doktor, unser Kind hat Probleme in der Schule« über »Was haben wir als Eltern falsch gemacht?« bis hin zu: »Mathieu kann nachts nicht schlafen … Ich bin auf der Arbeit müde und ich kann nicht mehr … In der Kindertagesstätte hat man uns geraten, Sie zu konsultieren. Mein Mann hatte übrigens keine Zeit mitzukommen … Ich schicke ihn her, damit er besser schlafen kann.«

    Dieser Einblick in den Kontext, in den ein Kind heute hineingeboren wird, ist weniger ein nostalgischer Blick in eine vermeintlich bessere Vergangenheit als ein Hinweis auf die Veränderungen, denen sich Eltern gegenübersehen. Indem wir auf diese Veränderungen aufmerksam machen, wollen wir die Eltern in ihrer wichtigen Rolle bestärken. Sie besteht darin, ihre Kinder zu ausgeglichenen, selbstbewussten Erwachsenen werden zu lassen, zu Bürgern der Welt, in der sie leben.

    Bereits vor der Geburt ist die Erwartung eines Kindes ein einschneidendes Erlebnis für die künftigen Eltern. Eltern zu werden ist mit einer tiefgreifenden Veränderung der Identität verbunden, die zum Teil mit den Umbrüchen während der Jugend vergleichbar ist. Der Übergang vom Status, das Kind seiner Eltern zu sein, zur Aussicht, selbst zu Eltern eines Kindes zu werden, ist nicht nur mit körperlichen Veränderungen verbunden, sondern auch mit einem tiefgreifenden Wandel der seelischen Intimität und einer Neudefinierung der familiären Bindungen. Die Bedeutung dieser drei Elemente für die künftigen Eltern kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die körperlichen Veränderungen betreffen sowohl die physischen Umstände, die eine Schwangerschaft zwangsläufig mit sich bringt, das heißt die Entstehung eines neuen Lebens im Mutterleib, als auch die Strapazen der Geburt und des Wochenbetts sowie das Einschießen der Milch. Durch die Veränderungen in der Psyche ist es möglich, mit den körperlichen Strapazen fertig zu werden und sich auf die Geburt und den täglichen Umgang mit dem Neugeborenen einzustellen. All dies ist Teil der Konstruktion einer neuen Identität als Eltern. Die Neudefinierung des Familienzusammenhangs trägt ihrerseits dazu bei, den Platz vorzubereiten, den dieses Kind in seiner Beziehung zur Mutter, zum Vater, in seiner eigenen Geschichte und in der Gesellschaft einnehmen wird. Und noch eine letzte Parallele lässt sich zwischen diesen beiden Lebensphasen beobachten: In beiden Situationen geht es um die Überwindung einer Krise. Wie das Jugendalter, so kennt auch die Schwangerschaft unterschiedliche Formen der Krise, die hinsichtlich Natur und Ausmaß variieren können und von »normalen« Entwicklungen bis hin zu besorgniserregenden Zuständen reichen können. Der Begriff »Krise« ist hier in seiner ursprünglichen Bedeutung (griechisch: krisis) verstanden, das heißt im Sinne einer plötzlichen Entscheidung, die eine Veränderung herbeiführt. In dieser Perspektive werden der Jugendliche wie die schwangere Frau dazu veranlasst, sich für eine größere Veränderung auf ihrem Lebensweg zu »entscheiden«. Der Terminus »Krise«, wie er hier verwendet wird, impliziert daher keinen negativen Ausgang, sondern ist lediglich Ausdruck einer Veränderung.

    Dieses Buch ist ein Erfahrungsbericht über die Weitergabe des Lebens, der beim Kinderwunsch beginnt und über das Erleben der Schwangerschaft bis hin zur Begegnung mit dem Baby reicht. Dabei wird es zum einen um die üblichen psychischen Veränderungen gehen, die mit der Schwangerschaft verbunden sind; die folgenden Seiten sind also auch als eine Art intimes Reisetagebuch für werdende Eltern zu lesen. Zum anderen soll es um die psychologischen und psychiatrischen Befindlichkeiten gehen, die häufig mit der Schwangerschaft einhergehen. In diesem Sinne können die psychischen Probleme gewissermaßen als eine Steigerung jener Dynamik verstanden werden, die darauf zielt, Eltern auf ihre bevorstehende Rolle vorzubereiten. Bei den psy­chiatrisch relevanten Problemen muss zudem grundsätzlich zwischen zwei unterschiedlichen Zielgruppen unterschieden werden: zwischen schwangeren Frauen, die bereits vor ihrer Schwangerschaft unter psychischen Störungen litten, und solchen, deren psychische Störungen ausschließlich durch die mit der Schwangerschaft verbundenen Umwälzungen hervorgerufen sind.¹

    Wir möchten den Leserinnen und Lesern eine Art psychologischen Leitfaden für den entscheidenden Moment, in dem sie zu Eltern werden, an die Hand geben. Wir möchten, dass die hier behandelten Gespräche mit schwangeren Frauen und werdenden Vätern Ihnen dabei helfen, sich in die Rolle der Eltern zu begeben und die Geburt Ihres Kindes bewusst zu erleben. Unser Anliegen ist also zum einen pädagogischer Natur, zum anderen soll psychischen Störungen, die der Elternschaft vorausgehen können, vorgebeugt werden. In manchen Fällen könnte dieses Buch auch dazu führen, dass sich künftige Eltern über die Instabilität ihrer Situation klar werden und möglicherweise konkrete Hilfe in Anspruch nehmen. Dazu gibt es vielfältige Möglichkeiten. Wir möchten Sie dazu ermutigen, in solchen Fällen einen kundigen Psychologen zu konsultieren, da der Leidensdruck einerseits unvorstellbar groß sein kann und sich Unsicherheit und Ängste andererseits auf das ungeborene Kind übertragen und die Beziehung zwischen ihm und seinen Eltern beeinträchtigen können. Heutzutage arbeiten Hebammen, Geburtshelferinnen und Kinderärzte in pränatalen Netzwerken eng mit Psychologen und Sozialarbeitern zusammen. So kann das Klinikpersonal, das mit der Geburt eines Kindes beschäftigt ist, den Familien bei Bedarf eine angemessene psychologische oder psychiatrische Betreuung angedeihen lassen. Schließlich möchten wir an dieser Stelle dem Wunsch Ausdruck verleihen, dass die Politik in naher Zukunft eine pränatale Gesundheitsvorsorge auf den Weg bringt, bei der die mit der Entstehung neuen Lebens verbundenen Erfahrungen in ihrer ganzen Tragweite und Bedeutung für die Kinder selbst, aber auch für die Eltern, die Familien und nicht zuletzt die Gesellschaft insgesamt gesichert werden.


    1 In der französischen Originalausgabe befasst sich ein Kapitel speziell mit Frauen, die bereits vor der Schwangerschaft unter psychischen Störungen litten. Mit Zustimmung der Autoren hat sich der deutsche Verlag entschieden, dieses Kapitel nicht zu übernehmen, da die Fragen dieser Leserinnen und Leser schließlich doch weiter führen, als es ein Kapitel leisten kann. Ebenfalls nicht in die deutsche Ausgabe aufgenommen wurden ein Abschlusskapitel über soziale Hilfsangebote für Schwangere sowie eines über die Psychopharmakologie in der Schwangerschaft, da diese Angebote in Frankreich nicht denen in Deutschland, Österreich und der Schweiz entsprechen.

    Erster Teil: Eltern werden

    Kapitel 1: Weshalb wünschen wir uns Kinder?

    Unsere Spezies, die des Homo sapiens, gehört zur großen Familie der Hominiden, von der die Erde seit über 10 Millionen Jahren bevölkert wird. Damit sind wir das letzte Glied einer Kette, die uns mit unseren Vorfahren verbindet, mit deren Lebenshauch uns Erinnerung und Kultur, Schatten und Licht, Ängste und Hoffnungen, Freuden und Leiden weitergegeben wurden. Indem wir unseren Platz im unaufhaltsamen Fluss der Generationen einnehmen, ergreift auch uns, so wie unsere Vorfahren, der Wunsch nach einem Kind, um uns auf diese Weise dem Geheimnis der Weitergabe des Lebens zu nähern. Jorge Luis Borges, der selbst keine Kinder hatte, beschreibt mit der Sprache der Poesie dieses Geflecht von Männern und Frauen, das sich von der unermesslich weit zurückliegenden Vergangenheit über das große Versprechen dessen, was sein wird, erstreckt.

    An den Sohn²

    Nicht ich hab dich gezeugt. Es sind die Toten.

    Mein Vater, sein Vater und seine Ahnen;

    die durch ein langes Labyrinth der Liebe

    gingen seit Adam und den Wüsten Kains

    und Abels, eines Morgens, der so alt ist,

    dass er längst der Mythologie gehört,

    und kamen, Blut und Mark, auf diesen Tag

    der Zukunft, an dem ich dich heute zeuge.

    Ich fühle ihre Menge. Wir sind wir,

    und zwischen uns du und die künftigen

    Söhne, die du noch zeugen musst. Die letzten

    und die des roten Adam. Diese andren

    bin ich auch. Die Ewigkeit liegt in den

    Dingen der Zeit, die hastige Formen sind.

    Borges’ Worte zeigen, dass es beim Menschen kein Reproduktionsgesetz gibt – ein Umstand, der dazu führt, dass uns der Mutterinstinkt ebenso abhandengekommen ist wie der Trieb zur Arterhaltung. Der Fortpflanzungstrieb ist dem Tierreich vorbehalten, er gehorcht einem strengen genetischen Determinismus und einer genau festgelegten Abfolge von angeborenen Verhaltensweisen. Wenn die Exemplare einer Art die Geschlechtsreife erreichen und die ökologischen Gegebenheiten es zulassen, veranlasst ihr Erbgut den Eisprung, und sie beginnen mit der Auswahl eines Partners, damit es zur Paarung kommt. Es folgen Trächtigkeit, Gebären und Aufzucht der Jungen. Sobald die Sprösslinge autonom sind, schließt sich, ebenfalls genetisch bedingt, ein weiterer Lebenszyklus an, indem die Jungen durch den brutalen Abbruch jeder mütterlichen Betreuung zu Fremden werden. Anders bei der menschlichen Art: Keine Frau und kein Mann sind in ihrem Verhalten von einem genetischen Determinismus bestimmt, der ihnen etwa den Moment der Fortpflanzung vorschreibt oder ihnen die elterlichen Kompetenzen als angeboren mitgibt. Die Komplexität und der hohe Entwicklungsstand unseres Organismus haben uns von den Instinkten befreit, sodass unsere Existenz vor allem auf der Fähigkeit beruht, Beziehungen aufzubauen, Gefühle zu teilen und mithilfe der Sprache eine Kultur zu begründen. Unser Überleben wird durch die Fähigkeit gesichert, uns in der Gemeinschaft zu konstituieren. In der Konsequenz beruht die Weitergabe des Lebens beim Menschen nicht nur auf der Übereinstimmung passender biologischer Gegebenheiten, sondern auch auf dem aktiven Wunsch und Willen erwachsener Personen, die jeweils vor einem spezifischen familiären, historischen und kulturellen Hintergrund agieren.

    Der Wunsch, Kinder zu bekommen, ist für jede Frau und jedes Paar eine einzigartige und persönliche Entscheidung. Daher ist es schwierig, hier allgemeingültige Aussagen zu treffen. Wir werden einige Beispiele für diesen komplexen Zusammenhang in dem Abschnitt untersuchen, der sich speziell mit dem Thema Empfängnis beschäftigt. In diesem Kapitel wird es zunächst um den Kinderwunsch gehen, der als gewaltige Kraft in uns allen wohnt und uns dazu bringt,

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