TTIP/CETA Handelsabkommen Themenzusammenfassung
Von Thom Delißen und Peaceway/wiki
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Über dieses E-Book
und nichttarifären Handelshemmnissen zwischen den USA und der EU. Besonders
der Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse fördere das
Wirtschaftswachstum in den beteiligten Ländern erheblich, indem es Kosten
für exportierende Unternehmen in der EU und den USA senke und damit das
Außenhandelsvolumen vergrößere. Allerdings ist stark umstritten, wie
positiv oder negativ die jeweiligen wirtschaftlichen Effekte insgesamt und
für einzelne Länder ausfallen könnten. Auch die Effekte auf den Weltmarkt
und Länder der Dritten Welt werden diskutiert. Strittig ist auch, ob und
inwieweit auch Arbeitnehmer und Verbraucher oder lediglich
Kapitalinteressen von Großkonzernen von den prognostizierten Effekten
profitieren würden.
Einige Auftragsstudien von EU-Kommission oder Regierungen sehen in ihren
optimistischsten Prognosen positive Auswirkungen auf das
Wirtschaftswachstum und den Arbeitsmarkt in den meisten der beteiligten
Länder. Diese Studien werden von Teilen der Wirtschaft, der Politik und der
Wissenschaft als unrealistisch kritisiert. Kritische Studien kommen zu dem
Schluss, bei Zunahme des transatlantischen Handels könnte der
innereuropäische Handel sogar abnehmen. Zudem werden eine gesteigerte
makroökonomische Instabilität, ein negativer Einfluss auf das
Wirtschaftswachstum und den Arbeitsmarkt sowie eine sinkende Lohnquote
prognostiziert. Auch die Effekte für die Handelsbeziehungen mit Ländern
außerhalb von TTIP wie Russland, China, die BRICS-Staaten insgesamt und die
Entwicklungsländer werden von Kritikern, aber zum Teil auch von
Befürwortern, eher negativ veranschlagt.
Thom Delißen
Thom Delißen Alter Holzgarten 1 85435 Erding Tel. 08122 18553 Mail: TDTextdesign@aol.com Jahrgang 63, geboren in Münster, aufgewachsen in Oberbayern. Der Autor verbrachte Jahre in Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, Brasilien, Indien. Seine Kurzgeschichten und Lyrik versuchen das Rätsel nach dem Sinn und Sein zu hinterfragen, wollen auf die letzten Ziele – die Liebe und die Heiterkeit hinweisen. Verleger und Chefredakteur der Literaturzeitschrift "Schrieb". Veröffentlichungen in Tageszeitungen, Literaturzeitschriften (Wienzeile, Maskenball, Bohnenstange, Brücke, Federwelt, Kult u.v.m.) Krimi-Magazinen, Anthologien. Mitautor Chronik Erding, Ex-Chefredakteur der regionalen Literaturzeitschrift "GedankenSprung". Organisator der Initiative "Worte und Taten". Mitglied der internationalen Autorengruppe "ProLyKu". "Question Authority" Kurzgeschichtensammlung von Thom Delißen/ Lyrik und Prosa erschienen im FV-Verlag/Lübeck Hörspiel "Rhéethron" Die Sätze. (u.v.m) "The Vanderbilt Berlin Wall Project" Brockmann "Mordsapfel" Sieben-Verlag "Criminalis" Pushmann "Wir bei C&C" (Hrsg. Metro 2008) "Der Teddybär" 2008 TD Textdesign "Plattform Carpe Diem" (Burger) "Spurenwelt" (Website Verlag) "100 % Worte für Brot" (FV-Verlag) CD "Gedankengischt" (TD Textdesign) CD "Do sei" Bayerische Texte CD Textsammlung "Fetzen" (TD Textdesign) "Die ganze Welt gesehen" (FV-Verlag) "10 X 10" Lyrikprojekt (Edition Thaleia) "Jeder Friedensgedanke ein Gedicht" Edition Octopus, Geest-Verlag Literamus (Trier) "Ene Mene Mu (Spendenedition TD Textdesign) und andere. Zahlreiche Veröffentlichungen im Internet Streitschriften, Kurzgeschichten, Lyrik. Unter dem Namen Th. Om kommt der Autor nunmehr mit seinen Werken der Ur-Bestimmung nach. Der Liebe wieder ihren Platz zu geben. "Ein Buch in Antworten" "Der Wanderer" "Die absolute Schöpfung" "Die lächelnde Unbedingtheit" "Die zärtliche Ewigkeit" "Das oberste Ziel eines jeden freiheits- und verantwortungsbewussten Menschen kann immer nur sein, Manipulation zu unterlaufen, Informationen zu beschaffen und zu veröffentlichen ..." Pages: www.th-om.com www.12Worte.de www.ABIA.th-om.com
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TTIP/CETA Handelsabkommen Themenzusammenfassung - Thom Delißen
Thom Delißen
TTIP/Ceta
Handelsabkommen
Themenzusammenfassung
Herausgeber:Peaceway
1. Auflage 06/2016
Verlag TD Textdesign
Inhalt
1. Transatlantisches Freihandelsabkommen
2. TTIP
3. Comprehensive Economic and Trade Agreement
4. Trade in Services Agreement
5. Anti-Counterfeiting Trade Agreement
6. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen
7. Welthandelsorganisation
8. Race to the bottom
9. Finanzkrise ab 2007
10.WikiLeaks
11.Veröffentlichungen von WikiLeaks
12.TTIP Leaks
13.Enthüllungsplattform
14.Cryptome
15.Medientransparenz
16.Weltsozialforum
17.Greenpeace
18.Campact
19.Europäische Bürgerinitiative
20.Umweltschutzorganisation
21.Rechtsbehelf
22.Souveränität
23.Rechtsstaat
24.E-Partizipation
25.Whistleblower
26.Informationsfreiheit
27.CL-Netz
28.Initiative Transparente Zivilgesellschaft
29.Streisand-Effekt
30.Electronic Frontier Foundation
31.Unterschriftensammlung
32.Unterschriftenaktion
33.Protest
34.OpenPetition
35.Amadeu Antonio Stiftung
36.Attac
37.Nichtregierungsorganisation
38.Centre for Economic Policy Research
39.Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
40.Wirtschaftliche Integration
41.Freihandelsabkommen
42.Tarifäres Handelshemmnis
43.Nichttarifäres Handelshemmnis
44.Kulturelle Ausnahme
45.Kapitalismus
46.Freiheit
47.Keynesianismus
48.Lobbyismus
49.Lobbypedia
50.Lobbyregister
51.Wettbewerb (Wirtschaft)
52.Interessenvertretung
53.Öffentliche Meinung
54.Öffentlichkeitsarbeit
55.Massenmedien
56.Interessenverband
57.Public Affairs
58.Politolinguistik
59.Politikberatung
60.Vierte Gewalt
61.Antichambrieren
62.Hofschranze
63.Stakeholder
64.Bestechung
65.Vereinigte Staaten
66.Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten
67.Transpazifische Partnerschaft
68.Außenpolitik der Vereinigten Staaten
69.Wirtschaft der Vereinigten Staaten
70.Bundesregierung (Vereinigte Staaten)
71.Politisches System der Vereinigten Staaten
72.Gesellschaftsrecht der Vereinigten Staaten
73.Pazifische Gemeinschaft
74.Amerikanische Freihandelszone
75.Nordamerikanisches Freihandelsabkommen
76.Handelsministerium der Vereinigten Staaten
77.Globalisierung
78.Globalisierungskritik
79.Paul Krugman
80.Joseph E. Stiglitz
81.Michael Froman
82.Richtlinie 2004/48/EG (Schutz der Rechte an geistigem Eigentum)
83.Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen
84.Turbokapitalismus
85.RCEP
86.ASEAN Freihandelszone
87.Asiatisch-pazifische Wirtschaftsgemeinschaft
88.Batam
89.Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit
90.Südasiatische Vereinigung für regionale Kooperation
91.Freihandelsabkommen der Europäischen Union
92.Europäische Identität
93.Europäische Union
94.Stabilisieungsabkommen
95.Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen
96.Uruguay-Runde
97.Freihandelsabkommen der Europäischen Union
98.Erweiterung der Europäischen Union
99.Europäische Zollunion
100.Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
101.Gemeinsame Fischereipolitik
102.Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
103.Warenverkehrsfreiheit
104.Gemeinsame Handelspolitik
105.Fraktion im Europäischen Parlament
106.Präsident des Europäischen Parlamentes
107.Europawahl
108.Europäischer Rat
109.Europäischer Gerichtshof
110.Europäische Kommission
112.Gemeinschaft unabhängiger Staaten
113.Vertiefte und umfassende Freihandelszone
114.Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine
115.Regionaler Kooperationsrat
116.Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit
117.Europäische Freihandelsassoziation
118.Europäischer Wirtschaftsraum
119.Europäisches Parlament
120.Eurasische Wirtschafts-gemeinschaft
121.Freihandelszone Varaždin
122.Hoyvíker Abkommen
123.Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft
124.Südafrikanische Zollunion
125.Gemeinsamer Markt für das Östliche und Südliche Afrika
126.Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion
127.Gemeinschaft der Sahel-Sahara-Staaten
128.Greater Arab Free Trade Area
129.Dubai Healthcare City
130.Golf-Kooperationsrat
131.Arabischer Kooperationsrat
132.Mercosur
133.DR-CAFTA
134.Floridasur
135.Organisation Amerikanischer Staaten
136.Handelsvertrag der Völker
137.Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten
138.Union Südamerikanischer Nationen
139.Andengemeinschaft
140.Universidad Andina Simón Bolívar
141.Zentralamerikanischer gemeinsamer Markt
142.Gruppe der Drei
143.Bolivarianische Allianz für Amerika
144.Pazifik-Allianz
145.Doha-Runde
146.MAI.
147.Schiedsgerichtsbarkeit
148.Investor-state dispute settlement
149.Alternative Dispute Resolution
150.Floridasur
151.Währungsunion
152.Investitionsschutzabkommen
153.Völkerrechtlicher Vertrag
154.Ministerrat
155.Demokratie
156.Transparenz (Politik)
157.Zoll (Abgabe)
158.Umweltschutz
159.Verbraucherschutz
160.Sozialpolitik
161.Gesundheitspolitik
162.Ware
163.Dienstleistung
164.Kapital
165.Wirtschaftswachstum
166.Allgemeines Gleichgewichtsmodell
167.United Nations Global Policy Model
168.Öffentlicher Auftrag
169.Vorsorgeprinzip
170.Chilling effect
171.Außenhandel
172.Multinationales Unternehmen
173.Binnenmarkt
174.Welthandelsrunde
175.Protektionismus
176.Außenwirtschaftstheorie
177.Planetary Boundaries
178.Selbstbestimmungsrecht der Völker
179.Territoriale Integrität
180.Dekolonisation
181.Integrales und summatives Rechtsstaats-verständnis
182.Formeller und materieller Rechtsstaat
183.Produktbegleitende Dienstleistung
184.Agenda Setting
185.Drehtür-Effekt
186.Kommunikationspolitik
187.Parlamentarischer Abend
188.Spin-Doctor
189.Delaware-Effekt
190.Entschleunigung
191.Neoliberalismus
192.Washington Consensus
193.Cybergesellschaft
194.Internetrecht
195.Verwaltungsethik
196.California-Effekt
197.Arbeitsmigration
198.Braingain
199.Zwischenstaatliche Schiedsgerichtsbarkeit
200.Zum ewigen Frieden
Transatlantisches Freihandelsabkommen
Das Transatlantische Freihandelsabkommen, offiziell Transatlantische
Handels- und Investitionspartnerschaft (englisch Transatlantic Trade and
Investment Partnership, TTIP, früher Trans-Atlantic Free Trade Agreement,
TAFTA), ist ein vorgeschlagenes Freihandels- und Investitionsschutzabkommen
in Form eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen der Europäischen Union
und den USA.¹ ² Die genauen Vertragsbedingungen werden seit Juni 2013³
ausgehandelt, dieser Prozess wird vielfach als intransparent kritisiert.⁴
Die Verhandlungspartner erhoffen sich einen Abschluss der Verhandlungen im
Laufe des Jahres 2016.⁵ ⁶
Als Vorläufer gilt das Multilaterale Investitionsabkommen (MIA), das in den
1990er Jahren auf erhebliche Widerstände von Aktivisten und NGOs stieß und
schließlich am Widerstand Frankreichs scheiterte. Als aktueller Testfall
für TTIP gilt das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA), ein
schon 2014 ausverhandeltes, aber noch nicht ratifiziertes
kanadisch-europäisches Handelsabkommen, das ebenso wie TTIP umstritten ist.
Beide Abkommen werden auch mit dem internationalen Anti-Counterfeiting
Trade Agreement (ACTA) in Zusammenhang gebracht,⁷ das 2012 an Protesten in
EU-Ländern und den USA scheiterte.
Zusammenfassung
Das Ziel von TTIP ist laut den Verhandlungspartnern der Abbau von tarifären
und nichttarifären Handelshemmnissen zwischen den USA und der EU. Besonders
der Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse fördere das
Wirtschaftswachstum in den beteiligten Ländern erheblich, indem es Kosten
für exportierende Unternehmen in der EU und den USA senke und damit das
Außenhandelsvolumen vergrößere. Allerdings ist stark umstritten, wie
positiv oder negativ die jeweiligen wirtschaftlichen Effekte insgesamt und
für einzelne Länder ausfallen könnten. Auch die Effekte auf den Weltmarkt
und Länder der Dritten Welt werden diskutiert. Strittig ist auch, ob und
inwieweit auch Arbeitnehmer und Verbraucher oder lediglich
Kapitalinteressen von Großkonzernen von den prognostizierten Effekten
profitieren würden.
Einige Auftragsstudien von EU-Kommission oder Regierungen sehen in ihren
optimistischsten Prognosen positive Auswirkungen auf das
Wirtschaftswachstum und den Arbeitsmarkt in den meisten der beteiligten
Länder. Diese Studien werden von Teilen der Wirtschaft, der Politik und der
Wissenschaft als unrealistisch kritisiert. Kritische Studien kommen zu dem
Schluss, bei Zunahme des transatlantischen Handels könnte der
innereuropäische Handel sogar abnehmen. Zudem werden eine gesteigerte
makroökonomische Instabilität, ein negativer Einfluss auf das
Wirtschaftswachstum und den Arbeitsmarkt sowie eine sinkende Lohnquote
prognostiziert. Auch die Effekte für die Handelsbeziehungen mit Ländern
außerhalb von TTIP wie Russland, China, die BRICS-Staaten insgesamt und die
Entwicklungsländer werden von Kritikern, aber zum Teil auch von
Befürwortern, eher negativ veranschlagt.
Zudem weisen Kritiker darauf hin, dass nicht nur Industriestandards wie
DIN-Normen, sondern auch gesetzliche Standards in den Bereichen
Umweltschutz, Verbraucherschutz, Gesundheit, Arbeit und Soziales als
nichttarifäre Handelshemmnisse eingestuft würden. Es müsse daher damit
gerechnet werden, dass TTIP zu einer Schwächung, Deckelung oder teilweisen
Beseitigung solcher Standards führen könnte, was nicht im Interesse der
Mehrheit der Bürger sei.
Außerdem wird die geplante Einführung von internationalen,
nicht-staatlichen Schiedsgerichten kritisiert. Diese privaten
Schiedsgerichte sollen im Rahmen der Vertragsbestimmungen zum
Investitionsschutz ohne die Möglichkeit einer unabhängigen staatlichen
gerichtlichen Überprüfung über Schadensersatzansprüche von Unternehmen
gegen die Vertragsstaaten entscheiden können. Im Grundsatz, aber auch
angesichts der Höhe zu erwartender Schadensersatzforderungen von Investoren
sehen verschiedene Kritiker und Parteien dies als Gefahr für oder Angriff
auf die Souveränität der Einzelstaaten, die Prinzipien der Demokratie und
die Rechtsstaatlichkeit an.
Des Weiteren wird der als intransparent beurteilte Verhandlungsprozess
kritisiert. Schon die Veröffentlichung des Verhandlungsmandats,⁸ also des
grundlegenden Auftrags des Europäischen Rats an die EU-Kommission im Juni
2013, erfolgte nach öffentlichen Protesten erst im Oktober 2014.⁹ Zwar
veröffentlichte die EU-Kommission in der Zwischenzeit einen allgemeinen
Bericht zum Stand der Verhandlungen,⁴ ¹⁰ die konkret ausgehandelten
Vertragsbedingungen sind aber weiterhin geheim; auch EU-Parlamentarier,
nationale Regierungen und Parlamentarier der nationalen Parlamente erhalten
nur beschränkt und mit der Verpflichtung zur Geheimhaltung Einblick in
konkrete Textpassagen. Mittlerweile wurden unautorisiert mehrere interne
Positionspapiere aufgrund von Informationsleaks im Internet veröffentlicht.
Die bekannt gewordenen Inhalte haben nicht zu einer Beruhigung der Kritik
geführt.
Problematik des Ratifizierungsverfahrens
Nach Darstellung von foodwatch ist unklar, ob die nationalen Parlamente das
Abkommen tatsächlich ratifizieren müssen: „Die Ratifizierung durch die
nationalen Parlamente ist dann erforderlich, wenn es sich tatsächlich um
ein ‚gemischtes' – und damit um ein durch die EU-Mitgliedsstaaten zu
ratifizierendes – Abkommen handelt. Dies kann jedoch erst festgestellt
werden, wenn der fertige Vertragstext vorliegt. Im Streitfall obliegt die
Feststellung, ob es sich um ein ‚gemischtes Abkommen' handelt, allein dem
Europäischen Gerichtshof, nicht der Bundesregierung."¹¹ ¹²
Eckpunkte des geplanten Abkommens
Laut Europäischer Kommission und US-Handelsministerium geht es im Abkommen
um Marktzugang (Zollabbau, öffentliche Aufträge), regulatorische
Zusammenarbeit und die globale Regelentwicklung.¹³ ¹⁴ Obwohl zahlreiche
tarifäre (= Zoll-)Barrieren sowie Mengenbeschränkungen bestehen, die
vollständig abgebaut werden sollen, überqueren Waren, Dienstleistungen und
Kapital den Atlantik bereits ohne größere Reibungsverluste. Das
durchschnittliche Zollniveau beträgt fünf bis sieben Prozent.¹⁵ ¹⁶ Bei TTIP
geht es daher insbesondere um den Abbau von nichttarifären
Handelsbeschränkungen, also beispielsweise die Gleichbehandlung bei
öffentlichen Aufträgen, die Angleichung bzw. laut Kritikern den Abbau von
Gesundheitsstandards und Lebensmittelgesetzen, Umweltstandards und
ähnlichem.¹⁷
Nach den Beschlüssen des Rates der Europäischen Union und des Europäischen
Parlaments sind im Zuge der sogenannten Kulturellen Ausnahme audiovisuelle
Medien und Kunst ausdrücklich nicht Teil des Verhandlungsmandats der
Europäischen Kommission.
Öffentliche Aufträge
Eine Gleichstellung der Wirtschaftssubjekte würde im jeweils anderen
Wirtschaftsraum beispielsweise einer lettischen Baufirma gegenüber einer
kalifornischen die gleichen einklagbaren Chancen bringen, den Bauauftrag
für eine Brücke in Los Angeles zu erhalten. Nach Aussage von Sigmar Gabriel
vor der 13. Verhandlungsrunde im April 2016 könnte TTIP an dieser Frage
scheitern: Die Amerikaner wollten an der „Buy-American"-Regel (wörtlich
„Kaufe amerikanisch") festhalten, was die europäische Seite nicht
akzeptieren könne.¹⁸
Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards
Während in Europa beispielsweise genveränderte Lebensmittel gekennzeichnet
werden müssen und weitläufig verboten sind, verhält es sich in den USA
völlig anders; 90 Prozent des verwendeten Mais, der Sojabohnen und der
Zuckerrüben sind gentechnisch verändert.¹⁹ In Amerika gibt es keine
Kennzeichnungspflichten. Umgekehrt unterliegen in Europa verbreitete und
nicht besonders gekennzeichnete Produkte in den USA Beschränkungen. So wird
etwa der französische Roquefort-Käse aus Rohmilch von den
US-Gesundheitsbehörden als bedenklich eingestuft. In den USA dauert der
Zulassungsprozess für Grüne Gentechnik durchschnittlich 15 Monate, in der
EU 40.²⁰ Für die Unterschiede zwischen den USA und der EU bei der
Regulierung der Grünen Gentechnik gibt es unterschiedliche
Erklärungsansätze. Einige gehen davon aus, dass die Konsumenten in der EU
der Gentechnik gegenüber negativer eingestellt wären als US-Konsumenten,
dass Lebensmittelskandale (z. B. BSE oder Dioxin) in den 1990er Jahren
stärkere Regulierung zur Folge hatten oder dass das Vertrauen der
Konsumenten in die Regulierungsbehörden in der EU niedriger ist. Andere
Forscher argumentieren, dass die Regulierung in den USA deswegen weniger
strikt ist, weil die dortigen Landwirte aus der Grünen Gentechnik einen
größeren Nutzen ziehen könnten als EU-Landwirte.²¹
Die Pharmaindustrie erhofft sich Erleichterungen bei der Zulassung von
Medikamenten, die bisher nach unterschiedlichen Verfahren in Deutschland
und den USA geprüft werden müssen. Nach Ansicht des Vorstandsmitglied der
E. Merck KG, Karl-Ludwig Kley, könnten die Verbraucher von niedrigeren
Preisen profitieren. Kritiker bezweifeln diese Vorteile.²²
Umweltstandards
Die Umweltstandards in den USA und in Europa haben unterschiedliche
Ansätze. In der EU gilt das Vorsorgeprinzip, in den USA dagegen „kann ein
Stoff so lange verwendet werden, bis eine von ihm ausgehende beträchtliche
Gefahr nachgewiesen ist."²³
Im Dezember 2013 war Fracking in den nicht-öffentlichen Verhandlungen zu
TTIP Verhandlungsgegenstand.²⁴
Deregulierung des Finanzsektors
Als Reaktion auf die Finanzkrise ab 2007 hatten die USA in den vergangenen
Jahren schärfere Regeln im Finanz- und Bankensektor durchgesetzt. Dazu
gehört etwa die Reglementierung und das teilweise Verbot riskanter
Finanzprodukte, die weithin als einer der Auslöser der Krise angesehen
werden. Ein Verhandlungsgegenstand von TTIP ist die Rücknahme von
Kontrollen und einschränkenden Regeln für den Finanzsektor.²⁵ Der Ökonom
Michael R. Krätke schrieb dazu:
„Die Ironie der Geschichte: In den USA gelten im Moment noch striktere
Finanzmarktregeln als in Europa. Wenn alle Dienstleistungssektoren
‚liberalisiert' werden sollen, gilt das selbstverständlich auch für die
Finanzdienstleistungen. Folglich steht uns eine seltsame Allianz der
Finanzmarktderegulierer ins Haus, die die gerade erst begonnene
Reregulierung von Banken und Finanzmärkten mit Elan wieder zurückdrehen
werden – die Lobbyisten der britischen ‚Finanzindustrie' an der Spitze
der Bewegung."²⁶
Industriestandards
Zwischen der EU und den USA gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher
Produktnormen, etwa in der Chemie-, Metall-, und Pharmaindustrie. Bei den
Zulassungsverfahren müssen Fahrzeuge beispielsweise ganz unterschiedliche
Crashtests absolvieren. Eine Angleichung durch TTIP könnte nach Ansicht der
EU-Kommission den transatlantischen Handel ausweiten.²⁷
Wirtschaftlicher und politischer Hintergrund
Durch die große wirtschaftliche Bedeutung der Europäischen Union und der
USA (50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts) würde TTIP potenziell
die weltgrößte Freihandelszone bilden. Der Handel der Europäischen Union
und der USA umfasst rund ein Drittel des weltweiten Handelsvolumens.²⁸ Im
Folgenden werden die transatlantischen Handelsströme für Güter und
Dienstleistungen für das Jahr 2013 dargestellt:²⁸
Eine derartige Freihandelszone wurde seit etwa dem Beginn der 1990er Jahre
diskutiert, auch unter dem Namen Wirtschafts-NATO.²⁹ ³⁰ Nach offiziellen
Stellungnahmen soll durch das Abkommen unter anderem das
Wirtschaftswachstum in den Teilnehmerstaaten belebt, die Arbeitslosigkeit
gesenkt und das Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer erhöht werden.
Spitzenvertreter der Europäischen Union wie José Manuel Barroso,
EU-Handelskommissar Karel De Gucht, die deutsche Bundeskanzlerin Angela
Merkel und zahlreiche weitere europäische Spitzenpolitiker sowie auch
US-Präsident Obama haben Notwendigkeit und positive Effekte des Abkommens
vielfach betont. Merkel meinte im Februar 2013: „Nichts wünschen wir uns
mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten
Staaten."³¹ ³² ³³ ³⁴ Im Koalitionsvertrag von 2013 betonen die regierenden
Parteien, dass sie zum Vertrag stehen. Sie bekennen sich zur
parlamentarischen Kontrolle und schreiben, sie werden auf die Sicherung der
herrschenden Schutzstandards Wert legen, insbesondere „im Bereich des
Datenschutzes, der europäischen Sozial-, Umwelt- und Lebensmittelstandards
sowie auf den Schutz von Verbraucherrechten und öffentlicher
Daseinsvorsorge sowie von Kultur und Medien".³⁵
Das geplante Abkommen wird von Teilen der Politik, Journalisten,
Verbraucherschutz- und Umweltschutzorganisationen sowie
Nichtregierungsorganisationen massiv kritisiert. So werde es von
Lobby-Vertretern der Industrie unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne
tatsächliche parlamentarische Kontrolle der nationalen Parlamente oder des
EU-Parlaments und damit faktisch ohne demokratische Kontrolle verhandelt.
Die zu erwartenden positiven wirtschaftlichen Effekte für die Bevölkerung
der Teilnehmerstaaten seien sehr gering und würden von zahlreichen
gravierenden Nachteilen begleitet. So würden durch das Abkommen Umwelt- und
Gesundheitsstandards untergraben und Arbeitnehmerrechte aufgeweicht. Die
angestrebte „Harmonisierung" von Standards orientiere sich laut Kritikern
an den Interessen der Konzerne und Finanz-Investoren, weil Harmonisierung
bedeute, dass tendenziell der jeweils niedrigste bzw.
wirtschaftsfreundlichste Standard aller Einzelstaaten als Basis für die
verbindliche Norm des Vertrags dienen werde. Das dadurch ausgelöste Race to
the bottom führe zu weiteren negativen Globalisierungseffekten. Die
Europäische Kommission und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)
verweisen darauf, dass eine Senkung von Standards nicht beabsichtigt sei
und eine Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung nur auf der Basis
bestehender hoher europäischer Standards erfolgen solle.³⁶
Kritiker des geplanten Abkommens fürchten, dass Unternehmen bei Verstößen
gegen die Vertragsregeln „gigantische Entschädigungen" durchsetzen könnten.
Sie verweisen auf schon bestehende Handelsabkommen, auf deren Grundlage
Konzerne etwa gegen ein Moratorium vorgehen, das die Gasförderung mittels
Fracking aussetzt, oder auf Entschädigung wegen des Atomausstiegs in
Deutschland pochen. Im Zuge des geplanten Transatlantischen
Freihandelsabkommens würden Konzerne anstreben, Kennzeichnungspflichten für
gentechnisch veränderte Lebensmittel und das Verbot von unter Einsatz von
Hormonen erzeugtem Fleisch zu kippen.²⁵ ³⁷ Die Europäische Kommission hat
hingegen erklärt, dass bestehende nationale oder europäische Gesetze nicht
vor einem Schiedsgericht angegriffen werden können, sofern sie nicht
diskriminierend angewendet werden.³⁶
Die Vorteile, die das Abkommen den Unternehmen bieten soll, wären zudem
bindend, dauerhaft und praktisch nicht mehr veränderbar – weil jede
einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten
geändert werden könnte, sobald der Vertrag in Kraft getreten sei.²⁵ Das
Abkommen wurde als „undemokratisch", als „unvereinbar mit demokratischen
Prinzipien und als „Unterwerfung
der Teilnehmerstaaten unter
Konzerninteressen bezeichnet.²⁵ ³⁸
Prognosen der wirtschaftlichen Effekte
Befürworter
Studie des CEPR
Die EU-Kommission hatte im Vorfeld der Verhandlungen eine Studie beim
Londoner Centre for Economic Policy Research (CEPR) in Auftrag gegeben. Die
Studie mit dem Titel „Abbau der Hindernisse für den transatlantischen
Handel"³⁹ ⁴⁰ skizzierte dabei die wirtschaftlichen Auswirkungen und
Folgeabschätzungen eines Freihandelsabkommens für die EU und die USA. Das
Forschungsinstitut befürwortete danach ein Freihandelsabkommen und sah für
die EU-Wirtschaft ein Potential von rund 119 Milliarden Euro (ungefähr 233
Euro pro EU-Bürger). Die US-Wirtschaft wiederum habe ein maximales
Potential aus dem Freihandelsabkommen in Höhe von 95 Milliarden Euro. Das
CEPR kommt zu dem Ergebnis, dass ein kontinuierlich um rund 0,5 Prozent
höheres Bruttoinlandsprodukt (entspräche etwa 65 Milliarden Euro) durch ein
Freihandelsabkommen möglich sei. Nach der Analyse von Sabine Stephan⁴¹ der
Hans Böckler Stiftung besagt die Studie des CEPR, dass bei einem
umfassenden Freihandelsabkommen das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU
im Jahr 2027 um 0,48 Prozent und das der USA um 0,39 Prozent höher wäre als
ohne Freihandelsabkommen. Diese Zahlen gäben den Gesamteffekt an. Dieser
beziffert die ökonomischen Effekte des Abkommens am Ende einer
Anpassungsphase von etwa 10 bis 20 Jahren, also auf lange Sicht.⁴² Diese
Einschätzung wird in der „Erläuterung der wirtschaftlichen Analyse" der
Europäischen Kommission bestätigt: „Diese wirtschaftlichen Gewinne
entsprächen in der EU und den USA einem – gegenüber dem Szenario ohne TTIP
– zusätzlichen Wirtschaftswachstum von 0,5 % bzw. 0,4 % des BIP bis
2027."⁴³ Auch der BDI korrigierte seine früher fälschlicherweise als
jährliches Wachstum interpretierte Aussagen zu den Wachstumseffekten.⁴⁴
Studie des Ifo-Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung (17. Juni
2013)⁴⁵
Zwei Szenarien wurden simuliert. Die Abschaffung der Zölle allein wäre fast
wirkungslos. Der Abbau zollfremder Maßnahmen wie Qualitätsstandards,
Verpackungs- und Bezeichnungsvorschriften oder Herkunftsangaben sowie
technische oder rechtliche Anforderungen an importierte Produkte, der Abbau
von Förderungen der eigenen Exporte durch Steuervorteile oder finanzielle
Förderungen führt in Szenario 2 jedoch zu Wachstumsimpulsen. Das
Handelsvolumen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik
würde sich verdoppeln (dafür gäbe das Volumen mit den südlichen
Euro-Ländern um 30 Prozent nach), zwei Millionen neue Arbeitsstellen in den
OECD-Staaten würden geschaffen, davon 1,1 Millionen in den Vereinigten
Staaten sowie 181.000 in Deutschland. Geschwächt würden traditionelle
Handelspartner der USA wie Kanada (−9,5 Prozent), Mexiko (−7,2 Prozent) und
Japan (−6 Prozent). „Weitere Verlierer wären die Entwicklungsländer, vor
allem in Afrika und Zentralasien."
Studie des Ifo-Instituts im Auftrag der Bundesregierung 21. Januar 2015⁴⁶
Nach den Modellannahmen rechnet die Studie im Auftrag der Bundesregierung
damit, dass TTIP in Europa bis zu 400.000 neue Arbeitsplätze schaffen kann,
100.000 davon in Deutschland. TTIP hätte direkte Effekte auf circa 45
Prozent der Weltwertschöpfung und 30 Prozent des Welthandels. Für
Deutschland schätzt das ifo-Institut in München einen dauerhaften Zuwachs
des realen Pro-Kopf-Einkommens von bis zu 3,5 Prozent. Negative Effekte für
die Länder der Dritten Welt gebe es nicht oder nur in geringem Maße.
Energiewirtschaftliche Optionen
Die unter dem Einfluss des Krieges in der Ukraine seit 2014 stehende EU
könnte durch den Abbau von Handelsbarrieren Energie günstiger aus den USA
importieren, um in diesem Bezug unabhängiger von Russland zu sein. Dazu bot
Obama schon zu Beginn des Konflikts im März 2014 die USA als Gaslieferanten
an.⁴⁷ Für kleine und mittlere Unternehmen, denen der Markt jenseits des
Atlantiks bisher zu undurchsichtig oder unrentabel war, biete TTIP
beträchtliche Expansionsmöglichkeiten. Verbraucher könnten von einer
größeren Produktauswahl und geringeren Preisen profitieren und Unternehmen
in den USA und der EU könnten leichter miteinander kooperieren.⁴⁸
Regionale Vorteile für Bundesländer
Auf Länderebene tritt die hessische Landesministerin für Bundes- und
Europaangelegenheiten, Lucia Puttrich (CDU), für das TTIP ein und sieht mit
ihm „eine große Chance … für die hessische Wirtschaft".⁴⁹
Geopolitische Optionen
Neben der wachstumsorientierten Argumentation argumentieren viele
Befürworter des Abkommens auch machtpolitisch: Durch TTIP entstehe ein
geopolitischer Block, der auf Jahrzehnte die Produktstandards und
Konditionen des Welthandels diktieren könnte, was Ängste bei China und
Indien auslöst, über diese nahezu globalen Standards nicht mitverhandeln zu
können.⁵⁰ Aber auch ordnungspolitische Argumente finden sich; sie zielen
auf die Herstellung von mehr Chancengleichheit im transatlantischen
Handel.⁵¹
Kritiker
Kritiker führen an, dass das TTIP-Projekt die von Befürwortern genannten
positiven Effekte nicht erreichen werde bzw. dass die positiven Effekte im
kaum oder nicht messbaren Bereich lägen, selbst bei wohlwollender
Betrachtungsweise. Zu diesen Kritikern gehören auch die
Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman und Joseph E. Stiglitz.⁵²
Beim „Forum Wirtschaft" waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion –
Bernhard Mattes, Vorstandsvorsitzender Ford Deutschland und Präsident der
American Chamber of Commerce in Germany, Reinhard Bütikofer, MdEP und
Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei, Prof. Irwin Collier,
Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitzender des John-F.-Kennedy-Instituts
an der Freien Universität Berlin, sowie Jackson Janes, Präsident des
American Institute for Contemporary German Studies an der
Johns-Hopkins-Universität in Washington, D.C. – einig, dass das
Freihandelsabkommen netto nicht zu mehr Arbeitsplätzen führen werde.⁵³
Die amerikanische Handelsrechtsexpertin und Aktivistin Lori Wallach
schrieb:
„Eine Studie des Tafta-freundlichen European Centre for International
Political Economy kommt zu dem Befund, dass das BIP der USA wie der EU –
selbst unter extrem blauäugigen Annahmen – allenfalls um ein paar
Promille wachsen würde, und das ab 2029. Den meisten bisherigen Prognosen
liegt die Annahme zugrunde, dass Zollsenkungen stets eine starke
Wirtschaftsdynamik auslösten – was empirisch längst widerlegt ist.
Verzichtet man auf diese dubiose Annahme, dann – räumen die Autoren der
Studie ein – schrumpft der potenzielle BIP-Zuwachs auf statistisch
irrelevante 0,06 Prozent."²⁵
Die von der EU-Kommission selbst in der Öffentlichkeit angegebenen Zahlen
seien nicht das wahrscheinlichste, sondern das optimistischste Szenario,
und zwar über einen Zeitraum von zehn Jahren. So soll sich durch TTIP laut
EU-Kommission das Einkommen einer vierköpfigen Familie pro Jahr
durchschnittlich um 545 Euro erhöhen.⁵⁴ Auf der Website der Arbeitsgruppe
Alternative Wirtschaftspolitik schreibt der Sozialwissenschaftler⁵⁵ Tobias
Kröll dazu:
„Es geht hier um eine Wirtschaftsunion mit 28 Mitgliedsstaaten mit
jeweils unterschiedlichster Bevölkerungs-, Wirtschafts- und
Sozialstruktur, sowie unterschiedlichsten Tarifstrukturen. Innerhalb der
Staaten gibt es dazu noch jeweils unterschiedlichste Regionen. Es ist
schon sehr gewagt, auf dieser Basis mit dem Betrag von 545 Euro in
Verbindung mit einer ‚durchschnittlichen vierköpfigen Familie' für das
Freihandels-Abkommen zu werben. Damit wird nun langsam deutlich, dass es
(auch ohne TTIP-Abkommen) in der Wirtschaft in erster Linie um die
Verteilung des jeweils erwirtschafteten Reichtums geht."⁵⁶
Die angegebenen zwei Millionen neue Arbeitsplätze beziehen sich auf den
gesamten Freihandelsraum mit über 800 Millionen Menschen. Eine von
TTIP-Befürwortern häufig zitierte Studie der Bertelsmann Stiftung geht von
einem Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland um insgesamt 0,11
Prozent aus.⁵⁷ Grundsätzliche Kritik hinsichtlich des Aufbaus und der
neoklassischen Annahmen der Studien wurde vom Psychologen Jascha Jaworski
geäußert.⁵⁸
Nach dem Diskussionspapier eines Doktoranden⁵⁹ des Global Development and
Environment Institute der US-amerikanischen Tufts University⁶⁰ würde die
Zunahme des transatlantischen Handels durch eine Abnahme des
innereuropäischen Handels kompensiert. Durch die TTIP würden 600.000
Arbeitsplätze in Europa verloren gehen und es zu einem Einkommensverlust
von 165 bis zu 5.000 Euro pro Person und Jahr kommen. Zudem werden eine
gesteigerte makroökonomische Instabilität, ein negativer Einfluss auf das
Wirtschaftswachstum und eine sinkende Lohnquote prognostiziert. Der
methodische Unterschied zu anderen Studien beruht darin, dass nicht ein
Allgemeines Gleichgewichtsmodell, sondern das United Nations Global Policy
Model verwandt wurde.⁶¹ ⁶² ⁶³ ⁶⁴ ⁶⁰ ⁶⁵ Der Autor der Studie empfiehlt für
den Aspekt der Investitionen weitere Untersuchungen der finanziellen
Auswirkungen von TTIP, da nach der Studie eine höhere finanzielle
Instabilität zu erwarten ist.⁶⁰
Zu einer moderaten Kritik kommt Gabriel Felbermayr, der als Leiter des
Zentrums für Außenwirtschaft des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung die
Auswirkungen des transatlantischen Freihandelsabkommens erforscht. Er
erwartet für den Verbraucher sinkende Preise, jedoch einen erhöhten
Konkurrenzdruck für die Unternehmen, von denen manche vom Abkommen
profitieren könnten, andere jedoch nicht.⁶⁶
Historie
Der Weg zum Transatlantic Economic Council
Die Idee eines umfangreichen Freihandelsabkommens zwischen den USA und den
EU-Staaten wurde in Deutschland erstmals durch den damaligen
Bundesaußenminister Kinkel 1995 „prominent bekannt gemacht".⁶⁷
Transatlantische Erklärung 1990
Schon 1990 hatten die exekutiven Organe der Europäischen Gemeinschaft und
der USA die transatlantische Erklärung zur Zusammenarbeit und zum Dialog
verabschiedet und den „transatlantischen Dialog" als Institution gegründet,
der seither auf verschiedenen Ebenen stattfand.
Transatlantische Agenda 1995
1995 beschlossen die EU und die USA die Wirtschaftsbeziehungen weiter
auszubauen. Während des EU-USA-Gipfeltreffens am 3. Dezember 1995 in Madrid
wurde die Erklärung durch die Neue Transatlantische Agenda (NTA) ersetzt.
Absicht des 150 Einzel-Ziele umfassenden Aktionsplans war die engere
politische, militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die
grundsätzlichen Ziele waren nach wie vor die Sicherung von Frieden und
Stabilität, wobei der NATO eine herausragende Rolle zukam. Außerdem wurden
die Bewältigung globaler Herausforderungen, die Vertiefung der
Wirtschaftsbeziehungen, die Förderung des Welthandels und auch eine
transatlantische Brückenbildung im gesellschaftlichen Bereich genannt. Die
Europäische Gemeinschaft und USA vereinbarten eine Vertiefung ihrer
Handelspartnerschaft durch eine Freihandelszone.⁶⁸ ⁶⁹ ⁶⁹
Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft 1998
1998 wurde die Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft beschlossen, die
auf dem Transatlantischen Aktionsplan basierte. Gemeinsame Maßnahmen in den
Bereichen Handel und Investitionen wurden angestrebt.⁷⁰
Transatlantischer Wirtschaftsrat 2007, Rahmenvereinbarung zur
transatlantischen Wirtschaftsintegration
Am 30. April 2007 wurde die Rahmenvereinbarung zur Vertiefung der
transatlantischen Wirtschaftsintegration zwischen der Europäischen Union
und den USA unterzeichnet.⁷¹ Der daraufhin gegründete Transatlantische
Wirtschaftsrat (TEC) befasste sich fünf Jahre lang mit den Hürden, die
einer Einigung voraussichtlich im Wege stehen würden.⁷² In der
Rahmenvereinbarung zur Vertiefung der transatlantischen
Wirtschaftsintegration heißt es: „Wir bekennen uns zum Abbau von Hemmnissen
im transatlantischen Handel, …zum Herbeiführen einer wirksameren,
systematischeren und transparenteren regulatorischen Zusammenarbeit…, zur
Beseitigung unnötiger Unterschiede zwischen unseren
Regulierungssystemen…".⁶⁹ Als Berater werden unter anderem Mitglieder der
amerikanischen Handelskammer, der europäische Arbeitgeberverband
Businesseurope und die Bertelsmann Stiftung eingesetzt.⁶⁹ Seit 2009 wurde
mit den Verhandlungen zu CETA (EU-Kanada-Freihandelsabkommen) eine Art
Blaupause zum Handelsabkommen zwischen den USA und der EU entwickelt.⁷³ ⁷⁴
Vorbereitung durch die High Level Working Group
Auf dem EU-US-Gipfeltreffen am 28. November 2011 setzten der US-Präsident
Barack Obama und der Präsident des europäischen Rates, Herman van Rompuy,
im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrats (TEC) die Gründung einer
High-Level Working Group on Jobs and Growth ein, deren Mitglieder lange
geheim blieben, bis sie auf Druck der NGO Corporate Europe Observatory
veröffentlicht wurden.⁷⁵ Diesem Beratungsgremium, das zuerst am 23. April
2012 tagte, gehörten nach Ansicht der Nichtregierungsorganisation attac vor
allem liberale Technokraten (u. a. Vertreter von Businesseurope und der
Bertelsmann-Stiftung) an, von denen keiner ein demokratisches Mandat
besitze.⁷⁶ Geführt wurde diese Arbeitsgruppe durch den Handelsvertreter der
Vereinigten Staaten (USTR) Ron Kirk und den europäischen Kommissar für
Handel Karel De Gucht.
Obama, EU-Kommissionspräsident Barroso und Herman Van Rompuy⁷⁷ sprachen
sich am 13. Februar 2013 in einer gemeinsamen Erklärung für eine
Freihandelszone ihrer beiden Wirtschaftsblöcke aus.⁷⁸ ⁷⁹
Beginn der Verhandlungen
Im Juni 2013 einigten sich die EU-Handelsminister auf ein
Verhandlungsmandat für die Verhandlungen des Freihandelsabkommens mit den
Vereinigten Staaten. Der audiovisuelle Wirtschaftsbereich (Film- und
Musikproduktionen) wurde von den Verhandlungen auf Wunsch Frankreichs
vorerst ausgeklammert.⁸⁰
Die Aufnahme der Verhandlungen wurde am 17. Juni 2013 vom Präsidenten der
EU-Kommission José Manuel Barroso zusammen mit US-Präsident Barack Obama,
Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy und dem britischen
Premierminister David Cameron auf einer Pressekonferenz am Rande des
G8-Gipfeltreffens in Nordirland verkündet als „machtvolle Demonstration der
Absicht, eine freie, offene und auf vereinbarten Regeln beruhende Welt zu
formen".⁸¹
Die Verhandlungen führt auf europäischer Seite die Europäische Kommission.
Nachdem Ende Juni 2013 bekannt geworden war, dass die NSA unter anderem
auch EU-Vertretungen abgehört hat,⁸² drohten einzelne Mitglieder wie
Justizkommissarin Viviane Reding im Zug der Überwachungs- und
Spionageaffäre 2013 damit, sich für ein Ruhen der Gespräche auszusprechen:
„Partner spionieren einander nicht aus. Wir können nicht über einen großen
transatlantischen Markt verhandeln, wenn der leiseste Verdacht besteht,
dass unsere Partner die Büros unserer Verhandlungsführer ausspionieren."⁸³
Verhandlungsführer seit Dezember 2013 sind auf EU-Seite der Spanier Ignacio
Bercero aus der Generaldirektion Handel bei der EU-Kommission und für die
USA Dan Mullaney.
Die Verhandlungsrunden
Im Juli 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Reihe von
Positionspapieren zu verschiedenen Aspekten der Verhandlungen. Sie wurden
den US-Vertretern bei der ersten Verhandlungsrunde vorgelegt.⁸⁵
Nach der sechsten Verhandlungsrunde veröffentlichte die Europäische
Kommission ein Papier mit dem aktuellen Stand der Verhandlungen.⁸⁶ ⁸⁷
In der siebten Verhandlungsrunde wurde über die Vereinheitlichung der
Vorschriften für Technik und Sicherheit für Kraftfahrzeuge verhandelt. Man
beschloss, dass öffentliche Dienstleistungen, Wasserversorgung und Bildung
bei TTIP außen vor bleiben sollen. Die Regeln für Chemikalien sollen nicht
harmonisiert oder gegenseitig anerkannt werden, lediglich bessere
Klassifizierungen sollen verhandelt werden.⁸⁸
Die achte Verhandlungsrunde wollte über Regulierungen und Standards in
folgenden Bereichen verhandeln:⁸⁹ ⁹⁰ Investitionsschutz (Schiedsgerichte),
Lebensmittel, Nachhaltigkeit, Energie und Rohstoffe, Pharmabranche,⁹¹
Dienstleistungen, öffentliches Beschaffungswesen, Zollabbau, geografisch
geschützte Angaben, Handelshemmnisse etwa durch unterschiedliche technische
Standards.⁹¹
Nach der achten Verhandlungsrunde „lobten die Unterhändler der EU und der
USA die erzielten Fortschritte. Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt. Das
umstrittene Thema Investitionsschutz blieb bei den Gesprächen weiterhin
ausgeklammert. US-Vizepräsident Biden sagte, man müsse das amerikanische
Volk davon überzeugen, dass Europa sich für das Abkommen ebenso
interessiere wie die USA. Weitere Verhandlungsrunden folgen im April und im
Juni. Die Beratungen sollen Ende 2015 abgeschlossen werden."⁹¹
In der zehnten Runde ging es um die Absenkung von Zöllen, eine Annäherung
von Standards im Maschinen- und Anlagenbau, Energie- und Rohstofffragen,
Dienstleistungen, öffentliches Beschaffungswesen und den Schutz von
Herkunftskennzeichnungen im Agrarsektor. Ca. 312 Lobbygruppen, darunter ca.
ein Dutzend Nicht-Wirtschafts-NGOs, konnten am 15. Juli ihre Stellungnahmen
abgeben.⁹²
In der elften Runde verhandelten die über 120 Unterhändler im relativ
unstrittigen Kapitel Warenhandel und Zölle darüber, möglichst 97 Prozent
aller Zölle – z. T. nach Übergangsfristen – abzuschaffen; Experten beider
Seiten werden die Details der vorliegenden Vorschläge abgleichen. Beim
umstrittenen Thema regulatorische Zusammenarbeit, einer zukünftigen
möglichst weitgehenden Harmonisierung von Normen und Vorschriften, wurden
Vorschläge diskutiert zu Pharmaprodukten und medizinischen Geräten,
Textilien und Kraftfahrzeugen, Chemikalien und Pestiziden sowie neuerdings
auch Energie, Rohstoffen und Finanzdienstleistungen.⁹³
EU-Verhandlungsführer Ignacio Bercero forderte, die nationalen Parlamente
in die Expertenräte dieser regulatorischen Kooperation einzubinden.⁹⁴
Interessensgegensätze gab es laut Garcia beim Schutz von
Herkunftsbezeichnungen. Während die EU Bezeichnungen wie Böhmisches Glas,
Carrara-Marmor oder Meissener Porzellan geschützt lassen will, wollen die
USA Produkte eher durch Marken und Warenzeichen schützen und es
US-Produzenten erlauben, Waren wie Camembert-Käse oder Parma-Schinken in
die EU zu verkaufen.⁵ Für die Liberalisierung von Dienstleistungen werde es
bald einen ersten gemeinsamen Textentwurf geben. Der Vorschlag der
EU-Kommission über Investitionsschutz und die Schaffung eines unabhängigen
Investitionsgerichts vom 16. September 2015⁹⁵ wurde erst im November 2015
und damit nach Abschluss der 11. Runde an die USA übermittelt.⁹⁶
In der 12. Runde in Brüssel vom 22. bis zum 26. Februar 2016 ging es um den
Investitionsschutz (Schiedsgerichte), die regulatorische Kooperation,
Nachhaltigkeit und öffentliche Auftragsvergabe.⁹⁷ ⁹⁸
Nach der 13. Runde vom 25. bis 29. April 2016 in New York, in der es um
Marktzugang und Regulierungsfragen ging,⁹⁹ gaben sich die beiden
Chefunterhändler optimistisch: Sie hätten in allen Bereichen „significant
progress gemacht „to consolidate as many texts as we can.
¹⁰⁰ Strittig
bleiben außer dem Agrarbereich das Thema öffentliche Ausschreibungen und
das protektionistische „Buy American"; doch die Einigungen sind „marginal
angesichts all der ausstehenden Fragen, etwa beim Marktzugang europäischer
Unternehmen an öffentlichen Ausschreibungen auf amerikanischen Märkten.
Oder bei Arbeitnehmerrechten, dem Investitionsschutz oder
Herkunftsbezeichnungen".¹⁰¹
Kritische Positionen aus der Zivilgesellschaft
Initiative „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen TTIP" Juli 2014
Die Initiative „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen TTIP"¹⁰² mit
mehr als 80 Professorinnen und Professoren, gegründet vom Mediziner
Karl-Franz Kaltenborn, forderte am 17. Juli 2014 in einem offenen Brief an
die Bundeskanzlerin den Stopp der Verhandlungen über das
Freihandelsabkommen sowie eine verantwortungsvolle Politik für eine
nachhaltige und zukunftsfähige Gesellschaft.¹⁰³ Auf ihrer Website
kritisiert die Initiative neben TTIP auch CETA.¹⁰⁴
Gemeinsame Erklärung von Wissenschaftlern an der Universität Kent Juli 2014
Mehr als hundert Wissenschaftler aus der ganzen Welt haben in einer
gemeinsamen Erklärung zum Freihandelsabkommen TTIP auf der Website der Kent
Law School ihre tiefe Besorgnis ausgedrückt und insbesondere die geplanten
Bestimmungen über Investitionsschutz und Investor-Staat-Gerichtsbarkeit
(ISDS) kritisiert.¹⁰⁵
Offener Brief von Rechtswissenschaftlern in den USA März 2015
In den USA haben mehr als 100 Rechtswissenschaftler Kongress und Regierung
aufgefordert, die Demokratie und Souveränität in den US-Handelsabkommen zu
schützen und widersprechen möglichen Vereinbarungen in den Handelsabkommen,
die es multinationalen Unternehmen erlauben würden, mittels
Investor-Staat-Gerichtsbarkeit US-Gerichte auf unverifizierbare Weise zu
umgehen.¹⁰⁶
Offener Brief von 40 Organisationen März 2015
In einem offenen Brief an den US-Handelsbeauftragten fordern mehr als 40
Organisationen, darunter Bürgerrechtsbewegungen, Naturschutzbünde und
mehrere Kirchen, eine Streichung des Investitionsschutzes aus den
Verhandlungen. Sie bemängeln, die Regierung könne in einem Schiedsverfahren
ausschließlich die Rolle des Beklagten einnehmen und dass selbst im
Gewinnfall die durchschnittlichen Prozesskosten in Höhe von acht Millionen
Dollar auf die Steuerzahler entfielen.¹⁰⁷ ¹⁰⁸
Öffentliche Stellungnahme des deutschen Richterbundes Februar 2016
Der Deutsche Richterbund lehnte im Februar 2016 das im Herbst 2015 von der
EU-Kommission vorgeschlagene internationale Investitionsgericht ab. Die
Richter sehen „weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit für ein
solches Gericht", „die Schaffung von Sondergerichten für einzelne Gruppen
von Rechtsuchenden" sei der falsche Weg. Ein öffentlicher Gerichtshof für
Investoren werde die Rechtssetzungsbefugnis der Mitgliedsstaaten und der
Union zu stark beschränken. Es fehle ihm zudem die nötige Rechtsgrundlage.
Das Verfahren zur Ernennung der Richter genüge nicht den internationalen
Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten. Bei den Mitgliedstaaten
handele es sich um Rechtsstaaten, welche allen Rechtsuchenden den Zugang
zum Recht über die staatliche Gerichtsbarkeit eröffnen und garantieren. Es
sei Aufgabe der Mitgliedstaaten, den Zugang zum Recht für alle
sicherzustellen und durch die entsprechende Ausstattung der Gerichte dafür
zu sorgen, dass der Zugang auch für ausländische Investoren gangbar ist.
Die Einrichtung eines internationalen Investitionsgerichts sei daher „der
falsche Weg, Rechtssicherheit zu gewährleisten". Auch die Unabhängigkeit
der Richter in einem Sondergericht sei fraglich. Der Deutsche Richterbund
forderte den deutschen und den europäischen Gesetzgeber des Weiteren auf,
den Rückgriff auf Schiedsverfahren im Bereich des internationalen
Investorenschutzes weitgehend einzudämmen.¹⁰⁹ ¹¹⁰
Reaktion der Verhandlungspartner
Eines der in der öffentlichen Diskussion kontroversesten Elemente des
geplanten Abkommens ist die Einbeziehung von Klauseln zum
Investitionsschutz, bei deren Verletzung Investoren gegen den verletzenden
Staat vor Schiedsgerichten auf Schadensersatz klagen könnten
(Investitionsschiedsverfahren).
In den Verhandlungen mit den USA wurde das Thema seit März 2014 nicht mehr
behandelt.⁹⁶ Die Europäische Kommission führte seitdem eine „Öffentliche
Konsultation zu den Modalitäten des Investitionsschutzes und der
Investor-Staat-Streitbeilegung im Rahmen der TTIP"¹¹¹ durch. Mit einem
Fragebogen konnten Unternehmen und Privatpersonen bis zum 6. Juli 2014 ihre
Ansicht dazu äußern.
Das EU-Parlament hat bereits im April 2014 gegen die Stimmen von Grünen und
Linken einer Regelung der finanziellen Verantwortlichkeit bei
Investor-Staats-Schiedsverfahren zugestimmt.¹¹² ¹¹³ In der Presse wurde
dies als „Absegnen" des Investitionsschutzes in TTIP aufgefasst.¹¹⁴
Nach den politischen Leitlinien des neuen Kommissionspräsidenten Jean
Claude Juncker vom 15. Juli 2014 war geplant, die Position der EU zum
Investitionsschutz zu überdenken und die Verhandlungen transparenter zu
gestalten: „Allerdings werde ich als Kommissionspräsident auch
unmissverständlich klarstellen, dass ich nicht bereit bin, europäische
Standards im Bereich Sicherheit, Gesundheit, Soziales, Datenschutz oder
unsere kulturelle Vielfalt auf dem Altar des Freihandels zu opfern.
Insbesondere die Sicherheit unserer Lebensmittel und der Schutz
personenbezogener Daten der EU-Bürgerinnen und -Bürger sind für mich als
Kommissionspräsident nicht verhandelbar. Ebenso wenig werde ich
akzeptieren, dass die Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten
durch Sonderregelungen für Investorenklagen eingeschränkt wird.
Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit vor dem Gesetz müssen auch in diesem
Kontext gelten." (S. 9)¹¹⁵
Dass es „zwischen entwickelten Rechtssystemen" auch ohne
Investitionsschutzklauseln gehe, zeigten laut einer Rede von Sigmar Gabriel
am 25. September 2014 im Bundestag die Freihandelsabkommen der USA und
Kanada mit Singapur und Israel.¹¹⁶ Allerdings gebe es auch Mitgliedstaaten
der Europäischen Union, in denen die Unternehmen nicht immer vor Willkür
geschützt seien. Das Verhandlungsmandat für TTIP sehe aber keinen
Automatismus zur Einrichtung von Investor-Staat-Schiedsverfahren vor.
Deswegen sei es gut, dass die EU-Kommission die Verhandlungen darüber
ausgesetzt habe und ein Konsultationsverfahren durchführt.¹¹⁶
Während der 7. Verhandlungsrunde bis 3. Oktober 2014 wurde nicht weiter
über Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren verhandelt: Die Europäer
überdenken ihre Position neu, die USA halten weiter daran fest. Am 5.
Februar 2015 wurde vom Ausschuss für internationalen Handel des
Europäischen Parlaments ein Entwurf eines Berichts mit den Empfehlungen des
Europäischen Parlaments an die Kommission zu den Verhandlungen über die
transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)
veröffentlicht.¹¹⁷ Der Bericht wurde auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 der
Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments erstellt.¹¹⁸ Gemäß diesem
Bericht ist der Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) „im
TTIP-Abkommen aufgrund der hochentwickelten Rechtssysteme der EU und der
USA nicht notwendig".¹¹⁹
Im Herbst 2015 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine
grundsätzliche Reform des ISDS-Systems vorgelegt.¹²⁰ Statt Schiedsgerichten
soll demnach ein öffentlicher Investitionsgerichtshof über Klagen wegen der
Verletzung von Investorenrechten entscheiden. Dieser soll aus einem Gericht
erster Instanz und einem Berufungsgericht bestehen, Urteile sollen von
öffentlich ernannten Richtern mit hoher Qualifikation gefällt werden, die
vergleichbar ist mit der von Mitgliedern anderer ständiger internationaler
Gerichte wie des Internationalen Gerichtshofs und des
WTO-Berufungsgremiums, die Möglichkeiten von Investoren, einen Fall vor das
Gericht zu bringen soll genau definiert werden und die möglichen
Klagegründe auf Fälle wie gezielte Diskriminierung wegen Geschlecht, Rasse
oder Religion, Staatsangehörigkeit, Enteignung ohne Entschädigung oder
formelle Rechtsverweigerung festgelegt werden.¹²⁰ Das Recht der Regierungen
auf Regulierung soll in den Bestimmungen der Handels- und
Investitionsabkommen garantiert werden.¹²⁰ Die Kommission wollte den
Vorschlag anschließend mit dem Rat und Europäischen Parlament diskutieren.
Anschließend sollte der Entwurf als EU-Vorschlag in die Handelsgespräche
mit den USA eingehen und auch bei anderen laufenden und künftigen
Verhandlungen als Verhandlungsbasis dienen.¹²⁰ Am 12. November 2015 gab die
Kommission bekannt, dass der Vorschlag der US-Delegation in den
TTIP-Verhandlungen präsentiert worden ist.¹²¹ Beobachter halten es für
fraglich, ob die USA sich auf den Vorschlag einlassen werden.¹²²
Schutz vor Missbrauch bei CETA
Das als „Blaupause" für TTIP geltende geplante Freihandelsabkommen zwischen
Europäischer Union und Kanada, CETA, sieht ebenfalls Regeln zum
Investitionsschutz vor. Eines der Ziele des im September 2014 vorgestellten
Vertragstextes von CETA ist es nach Angaben der EU-Kommission, verschiedene
Arten von Missbrauch der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu unterbinden:
So könnten „missbräuchliche Klagen […] innerhalb weniger Wochen abgewiesen
werden." Auch Doppelentschädigungen seien nicht möglich, da
Parallelverfahren verboten sind. Zudem trage die unterliegende Partei die
Kosten.¹²³
Nachdem nach Protesten in Europa der Punkt der Schiedsverfahren im TTIP
nachverhandelt und vermutlich abgeschwächt wird, im aber schon fertig
verhandelten CETA noch die alte Version steht, befürchteten insbesondere
kanadische Aktivisten, dass Kanada zur „Hintertür" für Schiedsverfahren
wird, indem US-amerikanische oder europäische Firmen diese statt über TTIP
mit Tochterfirmen in Kanada über CETA respektive das
kanadisch-amerikanisch-mexikanische NAFTA durchsetzen.¹²⁴ Ende Februar 2016
verkündete die EU-Kommission, dass auch in CETA anstelle von
Schiedsgerichten ein institutionalisiertes internationales
Streitbeilegungsgremium mit Möglichkeit der Berufung vorgesehen werden
soll.¹²⁵
Geheimhaltung und Enthüllungen
Die Enthüllungsplattform Wikileaks setzte am 11. August 2015 eine Belohnung
von 100.000 Euro für diejenigen aus, die die geheimverhandelten Dokumente
des TTIP-Abkommens veröffentlichen würde.¹²⁶ ¹²⁷
Am 2. Mai 2016 veröffentlichte die Umweltorganisation Greenpeace¹²⁸ eine
Abschrift der Geheimdokumente.¹²⁹ Die Abschrift wurde erstellt, um einen
maximalen Quellenschutz zu erreichen, da die Originaldokumente
Rechtschreibfehler und Zufallsdaten enthalten könnten, die womöglich den
Enthüller enttarnen sollten. Die Originaldokumente wurden an den
Rechercheverbund der Süddeutschen Zeitung und des NDR vorab geschickt,
welche die Echtheit der besagten Papiere verifizierten und schon am Tag der
Arbeiterbewegung, dem Vortag der Enthüllung, über die Papiere
berichteten.¹³⁰ ¹³¹
Positionen politischer Parteien
Positionen außerhalb Deutschlands
USA
In den Vereinigten Staaten sprechen sich Präsident Obama und die
republikanische Mehrheit im Kongress für einen zügigen Vertragsschluss aus.
Beide erwarten mit TTIP zusätzliche Arbeitsplätze und steigende Exporte in
die EU. Als weitere Ziele gaben sie eine stärkere Verhandlungsmacht
gegenüber Russland, globale Durchsetzung westlicher Normen sowie allgemein
eine „Vertiefung der NATO" als Gegenpol zum zunehmend mächtigen China an.
Die Demokraten hingegen sind beim Thema Freihandel zwiegespalten und haben
ihrem Präsidenten eine Verhandlungsvollmacht bislang verweigert, um eine
Umgehung des Kongresses bei der TTIP-Ratifizierung zu verhindern. Der
besonders kritische demokratische Gewerkschaftsflügel befürchtet eine
Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland und einen erhöhten
Lohnsenkungsdruck.¹³² ¹³³ Im Bewusstsein der Zivilbevölkerung ist TTIP seit
2014 und hat bereits zahlreiche Kritiker.¹³⁴ Während die Zustimmung zum
Freihandel in den USA generell angestiegen ist (von 71 Prozent im Jahr 2014
auf 82 Prozent 2016) sprechen sich nur 15 Prozent für TTIP aus, 2014 lag
der Zustimmungswert noch bei mehr als 50 Prozent.¹³⁵
Europäische Union
Der Großteil der etablierten sowie der regierenden Parteien in den
EU-Ländern befürworten das Abkommen. Die größte öffentliche Debatte über
TTIP findet in Deutschland statt, die größte Ablehnung innerhalb der
Politik findet sich in Österreich sowie in Griechenland.
- Frankreich: Die sozialistische Regierung lehnt allenfalls
Sonderklagerechte für Konzerne ab, befürwortet aber TTIP grundsätzlich.
Die konservative Opposition steht hinter TTIP. Sehr kritisch wird TTIP
von den Grünen und der Linken gesehen, grundsätzlich abgelehnt wird es
vom rechtspopulistischen Front National. Teile der Zivilgesellschaft und
der kommunalen Politik lehnen TTIP ab bzw. stehen ihm kritisch
gegenüber.¹³⁶ ¹³⁷
- Großbritannien: Sowohl die Regierung aus Konservativen und
Liberaldemokraten als auch die Opposition in Form von Labour befürworten
TTIP. Allerdings hält die linksliberale Scottish National Party das
Abkommen für gesundheitspolitisch bedenklich.¹³⁶
- Italien: Hier ist TTIP nur ein Randthema, die Regierung befürwortet es,
die Opposition kritisiert es. Die rechtspopulistische Lega Nord hält das
Abkommen für „wirtschaftlichen Selbstmord".¹³⁶
- Spanien: TTIP ist hier ebenfalls nur ein Randthema. Regierung und
mehrheitlich die im Parlament vertretene Opposition befürworten es. Die
VereinteLinke hatte über TTIP eine – vom Parlament abgelehnte –
Volksabstimmung zu TTIP beantragt. Ebenfalls lehnt die Partei Podemos das
Abkommen grundsätzlich ab.¹³⁶
- Portugal: Hier spielt TTIP politisch keine große Rolle. Die Regierung
sieht durch TTIP 50.000 neue Arbeitsplätze. Die sozialistische Opposition
bezieht nicht groß Stellung und kleinere linke Parteien kritisieren das
Abkommen.¹³⁶
- Niederlande: Die holländische Regierung befürwortet TTIP. Über das
geplante Schiedsgerichtsverfahren ist – ohne Zustimmung der
rechtsliberalen Regierungsfraktion – im Parlament eine Resolution
verabschiedet worden, dass durch dieses das niederländische Rechtssystem
nicht eingeschränkt werden dürfe.¹³⁶
- Belgien: Die Sozialisten als größte Oppositionspartei fordern, dass die
Verhandlungen ausgesetzt werden, um das Verhandlungsmandat neu zu
bestimmen – unter anderem ohne ISDS-Klausel.¹³⁶
- Schweden: Die sozialdemokratische Regierung sowie die konservative
Opposition sind für das transatlantische Freihandelsabkommen.¹³⁶
- Polen: Hier befürwortet die liberalkonservative Regierung das Abkommen.
Allerdings wird in der Öffentlichkeit von einem breiten Bündnis
Mitspracherecht der Bürger und Transparenz gefordert.¹³⁶
- Baltische Staaten: In Estland, Lettland und Litauen sind Bevölkerung und
Politik deutlich überwiegend für das Abkommen.¹³⁶
- Tschechien: Die tschechische Mitte-links-Koalition befürwortet TTIP,
betont allerdings die Beibehaltung der sozialen Standards. Einwände
kommen von den Kommunisten und der Piratenpartei.¹³⁶
- Bulgarien: Die Mitte-rechts-Regierung steht hinter dem Abkommen, die
Opposition lehnt es ab.¹³⁶
- Slowenien: Die Regierung fordert eine stärkere Berücksichtigung der
kleineren Staaten sowie mehr Transparenz, lehnt TTIP aber nicht ab.¹³⁶
- Ungarn: Die rechtsnationale Regierung befürwortet TTIP, abgelehnt wird es
nur von der grünen Partei LMP.¹³⁶
- Rumänien: Hier unterstützen alle politischen Parteien TTIP.¹³⁶
- Österreich: Viele Politiker sind neutral oder gegen das Abkommen; allein
der Wirtschaftsminister bekennt sich klar zu TTIP.¹³⁶
- Griechenland: Aus Kreisen der SYRIZA-geführten Regierung wurde bereits
kurz nach der Wahl im Januar 2015 angekündigt, dass Griechenland das
Abkommen nicht ratifizieren werde.¹³⁸ Ansonsten steht das Thema klar im
Schatten der alles überschattenden Finanzkrise. Ähnliches gilt für
Zypern.
Deutsche Politik
Bei einer Umfrage im Jahr 2014 Jahren sprachen sich noch 55 Prozent der
Deutschen für TTIP aus, nur jeder vierte war dagegen. Bei einer Umfrage im
Jahr 2016 lehnte hingegen jeder dritte Deutsche das geplante Abkommen
zwischen der EU und den USA komplett ab. 17 Prozent bewerteten TTIP
positiv. Etwa die Hälfte der Befragten äußerte sich weder klar dagegen noch
dafür.¹³⁵
Position der Regierungsparteien
Die deutsche Bundesregierung will mit TTIP die wirtschaftliche Vormacht von
EU und USA ausbauen und gegen die Konkurrenz aus Asien sichern.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte¹³⁹ am 1. Oktober 2014:
„Es geht darum, mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP neue
Gesamtstandards zu setzen: Wenn man daran denkt, dass wir [EU plus USA]
insgesamt 65 Prozent des Welthandels verkörpern, dann können wir auch
eine Marktmacht entwickeln und dann mit einem solchen Abkommen auch
weltweite Standards setzen."
Diese weltweiten Standards würden dann „auch für China und Indien
gelten."¹⁴⁰
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat am 21. Mai 2014 einen
Beirat für TTIP einberufen; ihm gehören 22 Vertreter von Gewerkschaften,
Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie des Kulturbereichs
an.¹⁴¹
Im Gegensatz zur Europäischen Kommission, die nicht vorhat, die EU-Staaten
2015 nach Abschluss der Verhandlungen über das TTIP abstimmen zu lassen,
schätzt die deutsche Bundesregierung ein, dass die Zustimmung nicht nur des
Bundestags, sondern auch des Bundesrats erforderlich sei, da
Länderzuständigkeiten berührt werden. Ferner kritisiert das deutsche
Wirtschaftsministerium, dass seinen Beamten kein Zugang zu
Verhandlungsdokumenten der USA gewährt wird.¹⁴²
Im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie haben die CDU/CSU und die
SPD einen Antrag¹⁴³ der Grünen (unterstützt von der Linken), in TTIP und
CETA keine Schiedsgerichtsmechanismen aufzunehmen, abgelehnt.¹⁴⁴ Die
CDU-Fraktion begründete ihre Ablehnung damit,
„dass Schiedsgerichtsverfahren nicht per se zu verurteilen seien.
Vielmehr stellten sie ein etabliertes Verfahren auf internationaler und
nationaler Ebene dar, um Streitigkeiten beizulegen. Auch wenn man den
Antrag in dieser Form ablehne, sei man für Diskussionen offen, ob
Einschränkungen der Schiedsgerichtsverfahren erforderlich seien, etwa
hinsichtlich der Veröffentlichung von allen Gerichtsunterlagen."
Die SPD-Fraktion sagte
„dass die Regelungen zu Schiedsgerichtsverfahren und Investorenschutz aus
TTIP und CETA herausgenommen werden müssten. Der Antrag sei aber
abzulehnen, da er zum falschen Zeitpunkt komme. Diskutiert werden müssten
die fertigen Abkommen, wenn diese im Bundestag zur Debatte stünden. Wer
über CETA und TTIP reden wolle, müsse zunächst die positiven Seiten
darstellen und anschließend die roten Linien definieren"
Nach Kritik aus der eigenen Partei betonte Wirtschaftsminister Gabriel im
November 2014, dass er vor der Unterzeichnung von TTIP die Zustimmung des
SPD-Parteitags beziehungsweise des Parteikonvents einholen werde.¹⁴⁵
Bundestagspräsident Norbert Lammert äußerte im Oktober 2015, dass er in
Übereinstimmung mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für jeden
Mitgliedstaat der EU die Möglichkeit der Einsichtnahme in
Verhandlungsdokumente fordert und eine Zustimmung zu TTIP von
entsprechender Transparenz abhängig macht.¹⁴⁶
Positionen der Opposition
Die Linke
Die Bundestagsfraktion der Linken lehnt TTIP vollständig ab. TTIP werde
weder zu mehr Wachstum, noch mehr Jobs, noch mehr Wohlstand führen. Es
drohten Gefahren für Standards und Demokratie. Konzernen würde noch mehr
Gestaltungsmacht über politische Prozesse und die Gesellschaft gegeben.¹⁴⁷
¹⁴⁸ Die Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage mit 125
Einzelfragen zu den Auswirkungen von TTIP wurden von der Fraktion Die Linke
als „substanzlose Werbebotschaften" kritisiert. Auch die allgemeine
Zielsetzung der Bundesregierung wurde einer scharfen Kritik unterzogen:
„Die Behauptung, das ‚Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA
[würde] enorme Chancen bieten, um stärker als bisher zu beginnen, einer
globalisierten Wirtschaft Spielregeln zu geben', ist vermessen und
anmaßend. Nur eine multilaterale, demokratische Organisation wäre sinnvoll.
Die Welthandelsorganisation (WTO) ist in Fragen des Handels und der
Investitionen dazu aktuell nicht in der Lage und blockiert, da USA und EU
nicht bereit sind zu akzeptieren, dass viele Entwicklungs- und
Schwellenländer eigene und zwar andere Vorstellungen von „Spielregeln"
haben. Wenn es solche globalen Regeln also (noch) nicht ausreichend gibt,
dann unter anderem weil die USA und EU auf falsche oder zumindest
einseitige Regeln zu ihrem Vorteil setzen."¹⁴⁹
Bündnis 90/Die Grünen
Die Grünen kritisieren vor allem das intransparente Verfahren, in das die
Öffentlichkeit und das Europäische Parlament nicht ausreichend eingebunden
seien. Sie fordern daher Verhandlungen auf Basis eines transparenten
Verfahrens und eines neuen, besseren und öffentlichen
Verhandlungsmandates.¹⁵⁰ Die Partei setzt sich außerdem dafür ein,
Ausstiegsklauseln in den Vertragstext aufzunehmen, damit Mitgliedsstaaten
auch nach Inkrafttreten des TTIP noch austreten können.¹⁵¹
Widerstand aus der Zivilgesellschaft
Positionen
Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie Mehr Demokratie e. V.¹⁵²
und Attac,¹⁵³ ¹⁵⁴ Gewerkschaften wie Verdi,¹⁵⁵ ¹⁵⁶
Verbraucherschutzorganisationen, Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace
und der BUND, der Deutsche Kulturrat und Parteien wie Die Linke, Bündnis
90/Die Grünen,¹⁵⁷ die AfD,¹⁵⁸ die Piratenpartei,¹⁵⁹ die
Ökologisch-demokratische Partei,¹⁶⁰ die Partei Mensch Umwelt Tierschutz
sowie politische Verbände wie die europäischen Grünen/Europäische Freie
Allianz, kritisieren TTIP teilweise massiv.¹⁶¹ ¹⁶² Partiell basiert diese
Kritik auf Erfahrungen mit dem bestehenden Nordamerikanischen
Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen den USA, Mexiko und Kanada.²⁵ Eine
Vertreterin des deutschen Bunds für Umwelt und Naturschutz erklärte das
Freihandelsabkommen für „nicht mit demokratischen Prinzipien vereinbar",³⁸
die Handelsrechtsexpertin und Aktivistin Lori Wallach bezeichnete es in
einem Artikel in Le Monde diplomatique als „die große Unterwerfung" der
Teilnehmerstaaten unter die Interessen von Großkonzernen und als
„Staatsstreich in Zeitlupe".²⁵
Franz Kotteder, Journalist und Autor des Buches Der große Ausverkauf. Wie
die Ideologie des freien Handels unsere Demokratie gefährdet, sieht
Abkommen wie TTIP am Anfang einer gewaltigen Umwälzung stehen, an deren
Ende der zügellose Markt stehen könne. Das transatlantische
Freihandelsabkommen sieht er als Teil eines Geflechts von Verträgen (CETA,
TiSA, TTP), die allesamt dasselbe Ziel verfolgten: die Umsetzung einer
„neoliberalen Agenda", die multinationale Konzerne von allen
Beschränkungen, die ihnen durch Regierungen auferlegt wurden, befreien
soll. TTIP sei damit „Teil eines Weltstaatsstreichs der internationalen
Wirtschaftsverbände und der großen Konzerne".¹⁶³
Aktivitäten
Beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags wurde im Januar 2014 eine
Petition¹⁶⁴ eingereicht, mit dem Ziel, der Bundestag solle sich gegen das
Abkommen aussprechen. Die Petition wurde innerhalb der Mitzeichnungsfrist
von 68.331 Bürgern unterzeichnet und muss somit vom Petitionsausschuss in
öffentlicher Sitzung behandelt werden.
Die ATTAC-Initiative „TTIP unfairhandelbar" überreichte in Deutschland am
22. Mai 2014 715.000 Unterschriften.¹⁶⁵ Die Initiative Campact wollte mit
650.000 Unterschriften per Online-Abstimmung die EU-Zustimmung zu TTIP
verhindern.¹⁶⁶ Die Überreichung der ersten 470.000 Unterschriften an Sigmar
Gabriel kommentierte dieser mit den Worten: „470.000 Menschen haben gegen
etwas unterschrieben, was es noch gar nicht gibt." Man könne „den Eindruck
kriegen, als ginge es um Leben und Sterben".¹⁶⁷ Der damalige
Handelskommissar De Gucht erinnerte im Vergleich zur Unterschriftenkampagne
daran, dass er bei den Verhandlungen 500 Millionen Europäer vertritt.¹⁶⁷
Das internationale Bündnis „Stop TTIP" mit mehr als 480 europäischen
Organisationen, Parteien, Wählergruppierungen und NGOs, das von Mehr
Demokratie e. V. in Berlin angeführt wird, stellte bei der Europäischen
Kommission einen Registrierungsantrag für eine Europäische Bürgerinitiative
(EBI) gegen das TTIP-Abkommen, der von dieser als unzulässig abgelehnt
wurde (nicht rechtskräftig).¹⁶⁸ Gegen die Ablehnung kündigte das Bündnis
eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an und begann gleichzeitig, die
Bürgerinitiative selbst zu organisieren, mit dem Ziel, mehr als eine
Million Unterschriften gegen TTIP und CETA zu sammeln.¹⁶⁹ An einem
europaweiten Aktionstag am 11. Oktober 2014 wurden allein etwa 250.000
Unterschriften gesammelt.¹⁷⁰ Am Ende der Unterschriftenaktion, am 6.
Oktober 2015, hatten 3.263.920 EU-Bürger die Petition unterschrieben.¹⁷¹ In
23 der 28 Mitgliedsstaaten erfüllt die Initiative den erforderlichen
Mindestprozentsatz; mit mehr als 2000 Prozent des erforderlichen Quorums
(entspricht ca. 1,5 Millionen Unterschriften) kam der mit Abstand höchste
Prozentsatz an Mitzeichnungen aus Deutschland.¹⁷² ¹⁷³ Am 10. Oktober 2015
protestierten bis zu 250.000 Menschen (Polizei: 150.000) in Berlin gegen
das Freihandelsabkommen. Zu dem Protestzug hatte ein breites Bündnis aus
Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sowie
Globalisierungsgegnern mit rund 30 Organisationen aufgerufen.¹⁷⁴ ¹⁷⁵ ¹⁷⁶
Bei einer von der EU durchgeführten Befragung zu TTIP haben sich bis Mitte
Juli 2014 etwa 149.000 EU-Bürger beteiligt. Über 145.000 von diesen lehnten
TTIP vollständig oder Teile davon (insbesondere das
Schiedsgerichtsverfahren) ab. Die Ablehnungsquote betrug damit 97
Prozent.¹⁷⁷ Das entspricht dem Anteil an Antworten, die kollektiv über
Onlineplattformen abgegeben wurden, die vorgefertigte Antworttexte zur
Verfügung stellten.¹⁷⁸
Kritik nach Themen
Geheimes bzw. undemokratisches Zustandekommen
Zahlreiche Einzelpersonen und Verbände kritisieren, dass TTIP vor allem von
Unternehmen und deren Lobbyisten vorangetrieben werde. Laut diversen
Kritikern hätten Großunternehmen direkten Einfluss auf die Texte des
Vertrags, während Vertreter der Zivilgesellschaft wie
Nichtregierungsorganisationen keinen Zugang zu den Verhandlungstexten
hätten und nur in offenen Konsultationen mit der EU-Kommission ihre
Positionen vorbringen könnten.³⁸ Der Einfluss der Konzerne auf das
Verfahren sei dabei für die Öffentlichkeit intransparent.¹⁷⁹ Dem
widersprach EU-Kommissar Karel De Gucht mit dem Argument, dass jeder
Verhandlungsschritt öffentlich bekanntgegeben worden sei.¹⁸⁰ Allerdings
sind die dabei jeweils verhandelten Inhalte nicht öffentlich einsehbar.
Auch Parlamentarier des Europaparlaments oder der nationalen Parlamente
haben keine Möglichkeit, die Verhandlungen zu verfolgen oder die
Verhandlungstexte einzusehen.³⁸
Im November 2014 berichtete das Handelsblatt, dass es in Zukunft in Berlin
und anderen Hauptstädten von EU-Staaten TTIP-Leseräume für Parlamentarier
geben solle, wobei der Personenkreis, der Zugang haben solle, noch nicht
feststehe. Bislang bestehe nur ein Leseraum im EU-Parlament, mit Zugang für
sehr wenige Abgeordnete.¹⁸¹
Elizabeth Warren, Senatorin und Erfinderin der von Obama umgesetzten
Verbraucherschutzbehörde Consumer Financial Protection Bureau, behauptete,
die Inhalte von TTIP seien deshalb geheim, weil die amerikanische
Öffentlichkeit – nach Ansicht der Unterstützer – bei Bekanntwerden dieser
Inhalte gegen TTIP sein würde. Sie erklärte im Mai 2014:
"I actually have had supporters of the deal say to me 'They have to be
secret, because if the American people knew what was actually in them,
they would be opposed.'"
„Unterstützer des Abkommens sagten mir, die Gespräche müssten geheim
sein, denn wenn das amerikanische Volk wüsste, was tatsächlich der Inhalt
ist, wäre es dagegen."
– George Zornick: Elizabeth Warren Reveals Inside Details of Trade Talks –
The Nation, 15. Mai 2014
Greenpeace kritisiert, dass die EU-Kommission völkerrechtlich bindende
Verpflichtungen ohne Einbeziehung der nationalen Parlamente plane (und
diese bei CETA bereits existierten). Mit einer „vorläufigen Anwendung"
sollen völkerrechtliche Verpflichtungen eingegangen werden, ohne dass die
nationalen Parlamente zustimmen müssten. Im Fall des bereits ausgehandelten
CETA sehe diese vorläufige Anwendung etwa ein Klagerecht von Investoren und
Unternehmen im Rahmen des höchst umstrittenen Investor-State Dispute
Settlement (ISDS) bereits ein Jahr vor der jeweiligen Parlamentsabstimmung
vor. Dieses Klagerecht würde selbst nach einer Verhinderung von CETA im
nationalen Parlament für weitere drei Jahre seine Gültigkeit behalten.¹⁸²
Anfang Februar 2015 formulierte der Globalisierungsgegner Harald Schumann
im Tagesspiegel so,¹⁸³ als ob es alleinige Entscheidung der US-Regierung
sei, dass maximal zwei EU-Regierungsbeamte gleichzeitig an maximal zwei
Tagen der Woche („idealerweise Montags und Mittwochs") in Leseräumen der
jeweiligen US-Botschaften TTIP-Dokumente einsehen dürfen, nach vorheriger
Anmeldung und Zulassung, mit lediglich Stift und Papier für „begrenzte
Notizen".¹⁸⁴
Anfang 2015 wurden neun EU-Verhandlungstexte¹⁸⁵ online gestellt.¹⁸⁶ ¹⁸⁷
Der Literaturwissenschaftler Roland Reuß forderte im Februar 2015 in der
FAZ, dass nicht nur diejenigen, die sich Lobbyvertreter leisten können,
Einblick in den Verhandlungsprozess erhalten müssen, sondern auch
Mittelstand, Kleinunternehmer und alle Bürger, da sie an den betroffenen
Sozialsystemen ebenfalls beteiligt sind. Er habe den Eindruck eines
exekutiven Putsches. Eine nicht dazu berechtigte Exekutive (Brüssel und
Berlin) agiere wie nach einem vermeintlich alternativlosen Drehbuch. Damit
betrieben die Verantwortlichen und alle, die sie gewähren lassen, geradezu
die Abschaffung der Demokratie. Kants transzendentale Formel des
öffentlichen Rechts zitierend folgert Reuß: „Alle auf das Recht anderer
Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität
verträgt, sind unrecht."¹⁸⁸ Die Maßnahmen z. B. des
Bundeswirtschaftsministeriums¹⁸⁹ zu Partizipation und Transparenz erwähnt
Reuß nicht.
Am 1. Mai 2016 sind Abschriften der als vertraulich geltenden Dokumente zur
Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) von der
Umweltorganisation Greenpeace an die Süddeutsche Zeitung und an den NDR und
WDR weitergegeben worden. Dabei handelt es sich um die bisher verhandelten
13 Vertragskapitel, welche rund die Hälfte des gesamten Abkommens
darstellen. Demnach drohen die Vereinigten Staaten, Exporterleichterungen
für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu
erreichen, dass die Europäische Union mehr US-amerikanische Agrarprodukte
abnimmt, und fordern zudem Änderungen beim derzeitigen Vorsorgeprinzip,
nach dem Belastungen bzw. Schäden für die Umwelt bzw. die menschliche
Gesundheit im Voraus (trotz unvollständiger Wissensbasis) vermieden oder
weitestgehend verringert werden sollen.¹⁹⁰
Investitionsschutz
TTIP sieht Schiedsgerichtsverfahren – Investor-State Dispute Settlement
(ISDS) – vor, in denen Nonprofits, Unternehmen und Einzelpersonen die
Möglichkeit gegeben wird, einen Staat zu verklagen, wenn sie als
ausländische Investoren gegenüber Inländern diskriminiert werden, ohne
Entschädigung enteignet werden, mit Rechtsverweigerung konfrontiert werden
oder willkürlich vom Staat behandelt werden. 2012 veröffentlichte das
Corporate Europe Observatory (CEO) eine Studie über das Ausmaß der weltweit
bereits über Handelsabkommen etablierten Möglichkeit für internationale
Investoren, Schiedsgerichte anzurufen. Das entfachte einen europaweit
geführten Diskurs über das auch in TTIP geplante Streitbeilegungsverfahren.
Bislang haben sich das niederländische Parlament, der französische Senat
und der deutsche Wirtschaftsminister dagegen ausgesprochen.¹⁹¹ Aufgrund der
anhaltenden Kritik schlug die EU-Kommission als Alternative zu
Schiedsgerichten ein Handelsgericht mit zwei Instanzen vor.¹⁹² Die
Mitgliedsstaaten, das Europäische Parlament und die USA müssen dem
Vorschlag jedoch noch zustimmen.
Befürchteter „Chilling effect" für Demokratien
Der englische Begriff „Chilling effect" bezeichnet hier die Befürchtung,
die politischen Entscheidungsträger könnten aufgrund der Furcht vor
Schadensersatzklagen vor transnationalen unabhängigen Schiedsgerichten
wegen z. B. entgangener Gewinne („Enteignung, „Investor-Staats-Klagen
)
zurückhaltender werden.¹⁹³
Schiedsgerichte als unkontrollierbare Instanz
Investitionsschiedsgerichte entscheiden an Stelle von nationalen Gerichten,
bieten aber im Vergleich zu diesen regelmäßig weniger Möglichkeiten der
Überprüfung von Entscheidungen durch höhere Instanzen. Diese Verfahren
werden von Kritikern als intransparent und demokratisch unkontrolliert
betrachtet. Befürchtet werden Klagen, wenn durch staatliche Eingriffe
Gewinnerwartungen geschmälert worden seien, z. B. wenn der Staat neue
Umweltauflagen beschließt.¹⁹⁴ Unternehmen könnten nach Ansicht von
Kritikern somit z. B. durch die Androhung von Schadensersatzforderungen die
Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel oder ein Verbot
der Gasförderung mittels Fracking verhindern. Ebenso könnten sie – ähnlich
wie die Klage von Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg im Rahmen der
Investorenschutzklausel des Energiecharta-Vertrags¹⁹⁵ ¹⁹⁶ – versuchen,
Entschädigungszahlungen für den Ausstieg aus der Kernenergie zu erzwingen.
Ebenso wurden durch einen Vergleich bei einem Schiedsgerichtsverfahren (und
einem parallelen Verfahren vor dem Hamburger Oberverwaltungsgericht) die
Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg geändert.¹⁹⁷
Laut Lori Wallach könnten „gigantische Entschädigungen" für Unternehmen
fällig werden, wenn Staaten gegen die Vertragsregelungen verstießen und
nennt dabei als Beispielfall den bis dahin höchsten¹⁹⁸ Schiedsspruch eines
ICSID-Tribunals über 1,77 Milliarden Dollar zuzüglich Zinsen.²⁵ Ecuador
wurde dabei von einem Schiedsgericht dazu verurteilt, diese Summe als
Ausgleich zu zahlen, nachdem es Eigentum von Occidental Petroleum
verstaatlicht hatte. Nach einem Antrag Ecuadors auf Aufhebung des
Schiedsspruchs nach den ICSID-Regeln¹⁹⁹ wurde der Schiedsspruch auf eine
Milliarde US-Dollar reduziert.²⁰⁰
Die Anzahl derartiger Verfahren hat in den letzten zehn Jahren massiv
zugenommen.²⁵ Die Gesamtzahl der Klagen ist unklar, da nicht alle Verfahren
öffentlich sind, bekannt sind geschätzt 600 Verfahren aus den vergangenen
Jahrzehnten.²⁰¹ Innerhalb der EU wurde etwa Rumänien in einem Verfahren vor
einem Schiedsgericht der ICSID in Washington, D.C. zu einer Strafe von 253
Millionen US-Dollar wegen Subventionskürzung für ein Unternehmen auf
Grundlage des schwedisch-rumänischen Investitionsschutzabkommens
verurteilt; die Generaldirektion Wettbewerb der Brüsseler EU-Kommission
forderte die rumänische Regierung im Mai 2013 ausdrücklich auf, den Spruch
des Schiedsgerichtes zu ignorieren.²⁰² Die USA wurden kaum (und erfolglos)
auf diese Weise verklagt, wobei der Ökonom Joseph E. Stiglitz darauf
verweist, dass Konzerne gerade erst anfangen zu lernen, wie sie diese
Schiedsgerichtsübereinkommen zu ihrem Vorteil nutzen können.²⁰³ Die
Verfahren sind, wie beim obigen Beispiel Vattenfall-Deutschland, zum Teil
bereits aufgrund von bestehenden bi- und multilateralen
Investitionsschutzabkommen möglich.²⁰⁴ Deutschland hat mit 89 Schwellen-
und Entwicklungsländern Verträge über Investitionsschutz abgeschlossen (die
bei einigen Länder wie z. B. Bolivien und Brasilien jedoch nicht in Kraft
sind) die ISDS-Verfahren ermöglichen und z. B. beinhalten, dass die
Unternehmen des anderen Staates nicht grundsätzlich schlechter behandelt
werden dürfen als inländische Unternehmen.²⁰⁵ ²⁰⁶
Parallelen zum Nordamerikanischen Freihandelsabkommen
Wie beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA sieht auch das TTIP
vor, dass privaten Investoren die Möglichkeit eingeräumt werden soll,
Staaten vor Schiedsgerichten auf Kompensationen zu verklagen, wenn ihnen
ein Gesetz oder staatliches Handeln auf bestimmte Weise schadet.²⁰⁷
Ein von Kritikern häufig angeführtes²⁰⁸ Beispiel ist das Verfahren Lone
Pine gegen Kanada.²⁰⁹ Weil die kanadische Provinz Quebec ein Moratorium für
das Fracking von Schiefergas und Öl erließ, klagt das US-amerikanische
Unternehmen Lone Pine, welches zuvor eine Probebohrungslizenz erworben
hatte, vor einem internationalen Schiedsgericht gegen den Staat Kanada und
fordert Entschädigungen in Höhe von 250 Millionen Dollar für den zu
erwartenden Gewinnausfall.²¹⁰ Kanada wurde insgesamt mehrfach vor
NAFTA-Schiedsgerichten verklagt, was seit Bestehen von NAFTA, 1994, bis
Oktober 2014 zu Verurteilungen auf ca. 150 Millionen Dollar Schadensersatz
geführt hat.²¹¹
Ähnliche Klagen wären nach Inkrafttreten von TTIP auch durch US-Investoren
gegen Staaten der EU und umgekehrt möglich. Laut EU-Kommission soll dabei
sichergestellt sein, dass Investitionsschutzklauseln nur in sehr begrenzten
Bereichen eingesetzt werden, „z. B. wenn gegenüber inländischen Firmen
diskriminiert wird oder wenn eine Firma im Ausland ohne Entschädigung
enteignet wird."³⁶
Einzelpositionen
Der BDI hält Investitionsschutzklauseln und Investor-Staat-Schiedsverfahren
für unabkömmlich, spricht sich aber für eine Reform aus, die Staaten die
Möglichkeit belässt, Gesetze und Regulierungen zum Allgemeinwohl zu
erlassen.²¹² Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström befürwortet das
Abkommen, verkündete gegenüber dem EU-Parlament aber als Ziel,
Schiedsverfahren um die Möglichkeit einer Berufung zu erweitern und die
Schiedsstellen dahingehend anzupassen, dass Schiedsrichter auf eine
bestimmte Dauer berufen und ihren Qualifikationen nach an jene nationaler
Richter angeglichen würden.²¹³
Der deutsche ehemalige Bundesverfassungsrichter Siegfried Broß erklärte im
März 2015, dass die Schiedsgerichtsklauseln gegen deutsches
Verfassungsrecht und Recht der EU verstoßen und damit einen Systembruch des
Völkerrechts bedeuten.²¹⁴ Die EU-Kommission antwortete, es sei ein Gerücht,
dass ein Investorenschutz in TTIP die Souveränität nationaler Gesetzgebung
berühre.²¹⁵
Bedrohung nicht-staatlicher europäischer Bildungseinrichtungen
Anfang Februar 2015 wies die Vorsitzende der Katholischen
Erwachsenenbildung Deutschland auf ein von ihr gesehenes Risiko für private
öffentlich geförderte Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung
durch drohende Investor-Staat-Klagen von privaten Bildungsanbietern
(US-Hoch-, Privatschulen) hin.²¹⁶ Auch das Europabüro für katholische
Jugendarbeit und Erwachsenenbildung hat Bedenken.²¹⁷ Die deutschen
Bildungsgewerkschaften Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Verband Bildung
und Erziehung (VBE) hatten bereits früher auf diese Risiken hingewiesen.²¹⁶
Aufweichung und Umgehung von Arbeitnehmerrechten
Ein Vorwurf der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi lautet, durch TTIP
entstehe die Gefahr, dass Arbeitnehmerrechte auf das jeweils niedrigere
Niveau beider Verhandlungspartner heruntergefahren würden.¹⁵⁵
Gewerkschaftliche Vereinigungen beispielsweise, die nach bundesdeutschem
Recht ermöglicht werden müssen, könnten durch TTIP durch den jeweiligen
Konzern unterbunden werden, so Verdi. Der US-Handelsbeauftragte Michael
Froman hingegen betonte die Absicht, die Standards global anzuheben.²¹⁸
Gefährdung des Klimaschutzes
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz warnte im April 2016, dass
ein erfolgreicher Klimaschutz, wie bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015
international vereinbart, durch TTIP erheblich gefährdet würde. TTIP
untergrabe genau die Politik, die für einen erfolgreichen Klimaschutz
notwendig sei. Treibhausgasemissionen, deren Kosten nicht von ihren
Verursachern getragen werden, produzierten soziale Kosten, die ökonomisch
gesehen wie Subventionen für die Unternehmen wirken, die sie verursachen.
Solange Unternehmen nicht für die Umweltschäden aufkommen müssen, die sie
auslösten, sei jedoch kein fairer Handel möglich. TTIP schaffe für
Unternehmen im Gegenteil weitere Möglichkeiten, gegen solche Maßnahmen
vorzugehen. So räumten die bei TTIP vorgesehene Streitschlichtungsverfahren
Unternehmen explizit die Möglichkeit ein, Staaten für Umwelt- und
Klimaschutzgesetze vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, was
dazu führen würde, dass sich keine ambitionierten, sondern die jeweils
niedrigsten Umweltschutzstandards durchsetzten. Entworfen worden sei das
Abkommen im Geheimen und gemeinsam mit Lobbyisten und mit Hinblick auf
einen republikanisch dominierten US-Kongress, in dem sich Klimaleugner über
wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegsetzten.²¹⁹
Auch das europäische Umweltschützer-Netzwerk Friends of the Earth
veröffentlichte im Juli 2014 eine Studie unter dem Titel Dirty Deals.²²⁰
„Darin wird nachgezeichnet, wie die Ölindustrie daran arbeitet, höhere
EU-Klimaschutzstandards für Erdölprodukte wie Benzin und Diesel
auszuhebeln. Denn eine geplante EU-Regel könnte unter anderem dazu führen,
umstrittene Einfuhren von Teersand-Öl in die EU zu erschweren. Doch das
will die Industrie verhindern. Sie sieht in strengeren
Klimaschutz-Vorschriften ein Handelshemmnis, das im Zuge der TTIP-Gespräche
beseitigt werden muss."²²¹
Aufweichung und Umgehung von Verbraucherschutz-, Umwelt- und
Gesundheitsstandards
Die angestrebte „Harmonisierung" von Standards, etwa im Bereich des
Verbraucherschutzes bzw. der Umwelt- und Gesundheitspolitik, orientiert
sich laut Kritikern an den Interessen der Konzerne und Finanz-Investoren –
weil Harmonisierung bedeute, dass tendenziell der jeweils niedrigste bzw.
wirtschaftsfreundlichste Standard aller Einzelstaaten als Basis für die
verbindliche Norm des Vertrags dienen werde (Race to the bottom). So weiche
TTIP bestehende hohe europäische Umwelt- und Gesundheitsstandards zugunsten
von niedrigeren US-Standards auf. Neben dem Problem einer „Anpassung nach
unten" wird befürchtet, dass es zunehmend schwieriger wird, neue
verbesserte Verbraucher- und Umweltschutzkriterien einzuführen.²²² ²²³ In
diesem Zusammenhang sind folgende Beispiele zu nennen:
- Als bedroht wird die in Europa weitverbreitet betriebene Ökologisierung
der Landwirtschaft (Agrarwende) gesehen,²²⁴ insbesondere für kleine
Bauernhöfe in Deutschland werden Nachteile befürchtet.²²⁵
- Konzerne wie Monsanto kritisieren die Beschränkungen innerhalb des
europäischen Markts seit langem und versuchen im Zuge von TTIP zu
erreichen, dass z. B. auch genveränderte Pflanzensorten und Produkte
unbeschränkt auf dem europäischen Markt vertrieben werden können.²⁵ Die
Europäische Kommission hat erklärt, über den Marktzugang von
