Ethik: Themenzusammenfassung
Von Thom Delißen und Peaceway/wiki
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Über dieses E-Book
(Verständnis)", von ἦθος ēthos "Charakter, Sinnesart" (dagegen ἔθος:
Gewohnheit, Sitte, Brauch),¹ vergleiche lateinisch mos) ist jener
Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen menschlichen
Handelns und seiner Bewertung befasst. Im Zentrum der Ethik steht das
spezifisch moralische Handeln,² insbesondere hinsichtlich seiner
Begründbarkeit und Reflexion. Cicero übersetzte als erster êthikê in den
seinerzeit neuen Begriff philosophia moralis.³ In seiner Tradition wird die
Ethik auch als Moralphilosophie bezeichnet.
Die Ethik und ihre benachbarten Disziplinen (z. B. Rechts-, Staats- und
Sozialphilosophie) werden auch als "praktische Philosophie"
zusammengefasst, da sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst. Im
Gegensatz dazu steht die "theoretische Philosophie", zu der als klassische
Disziplinen die Logik, die Erkenntnistheorie und die Metaphysik gezählt
werden.
Begriff, Gegenstand und Gliederung der Ethik
Als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin wurde der Begriff Ethik
von Aristoteles eingeführt, der damit die wissenschaftliche Beschäftigung
mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen (ethos) meinte, wobei allerdings
schon seit Sokrates die Ethik ins Zentrum des philosophischen Denkens
gerückt war (Sokratische Wende). Hintergrund war dabei die bereits von den
Sophisten vertretene Auffassung, dass es für ein Vernunftwesen wie den
Menschen unangemessen sei, wenn dessen Handeln ausschließlich von
Konventionen und Traditionen geleitet wird. Aristoteles war der
Überzeugung, menschliche Praxis sei grundsätzlich einer vernünftigen und
theoretisch fundierten Reflexion zugänglich.
Thom Delißen
Thom Delißen Alter Holzgarten 1 85435 Erding Tel. 08122 18553 Mail: TDTextdesign@aol.com Jahrgang 63, geboren in Münster, aufgewachsen in Oberbayern. Der Autor verbrachte Jahre in Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, Brasilien, Indien. Seine Kurzgeschichten und Lyrik versuchen das Rätsel nach dem Sinn und Sein zu hinterfragen, wollen auf die letzten Ziele – die Liebe und die Heiterkeit hinweisen. Verleger und Chefredakteur der Literaturzeitschrift „Schrieb“. Veröffentlichungen in Tageszeitungen, Literaturzeitschriften (Wienzeile, Maskenball, Bohnenstange, Brücke, Federwelt, Kult u.v.m.) Krimi-Magazinen, Anthologien. Mitautor Chronik Erding, Ex-Chefredakteur der regionalen Literaturzeitschrift „GedankenSprung“. Organisator der Initiative „Worte und Taten“. Mitglied der internationalen Autorengruppe „ProLyKu“. “Question Authority“ Kurzgeschichtensammlung von Thom Delißen/ Lyrik und Prosa erschienen im FV-Verlag/Lübeck Hörspiel „Rhéethron“ Die Sätze. (u.v.m) „The Vanderbilt Berlin Wall Project“ Brockmann „Mordsapfel“ Sieben-Verlag „Criminalis“ Pushmann „Wir bei C&C“ (Hrsg. Metro 2008) „Der Teddybär“ 2008 TD Textdesign „Plattform Carpe Diem“ (Burger) „Spurenwelt“ (Website Verlag) „100 % Worte für Brot“ (FV-Verlag) CD „Gedankengischt“ (TD Textdesign) CD „Do sei“ Bayerische Texte CD Textsammlung „Fetzen“ (TD Textdesign) „Die ganze Welt gesehen“ (FV-Verlag) „10 X 10“ Lyrikprojekt (Edition Thaleia) „Jeder Friedensgedanke ein Gedicht“ Edition Octopus, Geest-Verlag Literamus (Trier) “Ene Mene Mu (Spendenedition TD Textdesign) und andere. Zahlreiche Veröffentlichungen im Internet Streitschriften, Kurzgeschichten, Lyrik. „Das oberste Ziel eines jeden freiheits- und verantwortungsbewussten Menschen kann immer nur sein, Manipulation zu unterlaufen, Informationen zu beschaffen und zu veröffentlichen ...“ Pages: www.t delissen.de www.tdtextdesign.org www.schrieb.com
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Ethik - Thom Delißen
4015602-3
Geist
Geist (griechisch πνεῦμα pneuma,¹ griechisch νοῦς nous² und auch griechisch
ψυχή psyche,³ lat. spiritus,⁴ mens⁵ , animus bzw. anima,⁶ hebr. ruach und
arab. rūh, engl. mind, spirit, franz. esprit) ist ein aus historischen
Gründen uneinheitlich verwendeter Begriff der Philosophie, Theologie,
Psychologie und Alltagssprache.⁷
Im Zusammenhang mit Bewusstsein kann man grob zwischen zwei
Bedeutungskomponenten des Begriffs „Geist" unterscheiden:
- Bezogen auf die allgemeinsprachlich „geistig" genannten kognitiven
Fähigkeiten des Menschen bezeichnet „Geist" das Wahrnehmen und Lernen
ebenso wie das Erinnern und Vorstellen sowie Phantasieren und sämtliche
Formen des Denkens wie Überlegen, Auswählen, Entscheiden, Beabsichtigen
und Planen, Strategien verfolgen, Vorher- oder Voraussehen, Einschätzen,
Gewichten, Bewerten, Kontrollieren, Beobachten und Überwachen, die dabei
nötige Wachsamkeit und Achtsamkeit sowie Konzentration aller Grade bis
hin zu hypnotischen und sonstigen tranceartigen Zuständen auf der einen
und solchen von Überwachheit und höchster Geistesgegenwärtigkeit auf der
anderen Seite.
- Mit religiösen Vorstellungen von einer Seele bis hin zu
Jenseitserwartungen verknüpft, umfasst „Geist" die oft als spirituell
bezeichneten Annahmen einer nicht an den leiblichen Körper gebundenen,
nur auf ihn einwirkenden reinen oder absoluten, transpersonalen oder gar
transzendenten Geistigkeit, die als von Gott geschaffen oder ihm gleich
oder wesensgleich, wenn nicht sogar mit ihm identisch gedacht wird.
Heiliger Geist wird in der christlichen Vorstellungswelt dagegen der als
Person gedachte, symbolisch als Taube oder als Auge dargestellte „Geist
Gottes" genannt.
Die Frage nach der „Natur" des Geistes ist somit ein zentrales Thema der
Metaphysik.
In der Tradition des deutschen Idealismus bezieht sich der Begriff hingegen
auf überindividuelle Strukturen. In diesem Sinne ist etwa die hegelsche
Philosophie zu verstehen, aber auch Wilhelm Diltheys Konzeption der
Geisteswissenschaften.
Der Begriff des Geistes
Die modernen heterogenen Konzeptionen des Geistes haben ihren Ursprung zum
einen in der antiken Philosophie und zum anderen in der Bibel.⁸ Während
sich in den meisten romanischen Sprachen ein entsprechender Begriff aus dem
lateinischen spiritus entwickelte, leitet sich der Begriff des Geistes aus
der indogermanischen Wurzel *gheis- für erschaudern, ergriffen und
aufgeregt sein ab.⁹ Das westgermanische Wort *ghoizdo-z bedeutete wohl
„übernatürliches Wesen" und wurde mit der Christianisierung der Germanen
christlich umgedeutet, so dass der Begriff in althochdeutschen (geist) und
altenglischen (gást) Schriften als Übersetzung für den biblischen Spiritus
Sanctus diente. Dieser Sinngehalt des Wortes hielt sich bis in die
Gegenwart, so dass „Geist auch als Synonym für „Gespenst
verwendet wird.
Eine weitere Bedeutungsebene, die heute jedoch nicht mehr offensichtlich
ist, stellt „Geist in einen Zusammenhang mit „Atem, Windeshauch
als
Ausdruck der Belebtheit. So findet sich noch in Luthers Übersetzung der
Bibel die Formulierung „der himmel ist durchs wort des herrn gemacht und
all sein heer durch den geist seines munds".¹⁰ Auch das lateinische
spiritus weist diese Bedeutung auf; es ist mit spirare „atmen" verwandt.
Zudem wird der Begriff des Geistes verwendet, um sich auf die kognitive und
emotionale Existenz eines Lebewesens zu beziehen. Umstritten ist in der
Theorie das Verhältnis von Geist und Gehirn: Während die Theologie und die
Philosophie in der Tradition René Descartes' davon ausgehen, dass sich der
Begriff „Geist" auf ein immaterielles Ding bezieht, postulieren viele
Naturwissenschaftler und Philosophen, der Geist sei nichts anderes als
neuronale Aktivität. In diesem Fall beziehe sich der Terminus letztlich auf
das Gehirn. Andere Philosophen behaupten wiederum, der Geist sei keine
immaterielle Substanz, könne aber dennoch nicht auf das Gehirn reduziert
werden. Die Natur des Geistes ist das Hauptthema der Philosophie des
Geistes.
In verschiedenen Theorien, gelegentlich auch im Alltag, wird der Ausdruck
zur Charakterisierung überindividueller Phänomene, Objekte, Eigenschaften
oder Prozesse eingesetzt. Johann Gottfried Herders Werk Vom Geist des
Christentums prägte diese Begriffsverwendung entscheidend mit. Ein
zentrales Konzept der deutschsprachigen Kultur wurde „Geist" spätestens mit
dem Werk Georg Wilhelm Friedrich Hegels. Nach Hegel manifestiert sich in
Gemeinschaften ein objektiver Geist, während der absolute Geist Kunst,
Philosophie und Religion auszeichnet. Auch die Sozialwissenschaften
benutzen den Begriff des Geistes, um auf Merkmale von Gemeinschaften
hinzuweisen. In dem Sinne ist etwa Max Webers Rede vom „Geist" des
Kapitalismus zu verstehen.¹¹ Dieser „Geist" ergibt sich durch die Normen
und Werte kapitalistischer Gemeinschaften. Im allgemeinen Sprachgebrauch
findet sich beispielsweise die Formulierung: „Hier herrscht ein Geist der
Eintracht".
Geist in der Philosophie
Antike
Die Antwort auf die Frage, was der deutsche Begriff „Geist" in der Antike
umfasste, ist bei einem so vielschichtigen Wort problematisch.¹²
Die durch „Geist" ausgedrückten Aspekte werden in der griechischen Antike
vor allem durch pneuma (Geist, Hauch) und nous (Vernunft, Geist) umfasst.
Hinzu kommen die Ausdrücke psychê (Seele), thymos (Leben(skraft), Zorn/Mut)
und logos (Rede, Vernunft).
Pneuma wie auch nous bezeichnen jeweils teilweise ein menschliches Vermögen
aber auch ein kosmologisches Prinzip. Pneuma ist dabei der Wortbedeutung
nach ein materiell gedachter Körper bewegter Luft. Nous hingegen wird
mitunter auch immateriell gedacht. Zumeist wird er bei menschlichen
Angelegenheiten aufnehmend gedacht, bei kosmischen anstoßend.
Der menschliche und der kosmologische Bereich (d. h. die Frage nach der
Weltordnung) werden zumeist getrennt voneinander behandelt, wobei es jedoch
Überschneidungen gibt. Bei diesen Übertragungen spielen u. a. zwei Aspekte
eine Rolle:
- Bezüglich pneuma der Gedanke, dass bewegte Luft, Atem ein (notwendiger)
Bestandteil von Leben ist.
- Bezüglich pneuma und nous die Übertragung von Eigenschaften eines
Lebewesens auf den Kosmos:
(a) bei pneuma insbesondere insofern es belebt ist, (b) bei nous
insbesondere insofern es vernunftbegabt ist.
Pneuma
„Pneuma" ist zuerst im 6. Jh. v. Chr. bei Anaximenes belegt. Hier findet
sich eine Analogie, die pneuma als Lebensprinzip ausweist und auch den
Kosmos selbst als belebt vorstellt:
„Ebenso wie unsere Seele, welche Luft ist, uns mit ihrer Kraft
zusammenhält, so umfasst auch den ganzen Kosmos Wind [oder Atem, pneuma]
und Luft."¹³
Bedeutsam ist der pneuma-Begriff auch in der medizinischen Sprache, in die
er durch Diogenes von Apollonia im 5. Jh. v. Chr. gelangt und durch
Erasistratos und bis zu Galenos im 2. Jh. n. Chr. weitere Ausprägungen
erfährt.¹⁴ Von ihm stammt eine – auch in der späteren lateinischen
Tradition – bedeutende Unterscheidung dreier pneumatischer Prinzipien, die
aus dem Zusammenwirken von eingeatmeter Luft und der im Herzen
hervorgebrachten Lebenswärme entstehen:
- ein physisches pneuma (spiritus naturalis), das die vegetativen
Funktionen erhält;
- ein lebendiges pneuma (spiritus vitalis), ein Lebens- und
Bewegungsprinzip;
- ein psychisches pneuma (spiritus animalis), die Seele.¹⁵
Seit dem Hellenismus und insbesondere in der römischen Stoa vermischen sich
die beiden Aspekte menschliches Vermögen und kosmologisches Prinzip im
Begriff des pneuma. Pneuma bezeichnet hier die materielle Substanz – die
Stoiker waren Materialisten – sowohl der Einzelseele als auch der
Weltseele. Pneuma ist somit ein stoffliches und zugleich geistiges Prinzip,
das den gesamten – als Lebewesen vorgestellten – Kosmos durchdringt und
dessen Organisation bewirkt. Das Pneuma im Menschen ist zum Lebensanfang
wie ein unbeschriebenes Blatt, das mit sinnlichen Eindrücken und
Vorstellungen gefüllt wird. Es ist zudem der lenkende Seelenteil, der die
für Stoiker zentrale Forderung „in Übereinstimmung (mit der – als
vernünftig gedachten – Natur) leben" zu erfüllen ermöglicht.¹⁴ ¹⁵
Nous
Bei Homer und später bei den meisten Vorsokratikern scheint nous ein
Vermögen zu sein, das sich sowohl auf sinnliche wie auch mit dem Verstand
erfassbare (intelligible) Gegenstände richtet. Xenophanes und auch noch
Empedokles setzen Denken und Wahrnehmen in eins. Für Parmenides hingegen
hat der nous nur notwendig existierende und daher nur intelligible
Gegenstände.
Hinsichtlich der Funktionsweise ist von Vorsokratikern wie Empedokles,
Anaxagoras und Demokrit belegt, dass sie den Geist, das Denken als einen
körperlichen Vorgang ansehen. Empedokles, der das Prinzip Gleiches wird nur
von Gleichem erkannt vertrat, behauptet, das Blut sei der Sitz der
Erkenntnis, weil es der am besten durchmischte Stoff sei.
Platon und Aristoteles fassen – im Gegensatz zu vielen Vorsokratikern – die
Tätigkeit des nous, das Denken, als einen nicht-körperlichen Vorgang auf.
Dieser komme nur dem Menschen zu. Zudem unterscheidet Platon explizit auch
sinnlich Wahrnehmbares von Intelligiblem und vertritt – in der Tradition
von Parmenides – sehr deutlich die These, dass Wissen nur gegen die
sinnliche Wahrnehmung und den Körper möglich sei.
Aristoteles definiert in seiner Schrift De anima nous als „das, womit die
Seele denkt und Annahmen macht."¹⁶ Er vergleicht den nous – analog wie bei
der Wahrnehmung – mit einer leeren Schreibtafel aus Wachs. Nous ist
unaffiziert (d. h. unangeregt), unbestimmt, ein passives Vermögen, dessen
Natur darin besteht, im Aufnehmen der Formen das aktual werden zu können,
was er denkt. Er ist auch nicht einem bestimmten Organ zugeordnet, sondern
körperlos.
Im Hellenismus wird das kognitive Vermögen nous sowohl von der Stoa als
auch von Epikur materialistisch aufgefasst. Beide Schulen führen Erkenntnis
vollständig auf materiell gedachte Wahrnehmung zurück.¹⁷
Kosmologisches Prinzip
Nachdem einige frühere Denker einem kosmologischen Prinzip entsprechende
Eigenschaften zugeschrieben haben, bekommt der nous bei dem griechischen
Mathematiker und Naturphilosophen Anaxagoras eine tragende Rolle in der
Welterklärung. Der nous ist für ihn ein Bewegungsprinzip, das er der
Materie gegenüberstellt, obgleich er es nicht ausdrücklich als
nicht-materiell beschreibt. Eine ähnliche Funktion weist der von Heraklit
angenommene alles verwaltende logos auf, den er als vernünftig beschreibt.
Für Platon weist die Welt Eigenschaften eines beseelten und mit Vernunft
ausgestatteten Lebewesens auf, und er erklärt ihre Beschaffenheit mit
Rückgriff auf eine göttliche Vernunft. Aristoteles nimmt einen „unbewegten
Beweger" an, der die von ihm abhängige Welt und den Himmel als eine
Finalursache, d. h. wie ein Geliebtes oder Erstrebtes bewegt. Dessen
ununterbrochene Tätigkeit bestehe darin, den besten Gegenstand, sich
selbst, zu denken (noêsis noêseôs). Diesen Gott fasst Aristoteles – im
Gegensatz zu dem oben thematisierten menschlichen Vermögen – als rein
aktual auf. In der Spätantike weist Plotin dem nous die kosmologische Rolle
zu, als Demiurg die sichtbare Welt nach Vorlage der Ideenwelt zu formen.¹⁷
Mittelalter
Der Philosoph und christliche Kirchenlehrer Augustinus unterscheidet im
Übergang zwischen Spätantike und Frühmittelalter zwischen Geist (mens,
animus) und Seele (anima). Er fasst den Geist als eine an der Vernunft
teilhabende Substanz auf, die zur Leitung des Leibes bestimmt ist
(„substantia quaedam rationis particeps regendo corpori accomodata"¹⁸ ).
Dem Geist kommen wesensmäßig Vernunft (ratio) und Einsicht (intelligentia)
zu. Er wird durch die Laster (vitium) geschwächt und muss, um seiner
Leitungsaufgabe gerecht werden zu können, durch den Glauben (fides)
gereinigt werden.
Er beschreibt den menschlichen Geist als „Auge der Seele (oculus animae)".
Diesem ist die Erkenntnis ewiger Wahrheiten durch das unveränderliche Licht
(lumen incommutabilis) des göttlichen Geistes möglich, das den menschlichen
Geist und das ihm begegnende Seiende erleuchtet. Dieses Licht stellt das
Innerste des Menschen selbst dar. Die Wendung (conversio) des Menschen zu
diesem Innersten hin ist für Augustinus Selbstvollzug des Geistes und
bedeutet die Rückkehr zu seinem eigentlichen Ursprung.
Thomas von Aquin, einer der Hauptvertreter der Scholastik, fasst die
menschliche Seele als eine geistige Substanz (substantia spiritualis) auf.
Im Unterschied zur Tierseele hat sie einen rein geistigen Charakter und ist
daher unsterblich. Thomas vertritt eine strikte Leib-Seele-Einheit des
Menschen. Die Seele ist Form des Leibes (forma corporis) und teilt ihm ihr
Sein mit. Umgekehrt ist aber auch der Geist zur Erkenntnis auf den Leib und
seine sinnliche Vermittlung angewiesen. Alle geistigen Erkenntnisse werden
mittels des „tätigen Intellekts (intellectus agens)" von den
Sinneswahrnehmungen abstrahiert.
Der Mensch als schwächster Strahl der Geistigkeit vermag das rein Geistige
nicht zu schauen. Die Erkenntnis vermag nur so weit zu reichen wie der
geistige Gehalt des Sinnenfälligen, von dem sie ausgeht, es ihr gestattet.
Eine unmittelbare Erkenntnis Gottes ist daher für Thomas ausgeschlossen.
Die menschliche Seele ist bei Thomas die niederste der geistigen Formen.
Sie ist ein Vernunftprinzip, das notwendig eines Körpers bedarf, um tätig
werden zu können. Sie stellt daher gegenüber der Seele der Engel, die in
keinerlei Verbindung mit dem Materiellen steht, eine tiefere Stufe der
Geistigkeit dar. Die Seele hängt zwar in ihrer Existenz nicht von der
Materie ab, ragt aber doch tief in das Körperliche hinein, da sie ohne den
Körper etwas Unfertiges ist. Sie wird bei Thomas zum äußersten und
abgeschwächtesten Strahl des Verstandeslichtes, das in Gott aufleuchtet und
im Menschen seine unterste Grenze erreicht wie das Sein bei der Materie.
Sie steht daher auf der Grenze der geistigen und körperlichen Geschöpfe (in
confinio spiritualium et corporalium creaturarum¹⁹ ).
Descartes
Bei dem Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes,
Begründer des Rationalismus, ist der Geist ontologisch von der Materie
getrennt, die Wirklichkeit gliedert sich in eine materielle und eine
nichtmaterielle Sphäre. Menschen sind im Wesentlichen durch ihren
immateriellen Geist ausgezeichnet und unterscheiden sich dadurch von
Tieren, die Descartes als Automaten begreift. Zur Stützung seines
Leib-Seele-Dualismus entwickelte Descartes Argumente, die bis heute in der
Philosophie des Geistes diskutiert werden. So erklärte er, dass man sich
klar und deutlich vorstellen könne, dass Geist ohne Materie existiere. Was
man sich klar und deutlich vorstellen kann, ist aber zumindest prinzipiell
auch möglich. Und wenn es prinzipiell möglich ist, dass Geist ohne Materie
existiert, können Geist und Materie nicht identisch sein.²⁰ Varianten
dieses Argumentes findet man in der heutigen Debatte bei Saul Kripke²¹ und
David Chalmers.²²
Ein anderes Argument Descartes' bezieht sich auf die menschliche
Sprachfähigkeit: Es sei unvorstellbar, dass ein Automat das komplexe System
einer natürlichen Sprache beherrsche. Diese Argumentation wird heute von
den meisten Philosophen und Wissenschaftlern unter Verweis auf die
Erkenntnisse der Computer- Psycho- und Neurolinguistik abgelehnt. Es bleibt
jedoch festzuhalten, dass die menschliche Sprachfähigkeit keineswegs
umfassend erforscht ist und dass die Computerlinguistik weit davon entfernt
ist, die Komplexität natürlicher Sprachen zu erfassen.
Descartes' Bild vom Menschen ist also wesentlich zweigeteilt: Der Mensch
besteht aus einem materiellen Körper und einem immateriellen Geist. Körper
und Geist interagieren an einer Stelle im Gehirn (der Zirbeldrüse)
miteinander. Verbrennt sich eine Person etwa am Fuß, so wird der Reiz durch
den Körper zum Gehirn und von dort zum Geist geleitet (siehe Abbildung). Im
Geist verspürt die Person Schmerzen, was wiederum eine körperliche Reaktion
verursacht. Vertreter eines solchen Dualismus haben unter anderem zu
erklären, wie diese Interaktion von Geist und Körper genau vorzustellen
ist. In der Gegenwartsphilosophie wird dieses Problem unter dem Begriff
Mentale Verursachung diskutiert.
18. und 19. Jahrhundert
David Hume, der im angelsächsischen Raum häufig als bedeutendster Philosoph
der Aufklärung betrachtet wird, vertrat die idealistisch empiristische
Auffassung, der Geist beruhe allein auf Formen unmittelbarer Wahrnehmung.
Inetwa in diesem Sinne definierte Johann Wolfgang von Goethe Geist in
West-östlicher Divan:
„Denn das Leben ist die Liebe
Und des Lebens Leben Geist."
Immanuel Kant knüpfte sowohl an Hume wie auch an Gottfried Wilhelm Leibniz
an. Im Rahmen des transzendentalen Idealismus ist der menschliche Geist
selbst an der Bildung der Realität beteiligt. Eine vom Geist und seiner
Subjektivität freie Realität lässt sich nur als Ding an sich vorstellen.
Doch auch mit Bezug auf das Ding an sich sind keine konkreten Aussagen über
eine vom Geist unabhängige Realität möglich, da das Ding an sich nicht
durch die menschlichen Kategorien zu fassen ist. Mit der idealistischen
Wende findet eine Aufwertung des Geistes statt, der zu einem konstitutiven
Element der Realität wird.
In der Philosophie des 19. Jahrhunderts, besonders im Deutschen Idealismus,
setzte sich diese Tendenz fort. Hegel entwickelte einen absoluten
Idealismus, der die subjektive Zurücknahme des Erkenntnisanspruches auf
objektive Wahrheit überwinden wollte. Darin fasste er die Denkgeschichte
dialektisch als einen geschichtlichen Prozess der Entwicklung des
Weltgeistes auf. Dieser wird als die Rückwendung des Absoluten aus seinem
Anderssein, der Natur, zu sich selbst gedacht. Sie konkretisiert sich in
den drei Erscheinungsformen des Geistes: im subjektiven Geist des einzelnen
Menschen, im objektiven Geist der menschlichen Gemeinschaftsformen von
Recht, Gesellschaft und Staat und dem absoluten Geist, Kunst Religion und
Philosophie. In der Philosophie vollendet sich die Rückkehr des Geistes zu
sich selbst in Gestalt des absoluten Wissens. Der absolute Geist ist so der
Inbegriff für die Wirklichkeit und den Grund allen Seins.
Im deutschen Idealismus wurde das kantsche Programm ohne dessen Idee des
Dings an sich fortgeführt. Dies rückte den Geist noch weiter in den Fokus
der philosophischen Aufmerksamkeit, da nun eine vom Geist unabhängige
Wirklichkeit nicht einmal als Grenzbegriff angenommen wurde. Das
Leib-Seele-Problem fand im Rahmen derartiger Konzeptionen folgende Lösung:
Wenn der Geist immer schon konstitutiv für die wissenschaftlich untersuchte
Natur ist, so ergibt es keinen Sinn, zu fragen, ob und wo der Geist in
dieser Natur zu lokalisieren sei. In der gegenwärtigen Philosophie des
Geistes werden nur noch selten konsequent idealistische Theorien vertreten.
Dagegen formulierte Karl Marx, sich auf Hegel beziehend, seine
materialistische Auffassung des Geistes. Demnach bedingt die
„Produktionsweise des materiellen Lebens" bzw. die darin verankerte Arbeit
den „sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß".²³
Insbesondere durch Charles Darwins Entwicklung der Evolutionstheorie wurde
der Mensch zunehmend auch als ein biologisches System betrachtet. Dies
führte dazu, dass nunmehr viele Naturwissenschaftler den Geist als ein
Produkt rein biologischer Prozesse betrachteten. In Deutschland erregten
insbesondere die so genannten Vulgärmaterialisten um Ludwig Büchner und
Carl Vogt mit derartigen Behauptungen Aufsehen und lösten so den
Materialismusstreit aus. Auch der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel
postulierte, der Geist sei ein wissenschaftlich erfassbares Phänomen. Der
Haeckelsche Monismus ist jedoch nicht als Materialismus zu begreifen, da
Haeckel in der Tradition Baruch Spinozas von einer neutralen Substanz mit
geistigen und materiellen Aspekten ausging. Allerdings gab es auch unter
den Naturwissenschaftlern des 19. Jahrhunderts ungleich skeptischere
Stimmen. Der Elektrophysiologe Emil Heinrich du Bois-Reymond erklärte etwa
1872 in einem einflussreichen Vortrag:
„Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen
bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich
ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden
Tatsachen 'Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche
Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth …'."²⁴
Eine weitere Bedeutungskomponente erhielt der Begriff des Geistes im 19.
Jahrhundert durch den Philosophen, Psychologen und Pädagogen Wilhelm
Dilthey, Mitbegründer der Lebensphilosophie, der die Geisteswissenschaften
den Naturwissenschaften gegenüberstellte.²⁵ Nach seiner Auffassung sind die
Geisteswissenschaften durch eine besondere Methode, die Hermeneutik,
ausgezeichnet. Während sich die Naturwissenschaften mit
Kausalzusammenhängen beschäftigen, sollen die Geisteswissenschaften zu
einem tieferen Verstehen der Phänomene beitragen. Der Neukantianer Wilhelm
Windelband versuchte diese Unterscheidung zu präzisieren, indem er betonte,
dass die Geisteswissenschaften besondere und einmalige Ereignisse
erforschen, während die Naturwissenschaften nach allgemeinen Naturgesetzen
suchen.
20. Jahrhundert
Im frühen 20. Jahrhundert war das philosophische Nachdenken über den Geist
maßgeblich durch den Wiener Kreis geprägt. Die Mitglieder des Wiener
Kreises versuchten, philosophische Konsequenzen aus der Methodologie des
psychologischen (methodologischen) Behaviorismus zu ziehen. Die klassischen
Behavioristen hatten erklärt, dass sich introspektive Angaben über den
Geist nicht überprüfen lassen und daher nicht Teil einer Wissenschaft sein
können. Die Psychologie müsse sich daher auf Verhaltensbeschreibungen
beschränken. Im Wiener Kreis wurden diese Annahmen mit dem
Verifikationismus kombiniert, also der These, dass nur überprüfbare
Aussagen eine Bedeutung haben. Als Konsequenz erscheinen Aussagen über den
Geist als sinnlos, sofern sie nicht von Verhalten handeln.
Die behavioristische Tradition fand ihre Fortführung in Gilbert Ryles 1949
veröffentlichtem Werk The Concept of Mind (Der Begriff des Geistes), das
für mehr als ein Jahrzehnt zur orthodoxen Interpretation des Themas „Geist"
in der angelsächsischen Philosophie wurde. Ryle erklärte, es sei ein
Kategorienfehler, davon auszugehen, dass der Geist etwas Inneres ist. In
einer gewissen Spannung zum Behaviorismus stand hingegen das Werk Ludwig
Wittgensteins. Zwar bestreitet auch Wittgenstein, dass der Geist als ein
innerer Zustand zu verstehen sei, grenzt sich jedoch zugleich vom
Behaviorismus ab.
In eine entgegengesetzte Richtung führte die von Edmund Husserl begründete
Phänomenologie, die explizit die Untersuchung subjektiver, geistiger
Phänomene zum Ziel hatte. Im Verfahren der epoché sollen alle Annahmen über
die Außenwelt „eingeklammert" und so eine Erforschung der puren
Subjektivität möglich gemacht werden.²⁶ Unter Bezugnahme auf Franz Brentano
nahm Husserl an, dass geistige Zustände im Wesentlichen durch
Intentionalität gekennzeichnet seien. Damit ist gemeint, dass sich mentale
Zustände auf etwas beziehen, so bezieht sich etwa die Sehnsucht nach einer
Person auf eine Person. Die Husserlsche Phänomenologie übte einen enormen
Einfluss auf die Philosophie des 20. Jahrhunderts aus, unter anderen auf
Husserls Schüler Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre, der nach Freiburg
kam, um bei Husserl zu studieren. In der französischen Philosophie knüpfte
insbesondere Maurice Merleau-Ponty an Husserls Intentionalitätsbegriff an.
Dabei wollte Merleau-Ponty mit dem Begriff des Leibes die Entgegensetzung
von Körper und Geist aufheben. Der Leib ist ein lebender und aktiv
wahrnehmender Körper und lässt sich somit nicht durch eine Entgegensetzung
von Geistigem und Nicht-Geistigem fassen.
In den frühen 1960er Jahren gab es auch in der angelsächsischen Philosophie
eine radikale Abkehr von den behavioristischen Theorien.²⁷ Durch die
Erfolge der neurowissenschaftlichen Forschung inspiriert, versuchten
Identitätstheoretiker den Geist auf das Gehirn zu reduzieren. Ein analoges
Programm wurde von Funktionalisten vertreten, die sich jedoch auf
Künstliche Intelligenz und Kognitionswissenschaft stützen. Diese reduktiven
Bemühungen blieben allerdings nicht unwidersprochen, es wurde auf
unüberwindbar erscheinende Probleme des Reduktionismus hingewiesen.²⁸ Mit
den so genannten Qualia (Bewusstsein der Phänomene) und der Intentionalität
hat der Geist nach Meinung vieler Philosophen Eigenschaften, die sich nicht
durch Naturwissenschaften erklären lassen.
Durch die Spannung zwischen den Erfolgen der empirischen Forschung und den
Problemen des Reduktionismus ist in der Philosophie eine sehr
differenzierte Debatte um die Natur des Geistes entstanden. Heute werden
verschiedene Formen des Physikalismus, Dualismus und Pluralismus vertreten.
Die Eliminativen Materialisten verzichten gänzlich auf die Annahme der
Existenz eines Geistes.
Geist in den Wissenschaften
Auch bei dem Blick auf die wissenschaftliche Erforschung des Geistes ergibt
sich kein einheitliches Bild. Die Wissenschaften, die sich mit dem Phänomen
des Geistes beschäftigen, verfolgen verschiedene Ziele und verwenden zum
Teil sehr unterschiedliche Modelle und Methoden. Die relevanten
Wissenschaften reichen von der Psychiatrie, den Sozialwissenschaften, der
Sozialpsychologie und der Psychologie bis hin zur Hirnforschung.
Psychiatrie
Die Psychiatrie hat sich in ihrer geschichtlichen Entwicklung in
Deutschland vor allem in der Zeit der Aufklärung mit dem Geist als
auslösende Voraussetzung der Geisteskrankheiten befasst.²⁹ Hier wurden
geisteswissenschaftliche Bedingungen dieser Erkrankungen untersucht, so wie
es die Psychiker bis etwa 1845 taten. Da der Geist anderen Gesetzen
unterliegt als die Materie, erfolgten ideologische Auseinandersetzungen mit
dem naturwissenschaftlichen Standpunkt der Somatiker. Erst recht wurden
diese geisteswissenschaftlichen psychiatrischen Ergebnisse durch die neuere
Hirnforschung in Frage gestellt.³⁰
Sozialwissenschaft und Sozialpsychologie
In den Sozialwissenschaften kommt gelegentlich eine überindividuelle
Verwendung des Begriffs „Geist" hinzu.³¹ So nannte der Soziologe Max Weber
eines seiner einflussreichsten Werke 1904 Die protestantische Ethik und der
Geist des Kapitalismus und noch 1935 Ferdinand Tönnies sein Alterswerk
Geist der Neuzeit. In diesem Zusammenhang bezieht sich der Ausdruck „Geist"
auf grundlegende Normen, Überzeugungen und Weltanschauungen, die für eine
Gemeinschaft konstitutiv sind. Allerdings ist auch diese Bedeutung nicht
unabhängig vom Geist der Individuen, da die Normen und kollektiven
Anschauungen für die einzelnen Mitglieder eines Kollektivs sehr bedeutsam
sind. Der Geist im sozialwissenschaftlichen Sinne ist nur denkbar, wenn es
Entsprechungen im Geist einer Vielzahl von Individuen gibt.
Pierre Bourdieu entwickelte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine
komplexe so genannte „Theorie der Praxis" mit eigenen Begrifflichkeiten. Er
unternahm den Versuch, Geist und Materie wie auch Subjektivismus und
Objektivismus auf der Basis empirischer Erforschungen des Alltagslebens und
vergleichender Kulturforschung miteinander zu verknüpfen. Der Mensch
„inkorporiert" demnach seine soziale Umwelt durch geistige Lernakte, die
sich auch körperlich ausdrücken. Zu diesem Habitus gehören unter anderem
die Denk- und Sichtweisen der Wahrnehmungen, die das Urteilen und Bewerten
beeinflussen und den Handlungsspielraum begrenzen.
In der Sozialpsychologie wird der Einfluss sozialer Interaktion auf
geistige Prozesse wie Gedanken oder Gefühle untersucht.³² Dabei kann der
Fokus auf einen weiten sozialen Kontext oder auf zwischenmenschliche
Prozesse gerichtet sein. Ergänzt werden sozialpsychologische Ansätze durch
kulturvergleichende oder kulturhistorische Untersuchungen, in denen etwa
dargestellt wird, wie Gefühle (z. B. Liebe oder Eifersucht) sich in
verschiedenen Kulturen unterscheiden und entwickelt haben. Die
Sozialpsychologie berührt hier auch die klassische anthropologische Frage
nach der Universalität von bestimmten geistigen Prozessen.
Von der Kognitionspsychologie zur Psychoanalyse
Die klassische Wissenschaft des Geistes ist die Psychologie, wobei man
innerhalb der Psychologie wiederum zwischen verschiedenen Ansätzen
unterscheiden muss. So untersucht etwa die Kognitionspsychologie geistige
Prozesse mit möglichst präzisen experimentellen Methoden, um so kognitive
Phänomene wie Gedächtnis, Wahrnehmung oder Denken besser zu verstehen. Ein
Beispiel hierfür ist die Forschung zum Priming, bei dem mittels Darbietung
eines Reizes (Prime) die Verarbeitungszeit eines Zielreizes (Target oder
Probe) beeinflusst wird. Bei Primingexperimenten wird der Versuchsperson
eine Aufgabe gestellt, so muss sie etwa präsentierte Bilder benennen
(Beispiel: Bild von einem Brot → Reaktion „Brot"). Präsentiert man der
Person kurz vor der Aufgabe einen verwandten ähnlichen Reiz bzw. Prime
(etwa das Wort „Käse"), so wird die Versuchsperson die Benennungsaufgabe
schneller lösen. Kognitionspsychologen schließen aus diesen Befunden, dass
die Begriffe im Geist in einer netzwerkartigen Struktur organisiert sind
und die Präsentation des Primes eine Voraktivierung an der richtigen Stelle
des Netzwerks auslöst.
In den letzten Jahrzehnten haben die Kognitionspsychologen sehr viele Daten
über geistige Prozesse gesammelt, und sie gehen zunehmend dazu über, diese
Daten in komplexen Modellen zusammenzufassen. In Form von kognitiven
Architekturen werden solche Modelle als Computerprogramme realisiert und
sollen die Prognose von geistigen Prozessen möglich machen.³³ Derartige
kognitionspsychologische Modelle sind jedoch auf grundlegende geistige
Prozesse beschränkt, also etwa auf die Wahrnehmung von Bewegungen und
Formen oder auf das Kurzzeitgedächtnis. Will man mit Hilfe von
psychologischen Untersuchungen komplexe geistige Phänomene, wie etwa
Charaktermerkmale oder psychische Erkrankungen verstehen, so muss man auf
andere Teildisziplinen (wie etwa die Persönlichkeitspsychologie)
zurückgreifen.
Einflussreich ist in diesem Zusammenhang auch die Psychoanalyse in der
Tradition von Sigmund Freud. Freud machte zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts darauf aufmerksam, dass geistige Prozesse zu weiten Teilen
unbewusst ablaufen. So muss sich eine Person etwa keinesfalls im Klaren
über ihre Angst oder Wut sein. Gleichzeitig betonte Freud, dass die
Struktur des Geistes maßgeblich durch die sozialen Normen und Werte einer
Gemeinschaft geprägt sind. Freud beschrieb die Bildung des Ichs
(Wahrnehmen, Denken und Gedächtnis) im Strukturmodell der Psyche als einen
Prozess im Spannungsfeld zwischen dem Unterbewussten (Es) und den
verinnerlichten Normen und Werten (Über-Ich).³⁴
Auch wenn die psychoanalytischen Methoden und auch die psychoanalytische
Therapie weiterhin umstritten sind, wird in der Psychologie doch allgemein
anerkannt, dass zum umfassenden Verständnis geistiger Strukturen eine
Analyse unbewusster und sozialer Prozesse notwendig ist. Es wird zudem
akzeptiert, dass eine solche Analyse nicht allein mit kognitions- oder
biopsychologischen Ansätzen durchgeführt werden kann. Will man etwa
psychische Erkrankungen wie Phobien oder Depressionen umfassend verstehen,
so muss man den weiten lebensgeschichtlichen und sozialen Kontext einer
Person betrachten.
Geist und Gehirn
Während die Psychologie am Verhalten indirekt geistige Aktivitäten
untersucht, ist das Thema der Neurowissenschaften zunächst das Gehirn und
nicht der Geist. Zugleich macht die neurowissenschaftliche Forschung jedoch
deutlich, dass geistige Aktivitäten nicht unabhängig vom neuronalen
Geschehen sind. So beschreibt etwa die Neurologie den Zusammenhang zwischen
Läsionen (Schädigungen) des Gehirns und kognitiven Beeinträchtigungen. Ein
Beispiel hierfür sind Aphasien (erworbene Sprachstörungen), bei denen
spezifische Beeinträchtigungen oft mit Schäden in spezifischen
Gehirnregionen verbunden sind.
Große Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren zudem die Suche nach
neuronalen Korrelaten des Bewusstseins erfahren. Mit der Hilfe von
bildgebenden Verfahren ist es möglich, die neuronalen Aktivitäten im Gehirn
zu messen und zu visualisieren: Derartige Methoden erlauben es zumindest in
Ansätzen zu untersuchen, welche Aktivitäten im Gehirn ablaufen, wenn eine
Person sagt oder auf andere Weise signalisiert, dass sie etwas wahrnimmt,
fühlt oder denkt. Dabei kann man feststellen, dass während der von
Versuchspersonen bezeichneten geistigen Aktivitäten nicht alle Bereiche des
Gehirns gleichmäßig aktiv sind. Vielmehr scheinen mit spezifischen
geistigen Aktivitäten oft auch spezifische neuronale Aktivitäten verbunden
zu sein. Die Erforschung derartiger Verbindungen steckt jedoch noch in der
Anfangsphase und es war bisher nicht möglich, von einer bestimmten
neuronalen Aktivität auf eine bestimmte geistige Aktivität zu schließen.³⁵
Es wird zudem oft bezweifelt, dass dies bei komplexen Gedanken oder
Gefühlen jemals möglich sein wird.
Wie ist nun diese Verbindung zwischen geistigen und neuronalen Aktivitäten
zu verstehen? Warum sind etwa Veränderungen des Geistes mit Veränderungen
des Gehirns verknüpft? Eine mögliche Antwort lautet, dass die geistigen
Aktivitäten mit den Aktivitäten im Gehirn identisch sind. Nach einer
solchen Theorie wären etwa Kopfschmerzen nichts anderes, als eine bestimmte
Aktivität im Gehirn. Auch wenn eine solche Identitätstheorie die
systematischen Verbindungen zwischen Geist und Gehirn leicht erklären kann,
hat sie doch mit Problemen zu kämpfen. Zweifel an der Gleichsetzung von
geistigen Aktivitäten mit Gehirnvorgängen werden oft mit Hilfe des
Qualiaproblems artikuliert. Mentale Zustände wie Kopfschmerzen sind durch
Erleben ausgezeichnet, es fühlt sich auf eine bestimmte Weise an, etwas zu
erleben. Wenn nun mentale Aktivitäten mit Gehirnaktivitäten identisch sind,
so müssen auch die Gehirnaktivitäten durch diese Qualia ausgezeichnet und
durch die Neurowissenschaften erklärbar sein. Die Frage, warum eine
bestimmte Gehirnaktivität mit einem Erlebnis verknüpft ist, können
Neurowissenschaftler derzeit nicht beantworten. Bedeutet dies, dass solche
neuronalen Aktivitäten mit Bewusstseinserfahrungen nicht identisch sind?
Diese These ist – wie die gesamte philosophische Interpretation der
Neurowissenschaften – weiterhin umstritten.
Geist in den Religionen
Judentum
Im Tanach entspricht am ehesten das hebräische Wort „rûah" dem, was im
Deutschen unter „Geist" verstanden wird. Es bedeutet, wie das griechische
„pneuma und das lateinische „spiritus
, zunächst „bewegte Luft, „Wind
.
Bei Mensch und Tier bezeichnet die rûah weiterhin den Atem, der den
Geschöpfen Leben einhaucht. Als Lebensprinzip ist die rûah Gottes Eigentum;
die Geschöpfe leben von ihr und sterben, wenn Gott sie entzieht. Im
Menschen übt sie die verschiedensten Lebensfunktionen geistiger,
willensmäßiger, sittlicher und religiöser Art aus und ist hier mit dem
Begriff „Nefesch („Seele
) fast synonym.
Gott als die Quelle der rûah ist selbst Geistwesen. So schwebte am ersten
Tag der Schöpfung der Geist Gottes über den Wassern (Gen 1,2 ) und im Buch
der Weisheit heißt es „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis" (Weish 1,7
). Gott teilt sich auserwählten Menschen mit, indem er den Geist über sie
kommen lässt. Sie werden charismatisch begabt zu (kriegerischen)
Heldentaten, prophetisch-ekstatischen Fähigkeiten und mit dem „Geist der
Weisheit" (Ex 28,3 ) erfüllt.
Der Tanach kennt auch den bösen Geist, der von Jahwe als dem einzigen Gott
ausgehen kann. Dies geschieht dann, wenn die Empfänger Unheil verdienen:
„Als Abimelech drei Jahre lang über Israel geherrscht hatte, sandte Gott
einen bösen Geist zwischen Abimelech und die Bürger von Sichem, so dass die
Bürger von Sichem von Abimelech abfielen" (Ri 9,22–23 ). Diese böse
Geistesmacht, die Gott unterstellt ist, wird später in der christlichen
Theologie die Gestalt des Satans als eine selbständige Funktion, in sich
böse Figur und sogar mit eigener Personifikation als Gegenpart zu Gott
bekommen.
Christentum
Neues Testament
Im Neuen Testament wird „Geist mit dem griechischen Wort „pneuma
bezeichnet. Gemeint ist meist der Geist Gottes, der als „Heiliger Geist"
scharf vom Geist des Menschen unterschieden wird. Dieser Geist Gottes wird
noch nicht so deutlich wie später in der Trinitätslehre als personal
angesehen, sondern als Medium des göttlichen Handelns. Für die personale
Auslegung sprechen jedoch Stellen wie die in der Apostelgeschichte 5,1–11 ,
in der Hananias und Saphira bestraft werden, weil sie den Heiligen Geist
belügen.
Pneuma und Jesus
Der Begriff des Pneuma spielt eine zentrale Rolle in der Geschichte Jesu.
Bereits seine Empfängnis geschieht unter Einwirkung des Heiligen Geistes
(Mt 1,18–20 ). Vom Pneuma wird er in die Wüste getrieben, um dort den
Versuchungen zu widerstehen (Mk 1,12 ). Als Geistträger übernimmt er sein
öffentliches Amt (Lk 4,14 ); auf ihm ruht nun das Pneuma des Herrn (Mt
12,18 ). Mit seiner Hilfe ist Jesus in der Lage, die Herrschaft des Satans
zu brechen (Mt 12,28 ). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Jesus
dämonische Kräfte unterstellt werden dürften (Mk 3,29f. ). Die Auferstehung
Jesu von den Toten bedeutet einen Übergang in die Seinsweise des Pneuma
(Röm 1,4 ), womit Jesus als Herr (Kyrios) identifiziert wird (1 Kor 3,17 ).
Das Pneuma in der christlichen Gemeinde bei Paulus
Für Paulus ist fast jede Lebensäußerung der Kirche Wirkung des Pneuma.
Schon bei der Konstituierung der christlichen Gemeinde ist das Pneuma am
Werk (1 Kor 12,13 ). Das Pneuma ist eine Gnadengabe (Charisma), die bei den
Gläubigen unterschiedlich verteilt ist (Röm 12,6ff. ). Paulus stellt eine
Rangfolge der Charismen auf und verlangt ihre Indienstnahme in den Aufbau
der Gemeinde (1 Kor 3,12ff. ).
Paulus unterscheidet auch ein falsches Pneuma, das die Gemeinde „aus der
Fassung bringen und in Schrecken jagen" kann (2 Thess 2,2 ). Es ist daher
„die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden" (1 Kor 12,10 ).
All das geistige Sein der Gläubigen vollzieht sich im Pneuma. Es wird im
Glauben als eschatologische Segensgabe empfangen und mit ihr das „Leben".
Das Pneuma heiligt die Glaubenden; selbst ihr Leib ist ein „Tempel" des
Pneuma. Es bedeutet Freiheit von der Herrschaft der Sünde, des Todes (Röm
8,2 ) und des Gesetzes (Gal 5,18 ). Der Gläubige darf aber diese im Pneuma
gewährte Freiheit nicht zum „Anlass für das Fleisch" (Gal 5,13 ) nehmen,
sondern soll sich in seiner sittlichen Existenz von Pneuma leiten lassen
(Gal 5,16f. ). Das Pneuma wird zwar als Fundament des Heils bezeichnet,
aber nicht als dessen Erfüllung. Paulus bezeichnet es als „Erstlingsgabe"
(Röm 8,23 ) oder „Angeld" (2 Kor 1,22 ) des Gesamtheils. Die Gläubigen
erwarten kraft des Pneumas „die erhoffte Gerechtigkeit" (Gal 5,5 ) und v.a
die Auferweckung des Leibes (Röm 8,11 ).
Die Unterscheidung zwischen dem Reich des Geistes (und der Liebe) und dem
Reich des Fleisches (und der Sünde) war für Paulus zentral. Diese Theologie
hat nach Einschätzung von Kritikern dualistische Vorstellungen begünstigt.
Das paulinische Gedankengut wurde später durch Thomas von Aquin in der
Summa Theologica weitergeführt, und bis heute wird der Begriff anima forma
corporis verwendet.
Islam
Im Bereich des Islam bildet der arabische Begriff rūh (روح / rūḥ) in etwa
das Gegenstück zum deutschen Begriff des Geistes. Rūh ist etymologisch mit
dem Wort rīh verwandt, das die Grundbedeutung von Wind
hat. Im Koran
heißt es, dass Gott Adam von seinem Geist einblies und ihn auf diese Weise
lebendig machte (Sure 15:29; 32:9; 38:72). Durch Einblasen seines Geistes
kommt es auch dazu, dass Maria Jesus empfängt (arabisch روحنا, DMG rūḥunā
‚Unseren Geist' Sure 21:91; 66:12). Der Geist Gottes zeigt sich dabei Maria
in einer menschlichen Gestalt (arabisch فارسلنا اليها روحنا فتمثل لها بشرا
سويا, DMG fa-arsalnā ilaihā rūḥanā fa-tamaṯṯala lahā bašaran sawiyyan ‚Und
wir sandten unseren Geist zu ihr. Der stellte sich ihr als ein
wohlgestalteter (w. ebenmäßiger) Mensch dar.', Sure 19:17)³⁶ . Durch den
Geist der Heiligkeit erfährt Jesus später besondere Stärkung (Sure 2:87,
253; 5:110). Auch Jesus selbst wird als ein Geist von Gott bezeichnet
(arabisch روح منه, DMG rūḥun minhu ‚Geist von Ihm', Sure 4:171).
Der Geist erscheint darüber hinaus als Vermittler der Offenbarung. In Sure
40:15 heißt es, dass Gott den Geist mit dem von ihm gegebenen Befehl zu dem
Menschen schickt, von dem er das will, damit er die Menschen vor dem Tag
der Begegnung warne. Der Geist der Heiligkeit ist es, der den Koran
herabsendet, um damit die Gläubigen zu stärken (Sure 16:102). Der "treue
Geist" überbringt Mohammed den Koran (26:193-194).
Theologische Reflexionen über den Geist setzten im Islam Ende des 8.
Jahrhunderts ein. Der basrische Asket Bakr, auf den die Lehrrichtung der
Bakrīya zurückgeführt wird, behauptete, dass der Mensch und ebenso alle
übrigen Lebewesen identisch mit dem Geist seien.³⁷ Der Bagdader Muʿtazilit
Bischr ibn al-Muʿtamir (st. 825) sah hingegen in dem Menschen eine
Verbindung aus Leib (badan) und Geist (rūḥ).³⁸ Tragende Bedeutung erhielt
der Geist in dem Lehrsystem des basrischen Muʿtaziliten an-Nazzām (st.
835-845). Er stellte sich den Geist in Anknüpfung an das platonische
Pneuma-Konzept als einen feinstofflichen Körper vor, der sich wie ein Gas
mit dem Leib vermischt und ihn bis in die Fingerspitzen durchdringt, sich
beim Tode aber wieder aus dieser Verbindung löst und selbständig
weiterexistiert.³⁹
Buddhismus
Mit dem Begriff des Geistes (citta) wird im Buddhismus etwas bezeichnet,
was zur Körperlichkeit hinzutritt. Der Ausdruck wird in der buddhistischen
Anthropologie synonym gebraucht zu Begriffen wie Denken (manas) und
Bewusstsein (vijñana). „Geist" wird unter zweierlei Aspekten betrachtet.
Zum einen ist er eine Erscheinungsweise der menschlichen Existenz (samsara)
und bedarf als solcher der Erlösung (nirvana); andererseits bezeichnet er
genau das Instrument mittels dessen die Erlösung erst möglich wird.
Der Geist geht nach buddhistischer Lehre allem Reden und Handeln voraus.
Oberste Aufgabe ist es daher, ihn durch die Übung der „Achtsamkeit" (sati)
– dem siebten Glied des achtfachen Pfades – unter Kontrolle zu bringen.
Weiterhin ist die Ausrichtung des Geistes, seine Konzentration auf einen
Punkt (samādhi) von Bedeutung.
In der mahayanischen Tradition – vor allem der Yogachara- Schule – des
Buddhismus bildet sich ein radikaler Idealismus heraus, der das Wesen der
Welt nur als Geist interpretiert, wohingegen die Vielheit der Erscheinungen
als Trug und Illusion (māyā) angesehen wird. Der Begriff des Geistes rückt
hier in die Nähe des nirwana, das als Absolutes, nicht genau zu
beschreibendes Prinzip alles Seienden hinter dem Schleier der
individualisierenden māyā liegt.
Mystik
In religiösen mystischen Schriften und einigen philosophischen Traditionen
wird der Begriff Geist meist in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht.
Zum einen als der „menschliche Geist", was in etwa der heutigen Verwendung
von „Bewusstsein oder „Verstand
entspricht und zusätzlich noch „Seele"
umfasst. Zum anderen als „göttlicher Geist oder „absoluter Geist
, der je
nach Tradition auch personalisiert als Gott oder Gottheit angeredet wird.⁴⁰
Die praktische Überwindung dieser Trennung ist für viele Mystiker dabei die
wesentliche Aufgabe.⁴¹ Die Frage nach der Beziehung zwischen Geist und
Körper tritt demgegenüber bei Mystikern häufig in den Hintergrund.
Die in den mittelalterlichen Klöstern praktizierten „geistlichen Übungen"
werden in „oratio (liturgisches Gebet), „lectio
(Lesung aus den
Schriften), „meditatio" (gegenständliche Betrachtung, Meditation) und
„contemplatio" (gegenstandfreie Anschauung, Kontemplation) unterteilt. Der
Verstand und das Denken sollen so zur Ruhe kommen, um den „einen Urgrund",
also den göttlichen Geist, freizulegen. In diesem Sinn besteht für den
Mystiker kein Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Geist.⁴²
Auch der Körper des Menschen ist in diesem Verständnis ein Ausdruck des
Göttlichen und diesem nicht entgegengesetzt. In der Mystik der frühen
Neuzeit wird der eigene Körper des Mystikers oft in besonderer, teils
extremer Weise thematisiert.⁴³
Literatur
Philosophie
Philosophiebibliographie: Philosophie des Geistes – Zusätzliche
Literaturhinweise zum Thema
- Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des
Geistes., De Gruyter, Berlin u. a., 2001, ISBN 3-11-017065-5.
Ausführlichste deutschsprachige Einführung in die Philosophie des Geistes
- Wolfgang Fritz Haug : Geist ,in: Historisch-kritisches Wörterbuch des
Marxismus. Bd. 5, Argument-Verlag, Hamburg 2001, Sp. 53–91.
- Rudolf Hildebrand: Geist, Niemeyer, Halle, 1926 Klassische und
ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff des Geistes
- Uwe Meixner (Hg.): Zur Geschichte der Philosophie des Geistes, De
Gruyter, Berlin, ISBN 3-11-017405-7 . Sammelband mit Beiträgen zur
Geschichte von der Antike bis ins 20. Jahrhundert
- John Searle: Geist. Eine Einführung, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2006,
ISBN 3-518-58472-3. Kurze Einführung in das Thema von einem bekannten
Gegenwartsphilosophen
Politik
- Werner Treß: Wider den undeutschen Geist!
Bücherverbrennung 1933.
Parthas, Berlin 2003 ISBN 3-932529-55-3
Wissenschaft
- Eric Kandel: Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des
Geistes, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2006 ISBN 3-518-58451-0
Populärwissenschaftliches Buch des Nobelpreisträgers zu
neurowissenschaftlichen und psychoanalytischen Themen
- Hartmann Hinterhuber: Die Seele. Natur- und Kulturgeschichte von Psyche,
Geist und Bewusstsein, Springer, Wien, 2001 ISBN 3-211-83667-5
Historischer Blick auf verschiedene Wissenschaftsdisziplinen
- Jean Émile Charon: Der Geist der Materie, Ullstein Sachbuch, 1982, ISBN
3-548-34074-1 Charon ist theoretischer Physiker
- Freerk Huisken: Zur Kritik der Bremer „Hirnforschung". Hirn determiniert
Geist. Fehler, Funktionen, Folgen. AStA Universität Bremen, ISBN
3-938699-00-0
Religion
- Artikel Geist und Pneuma. in: Lexikon für Theologie und Kirche.
- Artikel Geist. in: Religion in Geschichte und Gegenwart.
- D.B. Macdonald: The Development of the Idea of Spirit in Islam
in The
Muslim World 22/2 (1932) 153–168.
- Thomas O'Shaughnessy: The development of the meaning of spirit in the
Koran. Rom : Pont. Inst. Orientalium Studiorum, 1953.
Einzelnachweise
[1] Von griechisch πνέω pnéo oder pneío für: wehen, blasen, hauchen,
aushauchen, atmen. „pneuma" bedeutet demnach: Hauch, Luftstrom (auch
Fahrwind, sogar Duft) sowie Atem und Leben wie bei psyche (s. u.),
ähnlich wie dort auch Mut, aber auch Feuer (wohl „inneres" wie in
„feuriges Temperament oder „feuriger Mensch
). – Bemerkenswerter noch
erscheint der Ausdruck griechisch ἱερόν πνεῦμα (h)ieròn pneuma (wörtl.
heiliges pneuma). Nach dem „Griechisch-Deutschen Schul- und
Handwörterbuch" von Wilhelm Gemoll bedeutet er nicht, wie naheliegen
würde, „Heiliger Geist, sondern Verzückung („Entrückung
) und
Besessenheit, der Ausdruck ἐν πνεύματι en pnéumati denn auch in Ekstase
(oder „außer sich" bzw. in Trance) sein. Der christliche Ausdruck
„Heiliger Geist" wird nach Gemoll mit τό ἅγιον πνεῦμα „pneuma tò
[h]ágion wiedergegeben mit „[h]ágion
für das Heilige, Heiligste,
Allerheiligste, wobei in christlich-religiösen Zusammenhängen „pneuma"
auch Engel heißen kann.
[2] Oder griechisch νόος nóos (s. Noologie) – von *snó[w]os für
(Gesichts-)Sinn (lat. sensus) aus idg. *sent- für: gehen (und reisen,
fahren). Der große Duden gibt in Band 7 Herkunftwörterbuchs der Deutschen
Sprache im Eintrag „Sinn" für die Wurzel *sent-, auf die auch lat.
„sentire" wahrnehmen, fühlen empfinden zurückgeht, die noch ältere
Bedeutung eine Fährte suchen (sc. mit den Augen) an. griechisch νοέειν
noéein bedeutet daher (im Unterschied zum mehr gefühlsmäßigen wahrnehmen,
das mit lat. 'sentire' gemeint ist) offensichtlich per Sehsinn
wahrnehmen, bemerken und erkennen, auch „geistig erkennen" sowie – selbst
im Deutschen – ein-„sehen" (sc. mittels visueller Vorstellungen – s.
Colin McGinns Abhandlung „Mindsight/Das geistige Auge" 2004/2007),
darüber auch denken in allen Formen wie an etwas denken, ausdenken,
bedenken und erdenken, ersinnen, „nous oder „noos
dann also
Aufmerksamkeit („auf etwas richten" – wie die Augen!), sodann
Rück-„Sicht", in den Sinn (kommen) – etwa in Form eines „vor das innere
Auge Tretens" u. ä.; deshalb dann vor allem das Vermögen geistiger
Wahrnehmung (s. Über-„blick!), Ein-„sicht
, An-„sicht" und Ver-stand,
Vernunft (von vernehmen!), sogar Vermögen des Wollens, Ab-„Sicht" bis hin
zu Empfindungsvermögen, Gesinnung, Sinnesart, Gemüt und Herz bis zu Seele
(ganz ähnlich wie bei psyche; siehe auch Julian Jaynes Noos in seiner
psychohistorischen Studie Die Entstehung des Bewußtseins 1993, S.
327–329)
[3] Von dem Verb griechisch ψύχειν psýchein für „atmen, hauchen, blasen",
auch „(ab)kühlen, erkalten, trocknen". Psyche bedeutet demnach zuerst
„Atem, (Atem)Hauch, dann aber auch „Atem als Lebensprinzip
, (Zeichen
von) „Lebenskraft, ja „Leben
überhaupt. Weiterhin stand psyche bei den
Griechen auch für den „Schatten von Toten nach dem „Verlust des Lebens
(eine Vorstellung, die später mit animistischen Seelenvorstellungen
vermengt wurde, so dass psyche heute auch „Seele" bedeuten kann). Im
Einzelnen steht psyche für folgende, überwiegend oder ausschließlich der
Eigen- oder Selbstwahrnehmung zugängliche Lebenserscheinungen wie
„Denkvermögen, Verstand und „Klugheit
, sodann „Gemüt, Herz(haftigkeit)"
sowie „Mut, Sitz der Leidenschaften, Begehrungsvermögen, Lust" und
„Appetit" bis hin zur Bezeichnung oder Umschreibung der (ganzen) Person,
des „Wertvollsten und „Kostbarsten
, womit die Grundlage moderner
Psychologie recht gut angegeben wäre. (vgl. zum Ganzen auch Julian
Jaynes: Psyche. In: Die Entstehung des Bewußtseins. 1993, S. 329–331 u.
350–356; zu der an verschiedenen Stellen im WWW online gestellten
PDF-Fassung des deutschen Textes s. Anm. 9)
[4] Von lat. spirare für: „wehen, hauchen, seufzen, brausen, schnauben,
ausatmen, leben, (aus)duften, ausatmen, aushauchen, erfüllt, beseelt
sein, dichten" – (s. Spirometer); spiritus steht darum für „Luft, Hauch,
Atem" und „Atmen, Atemzug, Lebenshauch, Seufzer, Leben, Anhauch, Mut,
Hochmut, Übermut, Stolz und „Sinn
sowie „Gesinnung, Begeisterung" –
oder „Geist – bis hin zu „dichterischem Schaffen
…
[5] Zum ebenso reichen Bedeutungshorizont dieses lat. Wortes s. bei Mens
(engl. mind) den „Hinweis" in der Anmerkung;
[6] Im Unterschied zur davon weit abweichenden Verwendung der Wörter
„Animus und Anima" bei C. G. Jung geht lat. animus auf den Atem als
solchen zurück – und weniger wie spiritus sowie pneuma und psychä auf die
Bezeichnung der Aktivität zu atmen; etymologisch steht „animus" mit
griechisch ἄνεμος ánemos für: Wind und Sturm in Zusammenhang
[7] Nach Der große Duden geht „Geist" etymologisch auf die idg. Wurzel
*gheis- zurück. Interessanterweise wird damit ursprünglich auch hier
nichts im heutigen Sinn Geistiges gemeint, sondern in diesem Fall eine
emotionale(!) Reaktion, und zwar die des – psychologisch gesehen
bemerkenswerten und für uns Menschen wortwörtlich „eigenartigen" –
Erschauderns oder Ergriffenseins, des Erregt- oder Aufgebrachtseins. Der
historische Wandel der Bedeutung von „Geist", nach dem es heute möglich
ist, von „geistigen Vorgängen" wie Wahrnehmen, Erinnern, Vorstellen,
Träumen, Phantasieren und anderen Formen des Denkens zu sprechen, dürfte
mit Umständen und Zusammenhängen zu tun haben, die Julian Jaynes in
seinem epochalen Werk Der Ursprung des Bewusstseins schildert (s. dort
vor allem II/5 „Das intellektuelle Bewußtsein der Griechen." S. 311–356;
zu der an verschiedenen Stellen im WWW online gestellten PDF-Fassung des
deutschen Textes s. Anm. 9). Nach dem Philosophen und
Wissenschaftstheoretiker Dirk Hartmann (in „Philosophische Grundlagen der
Psychologie S. 80 f.) wird „Geist
heute ähnlich wie Zeit, Raum, Stoff
oder Materie u. ä. Allgemeinbegriffe am besten als sog.
„Reflexionsterminus" verstanden: ein Wort, „mit dem eine Kategorisierung
bestimmter Aussagen" angezeigt werden soll; er schlägt a. a. O. daher
vor, „Geist" im wissenschaftlichen Sprachgebrauch auf die Kennzeichnung
von „Aussagen über Kognitionen" zu beschränken (und damit von Emotionen,
den umgangssprachlich sog. „gefühlsmäßigen Reaktionen" oder dem
„Gefühlsleben" der Alltagspsychologie zu unterscheiden).
[8] Hellmut Bock: Anglo-American Common Sense and German Geist, in:
American Quarterly, 1956, S. 155–165
[9] zu dem weitreichenden psychoevolutionären Hintergrund der hier (auch)
sprachhistorisch aufscheinenden Zusammenhängen s. Julian Jaynes' „Der
Ursprung des Bewusstseins" (komplett als pdf-Datei; Achtung: die
Seitenangaben hier sind mit dem Originaldruck nicht identisch!; 2,4 MB)
[10] Übersetzung des Ps. 33, zitiert im Deutschen Wörterbuch von Jacob
Grimm und Wilhelm Grimm
[11] Max Weber: Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus
1904
[12] Julius Stenzel: Zur Entwicklung des Geistbegriffs in der griechischen
Philosophie (1956), abgedruckt in Um die Begriffswelt der Vorsokratiker /
(von Kurt Rietzler u. a.); hrsg. von Hans-Georg Gadamer. – Darmstadt :
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1968. (Wege der Forschung ; 9)
[13] Anaximenes: DK 13 B 2
[14] G. Verbeke, Geist. II. Pneuma, in: Joachim Ritter u. a. (Hrsg.):
Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel 1974, Sp. 154–166
[15] Francesco Moiso: Geist. 2. Begriffsgeschichte. 2.1 'Pneuma' und die
anderen griechischen Wörter, in: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.):
Enzyklopädie Philosophie, Hamburg 1999, S. 434 f.
[16] Aristoteles: De An. III, 4, 429 a 22 f.
[17] Christoph Horn/Christof Rapp: Vernunft/Verstand. II. Antike, in:
Joachim Ritter u. a. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie,
Bd. 11, Basel 2001, Sp. 749–764
[18] Augustinus: De animae quantitate 13.
[19] Thomas von Aquin: Summa theologiae I, 76, 2.
[20] René Descartes: Meditationes de prima philosophia, 1641
[21] Saul Kripke, Naming and Necessity, Blackwell Pub., Oxford, 1981 ISBN
0-631-12801-8
[22] David Chalmers: The conscious Mind, Oxford, Oxford University Press,
1997, ISBN 0-19-511789-1
[23] Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort. MEW 13, S. 9, 1859.
[24] Emil Heinrich du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens,
Vortrag, 1872
[25] Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften, 1863
[26] Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und
phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch: Allgemeine Einführung in die
reine Phänomenologie 1913
[27] Klassiker sind: Ullin Place: Is Consciousness a Brain Process? in:
British Journal of Psychology, 1956 und John Jamieson Carswell Smart:
Sensations and Brain Processes in: Philosophical Review, 1956.
[28] Thomas Nagel: What is it like to be a bat? In: The Philosophical
Review, 1974, S. 435–450
[29] Klaus Dörner: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und
Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. (1969) Fischer Taschenbuch,
Bücher des Wissens, Frankfurt am Main 1975, ISBN 3-436-02101-6; S. 263,
270
[30] Manfred Spitzer: Geist im Netz, Modelle für Lernen, Denken und
Handeln. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 1996, ISBN
3-8274-0109-7. S. 10
[31] Schon der Protosoziologe Montesquieu benutzte „esprit" in seinem Vom
Geist der Gesetze von 1748 in diesem Sinne.
[32] Günter Bierbrauer. (2005), Sozialpsychologie, ISBN 3-17-018213-7
[33] John R. Anderson / Christian Lebiere: The atomic components of
thought, Erlbaum, 1998, ISBN 0-8058-2816-8
[34] Sigmund Freud: Das Ich und das Es, 1923
[35] Ausnahmen werden beschrieben in: J.-D. Haynes, G. Rees: Decoding
mental states from brain activity in humans. In: Nature Reviews
Neuroscience 7, 2006, S. 523–534 und G. Kreiman, C. Koch, I. Fried:
Category-specific visual responses of single neurons in the human median
temporal lobe. In: Nature Neuroscience 3, S. 946–953
[36] Rudi Paret: Der Koran. Übersetzung. 4. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart
1985, ISBN 3-17-008994-3, S. 213.
[37] Vgl. Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3.
Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen
Islam. Band V. Berlin-New York 1993. S. 111.
[38] Vgl. dazu Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3.
Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen
Islam. Band III. Berlin-New York 1992. S. 115.
[39] Vgl. van Ess III 369f.
[40] So etwa bei Augustinus, „De vera religione" 39.
[41] So anscheinend bei Meister Eckhart, „Von der Stadt der Seele"
[42] In diese Tradition lassen sich auch Texte einreihen wie Angelus
Silesius, „Erstes Buch" 6. Kap.
[43] M. de Certeau: Art. Mystique in: Encyclopédie Universalis; ders: Le
corps folié: mystique et folie aux XVIe et XVIIe siècles, in La Folie
dans la psychanalyse, Payot, 1977, 189–203 hat dies zu analysieren und
erklären versucht.
Normdaten (Sachbegriff): GND: 4019830-3
Sein
Sein (griechisch einai, lateinisch esse – Infinitiv), Dasein, Gegebensein,
In-der-Welt-Sein bezeichnet den Grundbegriff der Philosophie und
Metaphysik.¹ Das Zeitwort sein, zu dem Sein den substantivierten Infinitiv
bildet, kann nicht eindeutig definiert werden und erfordert einen zugrunde
gelegten Seinsbegriff. In der Tradition gibt es dabei zwei grundsätzlich
verschiedene Ansätze:
- Univokes Seinsverständnis: Sein ist das Merkmal, was allen Seienden nach
Abzug der jeweils individuellen Eigenschaften immer noch gemeinsam ist
(Entität),²
- Analoges Seinsverständnis: Sein ist das, was „allem" zukommt, der
Gegenbegriff zum Sein ist das Nichts, da nichts außerhalb des Seins
stehen kann.²
Dagegen beschreibt der Begriff des Seienden (griechisch to on,
mittellateinisch ens – Partizip) einzelne Gegenstände oder Tatsachen.
Seiendes kann auch die Gesamtheit des Existierenden, also „die ganze Welt",
bezeichnen, solange dies räumlich und zeitlich bestimmbar ist. Sein ist
hingegen das unveränderliche, zeitlose, umfassende Wesen (griechisch ousia,
lateinisch essentia) sowohl einzelner Gegenstände als auch der Welt als
Ganzes.
Die Begriffe „Seiendes und „Sein
stehen in einem Spannungsverhältnis, da
jedem Seienden in irgendeiner Weise ein Sein zukommt. Seiendes ist im
Werden vergänglich. Seiendes ist gewordenes Mögliches. Die Untersuchung des
Wesens von allem Seienden ist Hauptgegenstand der Ontologie. Ein weiteres
Thema ist die Abgrenzung des Seienden zum Nichtseienden. So betont jede
Form des Realismus, dass es sich vor allem beim sinnlich Gegebenen um
Seiendes handelt, dagegen bei bloß Gedachtem eher um Nichtseiendes.
Seiendes setzt eine existierende Welt von Gegenständen, Eigenschaften oder
Beziehungen voraus. Im Gegensatz dazu sehen die verschiedenen Formen des
Idealismus das eigentlich Seiende in der Innenwelt des rein gedanklich
Vorgestellten, während gerade die Realität einer Außenwelt bestritten und
für bloßen Schein gehalten wird.
Der Begriff des Seins hat den weitesten möglichen Bedeutungsumfang
(Extension) überhaupt, weil er sich auf alles, was denkbar ist, beziehen
kann. Alles, was denkbar ist, bedeutet dabei alles, was nicht „nicht ist".
Für Sein und Nichts gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Erst durch
den Begriff des Seins wird die Vorstellung von Negation und Differenz
möglich. Differenz ist der Übergang vom Sein zum Seienden. Das Sein und das
Seiende stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Aus dem Sein
(These) und dem Nichts (Antithese) ergibt sich durch die Unterscheidbarkeit
das Seiende (Synthese). Der Unterschied von Sein und Existenz besteht
darin, dass man mit Existenz ein Sein in der Realität mit einer örtlichen
und zeitlichen Bestimmung meint. Demgegenüber kann man auch solchen
Gegenständen ohne bewiesene Existenz durchaus Eigenschaften zuschreiben:
Atlantis ist ein untergegangenes Weltreich.
Der Begriff des Seins wird in der allgemeinen Metaphysik diskutiert. Sie
fragt nach den allgemeinsten Kategorien des Seins und heißt deshalb auch
Fundamentalphilosophie. Sofern sie das Sein als Seiendes untersucht,
spricht man von Ontologie (Seinslehre).
Der Begriff des Seins
Ein erster Zugang zum Thema ist der sprachliche Gebrauch des Ausdrucks
sein.³ Im umgangssprachlichen Deutsch und in den indogermanischen Sprachen
überhaupt wird „sein" als sprachliche Verknüpfung, als Kopula, zur
Verbindung von Subjekt und Prädikat in Sätzen grammatisch oder in Aussagen
der Logik verwendet. Ob diese grammatische Funktion als bloße Kopula einer
semantischen Bedeutungslosigkeit des Wortes „Sein" entspricht, wird
spätestens seit Aristoteles kontrovers diskutiert.
„Auch das Sein oder Nichtsein ist kein bedeutungshaltiges Zeichen der
Sache [von der es gesagt wird], auch dann nicht, wenn man das ‚seiend' an
sich selbst nackt sagen würde, denn es selbst ist gar nichts, sondern
bezeichnet eine gewisse Verbindung [zu etwas] hinzu, welche ohne das
Verbundene nicht zu denken ist"
– Aristoteles⁴
Dabei kommt es, so eine Beobachtung von Aristoteles, die auch heute noch
viele Philosophen für zutreffend halten,⁵ je nach Aussagekonstellation zu
verschiedenen Bedeutungen des Wortes „ist". „Da aber das Seiende,
schlechthin ausgesprochen, in vielfachen Bedeutungen gebraucht wird."
(Aristoteles⁶ )
Man kann die verschiedenen Bedeutungen des Wortes „ist" im Deutschen
schematisch wie folgt unterscheiden⁷
- Existenz. Beispiel: Sokrates ist.
- Relation
+ Identität
* mathematische Gleichheit. Beispiel: Zwei mal zwei ist vier.
* Kennzeichnung. Beispiel: Aristoteles ist der Lehrer von Alexander.
* Definition. Beispiel: Ontologie ist die Lehre vom Seienden.
+ Prädikation von Eigenschaften. Beispiel: Sokrates ist sterblich.
+ Klassifizierung. Beispiel: Ein Elefant ist ein Säugetier.
Die Verwendung des „ist" zur Kennzeichnung von Existenz kann sich auf die
Existenz von Gegenständen, aber auch von Sachverhalten (es ist der Fall,
dass …) beziehen. Die anderen Verwendungen von „ist", also Identität,
Prädikation oder Klassifizierung kennzeichnen Relationen oder
Eigenschaften, wobei sie jeweils die Existenz des Subjektes implizit
unterstellen (sog. Existenzpräsupposition).
Kategoriale Bestimmung des Seienden
Eine erste systematische Analyse des Seienden ist die Schrift Kategorien
von Aristoteles. In dieser Schrift untersuchte er grundlegende
Aussageweisen über das Seiende. Er stellte eine Liste von zehn Begriffen
zusammen, die vollständig unabhängig voneinander und aus seiner Sicht nicht
mehr auf andere Begriffe zurückführbar sind.
Die Kategorienliste enthält zwei Klassen von Begriffen, nämlich die
Substanz und die übrigen neun Kategorien, die Akzidenzien. Die Substanz ist
das dem Seienden Zugrundeliegende (hypokeimenon). Die Substanz ist jeweils
das Subjekt einer Aussage (Prädikation). Akzidenzien existieren hingegen
nicht selbstständig, sondern nur in einer Substanz. Sie können nur in
Verbindung mit einer Substanz ausgesagt werden.
In einem weiteren Schritt unterschied Aristoteles erste Substanzen (prote
ousia) von zweiten Substanzen (deutera ousia). Die erste Substanz kann
nicht von einem anderen Zugrundeliegenden ausgesagt werden. Sie ist
individuell und der Zahl nach eins, also unteilbar. Die zweite Substanzen
sind die Arten und Gattungen, die von den ersten Substanzen ausgesagt
werden. Von Sokrates sagt man, er sei ein Mensch und ein Lebewesen. Die
zweiten Substanzen sind keine Akzidenzien, weil sie der ersten Substanz
immer zukommen. Sie beschreiben das Wesen der ersten Substanz. Akzidenzien
beziehen sich hingegen immer auf einen bestimmten Zustand einer Substanz.
Philosophiegeschichte
Antike
In der griechischen Naturphilosophie bestand die Suche nach dem Urgrund des
Seienden in Erklärungen anhand eines Urstoffes (Feuer, Wasser, Luft,
Apeiron). Erst bei Parmenides wurde das Sein zu einem abstrakten, jenseits
der Naturphilosophie zu bestimmenden Begriff.
„Der eine (zeigt), dass das (Seiende) ist und dass es unmöglich ist, dass
es nicht ist. Das ist der Pfad der Überzeugung; folgt er doch der
Wahrheit. Der andere aber (behauptet), dass es nicht ist und dass es
dieses Nichtsein notwendig geben müsse. Dieser Weg ist – das sage ich dir
– völlig unerforschlich. Denn das Nichtseiende kannst du weder erkennen
(denn das ist unmöglich) noch aussprechen."
– Parmenides⁸
Indem das Seiende nicht mehr das empirisch Fassbare, sondern das Wahre ist,
lehnte Parmenides das Nichtseiende als unmöglich ab. Für ihn galt, „dass
Seiendes ungeworden und unvergänglich ist, ganz und einheitlich, und
unerschütterlich und vollendet."⁹ Parmenides unterschied in seinem
Lehrgedicht, in dem er auch das Werden und Vergehen der Natur betrachtete,
damit erstmals zwischen dem vergänglichen Seienden und dem unvergänglichen
metaphysischen Sein, auch wenn er den Begriff des Seins noch nicht explizit
verwendete. Was es wirklich gibt, entsteht nicht und vergeht nicht. Gegen
Parmenides vertrat Heraklit das Werden als das der Welt zugrunde liegende
Prinzip. (panta rhei)
Platon problematisierte im Dialog Sophistes, dass im Nichtseienden
Möglichkeit steckt, so dass man auch über Nichtseiendes reden kann. Das
Nichtseiende ist nicht Nichts, sondern Verschiedenheit. Wenn man zum
Beispiel sagt, dass Ruhe nicht Bewegung ist, dann heißt das nicht, dass
Ruhe nichts ist. „Sie ist aber doch wegen ihres Anteils am Seienden".¹⁰
Ruhe und Bewegung sind nur nicht identisch. Für Platon war das Seiende als
Werden und Vergehen etwas, das am Sein (an den unveränderlichen Ideen)
teilhat. Die Existenz von roten Dingen besteht in der Teilhabe an der Röte.
Sein ist nach Platon neben Ruhe, Bewegung, Identität und Verschiedenheit
eine der fünf Kategorien, an denen alle anderen Ideen teilhaben.
„Und da das Sein und das Verschiedene durch alles und auch durch einander
hindurch gehen: so wird nun das Verschiedene als an dem Seienden Anteil
habend freilich sein vermöge dieses Anteils, nicht aber jenes, woran es
Anteil hat, sondern verschieden; als verschieden aber von dem Seienden
seiend ist es aber offensichtlich ganz notwendig nichtseiendes Sein.
Wiederum nun das Seiende, als am Verschiedenen Anteil habend, ist ja
verschieden von allen anderen Gattungen, und von ihnen insgesamt
verschieden ist es ja eine jede von ihnen nicht, noch auch alle anderen
insgesamt, sondern nur es selbst."
– Platon¹¹
Auch wenn er das Sein als Abstraktes auffasste, so konzentrierte sich
Platon noch auf die Betrachtung des empirisch Fassbaren:
„Ich sage also, was nur irgendeine Wirkkraft (dynamis) besitzt, es sei
denn ‚von Natur irgendetwas anderes zu tun' (poiein) oder wenn auch nur
das geringste vom unbedeutendsten zu erleiden – und wäre es auch nur ein
einziges mal –, alles in exakter Weise sei (ontus einai); denn ich setze
als Definition (Grenze), um das Seiende in seinem Sein abzugrenzen,
nichts anderes als Wirkkraft."
– Platon¹²
Dem den Gesetzen von Ursache und Wirkung unterliegenden Sein stehen als
unveränderliche Größen die Ideen gegenüber, deren höchstes Prinzip die
Einheit (to hen) ist.
Erst Aristoteles kam zu einer klaren begrifflichen Unterscheidung von
Seiendem und Sein. „Von alters her und jetzt und immer ist gefragt und
immer schwierig zu fassen, was das Seiende sei." (Met. VII 1, 1028 b 2-4)
In der Auseinandersetzung mit Platons Ideen entwickelte er in einem frühen
Konzept die Strukturierung des Seienden nach Kategorien (siehe oben).
Später machte er in der Metaphysik das „Seiendem als Seiendes" (to ho en
on) zum grundlegenden Thema der „ersten Philosophie".¹³ „Es gibt eine
Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes betrachtet und das, was diesem
an sich zukommt." (Met. IV 1, 1003a 21)
Über die kategoriale Strukturierung hinaus betrachtete er das Seiende nun
als Existenz (to estin), als Wirklichkeit (entelechia) und Möglichkeit
(dynamis) und als Wahres und Falsches. Das Sein ist kein Gattungsbegriff,
weil es nicht eindeutig (univok), sondern mehrdeutig (äquivok) von den
Dingen ausgesagt wird. Der Begriff des Seins fügt der Substanz (ousia)
nichts hinzu; es ist das, was in den Einzeldingen immer schon,
unveränderlich und wesensmäßig enthalten ist. Das Sein als Allgemeines kann
nicht ohne Bezug auf ein Einzelnes ausgesagt werden (siehe
Universalienproblem). Alles was über Seiendes ausgesagt wird, hat in sich
das Sein als solches, das die Einheit stiftet (pros hen), das oberste und
erste Seiende (protos on). „Indem nun in so vielen Bedeutungen das Seiende
bezeichnet wird, so ist offenbar von ihnen erstes Seiendes das Was, welches
das Wesen (Substanz) bezeichnet." (Met. 1028 a 13 – 15). Das absolut
Seiende ist bei Aristoteles der „unbewegte Beweger", die er als die reine,
nur sich selbst denkende Vernunft auffasste, zu der alles Seiende strebt
und durch die damit das Werden und Vergehen verursacht wird.
Neuplatonismus
Im Neuplatonismus bei Plotin ist der Urgrund, das oberste Prinzip, das Eine
(to hen), aus dem sich die Ideen und das empirisch Seiende hierarchisch
herleiten. Das Sein wird mit dem Geist (nous) gleichgesetzt. Der Geist ist
zugleich das Seiende. Sein und Denken fallen in einem zusammen. Das Sein
ist das Denken, das Seiende das Gedachte.
„Das Erste nämlich muss ein Einfaches vor allen Dingen Liegendes sein,
verschieden von allem was nach ihm ist, für sich selbst seiend, nicht
vermischt mit etwas, was von ihm stammt, und dabei doch in anderer Weise
fähig, den Dingen beizuwohnen, wahrhaft eines seiend und nicht zunächst
etwas anderes und dann erst Eines. […] Denn wenn es nicht einfach wäre,
entrückt aller Zufälligkeit und aller Zusammengesetztheit, und wahrhaft
eigentlich Eines, dann wäre es nicht mehr der Urgrund; erst dadurch, dass
es einfach ist, ist es von allen Dingen das Unabhängigste und so das
Erste."
– Plotin¹⁴
Aus diesem Urgrund fließt alles Seiende durch Emanation. Der Geist selbst
ist der erste Schritt der Emanation. Vernunft kann nicht oberste Instanz
sein, denn sie beinhaltet stets den Bezug auf etwas, eine Differenz. Diese
unspezifizierte Differenz ist das Sein. Die Entfaltung des Seins ist die
Welt der Ideen (kosmos noetos), die Weltvernunft. Der Nous erzeugt durch
Emanation die Gattungen und Arten des Seienden. Die Ideen sind das Ganze
des jeweils Seienden, durch die die Vielheit der Materie zur Einheit
gebracht wird. Die Ideen geben dem Seienden die Form und sind damit
ontologisch primär. Die Emanation ist ein hierarchischer Prozess der
Entwicklung vom obersten Allgemeinen bis hin zur einzelnen Art und zum
Individuum. Hierdurch ist zugleich die Ordnung der Welt bestimmt.
„Wenn die Ideen nun viele sind, so muss es notwendig ein Gemeinsames in
ihnen geben und auch ein Eigenes, wodurch sich die eine von der anderen
unterscheidet. Dies Eigene also, dieser absondernde Unterschied ist die
individuelle Gestalt der Idee. Ist aber eine Gestalt da, so gibt es
etwas, das gestaltet wird, an dem der spezifische Unterschied ist; es
gibt dort also auch Materie, welche die Form aufnimmt und für jede das
Substrat ist. Ferner wenn es in der oberen Welt einen intelligiblen
Kosmos gibt und der irdische sein Abbild ist, dieser aber zusammengesetzt
ist unter anderem aus Materie, so muss es auch dort Materie geben."
– Plotin¹⁵
Ähnlich wie Plotin unterschied dessen Schüler Porphyrios Sein, Leben und
Denken. Hieran anknüpfend verband Augustinus in seiner Trinitätslehre das
christliche Denken mit dem Neuplatonismus. Dem ungeschaffenen göttlichen
Sein steht das geschaffene weltliche Seiende gegenüber. Das Sein ist der
sinnlichen menschlichen Erkenntnis nicht mehr zugänglich. Erkenntnis des
Seins wird zu einer glaubenden inneren Erkenntnis (intima cognitio). Auch
Boethius vertrat die Abhängigkeit des Seienden vom göttlichen Sein.
„Verschieden ist das Sein und das, was ist; das Sein selbst nämlich ist
noch nicht, sondern erst das, was ist, indem es die Form des Seins
empfangen hat, ist und besteht." (Boethius¹⁶ ) Jedes Seiende (ens) hat teil
am Sein (esse), aber das Sein selbst hat an nichts teil. Die Ideen sind
Ideen im Geist Gottes, dessen Wille das erste Prinzip ist.
Mittelalter
In der mittelalterlichen Diskussion