"Wir schaffen das": Die Kanzlerin & das Mantra der Wirtschaft
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Buchvorschau
"Wir schaffen das" - Diana A. von Ganselwein
EPILOG
PROLOG
Der vorliegende Text beruht auf der Überzeugung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel am 31. August 2015 ihre drei Worte nicht spontan aus dem Ärmel ihres roten Blazers geschüttelt hat. Sie standen ja auch im 115. Satz ihres Manuskripts zur Rede vor der Hauptstadtpresse.
Zugegeben, ohne die Silvesternacht bliebe das für immer von marginaler Bedeutung.
Es wird ferner davon ausgegangen, dass die deutsche Wirtschaft die Regierungschefin zu dieser Aussage gedrängt hat. Ein „Kopf hoch! Wir sind ein starkes Land" an ratlose und verunsicherte Demokraten ebenso wie an radikalisierte Bürger in einem schwierigen Augenblick für ein in Europa isoliertes Deutschland.
Diese Analyse gipfelt nicht in der Vermutung, dass weder die Repräsentanten der Verbände und Institutionen noch sie selbst nicht wirklich überzeugt sein konnten von dem, was sie sagte.
Ernsthafte wissenschaftliche Autoren bezeichnen jedoch als Jobvoraussetzung eines Politikers oder einer Politikerin die Fähigkeit zur Lüge und erläutern zwingend, dass die Politik lügen muss und dass sie es für uns tut. Die erste Pflicht ist es, gewählt zu werden und die Macht zu haben, ohne die niemand all die guten Dinge tun kann, die er oder sie verspricht.
Politiker werden noch geschont, Manager in Bezug auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit schon lange nicht mehr. Investoren analysieren mit Softwareprogrammen von Firmen wie Rittenhouse Rankings und LIWC kritisch die Wortwahl in Quartalsberichten und Fernsehinterviews.
Auch Angela Merkel konnte vor dem Weltbankforum über Investitionen, Energie, Ernährung, Bevölkerungswachstum, Menschenrechte und Bildung locker Nachhaltigkeit als deutsche Erfindung beanspruchen. Wow! In der Tat verfasste im 17. Jahrhundert ein sächsischer Adeliger vermutlich erste „naturmäßige Anweisungen zur Wilden Baum-Zucht. Im deutschen Bundestag erntete sie jedoch heftigste Kritik für Etikettenschwindel: „Gerade Deutschland mit seiner zweifelhaften exportorientierten Wirtschaftspolitik, mit Lohndumping und Sozialabbau sollte nicht als Vorbild für Europa und die Weltgemeinschaft dienen. Stellen wir uns vor, jedes Land würde wie Deutschland mehr exportieren, als es verbraucht. Wer soll den Export-Überschuss dann kaufen?
(Quelle: Ralph Lenkert, DIE LINKE, 28. Juni 2013).
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung prägte nach den Vorfällen in der Silvesternacht den Begriff vom „merkelschen Deutsch
und zitierte als Beispiel: „Dabei muss eben immer wieder überprüft werden, ob wir, was Ausreisenotwendigkeiten oder Ausweisungen aus Deutschland anbelangt, schon alles getan haben, was notwendig ist, um hier klare Zeichen an diejenigen zu setzen, die nicht gewillt sind, unsere Rechtsordnung einzuhalten."
Fehlte nur noch: „Dabei sind wir auf einem guten Weg."
Die Erörterung zweier angesagter Katastrophen im Kanzleramt fand an einem der Spätabende nach dem 21. und vor dem 31. August 2015 statt. Im Kabinettsaal tagte nicht die Bundesregierung. Eine einsame Angela Merkel war umringt von den mächtigsten Lobbyisten der deutschen Wirtschaft. Deren Geschäft ist noch härter als das Buhlen um die schwankende Gunst von Wählerinnen und Wählern. In ihren Unternehmen wird täglich eine Wertschöpfung von knapp acht Milliarden Euro generiert. Das verleiht den Repräsentanten unbeschreibliche Macht. Nur 26 Prozent der Erwerbstätigen haben ihre existentielle Basis im Export. Das Schicksal von sehr viel mehr Menschen wird vom privaten Konsum bestimmt. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf dreißig der vierzig Millionen Beschäftigten und ihre Familien. Die Stimmung innerhalb der deutschen Gesellschaft, ihr Zustand und ihre Zusammensetzung entscheiden über Aufstieg oder Untergang.
In der ewigen Krise der demografischen Entwicklung zeigte sich kurz vor der Konferenz ein überraschender Lichtstrahl. Umso perspektivloser präsentierte sich gleichzeitig der politische Umgang mit den als Flüchtlingsfrage bezeichneten Ereignissen. Das Wort Frage signalisiert, dass die Regierung eine Antwort hat. Doch der allgemeine Eindruck war ein völlig anderer.
Den Beschönigungen setzte die Wirtschaft an jenem Abend ein Ende. Klartext mit roter Karte.
Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Bis am 31. August Kanzlerin Merkel vor den Vertretern der Hauptstadtmedien zum allerersten Mal die Worte sprach: „Wir schaffen das."
Historiker werden das Mantra der Bundeskanzlerin nicht ohne Zusammenhang mit der am 21. August 2015 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Entwicklung der Geburtenrate bewerten können. Ebenso ist unstreitig, dass die schockierenden Ereignisse rund um eine Erstaufnahmeeinrichtung in Heidenau nahe Dresden in