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Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945: Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes – vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren
Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945: Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes – vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren
Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945: Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes – vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren
eBook1.562 Seiten13 Stunden

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945: Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes – vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren

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Über dieses E-Book

Autor: Frank Baranowski, Festeinband 24 x 17 cm, 596Seiten, 273 Abbildungen, darunter 260 Fotos.

Das E-Book Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945 wird angeboten von Verlag Rockstuhl und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Trelleborg, Trautenstein, Toronto, Torgau, Süsel, Timmenrode, Stöcken, Tel Aviv, Tiercelet, Straßburg, Tachau, Treffurt, Eisenach, Theresienstadt, Eindhoven, Stettin, Tonika, Stuttgart, Suhl, Treuenbrietzen, Tarthun, Tettenborn, Stolberg, Straußfurt
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Rockstuhl
Erscheinungsdatum26. Aug. 2015
ISBN9783959660037
Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945: Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes – vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren

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    Buchvorschau

    Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945 - Frank Baranowski

    Frank Baranowski

    Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands von 1929 bis 1945

    Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes:

    eine vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren

    Impressum

    Umschlaggestaltung: Oliver Ziesing, Duderstadt

    2., bearbeitete Auflage 2015 als

    E-Book

    ISBN 978-3-86777-530-4, gedruckte Ausgabe (2013)

    ISBN 978-3-95966-003-7,

    E-Book

    [EPUB]

    Layout und Satz: Heinz W. Pahlke, Berlin

    1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

    Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    Inhaber: Harald Rockstuhl

    Mitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.

    Lange Brüdergasse 12 in D-99947 Bad Langensalza/​Thüringen

    Telefon: 0 36 03/​81 22 46 Telefax: 0 36 03/​81 22 47

    www.verlag-rockstuhl.de

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Impressum

    Vorwort

    Danksagung

    Einführung

    Forschungsstand

    Quellenlage

    Die ungleiche Wirtschaftsentwicklung in den Gauen Südhannover-Braunschweig und Thüringen von 1923–1945

    Frühzeitiger, langfristiger Aufbau von Rüstungszentren im Gau Südhannover-Braunschweig – später Rüstungsboom in Nordthüringen

    Die geheime Wiederaufrüstung Anfang der 1920er Jahre

    Die systematische Erfassung von Rüstungsbetrieben durch die Reichswehr

    Die mit Staatsmitteln ausgelöste Ansiedlung von Rüstungsbetrieben als Element der „fabrikatorischen Vorbereitung"

    Der rüstungskonjunkturelle Aufschwung im Gau Südhannover-Braunschweig

    Die Einbeziehung südniedersächsischer Firmen in die Rüstungsproduktion – ein Kurzüberblick

    Kriegsproduktion in der Stadt Göttingen

    Die Schaffung von Rüstungskapazitäten in der Stadt Osterode

    Der industrielle Ballungsraum Braunschweig-Hannover-Hildesheim-Salzgitter

    Das Ausbleiben eines rüstungskonjunkturellen Aufschwungs in Nordthüringen

    Die Situation im Regierungsbezirk Erfurt

    Steuerungsversuche der Thüringer Landesplanung

    Die Entwicklung in Südhannover-Braunschweig ab Sommer 1943

    Die Verlagerung der Eltron Werk GmbH und des Flugzeugbauers Heinkel

    Die Untertageverlagerungen im Hils bei Holzen und in den Asphaltstollen in Ahlem – die Bauvorhaben „Hecht und „Döbel

    Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte als Beleg unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklung zweier Regionen – ein statistischer Überblick

    Zwangsarbeit und Raketenrüstung

    Der Aufbau des A4-Serienwerkes im Kohnstein und des Lagers „Dora"

    Die Mittelwerk GmbH und der Verlegung der Häftlinge ins Barackenlager

    Expansion der Raketenproduktion im Umfeld von Nordhausen

    Die Verlagerungsbestrebungen der Rüstungsindustrie in Mitteldeutschland unter Berücksichtigung der Politik des Jägerstabes und anderer Sonderstäbe

    Die oberirdische Dezentralisierung der Flugzeugindustrie

    Die organisatorische Struktur der Untertageverlagerung

    Die Gründung der Sonderstäbe und ihre Aufgaben

    Flugzeugproduktion kontra Mineralölsicherungsplan

    Die weitere Zurückdrängung der A4-Produktion im Kohnstein

    Vom Arbeitslager Dora zum Konzentrationslagerkomplex „Mittelbau-Dora"

    Der Strukturwandel – vom geplanten Rüstungs- zum Bau-KZ

    Das Konzentrationslager Mittelbau-Dora als selbständiges Lager

    Die Ökonomisierung des Häftlingseinsatzes

    Die Muna Bernterode – erstes Beispiel einer Untertageverlagerung

    Die Umwandlung von Kaliwerken zu unterirdischen Heeresmunitionsanstalten

    Das „Muster"-Untertagelager: der Umbau des Kaliwerkes Bernterode zu einem Munitionsdepot des Heeres

    Nordthüringen und die Südharzregion – vom ‚Notstandsgebiet‘ zur Rückzugsregion der deutschen Kriegswirtschaft

    Die staatlich geförderte Ansiedlung neuer Unternehmen

    Mühlhausen, Gerätebau GmbH

    Mühlhausen, Lorenz AG

    Rottleberode, Stock & Co

    Die Umwandlung eingesessener Betriebe zu Rüstungsschmieden

    Artern, Kyffhäuserhütte

    Beyrode, Wagner & Co

    Bleicherode, Ohl & Vattrodt

    Bleicherode, Technische Werkstätten Lange & Weinhold

    Dingelstedt, Maschinenfabrik Meister & Co

    Dingelstedt, Schellhaas & Co

    Dingelstedt, Wegerich & Co

    Ellrich, Ewald Busse GmbH

    Mühlhausen, Christoph Walter AG

    Mühlhausen, Claes & Co. KG

    Mühlhausen, Gebrüder Franke KG

    Mühlhausen, Holzverarbeitungsfabrik Conrad Haberstolz

    Mühlhausen, Leder- und Lederwarenfabrik Otto Stephan

    Mühlhausen, Metallwarenfabrik Jost & Kleinschmidt

    Mühlhausen, Möbelfabrik Karl Kleeberg

    Mühlhausen, Maschinen- und Fahrradfabrik Walter & Co

    Niedersachswerfen, Karl Hoffmann & Sohn

    Nordhausen, Eisengießerei und Maschinenfabrik Mosebach & Sohn

    Nordhausen, Federnwerke Dannert

    Nordhausen, Julius Fischer

    Nordhausen, Maschinen- und Apparatebau AG (MABAG)

    Nordhausen, Maschinenbau & Bahnbedarf AG (MBA)

    Nordhausen, Schmidt, Kranz & Co

    Nordhausen, Tölle & Söhne

    Sangerhausen, Maschinenfabrik AG (Mafa)

    Sangerhausen, Mitteldeutsche Fahrrad-Werke GmbH (Mifa)

    Sömmerda, Rheinmetall Borsig AG

    Sömmerda, Selve-Kronbiegel-Dornheim AG (Selkado)

    Die Arbeits- und Lebensbedingungen ausländischer Zwangsarbeiter in nordthüringischen Unternehmen

    Rüstungsverlagerungen in die ‚Mitte‘ Deutschlands seit August 1943

    Die oberirdische Dezentralisierung von Rüstungsbetrieben

    Artern, Gollnow & Sohn/Geyer & Sohn (Außenkommando „Adorf")

    Artern, Preußische Bergwerks- und Hütten AG (Preussag)

    Blankenburg (Harz), Krupp AG Essen/Bodewerk

    Bleicherode, Elektromechanische Werke GmbH

    Bleicherode, Fabrik elektrotechnischer Artikel Willi Kuhlmann

    Dachrieden, Rheinmetall Borsig/Thüringische Maschinenfabrik AG

    Dingelstedt, Henschel Flugmotorenbau GmbH Kassel

    Ellrich u. a., Junkers/Nordwerke AG

    Haynrode, Elektromechanische Werke GmbH

    Kelbra, Mittelwerk GmbH

    Kleinbodungen, Mittelwerk GmbH

    Langensalza, Junkers/Langenwerke AG

    Mühlhausen, Maschinenfabrik und Eisengießerei Jean Güsken

    Mühlhausen, Junkers/Mühlenwerke AG

    Neubleicherode, Elektromechanische Werke GmbH

    Niedergebra, Elektromechanische Werke (SS-Kommando 48a)

    Niedergebra, Fieseler-Werke

    Niederorschel, Junkers/Langenwerke AG

    Roßla, Mittelwerk GmbH

    Die Untertageverlagerung in Kaliwerke und bestehende Untertageanlagen

    Abteroda, BMW („Anton-Bär")

    Bischofferode (Eichsfeld), Henschel und Elektromechanische Werke GmbH

    Bleicherode, Elektromechanische Werke GmbH

    Halberstadt, Junkers/Makrele I und II

    Leimbach (Schacht Salzungen/Kaiseroda I), BMW/„Ludwig-Rentier"

    Leinefelde (Tunnel der Eisenbahnstrecke Leinefelde-Eschwege), Henschel Kassel

    Rehungen (Schacht Neusollstedt), Nachschublager der SS

    Rottleberode (Heimkehle), Junkers/Thyra-Werk

    Sollstedt, Elektromechanische Werke GmbH

    Sondershausen, Junkers pp

    Springen (Schacht Heiligenroda III), BMW/„Heinrich-Kalb"

    Timmenrode (Teufelsmauer), Polte Magdeburg

    Die Unterbringung von Rüstungsbetrieben in neu errichteten Anlagen

    Blankenburg (Harz), Kurbelwellen GmbH/Klosterwerke GmbH („Porphyr")

    Blankenburg (Harz), Schäffer & Budenberg/Oda-Werk GmbH („Turmalin")

    Ellrich, Ammoniakwerke Merseburg (Verlagerungsprojekt B 17)

    Halberstadt, Junkers/Malachit AG

    Halberstadt, Krupp („Maifisch")

    Niedersachswerfen, Ammoniakwerke Merseburg (Verlagerungsprojekt B 11)

    Stempeda, Junkers (Verlagerungsprojekt B 4)

    Woffleben (Himmelberg)/Appenrode (Mühlberg), Junkers (Verlagerungsprojekt B 3)

    Woffleben, Junkers (Verlagerungsprojekt B 12)

    Schlussbetrachtung

    Hinter dem Rücken von Versailles – die Aufrüstung der Reichswehr

    Strukturwandel, Rüstungsprofile und -profite zweier Regionen

    Aus der Not des Bombenhagels

    Zwangsarbeit und Raketenproduktion im Kohnstein, das KZ Mittelbau-Dora

    Ausbeutung und Tod – die Situation auf den Untertagebaustellen

    Tabellen zur Entwicklung von Zwangsarbeit in Niedersachsen und Thüringen

    Quellen- und Literaturverzeichnis

    Ungedruckte Quellen

    Unveröffentlichte Quellen

    Darstellungen

    Abkürzungsverzeichnis

    Ortsregister

    Firmenregister

    Fußnoten

    Vorwort

    Frank Baranowski legt mit seinem Werk „Rüstungsproduktion in Deutschlands Mitte von 1923 bis 1945 die Summe seiner jahrzehntelangen Forschungen vor. Angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, hat er Mitte der 1980er Jahre in der Schule. Der Verfasser des Vorworts war sein Lehrer. Die Frage nach französischen Zwangsarbeitern in Südniedersachsen rückte in das Unterrichtsinteresse, lange bevor man sie kannte, anerkannte und für erlittene Unbill „entschädigte. Wo waren sie geblieben? Was erinnerten die, die noch lebten? Wo haben sie gelebt, wie gelitten inmitten der Schülergroßeltern? Was war aus den Ausbeutern ihrer Arbeitskraft geworden? Vielleicht spielte auch die technische Ausrichtung der gymnasialen Oberstufe, die Baranowskis Forschungsdrang auf den Weg brachte, eine Rolle. Waren es doch vor allem Unternehmen der Kriegsrüstung, die Zwangsarbeiter, ob in Frankreich und Belgien angeworben, eingezogen oder gekidnappt, Kriegsgefangene, Deportierte aus den Weiten des Ostens und zuletzt

    KZ-Gefangene

    ausbeuteten, oft jusqu’à ce que mort s’ensuive. ¹ Die Frage nach der moralischen Verantwortung technischer Bildung war gestellt.

    Am Anfang war es eine schulische Rezeption der von Sven Lindqvist initiierten „Grabewo-du-stehst-Bewegung. Lokalgeschichte, briefliche Befragung von Zeitzeugen, Erforschung von Lebenswelten, Industrie- und Alltagsgeschichte, sie alle wurden zum Bildungserlebnis, waren Teil einer Erlebnisbildung und Weg der Schülersozialisierung. Preisarbeiten für Schülerwettbewerbe der Robert-Bosch-Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Körber-Stiftung entstanden im Kursverband. War Frank Baranowski dabei noch Vorreiter, so ließ ihn das Thema nicht mehr los – es ihn und er es. Ulrich Herberts Monographie „Fremdarbeiter, Politik und Praxis des Ausländer-Einsatzes in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches wurde Frank Baranowski dabei zum Meilenstein. Neben seinem Jura-Studium setzte er die Forschungen fort, erst im heimatlichen Eichsfeld-Städtchen Duderstadt, ² dann immer weiter ausgreifend.

    Dann kam die Wende und für Südniedersachsen lag das ehemalige Konzentrationslager Dora-Mittelbau bei Nordhausen vor der Haustür. Für Frank Baranowski wie für mich war die Anschauung Schock und Antrieb, mehr zu erfahren über das Schicksal dorthin Deportierter und die Strukturen ihrer Ausbeutung. Während ich das vierzig Jahre nach der Befreiung verfasste Erinnerungsbuch des ehemaligen Häftlings Yves Béon „Planet Dora" aus dem Französischen übersetzte, machte Frank Baranowski sich auf den Weg, die Lager- und Ausbeutungsstrukturen in ihrer ganzen Breite zu erforschen. Er bereiste Archive in ganz Deutschland, studierte

    NS-Prozessakten

    in Ludwigsburg, befragte Zeitzeugen, beschaffte Dokumente, zum Teil aus den USA, sammelte sie und vieles mehr in einem umfassenden Privatarchiv, richtete eine Homepage ein, ebenso war er maßgeblich an der Konzeption einer Dauerausstellung zum Thema Heeresmunitionsanstalten in Kalibergwerken der Region in

    600

     

    m

    Tiefe des Schachtes Glückauf in Sondershausen beteiligt.

    Zunehmend entwickelte Frank Baranowski das Gespür einer ‚Trüffelnase‘. Mit gewinnender

    Art erschloss er Privatarchive und Sammlungen von Nachfahren der Rüstungsproduzenten. Als die Sammlungen des International Tracing System (ITS) in Arolsen unter Verwaltung des Internationalen Roten Kreuzes noch unzugänglich waren, fand er Kopien und noch darüber hinausgehende Bestände im Archiv „Service des Victimes de la Guerre" (AVSG) in Brüssel, die wir gemeinsam auswerteten. Darüber hinaus sucht Frank Baranowskis Fotoarchiv inzwischen seinesgleichen; die vorliegende Veröffentlichung zeigt nur einen Bruchteil des vorhandenen Materials. Auch an der Spitze einer mittelständischen Rechtsanwaltskanzlei in Siegen trieb er seine Recherchen voran, wandte seinen juristischen Sachverstand auf, um das Tarngeflecht staatlich bezahlter Rüstungsentwicklung in und durch Privatfirmen schon seit den 1920er Jahren zu entwirren. Mit der ab 1934 einsetzenden Kriegsvorbereitung waren es bald vollfinanzierte Staatsfirmen, die vom

    NS-Regime

    an Rüstungskonzerne verpachtet und zu deren Tochterfirmen deklariert, die Fassade von Privatfirmen abgaben. Dieses „Montan-System" analysiert Baranowski ebenso wie er es vielfältig nachweist. Die Herstellung und Einlagerung massenhafter Munitionsbestände in aufgelassenen Thüringer Kalibergwerken, damit sie bloß den Versailler Kontrollkommissionen entgingen, beschreibt er als Untertageverlagerung früher Kriegstreiberei schon seit 1934. Vom industriellen Massenproduzenten von Rüstungsgütern über die verschwiegenen Entwickler von high-tech-Waffen bis zum handwerklichen Kleinstbetrieb, Baranowski hat die meisten Rüstungsproduzenten – Rädchen im System von Waffenherstellung und Kriegsproduktion – erfasst. So gewann er ein Gesamtbild der späten, aber umso intensiveren Dislozierung der Rüstungsindustrie in Thüringen und im Südharz. Ein Geflecht von in unterirdischen Hohlräumen (Naturhöhlen und bergbaulich hergestellte Objekte) verbunkerten Rüstungsschmieden, Teile- und Zuliefer-Manufakturen in mittelständischen Betrieben, deren ursprüngliche Produktion teils zwangsumgestellt wurde, Explosivem, Hochgiftigem und Todbringendem in Hügelland und Bergtälern. Und überall in der Nähe, was sich nur pauschalierend als „Zwangsarbeiterlager" zusammenfassen lässt. Ein dichtes Netz von Barackenlagern des Grauens, Zeltunterkünften im strengen Winter, ein bald auf das Kohnsteinlager zentriertes

    KZ-System

    , aber auch firmeneigene Zwangsarbeiterunterkünfte in un- und umgenutzten Nebengebäuden von Fabriken, in ‚Behelfsheimen‘ auf dem Fabrikhof, wenn nicht gleich in der Werkhalle oder in einem Nebengemach der Fabrik selbst. Wer in einem beschlagnahmten Gaststättensaal untergekommen war, konnte noch von Glück reden.

    Nicht nur

    KZ-Häftlinge

    nächtigten auf dem blanken Boden von Naturhöhlen, in Bergwerkschächten oder auf Betonböden der Fabriken. Und über allem die Unterdrückung durch das erbarmungslose

    KZ-Regime

    ,

    SS-Personal

    , das man zum Teil bis in die Vernichtungslager des Ostens zurückverfolgen kann; als Peiniger aber auch zur Bewachung abgestellte Wehrmachtssoldaten. SS, Wehrmachtsangehörige und Fabrikpersonal teilten sich Überwachung und Drangsalierung der Zwangsarbeiter/​innen und

    KZ-Häftlingen

    , mit allenfalls graduell unterschiedlicher Härte. Willkürliche Strafen und Quälereien, willentliches Sterbenlassen in den Krankenrevieren und außerhalb, die von Kapos,

    SS-Leuten

    oder anderem Personal begangenen Morde, die Denunziation von Arbeitskollegen, die stete Demonstration des Lebensunwertes der Ausgebeuteten waren an der Tagesordnung. Kaum Solidarität oder auch nur Zeichen von Menschlichkeit.

    Frank Baranowski hat das in den Dokumenten schon seit langem erfasst, gesammelt, ausgewertet. Nun ist er daran gegangenen, aus der Übersicht und seiner umfassenden Kenntnis eine Systematisierung vorzunehmen, die in einen Regionenvergleich mündet. So fördert Frank Baranowski zutage, wie die Herstellung der Vernichtungsmittel des Krieges untrennbar mit der Ausbeutung der Arbeit moderner ‚Sklavenheere‘ bis hin zu ihrer Vernichtung verbunden ist.

    Göttingen im Juni 2013

    Karl-Udo Bigott †

    Danksagung

    Niemand schreibt ein Buch allein. Auf die eine oder andere Weise trugen viele Menschen zu der vorliegenden Arbeit bei. Dafür möchte ich herzlich und ausdrücklich Danke sagen. Ohne Sie und Euch wäre diese Abhandlung nie fertig geworden.

    So ist es meiner Frau, Angela Baranowski, zu verdanken, dass das Buch trotz aller Widerstände doch noch erscheinen konnte. Sie war der Motor, der mich immer wieder dazu ermutigt und angehalten hat, das Manuskript zum Abschluss zu bringen und zu veröffentlichen. Sie war es auch, die meine Recherchen über die Jahre hinweg begleitet und unterstützt hat, sei es bei der Auswertung von Archivmaterial vor Ort oder bei der Übernahme von Texten.

    Karl-Udo Bigott († 25. 09. 2014) – mein damaliger Lehrer, Mentor und guter Freund – hat die Arbeit, wie die vorangegangenen, von Beginn an mit persönlichem Engagement begleitet. Seine Tür stand immer offen, wenn ich Nachfragen hatte oder Unterstützung brauchte. Teile der maßgeblichen Unterlagen haben wir gemeinsam aufgespürt, vor Ort eingesehen und ausgewertet. Insbesondere unser mehrtägiger Archivbesuch im „Service des Victimes de la Guerre" in Brüssel ist dabei in dauerhafter Erinnerung geblieben. Den kontinuierlich gewachsenen Text hat Karl-Udo Bigott aufopferungsvoll redigiert und das ‚Juristendeutsch‘ sprachlich angepasst. Er hat so wesentlich Einfluss auf das Manuskript genommen.

    Ohne die aktive Unterstützung von Freuden, Mitstreitern und Gleichgesinnten wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Leider ist es an dieser Stelle nicht möglich, alle Personen namentlich aufzuführen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind u. a. Dr. Jens-Christian Wagner, Dr. Friedhart Knolle, Cordula Tollmien, Dr. Rainer Karlsch, Johannes Köppler, Angelika Frenzel, Frank Jacobs, Dr. Joachim Neander, Marco Klinkerfuss, George Megargee, Günther Siedbürger, Hartmut Ruck, Wolfgang Große, Gunther Hebestreit, Manuela Ernst, Dr. Jürgen Kürschner, Ullrich Mallis und Dr. Manfred Heber zu nennen, die in individueller Weise zum Abschluss der Arbeit beigetragen haben, sei es durch fachliche Diskussionen und persönlichen Austausch, Hinweise auf mögliche Quellen, gemeinsame Recherchen oder die Überlassung von Dokumenten.

    Das Manuskript ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Daraus ergab sich die Notwendigkeit der permanenten Korrektur und Anpassung von Textteilen. Dieser Aufgabe haben sich neben Karl-Udo Bigott insbesondere Anton Große, Erhard Hosfeld und Theo Döring gestellt. Sie haben durch ihre Korrekturen und redaktionellen Hinweise wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen.

    Für die großzügige Unterstützung meiner Arbeit und die geduldige Bereitstellung von Archivalien danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der

    KZ-Gedenkstätten

    Mittelbau-Dora, Buchenwald und Wernigerode, des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar, des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs Hannover, der Landeshauptarchive Dessau und Magdeburg, des Bundesarchivs Berlin, des Militärarchivs in Freiburg, des Bundesarchivs in Ludwigsburg (ehemals Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen), der Staatsarchive Meinigen und Gotha, der Stadtarchive Bad Gandersheim, Göttingen, Bad Langensalza, Blankenburg/​Harz, Erfurt, Eisenach, Hannover, Herzberg, Hildesheim, Kassel, Magdeburg, Mühlhausen, Nordhausen, Northeim, Osterode, Sömmerda und Sondershausen, des Internationalen Suchdienstes Arolsen, des „Service des Victimes de la Guerre in Brüssel, der Staatsarchive Freiburg, Münster und Wolfenbüttel, der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung in Warschau, der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung (Zentralnachweis zur Geschichte von Widerstand und Verfolgung 1933 – 1945 auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen) sowie der Thüringer Landesanstalt für Umwelt. Für ihr überragendes persönliches Engagement und den unermüdlichen Einsatz gebührt besonderer Dank Frau Karola Wagner (Leiterin des Referats R 4 des Bundesarchivs), Frau Ingrid Glogowski (Stadtarchiv Blankenburg), Frau Anke Boeck (Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau) und Frau Katrin Weiss (Thüringisches Hauptstaatsarchiv), Frau Roswitha Henning (Stadtarchiv Mühlhausen) und Frau Barbara Speiser (Museum der Stadt Sömmerda).

    Herr Heinz W. Pahlke hat sich in ambitionierter Weise um die Gestaltung und die Satzlegung des Buches gekümmert. Dafür sei ihm an dieser Stelle ebenfalls gedankt.

    Dafür, dass das Buch überhaupt gedruckt werden konnte, gebührt dem Verlag Rockstuhl Anerkennung. Ohne ihn und das selbstlose Engagement hätte das Buch nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

    Einführung

    Zu einem Zeitpunkt, als im gesamten Deutschen Reich Kriegsführung und

    -rüstung

    erste Zerfallserscheinungen zeigten, der bevorstehende Zusammenbruch der Fronten sich abzeichnete und gezielte Luftangriffe der Alliierten die Schaltstellen der Rüstungsindustrie massiv lähmten, gab es in quasi letzter Minute Bestrebungen, wichtige Rüstungsbetriebe namentlich der Flugzeugindustrie in den Südharz zu verlegen. Dies, obwohl die Region um Nordhausen bis dahin in der Rüstungspolitik keine wesentliche Rolle gespielt hatte. Mit Ausnahme der unterirdischen Munitionsanstalten, die das Heer ab 1934 in stillgelegten Kaliwerken von Bernterode bis Sondershausen eingerichtet hatte, war im Gegensatz zum angrenzenden Gau Südhannover-Braunschweig ein nennenswerter rüstungskonjunktureller Aufschwung bis Mitte 1943 ausgeblieben; allenfalls Zulieferaufträge gingen in geringem Umfang an Betriebe südöstlich des Harzes. Auch hatten sich bis zu dem Zeitpunkt nur wenige Firmen zum Zwecke der Kriegsproduktion in Nordthüringen neu angesiedelt, so etwa die Gerätebau GmbH oder der Röhrenhersteller Lorenz in Mühlhausen. In den westlichen Harzkreisen Goslar und Osterode bot sich hingegen ein anderes Bild. Dort ließ sich in den Jahren 1934 bis 1938 eine Vielzahl neu gegründeter Betriebe nieder; eine Vorrangstellung nahmen dabei die chemische und die metallverarbeitende Industrie ein. In Göttingen verzeichneten Unternehmen der Feinoptik starke Zuwächse, ein weiteres wichtiges Standbein stellten Luftwaffenaufträge dar. ¹ Noch weitaus prononcierter war die Entwicklung in und um Braunschweig. Die Grundlagen dafür hatte die Reichswehr bereits Anfang der 1930er Jahre mit ihrem Bestreben gelegt, sich trotz der auferlegten Beschränkungen des Versailler Vertrages ein engmaschiges Netz an Zulieferern für den „Bedarfsfall" zu schaffen. Eine Vielzahl gerade alteingesessener Unternehmen profitierte davon. Bereits frühzeitig warben sie Rüstungsaufträge ein, die ihnen das Überleben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sicherten, bevor sie später ganz von Rüstungsaufträgen abhängig wurden. So entstand – zudem durch die Ansiedlung der Reichswerke Hermann Göring und einiger anderer mit Staatsmitteln alimentierter Firmen – eine Industriedichte, die im Reichsgebiet beispiellos blieb und zur Gründung ganzer Städte (Salzgitter, Wolfsburg) führte. ²

    Diese Ausweitung der Kriegsproduktion im Gau Südhannover-Braunschweig hatte zur Folge, dass in zunehmendem Maße Fremd- und Zwangsarbeiter herangezogen, später auch mehr und mehr

    KZ-Sklaven

    eingesetzt wurden. Da in der nordthüringischen Industrie ein solcher rüstungskonjunktureller Aufschwung nicht stattfand, blieb die Nachfrage nach ausländischem Personal zunächst gering. Erst mit der verstärkten Einberufung zur Wehrmacht im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann ein stetiger Anstieg der Zahl der Fremd- und Zwangsarbeiter; bis Ende 1943 war das allerdings nur in den wenigsten Fällen auf eine wesentliche Aufstockung der Rüstungskapazitäten zurückzuführen. Allein Rheinmetall-Borsig behauptete mit seinem Betrieb in Sömmerda eine Sonderstellung. Der Konzern hatte in Thüringen unter Missachtung der Bestimmungen des Versailler Vertrages bereits im April 1921 die Zünderfertigung wieder aufgenommen und im Folgejahr die Entwicklung einer neuen Maschinenpistole vorangetrieben. Im Oktober 1922 beauftragte die Reichswehr das Unternehmen, die gesamte von den Alliierten für Deutschland zugelassene Menge an Zündern herzustellen. ³

    Unmittelbar nach der Machtübernahme begann Rheinmetall-Borsig mit einer stetigen Ausweitung seiner Kriegsproduktion in Sömmerda, die von nun an nicht mehr verdeckt betrieben werden musste. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich das Werk zum bedeutendsten Rüstungsunternehmen Nordthüringens, stand damit jedoch allein und völlig losgelöst von der sonstigen Entwicklung in der Region. 1944 beschäftigte Rheinmetall Sömmerda zeitweise 13.000 Arbeitskräfte; damit mehr als die im Juni 1944 jeweils 12.000 Beschäftigten bei Hanomag oder Conti, den beiden größten Unternehmen des Rüstungskommandos Hannover. ⁴ Die wirtschaftliche Situation in Nordthüringen änderte sich in dem Moment, als die Raketenmontage in die von der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft (Wifo) geschaffene und von Häftlingen des eigens gegründeten Buchenwalder Außenkommandos Dora unter unmenschlichen Bedingungen ausgebaute Stollenanlage bei Niedersachswerfen verlagert wurde. In ihrer Verblendung plante die

    NS-Führungselite

    seit dem Frühjahr 1944, nach dem Beispiel „Dora" weitere Produktionsstätten in Nordthüringen unter Tage zu dislozieren, vorrangig solche der Flugzeugindustrie, wie es das Heer seit 1934 vorexerziert hatte. Dadurch bedingt wurden fast explosionsartig weitere

    KZ-Außenlager

    gegründet, um deren Insassen als Arbeitssklaven auf den zahlreichen Baustellen der Sonderstäbe auszubeuten, bis ihre Lebenskräfte sie verließen. Keine dieser projektierten und unter hohen Menschenopfern in Angriff genommenen „Großanlagen" ging in Betrieb.

    Gleichzeitig fand ab Mitte 1943 in immer stärkerem Umfang eine oberirdische Verlagerung von wichtigen Rüstungsbetrieben in diesen „Mittelraum statt. Die Betriebsverlegungen nahmen derartige Ausmaße an, dass spätestens im zweiten Quartal 1944 kaum mehr freier Produktionsraum zur Verfügung stand und das Rüstungskommando dazu überging, im ganzen Gebiet Wirtschaftszweige insbesondere der Textilindustrie, zugunsten rüstungsindustrieller Verlagerungsbetriebe stillzulegen. Deren Nutznießer war erneut vor allem die Flugzeugindustrie, die damit zu einer führenden Stellung in Nordthüringen gelangte. Federführend war dabei der Junkers-Konzern, der zahlreiche seiner dezentralisierten Betriebe im Harz und Harzvorland unterbrachte. Mit dieser Verlagerungsbewegung erhöhte sich allein die Zahl der in Nordhausen tätigen Ausländer, bezieht man die in der Boelcke-Kaserne untergebrachten Zivilarbeiter der „Nordwerke ein, auf über 10.000. ⁵ Auf diese Weise kam es im Stadtgebiet zu einem Ausländeranteil von fast 25   %, weit mehr als z.   B. in der Industriestadt Essen, die die meisten ausländischen Arbeitskräfte im Arbeitsamtsbezirk Rheinland zählte. ⁶

    Im Rohbau erstellte Werksanlage der Firma Bruns Apparatebau, ab Oktober 1944 von den Heinkel-Werken genutzt (Sammlung Baranowski)

    Intention der vorliegenden Arbeit ist es, diese Strukturveränderungen und ihre Gründe zu analysieren. Es soll der Weg vom „Notstandsgebiet" Nordthüringen zu einem wenn auch unvollendet gebliebenen Rüstungszentrum dokumentiert und nachgezeichnet werden; eine Zusammenballung von Waffenschmieden, die als Torso nur durch Ausbeutung von Zwangsarbeitern und

    KZ-Häftlingen

    entstand und Zahllosen das Leben kostete. Als Kontrast wird im ersten Kapitel ein Blick auf den schon ab 1933 zur Blüte gelangten industriellen Ballungsraum Salzgitter-Braunschweig-Hildesheim – eines der Rüstungszentren des Reiches von Anfang an – und die weitaus geringer, aber dennoch intensiv vom Rüstungsaufschwung betroffenen südniedersächsischen Landkreise Göttingen, Goslar, Osterode und Northeim geworfen. Bei nahezu gleichen Ausgangsbedingungen nahm die Entwicklung dort einen ganz anderen Verlauf. Der rüstungsbedingte Aufschwung hielt in diesen Kreisen bis Kriegsbeginn an, erhielt nach 1939 durch den Krieg aber keine neuen Impulse. In der Endphase des

    NS-Regimes

    blieben hier nennenswerte Verlagerungstendenzen aus, wie sie in Nordthüringen zu umwälzenden Veränderungen führten. Von gewisser Relevanz waren lediglich die Untertage-Bauvorhaben im Hils bei Holzen (Projekt „Hecht"), in denen Zwangsarbeiter in großer Zahl zum Einsatz kamen; eine rüstungswirtschaftliche Nutzung der Untertagebauten war dennoch nicht erkennbar. ⁷ Nennenswert ist noch der Flugzeugbauer Heinkel, der im Herbst 1944 eine seiner Fabriken aus dem polnischen Mielec nach Bad Gandersheim in Gebäude der Firma Bruns Apparatebau, die gerade bezugsfertig geworden waren, auslagerte. Er ließ dort von mehr als 500 Häftlingen des werkseigenen KZs Flugzeugrümpfe montieren. ⁸

    Es lässt sich nachweisen, dass der zeitversetzte Rüstungsaufschwung nicht nur infrastrukturelle Gründe hatte. Vielmehr war er im heutigen Niedersachsen bereits in der Weimarer Republik angelegt und hatte seine Grundlagen in den frühen, unter Verletzung der Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages betriebenen Aufrüstungsbestrebungen der Militärs. Die ‚Flucht aufs Land und in die Provinz‘, insbesondere in das bis 1943 nur untergeordnet mit Rüstungsaufträgen bedachte Nordthüringen, war hingegen einzig aus der Not des alliierten Bombenkriegs und dem Streben nach Dezentralisierung der Kriegsmaschinerie erwachsen, ohne nachhaltige Auswirkungen auf die Zeit nach dem Krieg. Zur Verdeutlichung dieser in Schüben vollzogenen Entwicklung sind die Steuerungsmechanismen aufzudecken und die an dem Prozess beteiligten administrativen Entscheidungsinstanzen auf politischer und militärischer Ebene zu benennen. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach Verantwortung, Schuld und ‚Täterschaft‘, insbesondere von Industrie und Wirtschaft.

    Nachdem die ‚Quelle‘ ausländischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener nahezu versiegt war, griffen die Unternehmen verstärkt auf das letzte noch verbliebene Arbeitskräftereservoir zurück und integrierten in zunehmendem Maße

    KZ-Häftlinge

    , zum Teil in Baracken unmittelbar neben der Fabrik untergebracht, in ihren Produktionsablauf. In diesem Zusammenhang sind die unterschiedlichen Lebens- und Existenzbedingungen in der Fabrik und in der Vielzahl an Untertagebaustellen der SS zu untersuchen und bestehende Unterschiede aufzuzeigen. Abschließend ist zu erörtern, ob es ein gezieltes Programm der „Vernichtung durch Arbeit" gab, also der Einsatz von Häftlingen Mittel zum Zweck ihrer Vernichtung war, oder ob die Vernichtung eine einkalkulierte, nicht aber vorsätzlich und willentlich herbeigeführte Folge des Zwangsarbeitereinsatzes war.

    Forschungsstand

    Nach der Kapitulation Deutschlands Ende des Ersten Weltkriegs hatte das Offizierkorps erleben müssen, wie Heer und Marine auf einen Bruchteil ihrer Vorkriegsstärke reduziert wurden und wie die ehemals privilegierte Stellung des Standes in Staat und Gesellschaft ins Wanken geriet. Gleichermaßen betroffen waren die großen deutschen Rüstungsunternehmen, die nicht nur ihre lukrativen und gewinnträchtigen Aufträge verloren hatten, sondern darüber hinaus unter Kontrolle der Alliierten entmilitarisiert wurden und einen Großteil ihres Maschinenbestandes abzugeben hatten. Der Versailler Vertrag legte der Industrie enge Beschränkungen auf und reglementierte die Herstellung von Rüstungsgütern, die bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr zugelassen waren, auch nicht für den ausländischen Markt. Wirtschaftsunternehmen und Militär standen dem neuen Staat daher gleichermaßen ablehnend gegenüber. Die Reichswehr war nicht gewillt, den eingetretenen Zustand auf Dauer hinzunehmen und strebte schon zu Beginn der 1920er Jahre die Restauration ihrer bisherigen Macht an, nötigenfalls durch einen Angriffskrieg. Im Rahmen ihrer „wirtschaftlichen Mobilmachungsvorarbeiten" unterhielt die Reichswehr ab 1923 hinter dem Rücken und ohne Kenntnis der Reichsregierung Beziehungen zur Industrie, die der umfassenden Vorbereitung der gesamten Wirtschaft auf ihren Einsatz im Kriegsfalle dienten. ¹ Spätestens ab 1926 lagen in den Schubladen der verantwortlichen Reichswehroffiziere konkrete Pläne für die Aufstellung eines

    21-Divisionen

    -Heeres. ² Um den daraus resultierenden Bedarf zu decken, ging der Nachschubstab des Heereswaffenamtes frühzeitig daran, in Frage kommende Rüstungsfirmen systematisch zu erfassen und ihnen bedingt mit finanziellen Mitteln, teils aus „schwarzen Kassen", unter die Arme zu greifen. ³ Diese vorbereitenden Handlungen der Reichswehr bildeten die Grundlage der

    NS-Aufrüstungspolitik

    , und ohne sie wäre eine rasche ‚Mobilmachung‘ nach 1933 undenkbar gewesen. Die bisherige Literatur hat ihren Fokus auf die Aufrüstungsbestrebungen des neuen Regimes ab 1933 gerichtet und ist zumeist nur am Rande auf die Vorarbeiten der Reichswehr eingegangen. ⁴ Bis heute gibt es nur eine sehr überschaubare Zahl an Studien, die das Thema der frühen Aufrüstungsbestrebungen der Reichswehr aufgegriffen oder gar zum Kernthema gemacht haben.

    Schon in den 1950er Jahren hatte sich Hallgarten der Thematik angenommen und die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee aufgezeigt. ⁵ Außerdem ist die von General Georg Thomas im Oktober 1944 zum Abschluss gebrachte Arbeit über die „Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft" zu nennen, die 1966 von Wolfgang Birkenfeld neu herausgegeben wurde. ⁶ Von November 1928 an war Thomas nach seiner Ernennung zum Major im Heereswaffenamt des Reichswehrministeriums führender Kopf in Fragen der Bedarfsplanung für den Kriegsfall. Aus seiner Feder stammt die am 22. November 1928 Reichminister Groener vorgelegte Denkschrift über „Zweck, Notwendigkeit und Umfang der wirtschaftlichen Aufstellungsarbeiten". ⁷ Als Chef des Stabes des Heereswaffenamtes erlebte der zwischenzeitlich zum Oberstleutnant aufgestiegene Thomas die ‚Machtübernahme‘ Hitlers. Am 1. September 1934 wurde er zum Leiter der neu errichteten Dienststelle „Wehrwirtschafts- und Waffenwesen" im Wehrmachtsamt des Reichswehrministeriums ernannt. In den ersten Jahren der Naziherrschaft war Thomas der Vertreter der Wehrmacht in allen Fragen der Wirtschaft und Rüstung. Sein Einfluss und seine Macht schwanden allerdings in dem Maße, wie die Verantwortung für die Rüstung auf das neu geschaffene Reichsministerium für Bewaffnung und Munition unter Fritz Todt überging. Nach dessen Tod bei einem Flugzeugabsturz am 8. Februar 1942 war unter dem Amtsnachfolger Albert Speer schon bald klar, dass Thomas den Kampf um die Steuerung der Kriegswirtschaft verloren hatte. Mitte November 1942 trat er als Chef des Rüstungsamtes zurück. ⁸

    Am 11. Oktober 1944 verhaftete die Gestapo ihn. Seine Beteiligung an der Opposition, insbesondere um die Jahreswende 1939/​40, war im Laufe der Untersuchungen nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 aufgedeckt worden. Die Gestapo brachte Thomas zunächst in ihr Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Str., bevor er am 2. Februar 1945 ins Konzentrationslager Flossenbürg eingewiesen und am 9. April 1945 weiter in das KZ Dachau gebracht wurde. Danach geriet Thomas in amerikanische Gefangenschaft, in der er am 29. Dezember 1946 verstarb. ⁹ Birkenfeld gelang es, die Ausarbeitung von Thomas in wesentlichen Teilen mit den teils verschollenen Anhängen zu rekonstruieren und so die frühen Kriegsvorbereitungen der Reichswehr zu dokumentieren. Thomas hält als Ergebnis seiner Arbeit fest, „dass bis 1928 auf dem wehrwirtschaftlichen Gebiet in der Hauptsache nur theoretische Vorarbeiten geleistet werden konnten, die darauf hinausgingen, die deutsche Wirtschaft neu zu erfassen und sich ein Bild von ihrer Leistungsfähigkeit zu verschaffen" . ¹⁰

    Anja Bagel-Bohlan legt in ihrer 1975 publizierten Arbeit „Hitlers industrielle Kriegsvorbereitung 1936 bis 1939" dar, dass die sich aus der Bewaffnung und Ausrüstung der Reichswehr ergebenden Industrieaufträge einen sehr geringen Stellenwert gehabt hätten und die „schwarz" betriebenen Maßnahmen die Situation nicht wesentlich hätten ändern können. So habe die Reichswehr Entwicklungsarbeiten und Prototyp-Erprobungen auf dem Luftwaffen- und Marinegebiet gefördert und die Forschung auf dem Gebiet von ‚unerlaubten‘ Waffen, Geschützen und

    U-Booten

    vorangetrieben. Diese geheim betriebenen Arbeiten hätten nur zu „Schubladenergebnissen" geführt, seien aber im Übrigen ohne nennenswerte fabrikatorische Auswirkung geblieben. ¹¹

    Ernst Willi Hansen weist nach Auswertung von Unterlagen des Heereswaffenamtes in seiner 1978 veröffentlichten Studie zu „Reichswehr und Industrie" erstmals nach, dass die Reichswehr bereits seit 1924 eine Anzahl privater, nicht für die Rüstungsfabrikation zugelassener Fabriken aus geheimen Mitteln mit Spezialmaschinen zur Herstellung von Kriegsmaterial ausstattete und finanzielle Mittel bereitstellte, von denen vor allem die wenigen von den Alliierten zugelassenen Monopolfirmen profitierten. ¹² Im gleichen Jahr erschien in einem von Müller/​Opitz organisierten Sammelband eine thematisch gezielte Abhandlung Hansens zum „Militärisch-Industriellen-Komplex in der Weimarer Republik, in der er seine Ergebnisse nochmals in komprimierter Form darstellte. ¹³ Im selben Werk erschien ein Beitrag von Michael Geyer zu der Thematik, im dem er darlegte, dass drei Elemente die vom Militär betriebene Restauration bestimmt hätten. So sei diese Entwicklung unter anderem geprägt gewesen durch die innenmilitärische Systematisierung und Zentralisierung, sowie die langfristige Planung der Rüstungspolitik mit dem Ziel des Aufbaus einer ‚Zukunftsarmee‘. ¹⁴ Auf seinen bisherigen Erkenntnissen aufbauend publizierte Geyer 1980 eine Gesamtstudie über „die Reichswehr in der Krise der Machtpolitik in den Jahren 1924 bis 1934, ließ dabei aber die Problematik der Zusammenarbeit zwischen Militär und Industrie nahezu unberücksichtigt. ¹⁵

    Über die bisherigen Ansätze und Publikationen hinausgehend legte Manfred Zeidler 1993 in einer systematischen Darstellung die Beziehungen zwischen Reichswehr und Roter Armee von 1920 – 1933 offen. Er stellt den Aufbau des Junkers-Werkes im russischen Fili, den Beginn der Zusammenarbeit beider Luftwaffen seit 1924/​25, den Aufbau des Waffenerprobungszentrums in Lipeck, der Panzerschule in Kazan und des Testgeländes für chemische Kampfstoffe in Vol’sk ausführlich und detailreich dar. ¹⁶ Barbara Hopmann hat sich in ihrer 1996 erschienenen Dokumentation über die Geschichte der Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG) intensiv mit der Entwicklung und der Ausgestaltung der ‚fabrikatorischen Vorbereitung‘ von Rüstungsbetrieben in staatlicher Hand befasst, so etwa der sprengstoffverarbeitenden Industrie, durch die „Montan". ¹⁷ Für die Flugzeugindustrie und die Luftrüstung hat die 1998 von Lutz Budraß verfasste Studie Vorreitercharakter. In einem separaten Kapitel arbeitete er die gemeinsamen Rüstungsbestrebungen der Reichswehr und der Flugzeugindustrie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre akribisch auf und belegt seine Erkenntnisse erstmals in der Literatur an Hand ausgewählter Unternehmen wie Rohrbach, Heinkel und Junkers. ¹⁸ Insbesondere die Arbeiten von Hansen, Zeidler und Budraß zeigen, dass die im Geheimen betriebenen Aufrüstungsmaßnahmen viel umfangreicher waren als weithin angenommen und über rein theoretische Planspiele hinausgingen. Welchen Stellenwert sie tatsächlich hatten, ist bis heute empirisch nicht aufgearbeitet. Eine systematische Dokumentation über die Verflechtungen der Reichswehr und Industrie, den tatsächlichen qualitativen/​quantitativen Umfang sowie das Ausmaß der geheimen Aufrüstung steht, mit Ausnahme des Bereiches der Luftwaffe, bis heute aus.

    Bedeutend besser erschlossen ist das Phänomen des Ausländer- und Zwangsarbeitereinsatzes in der deutschen Rüstungsindustrie. Das Thema rückte in Absetzung vom politischen Mainstream und der bis dahin vorherrschenden Rechtfertigungsmentalität erstmals Mitte der 1980er Jahre in das Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit, angestoßen durch regionale Geschichtswerkstätten und Schülerarbeiten, die anfangs zumeist auf Interviews von Zeitzeugen – Oral History – fußten. Während auf dem Gebiet der DDR schon seit den 1950er und verstärkt seit den 1960er Jahren zum Thema Zwangsarbeit geforscht wurde, ¹⁹ blieb die Fremdarbeiterproblematik bis in die 1980er Jahre in der westdeutschen Geschichtsschreibung weithin unbeachtet. Positive Ausnahme waren die Arbeiten von Martin Broszat, ²⁰ Hans Pfahlmann ²¹ und Eberhard Jäckel. ²²

    Ulrich Herbert setzte mit seiner 1985 in erster Auflage veröffentlichten Publikation „Fremdarbeiter. Politik und Praxis des ‚Ausländer-Einsatzes‘ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches einen Meilenstein und schuf die Grundlagen für eine neue Qualität der Geschichtsschreibung im Sinne einer zeitkritischen und quellenorientierten Auseinandersetzung. Mit seinen in den Jahren von 1991 bis 2001 herausgegebenen Studien, die nahtlos an das Erstlingswerk anknüpften, beleuchtet Herbert weitere Facetten des „Reichseinsatzes. ²³ 2001 präsentierte Marc Spoerer eine Gesamtdarstellung zum „Zwangsarbeitereinsatz unter dem Hakenkreuz", die einen Überblick über das Thema in seiner ganzen Breite gibt. Zudem bietet sein Buch eine umfangreiche Literaturliste und ein ausführliches Kapitel über die Entschädigung von Zwangsarbeitern. Der Komplexität des Themas entsprechend erschienen ab Mitte der 1980er Jahre vornehmlich Einzelstudien, die sich auf bestimmte Firmen ²⁴  – oft im Zusammenhang mit der Darstellung ihrer Rüstungsbetriebe – Regionen oder bestimmte Nationalitäten, ²⁵ oder aber einzelne Gesichtspunkte des Ausländereinsatzes konzentrierten. ²⁶ Mittlerweile ist ein nahezu flächendeckendes Netz an Regional- und Detailstudien entstanden, auch für die von der vorliegenden Arbeit erfassten Region. Den Anfang machte Gerd Wysocki mit seiner 1982 veröffentlichten Dokumentation über den Zwangsarbeitereinsatz bei den Reichswerken Hermann Göring in Salzgitter. ²⁷

    Unter dem Titel „Geschichte und Gegenwart einer deutschen Stadt 1942 – 1992" erschien genau zehn Jahre später ein von Wolfgang Benz herausgegebener Sammelband zur Entwicklung der Stadt Salzgitter. Darin liefert Beatrix Herlemann einen Beitrag, der sich mit den Lebensbedingungen ausländischer Zwangsarbeiter in den Reichswerken befasst. ²⁸ Daran schloss 1995 eine Studie von Gudrun Pischke über das nationalsozialistische Lagersystem in Salzgitter nahtlos an. ²⁹ Für die Stadt und das Land Braunschweig leistete Paul Liedtke seit 1983 Pionierarbeit. ³⁰ Als Mitautor war er auch an dem 2003 von Gudrun Fiedler und Hans-Ulrich Ludewig herausgegebenen Gemeinschaftswerk über „Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939   –   1945" beteiligt, einer ersten Vor-Ort-Studie, die sich zusammenfassend mit der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte durch Kriegswirtschaft, Verwaltung und Landwirtschaft innerhalb einer ‚geschlossenen‘ Region befasste.

    Die Thematik des Zwangsarbeitereinsatzes in Hildesheim wurde von Max Lichte, ³¹ Gerhard Notzon-Hillmann ³² und Markus Roloff ³³ aufgearbeitet. Das 1937 mit Staatsmitteln im Hildesheimer Stadtwald errichtete Bosch-Werk beherrschte die örtliche Szene. Die Unterlagen des Betriebsarchivs überstanden den Krieg nahezu unversehrt. Sie hatten Manfred Overesch uneingeschränkt zur Verfügung gestanden, als er 2008 die Ergebnisse seiner fünfjährigen Recherchen präsentierte. Umfassend handelt er die einzelnen Entwicklungsphasen des Hildesheimer Bosch-Werkes ab, von der Ansiedlung über die Aufnahme der Produktion bis zum Kriegsende und in die Anfänge des Wiederaufbaus nach 1945 hinein. Ein eigenständiges Kapitel befasst sich mit den mehreren hundert ausländischen Arbeitskräften, die der Rüstungszulieferer an seinen Werkbänken beschäftigte. ³⁴ Für Göttingen sind die Arbeiten von Cordula Tollmien maßgeblich, vor allem ihre Dissertation aus dem Jahr 1999. ³⁵ Im Auftrag der Stadtverwaltung forschte sie über Zwangsarbeiter in Ämtern, Dienststellen und Betrieben der Stadt, ³⁶ ebenso wie in der Göttinger Rüstungsindustrie. ³⁷ Zudem ist sie Initiatorin der Homepage www.zwangsarbeit-in-goettingen.de . Weiterführend zeigte Eckart Schöle 2007 am Beispiel von Sartorius und Feinprüf (Mahr) den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in Göttinger Industriebetrieben auf. ³⁸

    Die Arbeit von Günter Siedbürger gibt einen Gesamtüberblick über den Zwangsarbeitereinsatz im gesamten Landkreis Göttingen, von Hann.-Münden bis Duderstadt und dem Eichsfeld. ³⁹ In einem gesonderten Teil befasst sich seine Synopse mit der Geschichte des Rhumspringer Schickert-Werkes und des Duderstädter Polte-Werkes. Mit diesen beiden Kapiteln knüpft Siedbürger an die vorangegangenen Arbeiten von Hans-Heinrich Hillegeist ⁴⁰ und des Autors aus den 1990er Jahren an. ⁴¹ In vier Sammelbänden sorgfältiger Detailforschung dokumentiert Detlef Creydt Zwangsarbeit und Rüstungsindustrie im Weserbergland. ⁴²

    Im Oberharz hoben erstmals Michael Braedt und die von ihm mitbegründete Initiative gegen Rüstungsaltlasten das Thema Mitte der 1980er Jahre am Beispiel der Sprengstofffabrik „Tanne in Clausthal-Zellerfeld ins öffentliche Bewusstsein. Ende November 1989 stellte die Initiative auf dem Bundeskongress „Altlasten der Rüstungsindustrie in Göttingen ihre Ergebnisse vor. Dieser Beitrag und die Resultate ähnlicher Projekte in anderen Regionen erschienen noch im gleichen Jahr in einem Kongressbericht, ⁴³ der weitere Forschungen anregte. 1993 erschien in einem von der Arbeitsgemeinschaft Südniedersächsischer Heimatfreunde e.   V. veröffentlichten Sammelband eine erste Übersichtsdarstellung von Michael Braedt, Hansjörg Hörseljau, Frank Jakobs und Friedhart Knolle über die Sprengstofffabrik „Tanne, die den Ausländereinsatz in dem Werk nicht aussparte. 1998 legte das Autorenteam eine erweiterte Fassung des Textes als Monographie vor. ⁴⁴ Neben einem Beitrag zur Rüstungsindustrie in Clausthal-Zellerfeld hatte Hans-Heinrich Hillegeist in dem 1993 editierten Sammelband der Südniedersächsischen Heimatfreunde e.   V. Einzelbeiträge über die Rüstungsbetriebe OIGEE und HEMAF in Osterode, die Schickert-Werke in Bad Lauterberg und Rhumspringe sowie das Untertageprojekt „Dachs IV publiziert; der Einsatz von Zwangsarbeitern stand dabei nicht im Vordergrund. ⁴⁵

    Für Walter Struve steht – minutiös erhoben – der Ausländereinsatz in wichtigen Industriebetrieben der Stadt Osterode im Mittelpunkt seiner Arbeit aus dem Jahr 1992. ⁴⁶ Struve stützt sich dabei auf eine sorgfältige Auswertung von Archivquellen, aber auch auf eine Vielzahl Interviews, die er mit Zeitzeugen geführt hat; sie geben einen Einblick in die Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber den ausländischen Arbeitskräften. Friedhart Knolle befasste sich mit der Geschichte der Metallwerke Silberhütte, Schmiedag und Odertal. ⁴⁷ 2007 veröffentlichte er gemeinsam mit Michael Braedt und Peter Schyga einen Artikel über „

    NS-Zwangsarbeit

    und Kriegsgefangeneneinsatz im Westharz unter besonderer Berücksichtigung medizinischer Aspekte". Schyga war es auch, der 1999 zur

    NS-Geschichte

    Goslars forschte. ⁴⁸ Helmut Lüder arbeitet seit Jahren über Bad Lauterberg und hat mehrere Arbeiten über Zwangsarbeiter, die in der Harzstadt ihr Leben ließen, vorgelegt. ⁴⁹ Einen Gesamtüberblick über den Ausländereinsatz im Landkreis Osterode bietet die Veröffentlichung von Claus Heinrich Gattermann, in der er die Quellen- und Forschungslage durch eigene Recherchen anreichert. ⁵⁰ In den Unterlagen der Krankenkassen fand er umfassendes statistisches Material, mit dem sich die Bedeutung des Zwangsarbeitereinsatzes quantitativ ermessen ließ. 2006 legten Günther Hein und Claudia Küpper-Eichas ihre Untersuchung zur Arbeits- und Wirtschaftsgeschichte im Oberharz in der Zeit des Nationalsozialismus vor, die insbesondere aus Unternehmersicht die Notwendigkeit beleuchtet, Zwangsarbeiter einzusetzen. ⁵¹

    In Nordthüringen – den Landkreisen Nordhausen, Eichsfeld, Mühlhausen und Sömmerda – sind Zwangsarbeit und Rüstungsindustrie bislang nur in Ansätzen erforscht. Zwar hat der Autor dazu veröffentlicht, ⁵² doch darüber hinaus liegen nur wenige Monographien oder Regionalstudien vor. ⁵³ Mit dem rüstungswirtschaftlichen Strukturwandel im gesamten Land Thüringen befassen sich zwei Arbeiten von Jürgen John und die jüngst von Markus Fleischhauer veröffentlichte Struktur- und Funktionsgeschichte des

    NS-Gaus

    Thüringen. ⁵⁴ Ein Beitrag von Wolfgang Bricks und Paul Gans über die staatlich gesteuerte Industrieansiedlung ergänzt diese Erkenntnisse. ⁵⁵ Annegret Schüles Arbeit über die Geschichte des Rheinmetall-Werkes in Sömmerda spannt einen Bogen von der Gründung des Unternehmens über die geheime Wiederaufrüstung während der Weimarer Republik bis hin zur nationalsozialistischen Firmen- und Personalpolitik. Auch die Nachkriegszeit spart sie nicht aus. ⁵⁶ Weitere Informationen lassen sich dem achten Band des Heimatgeschichtlichen Wegweisers zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933   –   1945 in Thüringen entnehmen. ⁵⁷

    Die 2002 von Norbert Moczarski, Bernhard Post und Katrin Weiß herausgegebene, klar gegliederte Quellenedition zur Zwangsarbeit in Thüringen 1940 – 1945 bietet Material für weiter reichende Erkenntnisse zu Kriegsproduktion, Arbeitskräftemangel sowie Lebens- und Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeitskräfte. ⁵⁸ Aussagekräftig und bewegend zugleich sind die in Buchform veröffentlichten Erinnerungen von Krystyna Ewa Vetulani-Belfoure über ihr Leben als polnische Zwangsarbeiterin in Nordhausen in den Jahren 1942   –   1945. ⁵⁹ Das

    KZ-Lagersystem

    in Nordthüringen und in Niedersachsen ist dagegen durch die Forschungsergebnisse der letzten 20 Jahre gut dokumentiert.

    Die westdeutsche Geschichtsforschung hatte die Konzentrationslager bis Ende der 1950er Jahre nahezu komplett ausgeblendet. 1962 eröffnete Eberhard Kolbs Monographie über Bergen-Belsen die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem

    KZ-Einzellager

    . ⁶⁰ Drei Jahre später veröffentlichte Martin Broszat seine grundlegende Gesamtdarstellung über die nationalsozialistischen Konzentrationslager, die aus einem Gutachten für den Frankfurter Auschwitz-Prozess hervorging. ⁶¹ Mit seinen „Studien zur Geschichte der Konzentrationslager" legte Broszat Einzeluntersuchungen zu sechs Konzentrationslagern vor, darunter auch Mittelbau-Dora. ⁶² Damit endete im Westen bereits diese erste Phase der Auseinandersetzung mit der Geschichte nationalsozialistischer Konzentrationslager. Bis auf Falk Pingels Arbeit über „Häftlinge unter

    SS-Herrschaft

    " ⁶³ fand über Jahre hinweg eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema nicht statt. Die wichtigen Studien westdeutscher Historiker ließen sich bis Ende der 1970er Jahre problemlos auf einem Regalmeter unterbringen. Mit vornehmlich regionalgeschichtlichen Ausarbeitungen erwachte die

    KZ-Forschung

    erst Mitte der 1980er Jahre zu neuem Leben. Dem zweibändigen, von einem Autorenteam unter Leitung von Rainer Fröbe erarbeiteten Sammelband über Konzentrationslager in Hannover ⁶⁴ folgten bald zahlreiche zum Teil ins Detail gehende Untersuchungen über verschiedene

    KZ-Außenlager

    . ⁶⁵

    Für Niedersachsen sind insbesondere die Arbeiten von Gudrun Pischke ⁶⁶ und Gerd Wysocki zum

    KZ-Komplex

    der Reichswerke zu nennen, ⁶⁷ weiterhin die Publikationen von Karl Liedke zu Braunschweig, ⁶⁸ von Detlef Creydt zum Buchenwalder

    KZ-Lager

    „Hecht" ⁶⁹ sowie von Janet Anschütz und Irmtraud Heike zum

    KZ-Außenkommando

    Ahlem bei Hannover. ⁷⁰ Unter dem Titel „Der Ort des Terrors" veröffentlichten Wolfgang Benz und Barbara Distel in sieben seit 2005 erschienenen Bänden die bislang umfassendste Untersuchung zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Verschiedene Autoren stellten in Einzelartikeln als Grundlage für weitere Forschungen fest, welches die einzelnen Entwicklungsphasen der Hauptlager waren und wie ab 1942 rasch zunehmend die Außenlager entstanden. ⁷¹ 2009 veröffentlichte das United States Holocaust Memorial Museum den ersten Teil einer umfassenden Enzyklopädie zum nationalsozialistische Lagersystem, beginnend mit den frühen Lagern, den Konzentrationslagern und ihren Subkommandos. ⁷²

    Für das Konzentrationslager Buchenwald steht eine vergleichende Strukturanalyse der Verhältnisse in den verschiedenen Außenlagern noch aus. Nach Jens-Christian Wagners Arbeit für den Komplex Mittelbau-Dora haben die kürzlich von Marc Buggeln für das KZ Neuengamme veröffentlichte Arbeit sowie die von Bertrand Perz und Florian Freund für das Außenlagersystem von Mauthausen Modellcharakter. Alle drei Ausarbeitungen untermauern, dass die Überlebenschancen der Häftlinge wesentlich von der Art der Arbeit, zu der sie eingesetzt wurden, abhingen. ⁷³ Es bleibt abzuwarten, ob die Feststellungen auf das System der Außenlager von Buchenwald übertragbar sind. In der Vergangenheit war die Räumung der Buchenwalder Außenkommandos vergleichbar schlecht erforscht. Diese Lücke wurde im Jahr 2008 durch die Arbeit Katrin Greisers geschlossen. ⁷⁴

    Die Entwicklung der Buchenwalder Außenkommandos zum Konzentrationslagerkomplex Mittelbau-Dora und seine Bedeutung innerhalb des Lagerkosmos – insbesondere die Gründung einer Vielzahl neu gegründeter Sub- und Außenkommandos – ist verhältnismäßig gut dokumentiert, auch wenn Neander in seiner Dissertation von 1996 noch schrieb, es handele sich um ein weithin „vergessenes Lager", ja sogar „eines der bislang am wenigsten bekannten und erforschten nationalsozialistischen Konzentrationslagern". ⁷⁵ Diese Aussage mag auf frühe Darstellungen des

    KZ-Komplexes

    zutreffen, ist heute aber nicht mehr gerechtfertigt. ⁷⁶ Auf westdeutscher Seite gehörte das KZ Mittelbau-Dora zu den wenigen Lagern, die schon 1970 in Broszats „Studien zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern" vorgestellt wurden. ⁷⁷ Bis Ende der 1980er Jahre blieben auf westlicher Seite mit Ausnahme der technik- und militärgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten von Manfred Bornemann ⁷⁸  – und insoweit ist Neander zuzustimmen – weitere nennenswerte Impulse aus. Anders die Situation in der DDR. Dort waren bereits in den 1960er Jahren eine Vielzahl wissenschaftlicher Abhandlungen zum KZ Mittelbau-Dora entstanden, die allerdings nur schwer zugänglich waren, da sie meist nur in wenigen Exemplaren aufgelegt oder nur im kleinen Rahmen veröffentlicht wurden. Es handelte sich dabei um Arbeiten einer von Professor Walter Bartel ⁷⁹ betreuten studentischen Forschungsgruppe, die an der Berliner Humboldt Universität zwischen 1966 und 1970 sehr detailreiche Diplomarbeiten und Dissertationen hervorbrachte. ⁸⁰ Ende der 1960er Jahre war das

    KZ-Mittelbau

    in der DDR weitaus besser erforscht, als die ebenfalls in Ostdeutschland gelegenen ‚größeren‘ Konzentrationslager Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen. Allerdings beschränkten sich die Arbeiten weitgehend auf die Darstellung von Einzelaspekten des Stammlagers und seine Rolle für die Rüstungsindustrie. Die Außenlager und Subkommandos Doras spielten nur eine untergeordnete Rolle. Die in der DDR bis 1990 veröffentlichten Arbeiten griffen fast ausschließlich auf die Ergebnisse der Berliner Forschungsgruppe zurück. Neue Erkenntnisse blieben seit Anfang der 1970er Jahre aus.

    Seit Anfang der 1990er Jahre vermitteln sowohl Gesamtdarstellungen als auch Untersuchungen einzelner Aspekte der Lagergeschichte und Einzeldarstellungen zu den Subkommandos ein sehr genaues Bild vom System des KZ Mittelbau-Dora. Joachim Neander dokumentiert in seiner bereits genannten Dissertation und in weiteren Arbeiten ausführlich die Auflösung des Lagerkomplexes im April 1945 sowie die Todesmärsche und ihre Routen. ⁸¹ Teils noch unveröffentlicht sind Oliver Taukes Analyse zur Funktion der Häftlingskrankenbauten und Olaf Mußmanns Forschungsergebnisse über die Funktionshäftlinge sowie die italienischen Häftlinge im

    KZ-Komplex

    Mittelbau-Dora. ⁸² Die Geschichte einzelner Dora-Außenkommandos haben Jürgen Müller („Dachs IV"), Thilo Ziegler (Raum Sangerhausen), die Arbeitsgemeinschaft Spurensuche in der Südharzregion (Lager der Helmetalbahn), Joachim Neander und der Autor aufgearbeitet. ⁸³ 2000 legte der französische Historiker und ehemalige Mittelbau-Häftling André Sellier seine umfangreiche Darstellung der Lagergeschichte vor, die als ‚Innen-Ansicht‘ wertvoll ist. ⁸⁴ Sehr viel grundsätzlicher gehen Rainer Eisfeld und Michael Neufeld in ihren Monographien den Gesamtkomplex Mittelbau-Dora an. In ihren umfassenden Darstellungen bildet die Frage nach Verantwortung von Wissenschaft und Technik für die Zwangsrekrutierung von

    KZ-Häftlingen

    für die Raketenproduktion den zentralen Schwerpunkt. ⁸⁵

    Maßstäbe setzt der Historiker und Direktor der Gedenkstätte Jens-Christian Wagner mit seinen Arbeiten. ⁸⁶ Ihm gelang schon 2001 in seiner Dissertation mit dem Titel „Produktion des Todes" eine analytische Einbettung des Gesamtkomplexes Mittelbau-Dora in die

    NS-Kriegswirtschaft

    . So belegt er, dass nur eine Minderheit der Lagerhäftlinge in der Raketenmontage eingesetzt war, der weitaus größte Teil von ihnen unter katastrophalen Bedingungen auf den

    SS-Untertagebaustellen

    der Region um Nordhausen ihre Lebenskräfte ließen. Gleichzeitig belegt er die Unterschiede der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der Überlebenschancen in den Baukommandos im Vergleich mit denen der Produktion. Auch geht er der Frage nach, in welcher Weise SS und Rüstungsindustrie, aber auch Lagerverwaltung, kommunale Behörden und Institutionen kooperierten und wie die Häftlinge in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. ⁸⁷ Die vorliegende Arbeit greift Wagners Thesen auf und versucht, weitere Elemente der Entstehung des Lagersystems und seiner Bedeutung im projektierten bzw. entstehenden nordthüringischen Rüstungskomplex herauszuarbeiten.

    Quellenlage

    Die Quellenlage ist für weite Gebiete der Untersuchung äußerst spärlich. Das gilt insbesondere für die Aufrüstungspläne, die die Reichswehr bereits Anfang der 1920er Jahre nicht nur schmiedete, sondern konkret anging. Aus Angst vor Aufdeckung der illegal betriebenen Wiederaufrüstung wurde kaum etwas schriftlich festgehalten, allenfalls in wenigen, meist nummerierten Exemplaren. Zudem wurde der größte Teil der Reichswehrakten bei einem Brand des Heeresarchivs 1945 vernichtet. ¹ Die Wirren des Krieges taten das ihre, und gegen Ende des Krieges ebenso das Streben Verantwortlicher, Spuren zu vernichten. So ist das Quellenmaterial, das heute in den Archiven zur Auswertung zur Verfügung steht, als eher dürftig zu bezeichnen. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit behandelt die geheime Wiederaufrüstung der Reichswehr Anfang der 1920er Jahre. Er basiert in erster Linie auf der Auswertung eines Teiles der im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde verwahrten Bestände des „Rechnungshofes des Deutschen Reiches (R2301), der „Bank der deutschen Luftfahrt AG (R8121) und Akten der Reichskanzlei (R43). Zumindest dem Umfang des offiziellen Geldtransfers nach eröffnen sie einen Einblick in die Finanzierung von Rüstungsbetrieben und den Aufbau staatlicher Rüstungsschmieden. Außerdem bargen die Unterlagen der Amtsgruppen und Abteilungen im Heereswaffenamt (RH8), der Inspektion der Kriegsschulen (RH12   -   1), der Inspektion der Infanterie (RH12   -   2), des OKW/​Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes (RW19) und des Luftfahrtministeriums (RL3) im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg wertvolle Informationen. Zwar ließ sich die Firmenkartei, in der die Reichswehr 1.000 bis 1930 für Rüstungszwecke erkundete Firmen erfasste, bislang nicht auffinden. Dennoch geben die vorhandenen Bestände relativ gut Aufschluss über die frühen Wiederaufrüstungsbestrebungen der Reichswehr und ihre mehrfach geänderten Bedarfsplanungen für ein aufzustellendes ‚Friedensheer‘.

    Weitere Erkenntnisse konnten den Firmenunterlagen der Thiel-Gruppe und der Rheinmetall-Borsig AG entnommen werden. Beide Rüstungskonzerne betrieben in Thüringen Werke, deren Akten im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar nahezu vollständig erhalten sind. Zudem bot sich dem Verfasser die Möglichkeit, Teile des Werksarchivs von zwei Rüstungsfirmen des Konstrukteurs und Industriellen Curt Heber zu sichten, der Mechanischen Werke Neubrandenburg und der Osteroder Firma Heber. Einblick gewährte freundlicherweise der Sohn des Firmeninhabers, Manfred Heber. Ein weiterer Teil der Firmenunterlagen, die die Alliierten nach dem Krieg in Osterode zunächst beschlagnahmt hatten, konnten im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover benutzt werden. Darunter fanden sich auch die ‚Entnazifizierungsunterlagen‘ Curt Hebers, doch durch ihre Verschleierungstendenz verhehlen sie Hebers frühe Zusammenarbeit mit der Reichswehr und halten die Tatbestände nicht fest. ² Ergiebig waren ebenfalls die Unterlagen, die die Alliierten für die Nürnberger Industrieprozesse zusammengestellt hatten. So ließen sich in den Prozessakten (NIK Bestand) gegen Krupp Belege aus dem Heereswaffenamt finden wie eine Aufstellung vom Juni 1927 über den Umfang der verdeckten Aufrüstungsmaßnahmen und der daran beteiligten Firmen. Dies überrascht, da sich Krupp im gleichen Sommer 1927 noch geweigert hatte, in seinem Magdeburger Grusonwerk ohne ausreichende politische Deckung von Seiten der Regierung die illegale Produktion von Geschützen aufzunehmen. ³

    Dagegen erlaubt die Materialfülle für den rüstungskonjunkturellen Aufschwung ab 1933 im heutigen Land Niedersachsen eine relativ lückenlose Darstellung. Einen detaillierten Überblick geben die Quartalsberichte der Rüstungskommandos Hannover (RW21 - 27) und Braunschweig (RW21 - 8) sowie der Rüstungsinspektion XIa Hannover (RW20 - 11) im Militärarchiv in Freiburg. Auch der bereits genannte Bestand Generalluftzeugmeister Technisches Amt (RL3) gibt Auskunft über neu angesiedelte, für die Luftwaffe relevante Werke, u. a. Polte in Duderstadt und Oigee in Osterode, und über die Einbeziehung bestehender Firmen in die Rüstungsproduktion. Die Einheiten RL3/​398 und RL3/​424 des Bestandes geben einen quantitativen Überblick über die Luftwaffenfirmen in der Wehrwirtschaftsinspektion XI. Die Unterlagen des Reichswirtschaftsministeriums (BAL, R3101) ermöglichten, weitere Lücken zu schließen. Die beim Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion geführte Firmenkartei (BAL, R4603, ehemals R3) brachte weitere wichtige Erkenntnisse, obwohl sie nur lückenhaft erhalten blieb und daher keine flächendeckende Übersicht bietet. Belegschaftsstruktur und Zwangsrekrutierung ausländischer Arbeitskräfte lassen sich an Hand der Berichte des Rüstungskommandos und der Rüstungsinspektion relativ gut nachvollziehen. Gegliedert nach Wirtschaftsgruppen finden sich in den Unterlagen Beschäftigtenzahlen für die deutsche Industrie in den Jahren 1939 bis 1944. Außerdem ermöglichen die Beschäftigtenmeldungen der Reichsgruppe Industrie, Abteilung Maschinelles Berichtswesen des RMfRuK (BAL, R12I) für den Gau 14 (Südhannover-Braunschweig) umfassende ‚Momentaufnahmen‘. ⁴ Die Meldungen sind – nach Firmen alphabetisch geordnet – für den Zeitraum November 1944 bis einschließlich Februar 1945 erhalten geblieben. Das Bild ergänzen die im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv Hannover, dem NARA Washington und dem IWM London liegenden Demontageunterlagen sowie Bestände der regionalen Kreis- und Stadtarchive. Dank gilt auch der Salzgitter AG, Bosch (Hildesheim) und der Göttinger Firma Ruhstrat, die dem Autor Material aus ihren Werksarchiven zur Verfügung stellten und ihn teilweise sogar die Bestände persönlich sichten ließen. Manfred Heber steuerte weitere Unterlagen zur Geschichte der HEMAF bei, darunter eine Vielzahl bislang unveröffentlichter Fotoaufnahmen.

    Weitaus schwieriger gestaltete es sich, Quellen zum Thema des Aufbaus von Rüstungskapazitäten in der Region Nordthüringen aufzufinden. Unterschiede der Verwaltungsstruktur bedingten, dass Gemeinden, Städte oder Landkreise verschiedenen Ländern oder preußischen Provinzen angehörten. Entsprechend sind die einschlägigen Akten über mehrere Staats- und Landesarchive verteilt. Außerdem sind die Quellen dünner gesät und weniger ausführlich. Die Vierteljahresberichte der Rüstungsinspektion Kassel (RW20 - 9), der „Kriegstagebücher" der Rüstungskommandos Weimar (RW21 - 62) und Kassel (RW21 - 30) geben, anders als die des Rüstungskommandos Hannover, lediglich einen groben Überblick über den Berichtszeitraum. Auch hier helfen die Eintragungen in der Reichsbetriebskartei (BAL, R4603) weiter.

    Aufschlussreiche Bestände konnten im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar gesichtet werden, insbesondere die Unterlagen der Firmen Rheinmetall Sömmerda, Gebrüder Thiel GmbH (Ruhla), Gebrüder Franke KG (Mühlhausen) und der Südharzer Kaliwerke. Ergiebig war ebenfalls der Weimarer Bestand „Landeskommission zur Durchführung der Befehle 124/​126", der sich vordergründig mit der Verstaatlichung und Enteignung von Betrieben nach 1945 befasst, zur Rechtfertigung angeordneter Zwangsmaßnahmen oft aber auf die vorangehende Kriegsproduktion verweist. Exemplarisch ist der Nordhäuser Rüstungsbauer MABAG, dessen Betriebsdirektor sich einer Verstaatlichung widersetzte, woraufhin der Betrieb bereits kurz nach Kriegsende in die ‚Treuhänderschaft‘ des Landes Thüringen überführt wurde. Die im Weimarer Hauptstaatsarchiv ausgewerteten Akten der Verstaatlichung von Unternehmen in der Sowjetischen Besatzungszone umfassen neben jeweils einer Firmenchronik teils konkrete Angaben über Art und Umfang der Kriegsproduktion.

    Der Strukturwandel hin zur Rüstungsproduktion, den die Mühlhäuser Industrie vollzog, lässt sich in den Beständen des dortigen Stadtarchivs vergleichsweise gut nachzeichnen. Angeregt durch die Nachforschungen des Verfassers stellte eine Archivmitarbeiterin in akribischer Kleinarbeit ein Dossier der verstreut bewahrten einschlägigen Dokumente zusammen, so dass das Dunkel dieser Phase Mühlhäuser Industriegeschichte gut ausgeleuchtet werden konnte. ⁵ Im Stadtarchiv Nordhausen fanden sich dagegen nur wenige Informationen, trotz der großen Zahl von Rüstungsbetrieben in der Stadt. Die Bestände der Kreisarchive in Nordhausen und des Eichsfeldes, letzteres mit Sitz in Heiligenstadt, ließen insbesondere den Umfang des Zwangsarbeitereinsatzes in der Region erkennen. Damit ergänzten sie die Zahlen, die sich aus den Statistischen Mitteilungsblättern des Gauarbeitsamtes Thüringen sowie den Akten des Arbeitsamtsbezirks Erfurt, aufbewahrt im Staatsarchiv Gotha, ermitteln ließen. Aus ihren Betriebsarchiven steuerten die Firmen NOBAS (Nordhausen) und Meister (Dingelstedt) weitere Unterlagen bei. Material kam zusätzlich von privater Seite, so ein relativ umfangreicher Fundus zur MABAG und zum Schicksal ihres Betriebsdirektors Paul Radtke, der sich gegen die Verstaatlichung des Betriebes gewehrt hatte und im russischen Speziallager Nr.   2 in Buchenwald auf dem Gelände des ehemaligen KZ Buchenwald bei Weimar starb.

    Im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv Hannover (Nds. HStA) lagern die Bestände des Oberbergamtes Clausthal-Zellerfeld (Hann. 184). Sie geben Auskunft über die ersten Untertagelager, die das Militär aus Furcht vor der Entdeckung der illegalen Wiederaufrüstung und zur Tarnung ihrer verborgenen Munitionsbestände in stillgelegten Kaliwerken der Südharzregion einrichten ließ. Doch auch die Untertagebauvorhaben sind hier erfasst, die die Rüstungsunternehmen mit Unterstützung der SS Jahre später in der Region aufnahmen. Das Bild rundeten die Bestände der Kaliindustrie des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar sowie Unterlagen des Reichswirtschaftsministeriums (BAL, R3101) ab. Ergänzend wurden zur Unterverlagerung von Rüstungsproduktion Archivalien des Landesarchivs Merseburg (Leuna Werke GmbH, Grün & Bilfinger AG), des Landeshauptarchivs Dessau (Junkers-Werke), des Public Record Office (PRO), London, sowie des National Archives and Record Administration (NARA), Washington, ausgewertet. Ebenso wurden die alliierten Geheimberichte (BIOS- und

    CIOS-Berichte

    ) gesichtet, zumal sie in Teilen als Kopie in der Universitätsbibliothek Bochum und dem Nds. HStA Hannover leicht zugänglich sind. ⁶ Nähere Auskunft über die Entscheidungsträger und ihre zum Teil erheblich voneinander abweichenden Zielsetzungen geben die Unterlagen des Reichsluftfahrtministeriums (BA-MA, RL3), der Amtsgruppen und Abteilungen im Heereswaffenamt (BA-MA, RH8), der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft (BAL, R125), der Industriebeteiligungsgesellschaft (BAL, R121) und des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion (BAL, R4603). Die Steuerungsmechanismen der Untertageverlagerung und die Struktur der Sonderstäbe, die zur Koordinierung der Untertageprojekte in letzter Minute zusammengestellt wurden, treten darin ans Licht. Zudem ließen sich in den für den Verfasser zugänglichen Betriebsarchiven der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, Bereich KSE (LMBV mbH), ehemals Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Bergwerksbetrieben mbH (GVV in Sondershausen), der IVG Immobilien AG (Bonn) und der Vereinigte Tanklager und Transportmittel GmbH (VTG in Hamburg) weitere Informationen sammeln.

    Um den Häftlingseinsatz auf den Untertagebaustellen sowie den Industriebetrieben der Region zu erfassen und die damit verbundene Herausbildung eines nahezu flächendeckenden Lagerkosmos nachzuzeichnen, wurde von den Beständen des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar zum Konzentrationslager Buchenwald (NS4) ausgegangen. Im Bundesarchiv Berlin fand sich im herausgelösten Bestand NS4, die Sammlung „Sonstige zentrale Dienststellen und Einrichtungen der SS (NS48); er liefert umfangreiches statistisches Zahlenmaterial für diese Nachforschungen. Auch der Bestand „Persönlicher Stab Reichsführer-SS (NS19) konnte in Berlin konsultiert werden. Die Dokumentationszentren der

    KZ-Gedenkstätten

    Mittelbau-Dora, Buchenwald, Langenstein-Zwieberge, Ravensbrück, Auschwitz und Neuengamme übermittelten weitere wichtige Quellen, so Transportlisten und zahlreiche Kopien aus ausländischen Archiven. Auf gezielte Nachfrage konnten auch Unterlagen des Archivs Yad Vashem, Jerusalem ausgewertet werden. Abschließend bestand im September 2011 die Möglichkeit, die umfangreichen Bestände des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen (ITS) persönlich zu sichten. Bereits in den Jahren zuvor hatte der ITS dem Autor zu Forschungszwecken zahlreiche Kopien, vorwiegend Transport- und Bestandslisten, zukommen lassen.

    Als besonders hilfreich erwiesen sich die bisher in Deutschland unbeachteten Bestände des Archivs „Service des Victimes de la Guerre" (AVSG) in Brüssel, die der Verfasser 2008 einsehen konnte. Das heute vom belgischen Gesundheitsministerium (Ministère de la Santé Publique) getragene Archiv bewahrt einen Fundus von Prüfungsunterlagen für Haftentschädigungen auf, die der belgische Staat ehemaligen belgischen Zwangsarbeitern und anderen Opfern der deutschen Besatzung gewährte. Die Prüfung und Auszahlung erfolgte durch eine zu diesem Zweck eingerichtete Behörde (AVSG), die die erforderlichen Beweismittel zumeist von Amts wegen beschaffte. Der Belgische Nationale Suchdienst hatte mit seinen 1946 begonnenen Recherchen den Grundstein der Dokumentation gelegt.

    Ab 1948 veranlasste diese Entschädigungsstelle in der gesamten britischen Besatzungszone die ‚Suche nach zweifelhaften, mutmaßlichen Gefängnissen und Lagern‘ („Enquête sur les prisons et les camps douteux"). Mit Unterstützung der deutschen Kommunalverwaltungen wurde ein standardisierter Fragebogen an die Unternehmen verschickt, die Ausländer beschäftigt hatten. ⁸ Diese Fragebögen sind für das gesamte Gebiet der ehemaligen britischen Besatzungszone erhalten geblieben. Sie umfassen 42 Ordner, aufgelistet nach Regierungsbezirken, Stadt- und Landkreisen. Und auch die umfangreiche Korrespondenz zwischen belgischen Suchoffizieren und den deutschen Ämtern ist archiviert, ebenso wie die kaum übersehbare Zahl von Berichten, die die Betroffenen ihren Anträgen beifügten. Zudem liegen in dem Archiv Kopien von Zugangs-, Abgangs-, Stamm- oder Totenbüchern aller großen Konzentrationslager, nach Haftstätten geordnet und in mehreren hundert Ordnern chronologisch archiviert. ⁹ Darunter befinden sich – scheinbar komplett – die Unterlagen für die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie ihrer Außenlager und

    -kommandos

    . In begrenzter Zeit in Brüssel oder später in Kopien ausgewertet sind sie in die vorliegende Arbeit eingegangen. Im selben Gebäude in Brüssel befindet sich das „Centre for historical research and documentation on war and contemporary society" (ceges-soma), das u. a. das vom Service des Victimes de la Guerre zusammengetragene Bildmaterial verwertet. ¹⁰

    Über die konkreten Existenzbedingungen der Arbeitssklaven und Lagerinsassen sagen die bisher genannten Unterlagen meist wenig. Um denen auf die Spur zu kommen, durchforschte der Verfasser die in den Dokumentationszentren der

    KZ-Gedenkstätten

    gesammelten und für die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren sowie die Gerichtsakten eingeholten Häftlingsberichte und Zeugenaussagen. Erste Anlaufstelle war die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (ZSL), inzwischen Außenstelle des Bundesarchivs (BA Ludwigsburg). Unterlagen aus dem Dachauer Dora-Prozess von 1947 konnten im Archiv des Dokumentationszentrums Mittelbau-Dora eingesehen werden. ¹¹ Auszüge der Akten des britischen Bergen-Belsen Prozesses von 1945 wurden vom „Zentralnachweis zur Geschichte von Widerstand und Verfolgung 1933   –   1945 auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen (ZNW) zur Verfügung gestellt. Das Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas (Selters) überließ Häftlingsberichte zum Dora-Außenkommando Neusollstedt. Eine Vielzahl weiterer Häftlingsberichte und Dokumente kamen aus dem Ausland, so von der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung (Fundacji „Polsko-Niemieckie Pojednanie") in Warschau, dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien, dem Dokumentationszentrum Ex-Dwangarbeiders in Winterswijk (Niederlanden) und der Stiftung Memorial in Moskau.

    Die ungleiche Wirtschaftsentwicklung in den Gauen Südhannover-Braunschweig und Thüringen von 1923 – 1945

    Frühzeitiger, langfristiger Aufbau von Rüstungszentren im Gau Südhannover-Braunschweig – später Rüstungsboom in Nordthüringen

    Die geheime Wiederaufrüstung Anfang der 1920er Jahre

    Die systematische Erfassung von Rüstungsbetrieben durch die Reichswehr

    Die Voraussetzungen einer ungleichartigen rüstungskonjunkturellen Entwicklung in beiden Gebieten schuf die Reichswehr bereits Anfang der 1920er Jahre, indem sie insgeheim und hinter dem Rücken der Reichsregierung, getarnt als „Organisations-Kriegsspiel", ¹ Wiederaufrüstungspläne schmiedete, sie in den Folgejahren zielstrebig weiter betrieb und mit finanziellen Mitteln, teils aus „schwarzen Kassen, Einfluss auf die Rüstungsforschung wie auch die materielle Rüstung nahm. Eines der Hauptziele der Alliierten nach Ende des Ersten Weltkrieges hatte darin bestanden, Deutschlands „potentiel de guerre zu vernichten. Dem Reich wurde im Versailler Vertrag auferlegt, die Produktion von Rüstungsgütern gen Null zu fahren. Soweit eine Herstellung von Waffen, Munition und Kriegsgerät in Deutschland in geringem Umfang noch möglich blieb, wurde sie auf wenige von den Alliierten zu genehmigende Fabriken begrenzt. Alle anderen Anlagen zur Anfertigung, Lagerung, Herrichtung oder Konstruktion von kriegsverwendbarem Material mussten innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages geschlossen werden. „Für die Anfertigung von Kriegsgerät bestimmte Werkzeuge und Maschinen" waren – bis auf den geringen Bedarf der wenigen zugelassenen Firmen – an die Alliierten abzugeben oder zu vernichten. ²

    Selbst die noch zugestandene Rüstungsproduktion unterlag erheblichen Restriktionen. Die Herstellung bestimmter Waffen und Kampfmittel, etwa von Panzern, Flugzeugen, schweren Geschützen und Gaskampfstoffen, war gänzlich verboten. Weder durften jährliche „Höchstfertigungszahlen" überschritten noch Kriegsmaterial aus dem Ausland importiert werden. Besonders einschneidend wirkte sich für die deutsche Industrie das Verbot der Ausfuhr von Rüstungsgütern aus, entfiel so doch die Möglichkeit, unter dem Deckmantel von Exporten wichtige Betriebsmittel und Einrichtungen vor der Demontage oder Vernichtung zu retten. ³ Um die Einhaltung der Beschränkungen ständig zu überwachen, hatten die Siegermächte eine Interalliierte Militär-Kontroll-Kommission (IMKK) zusammengestellt, die befugt war, sich jederzeit frei im Land zu bewegen. ⁴ Angesichts der massiven Kontrolle der IMKK blieb dem Gros der Rüstungslieferanten des Ersten Weltkrieges zunächst nichts anderes übrig, als ihre Produktion auf zivile Güter umzustellen. Zur Umgehung dieser Begrenzungen durch den Versailler Vertrag versuchten jedoch größere Unternehmen wie Rheinmetall und Zeiss, zumindest Teile ihrer Rüstungskapazitäten ins neutrale Ausland zu verlagern, vor allem nach Österreich und in die Niederlande. Soweit das in geringem Umfang möglich war, geschah es zumeist über die Gründung von Tochterunternehmen im Ausland oder mittelbar über die Beteiligung an ausländischen Firmen. ⁵

    Mehr noch als die Industrie war die Reichswehr selbst von den Bestimmungen des Versailler Vertrages existenziell betroffen. Er legte die Stärke des Heeres auf 100.000 Mann, der Marine auf 15.000 Mann fest. Bis ins Detail wurde die Gliederung der künftigen deutschen Streitkräfte vorgeschrieben. Bewaffnung, Ausrüstung und Munitionsbestände durften ein bestimmtes Soll nicht überschreiten, der Besitz von schweren Geschützen, Panzern, Flugzeugen und Gaskampfstoffen wurde völlig untersagt. ⁶ Die Reichswehroffiziere waren nicht gewillt, diesen Zustand auf Dauer hinzunehmen. Sie gingen davon aus, dass die Maßnahmen des Versailler Vertrages lediglich temporären Charakter hätten und am Ende nur die Restauration der Monarchie und die Wiederherstellung der privilegierten Stellung des Militärs stehen könne. General von Seeckt, seit Juli 1919 Chef des Truppenamtes, de facto des Generalstabes der Reichswehr, hatte auf der Konferenz von Spa im Juli 1920 erfolglos versucht, durch Zugeständnisse den Alliierten wenigstens ein 200.

    000-Mann

    -Heer abzuringen. Noch am Tag seiner Rückkehr aus Spa, dem 10. Juli 1920, legte er, nunmehr Chef der Heeresleitung, in einem Bericht den Offizieren im Reichswehrministerium die Vergeblichkeit seiner Mission angesichts der alliierten Unnachgiebigkeit dar. ⁷ Anfang 1921 sah von Seeckt zwei Möglichkeiten, eine Revision der Rüstungsbeschränkungen zu erreichen, zum einen die Milderung der Vertragsbedingungen durch Konzessionen der Alliierten, zum anderen die einseitige Aufkündigung des Vertrages durch Deutschland, sobald die Kräftekonstellation dies ermögliche. ⁸ Nach seinen Erfahrungen vom Juli 1920 dürfte von Seeckt keine Erwartungen auf erneute Verhandlungen gerichtet haben. Vielmehr regte er zu dem Zeitpunkt den Aufbau eines 63 Divisionen starken Heeres an und schlug den Umbau der Reichswehr zum „Führerheer" vor. Flankierend forderte von Seeckt, sich mit der Industrie in Verbindung zu setzen, um „zur Verteidigung in jedem Zeitabschnitt die Mittel zu gewinnen" und „die technische Überlegenheit zu erreichen" . ⁹

    Am 15. Juli 1921 hatte die IMKK 30 Betrieben die Zulassung zur Rüstungsproduktion erteilt; 1927 erweiterten die Siegermächte den Kreis um drei Unternehmen. ¹⁰ Autorisierte Firmen waren u.   a. der Krupp-Konzern und die Vereinigte Stahlwerke AG für die Erzeugung von Geschützrohren und Panzerplatten. Die Sprengstoffherstellung und die Entwicklung neuer Sprengstoffe waren für die Dynamit-Nobel AG und die Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG (WASAG) genehmigt. Simson & Co. in Suhl besaß als einziges Unternehmen die Zulassung für die Fabrikation von Handfeuer- und Maschinenwaffen. Elektrische Geräte, Scheinwerfer und Kommandogeräte wurden von der Siemens-Schuckert AG produziert. Die Entwicklung von Nachrichtengeräten konzentrierte sich bei Telefunken und bei der Lorenz AG. Carl Zeiss Jena entwickelte und lieferte optische Vorrichtungen für das Heer und die Marine. Auch die Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik AG (Rheinmetall) und die Borsig AG waren als Rüstungsproduzenten zugelassen. ¹¹ Die Gebrüder Thiel-Seebach GmbH in Ruhla lieferte Granatzünder. ¹² Obwohl die genannten Firmen damit die Produktion der ihnen zugewiesenen Rüstungsgüter wieder hätten aufnehmen

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