Baphomet: Tarot der Unterwelt
Von Akron Frey und H. R. Giger
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Rezensionen für Baphomet
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Buchvorschau
Baphomet - Akron Frey
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Akron: Baphomet – Tarot der Unterwelt
Akron Edition GmbH
ISBN 9783905372441
Das gesamte Werk ist im Rahmen des Urheberrechtsgesetzes geschützt. Jegliche vom Verlag nicht genehmigte Verwertung ist unzulässig. Dies gilt auch für die Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen, photomechanische Widergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien sowie für auszugsweisen Nachdruck.
© 2009 Akron Edition GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
„Baphomet" 1992 bei Urania AG, CH-Neuhausen.
Herausgeber: Akron
Umschlagbild: The Spell IV, 1977, komplette Version, gespiegelt
Weitere Bildbearbeitungen: Voenix (S. 38, 315, 316 und 382)
Layout, Satz & Umschlaggestaltung: Medienagentur Holger Kliemannel,
gestaltung@roterdrache.org
Gesamtherstellung: Prospektus Nyomda, Ungarn
1.digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
ISBN 9783905372441
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
VORWORT
Die Reise in die Unterwelt
HINTERGRUND – 1991/2008
Vom „Crowley-Tarot zum „Schöpfervirus
DIE SIEBEN SIEGEL DES BAPHOMET
Der gehörnte Gott
Der magische Gott
Der sich selbst erkennende Gott
Das geschlossene Buch
Das erste Siegel
Das zweite Siegel
Das dritte Siegel
Das vierte Siegel
Das fünfte Siegel
Das sechste Siegel
Das siebente Siegel
EINFÜHRUNG IN DEN TAROT
Tarot als Modell unserer Hoffnungen und Ängste
Die Synchronizität von Innen und Außen
Die innere Realität
Der äußere Weg
DIE LEGEMETHODEN
Achtung
I Baphomet
Fragestellung
Allegorie (Die Invokation des Baphomet)
Deutung
II Der Grüne Engel
Fragestellung
Allegorie (Der Grüne Engel)
Deutung
III Der Seelenspiegel
Fragestellung
Hintergrund
Deutung
IV Der Schöpfungsknall
Fragestellung
Allegorie (Der Schöpfungsanfang)
Deutung
V Mephistos Hammer
Fragestellung
Allegorie (Der Schöpfungsuntergang)
Deutung
VI Das Nornenrad
Fragestellung
Hintergrund (Die Schicksalsnornen)
Deutung
VII Der Fünfstrahl (Der Entscheidungsweg)
Fragestellung
Hintergrund
Deutung
VIII Der Neunstrahl (Das Beziehungsspiel)
Fragestellung
Hintergrund
Allegorie (Adams Rippe)
Deutung
IX Der Zehnstrahl (Das keltische Kreuz)
Fragestellung
Hintergrund
Deutung
Die Tarot-Meditation
0 DER NARR
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Narren
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
I DER MAGIER
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Magiers
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
II DIE HOHEPRIESTERIN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Hohepriesterin
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
III DIE HERRSCHERIN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Herrscherin
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
IV DER HERRSCHER
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Herrschers
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
V DER HOHEPRIESTER
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Hohepriesters
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
VI DIE LIEBENDEN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Liebenden
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
VII DER WAGEN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Wagens
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
VIII DIE KRAFT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Kraft
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
IX DER EREMIT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Eremiten
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
X DAS SCHICKSALSRAD
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Schicksalsrades
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XI DIE GERECHTIGKEIT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Gerechtigkeit
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XII DIE GEHÄNGTE
Die Karte1
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Gehängten
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XIII DER TOD
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Todes
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XIV DIE ALCHIMIE
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Alchimie
Die 7 Stufen des Werks
1. Kalzination
2. Sublimation
3. Solution
4. Putrefaktion
5. Destillation
6. Fixation
7. Tinktur
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XV DER TEUFEL
Baphomet
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Teufels
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Kurzformel
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
XVI DER TURM
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Turmes
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XVII DER STERN
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Sterns
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XVIII DER MOND
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Mondes
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XIX DIE SONNE
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis der Sonne
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XX DAS GERICHT
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Gerichts
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
XXI DAS UNIVERSUM
Die Karte
Die traditionelle Auslegung
Das Geheimnis des Universums
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
DER TRÄGER UNIVERSALER ENERGIEN
Das Virus
Was wissen wir über Viren?
∞ DAS SCHÖPFERVIRUS
Die Karte
Das Geheimnis des Lebens – die Viren
Der Hintergrund
Die Deutung
Frau
Mann
Ausdruck
Prinzip
Archetypen
Aspekte
Symbole
Kurzformel
Ein kleiner Leitfaden durch das Labyrinth der „Baphomet"-Karten
0 DER NARR – Metamorphose
I DER MAGIER – Ich-Durchsetzung
II DIE HOHEPRIESTERIN – Ich-Hingabe
III DIE HERRSCHERIN - Mutterschaft
IV DER HERRSCHER – Recht und Ordnung
V DER HOHEPRIESTER – Die geistige Autorität
VI DIE LIEBENDEN – Die seelische Anziehung
VII DER WAGEN – Sturm und Drang
VIII DIE KRAFT – Sexueller Instinkt
IX DER EREMIT – Die verborgene Wahrheit
X DAS SCHICKSALSRAD – Ursache und Wirkung
XI DIE GERECHTIGKEIT – Das Urteil
XII DIE GEHÄNGTE – Das Opfer
XIII DER TOD – Stirb und werde
XIV DIE ALCHIMIE – Transformation
XV DER TEUFEL – Das Licht der Hölle
XVI DER TURM – Die Illusion der Materie
XVII DER STERN – Illumination
XVIII DER MOND – Der Spiegel der Seele
XIX DIE SONNE – Der schöpferische Weg
XX DAS GERICHT – Zeit und Ewigkeit
XXI DAS UNIVERSUM – Das kosmische Ziel
∞ DAS SCHÖPFERVIRUS – Das implodierte Ich
ENDE UND ANFANG - Das Perpetuum Mobile
Interviews
H. R. Giger – Juli 1995
„… ein Monster ist viel faszinierender, wenn es sich geheimnisvoll darstellt."
H. R. Giger – Dezember 2001
„Und wenn der Kopf fällt, dann sag’ ich hoppla!"
Akron – September 2002
Seelenführer durch die Unterwelt
Akron – Januar 2003
Magie – entzaubert
Die Karten zum Buch
Dantes Inferno
Der Astroführer durch die Unterwelt
Dantes Inferno
Die Comic-Reihe
Der Akron-Tarot
Voenix
Der Mythen-Tarot
Bilderverzeichnis
Karte/ Werk-Nr./ Titel/ Maße (cm)/ Jahr
0 Der Narr/ 610/ Pumpexcursion 1/ 100 x 70/ 1988
1 Der Magier/ 344/ Spiegelbild/ 100 x 70/ 1977
2 Die Hohepriesterin/ 238/ The Spell II (Teil)/ 240 x 420/ 1974
3 Die Herrscherin/ 251/ Li II/ 200 x 140/ 1974
4 Der Herrscher/ 305/ Safari/ 100 x 70/ 1973-91
5 Der Hohepriester/ 275/ Chidher Grün/ 200 x 140/ 1975
6 Die Liebenden/ 307/ Meister und Margarita/ 100 x 70/ 1976
7 Der Wagen/ 532/ Biomechanoid/ 100 x 70/ 1983
8 Die Kraft/ 622/ Die Kraft/ 100 x 70/ 1992
9 Der Eremit/ 295/ Samurai/ 100 x 70/ 1976
10 Das Schicksalsrad/ 341/ Hexentanz/ 200 x 140/ 1977
11 Die Gerechtigkeit/ 324/ Satan I/ 100 x 70/ 1977
12 Die Gehängte/ 355/ Todgebärmaschine/ 200 x 140/ 1977
13 Der Tod/ 276/ Der Magus/ 200 x 140/ 1975
14 Die Alchimie/ 344a/ The 2nd Celebration/ 100 x 70/ 1976
15 Der Teufel/ 272/ Baphomet/ 200 x 140/ 1975
16 Der Turm/ 255/ Biomechanoid III/ 134 x 103/ 1974
17 Der Stern/ 351/ Katarakt/ 100 x 70/ 1977
18 Der Mond/ 320/ The Spell III (Teil)/ 240 x 280/ 1976
19 Die Sonne/ 235/ Passage XXXII/ 100 x 70/ 1973
20 Das Gericht/ 412/ Vlad Tepes/ 200 x 140/ 1978
21 Das Universum/ 571/ Hyperspace II/ 100 x 70/ 1985
∞ Das Virus/ 331/ The Spell IV (Teil)/ 240 x 420/ 1977
Die 24 Illustrationen am Ende des Buches – „Die 24 Stufen zum Throne Gottes" – wurden von H. R. Giger 1992 als Bildzyklus zu den mystischen Phantasmagorien der Originalausgabe (Federzeichnung und Airbrush) angefertigt.
Die Bleistiftzeichnungen (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12) wurden von Patricia Cooney im Herbst 2008 zur thematischen Erhellung der Karte „Das Schöpfervirus" gestaltet.
Im Weiteren bedanken wir uns sehr herzlich bei Marco Witzig und Matthias Belz, die uns liebenswürdigerweise ihr hochwertiges Bildmaterial der Kartenmotive zur Verfügung stellten und damit ganz entscheidend zur Qualität dieser Neuauflage beitrugen.
Warnung
Dieses Buch ist kein Tarot-Buch im üblichen Sinn. Es ist nicht für Menschen geschrieben, die nach der Wahrheit suchen, ohne sich selbst in Frage zu stellen, oder die sich hinter der Maske des „Positiven verbergen. Es ist auch nicht für jene da, die sich wie Süchtige auf die Suche nach dem Licht begeben, indem sie den bei sich selbst längst überwunden geglaubten Schatten ausschließlich beim anderen suchen – und finden! Als „Schattentarot
schlechthin präsentieren Karten und Buch das Panorama einer seelischen und geistigen Unterwelt, die den wahren Schatten im Verdrängen des Schattens – nämlich im „Streben nach Licht" – erkennbar werden lässt. Denn die Suche nach dem Licht ist in der Tat wie eine Sucht: Die Droge, die einem dabei im Nacken sitzt, ist der Schatten selbst! Demzufolge richtet sich dieses Buch an Menschen, die zuerst herausfinden wollen, warum sie überhaupt die Wahrheit suchen sollen, bevor sie die Wahrheit selbst zu finden versuchen.
VORWORT
Die Reise in die Unterwelt
In den Augen von uns Menschen ist die Welt, in der wir leben, von Polaritäten geprägt. Ob sie es in Wirklichkeit ist, wissen wir allerdings nicht so genau. Doch wir ahnen Schreckliches. Wir ahnen, dass sie in Wirklichkeit eben nicht aus dem Guten und dem Bösen, aus dem Erstrebenswerten und dem Abscheulichen besteht, sondern aus einem ganz anderen Material gestaltet ist.
Was daran so schrecklich ist?
Nun, was gäbe es für die Menschen noch zu tun, wenn das Gute nicht mehr erstrebenswert und das Böse nicht mehr verabscheuungswürdig wäre? Wo könnten wir uns noch engagieren? Welchen Sinn würde das Leben noch für uns haben?
Die Antwort ist: Der Mensch fiele in ein Loch. In ein riesiges, bodenloses, depressives Loch. Es mag sein, am Ende dieses Lochs, in das alles Helle und alles Dunkle gleichermaßen hineingesaugt würde, am Ende des Tunnels steht das Nirwana. Oder die Erleuchtung oder wie dergleichen Karotten vor der Nase des Esels gern genannt werden.
Aber es ist gut, dass wir darüber keine Gewissheit haben. Wir ahnen es, wir vermuten es, wir hoffen es. Aber sobald wir aus dem numinosen Gefühl der Hoffnung heraus wieder ein konkretes Ziel erschaffen, fängt das Spiel der Polarität uns von neuem ein.
Akron würde das so ausdrücken: Gott ist überall. Der einzige Weg für den Esel, ihn nicht zu finden, ist der, aus ihm eine Karotte zu machen.
Wir sehen, die Lage ist hoffnungslos. Wir sind Wesen, die in ihrem eigenen Kopf eingesperrt sind und dort im Kreis herumlaufen. Wir wollen so sehr das Gute und erzeugen doch damit – fast scheint es, auf magische Weise – seinen Gegenpol, das „Böse". Mehr noch: Wo wir aus der Polarität heraustreten wollen, weil wir das zugrunde liegende seelische Muster durchschauen, da errichten wir uns – vermeintlich jenseits der Polarität – schon wieder eine Welt des Guten, Seligen, Heiligen. Und damit fängt das alte Spiel aufs Neue an! Eine wahrhaft unendliche Geschichte. Das ist die Crux des Menschseins. Es gibt keinen Ausweg. Du kommst da nicht raus!
Akron führt in diesem Zusammenhang Schopenhauer an: Der Mensch kann zwar tun, was er will; aber er kann nicht wollen, was er will.
Was also können wir tun?
Die erste Antwort Akrons lautet: „Vergiss, dass du da herauswillst!"
Solange du noch herauswillst, kreierst du dir aufs Neue eine Karotte und bleibst ein Esel. Zugegeben: ein edler Esel, ein Esel ohne Fehl und Tadel, ein Esel, dessen sämtliche Chakren – mit viel Mühe – bereits rechtsdrehend synchronisiert sind (dank der Chakra-Orgeln!). Aber eben doch ein Esel.
Die zweite Antwort – und ihr sind das vorliegende Buch und die dazugehörigen Karten gewidmet – lautet: „Du hast in deinem Wunsch, aus der Polarität herauszutreten, etwas sehr Wichtiges übersehen." Deshalb soll dieses Buch zeigen – oder, bescheidener: andeuten –, welche wichtigen Schritte du bei dieser Arbeit bisher übersehen hast. Ich selbst kann das, was Akron und Giger uns mit ihrem Buch mitzuteilen versuchen, am besten in der Form eines Bildes ausdrücken:
Das Menschsein ist vergleichbar mit einem Haus. Mit einem großen Haus. Schon in der Bibel finden wir die Allegorie des Turmbaus zu Babel. Jenes Haus wurde mit dem erklärten Ziel errichtet, in die Nähe Gottes zu gelangen: „Wohlan", sagten sie, „lasst uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis zum Himmel reicht. Wir wollen uns einen Namen machen." (Genesis 11, 4)
So ist es immer. Immer wollen wir hoch hinaus, um uns einen Namen zu machen. Wir sind alle irgendwie auf dem Weg nach oben. Erinnern wir uns der Darstellungen des babylonischen Turms im Mittelalter: spiralförmig geht es außen um den Turm herum nach oben, in schwindelnde Höhe hinauf. Das ist die Welt des „Guten. Und je höher hinauf wir gelangen, je mehr wir die irdische Welt verlassen, desto näher wähnen wir uns der Majestät Gottes. Bald schon, so glauben wir, sitzen wir Gott zur Rechten. Jesus selbst wird dir leutselig seinen Arm um die Schulter legen und dich als seinen jüngeren Bruder willkommen heißen. 95 Prozent aller „esoterischen
Bücher belehren mich darüber, was ich auf diesem langen und beschwerlichen Weg nach oben (der Turm ist wirklich sehr hoch!) alles zu tun und zu lassen habe: Fasten und Beten und Yoga und rechtsdrehende Müslis und die Chakrenorgeln nicht zu vergessen! Und das Sperma beim Orgasmus – bitteschön – höchstens durch die geschlossene Schädeldecke nach oben. (Hör jetzt endlich damit auf, Monika!)
Dann – und nur dann – „machst du dir einen Namen". Du heißt dann eines Tages: Sai Mai Baba (Man muss es hessisch lesen ...). (Monika, ich warne dich!)
Aber: So wie jeder Baum, der mit seiner Krone in den Himmel ragt, nach unten noch einmal so lange Wurzeln hat, genau so hat auch der Turmbau des Guten einen Keller. Und dieser Keller besteht nicht etwa nur aus einer einzigen Etage, nein, er reicht genauso weit in die Tiefe, wie der Turm über der Erde in die Höhe reicht. Dante hat das noch gewusst. Sein Inferno beschreibt die Vielfalt der Etagen der seelischen Unterwelt als „die zehn Kreise der Hölle", zu denen es ebenfalls spiralförmig, gleichsam in Serpentinen, hinabgeht!
Das ist das Gesetz der Polarität! So, wie dich das Gute hinaufführt, so führt dich auch das Böse hinab. Denn solange du nicht erkennst, dass das eine die Voraussetzungen dafür schafft, dass sich das andere entwickeln kann, hast du statt eines geschlossenen Ganzen immer zwei Seiten, die du isoliert voneinander betrachtest. Um bei meinem Bild zu bleiben: Mit jeder Etage, die du in dir selbst nach oben aufstockst, erzeugst du unweigerlich eine weitere Etage, die nach unten hinabführt. Das wäre nicht weiter problematisch, käme nicht noch eine zusätzliche Erschwernis hinzu: Du glaubst nicht, dass es so ist, und nicht im Traum kämst du auf die Idee, dir die unteren Etagen freiwillig anzuschauen. Du gehst einfach nicht gern in diese Regionen. Stattdessen projizierst du sie hinaus in die Welt: Dort sei das Böse, sagst du! Nach oben treibt es dich mit Macht, damit du dir „einen Namen machst", das Unten aber fliehst du.
Genau hier setzen Buch und Karten von Akron und Giger an. Beide fordern klipp und klar: Schau dir den unteren, verborgenen Teil deines Turmbaus an. Du hast ihn selbst in deiner eigenen Tiefe errichtet, hast ihn selbst gebaut, weil du dir „oben" einen Namen machen wolltest. Es ist der Keller deines EGO-Turmes oder, wenn dir das Wort besser gefällt: der dunkle Schatten deines zum Licht der Sonne aufstrebenden Turmes.
Akron und Giger sind erfahrene Reisende in der Schattenwelt. Sie kennen diese seelische Unterwelt und beschreiben sie plastisch und anschaulich: der eine in Bildern, der andere mit Worten. Und sie wissen: Die Landschaften, die Wesen, die dort leben, gehören zu dir. Sie wollen, dass du deinen eigenen Schatten kennen lernst; sie wollen, dass du dich zu ihm bekennst. Dass du ihn nicht mehr ins „Böse" verbannst, sondern ihn nach Hause, ans Licht, holst. Solange du auf deinem Weg nach oben warst, hast du ihn verbannt, ins Exil gezwungen, in die Diaspora der Seele. Dort unten wandert er nun herum, wie Ahasverus, der ewig ruhelose, schattenlose Gesell, der deshalb keinen eigenen Schatten hat, weil er selbst der personifizierte Schatten ist.
Was dem unerlösten Teil in dir fehlt, hast du in dir selbst! Du, der seinen Schatten „in die Welt geworfen (aus sich selbst hinausprojiziert) hat, um sich nicht zu ihm bekennen zu müssen. Der „Schatten-Tarot
führt dich in ähnliche Bereiche wie die tiefere Symbolik in der Geschichte des Peter Pan. Peter hat seinen Schatten verloren, und jetzt jagt er ihn. Er will ihn wiederhaben. Du hast deinen Schatten ebenfalls verloren, aber du willst nichts mehr von ihm wissen. Jetzt jagt er dich! Er bittet dich, oder er zwingt dich, ihn endlich zur Kenntnis zu nehmen – ganz wie du willst. Er kommt aus deinem eigenen Unbewussten, mit dem du nichts zu tun haben möchtest.
So erfahren wir es auch aus dem Mythos: Jeder Held muss die Reise in die Unterwelt antreten. Dazu braucht er einen Führer. Aeneas hatte eine Sibylle, diese hatte wiederum einen goldenen Zweig. Auch Dante hatte den Dichter Vergil. Und der heutige Reisende hat Akrons und Gigers „Schatten-Tarot". Nicht als Sibylle, sondern als Wanderkarte. Als Geländer, an dem entlang du dich in dieses unbekannte Bauwerk, das du selbst bist, hineinbegeben kannst. Akron und Giger geben dir die inneren Koordinaten zur Navigation, in Bild und Wort. So entstehen in dir deine eigenen Bilder von dieser geheimnisvollen inneren Welt.
Akron und Giger hatten den Mut, sich in diese Terra incognita der Seele hineinzubegeben. Mut erfordert es auch, ihnen dorthin zu folgen.
Was erschauen wir in jener Welt?
Nicht etwa die „Wahrheit oder den „letzten Sinn
. Aber gewiss einige verlorene, in fremden Farben schillernde Mosaiksteine aus dem erstaunlichen Gesamtkunstwerk, das wir „Seele nennen. Lange waren sie in deinen eigenen unteren Etagen verschüttet. Jetzt kannst du sie betrachten und in dein Selbst integrieren. Aber sei auf der Hut, dass du deine Tiefe nicht unter der Hand wieder zu einer neuen „Höhe
machst, zu einem Ziel, das es zu verwirklichen gilt. Halte dich nicht fest! Nimm es so, wie Dante es nehmen sollte, dem Vergil sagte: „Schau hin und gehe weiter!" Mach keine Geschichten daraus! Beiß dich nicht fest! Das haben Magier zu allen Zeiten getan und sind daran kläglich gescheitert.
Wo liegt der Ausweg aus dem Dilemma des Menschseins? Nun, vielleicht ganz einfach hierin: Nachdem wir Jahrtausende lang den Turm zu ersteigen versuchten und doch nicht an die Himmelspforte kamen; nachdem wir jetzt auch noch in die tiefsten Abgründe der Seele geschaut und wiederum nicht gefunden haben, was wir suchten – nach alldem sollten wir jetzt endlich dieses Bauwerk ganz normal durch den Haupteingang wieder verlassen.
Wissend, dass wir gar nichts mehr wissen können.
Peter Orban (und Monika), Frankfurt im Juli 1992
HINTERGRUND – 1991/2008
Vom „Crowley-Tarot zum „Schöpfervirus
1991-92
Nach Beendigung des Crowley-Tarots (© 1991 bei Hugendubel, München) fühlte ich mich erleichtert und frustriert: Erleichtert, ein so umfangreiches und gut recherchiertes Werk abgeschlossen zu haben, und unzufrieden, weil es sich, um ein gut verkaufbares Buch bleiben zu können, aus verlegerischen Gründen heraus nicht tief genug mit den Mechanismen der seelischen Abgründe auseinandersetzen durfte. Die ganze esoterisch vermarktete Selbsterkennungs-Schiene erschien mir plötzlich als ein Weg, der weniger zur Auseinandersetzung mit sich selbst als zu einer mehr oder weniger starken Identifikation mit kommerziellen Selbsterkennungs-Modellen führte. Das Schema blieb sich immer gleich: Böses wird verdrängt und auf andere projiziert, der eigene Schatten vor sich selbst versteckt und wo wir nicht dumm genug sind, das Dunkle, Schattenhafte in uns vollkommen zu leugnen, geben wir ihm wenigstens andere Namen. Andererseits konnte es auch kaum im kollektiven Interesse liegen, die letzten Fragen wirklich beantwortet zu bekommen und die Seele zu erlösen, denn ein erlöster Mensch würde kaum „Sinnfindungs-Modelle" finanzieren, die ihn an sich binden, und damit wäre zumindest die wirtschaftliche Grundlage menschlicher Entwicklung in Frage gestellt.
Irgendwie wurde mir während der Arbeit am Crowley-Tarot auch klar, dass diese ganze Bindung an Modelle (in diesem Fall die Bindung an das Tarot-Modell) im Grunde nichts anderes als ein spirituelles Traumkino war, das sich in seinen eigenen Spiegelbildern bis zur Langeweile erschöpft. Da der Mensch sein Leben immer nur im Guten nachvollziehen will, entspricht das Streben nach Wahrheit dem kindlichen Wunsch, in allem, was er sieht, stets nur die eigenen Wünsche zu erkennen – und das ist nicht Wahrheit, sondern infantiles Wunschdenken. Deshalb fragte ich mich unverblümt, ob es nicht an der Zeit wäre, meinen eigenen Glaubensansatz zu hinterfragen. Mein „Strukturieren von Wissenshäppchen, spürte ich, entsprach weniger dem Wunsch, Wissen zu erreichen, als vielmehr dem eigenen Unterfangen, das Leben in den Griff zu bekommen und der Flut der Bucherscheinungen meine „eigene Beschreibung
hinzuzufügen und damit ein bisschen Geld zu verdienen. Irgendwie sagte mir eine innere Stimme, dies sei genau die Position eines jener lächerlichen Autoren, die nur darauf erpicht sind, ihr eigenes Nicht-Verstehen dank der Anerkennung der Leser vor sich selbst auf Distanz zu halten.
Deshalb begann ich mir 1991 Gedanken über einen Tarot zu machen, der ein bisschen tiefer in die Mechanismen der menschlichen Erwartungen eindringt und den Menschen einen Spiegel ihrer unbewussten Bilder und Vorstellungen vorhält. Tarot ist, das war mir klar, eine Landkarte, um die tieferen Seelenlandschaften in uns mit Hilfe von Symbolen von außen zu betrachten. Solange wir uns diesen Modellen nicht ausliefern, also die Landkarte nicht zur Wirklichkeit machen, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Wenn wir aber das Modell zur erkannten Wahrheit machen, liefern wir uns der Gewalt unserer Erwartungen aus; denn da wir die Welt nur so sehen, wie wir sie im Denken erleben, benutzen wir Modelle, die uns von unseren Erwartungen überzeugen. Dieser Mechanismus wiederum zwingt die Autoren, sich innerhalb dieser von den Lesern erwarteten Einschätzungen zu profilieren, damit ein Tarot-Buch erfolgreich sein kann. Alles muss aus der esoterischen Perspektive geschildert werden, die selbst im Negativsten noch „spirituelle Ansätze zu erkennen glaubt und schöngefärbte Kommentare zum Besten gibt. Nicht, dass dieses Verhalten ungeschickt wäre, nur die Voraussetzung, diesen im Prinzip kreativen Kunstgriff letztlich dazu zu benutzen, die dunkleren Sphären unserer Instinktwerte, die Teil des Ganzen und damit Teil der menschlichen Entwicklung sind, einfach auszublenden, fiel mir negativ auf. Obwohl wir wissen, dass das kollektive Ungleichgewicht eine Voraussetzung der dynamischen Entwicklung ist, die sich, damit sie sich ständig ausbalancieren kann, stets in einem fluktuierenden „Unruhe-Zustand
verbleiben muss, damit sich Entwicklung überhaupt vollziehen kann, wehren wir uns ständig gegen diesen „unerlösten Zustand, ohne zu merken, dass dieses Wehren ja gerade die Grundlage und damit unser schöpferischer Beitrag zur Weiterentwicklung ist, der, auch wenn wir daran „leiden
, nicht als negativ betrachtet werden darf. Solange wir solche Einsichten aber nicht in die von uns benutzten Modelle einfließen lassen, dürfen wir von ihnen nicht nur keine Wahrheit erwarten, sondern geradezu ein Verdrängen dieser Wahrheit. Denn wenn wir die Erwartungen, die sich selbst nicht durchschauen, in die Modelle mit einbeziehen, dann führen uns die Modelle von der Wahrheit weg. Mit einem Wort: In unseren Modellen spiegeln sich immer nur die blinden Erwartungen ... – diese aber vermitteln uns wiederum die Modelle!
Von solchen kritischen Impulsen durchdrungen, nahm ich meine Gedanken über ein Tarot wieder auf. Wenn sich das Denken, das sich erkennt, in das Modell miteinbezieht, so überlegte ich mir, dann könnte ich das Modell dazu benutzen, um den inneren Sinn zu ertasten, der die Menschen generell zur Errichtung ihrer Sinnfindungsmodelle einlädt. Nicht indem ich die Wahrheit im Buch finde, sondern – ganz im Gegenteil – indem ich sie in mir entdecke, wenn ich mich frage, warum ich sie überhaupt im Buch suchen muss. Wenn ein kritisches Buch solche Überlegungen „ins Licht rücken würde, dann müsste doch – so dachte ich mir – der Funke der Inspiration auf den Leser überspringen, so dass er seine eigenen Denk- und Vorstellungsmuster erkennen kann. Die entscheidende Frage, die sich mir stellte, war, wie sich dieses Konzept eines „Schattentarots
bildlich verwirklichen ließe. Welcher Künstler wäre überhaupt bereit und in der Lage, ein so anspruchsvolles Projekt zu realisieren?
Genau in dieser Zeit fiel mir H. R. Gigers großer Bildband Necronomicon in die Hände, dessen Titelbild ein faszinierendes Monster zeigte: Baphomet, das Symbol der Verbindung von rationaler und irrationaler Welt. Beim Betrachten von Gigers Gesamtwerk fiel mir auf, dass es kaum den Schimmer einer seelischen Aufhellung zu zeigen schien. Jedes Bild verkapselte in sich Verzahnungen menschlichen Leidens in einer geradezu grotesk-selbstquälerischen Perfektion. Diese eruptiven, filigran gestalteten und sehr verschachtelten Visionen verdichteten und überlagerten sich zu einem bizarren Panoptikum von Eros und Thanatos, Traum und Realität, und ich fragte mich, ob er mit seiner Kunst nicht etwas sehr Wichtiges mitzuteilen hatte? Enthüllten all die monströsen und zerfressenen, verkrüppelten und verstümmelten Gestalten angesichts des alltäglichen Grauens nicht Ängste, die sehr real sind? Ängste, die wir nicht zulassen wollen und die deshalb nicht ihre natürliche Aufgabe erfüllen können, nämlich uns mit den Auswirkungen unseres eigenen Handelns zu konfrontieren? Auch wenn viele meinten, Gigers Seele wäre in der Faszination seiner von ihm selbst evozierten Dämonen gefangen, schien er mir alles andere als ein skurriler Anbeter dunkler Kräfte zu sein, der kein Empfinden mehr für die Harmonie, Schönheit und Vollkommenheit der Schöpfung hat. Eher ein Wanderer in den Grenzbereichen menschlicher Erfahrungswelten, der eine direkte Verbindung zum Unbewussten hat und dessen künstlerisches Können es ihm ermöglicht, aus seinen inneren Visionen in Form von Bildern, Skulpturen und Design äußere Realitäten zu schaffen. Mit anderen Worten: ein moderner Aufklärer, der den Finger auf die wunden Stellen unserer Lebensweise legt. Wenn er dies nicht auf klassisch-aufklärerische Art und Weise tat – nämlich mit Hilfe der Logik, der kritischen Vernunft und des rationalen Arguments –, sondern in irrationalen, mystischen Visionen, dann deshalb, weil auch die Bedrohung unserer Welt in ihrem innersten Kern zutiefst irrationale Züge aufweist. Damit reiht er sich nahtlos ein in die Galerie großer Künstler, denen es nicht möglich scheint, sich mit der öffentlich sanktionierten Konstruktion der Wirklichkeit in einem faulen Kompromiss zu arrangieren – denken wir nur an Poe, Baudelaire, Böcklin, Rimbaud, Wilde, Meyrink, Kubin, Lovecraft, Dali, Fellini, Pasolini und viele andere. Diese Menschen sind es, die in inspirierten Augenblicken jene innere Form des Geistes erspüren, dem sich unsere kollektiven Vorstellungen nachbilden. Sie fühlen einen unwiderstehlichen Schöpfungsimpuls in sich, der sie aus den alltäglichen Empfindungsmustern herausreißt und sie in jenes Panorama innerer Bilder versetzt, aus dem heraus sie dank ihrer besonderen Fähigkeiten das schaffen, was wir große Kunst nennen.
Von diesem Moment an war es mir klar: Giger – und kein anderer musste der Schöpfer dieses Werkes sein. An Auswahlmöglichkeiten für einen künstlerischen und esoterisch gleichermaßen gehaltvollen Tarotzyklus bestand wahrhaftig kein Mangel. Viele seiner Gemälde erschienen in ihrer archetypischen, symbolreichen Bildsprache geradezu prädestiniert dafür. Wir kamen ins Gespräch miteinander, und nach einem ersten gegenseitigen Beschnuppern fassten wir den Entschluss, aus seinem Gesamtwerk 22 Bilder auszuwählen und diese im Sinne einer Unterweltreise gedanklich miteinander zu vernetzen. Nur das Bild für die Karte VIII Die Kraft gestaltete er neu. So wuchs in den nächsten beiden Jahren dann so etwas wie eine gedankliche Symbiose meines alle gesellschaftlichen Werte hinterfragenden Konzepts und seiner Kunst heran. Da es sich bei seinen Bildern um eigenständige Zeitdokumente handelt, eine Hommage an den Tarot als eine Quelle seiner eigener spirituellen Inspiration, bestand eine andere Beziehung zwischen Karten und Philosophie als sonst üblich. Die Karten wurden nicht im üblichen Sinne „erklärt, sondern ihre Bedeutung kristallisierte sich in einer Art „Modern Talk
zwischen dem philosophischen Infragestellen kollektiver Inhalte und der schöpferischen Bebilderung kreativer Tiefenängste heraus. Die Erklärungen wurden also gleichsam in das ausgewählte Bildmaterial „hineinmythologisiert, um die alchimistische Symbiose zwischen beidem zu ermöglichen. Darüber hinaus schuf er auf meinen Wunsch noch eigens 22 Zeichnungen, die als lllustrationszyklus zum Orakel der Unterwelt erstmals veröffentlicht wurden, denn ich wollte seiner Kunst am Ende jeder Karte ein „literarisches
Gegenstück zur Seite stellen, das die Motiv- und Symbolverschachtelungen der Bilder mit sprachlichen Mitteln nachvollzieht. Um die orakelnde Wirkung zu steigern und einen alttestamentarisch-prophetischen, hymnusartigen Ton zu erreichen, hielt ich es für eine gute Idee, eine große Anzahl von betonten Silben pro Zeile zu verwenden, um einen schwingenden, schreitenden Rhythmus, eine Art gesteigerter Prosa zu erzielen, die jedem Wort erhabene Bedeutung beimaß. Im assoziativen Empfinden des Lesers sollte sich eine „kombinatorische Inspiration" entzünden, die jenseits der semantischen Ebene aus der Sprache ihr Feuer empfing – ein Vorgang, der mir aus späterer Sicht weit weniger gefiel. Das Werk wurde unter dem Titel Baphomet – Tarot der Unterwelt als Set mit 500seitigem Buch, Karten und Poster 1992 bei Urania publiziert.
1993-1998
Wir geben es zu: Baphomet ist nicht lieb. Er ist kein spiritueller Softie. Baphomet wühlt auf und schockiert. Weil er gnadenlos ehrlich in seiner Meinung über die menschliche Natur ist. Indem er uns in unbekannte Tiefenschichten unseres Innern führt. Mit Visionen, die unter die Haut gehen, titelte die Presse.
Das 1992 erschienene Set wurde in magischen Kreisen zum Kultobjekt, und im Herbst 1995 rief mich der Verlag zu einer geschäftlichen Unterredung an den Rheinfall. Es ging darum, wie wir dieses Produkt noch besser vermarkten konnten. Fred, der alte Direktor, der dieses Unternehmen maßgeblich mitinitiierte, war gerade gefeuert worden, und die seinerzeitige Idee, dem Ganzen nach Taschenbuch (1993), Zweitauflage (1994) und CD-Set (eine Höllenreise nach Baphomet-Texten von der Technogroup Epilepsy, 1995) eine Fortsetzung anzuhängen, wurde von der neuen Geschäftsleitung wieder aufgenommen. Eine Weiterführung des Themas schien mir aus künstlerischer Sicht zwar durchaus interessant – aber was sollte man eines großen Malers Kartenset jetzt folgen lassen? Ich sah da keine Lösung und nach einigem Hin und Her schlug ich der Verlagsführung statt einer Baphomet-Fortsetzung eine Reise durch die Unterwelt nach Dantes Divina Commedia vor, eine Idee, die anfänglich große Begeisterung auslöste. Leider hielt dieses Gefühl nicht sehr lange an; während ich mich an die Arbeit machte, drehte sich in den nächsten Monaten der Wind. War es, dass wir hinter unserem Rücken diffamiert wurden, oder wurde die damalige Konzernspitze, die Biella Neher AG, für die der Verlag nur ein mehr oder weniger rentables Anhängsel bedeutete, plötzlich mit unserem Schaffen oder unserer Medienpräsenz konfrontiert – es blieb mir bis zum heutigen Tag verschlossen. Anfänglich wegen der „pornografischen" Darstellungen meines neuen Zeichners, des Mythenmalers Thomas Vömel alias Voenix, verfemt, waren auch meine Texte bald nicht mehr erwünscht, und zu allem Unglück wurde die Schweiz im Herbst 1998 – also just zu der Zeit, als sich der Verlag darum bemühte, aus dem Dante-Vertrag wieder auszusteigen – auch noch von einem Mord im satanistischen Umfeld aufgescheucht, wobei die Täter bei der Befragung durch den Gerichtspsychiater neben anderen auch den Baphomet als Inspirationsquelle aufführten. Das war natürlich Gift auf die Mühle dieses Projektes. Der Verlag schmiss mir die Rechte sozusagen in einem Aufwasch mit dem Dante vor die Füße, und wir einigten uns so, dass sie uns die ganzen übrig gebliebenen Bücher überließen, wenn wir als Gegenleistung unsere gesamten Geschäftsverbindungen auflösten.
1999-2001
1999 trat der Benedikt Taschen-Verlag mit der Absicht an uns heran, eine verkürzte Taschenbuchausgabe im Niederpreissegment produzieren zu wollen. Einerseits schien mir die Reduktion des Original-Werkes weder einleuchtend noch besonders originell, andererseits war das Angebot von Taschen schon sehr verlockend, eine einmalige Großauflage in deutsch und englisch produzieren und die Giger-Karten damit weltweit einem interessierten Publikum zugänglich machen zu können. Wir einigten uns auf einen Deal: Ich schraubte die philosophischen Gedankenspiele hinsichtlich eines normalen Deutungsbuches von 500 auf 200 Seiten zurück; dafür konnten wir die Rechte am Titel und am Originalwerk behalten und weiterhin vertreiben.
Daraufhin gründeten wir 2001 eine eigene Firma, die die vorhandenen Ressourcen nutzte und das ursprüngliche Set samt seinen mehrsprachigen Taschenbuchausgaben in die esoterischen Vertriebskanäle einspeiste; gleichzeitig wurde das verkürzte Taschen-Produkt über eine andere Verteilerschiene, die verschiedene Galerien und eigene Läden in der ganzen Welt bediente, lanciert und in wenigen Monaten in einer beachtlichen Auflage von 40‘000 Stück verkauft. Wir nannten es schlicht und treffend H. R. Giger-Tarot.
2003-2008
In den Jahren 2003-2007 habe ich mich noch einmal mit den Geheimnissen der hohen Priesterinnen in den tiefen Brunnenstuben der Seele beschäftigt und zwei umfangreiche Arbeiten zu diesem Thema geschrieben. Zuerst den Akron-Tarot mit den Bildern von S. O. Hüttengrund, in dem wir auch zwei neue Archetypen entwickelten, die Schwarze Göttin bzw. Scharlachrote Anima, die den Schatten der Frau beleuchten, und das Dunkle Kind, ein Verhaltensmuster, das eine Reaktion auf die Ohnmacht und die Sprachlosigkeit darstellt, denen die meisten Menschen in ihrer Kindheit oder im Zusammenspiel mit autoritären Systemen ausgesetzt sind, und das bei manchen als abgespaltener Teil ins Leben tritt und dort das ganze kommunikative Zusammenspiel zwischen den Individuen untergraben und zusammenbrechen lassen kann. Nach dessen Beendigung im Sommer 2004 machte ich mich in den Jahren 2005-07 dann zum zweiten Mal an Crowleys Tarotkarten heran und veröffentlichte meine Überlegungen unter dem Titel Akrons Crowley Tarot Führer, eine Vertiefung des schon zu Beginn dieses Kapitels erwähnten Titels, der 1991 bei Hugendubel publiziert worden war, und der mich das Thema in allen Belangen erschöpfend ausloten ließ. Dieses Werk erschien Ende 2007.
Das war die Ausgangslage. Ich hatte meinen eigenen Tarot und einen ausführlichen Kommentar über das Crowley-Deck zusammen – fehlte also nur noch das Baphomet-Set. Wie auf ein Stichwort gingen anfangs 2008 die seit dem Rauswurf aus dem Urania-Verlag gebunkerten Baphomet-Bestände zu Ende, und da lag es auf der Hand, diese frühe Arbeit noch einmal in die Finger zu nehmen. Sie hatte mir bei ihrem Erscheinen 1992 viel Freude bereitet, war es doch ein erster Schritt, mich vom esoterischen Mainstream zu befreien; und auch aus heutiger Sicht finde ich das Buch immer noch sehr mutig. Es war ein späthippiehafter, aber durchaus ernst gemeinter Versuch, die Lesegewohnheiten der Leserschaft zu irritieren und mit Themen zu konfrontieren, die tiefer in die globalen Zusammenhänge unserer sozialen Netzwerke hineinstrahlten. Auf der anderen Seite hatte ich aber auch ziemlich viel Salz in diese ganze okkulte Suppe miteingestreut, was mir aus meiner heutigen Sicht ziemlich revisionsbedürftig erschien. Besonders die mephistophelischen und hirnrissigen Geschichten, die ich zu den Skizzen Gigers beisteuerte und die mich 1991 noch begeisterten, gingen mir inzwischen gehörig auf den Geist. Es sind die Gedanken und Vorstellungen, die dem erzählenden Ich, dem Narren aus der ersten Karte der Bilderfolge, durch den Kopf gehen, in denen sich bewusste Beobachtungen und Bilder aus dem Unbewussten gegenseitig durchdringen und befruchten, und in deren steter Wandlung und Umbildung die unausgesprochenen Assoziationen und die unterbewussten Zusammenhänge als Quelle visionären Erlebens deutlich werden. Da sie andererseits das Gefüge bildeten, das Gigers wertvolle Entwürfe zusammenhielt, konnte ich sie aber auch nicht einfach entfernen. Deshalb verkürzte ich sie zu einem kleinen Leitfaden durch das Labyrinth der Karten, Die 24 Stufen zum Throne Gottes, eine eigenständige Rahmenhandlung, die das schillernd-vielschichtige Kaleidoskop der Seele in einer Verbindung orgiastischer Eruptionen und psychedelischer Gedankenkaskaden nachzeichnete. Im Weiteren galt es, die im Original-Werk bewusst vernachlässigten Deutungstexte esoterikerfreundlicher zu machen, also etwas aufzupeppen und psychologisch zu vertiefen, ohne aber den in großen Teilen ironisch hinterfragenden Denkansatz der Vorgabe zu verschieben.
So weit – so gut. Ich versuchte, meinen Hang zum Zynismus ein bisschen zu zügeln und dem unvoreingenommenen Leser nicht länger gegen die Gehirnzellen zu treten, wenn ich meinem alten Drang, die Denkgewohnheiten und Verhaltensnormen in den Köpfen der Menschen durcheinander zu wirbeln, frönte. Aber war es das wirklich – oder doch nicht ganz? Fehlte da nicht noch etwas, oder war ich am Ziel? Gewiss, im Nachhinein betrachtet fehlte noch die Krönung, das Highlight, das eine Neuauflage zwingend machte: sozusagen der entscheidende Kick – aber das war mir damals überhaupt nicht bewusst. Deshalb kam mir der Schöpfergeist in seiner Lieblingsrolle als „Freund Zufall" zu Hilfe. Beim Redigieren dieses Buches bemerkte ich plötzlich, wie der Blick einer Bekannten, die mich gerade besuchte und namentlich nicht erwähnt werden möchte, über Gigers Baphomet¹ streifte, dessen Titelbild neben meiner Tastatur lag. Da ich wusste, dass sie beruflich mit Mikroben zu tun hatte, meinte ich schmunzelnd zu ihr, dass dieses Monster auf dem Cover doch eine gewisse Ähnlichkeit mit ihren Lieblingsgeschöpfen hätte. Es entspann sich spontan eine angeregte Konversation und plötzlich war uns klar: Es schien, als wollte den vorhandenen Karten noch eine neue, zusätzliche Dimension hinzugefügt werden: Das Schöpfervirus. Zur selben Zeit nächtigte auch Patricia bei mir im Schlösschen, die junge Künstlerin aus Augsburg, die schon für meinen Crowley-Führer² 2007 einige wunderbare Illustrationen anfertigte, und war sofort bereit, ein paar Zeichnungen zu diesem schier unerschöpflichen Thema beizusteuern. Damit war die Sache beschlossen. Natürlich dauerte es noch ein paar Wochen, bis der zusätzliche Trumpf nahtlos in die vorhandene Kartenreihe eingefügt war – aber der erste Schritt war getan.
Das war der „Missing Link", der diesem Buch noch fehlte, das Herzstück, in dem sich spirituelles Ergründen, künstlerisches Empfinden und wissenschaftliches Erkennen die Hand reichten. Deshalb möchte ich Patricia und dem unergründlichen Geist in der Maske des Zufalls eine große violette Rose schenken als Ausdruck meiner Liebe für den kreativen Umstand und schöpferischen Akt, ganz entscheidend dazu beigetragen zu haben, was dieser Neuauflage aus meiner aktuellen Sicht überhaupt erst zur Legitimation verhilft: dem Einbringen neuer Einsichten in einem neuen Archetypus – einer neuen Karte.
St. Gallen, am Ruhberg, November 2008, C. F. Frey
¹ H. R. Giger’s Necronomicon, Bd. 1
² Akrons Crowley Tarot Führer, 2007 AGM AGMüller Urania, Neuhausen/Schweiz
H. R. Gigers „Baphomet"
The Spell IV, 1977, Werk-Nr. 331, 2,40m x 4,20m
Nach Art eines Triptychons gestaltet, besitzt das Bildwerk drei Flügel, die verschiedene Sphären der Schöpfung darstellen. Zur Rechten Baphomets (links vom Betrachter) befindet sich das „Paradies, dessen lichtvolle Sphären durch das helle, aufrechte Pentagramm verkörpert werden. Zur Linken ist die „Hölle
, symbolisiert durch das dunkle, inverse Pentagramm. Baphomet selbst in der Mitte vertritt die Daseins-Ebene des Menschen, die „Realität", in der die Polaritäten sich gegenseitig durchdringen, bekämpfen oder ausgleichen (dargestellt durch die beiden ineinander verflochtenen Pentagramme, die die Verbindung von Mikrokosmos und Makrokosmos zum Ausdruck bringen). Die symbolischen und allegorischen Bezüge der figürlichen Darstellungen verweisen auf den Bereich des Stirb und Werde – des Todes und der Wiedergeburt.
DIE SIEBEN SIEGEL DES BAPHOMET
Der gehörnte Gott
Mir ist der Doppelköpfige nie erschienen, so sehr ich ihn auch beschwor. Ich habe den Karfunkel nie erblickt. Mag es also so sein: wem der Teufel nicht mit Gewalt den Hals in den Rücken dreht, der wird auf seinem unaufhaltsamen Weg ins Land der Gestorbenen niemals den Aufgang des Lichtes erblicken. Wer aufwärts klimmen will, muss abwärts steigen, dann erst kann das Untere zum Obern werden.
Gustav Meyrinck
Der Baphomet ist die eselsköpfige Kultfigur der Tempelritter, der Bock des Sabbats im mittelalterlichen Hexenglauben, dessen Ursprung unbekannt ist.¹ Auf alten Darstellungen wird er meist auf einem Thron erhöht oder auf einem dreibeinigen Schemel inmitten ekstatischer Frauen gezeigt. Theodor Reuß, um 1900 ein innovativer Logengründer, Begründer und Großmeister des O.T.O. (Ordo Templi Orientis), der auch Rudolf Steiner in die Freimaurerei einweihte, mystifizierte den Baphomet als androgynes Wesen aus dem Stoff aller Elemente und gleichzeitig deren Quintessenz. Auch Helena P. Blavatsky sah in Baphomet eine übersinnliche, spirituelle Essenz, ein psychisches Kraftfeld und ein kabbalistisches Werkzeug von großer Macht im Sinne ihrer eigenen spirituellen Magie. In vielen magischen Zirkeln und Gruppen des Hexenkultes wird er heute als Ursymbol ekstatischer Obsessionen und instinktiver Männlichkeit verehrt. In den kirchlichen Schmähschriften über den mittelalterlichen Okkultismus findet man Baphomet zusammen mit den üblichen Entstellungen alter heidnischer Symbolik vor. Dort wird behauptet, Okkultismus sei der Bazillus des Teufels, der die Menschen mit seinen Visionen von Geheimnis und Macht infiziere und sie dadurch in den Bann des Bösen ziehe. Unter dem Schleier der Verschwiegenheit und der Dunkelheit geschähen allerlei geheime Riten, Schwarze Messen, Teufelsanbetungen bis hin zu Menschenopfern. Ebenso lächerlich und übertrieben wie