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Der Wiederaufbau
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eBook214 Seiten2 Stunden

Der Wiederaufbau

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Über dieses E-Book

Ein katastrophales Treffen heute Morgen mit einem unbekannten Deutschen. Er ist kein Verrückter, aber er ist ein tiefunglücklicher Mann, denn er glaubt herausgefunden zu haben, dass er ein anderer ist, dessen Namen er nicht einmal kennt, so schreibt es Jérôme Lafargue, Professor an der Sorbonne, in sein Tagebuch. Johann Launer hatte ihn um dieses Treffen in einem Pariser Café gebeten, in der Überzeugung, dass nur Lafargue und seine Frau ihm würden helfen können, Licht in das Rätsel seiner Vergangenheit zu bringen Und zunächst erscheint auch alles wie eine Erkundung von Erinnerungen.
Aber der Wiederaufbau, der sich nach und nach zwischen München im September 1968, dem von den Nazis besetzten Prag, und dem Paris von heute vollzieht, ist weitaus mehr: er ist die Reise durch das Labyrinth des Lebens, dessen Energien in der wiedergefundenen und immer wiederzufindenden Gegenwart zusammenlaufen, in unserem Jetzt, wo alles atmet und erblüht.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum6. Dez. 2013
ISBN9783944201627
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    Buchvorschau

    Der Wiederaufbau - Eugène Green

    Originalausgabe: La Reconstruction

    1. Auflage ACTES SUD, Paris 2008

    CIP - Titelaufnahme in die Deutsche Nationalbibliothek

    Eugène Green

    Der Wiederaufbau

    Aus dem Französischen von Schirin Nowrousian

    © 2012 by Sujet Verlag

    Titelbild: © Jon Rowlerson (www.fotos.org.uk)

    Layout: Sina Brandt, Sujet Verlag

    Umschlaggestaltung & Druckvorstufe: Sujet Verlag

    Digital Edition: Florian Bänsch

    Printed in Europe

    1. Auflage 2012

    ISBN: 978-3-944201-62-7

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    www.sujet-verlag.de

    Eugène Green

    Der Wiederaufbau

    Roman

    Aus dem Französischen übersetzt von

    Schirin Nowrousian

    Ko, Dieviņ, viens darīsi,

    Kad mēs visi nomirsim,

    Kad mēs visi gulēsim

    Zem zaļām velēnām?

    Was wirst du tun, Gott, ganz allein,

    Wenn wir alle tot sein werden,

    Wenn wir alle schlafen werden

    Unterm grünenden Gras?

    Lettische Daina

    I

    Der Mann verlässt den Pariser Vorortbahnhof und überquert die breite Straße, in der es von Autos, Menschen und exotischen Läden nur so wimmelt. Er biegt in eine Seitenstraße ab, wo plötzlich Stille herrscht, und auch die Fassaden der kleinen, aneinandergeklatschten Häuser überraschen. Der Mann, der einen hellen Regenmantel trägt und wohl Mitte fünfzig ist, nimmt die Häuser nicht wahr, so wie er auch die Läden und die Autos nicht wahrgenommen hat. Seine Augen sind auf den Bürgersteig geheftet, der sich vor ihm ausdehnt. Doch scheint er etwas anderes zu sehen.

    Er durchquert nun ein Viertel mit kleinen Häuschen, die einen winzigen Vorgarten haben. Er bleibt vor einem dieser Häuser stehen, öffnet das niedrige Gartentor, steigt ein paar Stufen hinauf und klingelt. Eine sehr alte Frau öffnet und bittet ihn herein.

    - Guten Tag, Mama, begrüßt er sie.

    - Guten Tag, Jérôme.

    Er gibt ihr auf jede Wange einen Kuss, dann schließt sie die Tür. Mutter und Sohn machen ein paar Schritte in den Flur hinein, und sie sagt, beinahe flüsternd:

    - Er ist im Wohnzimmer.

    - Wie geht es ihm?

    - Er wird sich freuen, dich zu sehen.

    Sie betreten ein Zimmer, das sich vom Vorgarten bis zum Garten hinter dem Haus erstreckt. Versunken in einem Sessel starrt dort ein Greis ins Leere. Er reagiert nicht auf die nun Anwesenden. Sie treten näher heran und stellen sich neben den Sessel, dann sagt die Mutter zu dem alten Mann:

    - Georges, sieh mal, wer da ist.

    Er hebt den Blick zu der Frau, die weiter ausführt:

    - Es ist Jérôme. Dein Sohn Jérôme ist gekommen, um dich zu sehen.

    Der Greis wendet sich dem jüngeren Mann zu, betrachtet ihn eine ganze Weile, und plötzlich klart seine Miene auf.

    - Jérôme, sagt er.

    - Guten Tag, Papa.

    - Du bist mein Sohn. Ich habe zwei Söhne.

    - Ja, Papa.

    Jérôme beugt sich zu seinem Vater herab und gibt ihm einen Kuss auf jede Wange.

    - Möchtest du einen Tee?, fragt die Mutter.

    - Nein, danke, Mama.

    - Dann lasse ich euch jetzt allein.

    Sie verlässt das Wohnzimmer. Jérôme nimmt sich einen Stuhl, stellt ihn in die Nähe des Sessels und setzt sich seinem Vater gegenüber, der weiterhin sein Gesicht mustert.

    - Wie geht es dir, Papa?

    - Sie werden kommen.

    - Wer?

    - Alle haben sehr große Angst.

    - Nein, Papa. Du brauchst keine Angst zu haben.

    - Ich habe zwei Söhne.

    - Ja, Papa, du hast zwei Söhne.

    - Michel ist mein Sohn.

    - Ja, Papa. Dein jüngster Sohn.

    - Aber sie haben Jérôme umgebracht.

    - Nein, Papa.

    - Sie haben ihn aus dem Haus gezerrt, dann haben wir die Schüsse gehört. Wir haben seinen Körper auf der Straße gefunden.

    - Nein, Papa. Der, den sie getötet haben, das war dein eigener Vater. Das war während des Krieges.

    - Mein Vater?

    - Ja.

    - Warum?

    - Er war im Widerstand.

    - Und Jérôme?

    - Er ist dein ältester Sohn.

    - Er ist nicht tot?

    - Nein, Papa. Jérôme, das bin ich.

    Er nimmt die Hand des alten Mannes und hält sie zwischen den seinen. Sein Vater sieht ihm in die Augen.

    - Du bist mein Sohn Jérôme, sagt er. Und sie haben dich nicht getötet.

    - Nein, Papa.

    Jérôme hat seinen Vater im Wohnzimmer allein gelassen und hat sich zu seiner Mutter an den Küchentisch gesetzt, und sie trinken Tee.

    - Es ist hart für dich, sagt der Sohn.

    - Früher, da war das Leben anders. Aber es ist normal, dass sich alles ändert.

    - Ist er immer so abwesend?

    - Mal mehr, mal weniger.

    - Er macht nicht den Eindruck, als leide er.

    - Nein, er leidet nicht. Für ihn ist alles, was er sagt, Wirklichkeit. Und manchmal, da bin ich so weit, die Dinge so zu sehen wie er.

    Der Sohn betrachtet eine Weile seine Mutter, dann sagt er:

    - Ich muss jetzt nach Hause, Mama.

    - Grüß Jana von mir.

    - Sie lässt dich auch grüßen.

    - Und Matthieu.

    - Wir sehen ihn nicht sehr häufig.

    Er gibt seiner Mutter einen Kuss auf jede Wange, so wie bei seiner Ankunft, dann macht er sich auf zum Bahnhof und geht dabei die gleiche Strecke wie auf dem Hinweg, nur jetzt in entgegengesetzter Richtung.

    Montag, den 7. April

    Heute habe ich meinen Vater gesehen. Sein Zustand ist stabil. Wir kommunizieren nur in kurzen, blitzartigen Momenten miteinander und durchstoßen dabei den Spiegel, der uns trennt. Aber wir haben immer schon in verschiedenen Welten gelebt.

    Er hat mich mit seinem Vater verwechselt und gesagt, dass ich von den Deutschen erschossen worden sei. Es ist nicht das erste Mal.

    Jérôme sitzt an einem großen Schreibtisch, in einem hellen Zimmer, dessen Fenster, zu seiner Linken, auf die alten Dächer zeigt, über denen man einen der Türme von Saint-Sulpice erkennt, den, der nicht fertiggestellt wurde, und der nicht seit fünf Jahren schon eingerüstet ist. Eine Etage tiefer, in derselben Wohnung, geht eine Tür auf und wieder zu. Der Mann lauscht einen Augenblick, dann verstaut er, nachdem er ihm wieder die Kappe aufgesetzt hat, seinen Füllfederhalter in der Innentasche seines Jacketts. Er klappt das Heft zu und legt es in eine Schublade des Schreibtischs. Jetzt steht er auf und verlässt den Raum.

    Über eine innere Wendeltreppe geht er nach unten und erreicht den Eingangsbereich der Wohnung, wo er vor einer Frau seines Alters steht, groß, blond, mit blauen Augen, die ihre Tasche auf eine kleine Kommode mit einem Spiegel darüber gestellt hat, und die gerade dabei ist, ihren Regenmantel auszuziehen. Sie hängt das Kleidungsstück an einen Garderobenhaken neben dem Spiegel und geht dann auf den Mann zu.

    - Guten Abend, Jérôme.

    - Guten Abend, Jana.

    Sie küssen sich.

    - Warst du bei deinen Eltern?, will sie wissen.

    - Ja. Mama lässt dich grüßen.

    - Wie geht es deinem Vater?

    - Wie immer.

    - Gibt es Nachrichten auf dem Anrufbeantworter?

    - Ich habe ihn noch nicht abgehört.

    - Ich kümmere mich drum.

    - Möchtest du, dass wir hier einen Aperitif trinken und dann im Restaurant zu Abend essen?

    - Das ist eine gute Idee. Ich bin in zehn Minuten bei dir.

    Jana kommt die Wendeltreppe wieder herunter. Sie hat sich frisch gemacht und umgezogen. Im Wohnzimmer setzt sie sich aufs Sofa neben Jérôme, der auf dem Couchtisch Gläser bereitgestellt hat.

    - Was möchtest du? Ich nehme einen weißen Martini.

    - Ich auch.

    Er steht auf, holt die Flasche aus einer kleinen Anrichte und bleibt stehen, um einzuschenken. Nach all diesen Handgriffen nimmt er wieder auf dem Sofa Platz. Das Paar hebt die Gläser, und sie prosten sich zu und trinken.

    - Waren nun Nachrichten auf dem Anrufbeantworter?

    - Nichts Besonderes. Es gibt da eine Nachricht für dich, die ziemlich seltsam ist: Ich hab sie drauf gelassen, damit du sie selbst hörst.

    - Wer ist es?

    - Das wirst du dann sehen.

    - Nichts von Matthieu?

    - Nein, nichts.

    - Vielleicht ist es besser so.

    - Du magst nicht, wenn dein Sohn anruft?

    - Er ruft nur an, wenn es ihm schlecht geht.

    Sie sind zurück vom Restaurant und nach oben gegangen. Jana ist ins Bad verschwunden. Im Schlafzimmer fällt Jérômes Blick auf den Anrufbeantworter, und er drückt auf den Knopf, um die Nachrichten eine nach der anderen abzuhören. Eine synthetische Frauenstimme ist zu hören: „Drei Nachrichten. Keine neue Nachricht. Dann, nach der Angabe – durch dieselbe synthetische Stimme – von Tag und Stunde des Anrufs, fängt eine Freundin von Jana an zu quatschen. Jérôme unterbricht sie, indem er auf den „Löschen-Knopf drückt, und die Stimme stürzt in den Abgrund. Dieselbe Behandlung lässt er seiner Mutter angedeihen, die bestätigt, dass sie ihn für den Nachmittag erwartet. Dann beginnt die Nachricht, die Jana erwähnt hatte. Es ist ein Mann mit einem ausländischen Akzent:

    „Guten Abend. Dies ist eine Nachricht für Professor Jérôme Lafargue. Sie kennen mich nicht. Ich heiße Johann Launer. Ich bin Deutscher. Ich bin für zwei Wochen in Paris, bis Ostermontag, und ich muss Sie unbedingt treffen. Ich werde mir erlauben, Sie später noch mal zu kontaktieren. Sollten Sie es wünschen, so können auch Sie mich im Hotel erreichen, unter der Nummer 01 63 90 67 59, oder aber auf meinem Mobiltelefon, unter der Nummer 0049 176 89 07 118. Danke."

    Jérôme hört sich die Nachricht ein zweites Mal an und notiert beide Nummern. Dann zieht er sich aus.

    Er hält ein Seminar in einem Raum der Sorbonne. Es ist Nachmittag, und durch die Fenster, die nach Westen zeigen, dringt schönes Frühlingslicht herein, das in regelmäßigen Abständen die Aufmerksamkeit der Studenten auf sich zieht. Der Professor, der sich dieser Konkurrenz vielleicht bewusst ist, spricht voller Energie.

    - In der heutigen Sitzung, der letzten vor den Osterferien, möchte ich damit beginnen, die, in der Lyrik des 20. Jahrhunderts – und dies trotz der Erschütterungen theologischen Glaubens – vorhandene Beständigkeit der Idee einer Fortsetzung des Lebens nach dem Tode zu ergründen. Ich hatte Sie gebeten, sich im ersten Teil der Sonette an Orpheus von Rilke einmal das fünfte Gedicht anzusehen. Für diejenigen unter Ihnen, die des Deutschen mächtig sind, lesen wir nun zunächst den Text im Original:

    Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose

    nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn.

    Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose

    in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn

    um andre Namen. Ein für alle Male

    ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht.

    Ists nicht schon viel, wenn er die Rosenschale

    um ein paar Tage manchmal übersteht ?

    O wie er schwinden muss, daß ihrs begrifft!

    Und wenn ihm selbst auch bangte, dass er schwände.

    Indem sein Wort das Hiersein übertrifft,

    ist er schon dort, wohin ihrs nicht begleitet.

    Der Leier Gitter zwängt ihm nicht die Hände.

    Und er gehorcht, indem er überschreitet.

    Könnte das wohl jemand übersetzen, sehr wörtlich, damit wir sichergehen können, dass auch jeder den Text versteht?

    Er erteilt einem Studenten in der ersten Reihe, der die Hand gehoben hat, das Wort. Es ist ein trotz seiner ziemlich langen und wild zerzausten Haare sehr ernst dreinblickender Junge. Er kommt der Aufgabe nach und gibt den Inhalt des Sonetts wieder. Als er geendet hat, sagt der Professor:

    - Das ist sehr gut. Könnten Sie den Sinn dieses Gedichts zusammenfassen?

    Der Junge mit den zerzausten Haaren überlegt einen Augenblick und antwortet dann:

    - Es ist ein Ausdruck der Nutzlosigkeit dessen, worum Sie mich bitten.

    Der Professor lächelt, und der Student fährt fort:

    - Keine intellektuelle Analyse kann das Geheimnis des Wortes, der Dichtung und vielleicht der Kunst ganz allgemein durchdringen. Die einzige Metapher, die uns helfen kann, sie zu verstehen, ist die Schönheit der natürlichen Welt, hier zum Ausdruck gebracht durch die Rosen, und diese Schönheit ist, grundsätzlich gesprochen, wirklich, ohne die Notwendigkeit einer Metapher oder einer Erklärung. Die Poesie ist ein Übergang zwischen Leben und Tod, eine Form von Unsterblichkeit, die, indem sie überschreitet, was wie ein Naturgesetz erscheint, dieses respektiert. Es ist unsere rationale Vision der Welt, die einen Fehler darstellt.

    - Das ist sehr tiefgründig, was Sie da sagen.

    Der Professor hebt den Blick, sodass das, was folgt, an alle Studenten gerichtet ist:

    - Behalten Sie diesen Gedanken im Kopf beim Erledigen Ihrer Arbeit für nach den Ferien und wenn Sie die anderen Gedichte aus der Liste, die ich Ihnen gegeben habe, analysieren. Ich glaube, dass das, was Ihr Kamerad gerade gesagt hat, von einer großen intellektuellen Reife zeugt, oder vielmehr von einem künstlerischen Feingefühl, und dass es Ihnen ein Schlüssel sein könnte.

    Diese Wertschätzung ruft bei dem Gemeinten ein winziges Lächeln hervor. Bei den anderen herrscht Grabesstille.

    Jérôme sitzt im Jardin du Luxembourg, auf einem der Metallstühle, vor einer Rasenfläche. Seine schwere Aktentasche steht neben ihm auf einem anderen Stuhl. Der Nachmittag geht zur Neige, und die Sonne ist immer noch sehr stark, doch enthält sie bereits einen Schimmer Abendlicht.

    Von Zeit zu Zeit blickt der Professor hinauf zu den hohen Ästen eines Kastanienbaums. Auf der andere Seite des Rasens küsst sich, auf einer Bank, ein Pärchen, und am Rande des Rasens, auf Stühlen wie dem seinen, diskutieren zwei Jungen, im Alter seiner Studenten, miteinander. Der Blick des Mannes wandert, aber niemand kann erahnen, was er sieht, noch, was er gerade denkt.

    Er hat soeben die Eingangstür der Wohnung geschlossen. Im Flur bleibt er einen Augenblick stehen, um zu lauschen: Man hört nur das Tick-Tack einer Wanduhr. Jérôme steigt die Wendeltreppe hoch, stellt seine Tasche ins Arbeitszimmer, geht dann ins Bad, um sich frisch zu machen, und nun steht er auf der Schwelle zu seinem Zimmer. Sein Blick fällt auf den Anrufbeantworter. Einen Augenblick lang verharrt er an der Tür, dann geht er in das Zimmer und auf das Gerät zu und er drückt auf den Knopf, um die Nachrichten abzuhören. Die synthetische Frauenstimme ist zu hören: „Drei Nachrichten. Drei neue Nachrichten."

    Die erste Nachricht stammt von derselben Freundin Janas, die schon am Vortag angerufen hat, und Jérôme betätigt eine Taste, um zur nächsten Nachricht zu springen, die wiederum lediglich das akustische Signal eines Anrufs ohne Nachricht ist. Schließlich erklingt die Stimme des unbekannten Deutschen: „Guten Abend Herr Lafargue. Johann Launer am Apparat. Ich hatte gestern angerufen und versuche nach wie vor, Sie zu erreichen. Ich gebe Ihnen noch mal meine Nummern…" Jérôme greift nach dem aufgeschlagenen Heft neben dem Telefon, um zu sehen, ob die Angaben mit denen, die er am Vortag notiert hat, übereinstimmen. Er löscht sogleich die Nachricht und legt das Notizbuch wieder hin. Dann geht er in sein Arbeitszimmer, setzt sich an seinen Arbeitsplatz und holt aus der Schublade das Heft, in das er seine Tagebucheinträge schreibt.

    Dienstag, den 8. April

    Heute habe ich mich beim Unterrichten weniger als sonst gelangweilt. Wir haben ein Rilke-Sonett gelesen, dessen Dreizeiler sehr schön sind, und der Beitrag eines Studenten hat mich tief berührt. Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, mich selbst in seinem Alter zu sehen. Aber dann war ich nicht der, der ich geworden

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