Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Schwarzmetall und Todesblei: Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen
Schwarzmetall und Todesblei: Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen
Schwarzmetall und Todesblei: Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen
eBook917 Seiten9 Stunden

Schwarzmetall und Todesblei: Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Was schätzen Black- und Death-Metal-AnhängerInnen an ihrer Musik? Wie finden sie Zugang zu dieser und zu den entsprechenden Szenen? Inwieweit bringen sich die SzenegängerInnen aktiv in die musikalische Praxis des Black- bzw. Death Metal ein? Und teilen sie über ihre musikalische Vorliebe hinaus weitere Gemeinsamkeiten, etwa ihre soziale Herkunft, ihr Bildungsniveau oder ihre parteipolitische Orientierung betreffend?
Antworten auf Fragen wie diese liefert die vorliegende empirische Grundlagenstudie, in der Black Metal und Death Metal als zwei komplexe musikalische und kulturelle Phänomene der Gegenwart vergleichend untersucht werden. Mit einer Vielzahl an qualitativen und quantitativen Ergebnissen bietet das Buch eine Momentaufnahme der Szenen in Deutschland und trägt auf diese Weise zu einer Fundierung des aktuellen Diskurses über extreme Formen des Metal bei.
SpracheDeutsch
HerausgeberHirnkost
Erscheinungsdatum3. Aug. 2014
ISBN9783943774320
Schwarzmetall und Todesblei: Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen

Ähnlich wie Schwarzmetall und Todesblei

Titel in dieser Serie (2)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Musik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Schwarzmetall und Todesblei

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Schwarzmetall und Todesblei - Sarah Chaker

    Binas-Preisendörfer

    1. EINLEITUNG

    Ein Sommer Ende der 1990er Jahre, ein kleines Alternative-Rock-Festival irgendwo in Ostdeutschland. Es ist Spätnachmittag, die Sonne scheint, es riecht nach Selbstgegrilltem und allgemeine Bierglückseligkeit liegt in der Luft. Ich liege mit geschlossenen Augen vor meinem Zelt und lausche amüsiert der mehr oder weniger abstrusen Konversation meiner Freunde, ohne mich an dieser zu beteiligen. Direkt vor mir türmt sich ein riesiger Bierdosenberg auf, das Ergebnis gemeinschaftlicher Anstrengungen der letzten Tage und unser ganzer Stolz (für die Nachgeborenen: Das Dosenpfand gab es damals noch nicht, man bezahlte noch mit der D-Mark und unsere Handys hatten die Größe und das Gewicht eines Ziegelsteins). Von der Festivalbühne dringt gedämpft Musik herüber und vermischt sich mit den jodelnden Gesängen von Helge Schneider („Es gibt Reis, Baby"), mit welchen unsere Nachbarn den halben Zeltplatz zu beschallen pflegen. Ich genieße die entspannte Atmosphäre und bin kurz davor wegzunicken, als sich langsam ein Wandel in der Stimmung in mir festzusetzen beginnt. Es ist ein schleichender Umschwung, mehr gefühlt als gewusst, den ich mir zunächst nicht erklären kann, denn augenscheinlich hat sich nichts verändert: Die Sonne strahlt weiterhin ungetrübt von einem wolkenlosen Himmel, unser Dosenberg steht noch und die Menschen in meiner näheren Umgebung benehmen sich nicht anders als zuvor. Irritiert beobachte ich meine Umwelt.

    Es dauert eine Weile, bis mir aufgeht, dass der eigenartige Stimmungswandel etwas mit der Musik zu tun haben könnte, die undeutlich von der Bühne herüberwabert. Neugierig geworden, raffe ich mich auf und spaziere in Richtung Tribüne. Der Sound macht einen unglaublich dichten, gepressten Eindruck. Hämmernde Schlagzeug-Beats in unfassbarer Geschwindigkeit, regelmäßig und monoton wie ein Uhrwerk, vermengen sich mit dem Klang stark verzerrter Gitarren, die in meinen Gehörgängen sägen und lange, imposante Melodiebögen malen. Darüber entfaltet sich ein infernalisches Geschrei – ein Keifen und Kreischen, ein Ächzen und Stöhnen, ein Krächzen und Krähen – intensiv, kalt, hasserfüllt und wie nicht von dieser Welt. Ich bin entzückt und lausche bei herrlichem Sonnenschein gebannt meinem ersten Black-Metal-Konzert.

    Seit diesem Erlebnis sind viele Jahre vergangen und meine Faszination für extreme Spielarten des Metal ist ungebrochen, hat sich im Verlauf der Zeit aber verändert (für Details vgl. Kap. 3.2.2): Von einer begeisterten Zuhörerin wurde ich zur Szenegängerin, stieg später zur Veranstalterin und damit in die regionale Szene-„Elite" auf, gab diese Funktion nach einer gewissen Zeit wieder auf und inspiziere seit einigen Jahren als wissenschaftliche Beobachterin die Szenen von ihren Rändern aus (vgl. metal.de o.J.).

    Das Erfahrungswissen, das aus dieser Multiperspektivität resultiert, habe ich mir für meine Dissertation zunutze gemacht, welche im Jahr 2012 unter dem Titel Schwarzmetall und Todesblei. Musikalische Praxis und juvenile Vergemeinschaftung in den Black- und Death Metal Szenen Deutschlands. Eine triangulative Studie am Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg begutachtet wurde. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht überarbeitete Version meiner Doktorarbeit. So habe ich kritische Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge meiner BetreuerInnen in den Promotionsgutachten sowie Hinweise der Disputationskommission dankbar zum Anlass genommen, die Studie – wo nötig – inhaltlich zu modifizieren.

    WORUM GEHT ES?

    Schwarzmetall und Todesblei – wer sich mit Black- und/oder Death-Metal-Musik und den AnhängerInnen in den entsprechenden kulturellen Kontexten befasst, wird im Diskurs der Szenen im deutschsprachigen Raum gelegentlich auf die – meist augenzwinkernd-ironisch gebrauchten – Übersetzungen der englischen Begriffe stoßen.

    Eine (inzwischen aufgelöste) Brutal-Death-Metal-Band aus der Schweiz firmierte einige Jahre unter dem Namen Todesblei, ihr erstes und einziges Full-Length-Album aus dem Jahr 2003 trägt den aussagekräftigen Titel Splittergranatendauerbombardement. Das österreichische Webzine Stormbringer kündigte im Frühjahr 2010 das neue Album der schwedischen Death-Metal-Band Grave mit den Worten an: „Neues Todesblei ‚Burial Ground‘ kommt im Juni." (Stormbringer o.J.) Die Mainzer Black-Metal-Band Nocte Obducta benannte ihr drittes Album aus dem Jahr 2001 mit Schwarzmetall – Ein primitives Zwischenspiel. Und in Berlin organisiert ein Veranstalter seit dem Jahr 2005 regelmäßig Black-Metal-Partys und -Konzerte unter dem Namen Schwarz Metall für Schwärzeste Wälder, wobei der Name Programm ist: Der Reinerlös der Events fließt nach Veranstalter-Angaben in Naturschutzprojekte (vgl. Abb. 1).

    Hinter den Bezeichnungen „Black Metal und „Death Metal verbergen sich zwei Formen gegenwärtiger musikalischer Praxis, die beständig im Wandel begriffen sind. Welche klanglichen Texturen, Inhalte oder Verhaltensweisen unter die Begriffe gefasst werden, divergiert je nach Zeit und Ort, wobei es den AnhängerInnen in den konkreten lokalen Kontexten obliegt, auszuhandeln, was unter Black- bzw. Death Metal jeweils verstanden werden soll.

    Abb. 1: Schwarz Metall für schwärzeste Wälder: Werbe-Flyer (Vorder- und Rückseite) aus dem Jahr 2006 für eine Black-Metal-Veranstaltungsreihe in Berlin (© Ralf und Steffen von Schwarz Metall für schwärzeste Wälder, vgl. Schwarz Metall o.J.)

    Black Metal und Death Metal sind Teil des Metal-Universums¹ und begannen sich in den 1980er Jahren in scharfer gegenseitiger Abgrenzung in und aus diesem herauszubilden. Heute werden Black- und Death Metal teilweise unter der Meta-Kategorie „Extreme Metal zusammengefasst (vgl. z.B. Kahn-Harris 2007). Die vorliegende Arbeit richtet den Blick dagegen nicht nur auf Gemeinsamkeiten, sondern auch und vor allem auf „die feinen Unterschiede (vgl. Bourdieu 1982), die zwischen Black Metal und Death Metal bestehen. Diese feinen Abweichungen sind für die entsprechenden kulturellen Felder deshalb relevant, weil die AnhängerInnen über sie bedeutungsvolle Differenz erschaffen, die eine Absetzung der musikalischen Praxen und Gemeinschaften voneinander und damit ihre Wahrnehmung als eigenständige Phänomene überhaupt erst ermöglicht (vgl. exemplarisch Chaker 2011a: 226ff.). Dem mikrosoziologischen Blickwinkel entsprechend werden Black Metal und Death Metal in dieser Arbeit vergleichend untersucht.

    Sowohl Black Metal als auch Death Metal haben inzwischen internationale Verbreitung gefunden und werden global vermarktet. Mit den Begriffen „Schwarzmetall und „Todesblei im Titel des Buches ist bereits näher auf den geographischen Raum verwiesen, auf den die vorliegende Publikation fokussiert: Es werden Umgangsweisen von Black- und Death-Metal-AnhängerInnen in Deutschland mit ihren Musiken untersucht, d.h., diese Arbeit stellt Informationen darüber zur Verfügung, wie zwei globale Musikformen in konkreten lokalen Zusammenhängen angeeignet werden und welche Bedeutungen sie dort erlangen.

    FORSCHUNGSGEGENSTAND UND ERKENNTNISINTERESSE

    Hauptanliegen dieser Studie ist es, einen empirisch fundierten und inhaltlich breit gefächerten Überblick über die bisher noch unzureichend erforschten Phänomene Black Metal und Death Metal zu geben. Dabei werden Black Metal und Death Metal als zwei Formen gegenwärtiger musikalischer Praxis und als juvenile Gesellungsgebilde untersucht.

    Der Begriff der musikalischen Praxis im Sinne Kurt Blaukopfs (vgl. hierzu ausführlich Kap. 2.1) basiert auf der Auffassung, dass Musik nicht eine stabile Entität darstellt, sondern ein ständiges Werden, einen Prozess, und sich als solche permanent wandelt. Hervorgebracht und in Gang gehalten durch das produktive Handeln von Menschen in alltäglichen Interaktionen, lässt sie sich als eine bedeutungsbildende Praxis begreifen, die – je nach historischem, sozialem, kulturellem und situativem Kontext – von Menschen unterschiedlich angeeignet und beurteilt wird (vgl. Blaukopf 1982, in Rekurs auf denselben Chaker 2011a: 214, 2013b: 39). Selbst innerhalb einer Kultur oder Gesellschaft gibt es keine dauerhaft feststehenden Bedeutungszuschreibungen an Musik, sondern lediglich verfestigte Bedeutungsmuster, die alltäglich neu verhandelt werden und sich damit ständig ändern (vgl. ebd.).

    In der vorliegenden Arbeit interessiert, wie Black- und Death-Metal-AnhängerInnen in Deutschland mit ihren Musiken umgehen. Was schätzen sie an ihrer Musik und wie deuten sie diese diskursiv und körperlich aus? Wie finden sie Zugang zu Black- bzw. Death Metal und den entsprechenden „Szenen"? Inwieweit bringen sie sich aktiv in die jeweilige musikalische Praxis ein? Und verbinden die AnhängerInnen über ihre geteilte musikalische Vorliebe hinaus weitere Gemeinsamkeiten, etwa was ihre soziale Herkunft, ihr Alter, ihr Bildungsniveau oder ihre parteipolitische Orientierung angeht?

    Sollen Fragen wie diese beantwortet werden, müssen in der Analyse die kulturellen Kontexte mit in den Blick genommen werden, in denen sich die Musiken Black Metal und Death Metal ereignen und in denen sie Bedeutung erlangen. Als Resultate sozialer und kultureller Praxis lassen sie sich – losgelöst von den sozialen Beziehungen in den entsprechenden kulturellen Feldern und den Bedeutungszuschreibungen durch ihre AnhängerInnen – weder angemessen deuten noch erklären noch verstehen. Hierauf bezugnehmend, bilden nicht musikalische Produkte/Songs/ „Werke" den analytischen Ausgangspunkt dieser Arbeit, sondern die musikalische Praxis, die immer auch eine kulturelle und soziale Praxis ist (vgl. Wicke [1992] o.J., Chaker 2010: 265, 267).

    Der theoretischen Perspektive auf Black- und Death Metal als zwei Formen musikalischer Praxis liegt ferner die Beobachtung zugrunde, dass Musik (genauer: das Erklingende) das die Gemeinschaften „konstituierende Moment" (Langebach 2003: 22, vgl. auch Chaker 2004: 157ff., 226) bildet. Ohne sie gäbe es weder die entsprechenden kulturellen Kontexte noch die zahlreichen Nutzungs- und Verwertungszusammenhänge, die sich um die Musiken herum etabliert haben. Viele Aktivitäten der AnhängerInnen stehen in einem direkten Bezug zur Musik (in einer Band spielen, Tonträger kaufen und anhören, zu Musik tanzen, Konzerte besuchen, sich in Online-Foren über Bands informieren und austauschen etc.) und lassen sich so als musikalische Handlungen im weiteren Sinne auffassen. Der vorliegenden Studie liegt damit ein erweitertes Musikverständnis zugrunde, wie Kurt Blaukopf, ein Wiener Musiksoziologe, es im Rahmen seines Konzepts der musikalischen Praxis entwickelt und vertreten hat (vgl. Kap. 2.1.2).

    Black Metal und Death Metal werden in dieser Arbeit ferner als zwei Formen juveniler Vergemeinschaftung beschrieben und analysiert (vgl. Kap. 2.2). Hiermit geraten die kulturellen Kontexte, in welche die Musiken Black- und Death Metal eingebettet sind, näher in den Blick.

    In Abgrenzung zum Begriff „jugendlich, welcher primär auf ein „Jung-Sein im biologischen oder juristischen Sinne bezogen ist, wird hier das Adjektiv „juvenil zur Beschreibung der Gemeinschaften rund um Black- und Death Metal verwendet. Es verweist auf ein „sich jung fühlen, d.h. auf eine subjektive Haltung und mentale Disposition jenseits des biologischen Alters (vgl. Hitzler et al. 2005: 234), und kann damit auch auf Menschen Anwendung finden, die dem Teenie- oder Twen-Alter² längst entwachsen sind.

    Black- und Death-Metal-AnhängerInnen in Deutschland bezeichnen die Gemeinschaften, die sich um ihre Musiken herum gruppieren, selbst häufig als „Szenen. In Rekurs auf den Sprachgebrauch der AnhängerInnen wird der Begriff der „Szene in der vorliegenden Studie übernommen und theoretisch fundiert. Innerhalb der Wissenschaften bestehen, je nach Fachdisziplin, verschiedene theoretische Diskurse und Konzepte zu Formen juveniler Vergemeinschaftung, wobei „Jugendkultur(en), „Subkultur und „Szene zentrale Terminologien darstellen, die es darzulegen gilt und deren Erklärungswert für die Gemeinschaften rund um Black- bzw. Death-Metal-Musik zu prüfen ist. Vorläufig wird an dieser Stelle, auf das theoretische Szenekonzept des Dortmunder Soziologen Ronald Hitzler rekurrierend, „Szene folgendermaßen bestimmt: Szenen sind „[t]hematisch fokussierte kulturelle Netzwerke von Personen, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren und weiterentwickeln" (Hitzler et al. 2005: 20).

    Die adäquate Analyse der kulturellen Kontexte, in welche die Musiken Black- und Death Metal eingebunden sind, ist auch deshalb ein kompliziertes Unterfangen, weil diese Kontexte gewissermaßen doppelt codiert sind (vgl. Chaker 2011a: 215): Einerseits bestehen in ihnen eigene Regeln, kulturell-ästhetische Codes und Wissensbestände, andererseits sind sie dennoch „der Gesellschaft nichts Äußeres, sondern […]ein Teil von ihr" (ebd.), wobei in dem einen Kontext teilweise andere Konventionen und Verhaltensweisen erwartet werden und gültig sind als in dem anderen. Diese doppelte Verwicklung kann mitunter widersprüchliches Verhalten evozieren, etwa, wenn Black-Metal-AnhängerInnen sich ehrenamtlich für die Kirche engagieren (vgl. Kap. 10.2, vgl. Chaker 2011a: 214). Hieraus wird deutlich: Black- und Death Metal sind keine Phänomene, die irgendwo außerhalb von Gesellschaft existieren und stattfinden, sondern ihr inhärente Phänomene. Die Erforschung von Black- und Death Metal stellt damit keine Reise in ein „Parallel-Universum" dar, die aus der Gesellschaft herausführt, sondern im Gegenteil: Sie führt in ihr Inneres hinein und stellt eine Möglichkeit dar, am empirischen Beispiel zweier Musikformen und Szenen das Leben in gegenwärtigen (post)modernen Gesellschaften zu studieren.

    MOTIVATION

    In den meisten bisherigen Untersuchungen über Black- und/oder Death Metal sind die beiden Phänomene primär als ein „Problem behandelt und untersucht worden (meine eigene Magisterarbeit eingeschlossen, vgl. Chaker 2004): Symptomatisch hierfür sind zum Beispiel Fragen danach, ob Black- bzw. Death-Metal-Musik ihre AnhängerInnen aggressiv mache, ihre Gewaltbereitschaft fördere, sie zum Rechtsextremismus und/oder Satanismus verführe oder ähnliches. Im Grunde geht es bei solchen Fragestellungen darum, das „Gefahrenpotential dieser Musiken auszuloten, und zwar zum einen für die AnhängerInnenschaft selbst, zum anderen aber auch für „die" Gesellschaft (vgl. hierzu auch Roccor 2002: 24f.).

    Nach der Erarbeitung meiner Magisterarbeit war der Wunsch entstanden, von einer solchen reduktiven Perspektive auf Black- bzw. Death Metal Abstand zu nehmen. Ziel der vorliegenden Studie ist es vielmehr, diese beiden Phänomene möglichst „breit, d.h. in ihrer Komplexität und kulturellen Vielfalt zu untersuchen, wobei primär die Binnensicht der AnhängerInnen auf ihre Musik interessiert. Unter der Prämisse, dass sich ihr Umgang mit Black- bzw. Death Metal nicht von selbst erklärt, nicht „selbst-verständlich ist, sondern dass beide Musiken in den kulturellen Feldern, in die sie eingebettet sind, spezifische Bedeutungen erlangen, die es zu entschlüsseln und darzulegen gilt, offeriert diese Arbeit eine Art Übersetzungsleistung, welche Black- und Death Metal vor allem für Menschen, die diesen kulturellen Kontexten selbst nicht angehören, über diese aber etwas erfahren wollen, besser verstehbar macht (vgl. metal.de o.J.).

    Dass diese Übersetzungsleistung überhaupt notwendig ist, zeigt sich in Missverständnissen, die zwischen Black- und Death-Metal-AnhängerInnen und Menschen, die keinen Bezug zu diesen Musiken haben, mitunter bestehen. Meiner Beobachtung nach gehen diese Unstimmigkeiten oft auf Probleme bei der Bedeutungskonstruktion und -auslegung zurück (vgl. Chaker 2004: 254), d.h., Erscheinungsformen und Symbole des Black-bzw. Death Metal werden von Außenstehenden teilweise anders gedeutet als von den AnhängerInnen selbst (vgl. Chaker 2004: 162, 183, 248, 254, Chaker 2006b: 239, Chaker 2008c, Chaker 2010: 276, Chaker 2011a: 229). Die Perspektive der AnhängerInnenschaft herauszuarbeiten und zu vermitteln ist damit ein zentrales Anliegen dieser Studie.

    Dass hieran ein öffentliches Interesse besteht, habe ich in den letzten Jahren auf vielfältige Weise erfahren dürfen. So hatte ich wiederholt Gelegenheit, meine empirischen Ergebnisse auf nationalen und internationalen wissenschaftlichen Kongressen zu präsentieren. Des Weiteren publizierte ich zahlreiche Artikel zum Thema (vgl. z.B. Chaker 2007a, 2008c, 2011a und b, 2013a), deren zentrale Thesen und Erkenntnisse zum Teil auch Eingang in dieses Buch fanden. Um dies so transparent wie möglich zu gestalten, verweise ich an den entsprechenden Stellen auf die jeweiligen Publikationen. Aber auch jenseits der Wissenschaften wurde meine Forschungsarbeit zur Kenntnis und in Anspruch genommen. Neben Privatpersonen (insbesondere besorgte Eltern) erkundigten sich vor allem Jugend- und SozialarbeiterInnen sowie in der Erziehung Tätige nach den Studienergebnissen zu Black- und Death Metal, die für ihre alltägliche berufliche Praxis offenbar Relevanz besitzen. Daneben ist ein reges massenmediales Interesse an meiner wissenschaftlichen Arbeit zu konstatieren. Es berichteten u.a. der UniSPIEGEL, Deutschlandradio Wissen und der Deutschlandfunk (vgl. Pohlmann 2009, Balkow 2010, Ketterer 2009). Zuletzt war meine Expertise in größerem Umfang gefragt, als in Baden-Württemberg ein Referendar und Death-Metal-Musiker aus dem Schuldienst entfernt wurde, dem die unmittelbar mit seiner Musik verknüpfte visuelle Gewaltästhetik des Death Metal in Kombination mit pornographischen Darstellungen zum Verhängnis wurde (vgl. Buchmeier 2010; für eine ausführliche Analyse des Falles vgl. Chaker 2011a). Gerade auch die gesellschaftspolitische Relevanz meines Themas hat mich in meinen Forschungsbestrebungen in den letzten Jahren immer wieder neu bestärkt und motiviert.

    Neben der inhaltlichen Befassung mit dem Thema Black- und Death Metal bot mir die Erarbeitung dieser Studie auch die Möglichkeit, meine theoretischen und methodischen Kompetenzen zu erweitern (vgl. Chaker 2006b: 239). Die Auseinandersetzung mit Black- und Death Metal als zwei Formen musikalischer und kultureller Praxis zeigte mir als Musikwissenschaftlerin die Grenzen meines Faches auf und erforderte eine theoretische und methodische Neuorientierung. In der Beschäftigung mit Formen populärer Musik hieß es für mich auch, wegzukommen von normativen ästhetischen Wertsetzungen und von Vorstellungen von Musik als Objektiv-Schön-Seiendem, und stattdessen einen erweiterten Musik-Begriff und ein Verständnis von Ästhetik als etwas Subjektiv-Schön-Empfundenes zu entwickeln, das an die ursprüngliche, weite Bedeutung des griechischen Begriffs aísthesis im Sinn von „Sinneswahrnehmung und „sinnlicher Erkenntnis anschließt. (Black- und Death-Metal-)Musik, verstanden nicht als ein „Ding", sondern als ein Prozess, als eine signifizierende und diskursive Praxis (vgl. Wicke [1992] o.J., Wicke 1995), machte für mich eine Auseinandersetzung mit Theorien und Methoden aus anderen Forschungsdisziplinen notwendig, so dass dieser Arbeit ein interdisziplinärer Forschungsansatz zugrunde liegt. Theoretisch fanden Ansätze aus der (Kultur-)Soziologie, aus den Cultural Studies und der Kulturanthropologie, aus dem Bereich der Popular Music Studies, den Erziehungswissenschaften und der Ethnographie Eingang in meine Arbeit (vgl. Chaker 2008c, Chaker 2010: 268). Für die Analyse von Black- und Death Metal als zwei Formen musikalischer und kultureller Praxis erschienen Methoden der empirischen Sozialforschung geeignet, wobei qualitative und quantitative Elemente miteinander kombiniert wurden (sogenannter triangulativer Forschungsansatz, vgl. ebd., vgl. Kap. 3.1). Damit sind aus der Problematik unzureichend bzw. ungeeignet erscheinender musikwissenschaftlicher Methoden heraus in der vorliegenden Studie theoretische und methodische Konzepte auf ihren erkenntnistheoretischen Gehalt für aktuelle musikalische Phänomene kritisch betrachtet worden. Insofern hoffe ich, dass diese Arbeit für die gegenwärtige Musikforschung neben inhaltlichen auch mit theoretischen und methodologischen Erkenntniswerten verbunden ist, die für meine KollegInnen in der Scientific Community hoffentlich anregend und nützlich sein können.

    In den Szenen selbst ist mein Forschungsvorhaben ambivalent aufgenommen worden. Einerseits freuten sich viele SzenegängerInnen, dass sich jemand für sie und ihre Musikvorlieben interessiert. Mit dieser Studie war für sie sicherlich auch die Hoffnung auf eine intensive und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Thema Black- und Death Metal verbunden, die der sonstigen Art und Weise der Berichterstattung in den Massenmedien, die von vielen AnhängerInnen als oberflächlich und vorurteilsbehaftet empfunden wird, entgegensteht. Andererseits bestanden aber auch Bedenken gegenüber meinem Projekt. Gerade im Black Metal werden immer wieder Stimmen laut, die bezweifeln, dass eine adäquate wissenschaftliche oder journalistische Darstellung von Musik und Szene möglich ist. Das Sujet sei viel zu komplex, als dass es sich als Forschungsgegenstand eigne. Was Black Metal sei oder bedeute, das könne ohnehin nur nachvollziehen, wer selbst ein Teil der Szene sei (vgl. metal.de o.J.).

    Wenn ich mich mit der vorliegenden Arbeit anschicke, den Gegenbeweis anzutreten, bedeutet dies nicht, dass ich derartige Meinungen nicht ernst nehme. Einwände wie diese verdienen zweifellos Beachtung, und zwar nicht deshalb, weil ihnen inhaltlich zuzustimmen ist, sondern weil sich solche Abwehrversuche auch als Schutzbehauptungen deuten lassen, in denen kollektive Haltungen, Erfahrungen und Ängste zum Ausdruck kommen, deren Spuren zu verfolgen sind (vgl. ebd.). Wie noch gezeigt werden wird, haben Black- und Death-Metal-AnhängerInnen durchaus Grund, MedienvertreterInnen und mitunter auch WissenschaftlerInnen gegenüber skeptisch zu sein (vgl. Kap. 4.1). Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass sich inzwischen eine ganze Reihe von AutorInnen in ihren Arbeiten um eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema bemühen (vgl. Kap. 4.2 bis 4.4).

    Da in den Wissenschaften immer nur Ausschnitte aus der Realität untersucht werden können, ist es tatsächlich unmöglich, Black- bzw. Death Metal in ihrer ganzen Komplexität quasi „naturgetreu abzubilden (vgl. metal.de o.J.). Dies ist jedoch auch nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit. Sie versteht sich vielmehr als ein Beitrag zur Grundlagenforschung, der dem (akademischen, pädagogischen, gesellschaftlichen) Diskurs über Black- und Death Metal empirisch fundierte Daten zur Verfügung stellt, die den Phänomenen Black- bzw. Death Metal und ihren AnhängerInnen angemessen sind und auf die an den „Metal Studies (vgl. Kap. 4.2) interessierte ForscherInnen aufbauen können.

    Den Black- und Death-Metal-AnhängerInnen selbst als den eigentlichen ExpertInnen wird diese Arbeit nur zum Teil neue Einblicke gewähren. Vieles von dem, was sie hier nachlesen können, werden sie bereits wissen und als völlig „normal" begreifen (vgl. metal.de o.J.). Dass aber Alltagswissen mit Hilfe empirischer Methoden systematisch be- oder widerlegt und damit bewiesen wird, begreife ich als eine zentrale Aufgabe von Wissenschaft. Darüber hinaus steht außer Zweifel, dass man an Black- bzw. Death Metal in ästhetischer Hinsicht Freude habe kann, ohne das geringste Hintergrundwissen darüber zu besitzen, wie diese Phänomene zustande kommen. Mit anderen Worten: Musiken und Kulturen bedürfen der Wissenschaften nicht, um zu gefallen und um im Alltag reibungslos zu funktionieren. Dennoch mag es – so hoffe ich zumindest – durchaus SzenegängerInnen geben, die an einer Reflektion der Voraussetzungen und Bedingungen interessiert sind, die Black- und Death Metal als ästhetische Erfahrungen der Gegenwart ermöglichen. Um mit einer Analogie John Deweys zu sprechen:

    Man kann sich durchaus an der Farbenpracht und dem zarten Duft der Blumen erfreuen, ohne irgendwelche theoretischen Kenntnisse über Pflanzen zu besitzen. Will man jedoch den Vorgang des Blühens begreifen, so muß man sich zwangsläufig über die wesentlichen Bedingungen des Pflanzenwuchses, über das Zusammenwirken von Boden, Wasser, Luft und Licht informieren. (Dewey [1934] 1988: 10)

    AUFBAU DER ARBEIT

    Im Anschluss an diese Einleitung werden in Kapitel 2 die theoretische Rahmung der vorliegenden Studie expliziert und die zentralen theoretischen Begrifflichkeiten und Konzepte ausführlich erläutert. Im Fokus stehen dabei, wie weiter oben bereits erwähnt, Begriff und Konzept der musikalischen Praxis nach dem Wiener Musiksoziologen Kurt Blaukopf sowie das Szene-Modell nach dem Dortmunder Soziologen Ronald Hitzler et al., die sich im Verlauf der Forschungsarbeit als geeignete theoretische Beschreibungs- und Deutungsschablonen herausstellten.

    Kapitel 3 gibt einen ersten Überblick über das empirisch-methodische Vorgehen in dieser Arbeit. Dem primären Forschungsziel entsprechend – den Umgang von Black- und Death-Metal-AnhängerInnen in Deutschland mit ihrer Musik umfassend erschließen zu wollen – benötigte ich eine empirische Strategie, über die sich eine möglichst breite Erfassung der Phänomene Black Metal und Death Metal aus unterschiedlichen Perspektiven realisieren ließ. Indem qualitative und quantitative Methoden in einem zweistufigen Verfahren miteinander kombiniert wurden – ein Forschungsansatz, der in der empirischen Sozialforschung mit dem Begriff Triangulation beschrieben wird (vgl. Flick 2008) – ließen sich die Phänomene Black Metal und Death Metal aus unterschiedlichen Blickwinkeln registrieren und darlegen. Beide methodischen Strategien wurden dabei als gleichwertig betrachtet. Darüber hinaus werden in Kapitel 3 persönliche Bezüge zum Untersuchungsgegenstand transparent gemacht und die hieraus resultierenden Vor- und Nachteile für die vorliegende Studie reflektiert.

    In Kapitel 4 wird ausgewählte Fachliteratur zu Heavy-, Black- und Death Metal diskutiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Aufarbeitung aktuell verfügbarer wissenschaftlicher Studien, ferner wird auf den gegenwärtigen Trend zur akademischen Kanonisierung des Phänomens in den sogenannten Metal Studies eingegangen. In die Darlegung fließt außerdem eine kurze Besprechung jener populärwissenschaftlichen Quellen ein, die in der vorliegenden Studie Verwendung fanden.

    Die Kapitel 5 bis 7 umfassen den qualitativen Teil der Studie, wobei in Kapitel 5 zunächst das qualitative Methodendesign beschrieben wird. Aufgrund des derzeit noch unzureichenden Forschungsstands erachtete ich ein erkundendes Herangehen an Black- und Death Metal für sinnvoll. Hierfür bieten sich Methoden der qualitativen Feldforschung (teilnehmende Beobachtung, Feldgespräche, ergänzt durch ExpertInnen-Gespräche) an, über die sich soziale Prozesse ganzheitlich erfassen und analysieren lassen. Die Ergebnisdarstellung in Kapitel 6 lehnt sich an das Szene-Steckbrief-Modell nach Hitzler et al. (2005) an, deren Konzeption in der Anwendung auf Black- und Death Metal kritisch geprüft wurde. Dargestellt werden zum Beispiel „Rituale, „Symbole und „Events der Szenen, ferner wurde versucht, „Lebensstile sowie „Einstellungen" der AnhängerInnen auf Basis der qualitativen Erkenntnisse herauszuarbeiten und nachzuzeichnen. Die Szene-Steckbriefe ergänzend wird in Kapitel 7 beschrieben, wie eine Death-Metal-Musikproduktion im Tonstudio entsteht. Dieser Abschnitt basiert auf Felddaten, die während des Aufenthalts der Band Suffocate Bastard im Soundlodge-Tonstudio im Jahr 2006 akquiriert wurden.

    Die Kapitel 8 bis 11 umfassen den quantitativen Teil der Arbeit, der mit einer Beschreibung des quantitativen methodischen Vorgehens in Kapitel 8 beginnt. In diesem Abschnitt werden u.a. die zu prüfenden Hypothesen dargelegt, die aus den qualitativen Beobachtungen gewonnen und die mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens statistisch geprüft wurden. In den Kapiteln 9 bis 11 werden die Ergebnisse der quantitativen Befragung vorgestellt und diskutiert. Da es gerade an fundierten quantitativen Daten zu Black- und Death Metal derzeit noch stark mangelt, wurde in der Ergebnisdarstellung bewusst der Schwerpunkt auf eine Darlegung derselben gelegt. Dabei werden in Kapitel 9 zunächst einige demographische Daten zur Black- und Death-Metal-AnhängerInnenschaft in Deutschland vorgestellt (z. B. Alter, Geschlecht, Schulausbildung, Beruf, soziale Herkunft). Kapitel 10 liefert quantitative Auskünfte zum Leben der befragten AnhängerInnen in ihrer Alltagswelt (z. B. parteipolitische Orientierung, ehrenamtliches Engagement, Hobbys). Kapitel 11 fokussiert auf Details des Lebens der AnhängerInnen in ihrer Szenewelt (z. B. ihr Weg in die Szene, Dauer der Szenezugehörigkeit, Grad des Szeneengagements, Nutzung von Szenemedien). Aufgrund der Heterogenität der Inhalte erfolgt die Diskussion der jeweiligen quantitativen Daten stets direkt im Anschluss an die Ergebnisauswertung in den entsprechenden Unterabschnitten.

    In Kapitel 12 werden die zentralen Untersuchungsergebnisse, die mit Hilfe qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden gewonnen wurden, miteinander abgeglichen und zusammenfassend dargelegt. Im Schlusskapitel wird ferner die Praktikabilität der triangulativen Forschungsmethodik kurz reflektiert, darüber hinaus werden einige Anknüpfungsmöglichkeiten an die vorliegende Studie benannt.

    DANK

    In Bezug auf „Kunstwerke stellte der US-amerikanische Soziologe Howard S. Becker heraus, dass „der Künstler der Kooperation bedarf, damit ein Kunstwerk zu dem wird, was es letztendlich ist (vgl. Becker 1997: 28). Gleiches gilt meines Erachtens für die Arbeiten von WissenschaftlerInnen, und so habe ich vielen Menschen zu danken, die mich in den letzten Jahren auf ganz unterschiedliche Weise in meiner Forschungstätigkeit unterstützt haben und ohne die dieses Buch in seiner jetzigen Form nicht vorliegen würde.

    Susanne Binas-Preisendörfer hat sich, nachdem ich ihr ein Exposé meines Forschungsprojekts vorgelegt hatte, unkompliziert dazu bereit erklärt, die Betreuung meiner Dissertation zu übernehmen – was mit einem Thema wie dem meinigen im Bereich der Musikwissenschaften nach wie vor (leider) nicht selbstverständlich ist. Dafür ebenso herzlichen Dank wie für die vielen wertvollen Literaturhinweise und aufmunternden Worte in den letzten Jahren. Auch Alfred Smudits bestärkte und unterstützte mich in den vergangenen Jahren intensiv in meinen Forschungsbestrebungen. Beiden GutachterInnen wie auch dem Promotionsausschuss an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit Melanie Unseld und Thomas Alkemeyer danke ich für ihre konstruktiven Hinweise und Anregungen meine Dissertation betreffend, die ich gerne angenommen habe. Dem Archiv der Jugendkulturen Berlin e. V. bin ich bereits seit meinen Berliner Zeiten verbunden und freue mich umso mehr, dass meine Doktorarbeit in die wissenschaftliche Reihe des Verlags aufgenommen wird, wofür ich Klaus Farin herzlich danke. Gabi Vogel hat das Manuskript dieses Buches mit Argusaugen gesichtet und lektoriert – besten Dank für die effektive und konstruktive Zusammenarbeit, es war mir ein Vergnügen! Die Erarbeitung dieser Studie wäre faktisch unmöglich gewesen ohne ein Promotionsstipendium, das mir die Studienstiftung des deutschen Volkes gewährte. Neben der existentiellen Absicherung durch die finanzielle Förderung habe ich vor allem auch die informellen Förderungsangebote als bereichernd empfunden und sehr genossen – unvergessen der intensive Austausch mit vielen interessanten KollegInnen auf DoktorandInnentagungen, Sommerakademien und Sprachkursen, herzlichen Dank dafür. Mein Dank gilt ferner meinen KollegInnen am Institut für Musiksoziologie der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der Gesellschaft für Popularmusikforschung (GfPM) e. V., den immer zahlreicher werdenden „Metallectuals" in aller Welt, meinen FreundInnen sowie allen Menschen, die ich im Rahmen meiner Studie in den letzten Jahren kennenlernen und mich mit ihnen über meine Ideen zu Black- und Death Metal austauschen durfte. Nur einige wenige können hier namentlich genannt werden: Zuvorderst Inge und Dieter Karger, wertvolle Ratgeber, die über die Jahre zu Freunden wurden; des Weiteren Noraldine Bailer, Babette Cabrera-Krügel, Markus Krügel, Ronny Frohner, Tasos Zembylas und David Binder. Bernd Grünwald hat mit viel Liebe das Cover gestaltet – für die angenehme Zusammenarbeit vielen Dank. Claudia Schacher layoutierte in mühevoller Kleinarbeit dieses Buch mit seinen zahlreichen Tabellen und Graphiken – danke! Besonderer Dank gebührt allen Black- und Death-Metal-AnhängerInnen, die ich in den letzten Jahren im Feld beobachten und befragen durfte – ohne Eure Unterstützung wäre das Verfassen dieser Arbeit schlicht nicht möglich gewesen! Namentlich erwähnen will ich an dieser Stelle David Adamietz, Thorsten Bertram, Karsten Boehnke, Patrick Czerny und Stefan Brinkmann, (damals) Bandmitglieder bei Suffocate Bastard, die mich so unkompliziert an der Aufnahme ihres Debüt-Albums im Soundlodge Studio teilhaben ließen. Jörg Uken, Inhaber besagten Studios, vermittelte den Kontakt zur Band, lud mich in sein Studio ein und quartierte mich für die Zeit der Feldbeobachtung sogar in das Zimmer seiner Tochter ein – danke für so viel Hilfsbereitschaft! Meiner geliebten Familie danke ich für ihren bedingungslosen Rückhalt, was meine Arbeit angeht. Tatsächlich ließ mir die im Wochenrhythmus beharrlich wiederkehrende (und durchaus berechtigte) telefonische Nachfrage meiner Mutter („Wann gibst du denn jetzt ENDLICH deine Arbeit ab?") irgendwann die Fertigstellung der Dissertation als das kleinere Übel erscheinen … Meiner Schwester Samia, selbst Wissenschaftlerin, gilt dabei besonderer Respekt und Dank für ihre Geduld, Unterstützung und wichtigen Ratschläge. Schließlich: Torben Waleczek, Seelengefährte und treuer Freund, der die Entstehung dieser Arbeit über Jahre hinweg aufmerksam verfolgt und immer wieder klug kommentiert hat. Ihm ist in großer Dankbarkeit dieses Buch gewidmet.

    2. THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN UND BEGRIFFE

    In diesem Kapitel werden die wichtigsten theoretischen Überlegungen und Begriffe dargelegt, welche mein Nachdenken über Black- und Death-Metal-Musik und ihre AnhängerInnenschaft begleitet haben und anleiten. Im Verlauf meiner Forschungsarbeit kristallisierten sich Begriff und Konzept der musikalischen Praxis nach dem Wiener Musiksoziologen Kurt Blaukopf sowie das Szene-Modell nach dem Dortmunder Soziologen Ronald Hitzler und seinen MitarbeiterInnen als geeignet erscheinende theoretische Beschreibungs- und Deutungsschablonen heraus.

    Anders als die Stellung des Theoriekapitels zu Beginn dieses Buches möglicherweise suggeriert, markierte die Wahl der genannten theoretischen Modelle nicht den Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung, sondern stellt vielmehr bereits eines ihrer Ergebnisse dar. Anstatt Black- und Death Metal a priori in ein vorgefasstes Theoriekorsett zu pressen, das diesen Phänomenen eventuell gar nicht angemessen ist, erfolgte die Auswahl der theoretischen Konzepte im Zuge der Analyse des empirischen Datenmaterials unter der Prüfung ihrer besonderen Eignung, Black- und Death Metal theoretisch angemessen zu beschreiben und zu veranschaulichen. Insofern rahmen die theoretischen Konzepte diese Studie, leiten sie aber nicht an. Dieses Herangehen ist ganz im Sinne der Wiener Schule der Musiksoziologie, in welcher bewusst davon abgesehen wird, „vorfabrizierte Theorien, Methoden und Kategorien an den Gegenstand der Untersuchung heranzutragen. Sie [Musiksoziologie im blaukopfschen Sinn; Anm. d. Verf.] entwickelt ihre Kategorien, Methoden und Theorien vielmehr immanent aus dem Gegenstand der Untersuchung" (Blaukopf [1969] 2010: 94).

    Im folgenden Unterkapitel 2.1 werden Black Metal und Death Metal zunächst als zwei Formen gegenwärtiger musikalischer Praxis im Sinne Kurt Blaukopfs beschrieben. Damit wird die Perspektive verdeutlicht, aus der die beiden Phänomene in dieser Arbeit betrachtet werden: Ausgehend von einem erweiterten Musik-Begriff werden Black- bzw. Death Metal als bedeutungsbildende Praxen aufgefasst, als Prozesse, hervorgebracht in und aufrechterhalten durch die alltäglichen Interaktionen der AnhängerInnen in den entsprechenden sozialen Kontexten. Demgemäß werden Black- und Death Metal in dieser Studie weder allein unter sozialwissenschaftlichen Prämissen untersucht, noch gehe ich vom „Werk und damit von traditionellen musikwissenschaftlich-analytischen Denk- und Verfahrensweisen aus. Mein Bestreben ist es vielmehr, die Kluft zwischen geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen – selbst eine Konstruktion und Ergebnis wissenschaftlicher Praxis – zu verringern und Musik und Mensch möglichst zusammen zu denken. Die Verortung der vorliegenden Studie im Fachgebiet Musiksoziologie, einer Wissenschaftsdisziplin, die an der Schnittstelle von Musik(en) und Gesellschaft(en) operiert, erscheint damit folgerichtig. Ferner wird hinterfragt, inwiefern „Nischen-Musiken wie Black- oder Death Metal, die in quantitativer Hinsicht vergleichsweise gering verbreitet sind, Formen populärer Musikpraxis darstellen.

    In Kapitel 2.2. werden verschiedene theoretische Konzepte zu Formen juveniler Vergemeinschaftung in ihren unterschiedlichen Auslegungen – je nachdem, ob sie in den Wissenschaftsdisziplinen Soziologie, Kulturanthropologie, Erziehungswissenschaften oder Cultural Studies angesiedelt sind – überblicksartig dargelegt. „Jugendkultur, „Subkultur und „Szene" bilden dabei die zentralen zu erläuternden Begriffe. Inwiefern sie für die Gemeinschaften rund um Black- bzw. Death-Metal-Musik Erklärungswert besitzen, wird im Schlusskapitel dieser Arbeit auf Basis des empirischen Datenmaterials rekapituliert.

    2.1 MUSIKALISCHE PRAXIS

    2.1.1 MUSIK ALS MEDIUM

    Auf der Suche nach einem theoretischen und methodischen Zugang, mit dem sich die Phänomene Black Metal und Death Metal auf eine ihnen möglichst angemessene Weise erfassen und beschreiben lassen, stieß ich im Jahr 2008 auf Begriff und Konzept der musikalischen Praxis nach dem Wiener Musiksoziologen Kurt Blaukopf. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Auswertung der bis dato erhobenen empirischen Daten bereits ergeben, dass das, was im Black- bzw. Death Metal erklingt, für die AnhängerInnen von zentraler Bedeutung ist und damit „Musik (dem Allgemeinverständnis nach) das diese Gemeinschaften konstituierende Moment (vgl. Langebach 2003: 22) bildet. Was „Musik in Zusammenhang mit Black- bzw. Death Metal jedoch eigentlich meint, ist gar nicht so klar und eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag – das zeigten Nachfragen, die auf das Musik-Verständnis der AnhängerInnen abzielten. Soll sich „Musik allein auf das, was im Black- bzw. Death Metal erklingt, beziehen? Gehören die Songtexte noch zu den klanglichen Texturen dazu oder schon nicht mehr? Wie sieht es mit den Performances der Bands auf der Bühne oder in Musikvideos aus, wie mit ihren Inszenierungen auf CD-Booklets und in Szene-Magazinen? Wie verhält es sich, wenn AnhängerInnen zu ihrer Musik tanzen und mit den Diskursen, die sie über ihre Musik führen – sind diese Aktivitäten (noch) als Teil von „Musik zu denken? Wie steht es mit szenespezifischer Kleidung, Gestik und Mimik – sind diese vorstellbar ohne das, was klingt?

    Meinen Feldforschungsdaten zufolge steht für die Black- und Death-Metal-AnhängerInnen das Erklingende relativ klar im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieses schreibt sich allerdings so in die kulturellen Kontexte und sozialen Praktiken der AnhängerInnen ein und fort (in die Symbole und Rituale der Szenen, in Songtexte und Bilderwelten, in Haltungen und Verhaltensweisen der AnhängerInnen, in ihre Diskurse und Körper), dass zu überlegen ist, ob und inwiefern eine analytische Trennung der in der Praxis eng ineinander verwobenen Ebenen Sinn macht, erschließt sich ihre Deutung häufig doch erst aus ihrem Zusammenspiel (und nicht aus der isolierten Betrachtung einzelner Elemente). Dass sich zum Beispiel ein Black- von einem Death-Metal-Fanzine in seiner optischen Aufmachung unterscheidet, dass der Habitus der Death-Metal-AnhängerInnen ein anderer ist als der der Black-Metal-AnhängerInnen, dass die Inhalte der Musiken zum Teil divergieren, in jedem Fall aber unterschiedlich gehandhabt und angeeignet werden – dies alles ist eben kein „Zufall", sondern steht in Zusammenhang mit der spezifischen Verfasstheit des Klanglichen in Black- bzw. Death-Metal-Musik. Peter Wicke hat schon früh in Zusammenhang mit populären Musiken für einen medialen Musikbegriff plädiert (vgl. z.B. Wicke [1992] o.J.) und meine empirischen Daten bestätigen die Plausibilität seiner Annahme. Tatsächlich durchdringt das Klangliche im Black- und Death Metal wie ein Medium die verschiedenen Ebenen, zu denen es in Beziehung steht. Diese Beobachtungen machten in theoretischer Hinsicht einen erweiterten Musik-Begriff notwendig, der nicht auf die klanglichen Texturen allein bezogen bleibt, sondern es erlaubt, die sozialen und kulturellen Praktiken in den entsprechenden Gemeinschaften mit zu denken und mit zu berücksichtigen. Kurt Blaukopfs musiksoziologisches Programm, dessen Herzstück das Konzept der musikalischen Praxis bildet, bietet eine solche erweiterte Perspektive.

    2.1.2 KURT BLAUKOPFS BEGRIFF UND KONZEPT DER „MUSIKALISCHEN PRAXIS"

    Kurt Blaukopf, Wegbereiter des Fachgebiets Musiksoziologie in Österreich, verwendete den Begriff der „musikalischen Praxis bereits im Jahr 1955, wie sich seinen Ausführungen zum Stichpunkt „Musik im Wörterbuch der Soziologie (vgl. Bernsdorf/Bülow 1955: 342ff.) entnehmen lässt. Dort formulierte er als zentrale Aufgabe von Musiksoziologie die „Sammlung aller für die musikalische Praxis relevanten gesellschaftlichen Tatbestände, Ordnung dieser Tatbestände nach ihrer Bedeutung für die musikalische Praxis und Erfassung der für die Veränderung der Praxis entscheidenden Tatbestände" (ebd.: 342).

    Einen zentralen Ausgangspunkt in Blaukopfs Überlegungen zur Musiksoziologie bildet die in Anschluss an Max Webers Fragment gebliebene Schrift Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik (vgl. Weber 1972; 1912/13 verfasst, 1921 posthum zunächst im Anhang von Wirtschaft und Gesellschaft publiziert; vgl. ebd.) getroffene Feststellung, dass es nicht „die Musik gibt, sondern allenfalls „Musiken, die sich nicht nur durch das verwendete Tonmaterial, durch Struktur und Form voneinander unterscheiden, sondern auch in der Rolle, die sie im gesellschaftlichen Leben spielen (Blaukopf 1982: 11). Blaukopf ist dabei besonders an den „gesellschaftlichen Tatbeständen interessiert, die Veränderungen in der musikalischen Praxis evozieren (vgl. ebd.: 21). Insofern begreift er Musik nicht als ein stabiles Sein, sondern als ein „stetiges Werden, eine These, die vor allem musikethnologische Forschungen belegt haben und belegen.

    So zeigte beispielsweise der Musiksoziologe und -ethnologe Christan Kaden auf, dass bei den Suya, einer brasilianischen indigenen Kultur, oder bei den Kaluli, einer Papuakultur, „Musik als ein abstrakter Oberbegriff ebenso wenig existiert wie Ideen vom „rein Musikalischen (vgl. Kaden 2004: 21ff. und 1993: 19ff.). Die Abspaltung des Erklingenden vom Körperlichen und/oder Sprachlichen, wie sie sich in der abendländischen Musikgeschichte im Bereich der sogenannten Kunstmusik ereignete, sei also keineswegs als der Normalfall zu betrachten, sondern vielen Kulturen unbekannt, weil in diesen Musik mit allen Sinnen erlebt und erfahren werden müsse, um verstanden zu werden und um Anschlusshandlungen anzuregen (vgl. ebd.). Dementsprechend ist laut Kaden in den genannten Kulturen dann auch nicht von „der Musik die Rede, sondern Musik wird durch verschiedene Einzelbegriffe beschrieben, die sich auf konkrete musikalische Aktivitäten beziehen, wie „Tanzen, „Spielen und „Singen oder Kombinationen aus diesen Aktivitäten. Kaden plädiert dafür, diese

    Abwesenheit oberbegrifflicher Verallgemeinerungen und „Spezifikationen" weniger als Mangel zu bewerten, denn als Ausdruck von Reichtum und Differenzierungsvermögen – und darüber hinaus als Resultat eines Denkens, das mit abendländischer Logik nur bedingt zu vereinbaren ist (Kaden 2004: 20).

    Auch Blaukopf besteht ausdrücklich auf einem weiten Musikverständnis: Musiken jeglicher Art und aus aller Welt könnten und sollten Gegenstand von Musiksoziologie sein. Dies schließt Werke europäischer Kunstmusik ebenso mit ein (ohne diese jedoch zum alleinigen Gegenstand musiksoziologischer Betrachtung zu machen) wie sämtliche Formen nicht-notierter Musik, etwa volkstümliche Musiken oder Spielarten populärer Musik. Denn:

    Nicht vom musikalischen Kunstwerk, einem historisch späten Phänomen, wird hier ausgegangen, sondern von der Praxis, von der Musik als gesellschaftlichem Handeln, das älter ist als die in Schriftform notierte Musik und das auf einer bestimmten Stufe der gesellschaftlich-technischen Entwicklung das „musikalische Kunstwerk" erst gebiert. (Blaukopf 1982: 20f.)

    Insofern werden Veränderungen in musikalischen Ausdrucksformen bei Blaukopf auch nicht als „Fortschritt oder „Weiterentwicklung gewertet, sondern neutral als Umformungen gedeutet. Normative Setzungen wie die Einteilung von Musik in „Ernste Musik und „Unterhaltungsmusik oder die Unterscheidung von „Hoch- und „Trivialkultur erübrigen sich dadurch. In diesem Sinne werden in der vorliegenden Studie auch Black Metal und Death Metal wertfrei als zeitgenössische musikalische und kulturelle Phänomene betrachtet, deren Genese vor dem Hintergrund noch näher zu spezifizierender historischer, ökonomischer, politischer, gesellschaftlich-kultureller und situativer Umstände nicht zwingend, aber zumindest wahrscheinlich erscheint.

    Neben der interkulturellen Perspektive impliziert Blaukopfs Musik-Begriff noch in einer anderen Hinsicht eine Ausweitung. In Rekurs auf den österreichischen Mathematiker Richard von Mises und seiner Idee der „Kunstübung, mit der dieser forderte, „daß sich Kunstforschung nicht bloß den Werken zuwenden sollte, sondern dem gesamten Umgang des Menschen mit den Künsten (zit. nach Blaukopf [1969] 2010: 89), will auch Blaukopf „alle Arten des Umgangs mit Musik (ebd.) in den Blick genommen wissen. Blaukopfs musikalischer Praxis-Begriff bezieht sich dementsprechend nicht auf das „praktisch Erklingende oder die Tätigkeit des Musizierens allein, sondern erstreckt

    sich auf alle Handlungen und Unterlassungen im musikalischen Bereich […] ebenso wie auf beobachtbare Verhaltensmuster. Auch die theoretische Reflexion über diese musikalische Praxis selbst, das heißt das Denken über Musik, welches auf der jeweiligen Praxis beruht und diese zu steuern vermag, wird als Teil dieser gesellschaftlich-musikalischen Praxis zu verstehen sein (Blaukopf 1982: 21).

    Dementsprechend breit wird auch in dieser Studie der Umgang der Black- und Death-Metal-AnhängerInnen in Deutschland mit ihrer Musik untersucht.

    Mit seinem Konzept der „musikalischen Praxis gelang es Blaukopf, sich von den zu seiner Zeit vorherrschenden, eurozentrischen und oft einseitig auf das musikalische „Kunstwerk als autonomen Gegenstand fokussierten musikwissenschaftlichen Positionen zu distanzieren und die Genese von Musiksoziologie als einer notwendigen und eigenständigen Disziplin zu begründen. In seinem Manuskript Musiksoziologie. Ein Entwurf zu Gegenstand und Methode schrieb Blaukopf im Jahr 1969: Mit dem

    Akzent auf die gesellschaftlich-praktische Aktion hebt sich die Musiksoziologie von einer primär philologisch orientierten Musikwissenschaft ab, die über die Betrachtung der in Schriftsymbolen festgehaltenen oder entworfenen Schallereignisse nur ausnahmsweise hinausgeht. […] Die Erweiterung des Forschungsfeldes der Musikwissenschaft ist schon 1885 von Guido Adler empfohlen worden, der von ihr die Untersuchung der Relation der Musik „zur Kultur, dem Klima, den nationalökonomischen Verhältnissen" gefordert hat (Blaukopf [1969] 2010: 97).

    Die Ansicht, dass Musikforschung heute, sofern sie sich auf gegenwärtige Musikformen einlässt, immer auch Kultur- und Gesellschaftsforschung ist, hat sich inzwischen auch im Bereich der Musikwissenschaften weitgehend durchgesetzt:

    Versteht man Forschung nicht allein als Versuch der Rekonstruktion von kulturellen Zusammenhängen vergangener Zeiten, sondern auch als gegenwartsbezogene Aufgabe, dann ist es zentrales Anliegen von Musikwissenschaft, die Musik und das Musikleben der heutigen Zeit im Wechselspiel von geschichtlichen Traditionen und gesellschaftlichen Neuerungen begreifbar und erfahrbar zu machen. Das kann nur gelingen, wenn Musik nicht als Objekt, als Gegenstand der Analyse und Reflektion einer Bewertung unterzogen wird, sondern als hörbares Ergebnis menschlichen Handelns […] im Kontext gesellschaftlicher Gegebenheiten verstanden wird. (Bruhn/Rösing 1998: 9)

    In methodischer Hinsicht legt Blaukopfs Setzung, primär den Umgang von Menschen mit Musik in den Blick zu nehmen, den Einsatz von Methoden aus dem Bereich der empirischen Sozialforschung nahe. Er setzt damit bei den Menschen an, betont aber, dass das „bloße Sammeln soziologischer Tatbestände […] für die Musiksoziologie nicht ausreichen" (Blaukopf [1960] 2010: 75) kann. Stattdessen fordert er eine integrative und interdisziplinär arbeitende Musiksoziologie, in der musikwissenschaftliche und soziologische Erkenntnisse eng aufeinander bezogen werden (vgl. Blaukopf [1969] 2010: 93ff.). Auf diese Weise soll eine Verdinglichung von Musik, wie ihn eine rein musikanalytische Perspektive verlangt, ebenso vermieden werden wie eine rein soziologische Perspektive, die es versäumt, das musikalische Verhalten von Menschen in ein Verhältnis zum Klanglichen zu setzen.

    Mit diesem Anspruch beschritt Blaukopf innerhalb des musiksoziologischen Diskurses einen Sonderweg. Während Theodor W. Adorno auf der einen und Alphons Silbermann auf der anderen Seite in ihrer Grundsatzdebatte über Ziele und Aufgaben von Musiksoziologie in den 1960er Jahren ein musiksoziologisches Kontinuum³ aufspannten, das bis heute insofern nachwirkt, als dass sich ein Riss durch die Disziplin zieht, bemühte sich Blaukopf (erneut in Anschluss an Max Webers „Grundlagen", s. o.) von Anfang an darum, mit Hilfe seines musikalischen Praxis-Ansatzes geistes- und sozialwissenschaftliche Traditionen fruchtbar miteinander zu verbinden.

    Am Wiener Institut für Musiksoziologie beruft man sich bis heute auf Blaukopfs musiksoziologisches Programm, dessen zentrale Kennzeichen neben der Fokussierung auf die musikalische Praxis Interdisziplinarität, die Einnahme einer interkulturellen und wertfreien Perspektive, die gesellschaftspolitische Relevanz von Forschung sowie ihre deskriptiv-empirische Fundierung sind (vgl. Bontinck 2000). In Abwandlung einer Definition des Wiener Kunst- und Kultursoziologen Alfred Smudits‘ zur Kunstsoziologie lässt sich das musiksoziologische Erkenntnisinteresse der „Wiener Schule" wie folgt zusammenfassen:

    [Musiksoziologie beschäftigt sich] mit denjenigen Phänomenen, die in einer gegebenen Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt von bestimmten Gruppierungen dieser Gesellschaft als [Musik] bezeichnet werden, damit, warum dies so ist und – wenn Änderungen zu konstatieren sind – warum diese stattfinden. Weiterhin ist festzuhalten, dass sich [Musik]soziologie mit allen relevanten Akteuren, Phänomenen (Artefakten, Texten) und Beziehungen (Praktiken, Prozessen), die im Zusammenhang mit [Musik] beziehungsweise im [musikalischen] Feld identifizierbar sind, zu beschäftigen hat. (Smudits 2010: 4)

    2.1.3 BLACK METAL UND DEATH METAL ALS FORMEN GEGENWÄRTIGER MUSIKALISCHER PRAXIS

    Black Metal und Death Metal als zwei Formen gegenwärtiger musikalischer Praxis zu definieren heißt, die vorliegende Studie wissenschaftstheoretisch und methodologisch in der Tradition der Wiener Schule der Musiksoziologie zu verankern, wie sie Kurt Blaukopf begründet hat. Mit diesem Schritt sind folgende Implikationen verbunden:

    Auch wenn diese Dissertationsschrift am Institut für Musik der Universität Oldenburg entstanden ist, werden in dieser Arbeit keine traditionellen Materialanalysen von Musikstücken durchgeführt, sondern im Vordergrund steht die Frage, wie Black- und Death-Metal-AnhängerInnen in Deutschland mit ihrer Musik umgehen. In Rekurs auf Blaukopfs musikalischen Praxis-Begriff liegt der Arbeit ein erweitertes Verständnis von Musik zugrunde. Folglich werden in dieser Arbeit nicht nur Aktivitäten untersucht, die unmittelbar mit der Musikproduktion im Black- bzw. Death Metal in Zusammenhang stehen wie aktives Musizieren, sondern gleichermaßen auch Aspekte der Musikdistribution und -aneignung berücksichtigt. Der Kauf einer Konzertkarte für ein Black- oder Death-Metal-Konzert wird ebenso als ein Teil der musikalischen Praxis des Black-bzw. Death Metal betrachtet und als untersuchungswürdig begriffen wie das Herstellen oder Lesen eines Fanzines, das Anhören von Tonträgern, das Tanzen zu Black- oder Death-Metal-Musik, der diskursive Austausch der AnhängerInnen über Konzerterlebnisse und Lieblingsbands oder ihre Mitwirkung in einer Band. Als bedeutungsbildende Praktiken sind all diese Aktivitäten in die Analyse mit einzubeziehen. Eine artifizielle Aufspaltung von Musik in „innermusikalische Gehalte und „außermusikalische Faktoren wird auf diese Weise obsolet.

    Auf den Umstand, dass „Text und „Kontext ohnehin keine trennscharfen Kategorien darstellen, sondern in der Praxis eng ineinander verwoben sind und in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen, hat kürzlich auch der Musikwissenschaftler Simon Obert in seinem Beitrag zu Prämissen der Popmusikanalyse (vgl. Obert 2012: 9ff.) verwiesen. Was ein „Text sei und was der entsprechende „Kontext, sei schon deshalb schwer zu bestimmen, weil die Auffassungen darüber von Person zu Person schwankten: „Was für den einen ein Text ist, mag für den anderen ein Kontext sein und umgekehrt. (Ebd.: 12) „Text und „Kontext seien ferner auch deshalb nur schwer voneinander zu trennen, „weil sie in einem gegenseitigen Konstituierungsverhältnis stehen. Ein Musikstück wird ebenso durch seinen Kontext bestimmt, wie es diesen (mit-)bestimmt: Ändert sich der Kontext durch unterschiedliche Kontextualisierungen, ändert sich damit einhergehend die Musik; ändert sich die Musik durch unterschiedliche Wahrnehmungs- und Verstehensweisen, ändert sich auch der Kontext (ebd.). Allerdings kämen WissenschaftlerInnen trotz der überaus engen Verzahnung von „Text und „Kontext bei der Frage, was ihr Forschungsgegenstand sei, nicht umhin, eine analytische Trennung der beiden Ebenen vorzunehmen, wobei Obert für die Musikwissenschaften empfiehlt, bei den Klangstrukturen anzusetzen.

    Während ich Obert in seiner Darlegung der engen Wechselbeziehungen zwischen „Text und „Kontext vollkommen folge, halte ich die analytische Abspaltung des Erklingenden von seinen praktischen Verwendungszusammenhängen nicht für einen zwingenden Schritt – im Gegenteil, hieße dies doch, das „Text-Kontext-Paradigma – weniger der Realität als forschungspraktischen Erwägungen geschuldet und damit ein Resultat wissenschaftlicher Praxis – einfach fortzuschreiben. Obert ist zwar insofern Recht zu geben, als dass Forschung irgendwo ihren Anfang nehmen muss und Forschende sich – mit allen methodologischen Konsequenzen – für einen analytischen Ausgangspunkt entscheiden müssen. Wie jedoch bereits zu Beginn dieses Kapitels expliziert worden ist, gibt es gute Gründe dafür, warum in dieser Studie davon abgesehen wurde, den Ausgang vom „Werk zu nehmen: Was in Black- und Death-Metal-Musik im Speziellen und in populären Musiken im Allgemeinen das zu untersuchende „Material" sein soll, ist aufgrund der engen Verflechtung klanglicher, diskursiver, bildlicher und körperlich-performativer Aspekte, kurz: aufgrund des medialen Charakters von (Black- und Death-Metal-)Musik höchst unklar (vgl. Wicke [1992] o.J.), weshalb die analytische Absonderung des Erklingenden von seinen anderen Bezugsebenen zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem die sogenannten Metal Studies noch in den Kinderschuhen stecken, nicht sinnvoll erscheint. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Gründe, warum ich mich gegen Materialanalysen und damit gegen traditionelle musikwissenschaftliche Herangehensweisen entschieden habe.

    So ging es mir in meiner Studie primär darum, die Binnensichten der AnhängerInnen zu erschließen, da sie es sind, die gemeinsam in alltäglichen interaktiven Prozessen die Räume, Praktiken und Artefakte des Black- und Death Metal erst hervorbringen und am Leben erhalten. Was sie in Black- und Death Metal sehen, interessiert, was ich hingegen als Forscherin in Black- bzw. Death Metal hineindeute, erscheint nachrangig, weshalb von einer isolierten Betrachtung von Songs jenseits ihres konkreten Entstehungs- und Verwendungszusammenhangs und aus einem intellektualistischen Blickwinkel heraus abgesehen wurde.

    Des Weiteren sind derzeit die Kriterien, nach welchen die zu analysierenden Black- bzw. Death-Metal-Musikstücke auszuwählen wären, noch unklar. Dies dürfte zumindest solche Forschende, die für sich nicht selbstverständlich die Position eines/r idealtypischen Hörers/in in Anspruch nehmen, vor erhebliche Probleme stellen. Der aktuelle Forschungsstand zum Thema (vgl. Kap. 4) erlaubt im Augenblick noch keine überzeugenden Aussagen darüber, welche Musikstücke für die AnhängerInnen des Black- und Death Metal maßgeblich und damit für eine Analyse geeignet sind.

    Drittens mangelt es derzeit noch an geeigneten methodischen Werkzeugen, die angemessene Materialanalysen von Black- bzw. Death-Metal-Songs ermöglichen könnten (vgl. Chaker 2006b: 239). Dass sich aus Black- oder Death-Metal-Musikstücken prinzipiell Notentexte extrahieren lassen, steht außer Frage – dass dies funktioniert, hat zum Beispiel der brasilianische Musikforscher Hugo Ribeiro auf der internationalen Konferenz „Heavy Metal and Gender im Jahr 2009 in Köln in seinem Vortrag gezeigt. Ob ein solches Vorgehen erkenntnistheoretisch aber auch bereichernd ist, ist eine andere Frage. Denn beobachtet man eine Black- oder Death-Metal-Band im Proberaum, dann wird schnell klar, dass die MusikerInnen in ihrem musikalischen Schaffen völlig anders vorgehen als KomponistInnen europäischer „Kunstmusik: Neues ergibt sich im Black- und Death Metal häufig über die spielerische Imitation und Variation bereits vorhandener musikalischer Muster (Riffs, Rhythmus-Figuren) und Sounds, außerdem entsteht die Musik zu großen Teilen in Band-Zusammenhängen und damit in kreativen Gruppenprozessen (vgl. ausführlich Kap. 7). Innerhalb der Schaffenspraxis des Black- und Death Metal ist es eher unüblich, Musik zu verschriftlichen (manchmal werden Gitarren-Tabulaturen verfasst). Um es auf den Punkt zu bringen: Funktionsharmonisches Denken leitet die Kompositionsprozesse⁴ in Black- und Death-Metal-Bands in der Regel nicht an. Insofern erscheint das Herantragen von musikanalytischen Kategorien, die aus einem ganz anderen Verwendungszusammenhang – nämlich dem der europäischen „Kunstmusik" – stammen, gegenstandlos und praxisfern.

    Aus meiner Argumentation darf nun allerdings nicht geschlossen werden, dass die spezifische Konsistenz des Erklingenden im Black- bzw. Death Metal als unerheblich erachtet würde. Dass es ganz und gar nicht egal ist, wie eine Musik in klanglicher Hinsicht konstituiert ist, darauf hat Peter Wicke mit Nachdruck verwiesen. So sei im Gegenteil die jeweilige Beschaffenheit einer Musik von „entscheidender Bedeutung für die kulturellen Vorgänge, die sich durch sie hindurch realisieren (Wicke [1992] o.J.). Die je besondere Gestalt einer Musik fungiere dabei nicht nur „als Resultat und Gegenstand der Aneignung von Welt und Wirklichkeit […], sondern als ein Agens, das diesen Aneignungsprozess in einer spezifischen kulturellen Form vermittelt (ebd.), weshalb Wicke von Musik als einem Medium spricht. Wenn also beispielsweise Black-Metal-AnhängerInnen eine tänzerische Praxis ausgebildet haben, die an ein (mehr oder weniger stark ausgeprägtes) Kopf-Nicken erinnert, wobei sich die TänzerInnen kaum von der Stelle bewegen, während Death-Metal-AnhängerInnen sehr viel ausladendere und raumgreifendere Tanzbewegungen vollführen, hängt dies auch unmittelbar mit der je spezifischen Verfasstheit des Musikalisch-Klanglichen im Black- bzw. Death Metal zusammen.

    Das heißt: Wie Black- und Death-Metal-AnhängerInnen ihre Musik erfahren und ausdeuten, lässt sich u.a. – um beim Beispiel des Tanzens zu bleiben – an ihren Körpern ablesen, wenn sie sich zur Musik bewegen, d.h., das Erklingende schreibt sich quasi temporär in ihre Körper ein. Insofern ist Wicke beizupflichten, wenn er behauptet, die jeweilige Konstitution von Musik stelle einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis der kulturellen Prozesse dar, die sich in den entsprechenden Feldern ereignen.

    Aus dem Entschluss, in der vorliegenden Arbeit bei der musikalischen Praxis anzusetzen (und nicht von Songs auszugehen), folgt jedoch nicht notwendigerweise, das Erklingende vollständig aufgeben zu müssen. Wenn, wie in dieser Studie, interessiert, wie Menschen in bestimmten Kontexten mit ihrer Musik umgehen, erscheint es lediglich erkenntnistheoretisch sinnvoll, statt eines direkten Zugangs den Weg zum Klanglichen über die „Hintertreppe" zu nehmen, d.h. über die Menschen, die mit diesen Klängen umgehen und ihnen interaktiv Bedeutung verleihen. Dass dies funktionieren kann, hat beispielsweise Harris M. Berger gezeigt, ein US-amerikanischer Musikforscher, welcher in den 1990er Jahren im Rahmen teilnehmender Beobachtung gemeinsam mit Death-Metal-Musikern ihre Musikstücke analysiert und diskutiert hat, um besser nachvollziehen zu können, wie im Death Metal komponiert wird (vgl. Berger 1999; vgl. Kap. 4.3.3).

    Ich fasse

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1