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Das Schicksal der Eva Faschaunerin
Das Schicksal der Eva Faschaunerin
Das Schicksal der Eva Faschaunerin
eBook339 Seiten4 Stunden

Das Schicksal der Eva Faschaunerin

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Über dieses E-Book

Im Faschaun, mitten in der Kärntner Bergwelt, lebt ein uraltes Bauerngeschlecht, das den Namen des Berges trägt: die Faschauner. Eva, die schöne Hoferbin, verlässt den elterlichen Bergbauernhof, um im Tal den Hörl-Bauern zu heiraten. Doch über ihrer Ehe liegen von Anfang an unheilvolle Schatten. Ein in der Brautnacht ausgesprochener Fluch tut seine Wirkung und Eva gerät in die Mühlen der Justiz.
Grundlage für diesen Roman waren Gerichtsakten eines Prozesses, der im ausgehenden 18. Jahrhundert in Kärnten stattgefunden hat.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Juli 2015
ISBN9783475545047
Das Schicksal der Eva Faschaunerin

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    Buchvorschau

    Das Schicksal der Eva Faschaunerin - Maria Steurer

    Vergilbte Protokolle aus einem hochnotpeinlichen Prozess wurden zur Fundgrube für dieses Buch.

    Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2012

    Ursprünglich erschienen unter dem Titel »Eva Faschaunerin«

    © 2015 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

    www.rosenheimer.com

    Titelbild: Franz von Defregger

    Layout & Satz: BuchBetrieb Peggy Stelling, Leipzig

    Datenkonvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

    eISBN 978-3-475-54504-7 (epub)

    Worum geht es im Buch?

    Maria Steurer

    Das Schicksal der Eva Faschaunerin

    Im Faschaun, mitten in der Kärntner Bergwelt, lebt ein uraltes Bauerngeschlecht, das den Namen des Berges trägt: die Faschauner. Eva, die schöne Hoferbin, verlässt den elterlichen Bergbauernhof, um im Tal den Hörl-Bauern zu heiraten. Doch über ihrer Ehe liegen von Anfang an unheilvolle Schatten. Ein in der Brautnacht ausgesprochener Fluch tut seine Wirkung und Eva gerät in die Mühlen der Justiz.

    Grundlage für diesen Roman waren Gerichtsakten eines Prozesses, der im ausgehenden 18. Jahrhundert in Kärnten stattgefunden hat.

    Maria Steurer wurde am 19. Juli 1892 in einem kleinen Ort bei Gmünd in Kärnten geboren. Als Autorin schuf sie sich vor allem mit Heimat- und Frauenromanen aus dem Kärntner Milieu einen Namen, verfasste aber auch Erzählungen, Gedichte und Hörspiele. Ihr bekanntestes Werk ist der Roman „Eva Faschaunerin", der auf Gerichtsakten des letzten österreichischen Folter-Prozesses beruht. Maria Steurer verstarb am 11. Juli 1979 in Klagenfurt.

    1. Kapitel

    Der sonntägliche Gottesdienst in der Pfarrkirche zu Malta ist beendet, der Geistliche hat sein »Ite missa est« gesprochen. Mit den verrauschenden Orgeltönen strömen auch die Gläubigen durch das hohe Portal ins Freie und betreten den Friedhof, der sich eng in den Schutz der Kirche schmiegt. Blumen in verwirrender Buntheit und immergrüne Sträucher und Ranken geben diesem Garten der Ruhe ein freundliches Gepräge.

    Die Menschen stehen noch lange in kleinen Gruppen beisammen, sie haben sich allerlei zu erzählen; denn außer an Sonntagen treffen sie einander kaum. Ihre Höfe liegen zum Teil hoch oben auf dem Maltaberg, und das erklärt auch, warum sie Haus und Feld an Wochentagen nur selten verlassen können, es sei denn, dass einer nach der Tauernstadt Gmünd muss, um als Graf-Lodronscher Urbarsuntertan der Grundherrschaft zu zinsen. Und dabei trifft es sich manchmal, dass er auf den Schüttböden des Pflegeamtes mit einem Nachbarn zusammenkommt. Bei solcher Fahrt lenkt er dann sein Ochsengespann den dachsteilen Berg hinunter über Gestein und Felsentrümmer, die überall auf dem Wege liegen, als wären sie von der Faust eines Gottes dorthin geschleudert worden.

    Eine schlanke, hochgewachsene Mädchengestalt, deren ausdrucksvolles Gesicht schon fraulich reif erscheint, wendet ihre Schritte dem Beinhaus zu, dessen meterdickes, graues Gemäuer kalte Schatten in die Sommerwärme des Friedhofes wirft. Der hohen Gestalt zur Seite geht ein Dirndlein mit pausbäckigen Wangen, halb noch Jungfrau, halb schon ahnendes Weib. Es streckt den Zeigefinger aus und deutet hinunter über die gequaderten Steinstufen, die in das Beinhaus führen; dorthin, wo die Überreste der schon lange Dahingeschiedenen bleichen.

    »Auf die unterste Stufe habe ich den Korb mit den Blumenstöcklein hingestellt, Eva. Ich dachte mir, da unten ist’s kühl, da welken sie nicht, ehe wir sie auf die Gräber pflanzen.«

    Eva Faschaunerin nickt nur. Sie geht die hohen Stufen hinab und holt den weidengeflochtenen Korb, worin die Rosmarin- und Nelkenstöcklein stehen. Die beiden Mädchen raffen ihre blauen Hausleinenkittel, die mit weißem, zartem Blätterwerk gemustert sind, zusammen und schreiten durch die Reihen der vielen Gräber auf eine Gruppe schmiedeeiserner Kreuze zu, die alle den Namen »Faschauner« tragen. Sie lockern die hart gewordene Erde der Grabhügel ein wenig auf und setzen die Blumen in die Krume. Nachdem diese Arbeit getan ist, nimmt Eva das Fichtenzweiglein, das zu Füßen der Kreuze im Weihwasserkessel liegt, besprengt zuerst das Grab der Mutter und dann der Reihe nach auch alle anderen Gräber. Bei dieser andächtigen Handlung wird sie auf einmal von ihrer Begleiterin am Ärmel gezupft.

    »Schau, Eva, dort an der Friedhofsmauer steht der junge Hörlbauer. Schon eine Weile schaut er zu dir herüber.«

    Das Gesicht der Faschaunerin wird um einen Ton röter.

    »Du redest ohne Sinn, Liesl«, rügt sie das Mädchen. »Wird wohl noch ein jeder schauen dürfen, wohin er mag. Warum soll’s der Hörlbauer anders halten?«

    Die Zurechtgewiesene wird unsicher. »Ich mein’ nur, er hat so lang’ herübergeschaut, als möcht’ er gradwegs zu dir kommen«, stammelt sie.

    »Du musst dich geirrt haben; schau, er redet doch mit dem Meisterbauern«, antwortet die Faschaunerin trocken.

    Das kann die Liesl nun nicht in Abrede stellen, und so schweigt sie. Sie ordnet noch schnell die Erde um die gepflanzten Blumenstöcke, nimmt den Korb und verlässt an der Seite der Faschaunerin den Friedhof.

    Als die Mädchen an den beiden Männern vorübergehen, ruft ihnen der Hörl einen freundlichen Gruß zu und fragt sie, wie es ihnen denn allzeit gehe, droben auf dem Faschaun. Eva verhält ein wenig den Schritt und sieht dem Fragesteller in das heiter lächelnde Gesicht, zu dessen gebräunter Haut der dunkle Schwalbenfrack mit der farbigen Weste gut passt. Nach einigen scherzenden Worten aber verlassen die Mädchen den Kirchplatz wieder und wenden sich dem Weg zu, der in steilem Anstieg über den Maltaberg auf das Hochplateau des Faschaun hinanführt.

    »Ein schönes Weib, die Faschaunertochter«, bemerkt der Meisterbauer, der zugleich Dorfrichter ist.

    »Hm …«, macht der Hörl und schweigt.

    »Wenn man nur wüsste, warum sie nicht heiratet«, setzt der Meisterbauer hartnäckig das Gespräch fort.

    Der Hörl zupft an seinem Bart und schweigt noch immer. Erst als ihn der Dorfrichter fragend anblickt, antwortet er versonnen: »Es wird halt der Richtige noch nicht gekommen sein.«

    Der Meisterbauer macht eine abfällige Handbewegung. »Was heißt, der Richtige? Der Richtige für eine Bauerntochter ist allemal der, dem ein ordentlicher Besitz ein ordentliches Ansehen gibt. Ich bitt dich, Jakob, der Reiter auf dem Landfraß und der Wenzel in der Gamschitz, sind das vielleicht keine angesehenen Männer? Aber die Faschaunertochter hat nein gesagt. Es traut sich ja kaum noch einer, um sie zu werben!

    »Sie wird einmal den heiraten, den sie gern hat, Meisterbauer, mag er auch weniger besitzen als der Reiter und der Wenzel.«

    Der Ältere hebt lebhaft den Kopf. »Woher weißt du denn das, Jakob?«

    Der Hörlbauer rückt seinen Hut etwas tiefer in die Stirn, und lächelt als wüsste er es und wolle es nur nicht sagen. Ohne Übergang kommt er auf etwas anderes zu reden, und der Meisterbauer fühlt, dass seine Neugierde hier nichts ergründen kann.

    Indessen steigen die beiden Mädchen mit gleichmäßigen Schritten den Berg hinauf. Heiß brennt die Mittagssonne auf ihren Rücken. Die Liesl streicht mit ihrer farbigen Schürze kühlend über die erhitzten Wangen.

    »Die Leut’ da unten in Malta, die haben es gut«, stellt sie schwer atmend fest. »Die können sich schon zum Essen setzen, und wir haben noch den weiten Weg auf den Faschaun vor uns.«

    »Gott, wegen dem Essen! Ein paar Stunden früher oder später, was liegt schon dran!«

    Die Faschaunerin schiebt die blühenden, schön geformten Lippen übereinander, gleichsam als wolle sie damit zeigen, wie gleichgültig ihr derlei ist.

    Dann wendet sie sich ihrer Base zu und fragt mit glänzenden Augen: »Und ist’s nicht tausendmal schöner da heroben als unten im Tal?«

    »Du möchtest wohl nie in Malta wohnen?«, fragt die Jüngere dagegen.

    Hinter der glatten Stirn der Faschaunerin arbeiten die Gedanken. Sie wendet sich um und schaut sinnenden Auges auf den Ort hinunter. Der schlanke Kirchturm grüßt herauf, und gleich daneben blinken die Fensterscheiben des herrschaftlichen Schlosses Kronegg in der Sonne. Doch weder die Kirche noch das stolze Schloss vermögen Eva zu fesseln. Ihr Blick sucht unter den zahlreichen Bauerngehöften und bleibt dann an einem alten, niedrigen Hause haften, das, ein paar Minuten von Schloss und Kirche entfernt, am Ende des Dorfes liegt. Es ist die Hube des jungen Hörlbauern, des Jakob Kary.

    »Ob ich da unten leben möchte? Vielleicht! Vielleicht dann, wenn ich einen find’, den ich von Herzen gern hab’. Ja – ich glaub’ schon.«

    Mit einer raschen Bewegung wendet sie sich wieder dem Weg zu, und der kleinen Liesl ist es, als bereue die große Eva ihre soeben gesagten Worte. Gleichmäßig und ohne zu sprechen, steigen die Mädchen bergan. Jetzt holen sie andere Kirchenbesucher ein, grüßen und plaudern, fragen nach dem Fortgang der Feldarbeit, nach den an die Grundherrschaft geleisteten Abgaben und nach der Gesundheit der Alten, für deren vergehende Kraft der Weg ins Dorf schon zu beschwerlich ist. Dann verlieren sie sich, einer nach dem anderen, unter den Haustoren ihrer hochgelegenen Huben, nur Eva und Liesl wandern noch weiter. Denn höher als alle Höfe auf dem Maltaberg liegt das Haus am Faschaun.

    Seit dem Tode der Mutter ist Eva Bäuerin auf dem Berghof. Sie ist die Seele des Hauses und macht ihre Sache so gut, dass der Bauer zeitweise ganz vergisst, dass er das Weib im Hause verloren hat. Eine Schwester ist noch da, das Agathle. Es ist die späte Frucht aus der Ehe der Faschaunerleute, ja es könnte mit seinen dreizehn Jahren beinahe Evas Tochter sein, zählt doch die Faschaunerin schon siebenundzwanzig. Der Bauer ist ein alter Mann, der sich erst in späten Jahren verheiratete. So lang, bis das Agathle zur Bäuerin heranwächst, kann er nicht mehr hausen, und darum ist es ihm lieb, dass Eva vom Heiraten nichts wissen mag. Wie sähe es wohl auf dem Faschaun aus, wenn die Tochter aus dem Hause ginge? Einheiraten, denkt der Bauer nicht selten, einheiraten könnte schon einer zur Eva, wenn er auch den Hof nicht sofort übergeben wollte. Ein paar Jahre, zwei oder drei, möchte er die Zügel schon noch in den Händen behalten. Schon dem Agathle zuliebe; das Mädchen soll keinem Schwiegersohn zur Last fallen.

    Aber sonderbarerweise will Eva auch von einer Einheirat nichts wissen. Es kommt dem Alten manchmal vor, als warte die Tochter auf irgendeine Entscheidung. Aber wenn er dann einmal nachfragt, vorsichtig, wie man es bei Eva machen muss, kann er doch nichts erfahren. In ihrer zurückhaltenden Art lässt sich auf keine Erklärung ein, obgleich sie dem Vater in inniger Liebe zugetan ist.

    Die hagere Berglergestalt des Bauern hält sich im Gehen leicht vornübergeneigt, als trüge er eine Last auf den Schultern. Der Faschauner hatte in seinem Bauerndasein allzeit hart gearbeitet. Immer hatte er das Schwerste selbst anpacken müssen, hat kaum die Dienstleute auf dem Hof gehabt, die zur Bearbeitung der weit verstreuten Felder notwendig waren. Das junge Volk geht ja nie gern in die Bergeinsamkeit, mag sie auch noch so weit und gottesherrlich übers Land hinausschauen; die Burschen empfinden an den Abenden Langeweile, und die Mägde behaupten, der Kirchgang sei zu weit.

    Aber seit der David oben auf dem Faschaun dient, ist es anders. Er wurde als Bauernsohn auf dem Sonnberg geboren, doch verlor sein Vater den Besitz an den Grundherrn, weil er mit den Abgaben im Rückstand geblieben war. Und so musste der Sohn voll schmerzlicher Enttäuschung aus dem Hause gehen.

    Vater Faschauner spinnt schon seit vielen Jahren einen Traum; einen stolzen Traum, der wegen seiner weittragenden Planung wohl niemals Wirklichkeit werden wird. Einmal, bei einsamer Holzarbeit im Wald, hat er David davon erzählt: Vater Faschauner, der Graf-Lodronsche Urbarsuntertan, will seinen Hof von Zins und Abgabe freikaufen. Wenn er feierabends auf der Bank vor dem Hause sitzt und seine noch immer scharfen Augen in die Ferne schweifen lässt, denkt er immer wieder über diesen Wunsch nach. Schön dünkt ihm die Heimat am Faschaun; wohnlich das holzgebaute Haus mit seinen wenigen, aber geräumigen Gaden; von hervorragender Güte der Ackerboden, der hier oben auf der Hochebene, zum Unterschied von den Huben am Maltaberg unten, beinahe eben läuft. Das alles verdient schon, dass man es liebt! Wahrhaftig, hätte man der Grundherrschaft nicht zu zinsen, man hauste hier oben wie ein Freisasse.

    Wie sich Graf Lodron zu einem Freikauf der Faschaunerhube wohl stellen würde? Wusste man es, ob der Herr nicht ganz gern einschlüge, wenn der Faschauner mit einer vollen Geldkatze erschiene? Man hörte doch, dass die gnädigste Frau Gräfin stets in Geldnöten sei.

    Bei derartigen Erwägungen kann es sein, dass den Faschauner ein bitter-hartes Lächeln schüttelt. Er, der Bergbauer, bei dem die Taler immer so rar waren wie beim Fuchs die Klotzenstriezel, er soll der gräflichen Finanznot abhelfen? Wie denn das eigentlich, wie denn das? Da müsste man schon so ein Fantast sein wie der David, der dumme Bub. Dem ist damals ein Feuer in die Wangen gestiegen, als ihm der Bauer von seinen Traumwünschen erzählt hat, die nichts Geringeres ersannen, als den Hof freizukaufen. Eine ganze Weile hatte der junge Mensch dagestanden, den Blick auf den Faschauner gerichtet, die Lippen geöffnet.

    »Was hast’, David?«, hat der Bauer gefragt. Er musste seine Frage wiederholen, ehe der Knecht sie vernahm. Wie Zorn blitzte es aus Davids Augen. Sein Blick wandte sich ab und den Bergen zu; der Bartelmann schien es ihm angetan zu haben und die sonnenflimmemde Tandelspitze. »Ich denke an meine liebe, verlorene Heimat, Bauer. Wär’ mein Vater ein freier Bauer gewesen, niemals hätt’ uns der Grundherr von Haus und Hof vertreiben können. Und ich und meine Geschwister hätten heut’ noch ein Heimgehen!«

    Der Bauer war nachdenklich geworden.

    »Hast Recht, David«, sagte er, »wär’ nicht um alles gekommen, dein Vater, hätt’ nicht die Grundherrschaft die Hand drauf gelegt. Verstehst jetzt, warum ich mich loskaufen möcht’?«

    »Und ob ich das versteh’, Vater Faschauner!«, hat der David gesagt.

    »’S ist hart, David, ich weiß, aber was nützt das Sinnieren? Musst es vergessen! – Wir müssen vieles vergessen …«

    Der junge Mensch hat dann wieder zur Hacke gegriffen und gewaltig zugeschlagen, als hätte er sich gegen einen Feind zu wehren.

    Später, als der Abend über dem Maltaberg leise dämmerte, ist er noch einmal auf das Gespräch zurückgekommen. Der Bauer hat ihn zwar mit einer kurzen Handbewegung brummig abtun wollen, doch hat der Knecht nicht nachgegeben und gesagt:

    »Bauer, habt Ihr schon die Mär vom Freimannsloch gehört? Von der Grube auf der Stangalm?«

    »Ja, ja, Bub, hab’s schon erzählen gehört. Sollen auch schon etliche dort ihr Glück gemacht haben.«

    Dem David hat darauf die Geschichte keine Ruh mehr gelassen. »Wie ist es eigentlich mit dem Freimannsloch? Bauer, ich bitt’ Euch, sagt mir alles, was Ihr davon wisst!«

    »Das ist eine Geschichte«, war darauf die Antwort, »die hat schon jeder einmal vernommen und weitererzählt. Ich weiß nicht viel mehr als ein anderer. Die Schwester von meinem Vater hat mir zum ersten Mal davon erzählt, wie ich selber noch ein Bub war. In jungen Jahren war sie als Sennerin auf der Stangalm und hat den Ort, wo sich das Freimannsloch befindet, noch gut gekannt.«

    »Wie hat denn Eure Muhme die Geschichte berichtet?«

    »Nun also! Ein armer Bauer ist einmal auf unerklärliche Weise zu großem Reichtum gelangt. Da ist die Behörde auf ihn aufmerksam geworden und hat ihn ins Verhör genommen. Aber er hat nicht und nicht sagen wollen, woher das viele Geld stammt. Daraufhin hat man ihn als Dieb behandelt und zum Tod verurteilt. Der Freimann aber ist zu dem armen Sünder hingegangen und hat ihm versichert, dass er sein Leben behalten könnte, wenn er ihm den Ort verraten würde, wo sich das Geld befindet. Da sind die beiden einig geworden. Der Bauer hat dem Henker die Stelle genannt, das heutige Freimannsloch. Aber der Scharfrichter hat sein Wort gebrochen. Den Kopf hat er dem Bauern abgeschlagen und das Gold für sich behalten. Dann aber, wie es an sein Sterben gegangen ist, hat er den ganzen Hergang erzählt. Seit seinem Tode steht er nun zur Strafe für seine Schandtat in der Höhle, und man sagt, dass er jedem mit einem großen Schwert in der Hand den Zutritt streitig macht. Es heißt freilich, etliche Mutige sollen schon glücklich bei ihm vorbeigekommen sein, die sollen eine Menge Gold nach Hause geschleppt haben.«

    David hat den Bauern mit keinem Wort unterbrochen; schweigend, die Axt über der Schulter, ist er neben ihm durch den Wald heim gegangen. Aber als der Bauer mit seiner Erzählung fertig war, hat er nicht mehr an sich halten können: »Wo ist die Grube, Vater Faschauner? Könnt Ihr mir das nach so vielen Jahren sagen?«

    »Das weiß heute niemand mehr genau, David. Ich selber hab’ den Ort, von dem meine Muhme berichtete, nie gekannt. Wer heute nach den Schätzen graben will, muss die Grube auf gut Glück suchen. Ein paar gute Jahre ist es her, da haben sich auch drei, vier Burschen aufgemacht, das Loch zu finden und zu dem Schatz hinunterzusteigen. Der erste hat es auch versucht, weil sie bald einen Eingang gefunden haben, aber wie er bis zum Hals drinnen war, ist ihm gewesen, als wäre er im Felsen eingeklemmt, und er hat voller Angst um Hilfe gerufen. So sehr sich die Kameraden auch bemüht haben, erst nach ein paar Stunden haben sie ihn herausziehen können, sein Hemd war zerfetzt, die Joppe auch und die Hose; hat keiner mehr nach dem Schatz weitersuchen wollen.«

    »Man muss furchtlos sein …«, hat der junge David noch gesagt. »Die Burschen haben es schlecht gemacht, ganz schlecht!«

    Der Bauer und sein junger Knecht sind dann vor dem Tor der Faschaunerhube angelangt. Eva stand kraftvoll und hochgewachsen in der Rauchstube vor dem offenen Herd und schöpfte die Mehlsuppe in eine Tonschüssel. Ein Spanlicht, das in der Leuchte stak, warf einen flackernden Schein auf ihr schönes Antlitz, das von der Herdglut in sanftes Rot getaucht wurde. Das Agathle, lieb und zutraulich, breitete ein grobes Tuch über den schweren Eichentisch und verteilte die Zinnlöffel darauf.

    David war damals die Lodenweste zu eng geworden. Er löste die Knöpfe, um kühlerer Luft Zutritt zu seiner Brust zu gewähren. Woher denn die jähe Hitze, junger David? Wurde sie von der Erzählung des Bauern ausgelöst oder etwa vom Anblick der schönen, stolzen Bäuerin? David hätte es vermutlich selber nicht gewusst. Er würde wohl auch lieber geschwiegen haben, wenn ihn jemand danach gefragt hätte, denn Eva war nicht die Frau, die auch nur die leiseste Vertraulichkeit duldete.

    Das Agathle war anders. Lieb und anhänglich, noch ganz ein Kind. Der Knecht nahm eine Kugel Kaupech aus der Westentasche, rosig und von feinem Duft, und gab sie dem Mädchen.

    Der Faschauner lächelte.

    »Mit dem Kaupech da hat dein Mund wieder auf lang eine Unterhaltung!«, neckte er.

    Als dann die Liesl mit der Milch aus dem Stall kam, setzten sie sich alle zum Essen.

    »Und mir hast du kein Kaupech gebracht?«, fragte die rotwangige Liesl nach dem Tischgebet. Da griff der David noch einmal in die Westentasche und holte auch für die Dirn eine Kaupechkugel hervor; die war aber viel kleiner als die erste.

    Als Eva und Liesl an jenem heißen Sommertag von ihrem Kirchgang aus Malta heimkommen, sitzt der Vater auf der Hausbank und ist mit dem Ausbessern der Jochriemen beschäftigt. Er und seine kleine Tochter haben bereits gegessen, denn Eva hat schon frühmorgens den Gerstenbrei vorgekocht. Der David ist heute in Gmünd, er wird vor dem Abend nicht heimkommen; auch für Eva muss er einiges in der Stadt besorgen.

    Rasch, viel zu rasch vergeht so ein Sonntag am Faschaun, nimmt doch der stundenweite Kirchgang den Großteil des Tages weg. Schnell vergeht der Tag, doch schön ist der Abend.

    Da sitzen sie alle beisammen und erzählen. Die Rauchstube ist nur von einem Häuflein roter Glut, die auf dem offenen Herde schimmert, notdürftig beleuchtet. Sie erzählen, was ihnen an diesem Tag alles begegnet ist und was sie an Neuigkeiten aus dem Dorf und aus der fernen Nachbarschaft vernommen haben.

    Heute ist zweifellos David derjenige, der am meisten zu berichten weiß. Beim Sattler Rudiferia in der Tauernstadt Gmünd hatte er ein Jochzeug abzugeben, das repariert werden sollte, dann wohnte er dem Gottesdienst bei. Es war ein erlebnisreicher Sonntag für David. Den Grafen Lodron, die Gemahlin an seiner Seite, hatte er vierspännig aus dem Oberen Stadttor fahren gesehen. War ein vornehmes Gespann, der gräfliche Wagen, schon die Kutscher sahen aus wie Herren, machten hochmütige und unnahbare Gesichter und trugen ihre silberbetressten Livreen, als wären sie ihnen auf den Leib gewachsen.

    Doch etwas, das David jetzt noch peinigt, musste er nach dem Gottesdienst erleben. Als er nämlich mit den anderen die Kirche verließ, schlug ihnen Lachen, Schreien und gellendes Pfeifen entgegen. Vor der Schandsäule in der Nähe der Kirche drängten sich die Menschen. Ein junges Weib, mit einem Strohkranz im Haar, stand am Pranger und wurde mit Schimpf- und Spottreden gequält.

    »Du, David, wer war sie denn?«, fragte voll Mitleid die Liesl.

    Doch bevor die Antwort kommt, sagt der Bauer: »Agathle, Kind, es ist schon spät, geh ins Bett und schlaf gut.« – Das Kind soll nicht hören, was der David über das verderbte Weib an der Schandsäule zu berichten weiß.

    »Erzähl, David«, mahnt die Eva, nachdem das Mädchen gegangen ist, »wer war denn das Frauenzimmer? Ist schon lange keine mehr am Pranger gestanden.«

    »Eine Kohlenbrennerstochter aus Kreuschlach soll sie sein, sagen die Leute und …«

    »… und?«, fragt Eva, als der Knecht in seiner Erzählung inne hält.

    »… und ein lediges Kind soll sie haben!«

    »Ein lediges Kind?« Der Bauer schüttelt den Kopf.

    »Lebt manch lediges Kind im Lieser- und Maltatal, und seine Mutter ist nicht an der Schandsäule gestanden. Früher sind die Strafen härter gewesen, aber seit der Regierung unserer allergnädigsten Frau Kaiserin hat sich gar vieles gemildert.«

    »Es war grauslich, aber ich glaub’, das Weib hat die Strafe verdient. Sie hat schon das zweite Kind, und zu keinem einen Vater«, sagt der David.

    »Und was haben die Leute mit ihr gemacht?«, fragt jetzt die Liesl.

    »Die meisten gar nichts, aber ein paar haben es doch arg getrieben.«

    »Und das Weib?«

    »Was hätt’ sie tun sollen? Sie ist halb ohnmächtig an der Säule gehängt und wäre wohl zu Boden gestürzt, wenn die Hanfstricke sie nicht in ihren Schlingen gehalten hätten.«

    »Hat der scheußliche Tumult denn lange gedauert?«, will der Faschauner wissen.

    »Der neue Bannrichter hat ein Ende gemacht.«

    Eva hebt voll Interesse den Kopf: »Hast du ihn gesehen, den Bannrichter?«

    »Ja! Ich war ganz in der Nähe.«

    »Hab’ schon von ihm gehört«, wirft der Bauer ein, »wie ist doch gleich sein Name?«

    »Edler von Emperger schreibt er sich!« David ist stolz, diese Auskunft geben zu können.

    »So, so, von Emperger! Ein stolzer Name. Der Landesfürst sucht seine Amtsleute nicht bei den Geringen. Und hat der Bannrichter Nachsicht mit dem angeprangerten Weib geübt?«

    »Nein, sie haben nur aufgehört, als er vorbeigegangen ist, er selbst hat sich nicht um die Frau gekümmert. Sie hat an der Schandsäule bleiben müssen, bis ihre Zeit vorüber war.«

    Evas Antlitz ist ganz im Dunklen. »Ich könnte bei so etwas nicht zuschauen«, hört man sie sagen, »aber ich begreife auch nicht, wie ein Mädel sich so vergessen kann. Mich dünkt, wenn eine ihre Ehre wegwirft, ist keine Strafe zu schlimm für sie.«

    Langsam und betont hat sie diese Worte gesprochen. Aus ihrer Rede klingt Entrüstung und Verachtung. Keiner in der Runde widerspricht, denn Evas Worte haben immer Geltung.

    Selbst der alte Bauer schweigt.

    Eine Weile ist es still; sie schauen in das Häuflein vergehender Glut, über die sich schon weiße Flugasche legt, dann beginnt David wieder: »Es soll der neue Bannrichter selber sein, der solcherlei Strafe wieder aufleben lässt, wenn er auch tut, als wolle er nichts damit zu tun haben.«

    »Muss ein gar gestrenger Herr sein«, wirft der Bauer ein. »Gott verhüt’, dass man es einmal mit der Obrigkeit zu tun bekommt.«

    In Liesls Brust regt sich noch immer das Erbarmen mit dem fremden gepeinigten Weib an der Schandsäule.

    »Und hat ihr

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