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DSA 135: Die Türme von Taladur 1 - Türme im Nebel: Das Schwarze Auge Roman Nr. 135
DSA 135: Die Türme von Taladur 1 - Türme im Nebel: Das Schwarze Auge Roman Nr. 135
DSA 135: Die Türme von Taladur 1 - Türme im Nebel: Das Schwarze Auge Roman Nr. 135
eBook418 Seiten5 Stunden

DSA 135: Die Türme von Taladur 1 - Türme im Nebel: Das Schwarze Auge Roman Nr. 135

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Über dieses E-Book

Die Streittürme der alten Familias herrschen über Taladur, die Eisenstadt im Herzen Almadas. Nach Ratsmeisterin Giulianas überraschendem Tod beginnt das Spiel um die Macht. Noch bevor der Sarg die Gruft erreicht, werden Fächer aufgeklappt und Degen geschliffen, Intrigen gesponnen und Söldner angeworben. Wird es gelingen, die Wut von Giulianas Familia zu zähmen, bevor sie alles zerstört, was vor ihre Klingen kommt?

Unter jenen, die nach den höchsten Würden streben, finden sich auch die Ernathesa und die Amazetti, seit jeher Erzrivalen im Handel mit dem kostbaren Alaun. Gibt es jetzt, wo die Gedanken der Magnaten allein auf die Ausweitung ihres Einflusses gerichtet sind, noch Hoffnung für die Träume zweier Liebender?
SpracheDeutsch
HerausgeberUlisses Spiele
Erscheinungsdatum21. Juni 2012
ISBN9783868898187
DSA 135: Die Türme von Taladur 1 - Türme im Nebel: Das Schwarze Auge Roman Nr. 135

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    Buchvorschau

    DSA 135 - Bernard Craw

    Biografie

    Bernard Craw wurde 1972 in Bramsche geboren. Er ist katholisch, ledig und arbeitet hauptberuflich als Projektleiter in einem internationalen Konzern. Nach einigen Jahren in Münster und Sindelfingen wohnt er seit 2000 in seiner Wahlheimat Köln.

    Craw schreibt vor allem fantastische Literatur. Mit dem Rollenspiel Das Schwarze Auge kam er 1985 in Kontakt, und die geselligen Abende vor Dokumenten der Stärke und Plänen des Schicksals avancierten rasch zur dominierenden Freizeitbeschäftigung. Bevor der die Redaktion der Reihe Die Türme von Taladur übernahm, erschienen von ihm die Romane Todesstille, Im Schatten der Dornrose und der vierteilige Isenborn-Zyklus.

    Wer sich über Craws literarische Aktivitäten informieren möchte, kann dies auf www.bernardcraw.net tun.

    Titel

    Bernard Craw

    Türme im Nebel

    Die Türme von Taladur 1

    Ein Roman in der Welt von

    Das Schwarze Auge©

    Originalausgabe

    Impressum

    Ulisses Spiele

    Band 11072PDF

    Titelbild: Alan Lathwell

    Aventurienkarte: Ralph Hlawatsch

    Karten der Umgebung: Melanie Maier

    Lektorat: Werner Fuchs, Michael Fehrenschild

    Buchgestaltung: Ralf Berszuck

    E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

    Konzeption der Reihe Die Türme von Taladur: Bernard Craw

    Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.

    DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE sind eingetragene Marken.

    Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

    Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

    Buch-ISBN 978-3-86889-166-9

    E-Book-ISBN 978-3-86889-818-7

    Dankesworte

    Mein Dank gilt

    Werner Fuchs und Florian Don-Schauen

    für das Vertrauen, das sie mir entgegengebracht haben,

    als sie mir die Redaktion von Die Türme von Taladur

    anvertrauten.

    Prolog: Der Bräutigam

    Darpatien, so scheint mir, ist ein seltsames Land. Im Sommer nass, im Winter kalt, stehen dort fette Kühe auf den Weiden, wo sich hierzulande das Auge an edlen Rossen ergötzt. Wer dort aufwächst, neigt zu Grübelei und Schwermut. Von Kind an wird er angehalten, alles und jedes abzuwägen und ängstlich zu fragen, ob dieser oder jener Genuss statthaft sei. Eine zuweilen an Selbstkasteiung grenzende Zucht und Ordnung prägt diese Leute, als seien sie Ochsen unter einem Joch. Man muss ein Narr sein, um das Leben mit solcherlei Unschönheiten zu vertun.

    Dennoch bringt diese Gegend Menschen hervor, denen man ein gewisses Geschick in Handel und Wandel kaum absprechen kann. Man fragt sich nur, warum sie trotz ihres Verstandes nicht auf den Gedanken verfallen, ihre triste Heimat zu verlassen und sonnigere Gefilde aufzusuchen. Ist es vielleicht die Gunst der Schönen Göttin, die uns auf wundersame Weise vor der übermäßigen Gesellschaft dieser Trauerklöße bewahrt?

    —Daroca Ernathesa, Tagebuch

    ***

    Darpatien.

    Achter Tag im Boronmond, 989 nach Bosparans Fall

    »Für einen Binsböckel kann eine Heirat kein Problem sein.« Edelharts Vater legte den Kopf in den Nacken und fixierte seinen Sohn entlang der messergeraden Nase. »Jetzt erhältst du die letzte Gelegenheit, zu beweisen, dass du ein Bins­böckel bist.«

    Edelhart fühlte sich in den Sessel gepresst, als habe ihm jemand einen Sack Weizen in den Schoß gelegt. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber sein Hals war trocken.

    Sein Vater wirkte trotz des milde schauenden Einhorns auf seinem Wappenrock wie ein Fels, der sich bedrohlich neigte, um auf den Wanderer zu stürzen. Die Halbglatze hatte er sorgfältig geölt, sodass sie im grauen Tageslicht schimmerte. Ein Band aus schwarzem Filz zwang die verbliebenen Haare in einen kurzen Zopf.

    Edelhart schloss den Mund, bevor seine Unfähigkeit, einen sinnvollen Satz herauszubringen, allzu peinlich wurde. Höhergestellten gegenüber musste man seine Worte mit Bedacht wählen. Wenn das nicht gelang, war aufmerksames Schweigen die nächstbeste Möglichkeit.

    Vater legte die Hände auf dem Rücken zusammen, was das Wappen auf seiner Brust spannte. Das Einhorn sah nun deutlich stolzer aus, als blicke es auf den Betrachter hinab. Mit langsamen Schritten ging er zum Fenster, obwohl der wolkenverhangene Tag nichts Sehenswertes zu bieten hatte. Die Felder jenseits des Burggrabens dämmerten in lustlosem Nieselregen vor sich hin. »Dort auf dem Bensenhügel liegt das Schloss derer von Ebenstein«, dozierte Vater, als ob Edelhart das nicht gewusst hätte. »Vier Söhne hat der Baron. Zwei von ihnen haben die Würmer auf Maraskan gefressen, einer ist ihm ausgerissen, und den Jüngsten haben die Wensenbergs zum Krüppel geschlagen, als er sich beim Sommerturnier im Gestampfe beweisen wollte.« Er wippte auf den Fußballen auf und ab. »Die Wensenbergs konnten ihre Schadenfreude nur kurz genießen, bevor der Vogt sie aufgefordert hat, etwas gegen die Oger vom Blauforst zu unternehmen. Ihr Spross verfiel auf die glorreiche Idee, sich der Sache selbst anzunehmen. Ich zweifle nicht, dass er dem Menschenfresser ein fürstliches Mahl bereitet hat. Schließlich war er fett wie ein Mastschwein.«

    Vater wandte sich um, streifte Edelhart mit einem Blick und schritt auf die andere Wand zu, wo das Feuer im Kamin knisterte. »Aber das braucht es ja noch nicht einmal, um die Blüte darpatischen Adels dahinwelken zu lassen, bevor sie zur Reife gelangt, nicht wahr? Esther von Rabenmund – bei der Tjoste aufgespießt, jetzt ist ihr linker Arm nur mehr totes Fleisch. Zugegeben, Krieg hilft dabei, die Unbesonnenen über das Nirgendmeer zu befördern. Roderich von Bregelsaum und seine geschätzte Schwester Ingrimmlieb, die beiden Hebenstolzens mit ihrem Vater, Wertan Greifenstein und alle Zornbrechts zu Mühlweiler bis auf den jüngsten Sohn – keiner von denen konnte sich beherrschen, als die Rufer des Kaisers durchs Land zogen. Sie werden seinen Rock mit Stolz getragen haben, bevor die Maraskaner sie in Stücke gehackt haben.«

    »Ein großer Verlust«, stammelte Edelhart.

    Vater fuhr zu ihm herum. Die grauen Augen durchbohrten ihn. »Ach ja? Ungeschickte und Dumme verdienen es nicht anders! Wollten brennen wie Drachenfeuer, um den Ruhm ihrer Häuser zu mehren!« Er schnaubte. »Jetzt sind ihre Flammen verloschen, und ihre Familien stehen schwächer da als zuvor. Sie sind dumm! Dumm! Dumm!«

    Edelhart starrte den Krug an, der auf dem Frühstückstisch seines Vaters stand. Er unterdrückte ein Räuspern.

    Vater verschränkte die Arme vor der Brust. »Unser Weg ist besser. Klüger. Wir warten, bis sich der Staub legt und die Sieger in der Sonne stehen. Dann verbinden wir uns mit ihnen. Lass die Ritter darüber spotten, dass wir Binsböckels in jedes Nest ein Ei legen. Nur ein bisschen Geduld, und ihre Rüstungen sind geschwärzt vom Ruß der Schlachtbrände, ihre Schilde sind zerschlagen und ihre Schwerter gebrochen. Sie wissen es, aber sie können es nicht ändern. Sie sind gefangen in ihrem kindlichen Geschwafel von Ehre und Heldenmut.«

    Er schlenderte zum Fenster zurück.

    »Ehrenbrecht hat Zinia von Flusstann geehelicht«, sagte er zufrieden. »Jetzt ist er in Trauer um sein treues Weib, das ja unbedingt Räuber jagen musste, aber der Umstand, dass sie ihre Ländereien hinterlassen hat, ist ein großer Trost. Travialinde wärmt ein Bett in Königsweber und darf sich Schwägerin des Barons nennen. Udalbert ist in Gallys gut verheiratet.« Eine bedeutungsschwere Pause folgte. Vater sah ihn direkt an. »Nur mein Sorgenkind Edelhart kann nicht verstehen, wann es angebracht ist, die Lippen in zurückhaltendem Lächeln zu kräuseln, statt seine unmaßgebliche Meinung über die Falkenjagd hinauszuposaunen.«

    »Es ist völliger Blödsinn, einem Gelbfalken größere Sehschärfe zuzuschreiben als einem Schwarzbartfalken!«, verteidigte sich Edelhart.

    »Das interessiert mich weniger als die Antwort auf die Frage, ob in Nostria die Sau von Bauer Alrik dem Einfältigen geferkelt hat!«, donnerte Vater. »Mein verstockter Sohn wirbt fünf lange Jahre um die Baroness von Ochsenweide und hat dann, als er sich schon zum Favoriten hochgearbeitet hat – mit erheblicher Unterstützung aus der väterlichen Schatulle, wohlgemerkt –, nichts Besseres zu tun, als einen Streit über das Lieblingsthema seiner Holden vom Zaun zu brechen.«

    »Es kann schwerlich ihr liebstes Gebiet sein, wenn sie so wenig davon versteht.«

    Mit zwei schnellen Schritten war Vater beim ihm und versetzte ihm eine Ohrfeige. »Auch noch frech! Ein halbes Jahrzehnt verschwendet und jetzt Widerworte geben! Ein Mann hat ein heiratsfähiges Alter! Das hast du mit deinen dreiundzwanzig Jahren beinahe überschritten!«

    »Ehrenbrecht war fünfundzwanzig, als er ...«

    »Ruhe!« Vater holte mit der Rechten aus, verharrte aber, als sein Sohn schwieg.

    »Die Familie lacht über dich«, flüsterte er. »Die Freundlicheren spekulieren darüber, ob du die Kutte eines Ordens nehmen wirst. Die weniger Milden sehen dich als einfältigen Spielmann durch die Lande taumeln.«

    Edelhart presste die Zähne aufeinander.

    Vater klappte das Schreibpult auf, das neben dem Fenster stand, und nahm ein Pergament heraus. »Die Einladung zur Hochzeit. Rondralind wird sich im Traviatempel zu Rommilys mit Thorfried von Zebental verbinden.«

    Edelhart seufzte.

    Sein Vater ließ sich nicht beirren. »Von Zebental! Ich denke, du wirst dich ausreichend für die Geschicke deiner Familie interessieren, um zu verstehen, was das bedeutet! Der Brückenzoll an der Natter wird sich nicht gerade vorteilhaft für uns entwickeln.«

    »Nein, Vater.«

    »Nicht nur, dass du deinen Mund nicht halten kannst, nein, du versagst auch, wenn es darum geht, innerhalb von zwei Monden den Riss zu kitten, den deine Unbeholfenheit hat aufbrechen lassen! Muss ich mich denn um alles kümmern? Ausgerechnet wenn ich in Gareth weile, muss mein Sohnemann darangehen, alles einzureißen, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben.« Er warf einen Blick auf das Schreiben in seiner Hand. »Wir sind natürlich alle zu der Feier eingeladen. Selbstverständlich wirst du nicht hingehen. Diese Peinlichkeit ersparen wir uns beiden.«

    »Ich kann gern eine Grippe vortäuschen ...«

    »Nicht nötig.« Vater legte das Pergament zurück in den Sekretär und holte mit der gleichen Bewegung ein Medaillon hervor. »Du wirst so weit fort sein, dass niemand dein Erscheinen erwarten kann.«

    »Fort?« Edelhart kam sich dumm vor, als habe er einen Teil des Gesprächs verschlafen und wisse jetzt nicht, worum es ging.

    »Die Reise zu deiner Angebeteten duldet leider keinen Aufschub.«

    Verständnislos schüttelte Edelhart den Kopf.

    Vater warf ihm das Medaillon zu.

    Edelhart fing es. Es war nicht viel größer als sein Daumen, aus Gold gefertigt und erstaunlich fein gearbeitet. Der Rand lief in Schnörkeln aus, die Ranken oder Federn darstellten. Im Zentrum war ein Porträt mit einem Pinsel gemalt, der nicht viel dicker sein konnte als ein einzelnes Haar. Es zeigte eine junge Dame mit schmalem Gesicht. Auf den dünnen Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns, die Augen waren nur schwarze Punkte, ihre Farbe nicht zu erkennen. Das hellrote Haar hatte sie nach vorn gebürstet, sodass es über ihre linke Schulter fiel.

    »Jazemina Ernathesa«, erläuterte Vater mit leichtem Spott in der Stimme. »Aus Taladur in Almada.«

    Almada – das war das Königreich im Südwesten, das dem Kaiser durch Eid verpflichtet war und deswegen ebenso wie Edelharts Heimat zum Mittelreich gezählt wurde. Noch vor einer halben Stunde hatte Edelhart vermutet, Vater hätte ihn gerufen, um von Rondralinds Einlenken zu berichten – dass sie die dumme Geschichte mit dem Falken vergessen habe und jetzt bereit sei, ihn wieder in ihrer Nähe zu dulden. Stattdessen war das Ziel seiner Bemühungen nun unerreichbar, und er wurde, wenn er sich nicht täuschte, in die Ferne verschachert.

    »Ernathesa ... eine Bürgerliche?«

    Vater lächelte kühl, als er den Kopf schüttelte. »Vierschildriger Adel.«

    »Was soll denn das sein – ›vierschildrig‹?«

    »Etwas viel Besseres, als du verdienst. Eine Familie, in deren Stammbaum der Adelsschild seit vier oder mehr Generationen auftaucht. Bei den Ernathesa ist das schon erheblich länger der Fall.«

    »Ich dachte nur, weil sie kein ›von‹ im Namen hat ...«

    »Du hast zu Genüge bewiesen, dass du das Denken lieber anderen überlassen solltest. Wie du unschwer erkennen kannst, führt das zu mehr. Jetzt nehme ich die Dinge in die Hand und schon reicht dir die älteste Tochter eines bedeutenden Adelshauses die ihrige.«

    »Hat sie noch einen Bruder?«, fragte Edelhart misstrauisch.

    Vater schüttelte den Kopf. Er war die Zufriedenheit in Person, wenngleich sein unfähiger Sohn wenig zu dieser Stimmung beigetragen hatte. »Jazemina ist das älteste Kind.«

    Edelhart stand auf, um das Medaillon besser ins Licht halten zu können. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sein Vater ihn für diese Eigenmächtigkeit gerüffelt hätte, aber die Zurechtweisung blieb aus. Der alte Herr schien für den Moment versöhnt durch den Umstand, dass er seinen Sohn mit dem neuen Plan so vollkommen überrascht hatte.

    »Almada ist ein fernes Land ...«, sinnierte Edelhart.

    »... wo niemand von deinem Versagen weiß«, ergänzte Vater. »Außerdem baut man in Almada Alaun ab.«

    »Was soll denn das sein?«

    »Man färbt Stoffe damit.« Neue Ungeduld war in Vaters Stimme zu hören. »Vor allem aber ist es zweierlei: wertvoll und selten. Außer in Almada findet man es nur noch in Tobrien. In Almada gibt es zwei Minen. Und nun rate einmal, wem eine davon gehört!«

    »Den Ernathesa?«

    »Ich beginne mir Hoffnung zu machen, dass in deinem Kopf doch noch etwas anderes wohnt als ein Schwarm von Falken.«

    Edelhart kniff die Augen zusammen, um das Porträt besser erkennen zu können. Kaum zu glauben, dass ein Künstler die Linien so sauber ziehen konnte. Zusammen mit dem fein ziselierten Metall legte dieses Schmuckstück beredtes Zeugnis von den Fähigkeiten seiner Schöpfer ab. »Und du glaubst, dass du hier Käufer finden wirst?«

    »Das glaube ich nicht, das weiß ich. Wir handeln seit jeher mit Alaun, auch wenn das deiner geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sein sollte. Nun werden wir es ein wenig günstiger erstehen können.«

    »Nur ein wenig?«

    »Die Almadaner sind gute Kaufleute«, bemerkte Vater schneidend. »Außerdem darf man den Handelswert eines Versagers nicht zu hoch veranschlagen.«

    Edelhart duckte sich wie unter einem Hieb. Er tat so, als beuge er sich dichter über das Medaillon. »Sie hat schönes Haar«, stellte er fest.

    Vater zuckte mit den Schultern. »Oder der Maler wollte ihr schmeicheln. Jedenfalls wird dieses Arrangement unser Handelsabkommen besiegeln und dich vom Gespött entfernen.«

    Edelhart dachte an seine Tanten und Onkel, seine Vettern, Basen und nicht zuletzt seine Geschwister. Die Nachricht von Rondralinds Vermählung mit einem Zebental würde sich so schnell verbreiten wie Zorganpocken. Nicht nur die Binsböckels wussten um das intensive Werben, mit dem er Rondralinds Gunst zu erlangen versucht hatte. Die darpatischen Adligen waren stolz, viele verbanden mit einer Heirat deutlich mehr romantische Gefühle, als dies bei den Binsböckels der Fall war. Die Barden mit ihren Liedern von Helden, die für ihre Holde alles aufgaben und ihr erschlagene Drachen zu Füßen legten, setzten den heiratsfähigen Damen Flausen in den Kopf. Keine, die eine Wahl hatte, würde sich dazu hergeben, als Lückenbüßerin zu fungieren. Außerdem hatte Edelhart auch kein weiteres Eisen im Feuer. Wenigstens ein Jahr würde es dauern, eine neue Baroness für sich zu gewinnen, eher zwei oder mehr. Wenn es denn überhaupt eine Baroness wäre. Vermutlich würde es auf eine Junge Herrin hinauslaufen, die Tochter eines Freiherrn. Das würde Edelhart ewig nachhängen, bei jedem Treffen mit seinen Geschwistern.

    »Mir scheint, du überlegst noch, als hättest du eine Wahl.« Etwas Drohendes war in Vaters Stimme.

    »Almada ...«

    »Die Hochzeit ist bereits arrangiert«, stellte Vater fest. »Selbst mein jüngster Sohn kann das jetzt nicht mehr verpatzen.«

    Als Vater die Hand hob, setzte Edelhart dazu an, einen weiteren Schlag abzuwehren. Diesmal landete sie jedoch mit festem Griff auf seiner Schulter.

    »Das bist du doch – mein Sohn? Ein Binsböckel?«

    Der Weg nach Taladur

    Edelhart erzählte mir einmal, dass man dem Tod in seiner Heimat vorwiegend mit Furcht begegnet. Ich habe seitdem oft darüber nachgedacht, ob das bei uns nicht auch so ist. Sicher, man fordert ihn gern immer wieder heraus, in gewagten Wettkämpfen, bei Mutproben oder auch in Duellen. Wenn er dann kommt und einen von uns zu sich holt, feiern wir große Feste. Aber es gibt auch kluge Leute, die behaupten, all diesen Lärm veranstalteten wir nur, um nicht allein in der Stille zu sein und zu fühlen, wie sich Borons eisige Hand unserem Herzen naht. Wir grüßen den Totenraben wie einen Freund und trachten nach vertrautem Umgang mit ihm, vielleicht auch, damit er uns wohlgesonnen ist, wenn die Reihe an uns kommt.

    Wo ich diese Zeilen lese, die ich gerade selbst geschrieben habe, scheint mir, dass etwas von dem darpatischen Schwermut den Weg in mein Herz gefunden hat. Hinfort damit! Hinfort, sage ich. Was sollen diese Grübeleien?

    Am Ende ist der Tod eine nützliche Sache, das lehrt auch die Kirche des Herrn Boron, und die muss es wissen. Ohne ihn würde ein unerträgliches Gewimmel und Gedränge herrschen. Warum einen guten Mann verleumden? Manchmal ist er sogar angenehm.

    Insbesondere, wenn er dafür sorgt, dass der Vorsitz im Erzenen Rat frei wird.

    —Daroca Ernathesa, Tagebuch

    ***

    Palacio Torreda, Taladur.

    Fünfzehnter Tag im Hesindemond, 989 nach Bosparans Fall

    Giuliana Tandoris Körper war noch warm. Im Sommer hätte Erresto das nicht feststellen können, aber jetzt, im Winter, fühlte er, dass die Leiche wärmer war als die Luft, die durch das geöffnete Fenster eindrang. Ein schwaches Glühen regte sich unter der Asche des Kaminfeuers. Der Stapel trockener Scheite daneben war unberührt.

    Auch Giuliana wirkte, als hätte sie in dieser Nacht keine Hand berührt. Sie lag auf dem runden Bett wie hingegossen. Ihr schleierfeines Gewand enthüllte mehr als es verbarg, zumal es auf der linken Seite verrutscht war und die üppige Brust preisgab. Der Tod hatte ihre Schönheit noch nicht geraubt, weder was ihre festen, runden Formen anging, noch was die sinnlichen Linien ihres Gesichts betraf. Giuliana hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie viel Gold auf den Erwerb von Salben und Ölen verwendet hatte, um die Jugend zum Bleiben zu bewegen.

    »Wie alt war sie genau?«, fragte Erresto, ohne den Blick von der Toten zu lösen.

    »Etwa Fünfundvierzig«, antwortete Kallista. Erresto nahm sie immer mit, wenn es einen Tatort zu besichtigen galt. Sie hatte ein hervorragendes Gedächtnis und würde sich noch in einem halben Jahr an Einzelheiten erinnern, die andere schon beim Verlassen des Raums vergessen hätten.

    Offensichtlich hatte hier ein Gelage stattgefunden. Ein Berg von Wintertrauben quoll über den Rand eines Silbertabletts, im Raum verteilt fanden sich Pyramiden aus Konfekt, Kerzen schwammen in kupfernen Wasserschalen, die mit Duftölen durchsetzt waren. Jetzt waren alle Flammen verloschen.

    »Soll ich ihr genaues Alter herausfinden?«

    »Nicht nötig«, murmelte Erresto. Giuliana war siebenundvierzig gewesen. Manchmal stellte er Fragen, deren Antwort ihm schon bekannt war, als verliehe es den Tatsachen eine andere Qualität, wenn er sie aus anderen Mündern hörte. Er nahm die Hand vom Hals der Toten und richtete sich auf.

    Giuliana lag auf dem Rücken. Die Schultern ragten über das Bett hinaus, der linke Arm war weit zurück gestreckt, sodass die Hand auf dem Boden lag. Am Ringfinger stak ein Bernstein, dessen Farbe nicht mit ihrem roten Gewand harmonierte. Vielleicht schien das auch nur so, weil die Situation so abstoßend war. Eine Tote inmitten dieser Dekoration, die offensichtlich geschaffen worden war, um der Lebensfreude Raum zu geben, für die die Ratsvorsitzende bekannt gewesen war. Sie hatte stets eine Vorliebe für Jünglinge gepflegt, so manchen in die Kunst des Geschlechterspiels eingeführt. Auch Erresto hatte einmal das Glück ihrer Aufmerksamkeit genossen und hatte diese Stunden in angenehmer Erinnerung, wenn sie auch schon ein halbes Jahrzehnt zurücklagen. Er war damals frisch nach Taladur geholt worden, zwanzig Jahre alt und voller Träume, die sich schneller erfüllt hatten, als man jemandem wünschen konnte, dem man Gutes wollte. Ehe er begriffen hatte, wie ihm geschehen war, hatten die Familias ihn auf den Posten des Capitans der Taladurer Wehr gehoben, was ihm zugleich einen Sitz im Erzenen Rat eingebracht hatte, der Regierung der Stadt.

    Von jenem Tage an waren sich Giuliana und er wohlwollend, meist sogar freundschaftlich begegnet, hatten ihre intime Beziehung aber nicht fortgeführt. Vielleicht hatte die Ratsvorsitzende eine solche Verbindung für ebenso unpassend gehalten wie er selbst. Wahrscheinlicher war, dass sie lediglich seine Skrupel respektiert hatte. Erresto bemühte sich, einen gewissen Abstand zu den großen Familias zu halten, sogar zu seiner eigenen, um jedem Verdacht vorzubeugen, die Taladurer Wehr ergriffe Partei in den Streitigkeiten, die mal subtilere, mal drastischere Formen annahmen.

    Gegenwärtig schien jemand der Meinung zu sein, es sei der rechte Moment gekommen, den Fächer gegen den Degen zu tauschen. Wer war dieser Jemand?

    »Sie waren zu zweit«, stellte Kallista fest.

    Erresto nickte. »Wahrscheinlich.« Außer dem Kristallkelch, der offenbar Giulianas Hand entglitten war und zersplittert auf dem Marmorboden lag, stand noch ein zweiter auf dem Tischchen neben der Karaffe. Er war zur Hälfte mit rot leuchtendem Wein gefüllt. »Zwei Trinkgefäße und eine Lage, in der man schwerlich mehr als ein Paar vermutet, das auf Ungestörtheit Wert legt.«

    »Manche sagen, Giuliana beschränkte ihren Genuss nicht immer auf einen einzelnen Bevorzugten«, gab Kallista zu bedenken. Sie hatte den breitkrempigen Hut mit der Straußenfeder noch auf dem Kopf. In den behandschuhten Händen wäre er ihr lästig gewesen, und ablegen wollte sie ihn wohl nicht, um nicht versehentlich eine Spur zu verdecken.

    »Du hast recht, wir sollten keine Möglichkeit ausschließen. Trotzdem sieht es danach aus, dass sie zu zweit waren.«

    »Vielleicht ein Eindringling? Durch das Fenster?«

    Erresto besah sich das tote Gesicht, den für immer verstummten Mund. »Mir scheint, der Täter hatte Zeit. Er hat Giulianas Augen zugedrückt. Das hätte er nicht getan, wäre der Liebhaber noch zugegen gewesen. Das Fenster kann er hinterher geöffnet haben.«

    »Also ist der Täter entweder der Liebhaber, oder der Liebhaber ist ein weiteres Opfer.«

    Nachdenklich umrundete Erresto das Bett. Er achtete darauf, keine der Perlen zu zertreten, die Giulianas nun zerrissene Kette geziert hatten. »Dann müsste er ihn herausgeschafft haben. Durch das Fenster oder über die Treppe. Und danach mit der Leiche durch die halbe Stadt.« Sie befanden sich im Palacio Torreda, dem Rathaus von Taladur. Giuliana hatte hier in Gemächern des Obergeschosses residiert, die ihrer Stellung als Ratsvorsitzende angemessen gewesen waren. Bald würde jemand anderes hier einziehen.

    Erresto sah auf die Stadt hinaus, wo das Hämmern der Handwerker den Morgen begrüßte. Giuliana war Zunftmeisterin der Silberschmiede gewesen, deren Werkzeug sich in den arbeitsamen Klang mischte, ohne dass jene, die es schwangen, bereits gewusst hätten, dass sie ohne Führung waren. Die Neuigkeit würde sich rasch verbreiten. Noch bevor die Sonne gänzlich über dem Horizont stünde, wüssten alle davon, wenn die Schatten am kürzesten wären, hätte jedes Kind in Taladur seine eigene Spekulation dazu, wer für den Mord verantwortlich sei.

    Mit Sorge sah Erresto auf die Silhouetten der Geschlechtertürme, die sich gleich Riesen, die nach dem Erwachen die noch kalten Muskeln streckten, inmitten der Stadt erhoben, deren Sicherheit ihm anvertraut war. Der höchste von ihnen gehörte den Tandori. Seine silbergekrönten Zinnen legten beredtes Zeugnis vom Stolz der Familia der Ermordeten ab. Stolz schrie allzu leicht und allzu blindwütig nach Rache. Harte Wochen lagen vor der Taladurer Wehr.

    »Fassen wir zusammen, was wir wissen«, forderte Erresto und wandte sich Kallista zu. »Giuliana hatte eine romantische Verabredung, auf die sie sich gründlich vorbereitet hat. Kurz vor, während oder nach dieser Verabredung wurde sie ermordet.«

    »Sie ist gestorben«, korrigierte Kallista. »Ob sie wirklich ermordet wurde, wissen wir noch nicht.« Erresto und sie befanden sich in einem ständigen Wettstreit, um sich gegenseitig nachzuweisen, wo sie Annahmen trafen, die noch nicht zweifelsfrei belegt waren.

    Erresto grinste. Trotz der traurigen Lage genoss er es, seinen Verstand mit Kallistas fechten zu lassen. »Zugegeben. Aber ich weiß, wann sie gestorben ist.«

    »Oho. Lass hören.« Kallista pflegte einen ungewöhnlich vertraulichen Ton mit ihrem Garde-Capitan, vor allem, wenn sie allein waren.

    »Das Gelage hatte bereits begonnen.« Erresto zeigte auf das angeknabberte Konfekt, den Wein in dem Kelch auf dem Tischchen und die rote Lache auf dem Boden. »Es geschah also nicht vorher. Auch nicht nachher, dafür ist zu wenig gegessen worden und Giulianas Kleidung ist darauf ausgelegt, ein bestimmtes Verlangen anzufachen.«

    Kallista neigte bestätigend das Haupt. »Zudem wurde kein Holz im Kamin nachgelegt.«

    »Es ist inzwischen heruntergebrannt. Wenn wir davon ausgehen, dass sie es nicht hätte ausgehen lassen ...«, er sah seine Untergebene fragend an, die ihm die Annahme mit einem angedeuteten Nicken durchgehen ließ, »... dürfte es wohl wenigstens eine Stunde her sein, seit Giuliana ihre letzte Reise antrat. Viel länger aber auch nicht, sonst wäre ihre Haut kälter.«

    »Also gut.« Mit auf dem Rücken verschränkten Armen schritt Kallista auf und ab. Ihre schweren Stiefel wirkten klobig in dem fein eingerichteten Raum. »Es geschieht also, während die beiden beisammen sind. Giuliana stirbt ...«

    »... wie auch immer ...«

    »... auf welche Weise auch immer, und der Liebhaber schließt ihre Augen, lässt aber ansonsten die Leiche unberührt und schert sich auch nicht um den zerbrochenen Kelch.«

    »Der Kelch wundert mich weniger als die Kette. Siehst du die Kratzspuren an Giulianas Hals? Glaubst du, sie hat sie sich selbst zugefügt?«

    Kallista leuchtete mit der Kerze, vorsichtig darauf bedacht, dass kein Wachs auf die Tote tropfte. »Der Hals ist dunkel unter dem Puder. Gut möglich, dass sie gewürgt wurde. Also ein Kampf!«

    Erresto räusperte sich. »Nicht unbedingt. Manchen Frauen hilft es, den Gipfel der Lust zu erklimmen, wenn ...«

    »Ja?«, fragte Kallista gedehnt und bedachte ihn mit einem tiefen Blick aus ihren dunklen Augen. »Erzähl mir mehr!«

    »Wenn ihnen die Luft abgedrückt wird während ... na ja währenddessen.«

    »Ah ja.«

    »Ja.«

    »Und Giuliana ...?«

    »Wer weiß.«

    »Nun gut. Wer weiß. Also vielleicht ein Unfall?«

    »Trotzdem nehmen wir den Krug mit. Und tauch dein Tuch in die Lache, vielleicht war Gift in ihren Kelch gestrichen.«

    »Jawohl, Capitan.«

    »Wir bringen den Wein gleich zu Cecano, der soll herausfinden, ob daran etwas nicht stimmt.«

    »Das sollte ihm nicht schwerfallen.«

    »Zurück zur Tat. Giuliana stirbt also, der Grund dafür ist uns noch nicht klar. Der Geliebte kümmert sich um sie und öffnet dann das Fenster.«

    »Warum?«

    Erresto nahm einen tiefen Atemzug. »Er ist angestrengt, zudem aufgewühlt. Er hat das Gefühl, zu ersticken. Hier drin ist es warm wegen des Kamins. Also verschafft er sich frische Luft.«

    »Gut. Dann verschwindet er. Und als die Zofe kommt, die die Fenster putzen will, wundert sie sich über das Heulen des Windes in diesem Zimmer. Das kommt ihr merkwürdig vor.«

    »In Wirklichkeit wird sie an der Tür gelauscht haben«, stellte Erresto lapidar fest. »Alle Zofen tun das.«

    »Wie auch immer. Sie kann sich keinen Reim auf das machen, was sie hört. Auf ihr Rufen erhält sie keine Antwort, das Zimmer ist unverschlossen, und kurz darauf schreit sie dich aus dem Bett.«

    »Zum Glück hat sie nicht geschrien, sondern nur geklopft, als wolle sie meine Tür einbrechen. Sonst hätte sie die ganze Kupferstraße aufgeweckt, und wir wären sicher nicht die Ersten hier gewesen.« Kallista und Migeno, der sich gerade um die Zofe kümmerte, hatte er unterwegs eingesammelt, sie waren Nachtwache gegangen und ihm dabei in die Arme gelaufen.

    Erresto ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und versuchte, sich die Dinge einzuprägen, die nicht so offensichtlich waren, dass sie ohnehin im Gedächtnis haften blieben. Der Spiegel hing ein wenig schräg, der Vorhang am Bett hatte sich an einigen Schlaufen gelöst, möglicherweise hatte Giuliana im Todeskampf daran gerissen. Er überlegte, ob sie sich vielleicht einfach nur verschluckt hatte und dann an einer Nascherei erstickt war. Es wäre gut gewesen, wenn kein Verbrechen hinter diesem Tod gesteckt hätte, aber das wagte er nicht zu hoffen.

    »Die unverschlossene Zimmertür ist eine hilfreiche Beobachtung«, lobte er. »Sie deutet darauf hin, dass der Geliebte den Raum auf diesem Weg verlassen hat, nicht durch das Fenster. Vielleicht war er verunsichert, als es geschah, aber dann muss er seine Ruhe zurückgewonnen haben. Ich sehe auch nichts, was er zurückgelassen hätte. Keine Kleidung oder so etwas, meine ich.«

    »Ich auch nicht«, bestätigte Kallista.

    Geräusche drangen aus dem Parterre herauf und näherten sich schnell. »... dein Herr sicher verstehen!«, hörte Erresto.

    »Aber ich habe Befehl ...« Das war Migenos Stimme.

    Entschlossen, wie es den Tandori eigen war, stieß Zelonso die Tür auf. Er war der Soberan, das Oberhaupt seiner Familia und damit einer der mächtigsten Männer der Stadt. Die Tatsache, dass er ohne Bedeckung gekommen und dass die Spitze seines Hemds nur nachlässig gezupft war, kündeten von der Hast, mit der er hierher geeilt war.

    Erresto hielt Migeno mit einer beschwichtigenden Geste zurück. Unmöglich, von einem einfachen Gardisten zu verlangen, Zelonso Tandori in dieser Lage Einhalt zu gebieten. Der Soberan war gut zehn Jahre älter als Erresto, was auch bedeutete, dass das Ungestüm der Jugend in ihm noch nicht erloschen war. Eine unselige Eigenschaft in dieser Situation.

    Erresto legte die Linke an den Knauf seines Degens. Er hatte nicht vor, die Waffe zu ziehen, aber die Geste betonte die Würde seines Amtes.

    »Garde-Capitan«, grüßte Zelonso dann auch, bevor sich sein Blick an der Toten festsaugte, die seine Tante gewesen war.

    »Soberan Zelonso«, sagte Erresto ruhig. »Unser Mitgefühl ist bei der Familia Tandori.« Er trat von der Leiche zurück.

    Zelonso strahlte die Würde einer Raubkatze aus, als er neben Giuliana niederkniete und ihr Haupt in seinen Schoß bettete. Seine Tränen waren stumm. Das beunruhigte Erresto mehr, als wenn der Mann seinen Schmerz hinausgeschrien hätte. Seine Trauer war echt. Die wenigsten Almadaner neigten dazu, sich einem solchen Gefühl dauerhaft in stiller Kontemplation zu widmen.

    ***

    Taberna Goldkehlchen, Quirod.

    Fünfzehnter Tag im Hesindemond, 989 nach Bosparans Fall

    Edelhart empfand es als demütigend, ohne Bedeckung reisen zu müssen. Vater hatte ihm nicht mehr mitgegeben als ein Schrei­ben an das Familienoberhaupt der Ernathesa. Der Inhalt war Edelhart unbekannt, er wagte nicht, das Siegel zu brechen.

    Er zog die Wildlederhandschuhe aus und legte sie auf den Tisch vor sich. Die Tagelöhner stellten die beiden Kisten mit seinem Gepäck neben ihm ab. Abschätzig musterte er sie. Im Grunde hatten sie ihre Arbeit gut und zügig erledigt. Dennoch bedeutete er ihnen, sie sollten die Kisten aufeinander stapeln, statt sie nebeneinander zu platzieren. Das einfache Volk sollte sich nicht

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