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Grenzgänger: Österreichische Pioniere zwischen Triumph und Tragik
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eBook262 Seiten3 Stunden

Grenzgänger: Österreichische Pioniere zwischen Triumph und Tragik

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Über dieses E-Book

Dieses Buch holt österreichische Erfinder und Forscher vor den Vorhang, insbesondere die einer breiten Öffentlichkeit so gut wie unbekannten: zum Beispiel Oleh Hornykiewicz, einen Wiener Hirnforscher, der die wahren Ursachen von Parkinson entschlüsselte - und auf dessen Forschungen die heutigen Therapien beruhen. Oder Wilhelm Kreß: Er schaffte beinahe den weltweit ersten bemannten Motorflug. Allerdings stürzte seine Maschine 1901 in den Wienerwaldsee, weil sie zu schwer war. Nur zwei Jahre später gelang den Gebrüdern Wright das Kunststück des Fliegens. Oder die Kernphysikerin Marietta Blau, die mehrfach knapp am Nobelpreis vorbeischrammte. Genauso wie Friedrich Hasenöhrl, der eine Formel ersann, die fast an Albert Einsteins berühmte Gleichung E=mc2 heranreichte. Nur war sie nicht ganz so elegant. Oder Eduard Suess, der Erfinder der Hochquellwasserleitung sowie Schöpfer des Begriffs "Atmosphäre". Oder Karl Kordesch, dessen Namen fast niemand, dessen Erfindung aber praktisch jeder kennt: die Alkali-Batterie. Und Otto Kornei, ein arbeitsloser österreichischer Physiker, der nach Amerika auswanderte und dort den ersten Kopierer erfand. Eine grandiose Erfolgsstory, wäre Kornei nicht vorzeitig aus dem Geschäft ausgestiegen.
Es geht in diesen Porträts großer Forscher- und Erfinderpersönlichkeiten um die zuweilen äußerst schmale Grenzlinie zwischen Erfolg und Scheitern, um das stete Schwanken zwischen Versuch und Irrtum, um den manischen Forschungseifer vieler Genies, um Willenskraft und Unternehmergeist. Es geht aber auch um vielfach immer noch bestehende bürokratische Hürden und mitunter lähmende Kleingeisterei. Davon weiß auch die Managerin und frühere Politikerin Brigitte Ederer zu berichten, die in ihrem Vorwort erklärt, was wir heute aus den Biografien dieser mutigen Männer und Frauen lernen können.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. März 2015
ISBN9783850339025
Grenzgänger: Österreichische Pioniere zwischen Triumph und Tragik

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    Buchvorschau

    Grenzgänger - Alwin Schönberger

    2015

    Karl Kordesch

    1922–2011

    Der Stromleiter

    Ohne ihn läuft fast gar nichts: Ein Wiener Chemiker schuf die Grundlagen für die Verwendung moderner Elektronik.

    Meist machen wir uns nicht übermäßig viele Gedanken über den Ursprung der Gegenstände, mit denen wir im Alltag hantieren. Wer überlegt schon, ob – um beliebige Beispiele zu nennen – Mikrowelle, Heizkörper oder Telefon einer abenteuerlichen, womöglich dramatischen Entstehungsgeschichte entstammen? Und wer fragt sich, ob scheinbar banale Gebrauchsobjekte von großen Geistern ersonnen wurden, die vielleicht ihre ganze Karriere einer Idee widmeten, die heute unser Leben verbessert oder sogar den Planeten ein Stück besser macht? Genau dies ist aber nicht selten der Fall: Viele Erfindungen basieren auf dem Engagement und Einfallsreichtum kluger Köpfe, die sich manchmal über Jahrzehnte mit der Lösung eines hartnäckigen Problems befassten. Das Ergebnis ist häufig ein Produkt, das uns heute völlig selbstverständlich erscheint. Viele Genies aber, denen wir solche Innovationen verdanken, kennt abseits der Fachkreise kaum jemand.

    Zum Beispiel Karl Kordesch. Seine Entwicklungen sind nahezu allgegenwärtig und begegnen uns ständig, ohne dass wir ihnen besondere Beachtung schenken: Fernbedienung, Taschenlampe, Reisewecker, tragbares Radio – nichts von all dem würde in der heute gewohnten Weise funktionieren, hätte er seine Forschungen nicht beharrlich vorangetrieben.

    Karl Kordesch hat die Alkali-Batterie erfunden, die lange Zeit mit Abstand wichtigste mobile Stromquelle. Ob Knopfzelle oder Blockbatterie: Fast überall, wo zum Beispiel Duracell, Varta oder Energizer draufsteht, ist Kordeschs Expertise drin. Wenn wir an der Supermarktkasse beiläufig eine Packung Batterien aufs Förderband schieben, kaufen wir in kommerzielle Produkte gepressten österreichischen Erfindergeist. Kordeschs Patent aus dem Jahr 1959 hat eine komfortable Verwendung moderner elektronischer Konsumgüter überhaupt erst ermöglicht.

    Karl Kordesch war ein Mann, der sich aber auch über die Folgen seiner Erfindungen den Kopf zerbrach. Jahr für Jahr wandern Milliarden von Batterien über den Ladentisch – und landen, wenn sie ihren Dienst getan haben, in der Mülltonne. Kordesch hielt dies für ökologisch bedenklich, suchte nach einer Technologie, die es gestattete, Batterien mehrmals zu verwenden, und entwarf eine Batterie, die man wieder aufladen konnte.

    Oder das Problem mit den Autos. Längst ist unstrittig, dass das Verbrennen fossiler Rohstoffe nach Kräften eingeschränkt werden muss. Dennoch befinden sich brauchbare Alternativen für den Individualverkehr nach wie vor in einer Art Experimentierphase, auch wenn das Angebot an Elektro- und Hybridfahrzeugen ständig wächst. Und immer noch wird debattiert, welcher Treibstoff und welcher Antrieb auf lange Sicht am besten geeignet ist. Vielleicht Wasserstoff in Kombination mit einem Elektromotor? Kordesch dachte über solche Fahrzeuge bereits in den 1960er-Jahren nach, in einer Ära, in der kaum jemanden Gewissensbisse plagten, wenn die Umwelt dem technischen Fortschritt geopfert wurde. Er beließ es allerdings nicht bei trockener Theorie, er baute die Fahrzeuge einfach, zu Hause in der Garage – nicht als Modell, sondern als Fortbewegungsmittel für den täglichen Gebrauch.

    Als erster Mensch der Welt steuerte er ein Motorrad durch die Stadt, das von einer Brennstoffzelle gespeist wurde. Er war außerdem der Erste, der einen Wagen in ein Hybridauto umfunktionierte: Eine Brennstoffzelle steckte im Kofferraum, ein Elektromotor vorn unter der Motorhaube, aufs Dach packte er Wasserstofftanks. Drei Jahre lang fuhr Kordesch diesen Wagen. Da begannen die Konzerne bestenfalls gerade zu diskutieren, ob es wohl eines Tages sinnvoll sein könnte, Wasserstoff in einen Tank zu füllen.

    Als er im Jänner 2011 im Alter von 89 Jahren verstarb, hatte Karl Kordesch, meist im Team mit Kollegen, an die 150 Patente formuliert. Die genaue Zahl, sagte er einmal, wisse er selbst nicht. Mit Gewissheit darf jedoch behauptet werden, dass Kordesch nicht nur zu den produktivsten Erfindern zählt, die dieses Land je hervorgebracht hat, sondern auch zu jenen Talenten, die den Blick stets weit in die Zukunft gerichtet hatten und sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst waren.

    Er selbst hätte das niemals so ausgedrückt. Wenn er von seiner Arbeit berichtete, nannte er gerne technische Details, unterstrich die Funktionsweise, wog Vorzüge und Nachteile gegenüber anderen Erfindungen ab – stets auf die Sache fokussiert, ganz der gewissenhafte Forscher. Manchmal streute er eine kleine Anekdote ein, gewürzt mit feinem Humor und einem Hauch Ironie. Superlative sparte er sich für andere auf. Zum Beispiel für bewundernde Schilderungen der akademischen Karrieren seiner Frau Erna, einer Biologin, und seiner vier Kinder, allesamt Wissenschaftler, Ärzte, Techniker oder Physiker.

    Das Lob seiner eigenen Leistungen blieb Weggefährten, Kollegen und Schülern vorbehalten. Deren Einschätzungen fielen stets ähnlich aus: Ein wahrer Pionier sei der Mann, eine internationale Ikone der Energieforschung, Vorbild und Ansporn für Generationen von Studenten, Referenz, Autorität und Inspiration für Expertengruppen in aller Welt.

    Warum ist sein Name dann in Österreich nahezu unbekannt?

    Vermutlich deshalb, weil er entscheidende Etappen seines Forscherlebens in Amerika zubrachte. Karl Kordeschs Laufbahn war wesentlich von den Umständen der Nachkriegszeit geprägt: Im März 1922 als Sohn eines aus Siebenbürgen stammenden Mannes und einer Niederösterreicherin in Wien geboren, studierte Kordesch zunächst Chemie und Physik an der Universität Wien. Dann musste er einrücken. An der Ostfront zog er sich schwere Verletzungen zu. Er durfte zurück nach Österreich und seine Studien fortsetzen. Am Chemischen Institut der Universität Wien schrieb er eine Dissertation über Aminosäuren und beschäftigte sich mit Luft-Sauerstoff-Batterien.

    Mitglieder der US-Besatzungskräfte verfolgten damals einen umsichtigen Plan: Sie hielten Ausschau nach besonders begabten österreichischen Forschern, nach Menschen mit solidem Fachwissen und kühnen, unkonventionellen Ideen. Deren Geisteskraft und Enthusiasmus, so der einleuchtende Gedanke, müsse man gezielt abschöpfen, in Amerika für bedeutsame Entwicklungen nutzen und in markttaugliche Produkte überführen. So suchten die Amerikaner Labors und Institute nach herausragenden Talenten ab. Sie sprachen zahlreiche Kandidaten an, darunter Karl Kordesch, der gerade mit Batterien experimentierte.

    Sie wollten ihn verpflichten, doch wie konnte man ihn unbürokratisch außer Landes bringen? Eine Emigration aus Österreich direkt in die USA war nicht leicht zu bewerkstelligen, weshalb sich die Army eine Strategie einfallen ließ, die ein bisschen an einen Agentenfilm erinnert und den Codenamen »Operation Paperclip« trug: Man arrangierte 1953 eine Urlaubsreise nach Deutschland, und von dort aus schaffte man Kordesch auf einem Schiff der US Navy nach Amerika, gemeinsam mit seiner Frau, den beiden Kindern und etwa sechzig weiteren Forschern aus Österreich. Die Möbel würden nachgeliefert, versprachen die Amerikaner.

    Die erste Station war das U.S. Signal Corps in Fort Monmouth, New Jersey. Es handelte sich um eine technische Einheit des Militärs, die Forschungslabors betrieb. Kordesch unterzeichnete einen Einjahresvertrag und konzentrierte sich auf sein Spezialgebiet: die Arbeit an optimierten Batterien. Der Vertrag wurde um ein Jahr verlängert, lief dann aus, und Kordesch brauchte einen neuen Job. Er fand ihn 1955 in Parma, Ohio, bei der Union Carbide Corporation. Das Unternehmen war ein bedeutender Chemiekonzern, der in der Öffentlichkeit allerdings vor allem durch einen grauenvollen Unfall im indischen Bhopal Bekanntheit erlangte. Im Jahr 1984 entwichen ungefähr vierzig Tonnen hochgiftiger Substanzen. Das Giftgas trieb durch die Elendsviertel der Region und tötete Tausende Menschen.

    Für Kordesch, der sich in Amerika drei Jahrzehnte zuvor seinen Forschungen widmen durfte, wurde Union Carbide zur beruflichen Heimat. Union Carbide kooperierte mit der NASA, der Armee, mit der Automobilbranche. Tüftler wie er erhielten zusätzlich zum Gehalt einen Dollar für jedes Patent. Später wurde das Honorar auf zwei Dollar erhöht. Mit Erfindungen konnte man nicht reich werden, doch das wurde durch andere Vorzüge hinlänglich aufgewogen: Nie wieder habe er ein so anregendes Forschungsklima voll knisternder Kreativität erlebt, sagte Kordesch, und nirgendwo sonst hätten die Leute derart begeistert und harmonisch zusammengearbeitet. Alle waren angestellt, die Jobs galten als sicher, man konkurrierte nicht, sondern kooperierte: half einander, lernte voneinander und entwickelte Ideen gemeinsam weiter. Kosten- und Zeitdruck seien, in krassem Unterschied zu heute, kein Thema gewesen. Fünf, sieben Jahre Muße für ein Projekt? Kein Problem. Mit lähmender Bürokratie hatten die Forscher ebenfalls nichts zu schaffen. Es gab genügend Ressourcen, ausreichend Personal und den festen Willen, Großes zuwege zu bringen.

    Es war das ideale Umfeld für die Entwicklung wirklicher Innovationen.

    Der damals gängige Batterietyp war die Zink-Kohle-Batterie, die auf einem Prinzip des Franzosen Georges Leclanché aus den 1860er-Jahren beruhte. Die wesentlichen Materialien bildeten ein Zinkbecher für die negative Elektrode sowie Braunstein – ein Mangan-Mineral – samt einem Kohlestift für das positive Gegenüber. Damit erfüllte die Errungenschaft die zentrale Aufgabe jeder Batterie: Elektronen fließen von der negativen Elektrode, der Anode, zur positiven, der Kathode, wodurch elektrische Leistung entsteht. In der Batterie gespeicherte chemische Energie wird dabei in elektrische Energie umgewandelt. Zwischen den Elektroden, den aktiven Massen, steckt zudem ein Separator, ein Trennelement, das Kurzschlüsse verhindert.

    Kordesch plante anfangs Verbesserungen dieser lange erprobten Energiequelle. Doch bald änderte er sein Vorhaben und konzentrierte sich mit einer seiner Arbeitsgruppen auf ein Konzept, das es in Grundzügen bereits seit 1912 gab, jedoch nie über das Stadium der Theorie hinausgekommen war: die alkalische Batterie, etwas präziser Alkali-Mangan-Batterie genannt.

    Zink und Mangandioxid kamen auch hier zum Einsatz, auch wenn sich die Anordnung der Bauteile vom Vorgänger unterschied. Für die Konstruktion des Elektrolyten – jener Substanz im Inneren der Batterie, die den Ladungstransport zwischen den Elektroden gewährleistet – verwendete Kordesch Kalilauge. Die elektrochemischen Einzelheiten, die der Forscher und seine Kollegen ausbrüteten, mögen den Anwender in der Praxis nicht weiter tangieren. Von Bedeutung sind hingegen die Vorteile für den Konsumenten, die das Patent mit der Nummer 3,042.732 unter der Bezeichnung »Anodes for Alkaline Cells« mit sich brachte: hohe Energieausbeute und lange Leistung. Laienhaft ausgedrückt: Alkali-Batterien geht so schnell nicht der Saft aus. Um eine Uhr zuverlässig ticken zu lassen, ist solch ein Kraftpaket nicht unbedingt erforderlich, doch andere Geräte verbrauchen deutlich mehr Energie: Bis zum Siegeszug der Smartphones und iPods ließen sich die Menschen vorwiegend von CD- oder MP3-Playern mit Musik berieseln, und ohne Alkali-Batterie wäre der Hörgenuss rasch zu Ende gewesen.

    Kordeschs Batterie hatte noch einen weiteren Vorzug gegenüber den früheren Modellen, der auch für weniger stromintensive Produkte wie Uhren, Lampen und Fernbedienungen relevant ist: Sie läuft praktisch nie aus. Ältere Semester erinnern sich vielleicht noch an Batterien, an denen plötzlich eine ekelhafte bröselige Masse klebte. Die Ursache war, dass sich beim Entladen Zink zersetzte und austrat. Kordesch integrierte ein solides Metallgehäuse in sein Patent, was diesen Prozess unterband.

    Die Auswirkungen all der Systemverbesserungen hatten massiven Einfluss auf den Markt. Viele Batteriehersteller erkannten die Bedeutung dieser Innovation augenblicklich. Sie erwarben Lizenzen, stellten ab Beginn der Sechzigerjahre ihr Sortiment um und verdienten gutes Geld. Andere hielten das für neumodischen Unfug, was sie später bitter bereuten. Denn mit der Zeit blieb auch diesen Verweigerern keine andere Wahl, als auf die Alkali-Variante umzuschwenken – aufgrund des wachsenden Verkaufserfolgs hatten sich die Lizenzpreise inzwischen allerdings empfindlich erhöht. Einige Unternehmen gingen daran pleite.

    Für die Weiterentwicklung der Technologie, immerhin durch deren Erfinder selbst, brachte die Industrie damals indes noch keine besondere Begeisterung auf. Eine Batterie, die man wieder aufladen konnte? Schlechte Idee, befanden die Konzerne, darunter auch Union Carbide. Die übliche Reaktion lautete: Um Himmels willen, das gräbt uns ja das Geschäft ab. Die Konsumenten, so die vorherrschende Meinung, sollten gefälligst Wegwerfbatterien kaufen, in der Fachsprache Primärbatterien genannt. Doch Kordesch war vom Sinn einer Sekundärbatterie überzeugt – einer Stromquelle, die man eben nicht achtlos entsorgt, wenn der Elektronenfluss versiegt, sondern die man neuerlich befüllt. Ein Ladegerät schubst dabei die Elektronen wieder zurück zum Minuspol, und der Kreislauf beginnt von vorne.

    Deutlich später erst, im Jahr 1986, gründete Kordesch seine eigene Firma, um wiederaufladbare Batterien, heute besser unter der Bezeichnung Akkumulator oder kurz Akku bekannt, zu vertreiben: Battery Technology Incorporated mit Sitz in Kanada. Als Unternehmer erlitt Kordesch allerdings Schiffbruch: Die Erhaltung der Patente kostete mehr, als die Verkäufe einspielten. Nach der Pleite gelang es jedoch, das Konzept in eine neue Gesellschaft zu transferieren, die bald Zweigstellen in aller Welt eröffnete, darunter in Korea und Malaysia.

    Bei Union Carbide stürzte sich Kordesch ab Mitte der Sechzigerjahre auf eine andere vielversprechende Form der Stromversorgung: auf die Brennstoffzelle als Ergänzung oder langfristig womöglich als Alternative zu klassischen Benzin- und Dieselmotoren. Für das Militär war die Technologie von großem Interesse, ebenso für die Raumfahrt, weil sie sich dazu eignete, Radaranlagen oder Bordsysteme von Raumkapseln mit Strom zu versorgen. Auch Autohersteller fanden Gefallen an Brennstoffzellen und elektrischen Antrieben. General Motors investierte ordentlich Geld und ermöglichte damit, dass Kordeschs Forschergruppe ein Modell namens »GM Electrovan« konstruierte. Das Projekt kostete um die acht Millionen Dollar.

    Als Schnäppchenpreis, den man beim Autohändler leichtfertig hinblättert, geht so eine Summe kaum durch, weshalb eine Serienproduktion natürlich nicht infrage kam. Darüber waren alle Beteiligten letztlich sogar froh: die Manager von General Motors, weil sie weiterhin ihre Benzinautos verkaufen konnten; und Karl Kordesch, weil er sich ungestört in seine Forschungen vertiefen durfte.

    Zum Beispiel in die Umrüstung eines Motorrades. Er benutzte dazu ein Puch-Motorrad und stattete es mit einer Brennstoffzelle aus. Als Treibstoff wählte er Hydrazin, eine Mischung aus Stickstoff und Wasserstoff, die ähnlich wie Ammoniak riecht. 1967 war der Umbau abgeschlossen, und Kordesch fuhr mit dem Motorrad häufig ins Labor oder zu Abendveranstaltungen, nahezu geräuschlos und bis zu vierzig Stundenkilometer schnell. Es gab sogar eine Versicherung – allerdings nicht für das Gefährt, sondern für den Lenker: »Für den Fall, dass ich damit jemandem über die Zehen fahre«, wie Kordesch erklärte.

    Wenig später folgte ein ähnliches Experiment, diesmal auf vier Rädern. Kordesch kaufte einen Austin A-40, Baujahr 1965. Er bekam den Wagen günstig von einem Nachbarn, der den Motor wegen Ölmangels ruiniert hatte. Die nächsten beiden Jahre schlug sich der Erfinder die Abende in seiner Garage um die Ohren. Seine Frau, gestand er, habe ihn in dieser Phase kaum zu Gesicht bekommen. 1970 war es vollbracht: Kordesch hatte das erste Hybridauto der Welt gebaut.

    Stahlflaschen mit Wasserstoff bedeckten das Dach, im Kofferraum lagen die Brennstoffzellen, zusätzlich verfügte das Auto über Bleibatterien. Das klingt ziemlich überfrachtet, doch der Wagen bot trotzdem noch Platz für vier Personen und den Familienhund Coco. Nur auf die Mitnahme sperrigen Gepäcks musste man verzichten.

    Der Treibstoff reichte für immerhin 300 Kilometer. Theoretisch hätte er sogar locker quer über den amerikanischen Kontinent fahren können, so Kordesch. Allerdings hätte dann ständig ein mit Wasserstoffflaschen beladener Lastwagen hinterhertuckern müssen.

    Einer gesonderten Zulassung bedurfte es nicht, denn mit Auflagen nahm man es damals noch nicht so genau. Kordesch musste lediglich ein Schild anbringen, das Mitfahrer aufklärte: »Smoking in the car is not allowed.« Eine Genehmigung hätte er bloß dann einholen müssen, wenn er zum Beispiel die Absicht gehabt hätte, das Auto neu zu lackieren.

    Im Jahr 1977 musste Union Carbide plötzlich doch sparen: Die NASA hatte das Volumen externer Aufträge zusammengestrichen, wodurch sich der Chemiekonzern gezwungen sah, den Personalstand zu reduzieren. Man bot Karl Kordesch ein elegantes »Early Retirement« an. Nach 22 Jahren Firmenzugehörigkeit hielt der mittlerweile 55-Jährige neuerlich Ausschau nach einem Job. Er beschloss, in seine alte Heimat zurückzukehren, sichtete mehrere attraktive Angebote und entschied sich für eine Professur an der Technischen Universität Graz. Ein Vorteil dieser Position bestand darin, dass er als Professor sogleich die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt. Ein weiterer Vorteil war, dass er die Dinge nun etwas gemächlicher angehen durfte: Als Ordentlicher Professor habe er fortan ein recht gutes Leben gehabt, sagte er.

    Was Kordesch unter einem recht guten Leben verstand: Er kam am Montag in der Früh ans Institut, blieb bis zum Abend und behielt diesen Rhythmus an den übrigens sechs Tagen jeder Woche bei. Kordesch forschte weiter an Brennstoffzellen, schrieb Bücher, Fachartikel, hielt Vorträge, nahm Auszeichnungen und Ehrungen entgegen. Er kümmerte sich zudem verstärkt um den Nachwuchs. Befragt man ehemalige Studenten, erinnern sich diese, dass seine Vorlesungen regelrecht mitreißend waren, gleichzeitig freundlich im Ton und mit amerikanischer Lässigkeit abgehalten. Hervorgehoben wird auch eine beeindruckende Aufgeschlossenheit, die er der jungen Generation entgegenbrachte. Er schürte Begeisterung für sein Fach und die Forschung generell, vermittelte theoretische Grundlagen wie auch praktische Anwendungsmöglichkeiten. Sein Brennstoffzellenmotorrad hatte er für Demonstrationszwecke aus Amerika mitgebracht. So trieb er seine Studenten zu Spitzenleistungen, nicht wenige von ihnen schafften es später in Führungsjobs – unter anderem in Niederlassungen von Kordeschs kanadischer Unternehmensgründung.

    Gelegentlich mischte er sich auch in öffentliche Debatten ein, wenn es um neue Energieträger ging; er gab Zeitungsinterviews, in denen er die Behäbigkeit und Mutlosigkeit der Automobilindustrie kritisierte, die über Jahrzehnte nicht genug Weitblick, Mumm und Konsequenz aufgebracht habe, brauchbare alternative Antriebe zu erzeugen. Kordesch hielt an seiner Überzeugung fest, dass Wasserstoff, Brennstoffzellen und Hybridfahrzeuge die Technologien der Zukunft seien. Fragen wie jene nach effizienten Batterien, Elektromotoren und alltagstauglichen Methoden der Wasserstoffspeicherung müsse man zwar noch erörtern, doch grundsätzlich könne kein Zweifel daran bestehen, welchen Weg es einzuschlagen gelte: Elektroautos für den Stadtverkehr, Hybridwagen für die längeren Strecken.

    Sosehr der Professor in der Fachwelt geachtet wurde: Sobald es um die Umsetzung konkreter Projekte ging, bedeutete Österreich dann doch einen kleinen Kulturschock. Es sei deutlich zäher, hier etwas auf die Beine zu stellen als in den USA, befand er. Die Bürokratie erschwerte die Arbeit, ebenso Eifersüchteleien zwischen Kollegen oder wissenschaftlichen Disziplinen. In Amerika hatte in dieser Hinsicht

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