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Eddas Geheimnis
Eddas Geheimnis
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eBook255 Seiten3 Stunden

Eddas Geheimnis

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Über dieses E-Book

Das Leben der Edda von Karben sitzt wie ein maßgeschneidertes Business-Kostüm. Als Leiterin eines großen Marktforschungs-Instituts ist sie die heimliche Regentin der Wirtschaftsmetropole Frankfurt. Betti und Lula, zwei alte Schulfreundinnen, platzen - nach Jahren! - in ihr Leben wie eine Puddingbombe. Und entdecken, was Edda bislang geschickt zu verheimlichen wusste: Dass Edda nämlich eine dunkle Seite hat ... Die "Shades of Grey"-artige Wahrheit kommt ans Licht.
Am Ende des Tunnels wartet jedoch eine wunderbare Freundschaft - und auch eine neue Liebe ist in Sicht.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum21. März 2013
ISBN9783863370541
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    Buchvorschau

    Eddas Geheimnis - Elinor Bicks

    Opernplatz

    Edda von Karben wünschte, sie wäre ein Eiswürfel und könnte in ihrem Getränk verschwinden. Eine andere Fluchtmöglichkeit gab es nicht. Hinter ihr versperrte die Hauswand den Weg, rechts und links standen Stühle in dichter Reihe, besetzt mit Menschen, deren Beine fest in Flanelldecken gewickelt waren. Hier war kein Entkommen. Von vorn rollte die rote Walze unaufhaltsam auf sie zu, nur beachtet von den diskreten Blicken der Sitznachbarn, die wie Edda an diesem Samstagvormittag vor dem Operncafé saßen, um die ungewöhnlich warme Novembersonne zu genießen. Auch Edda gab sich unbeteiligt, obwohl ihr längst klar war, was da auf sie zurollte. Denn gerade hatte die Walze sich zu erkennen gegeben, indem sie diesen Namen gerufen hatte. In einer Lautstärke, die die plappernden Stare in den Platanen für einen Moment verstummen ließ. »Ede!!!!« Niemand hatte sie so genannt seit damals. Und nicht viele hatten sie so genannt. Edda schmeckte Galle in der Kehle. Die Walze stand nun vor ihr, atemlos, und nahm ihr die Sonne.

    »Ede?« Wieder dieser Name, obwohl weich ausgesprochen, traf er sie nadelspitz.

    »Kennst du mich noch?«

    Ungefähr die Hälfte von dir, dachte Edda und ließ den Blick an ihrem Gegenüber hinauf wandern. Der Mantel war aus teurer gekämmter Wolle und umspielte einen Körper von erheblichem Ausmaß, wie Edda vermutete. Ein gemusterter Seidenschal bildete den Übergang vom Mantel zum Kinn, auf dem ein rundgepolstertes Gesicht ruhte. Genaugenommen, so überlegte Edda, war das Adipöse schon in ihren Kinderzügen angelegt gewesen. Zu Kinderzeiten noch ein etwas verlorenes Punkt, Punkt, Komma, Strich, besaß das Gesicht nun eine lebendige Fülle und wirkte geradezu markant. Die Augenbrauen waren zu ebenmäßigen Bögen gezupft. Die darunterliegenden braunen Augen tanzten hin und her, als würden sie Edda abtasten.

    Edda schüttelte langsam den Kopf. »Bedaure«, sagte sie, nahm ihr Glas und leerte es mitsamt Eiswürfeln. Sie schob einen Fünf-Euro-Schein unter das leere Glas und erhob sich von ihrem Stuhl. Stehend überragte Edda ihr Gegenüber um gut eine Kopflänge. Edda setzte den Blick auf, mit dem sie gewöhnlich ihre Mitarbeiter aus dem Weg fegte. Vergeblich. Ihr Gegenüber blieb unbeweglich wie ein Hydrant. Edda versuchte, sich vorbei zu drängen, die andere trat ihr mit einem geschickten Manöver in den Weg, wobei ein monströser Shopper behilflich war. Dabei fiel das Glas mit lautem Klirren vom Tisch. Wer bisher das merkwürdige Schauspiel noch nicht verfolgt hatte, war jetzt mit voller Aufmerksamkeit dabei.

    »Betti!«, entfuhr es Edda.

    Das Gesicht gegenüber hellte sich auf. »Endlich«, rief sie und drückte ihren Arm. »Ich dachte schon, dein Groschen fällt nie.«

    Edda entzog sich, indem sie einen demonstrativen Blick auf ihre Uhr warf. »Das war wirklich nett, aber ich muss jetzt los.« Dazu setzte Edda eine gehetzte Miene auf.

    Betti langte in ihren Shopper, zog ein Portemonnaie heraus und entnahm ihm eine Karte. »Meine Handynummer, meine Festnetznummer, die Nummer aus der Galerie und meine Emailadresse«, sagte sie und drückte sie Edda in die Hand.

    Von der Seite näherte sich der Kellner, um die Glasscherben aufzufegen. Betti musste beiseitetreten, und Edda nutzte die Lücke zur Flucht. »Ich ruf dich an«, rief sie über die Schulter und wedelte mit der Karte.

    »Unbedingt«, rief Betti ihr nach, als Edda mit geblähtem Mantel in die Fressgass entschwand. Sobald sie um die Ecke war, warf sie eine Handvoll winziger Papierfetzen in den nächstgelegenen Papierkorb.

    City

    Betti war nie besonders sportlich gewesen. Als Kind war ihr Lieblingssport, in der Schule den Turnbeutel zu vergessen. Oder sich beim Völkerball als erste abschießen zu lassen, um den Rest der Stunde auf der Bank zu verbringen. Inzwischen trug sie die Quittung in Form von etlichen Kilo Übergewicht. In den letzten Jahren hatte sich ihre Figur gerade um die Hüften herum explosionsartig ausgedehnt. Jedes Mal, wenn sie die Hosen runterließ, wurde sie von einer neuen Delle begrüßt. Eine Weile hatte Betti schlechte Gene dafür verantwortlich gemacht, wenn sie auch in ihrem Familienstammbaum mehrere Generationen weit zurückgehen musste, um auf fettleibige Vorfahren zu stoßen, die sie für ihr Aussehen verantwortlich machen konnte.

    Bei der Kleiderfrage stand das Thema Verhüllen im Vordergrund. Weite Schnitte, hochwertige Stoffe, gelegentlich ein Farbakzent. Der neue Trapezmantel von Betty Barclay war möglicherweise etwas zu viel des Guten. Unter Eddas Blick hatte sie sich darin plötzlich nicht mehr so wohl gefühlt wie noch kurz zuvor beim Kauf. Überhaupt Eddas Blick. Mit der Akribie eines Nacktscanners hatte sie sie vermessen, Pfund um Pfund, bis Betti plötzlich sich selbst mit den Augen der kritischen Freundin sah. In diesem Moment war es beschlossen. Die Burka aus Speck musste weg.

    Zahlendes Mitglied im Fitness-Club war sie bereits. Allerdings als Exklusiv-Kundin für den Wellness- und Spabereich. Die Schwelle zum Fitnessbereich hatte sie bisher noch nicht überschritten. Auch keiner der elastischen, muskelbepackten Personal Trainer hatte bisher das Vergnügen, ihr ein Personal Programme auf den gewichtigen Leib schneidern zu dürfen. Ihre Fitness war Wellness, mit den Spezialgebieten Römisch-Irisches Dampfbad, Shiatsu-Massage, Full-Body und Face-Kosmetik. Doch jetzt war es Zeit, den Aktivitätsradius auszuweiten. Sie hatte sich zunächst ein Trainingsprogramm von täglich fünfzehn Minuten Ausdauer auf dem Cross-Trainer und dreißig Minuten Kraft-Ausdauer an den Maschinen verordnet. Mindestens zehn Pfund mussten runter, bevor sie überhaupt einem dieser trainierten Adonisse vor die Augen treten konnte.

    Hochmotiviert schob Betti ihre Mitgliedskarte über den Tresen. Hinter der Empfangskraft, die ihr kaugummikauend den Spindschlüssel zuschob, hing das Plakat mit der Überschrift: Look better naked. Der Spruch saß Betti sonst wie ein Stachel im Fleisch, heute war es ihr Ansporn, und nur wenige Minuten später betrat sie den Trainingsraum, wild entschlossen, den Kampf mit ihrem schlechten genetischen Material aufzunehmen.

    Die parfümierte Raumluft musste ein aktivierendes Aroma enthalten, denn nach wenigen Schritten spürte sie eine euphorische Unruhe und wippte leicht beim Gehen, als sie auf der Suche nach dem geeigneten Trainingsgerät die Reihen abschritt. Hier wurde jede Sportart imitiert, die man zu Wasser, zu Lande oder in der Luft praktizieren konnte: Radfahren, Klettern, Dauerlauf, Joggen, Seilspringen, Rudern. Die Trainierenden kämpften gegen die künstlichen Widerstände, als ginge es um die Aufnahme in das Heer des Spartakus. Ziel war das Erreichen des körperlichen Alpha-Status: Ausdauer, gepaart mit eleganter Muskelmasse.

    Bereits beim Anblick der Trainierenden geriet Betti außer Atem. Erst recht, als sie in der Ecke ein bekanntes Gesicht erblickte. Ausgerechnet Denise, die Körperikone, dank eisenharter Disziplin eine italienische Größe 36. Sie trabte auf einem Gerät, das aussah wie das Band einer Supermarktkasse, nur dass es sich schneller bewegte. Ihre Nike Air bewegten sich leichtfüßig über dem Laufband, und ihre Haut schloss sich fest um die definierten Waden. Betti kletterte auf einen Crosstrainer außer Sichtweite. Bevor sie sich von Denise begutachten ließ, mussten mindestens zwanzig Pfund runter. Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Trinkflasche und verbrannte sich dabei die Lippen. Statt eines Fitness-Getränks hatte sie sich im Coffeeshop einen milchgeschäumten Macchiato in die Trinkflasche einfüllen lassen. Damit ihr von der ungewohnten Anstrengung nicht schummrig wurde.

    Betti drückte die Tasten des Crosstrainers, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wie das Biest funktionierte. Nachdem das Display wiederholt beharrte: »Continue Training«, unterließ sie eine Programmierung und trat einfach drauf los. Schon nach kurzer Zeit hatte sie in den wunderbar weich federnden Pedalen ihren Rhythmus gefunden und schwebte dahin. Eigentlich war es ganz einfach, seinen Pfunden davon zu traben.

    »Was machst du denn hier?« Eine Stimme zum Glas schneiden. Betti erkannte sie sofort. Im rosa Joggingsuit stand Denise vor ihr. Ein Körper wie aus dem SportScheck, dachte Betti, während sie weiter strampelte. Ihr Gesicht allerdings, jetzt aus der Nähe betrachtet, entbehrte das modellierende Unterhaut-Fettgewebe und war von scharfen Furchen durchzogen. Lederstrumpf, dachte Betti und genoss eine Viertelsekunde lang die gehässige Befriedigung. Zucht oder Mast, das war die Frage. Oder um es mit Coco Chanel auszudrücken: Irgendwann muss eine Frau sich entscheiden – zwischen ihrem Gesicht und ihrem Arsch.

    »Trainieren«, erwiderte Betti stolz und beschleunigte zur Demonstration ihrer Entschiedenheit das Tempo. Denise warf einen Blick auf das Display und präsentierte ihre frisch gebleachten Zahnkronen. »Mit Null Widerstand?«

    Betti trat unbeeindruckt weiter.

    »Das Beste für effektive Fettverbrennung.«

    »Was du verbrennen musst, sind Kalorien«, sagte Denise und bediente ungefragt die Tasten an Bettis Display. Offensichtlich hatte sie ein Programm gewählt, das die Besteigung des Nanga Parbat imitierte, denn nach einem bestätigenden Piepen waren die Pedale des Crosstrainers wie festgefroren. Betti brachte sie keinen Zentimeter vorwärts. Auch nicht, als sie ihr nicht unerhebliches Gesamtgewicht auf ein Pedal legte.

    »Jeden Tag zwanzig Minuten, und in sechs Wochen bist du deine Cappuccino-mit-Sahne-Hüften los. Garantiert.« Mit diesen Worten warf Denise ihr Handtuch aus Hochleistungsfaser über die Schulter und ging. »Bis gleich in der Sauna«, rief sie Betti zu, die einen großen Schluck Kaffee nahm. Sobald Denise außer Hörweite war, annullierte sie das Programm, und nach mehrmaligem Protest-Piepen gehorchte der Apparat. Betti fand schnell in den federnden Rhythmus von vorhin zurück. So konnte sie eine Viertelstunde gut durchhalten. Außerdem – war die Tatsache, dass ihr Körper bereits mit einem Schweißfilm überzogen war, nicht ein Zeichen für überhöhten Puls?

    Als Betti wenig später die Sauna betrat, saßen dort nicht nur Denise, sondern auch Alex und Jacqueline, die anderen Organisatorinnen des Rotary Artclubs. Jacquelines Körper war von den Bemühungen im Gym ähnlich gestählt wie der von Denise, und Alex war von Natur aus gertenschlank. Für Betti bildeten sie eine lächerlich breite Lücke. Sie nahm Platz auf der Bank und behielt das Saunatuch fest um den Körper gewickelt.

    Denise wischte mit der Hand über ihr künstlich gebräuntes Gesicht und schnippte den Schweiß auf den Boden. »Habt ihr schon gehört? Chloe, die Kleine der Sanders, wurde mit 2,0 Promille ins Krankenhaus eingeliefert.«

    Alle außer Betti fielen in ein gedämpft murrendes Lachen, wie immer, wenn es um Nachwuchs ging, der nicht der eigene war. Nachdem sie gemeinsam die Baby- und Kleinkindphase durchgemacht hatten, wartete jetzt die Pubertät ihrer Zöglinge als neue Herausforderung. Ging es früher um vergleichsweise harmlose Themen wie Hochbegabtenförderung im Windelalter, chinesischer oder russischer Kindergartenzweig oder die Frage: Ritalin – ja oder nein, war jetzt Gefahr für Leib und Leben angezeigt. Die ersten außerfamiliären Erfahrungen wurden gemacht, vorzugsweise in Verbindung mit Sex, Drogen oder Alkohol. Unfälle mit irgendwelchen Bikes oder Boards waren an der Tagesordnung genauso wie Erschöpfungszustände und Zusammenbrüche in Folge von Drei-Tage-Partys. Diskret war auch schon der eine oder andere Schwangerschaftsabbruch vollzogen worden. Kaum ein Wochenende verging ohne einen Besuch beim Notarzt oder zumindest einen Anruf der Polizei, und jede von ihnen freute sich, wenn nicht die eigene Brut betroffen war.

    Jacqueline schlug die Beine übereinander und faltete die Hände vor den Knien. »Ja, die Sanders. Immer nur antiautoritär und Walldorfschule. Man sieht ja, was das bringt.« Alex strich sich die schwarzen Strähnen aus der Stirn. »Aber Salem ist auch keine Garantie.« Wieder das schadenfroh gedämpfte Lachen und Austauschen von Blicken. Jede wusste, worum es ging. Der fünfzehnjährige Sohn der Bankiersfamilie Wallenberg war bei der Organisation illegaler Autorennen erwischt worden und vom Internat geflogen. Betti beglückwünschte sich erneut. Was die Erziehung ihrer Tochter betraf, hatten Michael und sie einen genialen Schachzug unternommen. Als Melanie ins unberechenbare Teeniealter kam, hatten sie ihren Herzenswunsch erfüllt und ihr ein Reitpferd geschenkt.

    Es gab keine zuverlässigere Methode, ein Mädchen von der Straße fernzuhalten. Für Melanie war das behäbige braune Monstrum Mittelpunkt ihres Universums, und die Kleine war mehr mit Striegeln und Ausmisten beschäftigt als mit ihrer eigenen Körperpflege. Während ihre Klassenkameradinnen mit Schminke, Parfüm und Zigaretten experimentierten, umgab Melanie der Dunst von Pferdeschweiß und altem Leder. Das größte Problem, das Betti mit ihrer Tochter hatte, war, den Hufteer aus den teuren Picard-Reithosen zu entfernen. Und dafür war sie dankbar.

    »Kinder in dem Alter machen einen mehr fertig als das Alter selbst«, sagte Jacqueline und betrachtete ihre perfekt gepflegten Füße. »Ich bin schon wieder reif für ein komplettes Make-over, inklusive Nägel.« Denise lachte und warf die feuchten, teuer blondierten Haarsträhnen in den Nacken. »Bloß nicht. Man muss sich ja fragen, verwendet dein Dr. Weyenfeldt Botox oder Beton.«

    Jacqueline betastete ihre Augenbrauen, die unbeweglich in der Nähe des Haaransatzes klebten. »Dr. Weyenfeldt sagt, etwas mehr Botox über den Brauen öffnet den Blick.«

    Denise durchforstete kritisch Jacquelines Gesicht. »Aber du hast keinen Millimeter Mimik mehr. Dein Gesicht ist eine unverrückbare Tatsache.« Sie kicherte.

    »Um ein Lidlift kommst du mit Mitte vierzig sowieso nicht rum«, schaltete sich Alex ein.

    »Besser ein Stirn- und Brauenlifting«, korrigierte Denise. »Viel effektiver. Ein Lidlift hat nur einen kurzen Effekt.« Es war einer der Vorträge, die Denise mit Leidenschaft hielt und stets mit dem Zusatz abschloss: sagt mein Doc. Betti schloss die Augen und ließ die Worte an sich vorbeiflattern. Sie hielt nichts von dieser Art Wiederherstellung der Jugend mit Nadel und Faden. Nicht nur, weil sie panische Angst vor Spritzen hatte, sondern auch, weil sie die Ergebnisse der künstlichen Aufbereitungsmaßnahmen, denen sich die anderen regelmäßig unterzogen, nicht überzeugten. Man konnte ein altes Gesicht nicht in ein junges verwandeln. Die gestrafften Lider und steifen Stirnpartien der Damen aus dem Rotary Artclub erschienen Betti oft wie Mahnmale mit der traurigen Aussage: Ich war auch mal jung. Natürlich sagte sie das nie laut, wenn sich die anderen Schnitte und Nähte präsentierten wie das Bundesverdienstkreuz und Tipps zu neuesten Methoden gaben wie risikofreie Aktien mit vielversprechender Rendite.

    »Du bist eher der Kandidat für ein Low-Face-Necklift. Wegen der Merkelbäckchen.« Wieder die Stimme zum Glasschneiden. An der Stille merkte Betti, dass sie angesprochen war. Sie öffnete die Augen. Denise beugte sich zu ihr und nahm ihre Wange zwischen Daumen und Zeigefinger. »Aber erst, wenn du zwanzig Kilo runter hast. Sonst kannst du dich gleich nochmal unters Messer legen.« Sie hob das Gewebe zwischen ihren Fingern leicht an und ließ es dann los, so dass Betti deutlich den Zug der hängenden Wange spürte.

    Jacqueline klatschte in die Hände. »Du machst endlich eine Diät? Ich unterstütze dich. Ich werde dein Coach. Ich mache dir ein Ernährungsprogramm, ein Sportprogramm …«

    »Oder ne Lipo«, unterbrach Alex, die sich nun eine körnige Paste in die Füße massierte, um sie zu peelen. Betti fröstelte und zog das Handtuch fester um sich.

    »Asthmaspray soll auch helfen.« Alle Köpfe drehten sich zu Denise.

    »Zügelt den Appetit. Geheimtipp von Victoria.«

    Die Rede war von der Beckham. Denise hatte ein Faible für Celebrities und nannte sie beim Vornamen wie beste Freunde.

    Betti versuchte ein Ablenkungsmanöver. »Was ist mit den Dienstplänen der Hammelmeier-Ausstellung? Ich muss meine Termine mit Michael abstimmen.«

    Alex ließ von ihren Füßen ab und starrte sie an, als habe sie soeben Fußpilz diagnostiziert.

    »Du willst doch nicht allen Ernstes bei 90 Grad Hitze über Kunst sprechen!« Auch die anderen schüttelten die verschwitzten Köpfe. Durch das Fenster sahen sie, dass einer der Personal Trainer den Vorraum betrat. Sofort zogen alle außer Betti den mageren Bauch ein. Doch scheinbar wollte der Schöne in die Dampfsauna nebenan. Denise sprang auf und schlang ihr Handtuch doppelt um die Hüften, nur weil sie es konnte. Mit einem Stoß heißer Luft, der Betti beim Öffnen der Tür um die Ohren gehauen wurde, verließ sie die Sauna. Alex und Jacqueline ließen anstandshalber zehn Sekunden verstreichen, bevor sie ihr folgten. Betti bekam ein weiteres Paar heiße Ohren. Sobald sie draußen waren, entließ sie ihren Körper aus dem Klammergriff des Handtuches und legte sich der Länge nach hin, wobei die Sitzbank gewaltig knarrte. Im Liegen streifte ihr Blick durch den Raum und blieb an einem Werbeplakat des Saunaherstellers hängen. Die Headline lautete: »Time to Detox.«

    Dornbusch

    Als sie eine Stunde später nach Hause kam, hatte ihr Hunger eine Art Krisenstadium erreicht. Jacke und Tasche landeten im Flur, Toska, die wedelnd den Weg in die Küche versperrte, wurde mit dem Fuß beiseitegeschoben, und dann hielt Betti nichts mehr. Schon auf der Fahrt hatte sie von gebratenen Bananen phantasiert. Die Butter in der Pfanne konnte nicht schnell genug schmelzen. Sie schälte zwei Bananen und schnitt sie der Länge nach in dünne Scheiben. Neulich hatte sie in der Brigitte einen Artikel gelesen mit dem Titel: »Die Geheimnisse dünner Frauen«. Darin war zu lesen, dass dünne Frauen öfter eine Mahlzeit ausfallen lassen, weil sie einfach vergessen zu essen. Seitdem war Betti klar, dass sie dazu nie gehören würde. Eine Mahlzeit vergessen? Konnte ihr nicht passieren. Essen vergaß man nicht, genauso wenig wie man damit spielte. Wenn es um Lebensmittel ging, besaß Betti ein fotografisches Gedächtnis. Man konnte sie mitten in der Nacht aufwecken, und sie nannte präzise den Aufenthaltsort jeder noch so versteckten Süßigkeit, inklusive Angabe genauester Koordinaten: Raum, Schrank, Schublade, oben oder unten, hintere Ecke rechts oder links.

    In der Regel entschärfte sie die Kalorienbomben eigenhändig, um familiären Kollateralschaden zu vermeiden. Schokoladenreste im Kühlschrank? Wurden von Betti aufgegriffen wie ein Betrunkener von der Ordnungspolizei. Keksreste vom letzten Weihnachtsfest? Kamen sofort in Untersuchungshaft. Eine angebrochene Tüte Weingummi in Melanies Zimmer? Wurde sofort in Sicherheitsverwahrung genommen und vernichtet wie unbeaufsichtigtes Gepäck am Flughafen.

    »Bei mir gibt es nicht halb voll oder halb leer. Bei mir gibt’s nur ganz leer.« Einer von Bettis Running Gags, über den keine der körperhysterischen Rotary-Frauen lachen konnte. Zügelloses Snacken oder Naschen waren so verpönt wie das Komasaufen ihres pubertären Nachwuchses. Wenn man Lust auf Süßes hatte, lutschte man an einer gefrorenen Weintraube, übrigens ein Schlankheitstipp von Jennifer Aniston. Betti löffelte die Bratbananen samt Butter direkt aus der Pfanne. Einen Buttertropfen, den sie auf die Hand gekleckert hatte, massierte sie

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