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Kritische Spiritualität
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eBook215 Seiten2 Stunden

Kritische Spiritualität

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Über dieses E-Book

Hat Spiritualität den Begriff Frömmigkeit abgelöst? Bei „Frömmigkeit“ weiß ich, woran ich bin: Christliche Frömmigkeit sucht Christus, christliche Spiritualität sucht Erfahrungen. Auf der Suche nach Erfahrungen stoßen Menschen auf diverse Angebote. Die Sehnsucht nach Spiritualität ist unbestimmt, aber eindrucksvoll echt, zum Beispiel ein Gespräch um letzte Dinge bei einem Glas Rotwein, eine regelmäßige Gebetsübung, ein neues Buch aus Münsterschwarzach, ein nicht ganz billiger Kurs im Schwarzwald, der Erholung mit Yoga oder Qi Gong verbindet.

Den Zeiten nachzutrauern, in denen Frömmigkeit den Alltag prägte und sogar bei Regierungen etwas bewirkte, wäre vergeblich. Was bedeuten aber Hotels mit spirituellen Angeboten angesichts leerer Kirchen? Sind Hauskreise die spirituelle Zukunftsgestalt des Christentums? Zwingt der deutsche Islam die Kirchen spiritueller zu werden? Haben christliche Akademiker eine spirituelle Verantwortung?

Die Themen der einzelnen Kapitel wurden in kleinen Gruppen diskutiert, meist von Studierenden, manchmal mit Schülern der Oberstufe oder auch in Kreisen aus Kirchengemeinden. Durch alle Kapitel zieht sich ein roter Faden, mal deutlicher, mal dezenter: Ein engagiertes, nicht gerade anspruchsloses Christsein – mit kritischer Spiritualität.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum8. Sept. 2015
ISBN9783739276977
Kritische Spiritualität
Autor

Wolfgang Kubik

Pastor Dr. Wolfgang Kubik (*1943), verheiratet und Vater dreier erwachsener Söhne, Dozent am Missionsseminar Hermannsburg, Landeskirchenrat in Schaumburg-Lippe, Mitbegründer einer evangelischen Kommunität. Seit 2014 im Ruhestand in Bovenden bei Göttingen.

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    Buchvorschau

    Kritische Spiritualität - Wolfgang Kubik

    Inhaltsverzeichnis

    Einführung

    SPIRITUALITÄT

    Haus

    Zentrum

    Ratschläge

    Versprechen

    Glaubwürdigkeit

    Namensschildchen

    Unübersichtlichkeit

    Verlorene Söhne

    Bleiben

    KRITIK

    Erlösung

    Fremd

    Auf Zeit

    Weltreiche

    Entsorgen

    Entprofessionalisierung

    VERANTWORTUNG

    Intention und Relevanz

    Islam

    Urlaub

    Freundschaft

    „Akademiker"

    Gemeinschaft

    Jugendarbeit

    Einführung

    Hat Spiritualität den Begriff Frömmigkeit abgelöst? Und hat sich mit dem Begriff die Sache verändert? Bei „Frömmigkeit weiß ich, woran ich bin: Eine Haltung des Herzens, mit der ich mich vertrauensvoll Christus zuwende. Christliche Frömmigkeit sucht Christus, christliche Spiritualität sucht Erfahrungen. Auf der Suche nach Erfahrungen stoßen Menschen auf das unbestimmte Angebot von Spiritualität. Die Sehnsucht nach Spiritualität ist ungerichtet, aber in ihrer Grenzenlosigkeit eindrucksvoll. Was darf sich „spirituell nennen? Ein Gespräch um letzte Dinge bei einem Glas Rotwein, eine regelmäßige Gebetszeit, ein neues Buch aus Münsterschwarzach, ein nicht ganz billiger Kurs im Schwarzwald, der Erholung mit der Praxis von Yoga oder Qi Gong verbindet? Den Zeiten nachtrauern, in denen Frömmigkeit den Alltag prägte und bei Regierungen etwas bewirkte.

    Darum zu kämpfen, wäre vergeblich. Auch ist der Versuchung zu widerstehen, eine weit gefasste Spiritualität, die in der Gefahr steht, alles oder nichts zu sein, einfach abzulehnen. Aber wie kann sich der Christ dem, was in der Spiritualität gesucht wird, nähern?

    Was bedeuten Hotels mit spirituellem Angebot angesichts leerer Kirchen? Sind Hauskreise die spirituelle Zukunftsgestalt des Christentums? Und Kommunitäten? Junge Menschen und ihre Spiritualität? Sind die Vereinigten Staaten eine spirituelle Anfechtung oder sind sie ein Meilenstein der Spiritualitätsgeschichte? Zwingt uns der deutsche Islam spiritueller zu werden? Gibt es eine spirituelle Verantwortung des christlichen Akademikers? Was ist ein spiritueller Lebensstil?

    Die Themen der einzelnen Kapitel wurden in kleinen Gruppen diskutiert, meist von Studierenden, manchmal mit Schülern der Oberstufe oder auch in Kreisen aus Kirchengemeinden. Teils waren sie vorgegeben, teils kristallisierten sie sich erst spontan in einer Gesprächsrunde heraus. Jedes Kapitel hat eine eigene Geschichte. Die Beschränkung der Überschriften auf ein Stichwort soll reizen zu erkunden, worum es geht. Die Kapitel sind behutsam in eine gewisse Reihenfolge gebracht. Sie beginnen mit Kopfschütteln über die Kirche, betrachten kritisch das Thema Spiritualität und beleuchten Probleme im privaten sowie im gesellschaftlichen Alltag. Ein paar veränderte biblische Sichtweisen bilden den Abschluss. Durch alle Kapitel zieht sich ein roter Faden, mal deutlicher, mal dezenter: Ein engagiertes, nicht gerade anspruchsloses Christsein zu stärken – mit kritischer Spiritualität.

    SPIRITUALITÄT

    1 | Haus

    Wenn wir „Kirche sagen, geht es um zwei verschiedene Bilder: Einmal „das wandernde Gottesvolk. Das bedeutet Auszug aus Ägypten, Aufbruch, Taizé, Kirchentag, „neue Wege und Mahnwachen mit Kerzen im Freien. Zum anderen „Kirche, das Haus Gottes. Das steht für Geborgenheit, Kleingruppe, Urgemeinde, Hauskreis, geistliche Begleitung und Kerzen im Wohnzimmer. Die säkulare Gesellschaft ist treffend skizziert durch Schlagworte wie Neue Unübersichtlichkeit, Risikogesellschaft, Traditionsabbruch, Globalisierung und Vereinsamung. Wenn sie etwas von der Kirche erwartet, dann „Antworten". Treue Mitglieder dagegen erwarten von der Kirche vor allem Geborgenheit und Nähe – und dass ihre Kirche als Haus Gottes wiedererkennbar bleibt.

    Dazu eine Erinnerung: Zwei Jahre nach Kriegsende betrete ich als Vierjähriger erstmals ein Pfarrhaus: Die Pfarrersfrau hat meine Mutter nach dem Gottesdienst angesprochen und mit mir zum Mittagessen geladen. Sie war ebenso wie meine Mutter Kriegerwitwe geworden. Außer ihr und ihren Kindern leben noch ihre ebenfalls verwitwte Mutter und deren ledige Schwester im alten großen Pfarrhaus. Ich erlebe das Tischgebet in großer Runde. Ich bekomme eine Blockflöte geliehen und kostenlosen Unterricht. Durch die Tischgespräche lerne ich, aufeinander zu hören, ich höre, wie groß das ausgebombte Hannover ist, wie man Briefmarken sammelt, nicht mit vollem Munde zu reden, dass eine Tischgemeinschaft schön ist und dass Jesus Aramäisch gesprochen hat. Meine alleinerziehende Mutter und letztlich auch ich haben diesem Dorfpfarrhaus nachhaltige Weichenstellungen für unser Leben zu verdanken: meine Mutter den Mut, als ehemalige Kassiererin einer BDM-Ortsgruppe Lehrerin zu werden, und ich fünfzehn Jahre später die Entscheidung für Theologie. Bis wir wegzogen, war das Pfarrhaus, das Spielen in seinem Garten und das Zuhören bei Tisch mir zur zweiten Heimat geworden. Bald kam der nächste Pfarrer. Es waren die Jahre, in denen die Kirche nicht recht wusste, wohin mit ihrem Geld. Sein Plan, das alte Pfarrhaus zu verkaufen und einen kleinen Bungalow mit Klingel und Sprechanlage hinten im Pfarrgarten bauen zu lassen, wurde vom Kirchenamt gelobt, vom Dorf aber nicht angenommen. Es mochte keine quakende Sprechanlage am Pfarrhaus. Die segensreiche Zeit eines denkwürdigen Hauses war zu Ende.

    1) Tempel oder Haus?

    Wo kam die Jerusalemer Urgemeinde zusammen, wenn von ihr in der Apostelgeschichte gesagt wird, dass sie „beständig in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet blieb (2,42)? Vier Verse weiter wird einiges klarer: Diese Christen bleiben ja gleichzeitig Juden. Täglich versammeln sie sich im Tempel zum Gebet: „Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde zum Gebet. Das ist 15 Uhr. Daran wird zweierlei deutlich: Erstens ist der tägliche Tempelbesuch bereits eine Intensivform des geistlichen Lebens; nicht jeder Jerusalemer Jude ging jeden Tag zum Tempel. Zweitens wollen die Christen unterstreichen, dass sie messianische Juden bzw. jüdische Christen sind und bleiben, obwohl die geistlichen Führer des Volkes ihren Herrn zu Tode gebracht hatten.

    Das „Brotbrechen hin und her in den Häusern sind Zusammenkünfte der Christen zusätzlich zum Tempelbesuch. Die Zahl der Christen war inzwischen so groß, dass sie sich gruppenweise in mehreren Häusern trafen (nicht aber abwechselnd alle in einem Haus). Es ist wohl keine Beiläufigkeit, dass das gemeinsame Essen wichtig ist. Gemeinsames Essen drückt zum einen aus: Wir gehören zusammen! Als die judaistischen Starrköpfe der Gemeinde Petrus später vorwerfen, dass er mit Heiden, die am Evangelium interessiert waren, sich gemeinschaftlich einließ, war der Gipfel des Vorwurfs: „Du hast mit Männern, die nicht Juden sind, gegessen! Paulus ist aufgebracht über den Rückzieher des Petrus: „Bevor Leute von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden", gemeint sind Heidenchristen. Zum anderen ist das Mahl unter Christen nicht nur Speisung, sondern stets auch Erinnerung, ja Vergegenwärtigung des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern, aber auch Vorgriff auf das kommende Festmahl im Reiche Gottes.

    2) Hausversammlung

    Christliche Missionare wie Paulus und Petrus sind Juden. Sie verkünden: In Jesus Christus ist die Verheißung der Propheten erfüllt! Dies passiert in Synagogen, d.h. in Versammlungs- und Schulgebäuden des jüdischen Glaubens. Lukas beschreibt in seiner Apostelgeschichte, wie Paulus dabei wiederholt rausflog. Missionspredigt geschieht nun sowohl öffentlich (d.h. im Freien) als auch – auf Einladung – in Häusern (20,20). Privathäuser werden der typische Versammlungsort für bekehrte Christen, - dies umso mehr, je mehr Paulus von der Juden- zur Heidenmission wechselt. Dass Paulus besonders in Philippi und Korinth, also bereits auf europäischer Seite, Häuser von Neubekehrten benutzen kann, zeigt, dass die Gemeinden nicht nur aus Sklaven und anderen Zukurzgekommenen bestanden, sondern dass sie recht gemischt zusammengesetzt waren. Kurz, das Haus wird Gründungsraum einer neuen Gemeinde, Stätte regelmäßiger Versammlung, Herberge für Reisemissionare und Ort der Ausstrahlung in die nächste Umgebung. Paulus sorgt dafür, dass die einzelnen Hausgemeinden nicht private Vereine wurden, die sich auf ihren Ort und ihre Mitglieder zurückzogen. Seine Briefe zeigen vielmehr, wie sich seine Arbeit immer mehr dahin verlagert, die einzelnen Gemeinden miteinander zu vernetzen und das Bewusstsein von einem großen Ganzen zu schärfen: Es sind weder Geschäftsbriefe (Verträge, Rechnungen), noch sind es Privatbriefe (Gesundheit, Wetter, Familie), sondern themenbezogene Rundbriefe, ein Novum in der antiken Alltagswelt!

    Die Kirche ist ein Bau, ein – im übertragenen Sinn – „heiliger Tempel, der aus „Fernen und „Nahen" immer mehr wächst und auch zusammenwächst (Epheser 2,17-22). Diese Hausgemeinden können einander zunächst nicht kennen, ja, ihre Herkunft als Syrer, Türken, Mazedonier und Griechen spricht nicht für Harmonie! Drei Mittel sind es, mit denen Paulus den Zusammenhalt der Hausgemeinden stärkt: seine eigenen, oft mehrfachen Besuchsreisen vorbei an touristischen Sehenswürdigkeiten und allein zu den winzigen Gemeinden, sodann seine ungewöhnlichen Rundbriefe und schließlich seine Teamarbeit (Timotheus, Titus, Silas usw. als Mitarbeiter).

    Verabredetes und beabsichtigtes Versammeln („wenn ihr im Namen des Herrn Jesus versammelt seid...") ist die Grundlage des christlichen Lebens. Diese Versammlungen haben unterschiedlichen Charakter: Eucharistie sowie Zusammenkünfte, die Bibelabenden gleichen und die aus Gesang, Lehre, Gebet, Lob Gottes und gemeinsamem Bekennen des Christusglaubens bestehen, dazu geistliche Beiträge von Besuchern, Verlesen von (Paulus-)Briefen, aber auch charismatische Elemente wie Prophetie und Zungenreden, was Paulus nicht sehr schätzt (siehe unten). Die Gesamtstimmung ist von Freude geprägt, auch dann, wenn offen Ermahnungen ausgeteilt werden.

    3) Neue Familie

    Zur Zeitenwende konkurrieren mehrere im Osten aufgehende Religionen um die Seele des römischen Reiches, z.B. der Isis-Kult in Ägypten, der Mithras-Kult in Kleinasien, der religiöse Philosophenklub der Pythagoräer in Griechenland. Mit der Familie haben sie alle wenig im Sinn. Der Mann (!) beschäftigt sich privat mit der einen oder anderen Religion bzw. mit mehreren gleichzeitig. Er geht dazu in das religiöse Clubhaus, erzählt aber zu Hause davon kaum. Überall im Reich zwischen Xanten und Alexandria finden sich die geheimnisvollen Mithräen, aber von ihrem Treiben wissen wir herzlich wenig. Allein das Christentum als neue östliche Religion bezieht die Familie mit ein. Dies teilt es zwar mit dem Judentum, aber indem das Christentum drei Jahrhunderte lang keine der Synagoge vergleichbaren Gemeindehäuser hatte, die den privaten vom religiösen Bereich und obendrein die Geschlechter trennen könnte, war die Großfamilie im „Haus" wirklich die Basis des neuen Glaubens.

    Doch es wäre verhängnisvoll, wenn man das Haus als Privatraum im Unterschied zum öffentlichen Bereich des Staats oder der Gesellschaft missverstehen würde. „Haus heißt nie Kleinfamilie, sondern Zusammengehörigkeit von Klientel und Verwandtschaft. Das vertrug sich aufs beste mit der römischen Vorstellung von „familia: Sie war nicht allein Blutsverwandtschaft, sondern das einzige funktionierende soziale Netz. Zu ihm gehörte, für wen man Verantwortung trug. Wenn sich also die Hausgemeinde versammelt, nehmen all diejenigen teil, die „zum Hause gehören; sie sind „Brüder und Schwestern. So wird die Purpurstoffhändlerin Lydia „mit ihrem Hause getauft, und der Gefängnisvorsteher bekommt auf seine verzweifelte Frage, wie er Rettung kriegen könne, von Paulus und Silas gesagt: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus gerettet! Unwahrscheinlich, dass jeder Klient des Hauses sich dabei individuell „entschied". Es bedeutet vielmehr je nach Aufklärungsgrad: wer noch nie eigene Entscheidungen zu treffen hatte, gehört selbstverständlich mit dazu, wenn sich Christen treffen. Wer schon selber entscheidungsfähig ist, entscheidet sich eben selber für seine Rettung.

    Für Christen untereinander ist es eine spannende Frage, wie die einzelnen mit ihrem „Haus klarkommen: Bischof soll nur jemand werden können, „der seinem eigenen Hause gut vorsteht... Denn wenn jemand seinem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie soll er für die Gemeinde Gottes sorgen? (1.Timotheus 3,4f.). Das christliche Haus sowie die Gemeinschaft von Häusern ist tatsächlich, wie Gerhard Lohfink sagt, eine „Kontrastgesellschaft (Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? 1991). Im Außenverhältnis versucht die Gemeinde gar nicht erst, die Strukturen der heidnischen Gesellschaft zu verändern, aber im Innenverhältnis, d.h. im „Haus, werden sie konsequent in christlichem Geist verwandelt.

    4) Hauskreis

    Jesus nannte Petrus den Felsen, auf dem er seine Gemeinde „bauen will. Bauen ist ein Lieblingswort des Paulus geworden. Warum bevorzugt er die Bau-Metaphorik? Er sah bei Missionsreisen sowohl den Bau-Boom der julisch-claudischen Kaiserzeit (Augustus, Tiberius, Claudius) mit reich verzierten Tempel- und Repräsentationsbauten („Gold, Silber, Edelsteine), als auch die provisorischen Hütten der Bauarbeiter bzw. unsolide Mietshausbauten („Holz, Heu, Stroh). Paulus vernachlässigt allmählich die organischen Metaphern vom Pflanzen und Pflegen. Stattdessen inspirieren ihn Bilder des „Hausbaus, z.B. der wichtige Abschnitt 1.Korinther 3,5-17. Seine Briefe und Besuche bauen auf. Der Begriff meint zum einen, eine Gemeinde erst zu sammeln und zu gründen, zum anderen, sie seelsorgerlich zu festigen.

    Kritisch ist Paulus gegenüber dem „Zungenreden, weil es höchstens zur „Selbsterbauung taugt. Erbaut werden soll aber die Gemeinschaft (1.Korinther 14,4)! Er möchte den Begriff „Selbsterbauung als etwas Absurdes entlarven, so stark ist für ihn das geistliche Bauen mit Gemeinschaftsbildung identisch. Eine der wenigen bedauerlichen Fehlleistungen des Pietismus ist, dass er nicht verhindern konnte, dass sein Programmwort „Erbaulichkeit, das vom Hausbau des Paulus abgeleitet ist, sich im individualistischen Sinne auf stimmungsvolle „Selbsterbauung" verengte.

    Alltägliche, häusliche Vollzüge wie sich kümmern, bewirten, ansprechen, erzählen, gesellig sein, von Sorgen berichten, kritisieren, vermitteln, die in den Briefen des Neuen Testaments ständig begegnen, werden heute in Hauskreisen wieder lebendig. Doch da lauern auch Gefahren. Sie beim Namen zu nennen hilft, sie zu vermeiden, ohne die gute Sache zu diskreditieren. Die gemütliche Atmosphäre erlaubt es, sich gehen zu lassen. Klatsch und Tratsch, anfangs durchaus in der guten Absicht, aneinander Anteil zu nehmen, werden eine Versuchung. Dazu Wichtigtuerei einzelner, die den Kreis als Forum der Selbstdarstellung nutzen, Cliquenbildung, wodurch manch einer besonders schmerzlich erlebt, nicht dazu zu gehören, Müdigkeit und Langeweile, die niemand anzusprechen wagt. Leicht entsteht ein Klima der Vereinsbetriebigkeit. Immerhin finden Männer dabei mehr Betätigung als im Sonntagsgottesdienst. Doch leicht wird vergessen, dass es sich auch in einer christlichen Hausrunde nur um ein Segment von Kirche handelt. Das heißt: wirklich nur ein Teil, denn der Hauskreis ist nicht die ganze Kirche.

    Doch auch ärgerlicher Missbrauch hebt nicht den rechten Gebrauch auf! Hauskreise bilden sich im Sinne von Luthers dritter Gottesdienstform. Die „mit Ernst Christen sein wollen" tragen sich als Mitglieder ein und versprechen Verbindlichkeit. Bruderschaften und Hauskreise dieser Art sind Herausforderungen für volkskirchliche Gemeinden. Sie zersetzen nicht die Volkskirche; oft stellen gerade Hauskreismitglieder die geringe Zahl der 3-5% Gottesdienstbesucher. Die Volkskirche erlaubt zum Glück verschieden intensive Formen der Beteiligung.

    5) Das Haus als Mikrokosmos

    Häuser waren also die Versammlungsräume derer, die sich von Gott geliebt wussten und die einander liebten. Was bedeutet es, sich im gegenwärtigen Umbruch unserer Kirche an die Ursprünge unseres Glaubens in Häusern zu erinnern? Häufig ist beschrieben worden, wie unser gesellschaftliches Leben segmentiert ist. Der moderne Stadtmensch kanngleichzeitig Mitglied einer Volkstanzgruppe sein, Freunde haben, Fußballfan sein und die Grünen wählen. Jedes Segment

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