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Soziale Lage der Lehrkräfte: eine Trendanalyse anhand des Mikrozensus von 1973 bis 2009
Soziale Lage der Lehrkräfte: eine Trendanalyse anhand des Mikrozensus von 1973 bis 2009
Soziale Lage der Lehrkräfte: eine Trendanalyse anhand des Mikrozensus von 1973 bis 2009
eBook501 Seiten3 Stunden

Soziale Lage der Lehrkräfte: eine Trendanalyse anhand des Mikrozensus von 1973 bis 2009

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Über dieses E-Book

Die vorliegende Schrift befasst sich mit der sozialen Lage der Lehrkräfte im Zeitraum zwischen 1973 und 2009. Die inhaltliche Frage der Studie lautet: Wie hat sich die soziale Lage der Lehrkräfte im Laufe der Zeit und im Vergleich zu anderen Berufsgruppen verändert, wobei das Augenmerk der Analyse sich auf die Merkmale richtet über die alle erwerbstätigen Gesellschaftsmitglieder verfügen und miteinander verglichen werden können. Die Analyse der sozialen Lage bedeutet, dass die Lehrkräfte nicht auf deren berufliche Tätigkeit reduziert, sondern als gesellschaftliche Mitglieder begriffen werden, deren soziale Lage und Einbindung in soziale Milieus durch den Beruf entscheidend de-terminiert werden. Als Vergleichskategorien dienen sieben weitere Berufsgruppen, die ebenso wie die Lehrkräfte ein hohes Berufsprestige haben.
Die Studie hat ein Trenddesign und verwendet Sekundärdaten des Mikrozensus Scienti-fic-Use-File aus den Jahren 1973, 1982, 1991 und 2009.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Aug. 2015
ISBN9783739275512
Soziale Lage der Lehrkräfte: eine Trendanalyse anhand des Mikrozensus von 1973 bis 2009
Autor

Radoslaw Miroslaw Huth

Radoslaw M. Huth ist promovierter Soziologe und arbeitet an der Universität Erfurt als Dozent für empirische Bildungsforschung.

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    Buchvorschau

    Soziale Lage der Lehrkräfte - Radoslaw Miroslaw Huth

    Untersuchungsgruppen.

    1. Theorie der Sozialen Lagen

    Im diesen Kapitel soll neben der Darstellung des Konzeptes sozialer Lagen erklärt werden, warum dieses Konzept besonders geeignet ist für die Darstellung der Situation einer Berufsgruppe, um sowohl berufliche als auch außerberufliche Elemente der sozialen Lage zu erfassen.

    Hradil (1987, S.153) definiert soziale Lagen als „typische Kontexte von Handlungsbedingungen, die vergleichsweise gute oder schlechte Chancen zur Befriedigung allgemein anerkannter Bedürfnisse gewähren". Der Begriff soziale Lagen bezieht sich demnach auf die Komplexität der Handlungsbedingungen, die typisch für einzelne Bevölkerungsgruppen sind. Hradil unterscheidet dabei insgesamt 13 Typologien sozialer Lagen, die anhand mehrerer Dimensionen ungleicher Lebensbedingungen erstellt wurde. Zu den von ihm gewählten Dimensionen gehören: formale Macht, Geld, formale Bildung, Risiken, Prestige, Arbeitsbedingungen, Freizeitbedingungen, Wohnbedingungen und soziale Absicherung. Die typischen sozialen Lagen reichen von Randgruppen, Armen über Normalverdiener bis hin zu Bildungseliten, Reichen und Machteliten (Hradil 1987, S. 154). Der Singular des Begriffes sozialer Lagen bezieht sich auf die Situation einer sozialen Gruppe, wobei die Bestimmung der Chancen auf die Realisierung der Lebensziele maßgeblich durch eine Determinante bestimmt wird. Eine mögliche Determinante kann der ausgeübte Beruf sein, so dass von der sozialen Lage der Lehrkräfte in Abgrenzung zu anderen Berufsgruppen gesprochen werden kann. In der vorliegenden Studie wird demnach der Begriff soziale Lage im Singular verwendet.

    Im Konzept der sozialen Lagen wird unterstellt, dass die Artikulation von individuellen Lebenszielen immer auch schon an gesamtgesellschaftliche Prozesse der Klärung, Selektion und Abstraktion gekoppelt ist (Hradil 1987, S. 143). Da die Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung je nach Ressourcenausstattung unterschiedlich ausfallen, kommt es zur ungleichen Verteilung von Chancen zwischen sozialen Gruppen zur Erreichung der Lebensziele. Hradil (1987, S. 144) definiert soziale Ungleichheit als „gesellschaftlich hervorgebrachte und relativ dauerhafte Handlungsbedingungen [...], die bestimmten Gesellschaftsmitgliedern die Befriedigung allgemein akzeptierter Lebensziele besser als anderen erlauben. Die Untersuchung der sozialen Lage einer sozialen Gruppe erfordert eine Klärung darüber, was allgemein akzeptierte Lebensziele, im Sinne von Zielvorstellungen bezüglich des „guten Lebens, sind. Vereinfacht gesagt: Lebensziele gelten dann als allgemein akzeptiert, wenn sie sich im „[...] Prozeß der politischen Willensbildung relativ durchgesetzt haben und in Form von ‚offiziellen‘ oder ‚quasi-offiziellen‘ Verlautbarungen greifbar sind (z.B. in Gesetzestexten, Parteiprogrammen oder Verbandsdeklarationen)" (Hradil 1987, S. 143). Die Allgemeinheit der Lebensziele schließt, aufgrund des Rechtes auf Selbstbestimmung jedes Einzelnen, sowohl subjektive Einschätzungen der individuellen Wünsche und Interessen als auch objektive Ziele mit ein. Da in der Hradil’schen Vorstellung die Lebensziele den Anspruch allgemeiner Anerkennung erfüllen müssen, erfährt nicht jeder individuelle Wunsch seine gesamtgesellschaftliche Legitimation. Die Annahme, dass die individuelle Artikulation eines Lebensziels immer auch schon an einen kollektiven Ermöglichungshorizont gekoppelt ist, kann dabei insofern kritisiert werden, weil dieser immer nur einen gesellschaftlichen und damit affirmativen Zuschnitt annehmen kann. Das potentiell spannungsreiche Verhältnis von Individualität und Kollektivität wird in der Hradil’schen Vorstellung also dadurch überwunden, dass sich die Artikulation von individuellen Handlungszielen und deren Verfolgung immer auch schon an kollektiven Handlungserwartungen orientiert und diesen untergeordnet ist. Offen bleibt in diesem Konzept somit die Frage nach der Übereinstimmung heterogener gesellschaftlicher Gruppen hinsichtlich der Bestimmung der gesellschaftlich akzeptierten Lebensziele und der damit verbundenen Lebensbedingungen. Die Bedürfnisse der einzelnen sozialen Gruppen müssen nicht nur artikuliert, sondern von anderen sozialen Gruppen akzeptiert und deren Legitimität durch Entscheidungsträger anerkannt werden.

    Hinsichtlich der objektiven Lebensziele besteht ein minimaler gesellschaftlicher Konsens, der vor allem auf der Anerkennung der Grundbedürfnisse aller Menschen beruht. In Wohlfahrtsgesellschaften spielen nicht die Grundbedürfnisse, sondern eher wohlfahrtsstaatliche, soziale und ökonomische Bedürfnisse die zentrale Rolle im Diskurs um die allgemeine Anerkennung der Lebensziele. In Tabelle 1-1 sind die Bedürfnisse und die Dimensionen der ungleichen Lebensbedingungen in Hradils Konzept der sozialen Lagen dargestellt.

    Neben den sogenannten vertikalen Ungleichheitsdimensionen wie Einkommen, Bildung oder Macht werden für die Bestimmung sozialer Lage auch horizontale Ungleichheitsdimensionen herangezogen. Diese sind vor allem Geschlecht, Region und Alter. Obwohl von diesen Merkmalen nicht a priori gesagt werden kann, dass sie für die Benachteiligung oder Privilegierung entscheidend sind, so haben sie dennoch einen indirekten Einfluss auf die Chancen zur Erreichung der Lebensziele. Sie entscheiden über die Chancen der Teilnahme auf dem Arbeitsmarkt und damit die Einkommenshöhe und da sie mit Stereotypen behaftet sind, wirken sie sich indirekt auf die Möglichkeiten der Erreichung der Lebensziele aus.

    Tabelle 1-1: Dimensionen sozialer Ungleichheit

    Quelle: Hradil 1987, S. 147; eigene Darstellung

    Die Mehrdimensionalität des Konzeptes soziale Lagen bedeutet, dass die soziale Lage einer Berufsgruppe entlang diverser Dimensionen als „gut, unter Berücksichtigung anderer Dimensionen als „schlecht bezeichnet werden kann. Durch diese Mehrdimensionalität können Statusinkonsistenzen erfasst werden (Burzan 2007, S.142). Ein typisches Beispiel für unterschiedliche Bewertungen von Lebensbedingungen ist der Konflikt zwischen Freizeit und Einkommen. Häufig wird die soziale Lage von Selbständigen hinsichtlich der Einkommenssituation als relativ „gut" beurteilt. Zieht man jedoch zusätzlich die Dimension Freizeit bzw. Arbeitszeit heran, so ändert sich womöglich die Beurteilung der sozialen Lage zu Gunsten von Angestellten und Beamten.

    In der empirischen Forschung nutzte u.a. Schwenk (1999) das Konzept der sozialen Lagen für die Untersuchung der Lebensbedingungen der West- und Ostdeutschen. In seiner Analyse hat Schwenk eine Reihe von objektiven Merkmalen (Bildung, Einkommen, Wohnbedingungen) und subjektiven Einschätzungen (Anomie, Soziale Integration) getrennt für die Analyse der beiden Teile Deutschlands verwendet. Durch die Analyse konnten neun typische Lebenslagen in Ostdeutschland und zehn in Westdeutschland identifiziert werden, wobei in dieser Typologie die gesamte Bevölkerung (nicht nur Berufstätige) einbezogen wurde. Der Begriff soziale Lagen wird explizit im Datenreport - Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland des Statistischen Bundesamtes verwendet (Statistisches Bundesamt 2002; Statistisches Bundesamt 2006; Statistisches Bundesamt & GESIS-ZUMA 2008; Statistisches Bundesamt, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2011; Statistisches Bundesamt, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2013). Es existieren aber auch andere Publikationen, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung anhand ausgewählter Indikatoren im Sinne des Konzeptes sozialer Lagen darstellen. Zu den bekanntesten gehört der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (BMAS 2001; BMAS 2005; BMAS 2008; BMAS 2012). Für den Datenreport 2002 des Statistischen Bundesamtes wurden insgesamt 16 idealtypische soziale Lagen gebildet und zusätzlich die regionale Zugehörigkeit (Ost/Westdeutschland), Geschlecht und zwei Altersgruppen (bis 60, 61 Jahre und älter) berücksichtigt (Statistisches Bundesamt 2002). Die Zuordnung der Gesamtbevölkerung zur jeweiligen sozialen Lage erfolgte primär anhand der Hauptbeschäftigung der Personen. Der Begriff Hauptbeschäftigung berücksichtigt dabei gleichermaßen nicht nur die berufliche Tätigkeit, die als zentral für die Bestimmung der Lebensbedingungen (Facharbeiter, Leitende Angestellte/Höhere Beamte, Meister/Vorarbeiter u.a.) gelten kann, sondern auch Personen, die nicht berufstätig sind (Arbeitslose, Hausfrauen, Studenten, Rentner u.a.) (Statistisches Bundesamt 2002; Statistisches Bundesamt 2006; Statistisches Bundesamt & GESIS-ZUMA 2008; Statistisches Bundesamt, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2011; Statistisches Bundesamt, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2013).

    Das Konzept sozialer Lagen ist mit klassischen Konzepten und Vorstellungen über die Sozialstruktur einer Gesellschaft wie Klassen- oder Schichtkonzepten verwandt. Im Unterschied zum Konzept sozialer Lagen betonen Klassen- und Schichtkonzepte vor allem die Machtkonstellationen, Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaft und sozio-ökonomische Positionen. Sie versuchen die unterschiedlichen Lebensbedingungen der sozialen Gruppen entlang der vertikalen Ungleichheitsdimensionen zu erklären (u.a. Nollmann 2004; Teckenberg 2004; Burzan 2007; Rössel 2005; Rössel 2009; Groß 2008). Soziale Klassen werden vereinfacht als Gruppen mit konträren Interessen definiert, wobei die Unterschiedlichkeit der Interessen in der Ungleichheit der Lebensbedingungen und Machtstellung begründet ist. Die Ungleichheit hinsichtlich der materiellen Lebensbedingungen und Machtverteilung beruht auf der unterschiedlichen Stellung im Produktionsprozess (Hradil 1987, S. 68). Neben den klassischen Klassenkonzepten wie die von Karl Marx (2011) oder Max Weber (1980) existieren weitere moderne Konzepte, die nach dem zweiten Weltkrieg entstanden sind, in denen Sozialforscher die Angleichung der Lebensbedingungen aller sozialen Gruppen als Folge des wachsenden, wirtschaftlichen Wohlstandes propagierten. Zu den prominentesten Vertretern der These der nivellierten Mittelstandsgesellschaft in Deutschland gehörte in den 1960er Jahren Schelsky (1965). In allen Klassenkonzepten ist die ungleiche Verteilung der Ressourcen das wichtigste Zuordnungsmerkmal zu einer bestimmten Klasse. So sind bei Wright und Goldthorpe Produktionsmittel und Qualifikationen die wichtigsten Ressourcen für die Klassenbestimmung einer Person (Rössel 2005, S. 201). Während Wright zusätzlich Organisationsressourcen heranzieht, erweitert Goldthorpe sein Klassenkonzept um die Kategorie der Hierarchiepositionen als eine der zentralen Ressourcen für die Zuordnung zu einer je spezifischen Klasse. Bourdieu unterteilt alle Ressourcen auf drei Arten: ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Kreckel hingegen spricht von Vermögen, symbolischem Wissen, Hierarchiepositionen und sozialen Beziehungen als Determinanten der Klassenzuordnung (Rössel 2005, S. 201). Alle modernen Klassenkonzepte vereint, dass sie sich vordergründig in ihren Analysen einer ungleichen Verteilung der Ressourcen widmen, die eine Auswirkung auf die Lebensstile der Menschen haben (Kreckel 2004; Goldthorpe 1987; Goldthorpe 1996; Wright 1985; Wright 1997; Bourdieu 1982).

    Eine starke inhaltliche Verwandtschaft mit dem Begriff Klassen hat der Begriff soziale Schicht, mit dem man ebenfalls eine hierarchische vertikale Sozialstruktur bezeichnen kann (Hradil 1987, S.81). In der Ungleichheitsforschung wurde der Begriff Schicht in den 1930er Jahren von Geiger (1955, S. 186, Hervorhebung im Text) eingeführt und wie folgt definiert: „Jede Schicht besteht aus vielen Personen (Familien), die irgendein erkennbares Merkmal gemein haben und als Träger dieses Merkmals einen gewissen Status in der Gesellschaft und im Verhältnis zu anderen Schichten einnehmen. Der Begriff des Status umfasst Lebensstandard, Chancen und Risiken, Glücksmöglichkeiten, aber auch Privilegien und Diskriminationen, Rang und öffentliches Ansehen." Allen Schichtungsmodellen ist die zentrale Rolle des Berufes als Zuordnungsmerkmals zur jeweiligen Schicht gemeinsam (Geiger 1955; Geiger 1967; Parsons 1940, Geißler 2002; Bolte, Kappe & Neidhardt 1975; Dahrendorf 1965; Scheuch 1961). Außer dem ausgeübten Beruf werden je nach Modell weitere Faktoren zwecks Schichtzuordnung verwendet wie: Einkommen, Haustyp und Wohngegend (Warner 1963).

    Ein alternatives Modell zur gängigen Praxis der Zuordnung der Befragten anhand ihrer sozioökonomischen Ressourcen stellt die Selbsteinstufung der Befragten zu einer Schicht dar, wobei in diesem Fall der Beruf die einzige Zuordnungsgröße zur Schicht ist. In der Studie von Kleining und Moore (1959; 1960; 1968) wurde zunächst eine Berufsprestigeskala durch Befragungen entwickelt, im nächsten Schritt sollten die Personen nur ihren Beruf aufgrund der Ähnlichkeit des eigenen Berufes zu den vorgegebenen Berufsgruppen angeben. Diese Methode nannten die Forscher zwar „Soziales Selbsteinstufungs-Instrument zur Messung sozialer Schichten" aber letztlich sollten die Befragten nur ihren Beruf als einzigem Merkmal mit ähnlichen Berufen hinsichtlich deren Berufsprestige vergleichen (Kleining & Moore 1968). Auf diese Weise erhielt man nur die Aussagen von Personen über die Ausübung eines Berufes, mit dem ein bestimmtes Berufsprestige verbunden ist. Die Anteile der Personen, die jeweiligen Schichten angehören, ähnelten in diesem Verfahren den Befunden, die anhand anderer gängiger Schichtmodelle ermittelt wurden (z.B. Bolte, Kappe & Neidhardt (1975) und Geiger (1967)).

    Ein bedeutender Unterschied zwischen Klassen- und Schichtkonzepten besteht darin, dass die Klassentheorien bzw. Modelle den Anspruch haben soziale Ungleichheit zu erklären (Burzan 2007, S.64). Die Schichttheorien und -Modelle dagegen haben eher ein deskriptives Ziel und suchen nach Zusammenhängen zwischen sozioökonomischen Ressourcen und dem Verhalten der Menschen, ohne sich mit den Ursachen der ungleichen Verteilung der Ressourcen vertiefend zu befassen. Diese Feststellung trifft auch auf das Konzept der sozialen Lagen zu. Es hat nicht zum Ziel, die soziale Ungleichheit zu erklären (Hradil 1987, S. 139). Die funktionalistische Schichtungstheorie sieht sogar die ungleiche Verteilung von Ressourcen als funktional notwendig für das Zusammenleben in der Gesellschaft an (Davis & Moore 1973; Parsons 1940). Die Klassentheorien und -Modelle betonen die Stellung im Produktionsprozess und den Besitz von Produktionsmitteln, was Auswirkungen auf das Bewusstsein der Klassenangehörigen haben soll und ein Konfliktpotential mit sich bringt. Dagegen müssen die Schichten nicht unbedingt in Interessenkonflikte verwickelt sein (Burzan 2007, S. 65). Gemeinsam ist allen Klassen- und Schichtkonzepten, dass sie die Gesellschaft in vertikal angeordnete Gruppen unterteilen, die ungleich mit Ressourcen (vor allem den sozioökonomischen) ausgestattet sind.

    Als eine Erweiterung des Konzeptes sozialer Lagen kann das Konzept der sozialen Milieus begriffen werden. Unter dem Begriff soziales Milieu wird ein „Gruppe von Menschen verstanden, die solche äußeren Lebensbedingungen und/oder inneren Haltungen aufweisen, aus denen sich gemeinsame Lebensstile herausbilden (Hradil 1987, S. 165). In den klassischen Klassen- oder Schichttheorien wird angenommen, dass der Besitz an sozio-ökonomischen Ressourcen (Geld, Bildung, formale Macht, berufliche Stellung) einen einheitlichen Stellenwert hat und gleiche Effekte für Betroffene erzeugt. Es kann aber nachvollzogen werden, dass beispielsweise Bildungszertifikate einen unterschiedlichen Stellenwert in Abhängigkeit von horizontalen Ungleichheitsfaktoren (Geschlecht, Wohnort, Alter) haben und mit unterschiedlich hohen Chancen versehen sind. Die Bündelung von objektiven Faktoren bzw. sozioökonomischen Ressourcen, horizontalen Ungleichheitsfaktoren und subjektiven Einschätzungen der eigenen Lage führt zur Bildung eines Handlungskontextes. Die milieuspezifischen Haltungen (z.B.: Rolle der Frau, Einstellung gegenüber der Institution Ehe, Stellenwert der sozialen Sicherheit unter Aussteigern oder alternativen Gruppierungen, Stellenwert des Berufsprestiges unter Aufsteigern) wirken auf die Lebensstile der Menschen (Hradil 1987, S. 166f.). Lebensstile „stellen [...] die typischen Verhaltensmuster sozialer Gruppierungen dar, und sind erst durch Abstraktionen (von Seiten der Forscher und der Gesellschaftsmitglieder) vom konkreten Denken und Verhalten zu erschließen (Hradil 1987, S. 165). Lebensstile sind nicht nur von Ressourcen abhängig, sondern auch von Moden, Trends und der momentanen Lebensform des Individuums. Der Begriff der Lebensstile ist gewissermaßen eine Erweiterung des Begriffes soziales Milieu. Er umfasst eben nicht nur objektive und subjektive Einschätzungen der eigenen Lebenslage, sondern beschreibt zusätzlich alltagspraktisches Handeln und ein Set von typischen Verhaltensweisen eines Menschen. Mit dem Begriff Lebensstil wir einerseits die Freiheit in der Gestaltung des Alltags betont, andererseits wird aber ein starker Zusammenhang zwischen Lebensstilen und Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit postuliert (Hradil & Spellerberg 2011, S. 61).

    Das Konzept der sozialen Milieus kann die klassischen Schicht- und Klassenkonzepte nicht ersetzen, sondern eher um weitere Aspekte der Sozialstruktur erweitern (Endruweit 2000; Eder 2001). Die klassischen Ressourcen wie Geld, Bildung und Beruf sind nach wie vor wichtige Determinanten der Milieuzugehörigkeit und werden in den meisten Milieuanalysen berücksichtigt (Vester 2001; Schulze 1995).

    Soziale Milieus können grundsätzlich in zwei Typen unterschieden werden: Mikro- und Makromilieus. Das zentrale Unterscheidungskriterium beider Typen besteht in der Dimension räumlicher Nähe und Distanz. Ein Individuum kann einem Makromilieu angehören, so wie Millionen andere Individuen auch, ohne dabei direkten Kontakt zu anderen Mitgliedern seines Milieus aufzuweisen. Von einem Mikromilieu spricht man dagegen, wenn die Personen nicht nur einen ähnlichen Lebensstil aufweisen, sondern sie in einem unmittelbaren persönlichen Kontakt zueinander stehen (Herlyn 2000, S. 155). Entscheidungen der Individuen können unter der Perspektive des sozialen Raumes betrachtet werden. Nach Bourdieu bildet die soziale Position eine Handlungsstruktur, die sich über den Habitus auf den Lebensstil auswirkt, wobei der Habitus als eine Verinnerlichung der klassenspezifischen Dispositionen zu verstehen ist (Bourdieu 1982; 1983). Bourdieu verbindet in seiner Arbeit ein Klassenmodell mit einer Lebensstilanalyse, womit er eine Sonderstellung innerhalb der Klassentheoretiker einnimmt (Burzan 2007, S. 125; Rössel 2009, S. 315; Groß 2008, S.61). Der Habitus hat nicht nur Auswirkungen auf die Wertvorstellungen der Betroffenen, sondern er beeinflusst auch deren Wahrnehmungen, Denkweise und formt ihren Geschmack. Die im Konzept der sozialen Lage besprochenen Ungleichheitsdimensionen finden sich in Bourdieus Arbeit wieder. Sie werden zu drei Komplexen zusammengefasst: ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital, die insgesamt neben den objektiv feststellbaren Ressourcen (Einkommen, Bildungszertifikate) noch subjektive Einschätzungen der eigenen Lebenslage beinhalten (soziale Netzwerke, Wissen und Fähigkeiten, die in der Familie erworben wurden). Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse (herrschende Klasse, Mittelklasse oder Volksklasse) ist für die Bildung des entsprechenden Habitus bestimmend und der wiederum entscheidet über den Geschmack oder anders formuliert den Lebensstil.

    Die Tatsache, dass Bourdieu sich in seinen Arbeiten vor allem auf Klassen, die er aufgrund des Besitzes von drei Kapitalarten bestimmt, konzentriert und mögliche Unterschiede zwischen einzelnen Berufsgruppen vernachlässigt, spricht gegen die Anwendung seiner Theorie in der vorliegender Analyse. Zudem ist die Untersuchung des kulturellen und sozialen Kapitals anhand des Mikrozensus nicht möglich.

    Im Hinblick auf die vorliegende Analyse kann die familiäre Situation nicht nur als Merkmal der sozialen Lage, sondern auch als Merkmal der Milieuzugehörigkeit betrachtet werden. Da die vorliegende Untersuchung auf einem Datensatz beruht, in dem nur objektive Merkmale der sozialen Lage erfasst sind, können nur wenige Merkmale der Mikromilieus der Befragten analysiert werden. Zu den bekanntesten Milieu Modellen in Deutschland gehören heute die sozialen Milieus von Vester, SINUS-Modelle von Sociovision und SIGMA – Milieus (Vester 2001; Vester 2006; SINUS 2011; Ueltzhöffer 1999; Ascheberg 2006). Die zwei letztgenannten Modelle wurden von Marktforschungsinstituten konzipiert und in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Das vorrangige Ziel der Eingruppierung der gesamten Bevölkerung in soziale Milieus ist die Untersuchung des Konsumverhaltens, wobei vor allem Industrie- und Dienstleistungsunternehmer zu den wichtigsten Nachfragern der Milieuanalysen zählen. Allen drei Modellen gemein ist die auf zwei Dimensionen fußende Bildung von Gruppen. Auf der ersten Dimension wird die Bevölkerung hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Lage, wie dies in den klassischen Schichtkonzepten der Fall ist, eingeteilt und auf der zweiten Dimension wird die Bevölkerung hinsichtlich ihrer Wertorientierungen eingeteilt, was die eigentliche Erweiterung der klassischen Konzepte der Sozialstruktur darstellt. Es wird dabei unterstellt, dass sowohl Werte, Einstellungen als auch Beruf, Bildung und Einkommen handlungsleitend sind. Die Zugehörigkeit zu einem Milieu soll darüber hinaus neben dem Konsumverhalten auch für die Parteipräferenzen, das Wahlverhalten, kulturelle bzw. Freizeitaktivitäten und sogar für Bildungsentscheidungen bestimmend sein. Zugleich können Konsumverhalten, Kleidungsstil und Wohnort als Ausdruck eines Lebensstils und als Distinktionsmittel aufgefasst werden (Felson 1978). In der Bildungsforschung werden die Milieu-Modelle praktisch nicht angewandt. Zu solchen seltenen Studien, gehört die Analyse der Zugehörigkeit der Grundschullehrkräfte zu sozialen Milieus mit Hilfe der SINUS-Milieus von Schumacher (1999; 2000).

    Die Untersuchung der sozialen Lage der Lehrkräfte ist dann aussagekräftiger, wenn Vergleichskategorien existieren, mit denen sich die Qualität der Lebensbedingungen der Lehrer und Lehrerinnen mit anderen Gruppen vergleichen lässt. Eine Möglichkeit zur Kriterienbildung für Vergleichskategorien bildet das Berufsprestige. Das Prestige bestimmt über die Verteilung von Anerkennung der Gesellschaftsmitglieder (Esser 1999 S.104). Mit dem Berufsprestige ist die Wertschätzung einer Berufsgruppe gemeint. Es ist zugleich ein subjektives und ein objektives Ungleichheitsmerkmal. Einerseits wird das soziale Ansehen subjektiv erlebt und zugeschrieben, andererseits dient es zur Verortung von Berufsinhabern innerhalb der Gesellschaft und ist eng mit dem sozioökonomischen Status der Individuen verbunden (Wegener 1985). Das Berufsprestige, verstanden als Belohnung, lässt sich einerseits als Ursache für einige Determinanten der sozialen Lage wie z.B. Einkommen verstehen, andererseits kann es als Wirkung begriffen werden. Das Berufsprestige als abhängige Variable lässt sich dann modellieren, wenn das Einkommen mit seinem primären Belohnungscharakter als Ursache für unterschiedlich hohes Berufsprestige aufgefasst wird. Unabhängig davon ob das Berufsprestige als Ursache oder Wirkung modelliert wird, steht es immer in starkem Zusammenhang mit Einkommen und Bildung, so dass die Auswahl der Vergleichsgruppen mit ähnlichem Berufsprestige mit einem gleich hohen Bildungs- und Einkommensniveau einhergeht (Duncan 1961). Unabhängig von der Betrachtungsweise des Stellenwertes des Berufsprestiges für die Analyse der Sozialstruktur ist dieser Begriff von Klassen, Schichten, sozialen Lagen und Milieus schwer zu trennen (Coxon & Jones 1978; Laumann 1966; Matras 1975; Bottomore 1991; Hauser & Warren 1996; Barber 2007).

    Neben den Versuchen zur Bestimmung des Berufsprestiges gibt es Versuche den sozialen Status einer Person über Skalen oder Indizes auszudrücken. Der soziale Status, der eine qualitative Bestimmung der Position einer Person anhand ausgewählter Dimensionen der sozialen Ungleichheit bzw. in dem Schichtgefüge einer Gesellschaft bedeutet, lässt sich ebenfalls wie das Berufsprestige einerseits als unabhängige Variable bzw. als Ursache für die soziale Lage ansehen und andererseits als vom ausgeübten Beruf abhängige Größe verstehen. Zwischen dem sozialen Status einer Person, Bildung und Einkommen bestehen ähnlich wie im Falle des Berufsprestiges starke Zusammenhänge (Ganzeboom & Treiman 1996; Ganzeboom, De Graaf & Treiman 1992; Treiman 1977). Der Versuch die Komplexität der sozialen Ungleichheit abzubilden ist dabei insofern problematisch, weil die Skalen und Indizes universalistisch konzipiert sind. Ein gleich hoher Punktewert auf einer Berufsprestigeskala oder auf einem sozioökonomischen Index kann nur schwer die Unterschiede zwischen Staaten oder den Geschlechtern¹ abbilden (Magnusson 2009; Schimpl-Neimanns 2004; Hoffmeyer-Zlotnik & Geis 2003; Sawinski & Domański 1991). Das Berufsprestige als Merkmal der Angehörigen einer sozialen Gruppe kann jedoch zur Analyse der sozialen Schließung und Abgrenzung zwischen einzelnen Gruppen herangezogen werden. Da alle soziale Gruppen letztendlich nach Befriedigung der gleichen – vor allem der ökonomischen und wohlfahrtsstaatlichen – Bedürfnisse streben, aber die Ressourcen bzw. die Kontrolle über die Mittel zur Befriedigung zwischen den Gruppen ungleich verteilt sind, führt diese Ungleichheit zu Spannungen und Konflikten zwischen den Gruppen (Esser 1999, S.114). „Die auf diese Weise strukturell erzeugten Spannungen schaffen für typische Gruppen von Akteuren objektive Anreize für ein typisches Anpassungsverhalten zur Schließung der Diskrepanz zwischen dem Interesse an den kulturellen Zielen und der Kontrolle über die institutionalisierten Mittel, die es erlauben, diese Ziele zu verfolgen" (Esser 1999, S.114, Hervorhebung im Originaltext). Weil in dieser Untersuchung die soziale Schließung nicht primär thematisiert werden soll und davon ausgegangen werden kann, dass die Berufsgruppen mit vergleichbarem Berufsprestige nicht bestrebt sind sich gegeneinander abzugrenzen und keine gravierenden Spannungen zwischen ihnen bestehen, wurde die Entscheidung getroffen, die Gruppen auszuwählen, die ein mit den Lehrkräften vergleichbar hohes Berufsprestige genießen. Als einziger möglicher Aspekt der sozialen Schließung kann das Heiratsverhalten innerhalb der eigenen sozialen Milieus interpretiert werden.

    Das Konzept sozialer Lage hat für die Untersuchung der Situation der Berufsgruppen einige Vorteile vorzuweisen. Die Kombination aus mehreren Dimensionen, erlaubt das Zuschneiden der ausgewählten Bestandteile der sozialen Lage auf die jeweilige Fragestellung (Hradil 1987, S. 157). Je nach ausgewähltem Gegenstand der Untersuchung können die einzelnen Dimensionen entsprechend betont bzw. stärker berücksichtigt werden als andere. Im Falle einer Berufsgruppe sind vor allem diejenigen Dimensionen von Relevanz, die mit der Ausübung des Berufes zusammenhängen. Zudem sind die einzelnen Dimensionen und deren Bezug zu allgemein anerkannten Bedürfnissen nicht hierarchisch angeordnet. Die Wichtigkeit von einzelnen Bedürfnissen und Dimensionen wird immer im Zusammenhang mit der Fragestellung und den untersuchten sozialen Gruppen gesehen. Mit Hradil‘s Worten: „Soziale Lagen sind nicht in jedem Falle über- und untereinander anzuordnen. Man sollte sich deshalb von der Denkschablone der Vertikalität freimachen. Sie verstellt die Sicht auf einige Erscheinungsformen sozialer

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