Die Geburt der modernen Venus: Antonio Canovas Paolina Bonaparte Borghese
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Über dieses E-Book
Maria Anna Flecken
Die Autorin, Maria Anna Flecken, hat ihr Studium der Kunstgeschichte bei Werner Busch mit einer Dissertation über Canovas weibliche Porträtstatuen der Familie Bonaparte abgeschlossen. Sie arbeitet freiberuflich u.a. als Dozentin in Dresden.
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Buchvorschau
Die Geburt der modernen Venus - Maria Anna Flecken
Bildnachweis
1. Paolina Bonaparte Borghese: Der Aufstieg vom korsischen Aschenputtel
zur Vénus Impérial
Paola Maria Bonaparte wurde am 20. Oktober 1780¹ als sechstes von insgesamt acht Kindern von Carlo Maria Bonaparte (1746–1785) und Maria Letizia Catterina Ramolino in Ajaccio auf Korsika geboren. Sie galt als die attraktivste der drei Schwestern Napoleons (Abb. 1).
Abb. 1. Jacques-Louis David, Napoleon krönt Kaiserin Josephine (Detail: Caroline, Paolina und Elisa), Paris, Louvre.
Ihre Zeitgenossen verglichen ihre körperliche Schönheit und ihre verführerische Anziehungskraft oftmals mit den der Liebesgöttin Venus zugeschriebenen Eigenschaften von weiblicher Erotik und Sinnlichkeit. Dem Wirkungskreis der schönen und anmutigen Aphrodite wurden das Liebesverlangen, die Verführungskunst und Leidenschaft, sowie der lustvolle Liebesakt, und damit die Macht über die Geschlechtlichkeit zu herrschen, zugeordnet. Diese Macht hatte sie, so der griechische Dichter Hesiod (um 700 v. Chr.), von Göttervater Zeus persönlich erhalten. Zudem sprach er ihr die Fähigkeiten zu, ihre anmutig, ziehend Schönheit über das Gesicht zu breiten und die Kraft, schmerzendes Verlangen hervorzurufen und gliederzerfressenden (Liebes-)Kummer
². Venus war die ungestüme und leidenschaftliche Göttin, die sich immer wieder auf die Suche nach neuen Liebschaften begab.
Und auch Paolinas erklärtes Ziel war es, immer verlockend, verführerisch, begehrend und begehrenswert und damit voller Anziehungskraft zu sein. Venus war die uneingeschränkte Herrin, zu der das männliche Element verlangend blickte. Wie die Göttin der Liebe, so war auch Paolina ihren beiden Ehegatten alles andere als treu. Sie war stets bereit, neue erotische Abenteuer einzugehen.
Paolina wurde als lebhaftes und wildes Kind geschildert, das seit frühester Jugend eine schwärmerische Bewunderung für ihren älteren Bruder Napoleon empfand. Ihre ersten Lebensjahre auf Korsika verliefen relativ ruhig und ereignislos. Das änderte sich jedoch in der Nacht vom 25. auf den 26. März 1793. Letizia Bonaparte, ihr Bruder, der Abbé Fesch, sowie die Kinder Elisa, Paolina und Louis flohen unter Mithilfe getreuer Anhänger Napoleons vor den Paolisten³, da sie um ihr Leben fürchten mussten.⁴ Napoleon kam am 31. Mai des Jahres mit einem Schiff, um die Seinen nach Toulon in Frankreich in Sicherheit zu bringen.⁵ Hier lebte die Familie in ärmlichen Verhältnissen, da sie bei der Flucht ihr gesamtes Hab und Gut auf Korsika zurücklassen musste.
Die Bonaparte ließen sich schließlich in Marseille nieder, wo Paolina sich zu einem schönen und frühreifen Mädchen entwickelte, das die Blicke der Männer auf sich zog, was wiederum ihrem Bruder Napoleon nicht verborgen blieb. Er bemühte sich beizeiten, einen geeigneten Ehemann für seine Schwester zu finden. Da Paolina sehr schön war, suchte er nach einem Bewerber in gesicherter und angesehener gesellschaftlicher Position und mit politischen und ökonomischen Ambitionen.
Während unseres Aufenthaltes in Mombello, erinnerte sich Marschall Marmont (1774–1852), beschäftigte sich der General Bonaparte mit der Vermählung seiner zweiten Schwester, Pauline, nachmaligen Fürstin Borghese. Er ließ sie mir durch seinen Bruder Joseph anbieten; sie war reizend und von vollkommener, fast idealer Formenschönheit. Nur erst sechzehn Jahre und einige Monate alt, kündigte sie doch schon an, was sie dereinst werden würde. Ich schlug die Verbindung aus, trotz allen Reizes, den sie für mich hatte, und trotz der Vortheile, die sie mir versprach. […] Heute, nach Abspielung des großen Drama’s habe ich wahrscheinlich mehr Grund mich glücklich zu preisen, als meinen Entschluß zu bereuen.⁶
Am 14. Juni 1797 heiratete Paolina auf Anraten Napoleons den Generaladjudanten Victor Emanuel Leclerc (1772–1802) in Mombello (Abb.2).⁷ Im April 1798⁸ brachte sie ihr erstes und einziges Kind zur Welt, das auf den Namen Louis Napoleon Dermide⁹ (1798–1804) getauft wurde.¹⁰
Abb. 2. François-Joseph Kinson, General Victor Emanuel Leclerc, 1804, Versailles, Musée National du Château de Versailles et du Trianon.
Die Geburt war schwierig, und sie hatte noch Jahre später unter den Nachwirkungen zu leiden. Während der Schwangerschaft, die ziemlich problematisch verlief, verbrachte sie bereits viele Stunden, hingegossen auf einem Ruhelager, eine Positur, die ihr zur Gewohnheit wurde, nachdem sie gemerkt hatte, wie gut sie ihr stand
.¹¹
Laura Permon Junot, die spätere Herzogin von Abrantès (1784–1838), eine Dame, die stets zum engsten Umfeld der Schwester Napoleons gehörte, schilderte in ihren Memoiren einen der viel bewunderten Auftritte Madame Leclercs, während eines Balles im Hause der Permons. Sie schrieb, dass Paolina, als sie die Blicke aller Anwesenden auf sich fühlte, sich in das angrenzende Boudoir der Madame Permon zurückzog, wo sie sich anmutig auf einer Ottomane niederlagerte, die hell beleuchtet war. Auf diese Weise bot sie ihre reizende Erscheinung den anwesenden Gästen wie ein lebende[s] Bild
dar.¹²
Auf Anweisung ihres Bruders musste Paolina ihrem Gemahl 1801 auf die französischen Antillen folgen, da Napoleon Leclerc zum Oberbefehlshaber des Heeres von Santo Domingo ernannt hatte.¹³ Paolina weigerte sich zunächst, dem Befehl ihres Bruders nachzukommen. Sie schützte eine nicht vorhandene Schwangerschaft und ihr schwächliches Nervensystem, das auf den schlechten Straßen nach Brest (wo die Einschiffung nach Santo Domingo stattfinden sollte) weiteren Schaden nehmen würde, vor, um diesem Schicksal zu entgehen. Napoleon ließ sich jedoch nicht erweichen, er durchschaute ihre fadenscheinigen Listen und begegnete den Unpässlichkeiten
der Schwester, indem er ihr einen Tragestuhl für die Reise zur Verfügung stellen ließ. Wohl oder übel musste diese daraufhin ihre Waffen strecken
und sich der Anordnung des Bruders fügen. Dank des Tragstuhls, den sie damals schätzen lernte und den sie von da ab ständig benutzte, ertrug sie die Strapazen des Transports mit ziemlicher Mühelosigkeit.
¹⁴
Am 14. Dezember 1801 schiffte sich Paolina auf dem Admiralsschiff L‘Ozean ein und segelte nach Santo Domingo.¹⁵ Die Überfahrt und die Anwesenheit der jungen Frau an Bord wurden von dem Dichter Joseph Alphonse Esmenard (1770–1811), der den Feldzug als Berichterstatter begleitete, dokumentiert: Mit unvergleichlicher Grazie lag Frau Leclerc auf dem Ruhebett auf Deck. In dem ganzen Zauber ihrer Schönheit erinnerte sie an die Galatea der Griechen, an die Venus, die Schaumgeborene.
¹⁶
Leclerc starb während des Antillenaufenthaltes 1802 an Gelbfieber. ¹⁷ Als junge Witwe, gerade 22 Jahre alt, kam Paolina am 27. Januar 1803 auf der Swiftsure in Toulon an, wo sie aufgrund ihrer angegriffenen Gesundheit eine Zeit in Quarantäne verweilen musste. Das Klima Santo Domingos hatte ihren Gesundheitszustand, der sich seit der Geburt des Kindes nicht mehr ganz erholt hatte, noch weiter verschlechtert.¹⁸ Madame de Rémusat (1780–1821) erinnerte sich in ihren Memoiren an die Rückkehr Paolinas nach Frankreich: Obwohl schwächlich und leidend, und in Trauerkleidern, war sie für mich die reizendste Person, die ich je in meinem Leben gesehen habe.
¹⁹
Ähnliche Äußerungen bezüglich der Person Paolinas sind auch den Aufzeichnungen der Herzogin von Abrantès zu entnehmen:
Es ist unmöglich sich eine Vorstellung zu machen, wie vollendet schön diese außerordentliche Frau war. Im allgemeinen kennt man sie erst, als sie schon ein wenig welk und nicht einmal mehr der Schatten jener Paulette war, die wir in ihrer entzückenden Schönheit manchmal wie eine herrliche Statue der Venus Galatea bewunderten.²⁰
Nach einer kurzen Erholungsphase, die sie im Hause des ältesten Bruders Joseph in Paris verbrachte, stabilisierte sich ihr Gesundheitszustand, und die Erinnerungen an die schrecklichen Erlebnisse auf Santo Domingo begannen zu verblassen. Ihr Denken und Handeln waren – im Bewusstsein, eine neue, bessere Existenz gestalten zu können, – wieder zukunftsorientiert ausgerichtet. Als junge, schöne Witwe und als Schwester Napoleons, der zu dieser Zeit (1803) Erster Konsul und damit französisches Staatsoberhaupt war, begab sie sich wieder auf das gesellschaftliche Parkett und lernte schon bald einen der begehrtesten Junggesellen der Zeit kennen: Camillo Filippo Ludovico Borghese (1775–1832), den Spross eines der ältesten und einflussreichsten Adelsgeschlechter Italiens und gleichzeitig einen der reichsten Männer Europas (Abb. 3). Der 28 Jahre alte Fürst war seit dem Tode seines Vaters Marc Antonio III. (1730–1800) Oberhaupt des traditionsreichen Hauses Borghese, das seinen Ruhm und Wohlstand auf Papst Paul V. Borghese (1552–1621) zurückführte.²¹
Die kirchliche Eheschließung mit Borghese, die eifrig von den Bonaparte forciert wurde, fand am 28. August 1803 (Ziviltrauung am 6. November 1803) im Hause ihres Bruders Joseph in Mortefontaine statt.²² Sie besiegelte Paolinas rapiden Aufstieg in die aristokratische Gesellschaft. Napoleon begrüßte die Verbindung mit dem alteingesessenen römischen Adelsgeschlecht, da sie eine Legitimierung der Familie Bonaparte bedeutete. Zudem hoffte er, in Borghese einen familiären und damit absolut vertrauenswürdigen Vermittler im diplomatischen und politischen Umgang mit dem Heiligen Stuhl gefunden zu haben.
Abb. 3. François Gérard, Fürst Camillo Borghese, 1809, Versailles, Musée National du Château de Versailles et du Trianon.
Auf Anweisung Napoleons brach das junge Ehepaar am 14. November nach Rom auf²³, wo Paolina an der Seite des Fürsten Borghese