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Soziologie und Polizei: Zur soziologischen Beschäftigung mit und für die Polizei
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eBook254 Seiten2 Stunden

Soziologie und Polizei: Zur soziologischen Beschäftigung mit und für die Polizei

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Über dieses E-Book

Die soziologische Beschäftigung mit und für die Polizei ist Gegenstand des vorliegenden Sammelbandes. Das hat sowohl inhaltliche als auch methodische Gründe. Inhaltlich zeichnen sich die Gegenstände, mit denen sich Polizei beschäftigt durch einen sehr großen Überschneidungsbereich mit soziologischen Themen aus. Auf diese Weise werden soziologische Fragestellungen auch für die Polizei und ihre Praxis relevant. Dabei geht es um soziologische Forschungsgegenstände wie Extremismus, Gewalt, Migration, Devianz, Segregation und Organisation. Aber auch die soziologischen Methoden zu Erkenntnisgewinnung können für die Polizei von Interesse sein. Hierbei geht es dann nicht nur um Kriminal- oder Verkehrsstatistik sondern auch um die qualitative Analyse von Daten oder Vernehmungsprotokollen. Soziologie spielt deshalb auch eine Rolle für die Arbeit von Landeskriminalämtern bzw. Bundeskriminalamt und dem Verfassungsschutz.
Sowohl die inhaltlichen, als auch die methodischen Anknüpfungspunkte der Soziologie mit der Polizei, werden im vorliegenden Sammelband thematisiert. Der Sammelband stellt das Ergebnis der 5. Tagung der Fachgruppe Verwaltung des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V. dar, die im Herbst 2014 an der Hochschule Hof stattgefunden hat.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum28. Juli 2015
ISBN9783739292700
Soziologie und Polizei: Zur soziologischen Beschäftigung mit und für die Polizei

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    Buchvorschau

    Soziologie und Polizei - Books on Demand

    ResistantX

    Vorwort

    Die soziologische Beschäftigung mit und für die Polizei ist Gegenstand des vorliegenden Sammelbandes. Das hat sowohl inhaltliche als auch methodische Gründe. Inhaltlich zeichnen sich die Gegenstände, mit denen sich Polizei beschäftigt durch einen sehr großen Überschneidungsbereich mit soziologischen Themen aus. Auf diese Weise werden soziologische Fragestellungen auch für die Polizei und ihre Praxis relevant. Dabei geht es um soziologische Forschungsgegenstände wie Extremismus, Gewalt, Migration, Devianz, Segregation und Organisation. Aber auch die soziologischen Methoden zu Erkenntnisgewinnung können für die Polizei von Interesse sein. Hierbei geht es dann nicht nur um Kriminal- oder Verkehrsstatistik sondern auch um die qualitative Analyse von Daten oder Vernehmungsprotokollen. Soziologie spielt deshalb auch eine Rolle für die Arbeit von Landeskriminalämtern bzw. Bundeskriminalamt und dem Verfassungsschutz.

    Sowohl die inhaltlichen, als auch die methodischen Anknüpfungspunkte der Soziologie mit der Polizei, werden im vorliegenden Sammelband thematisiert. Der Sammelband stellt das Ergebnis der 5. Tagung der Fachgruppe Verwaltung des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen e.V. dar, die im Herbst 2014 an der Hochschule Hof stattgefunden hat.

    Soziologie und die Gewalt der Polizei. Überlegungen zum Verhältnis des Fachs Soziologie im Hochschulstudium der Polizei zur Gewalt

    Georg Brandt

    Einleitung

    Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf die spezifische Berufserfahrung von Soziologinnen und Soziologen im Polizeistudium und auf die besonderen Anforderungen an Soziologie als Wissenschaft im Studium der Polizei. Zu diesen Erfahrungen und Anforderungen sollen Überlegungen formuliert werden, die sicher noch einer weiteren Diskussion bedürfen. Dieser Text bezieht sich also auf eine ganz bestimmte Arbeitssituation und einen damit verbundenen Sinngehalt. Damit folgt dieser Text dem Aufruf des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen zu seiner Veranstaltung am 27. November 2014 in Hof, die das Thema hatte: „Soziologie und Polizei – Sozialwissenschaftler berichten von ihren Erfahrungen". Die Hoffnung des Autors ist es, dass durch die hier eingenommene Perspektive neben der Darstellung der Anforderungen an die Arbeit von Soziologinnen und Soziologen in der Polizeiausbildung ein besonderer Blick auf einige Grundannahmen der Soziologie als Wissenschaft insgesamt möglich wird.

    Eine zweite Vorbemerkung bezieht sich auf eine Eigenart der Organisation des Studiums für die Polizei im Bundesland Hessen, an deren Hessischer Hochschule für Polizei und Verwaltung der Autor Soziologie lehrt. Hier wird bereits im Studium für den gehobenen Polizeidienst, das heißt während des Berufseinstiegs von Polizeibeamtinnen und –beamten in Hessen, zwischen Schutzpolizei und Kriminalpolizei unterschieden. Das Thema dieses Textes hat mit der Anwendung von unmittelbarer körperlicher Gewalt zu tun, die vor allem im Tätigkeitsbereich der Schutzpolizei liegt. Schließlich möchte der Autor seine Leserschaft bereits an dieser Stelle um Nachsicht bitten, wenn es so scheint, als seien einige seiner Thesen und Überlegungen trivial. Um diesbezüglichen Zweifeln zuvorzukommen, sei hier auf Bourdieu verwiesen, der sich immer wieder mit diesem Vorwurf auseinandersetzen zu müssen glaubt (z.B. Bourdieu, 66).

    In diesem Text werden zunächst einige Überlegungen zum Verhältnis von Polizei und Gewalt vorgestellt und erläutert werden, dann folgen Überlegungen zum Verhältnis von Soziologie und Gewalt der Polizei und zu Soziologie im Polizeistudium, wobei versucht werden wird, die Beiträge von Soziologie zu einer möglichen Didaktik der Gewaltkompetenz zu umreißen, und schließlich folgt ein Fazit zum Verhältnis von Soziologie und Gewaltkompetenz im Polizeistudium.

    Überlegungen zu Polizei und Gewalt

    Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind Gewalttäterinnen und Gewalttäter. In uns widerstrebt alles gegen den Inhalt dieser allgemeinen Aussage. Dieser Satz ist absolut wertfrei gemeint und enthält dennoch eine moralische Wertung. Gewalttäter und Gewalttaten sind doch grundsätzlich stets abzulehnen. Doch wie soll sprachlich ausgedrückt werden, was die Polizei tut? Wie ist die Situation, wenn Polizeibeamtinnen und -beamte, z.B. bei einer Festnahme, Gewalt anwenden? Stellen wir uns vor, eine gewalttätige oder anderweitig gefährliche Person wird von Beamten gestellt und nun gegen ihren Willen mit Handschellen gefesselt. Egal, ob die festgenommene Person sich nun stark wehrt oder wenig, oder auch nur protestiert, die Polizisten wenden Gewalt an, diese Handlung ist eine Gewalttat. Zugleich ist diese Gewalttat legal, legitim und sogar erwünscht. Doch so wollen wir es üblicherweise nicht ausdrücken.

    Das Problem vor dem wir stehen ist, dass es kein wertneutrales Wort für eine notwendige oder gar erwünschte Gewalthandlung gibt. Die Sprache selbst scheint also unangemessen zu sein für die Handlung von Polizeibeamtinnen und -beamten. In der Literatur wird der Begriff der Gewalt bei der Untersuchung der Anwendung von Gewalt durch die Polizei durchaus als semantisches Problem erkannt (Brodeur, 260f.) und sogar als „semantischer Dunstschleier bezeichnet (Ohlemacher/Werner, 10). Wenn die Sprache kein wertneutrales Wort anbietet, müssen wir dann schweigen? Natürlich nicht. Für diesen Text wird angenommen, die obige Aussage sei wertfrei und wahr. Zur Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols setzen die Polizeien in Gewaltakten oder Gewalttaten Gewalt ein. Damit ist aber auch gemeint, dass Polizeibeamtinnen und -beamte in Ausübung ihres Berufes, ihres Dienstes, anderen Menschen, unabhängig davon, ob wir diese mögen oder nicht, „Schmerz und Leid zufügen (um einen Studierenden von mir zu zitieren). In diesem Sinne sind Polizeibeamtinnen und -beamte Gewalttäterinnen und Gewalttäter.

    Die Anwendung von Gewalt ist für die einzelnen Polizeibeamtinnen und -beamten nicht alltäglich. Möglicherweise ist die Anwendung von Gewalt für sie nicht einmal Routine. Polizeibeamtinnen und -beamte weichen der Anwendung von Gewalt auch aus und suchen andere Verhaltenswege. Aber Gewalt ist immer möglich. Die Anwendung von Gewalt gehört zum festen Bestandteil der polizeilichen Handlungsmöglichkeiten. Anders als in all jenen Berufen, bei denen Gewaltopfern „nur" beigestanden wird (z.B. Sanitäter, Ärzte, Sozialarbeiter usw.) kann die Polizei, können Polizeibeamtinnen und -beamte, als Gewalttäterinnen und Gewalttäter aktiv werden. Dies ist der Auftrag des Staates und der Gesellschaft. Einfacher gesagt: Wir wollen, dass Polizeibeamtinnen und -beamte Gewalt ausüben können und im richtigen Moment Gewalt ausüben.

    Für das berufliche Selbstbild, die berufliche Identität der Polizei und der Polizeibeamtinnen und -beamten ist die Gewaltausübung ein konstituierender Wesensbestandteil.

    Überlegungen zum Verhältnis von Soziologie zur Gewalt der Polizei – ein Tabu?

    Für Soziologie ganz allgemein könnte Norbert Elias´ bekannte Zivilisationstheorie stehen, nach der Gewalt zunehmend aus der Öffentlichkeit verschwindet. In den letzten Jahren gibt es in der Soziologie aber eine Debatte zu konkreten Phänomenen der Gewalt, in der jeweils festgestellt wird:

    „Gewalt ist ein analytisches Stiefkind der allgemeinen soziologischen Theorie." (Trotha, 9f.)

    Oder noch prägnanter:

    „Die Soziologie schweigt." (Reemtsma, 458)

    Konstatiert wird in dieser Debatte, dass die allgemeine soziologische Theorie sich mit Gewalt dort beschäftigt, wo nach Ursachen der Gewalt geforscht wird. Implizit bedeutet dies, dass Gewalt als ein zu beseitigendes Phänomen, als eine „Abweichung, betrachtet wird. Gewalt ist für diese Theorie also illegitim, kein Wesensmerkmal von wünschenswerter Gesellschaft und damit gewissermaßen kriminell. Hier muss festgestellt werden, dass Soziologie implizit, ohne sich offen darüber Rechenschaft abzulegen, an der Beseitigung, an der Abschaffung von Gewalt arbeitet. Wo sich Soziologie mit der Gewalt der Polizei beschäftigt, gibt es in der Regel nur zwei Phänomene, die betrachtet werden. Das eine ist Gewalt gegen die Polizei; dieser Themenbereich soll hier nicht weiter beachtet werden, da hier eine allgemein anerkannte Notwehrsituation von Polizeibeamtinnen und –beamten angenommen werden kann. Das andere Phänomen ist die „Polizeigewalt. Interessanterweise wird mit diesem doch an sich wertfreien Begriff meist die nicht-legale und nicht-legitime Gewalt der Polizei gemeint, also das, was als Polizeiübergriffe usw. bezeichnet werden könnte. Zu diesem Thema gibt es eine Reihe von Studien und Forschungen, die darauf abzielen, die Ursachen für den Einsatz von „Polizeigewalt zu erforschen, um deren Auftreten in Zukunft unterbinden zu können (beispielhaft sei hier auf Maibach, 1996 verwiesen). Für die Literatur und die Forschung insgesamt gilt, dass das Verhindern von „Polizeigewalt ein wesentliches Motiv für die Beschäftigung mit dem Themenkomplex Polizei und Gewalt darstellt (als jüngstes Beispiel: Hunold, 297). Anders als bei der Begriffsbildung „Polizeigewalt, die eindeutig negativ besetzt ist, gibt es für die legale, legitime und erwünschte Gewalt der Polizei weder in der Öffentlichkeit, noch in der Soziologie einen Begriff. Eine Ausnahme macht hier der Gesetzgeber, der für den Sprachgebrauch der Juristen den Begriff „Zwang erfunden hat, um nicht von Gewalt sprechen zu müssen. Nicht zuletzt in diesem verschleiernden Sprachgebrauch ist das gesellschaftliche Tabu zu erkennen, dem das Thema des legalen, legitimen und gewünschten Gewalthandelns der Polizei in der Gesellschaft unterliegt. Leider akzeptiert Soziologie als Wissenschaft zumeist dieses Tabu. Da es sich hierbei aber nicht um die bewuss te Akzeptanz eines Tabus als wissenschaftliche Prämisse etwa handelt, äußert sich die Beschäftigung der Soziologie mit der Gewalt der Polizei als unhinterfragtes moralisches Werturteil. Die legale, legitime und erwünschte Gewalt der Polizei wird so als moralisch peinlich wahrgenommen.

    Die Einladung des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen zu dem Kongress, für den dieser Vortrag – dieser Text – geschrieben wurde, formuliert in gewissermaßen halbem Bewusstsein dieses Problems sehr treffend in der moralischen Wertung und in einem gleichzeitigen Gefühl der Unangemessenheit dieser Wertung über das Thema:

    „Die „Polizei, dein Freund und Helfer oder der „Bösewicht, der Sanktionen verteilt!?"

    Möglicherweise ist die Polizei weder ein Freund und Helfer, noch ein Bösewicht? Vielleicht ist die Polizei eine Helferin mit einer schwierigen Eigenschaft, die Mittel einsetzt, von denen man nicht so viel wissen will, eine Helferin mit den Mitteln, die normalerweise Bösewichte einsetzen, die wir eigentlich ablehnen, aber in diesem Fall auch mal gut finden?

    Sehr gute weitere Beispiele für stillschweigend vorausgesetzte moralische Werturteile über den legalen, legitimen und erwünschten Gewalteinsatz von Polizeibeamtinnen und -beamten finden sich bei Carsten Dams wie z.B.:

    „Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt einen positiven Trend: Trotz steigendem Schusswaffengebrauch fiel [sic!] die Zahl der Schüsse, die direkt auf eine Person gerichtet war (…)." (Dams, 53)

    Warum ist eine sinkende Zahl von Schüssen, die auf eine Person gerichtet waren, in diesem Zusammenhang an sich positiv? Weil die potentiell tödliche Gewalt der Polizei immer negativ ist? Weil der Einsatz von Gewalt immer negativ ist? Für diese Art der unausgesprochenen moralischen Prämissen ließen sich beliebig viele weitere Beispiele finden.

    Sollte in der Soziologie, analog zur Gesellschaft, das moralisch ablehnende Werturteil über den legalen, legitimen und erwünschten Gewalteinsatz der Polizei eine unausgesprochene Prämisse darstellen, so wie es hier behauptet wird, dann fällt Soziologie damit zugleich ein moralisch ablehnendes Werturteil über die Polizei als Institution. Die Polizei als Institution wird moralisch illegitim. Die Polizei als Institution wird infrage gestellt, denn:

    „Institutionen sind organisiertes, automatisiertes Vertrauen." (Bourdieu, 78)

    Soziologie im Studium der Polizei

    Bis hierher ist im Grunde schon das Problem benannt, das Soziologie als Fach im Rahmen des Studiums der Polizei aufwerfen kann. Sollten Soziologinnen und Soziologen es grundsätzlich als ihre Aufgabe empfinden, zukünftigen Polizeibeamtinnen und -beamten gegenüber eine unterschiedslose Eindämmung von Gewalt als Ziel zu verfolgen, gerieten sie in Konflikt mit dem gesetzlichen Auftrag der Polizei und mit den berechtigten Erwartungen der Berufsanfängerinnen und -anfänger. Das berechtigte berufliche Selbstverständnis der Polizei würde negiert. Die Berufspraxis der Soziologinnen und Soziologen erschöpfte sich dann im Austragen von unreflektierten und verzerrten Konflikten. Damit verlöre die Soziologie ihren wissenschaftlichen Anspruch.

    Umgekehrt kann Soziologie aber auch nicht den Anspruch erheben, konkrete Handlungsempfehlungen für Gewaltsituationen zu geben und unreflektiert polizeiliches Gewalthandeln zu perfektionieren. Soziologie ist nicht kompetent in sozusagen technischen Fragen der gewaltsamen Bewältigung von Gewaltsituationen.

    Hier sei die Zwischenbemerkung gestattet, dass die Gewaltsituationen, mit denen Polizeibeamtinnen und -beamte konfrontiert werden, gerade keinen irgendwie berechenbaren Regeln folgt. Die Anwendung von Gewalt durch die Polizei rechnet mit diesem Umstand. Auch hier scheint die Aufgabe der Polizei erst die Durchsetzung von Regeln zu sein.

    Die Aufgabe der Soziologie im Studium der Polizei liegt in der Darstellung des allgemeinen Verhältnisses von Gesellschaft und Gewalt. Dazu bedarf es natürlich einer entsprechenden Erklärung soziologischer Theorien – und der Darlegung der Position der Soziologie zur Gewalt. Dann hat Soziologie einen wissenschaftlichen Überblick über das Verhältnis von Gesellschaft und Gewalt auch in der konkreten Geschichte und Gegenwart der deutschen Gesellschaft zu werfen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, zukünftige Polizeibeamtinnen und -beamte darauf vorzubereiten, dass eine Gesellschaft, die die Verdrängung der Gewalt aus der Öffentlichkeit betreibt, besondere Probleme damit hat, über legale, legitime und erwünschte Gewalt und die mit der Ausübung dieser Gewalt verbundene Folgen offen zu debattieren. Die Polizei befindet sich mit ihrer Tätigkeit in einem gesellschaftlichen Dilemma, das durch Soziologie benannt und reflektiert werden muss.

    Die Besonderheit vor der Soziologinnen und Soziologen im Studium der Polizei stehen, die sie von der Tätigkeit anderer Soziologinnen und Soziologen unterscheidet, ist die tatsächliche Herausforderung, eine Antwort auf die Frage zu finden, welche soziale Rolle Polizeibeamtinnen und -beamte in Bezug auf Gewalt ausfüllen können. Warum gibt es kein Rollenvorbild dafür, Gewalt legal, legitim und erwünscht auszuüben? Warum gibt es keine Rolle von positiven Gewalttäterinnen und Gewalttätern? Die Studierenden dürfen bei diesen Fragen von Soziologie nicht allein gelassen werden, wenn verhindert werden soll, dass sie sich die Antworten auf ein mögliches Rollenverständnis aus dem hermetischen subkulturellen Diskussionszusammenhang zusammensetzen, den nicht zuletzt Rafael Behr so passend als „Cop Culture" beschrieben hat (Behr, 2000).

    Gerade auch aus diesem Grund muss Soziologie im Polizeistudium die Struktur der Kommunikation über Gewalt in der Soziologie, in der Gesellschaft, in der Polizei, darstellen können. Soziologie muss im Polizeistudium Probleme konkret bearbeiten, die in der Literatur stets in größerer Abstraktion behandelt werden.

    Abschließend soll noch auf einen besonderen Einzelaspekt des Themas eingegangen werden. Ist es für eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft notwendig, sich über ihren eigenen Umgang mit Gewalt klar zu werden, so ist es für sie von existentieller Bedeutung, die bereits oben geforderte positive Rollenidentität von anerkannten Gewalttäter legaler, legitimer und erwünschter Gewalt zu entwickeln und anzuerkennen. Die eingangs vorgestellte Behauptung, Polizeibeamtinnen und -beamten seinen Gewalttäter und Gewalttäterinnen ist genau so formuliert worden, um auch darauf hinweisen zu können, dass wenn es noch keine allgemein anerkannte soziale Rolle des positiven Gewalttäters gibt, dass dies erst recht für die Rolle der positiven Gewalttäterin gilt. Rafael Behrs Studie „Cop Culture. Der Alltag des Gewaltmonopols verortet die Beobachtungen zur Verarbeitung von Gewalt in der Polizei nicht von ungefähr unter den Untertitel „Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei. Die besondere Anlage seiner Studie ermöglicht es Behr, Frauen in der Polizei generell nicht in den Blick zu nehmen, sodass Zweifel an der Zuordnung der beobachteten Handlungsmuster zu Vorstellungen von Männlichkeit bleiben. Dennoch wird so deutlich, was aktuell begrifflich noch gefasst werden kann und worüber umgekehrt noch geschwiegen werden muss: von einer möglichen anerkannten sozialen Rolle der positiven Gewalttäterin.

    Zum Schluss

    Dieser Text hat, das ist dem Verfasser bewusst, mit Vereinfachungen gearbeitet. So ist es wahrscheinlich gar nicht ohne weiteres möglich, die Erscheinungen von legaler, legitimer und erwünschter Gewalt von illegaler, illegitimer und unerwünschter Gewalt zu unterscheiden. Oft wird erst die nachträgliche Betrachtung und Bewertung eine Unterscheidung ergeben können. Dadurch wird das oben Gesagte in der Realität noch komplizierter, das Problem drängender.

    Was in der Soziologie gerade erst diskutiert wird, der Zusammenhang zwischen Ordnungsbildung und Gewalt (Lindemann, 417), ist ein zentrales Thema der Soziologie im Studium der Polizei.

    Literatur

    Behr, Rafael, Cop Culture. Der Alltag des Gewaltmonopols. Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei, Opladen 2000.

    Bourdieu, Pierre, Über den Staat, Berlin 2014.

    Brodeur, Jean-Paul, Gewalt und Polizei, in Heitmeyer, Wilhelm, Hagan, John (Hrg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, Wiesbaden 2002, S. 259-286.

    Dams, Carsten, Polizei, in: Gudelius, Christian, Christ, Michaela (Hgs.), Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013, S. 50-57.

    Elias, Norbert, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchung, Frankfurt am Main 1976.

    Hunold, Daniela, Interaktionsrahmen polizeilichen Gewalthandelns, in: Routinen der Krise –Krise der Routinen. 37. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2014, abstracts, S. 297.

    Lindemann, Gesa, Gewalt – Ein systematisch notwendiges Element einer allgemeinen Theorie sozialer Ordnungsbildung, in: Routinen der Krise –Krise der Routinen. 37. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2014, abstracts, S. 417f.

    Maibach, Gerda, Polizisten und Gewalt, Reinbek bei Hamburg 1996.

    Ohlemacher, Thomas, Werner, Jochen-Thomas, Polizei und Gewalt. Für einen sachlichen Diskurs statt reflexartiger Reaktionen, in: Dies. (Hgs.), Empirische Polizeiforschung XIV: Polizei und Gewalt. Interdisziplinäre Analysen zu Gewalt gegen und durch Polizeibeamte, Schriften zur Empirischen Polizeiforschung, Band 15, Frankfurt am Main 2012, S. 7-20.

    Reemtsma, Jan

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