Clara - Im Schatten des Tafelbergs
Von Erika Bürkle, Katja Engelberg und Stefanie Fröhling
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Über dieses E-Book
Erika Bürkle
Erika Bürkle, Sozial- und Politikwissenschaftlerin, geboren 1976 in Tscheljabinsk (Russland). Arbeitet international und lebt derzeit bei Bonn.
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Buchvorschau
Clara - Im Schatten des Tafelbergs - Erika Bürkle
davon
Kapitel 1
Umzug!
„Schon wieder umziehen?", rief Clara entsetzt. Ihr Herz fing an zu rasen und Tränen schossen in ihre Augen. Sie blickte abwechselnd in die Gesichter ihrer Eltern.
„Das meint ihr doch wohl nicht im Ernst, ein Hauch von Hoffnung klang aus ihrer Stimme heraus „wir wohnen doch erst seit 4 Jahren hier in Berlin.
Ihr Vater schaute sie verständnisvoll an: „Clärchen, du musst es verstehen. Das ist eine einmalige Chance für mich. Jahrelang habe ich darauf gewartet einen so verantwortungsvollen Job im Generalkonsulat angeboten zu bekommen."
„Du weißt ja auch noch gar nicht, wohin es geht", warf die Mutter ein.
„Ist mir doch egal wohin, ich will überhaupt nicht mehr weg! Ich will hier in Berlin bleiben! Claras Stimme glich immer mehr einem Kreischen. „Ben, sag doch auch mal was!
Ihr kleiner Bruder hatte sich gerade einen ganzen Schokoladenmuffin in den Mund geschoben und blickte sie erschrocken an.
„Isst du deinen noch?", fragte Ben. Dabei fiel ihm der halbe Muffin aus dem Mund und auf die neue, weiße Tischdecke.
„Ben-jahh-miiin!", riefen Clara, Mutter und Vater gleichzeitig.
Hektisch sprang die Mutter auf, fegte die Krümel von der Decke und eilte in die Küche.
„Dich geht das übrigens auch was an, mein Junge, sagte der Vater und Clara fügte nörgelnd hinzu: „Kannst du denn immer nur ans Essen denken? Interessiert es dich denn gar nicht, dass wir schon wieder umziehen müssen?
„Wohön eigöntlöch?", fragte Ben mampfend und seine kleinen, pummeligen Finger umschlossen fest Claras Muffin.
„Nach Südafrika!, erklärte sein Vater in stolzem Ton. „Ich werde dort...
„Nach Südafrika???, unterbrach ihn Clara und auch Ben erstarrte vor Schreck. Er ließ sogar den gerade erkämpften Muffin fallen und stammelte „Wa- was gibt’s denn da?
Bevor Herr Berger antworten konnte, fiel ihm Clara wieder ins Wort:
„Auf jeden Fall gibt’s da keinen Pudding, keine Schnitzel und auch keine Knödel". Sie wollte noch weitere Lieblingsspeisen ihres Bruders aufzählen, aber Ben hatte schon genug gehört.
„Ne, da will ich auf keinen Fall hin!", entschied er und ließ den vorher fallengelassenen Muffin schnell in seinen Mund wandern.
„Jetzt macht aber mal einen Punkt, Kinder!" Der sonst nicht aus der Ruhe zu bringende Herr Berger fing an ungeduldig zu werden.
„Südafrika ist ein wunderschönes Land. Die Menschen dort sind sehr nett. Bestimmt werdet ihr euch schnell eingewöhnen und Freunde finden. Und zu essen gibt es dort übrigens auch genug, Ben!"
„Aber unsere Eishockeymannschaft ist gerade aufgestiegen und im nächsten Jahr soll ich doch als Mannschaftsführerin spielen, hat der Trainer mir versprochen! Ich wette, in Südafrika gibt es noch nicht einmal Eishockey. Die wissen da doch gar nicht, was Eis überhaupt ist!" Clara lief vor Wut rot an und schob, wie immer wenn sie stinksauer war, ihre Unterlippe zu einem Schmollmund vor.
Frau Berger kam wieder ins Wohnzimmer und wandte sich sanft an ihre Tochter „du und dein Eishockey. Mir war das sowieso zu gefährlich. Vielleicht findest du ja ein anderes Hobby, das dir Spaß macht. Hmm, was meinst du?"
„Ich will aber kein anderes Hobby! Ich will Eishockey, meine Freunde und Berlin! Und nur damit ihrs wisst: ICH WERDE DA NIEMALS HINZIEHEN!", schrie Clara und sprang auf. Ihr Stuhl fiel dabei krachend zu Boden. Sie lief weinend in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
***
Vier Wochen später glich das Haus der Familie Berger einem Schlachtfeld. Frau Berger eilte geschäftig von einem Zimmer ins andere und gab Anweisungen, die der Rest der Familie leise murrend befolgte. Listen wurden erstellt, Kartons gepackt und für jedes Zimmer ein farbiger Aufkleber auf die Kartons geklebt: „Blau für die Küche, grün fürs Wohnzimmer, rot für unser Schlafzimmer, gelb für Claras Zimmer und orange für Bens und seid bitte vorsichtig beim Packen!", befahl Frau Berger. Ihr Ordnungszwang hatte die Geschwister schon immer auf die Palme gebracht, aber nun wurde er unerträglich.
„Ich glaube, für deine Sachen waren die blau beklebten Kartons..., murmelte Herr Berger, der Clara beim Packen ihrer Sachen half und kratzte sich dabei nervös am Kinn, „oder waren es die Grünen?
„Nee die Roten, rief Ben aus seinem Zimmer „blau war doch für mich!!!
Frau Berger schwebte seelenruhig und mit einem Lächeln in Claras Zimmer „Ich habe euch da mal eine Liste gemacht, auf der habe ich das alles aufgeschrieben."
Für ihre Listen war Frau Berger bekannt. Sie fertigte immer für alles irgendwelche Listen an. So gab es im Hause Berger Einkaufslisten, Merklisten, Wunschlisten und jetzt auch noch Umzugslisten! Das hatte aber auch seine Vorteile. Frau Berger war immer ruhig und gut organisiert, wenn sie wusste, dass sie alles aufgeschrieben hatte. Ganz im Gegensatz zu ihrem Mann, der seine Sachen ständig irgendwo liegen ließ. So wurde es zum Familiensport, die Brille des Vaters in sämtlichen Ecken des Hauses zu suchen.
Clara fand, dass ihre Eltern äußerlich eigentlich gar nicht zusammen passten. Rainer Berger war ein großer, stattlicher Mann, der zu Übergewicht neigte, während seine Frau Annette klein, zierlich und immer schick gekleidet war. Selbst jetzt, beim Umzug, waren ihre langen blonden Locken zu einer feschen Frisur zurecht gemacht und das tadelloses Make-up unterstrich ihre schönen grünen Augen. Nicht nur auf ihr eigenes Äußeres legte sie viel Wert, sondern sie kümmerte sich auch um die Garderobe ihres Mannes. Das war auch gut so, denn...
Einmal, als Frau Berger für eine Woche verreist war, erkannte auch Clara, dass ihr Vater so gar kein Gespür für Farbkombinationen hatte. Beim Frühstück erschien er in brauner Kordhose, rot-weiß gestreiftem Hemd und grün-blau gepunkteter Krawatte.
„Papa, was hast du dir denn bei diesem Outfit gedacht?"
„Wieso fragst du?, wunderte sich ihr Vater und zog die Augenbrauen in die Höhe. „Passt etwas nicht zueinander?
„Frag mich lieber, was davon zueinander passt. Mama hat dir doch bestimmt vor ihrer Abreise eine Liste mit Klamottenkombinationen gegeben, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Farbenkarussell da drauf stand."
„Ja hat sie, aber die habe ich wohl irgendwo liegengelassen. Wenn ich nur wüsste wo die ist?!..... Rainer Berger blickte noch einmal auf seine braune Kordhose und sein rot-weiß gestreiftes Hemd mit der grün-blau gepunkteten Krawatte. Schließlich verkündete er selbstsicher: „Also ich finde, es passt sehr wohl farblich zueinander!
Clara musste einsehen, dass ihr Vater, was das anging, ein hoffungsloser Fall war und malte sich aus, was wohl all ihre Schulfreunde denken würden, wenn sie gleich von ihm zur Schule gebracht werden würde. Das Gespräch endete damals mit Claras entschiedenem „Ach Papa, du brauchst mich übrigens heute nicht zur Schule zu bringen, ich fahr mal lieber mit dem Rad."
Den Rest der Woche erwischte sie jedoch ihren Vater dabei, wie er morgens stets seine Frau anrief, um sie zu fragen, was er anziehen solle. Ihre Eltern waren eben doch ein klasse Team.
Auch beim Umzug war es Annette Berger, die sowohl ihre Familie als auch die Möbelpacker unter Kontrolle hatte und dabei keinerlei Anzeichen von Stress zeigte.
Ganz anders verhielt sich Clara, die in den letzten Wochen viele Schwierigkeiten machte – und das mit voller Absicht. Clara war immer noch gegen diesen Umzug. Sie wollte nicht nach Südafrika. Das war viel zu weit weg! Sie hatte Angst davor, ihre Freunde aus der Schule zu verlassen, ihre Großeltern würden auch in Berlin bleiben und vor allem würde sie in Südafrika kein Eishockey mehr spielen können. Dabei war doch im letzten Jahr noch alles so gut für sie gelaufen. In der Schule bekam sie gute Noten, in ihrer Mannschaft hatte sie sich einen Stammplatz ergattert und freute sich darauf in der nächsten Saison als Mannschaftsführerin spielen zu können. Sie war unendlich stolz darauf gewesen, doch nun sollte das alles nichts mehr gelten. Ihre Eltern wollten ja unbedingt in dieses ferne Land und ließen ihr keine Wahl - sie musste mit, ob sie nun wollte oder nicht. Aber leicht wollte sie es ihnen nicht machen, daher stemmte sie sich so gut es nur ging gegen diesen Entschluss. In den vergangenen Wochen tat sie alles um es ihren Eltern schwer zu machen den Umzug richtig vorzubereiten. Sie verstreute ihre Sachen in der Wohnung, packte nachts sogar manchmal fertiggepackte Kartons teilweise wieder aus und unterbrach ihren Vater regelmäßig, wenn er aus einem seiner zahlreichen, neuerstandenen Reiseführer vorlas. Ihre Eltern waren sehr geduldig mit ihr, da sie genau wussten, wie schwierig es für Clara war ihr heißgeliebtes Berlin zu verlassen.
Ben hingegen schien gar keine Probleme damit zu haben tausende von Kilometern wegzuziehen. Claras kleiner, etwas pummeliger Bruder mit den struweligen, kurzen roten Haaren schien sich sogar auf Afrika zu freuen.
„Hey Clara, das ist doch toll, da gibt es ganz viele Sachen, die noch keiner meiner Freunde je gegessen hat. Und Papa hat gesagt, ich darf da auch auf ne Safari mitkommen! Da werden alle unsere Freunde hier aber Augen machen, stell dir vor wir sitzen in nem tollen Jeep und fahren durch die Wildnis. Dort laufen dann echte Giraffen, Löwen und Antilopen und alle möglichen spannende Tiere rum."
„Super Ben, du hast dich mal wieder bequatschen lassen. Deine Freunde sind dann aber hier in Berlin und werden gar nichts von all dem sehen. Weder von der Safari noch von der Wildnis werden die hier etwas mitkriegen. Außerdem kann ich dir eins sagen: Spaghetti oder Fischstäbchen bekommst du dort nicht, stattdessen wirst du eklige Löwenburger und Straußenfleischlasagne vorgesetzt bekommen. Kapierst du denn nicht, dass es in Südafrika total öde für uns beide sein wird?" Clara verzweifelte an ihrem kleinen Bruder, er schien sich wirklich auf diesen Umzug zu freuen. Dabei wäre es doch viel besser, wenn die Geschwister zusammen gegen ihre Eltern Position beziehen würden.
„Straußen- und Löwenfleisch essen die da? D-das kann doch gar nicht sein. Du willst mich nur ärgern. Mama.... muss ich da Sträuße und Löwen in Südafrika essen?", ängstlich wartete er auf eine Antwort seiner Mutter.
Sie kam gerade aus dem Wohnzimmer, sah sich ihre zwei Kinder an und säuselte: „Strauße Ben, das heißt Strauße nicht Sträuße. Clara, hör auf, Ben irgendwelche Horrorgeschichten zu erzählen, nur weil du nicht nach Südafrika willst. Und du Benjamin, glaub doch nicht immer alles, was Clara dir sagt. Du wirst bei uns im Haus immer gutes, leckeres Essen bekommen. Wir werden in Südafrika genauso kochen und genauso einkaufen gehen können wie hier auch. Ich verspreche dir, wir zwei schreiben eine Liste mit lauter Gerichten, die du gerne isst und dann wirst du die auch regelmäßig zu essen bekommen, okay?! Aber jetzt seht lieber zu, dass ihr eure Sachen in die Kartons packt."
Clara gab es auf. Sie konnte diesen Umzug einfach nicht verhindern. Ihr Bruder streckte ihr seine Zunge