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FlüsterLippen
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eBook376 Seiten5 Stunden

FlüsterLippen

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Über dieses E-Book

Dies ist die Erinnerungsreise einer Frau ins vergessene Weibliche Wissen. Schamfrei und mutig zeigen die "FlüsterLippen" wie Spiritualität und Sexualität als Urkräfte des Lebens zutiefst verbunden sind. Erotik und Sinnlichkeit, Lust und Leidenschaft werden als Quelle zur Befreiung der heiligen weiblichen Macht entdeckt. Die Reise mit Annabelle entschleunigt uns in diesen bewegten Zeiten und führt zur QUELLE im eigenen Inneren. Die Reisenden werden ermutigt, hier die Wahrheit zu finden und lauschend dieser feinen Stimme zu folgen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. Juni 2015
ISBN9783739254029
FlüsterLippen
Autor

Delia Ulrike Weber

Delia Ulrike Weber, geboren in Köln (1959), Theologin & Systemische Familientherapeutin Fragende, Forschende & Lauschende Begleiterin zur weiblichen Präsenz Erfahrungen in unterschiedlichen Lebensformen Sein in Stille Präsenz im JETZT deliaweber.blogspot.de

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    Buchvorschau

    FlüsterLippen - Delia Ulrike Weber

    ANNABELLE

    Annabelle spürte es genau: er hatte Verdacht geschöpft. Sie ging schneller, und je schneller sie ging, desto mehr ermahnte sie sich: konzentriere dich! Konzentriere dich, du brauchst deine ganze Präsenz, um die Verwandlung zu bewirken. Ihr Schritt beschleunigte sich, sie hörte ihn direkt hinter sich. Es ging um Sekunden. Hoffentlich erinnerte sie sich im entscheidenden Moment an die richtigen Worte. Plötzlich spürte sie Angst aufkommen. Ihre Konzentration ließ nach, sie taumelte kurz. Doch dann sah sie die graue Felswand. Mit einem tiefen Atemzug sammelte sich Annabelle. Jetzt stand sie vor dem Augenblick der Verwandlung. Hier war der Durchgang in die andere Welt. Hier war der Punkt im Erdinneren, wo der Wechsel von der einen in die andere Welt immer möglich war – für die Wissenden. Sie wusste, dass es ihr als Frau nicht erlaubt war, diesen magischen Ort zu betreten. Ausschließlich Männern war dieser Ort vorbehalten. Doch Annabelle hatte eine Vision, der sie seit ihrer Kindheit folgte. Die Bilder, Träume und Begebenheiten in ihrem Leben hatten sie jetzt zu diesem Ort geführt. Die magischen Worte zur Öffnung des Durchgangs hatte sie allerdings nur ein einziges Mal in ihrem Inneren gehört. Erinnerte sie sich jetzt daran, jetzt, in dieser Anspannung? Annabelle stellte sich vor die Wand, schloss die Augen und konzentrierte sich auf eine Öffnung in der Form eines Ovals. Es gelang ihr, tief und entspannt zu atmen und als sie die Augen öffnete, sah sie eine erhellte Vertiefung, in der ein metallischer Gegenstand ruhte. Die Schritte ihres Verfolgers hörte sie dicht hinter sich.

    Tief atmend sank sie mit ihrer Aufmerksamkeit hinein in den Gegenstand. „Erhebe und bewege dich", hörte sie die Worte aus ihrem Mund kommen. In diesem Augenblick schmolz das Metall in der oval förmigen Öffnung und hell strahlendes Licht zog ihren Körper in die Wand hinein. Fast gleichzeitig verschloss sich die Wand wieder und bildete eine ebenmäßige Fläche. Der Mann mit dem Säbel im Gewand eines Hohepriesters stand ratlos vor der grauen Felswand.

    Gerettet, in Sicherheit, geschafft. Annabelle setzte sich auf einen bemoosten Stein am Rande des Weges. In Sicherheit? Wo war sie eigentlich? Was war geschehen? Während sich ihr Atem allmählich beruhigte, ließ sie noch einmal die Bilder der letzten Tage an sich vorbeiziehen.

    Da war diese kesselartige Vertiefung im Steinbruch, viele Männer waren dort versammelt, sie standen im Kreis, alle trugen eigenartige weiße und schwarze Gewänder. Am Rande des Steinbruchs liegend, hatte Annabelle diese Szenerie eine Weile beobachtet. Sie spürte förmlich, dass sich hier etwas zusammenbraute. Ab und zu drangen Worte zu ihr nach oben: „Macht, Herrschaft, Veränderung, Matrix, Magnetismus."

    Was hatte das alles zu bedeuten? Was hatten diese Männer vor? Und warum waren es ausschließlich Männer?

    Wo waren die Frauen?

    War es so, wie ihre Großmama es ihr erzählt hatte, als sie ein Mädchen war? War es so, dass Frauen zu „Geheimen Künsten" nur im Verborgenen Zugang fanden? Sie erinnerte sich an die Geschichte, die ihr die Großmama erzählt hatte, als Annabelle fünfzehn Jahre alt war. Ihre Großmama Anna, nach ihr und in Ehrung ihrer schon frühen Schönheit war Annabelle benannt, war eine weise Frau gewesen. Schon als Kind hatte sie, die Großmama, einen innigen Bezug zur Natur, erforschte Kräuter, Pflanzen und Pilze auf deren heilende und magische Kräfte.

    Mit zunehmendem Alter hatte sie einen großen Erfahrungsschatz gesammelt und viele Menschen kamen zu ihr, um Rat und Hilfe zu erbitten. Nach und nach versammelte Anna Frauen um sich und feierte heilige Feste mit ihnen. Sie nannten dies die Jahreskreisfeste. Durch diese Rituale verbanden sich die Frauen mit der spezifischen Energie des Jahres und stärkten sich so. Anna war eine Art Priesterin und lud die Frauen zu weiteren Erfahrungsreisen ein. Mit Musik, Kräutern, Düften, mit speziellen Gebeten und Körperhaltungen gingen sie gemeinsam auf die Reise in andere Welten. Die Frauen erhielten Botschaften, die ihnen halfen in ihrem Leben mehr und mehr der Stimme ihres Herzens und dem Rhythmus ihrer Weiblichkeit zu folgen.

    „Es war so, Annabelle, erzählte die Großmutter. „Wir alle kamen mehr und mehr in unsere urweibliche Kraft – die Kraft der Göttin. Dies blieb in unserem Dorf natürlich nicht verborgen. Gerne wollten wir unser Wissen teilen und zur Freude und zur Genesung Aller einsetzen. Wir wurden immer stärker in unserer Begeisterung, sangen auf den Straßen, lachten miteinander, trafen uns einfach zum fröhlichen, ausgelassenen Tanzen und freuten uns über die neugierig gewordenen Menschen. Dann entwickelte sich wie von selbst die Idee, ein großes Dorffest zu feiern, wo wir unsere Tänze, unsere Lieder und unsere Spiele mit allen teilen wollten. Wir hatten viel Spaß bei der Vorbereitung und freuten uns schon darauf, wie es sein würde, wenn unser ganzes Dorf voller Freude, Lachen und Glück wäre. Das Fest nahte. Wir waren sehr aufgeregt. Wie viele würden kommen? Wie würden die Menschen unsere Art des Feierns auffassen? Ab und zu beschäftigten uns diese Fragen, aber sie hinderten uns nicht, weiterzumachen und in unserer Freude und Begeisterung zu bleiben. Dann war es soweit! Alle Frauen des Zirkels – so nannten wir uns – standen im Kreis auf dem großen Marktplatz. Gekleidet in weiße, rote und schwarze Gewänder, in die Farben der Göttin, bewegten wir uns summend im Kreis. Ich ergriff gerade das Wort: „Liebe Freundinnen und Freunde! Liebe Nachb....

    „HALT! STOPP! HALT! erklang eine aggressive Männerstimme. „Frauen ist es verboten, öffentlich zu wirken. Sofort auseinander. Sofort! Ein schwarz gekleideter Mann ritt auf unseren Kreis zu und drohend bewegte er einen langen Stock in seiner Hand. Ich war schockiert, sprachlos, konnte nichts tun, als mich vor diesem tobenden Reiter in Sicherheit zu bringen. Dann, oh Schreck, sah ich, dass hinter ihm noch mehr solch schwarz gekleidete Reiter auf uns zu-kamen. Wir liefen auseinander, und jede versuchte sich in Sicherheit zu bringen. Annabelle, ich stand unter einem Schock, ich fühlte mich wie gelähmt. Dieser Zustand hielt einige Tage sehr stark an. Es war ein Gefühl, als wäre mir das Blut in den Adern gefroren, als hätte mir jemand mit einem Messer die Kehle aufgeschnitten und mich zum Schweigen gebracht. Den anderen Frauen ging es ähnlich. Wir trafen uns zwar weiterhin zum Singen, doch die frühere Freude wollte nicht recht aufkommen. Was sollte das überhaupt heißen: Frauen dürfen öffentlich nicht wirken? Durften wir unser Wissen und Können nicht zeigen? Warum nicht? Wer wollte uns das verbieten? Und was uns noch mehr verwunderte, war, dass die Leute im Dorf immer mehr Abstand zu uns nahmen. Das fröhliche Begegnen wurde immer seltener, bis ich schließlich erleben musste, dass man mich ignorierte und schließlich sogar mied.

    Die anderen Frauen des Zirkels machten ähnliche Erfahrungen. Wir hatten alle so gute Absichten und nun diese Bremse, ja dieses Verbot. Einmal wurde Martha sogar von einem unbekannten Mann bedroht. Sie solle sich vom Zirkel trennen, sonst könne er für ihre Sicherheit und die ihrer kleinen Tochter nicht garantieren.

    Was war hier los?

    Wir waren ratlos, traurig und niedergeschlagen. Angst schlich sich mehr und mehr ein und ein Gefühl unendlicher Ohnmacht ergriff Besitz von uns."

    Annabelle auf ihrem Stein sitzend, erinnerte sich noch genau daran, wie ihrer Großmama beim Erzählen die Tränen über die faltige Wange gelaufen waren.

    „Wo waren die Frauen?" fragte sich Annabelle erneut.

    Wo nur?" Annabelle spürte eine tiefe Traurigkeit in sich aufsteigen. Doch dieses Mal war es anders als früher. Sie nahm die Trauer über die unterdrückte Lebendigkeit, die ersterbende Begeisterung und den Verzicht auf die kraftvolle Verbindung im Kreise der Frauen wahr. Doch gleichzeitig mit diesen Gefühlen durchzog ein immer stärker werdendes Pulsieren ihren Körper. Annabelle war völlig irritiert. Was hatte das zu bedeuten? Es wurde immer intensiver. Plötzlich sah sie vor ihren geschlossenen Augen den metallischen Gegenstand aus dem Oval in der Felswand, durch das sie erst vor wenigen Minuten auf magische Weise hindurch geglitten war. Die Erinnerung an die Aufregungen der letzten Minuten stieg wieder in ihr empor. Doch ehe sie sich darauf näher konzentrieren konnte, verwandelte sich der Metallgegenstand vor ihrem inneren Auge - in eine Frau.

    Noch hatte Annabelle gar nicht recht verstanden, was sich hier gerade ereignet hatte, da wurde sie sanft an ihrer Schulter berührt. Annabelle öffnete die Augen und sank hinein in unendliches Blau. Sie sank so tief in diesen blauen See, dass sie gar nicht bemerkte, dass die Frau bereits mit ihr sprach.

    „... habe ich die starke Sogbewegung in meinem Körper gefühlt." beendete die Fremde gerade ihren Satz.

    „Oh, wie bitte? erwiderte Annabelle rasch, „ich habe gar nicht zugehört. Die fremde Frau lächelte Annabelle liebevoll an und sagte: „Das ist schon alles in der rechten Ordnung." Dieser Satz war Annabelle sehr vertraut, ihre Großmama hatte ihn ganz oft zu ihr gesagt. Er war zu ihrem Lebensmotto auf dem Weg zur heranwachsenden Frau geworden.

    „Alles ist so in Ordnung wie es gerade ist – und Veränderungen kann ich mich vertrauensvoll hingeben." Dies hatte sie schon sehr oft bei ihren Lebensentscheidungen und ungewöhnlichen Wegen gestärkt. Und hier nun auch: Alles ist in der rechten Ordnung.

    „Ja, deine Großmutter war eine sehr weise und mutige Frau." Annabelle schluckte. Hatte die Fremde nun auch ihre Gedanken gelesen?

    „Nun ja, so ist es eben hier, in der AndersWelt", sagte die Frau mit den blauen Augen. „Weißt du, Annabelle, das ist ein völlig natürlicher Zustand. Die Energiefrequenz ist hier so hoch und fein schwingend, dass die Gedankenenergie ganz leicht zu lesen - oder besser gesagt - zu sehen ist. Das ist so natürlich wie zum Beispiel das Atmen in der Welt, aus der du gerade kommst. Und deshalb nimmt hier niemand wirklich Notiz von diesem Phänomen. Du wirst es selbst noch als einen natürlichen Zustand erleben.

    „Ich, zögerte Annabelle, „ich weiß gar nicht wirklich, wo ich bin. Ich bin einfach ...

    „Ja, ja, sagte die Fremde mit ihrer warmen Stimme „Du bist deiner inneren Stimme gefolgt. So wie wir alle hier.

    „Alle? Wer ist denn noch hier? Wo bin ich? Was soll ich hier? Was machst du hier? Ich bin völlig verwirrt und sehr erschöpft." Annabelle stieß ihre Fragen atemlos heraus. Sie spürte jetzt auch neben der Verwirrung ihre Erschöpfung, ihre Ratlosigkeit und sogar einen Anflug von Angst vor dieser unbekannten Situation. Das war ihr schon ewig nicht mehr passiert. Plötzlich fühlte sie sich wie manches Mal als kleines Mädchen: einsam und verlassen. Doch die freundliche Geste der Frau mitzukommen, holte sie sehr schnell wieder zurück aus ihren Erinnerungen. Annabelle erhob sich von dem bemoosten Stein und folgte der Frau im roten Gewand, das mit weißen und schwarzen schlangen- ähnlichen Linien durchwoben war.

    Töne – Klänge - fließende Schwingung - hin und her - von links nach rechts wechselnd die Töne - angenehm - beruhigend fließen die Töne in mich, umschmeicheln meine Ohren, bilden einen Klangteppich. Hier können sich andere Töne spielend bewegen. Sicherheit, Beständigkeit und Erdung als Untergrund, Hintergrund. Ein beständiges Fließen. Hier ist experimentieren möglich. Ah, ich wusste doch, dass ich die Musik kenne. Jetzt der schöne Rhythmus.

    Gleichbleibendes tam – tam, tam – tam, tam – tam: Vielfalt in Gleichmäßigkeit, Bewegung wird spürbar in meinem linken Fuß. Trance, vertiefen. Der Wunsch, die Augen zu schließen und mich im Rhythmus bewegen. Hell und dunkel, alles gleichzeitig: lang gezogene Töne, pointierter Takt.

    Was hat das mit Sinn zu tun? Was hat das mit Sinnlichkeit gemein? Und noch dazu mit Sinn und Sinnlichkeit?

    Ja, so ist es: alles hat Sinn, Sinn in Vielfältigkeit.

    Und was ist nun mit Sinnlichkeit? Spüren, empfinden, meinen Körper öffnen für die vielfältigen sinnlichen Genüsse der Musik. Töne schwingen in mein Herz, Rhythmus schwingt in meinem Bauch. Herz öffnet und weitet sich. Bauch wird lebendig, kribbelt. Herz und Bauch schwingen, schwingen und bringen sich in ihre ureigene Energie. Was verbindet sie? Was verbindet sie?

    Die Töne kommen intensiv, intensiver, schneller, direkter, hämmern nahezu auf mich ein. Ich will mich zurückziehen, es wird mir zu viel! Was? Was? Was wird mir zu viel? Ich weiß es nicht! Wie kann ich diese Intensität ausdrücken? Wie nur? Schreien! Schreiend schreiben! Bewegen und bewegtes Schreiben! Schreibend etwas bewegen...

    Allmählich wird die Musik ruhiger. Es wird ruhig, ruhiger in mir, still.

    Stille.

    „Was ist mit mir geschehen? fragte sich Annabelle, als sie sich innerlich aufgewühlt in einem Kuppelbau aus Glas wieder fand. „Wo ist die Frau mit den blauen Augen? Ich bin ihr doch vom Stein aus gefolgt. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich hierher gekommen bin. Ich weiß noch, dass ich Klängen und einem betörenden Duft gefolgt bin, dabei muss ich die Frau wohl verloren haben. Mein Körper vibriert schon wieder so intensiv, dass ich gar nicht weiß, wohin mit dieser Energie. Etwas will aus mir heraus. Sich Ausdruck verschaffen. Ich muss mit jemandem reden. Ich muss irgendetwas tun. Kein Mensch, niemand ist hier, ich bin ganz unruhig. Was will hier aus mir heraus?

    Die Aufregung ebbte ab und Annabelle nahm die feineren Schichten ihres Erlebens wahr.

    „Irgendwie fühlt es sich vertraut an. So, als ob ich diesen Zustand gut kenne. Energie, Freude will nach außen, und ich weiß nicht wie! Mein Gott, wieso ist hier denn keiner? Bin ich etwa gefangen? Hat man mich nur hierher gelockt, um mich zu beobachten? Oh, ich bin voller Misstrauen, ein dumpfes Gefühl macht sich in meinem Magen breit. Wie eine zarte Decke legt sich die vertraute Betäubung um mich: macht mich ruhig, immer ruhiger, gefühllos, starr, tot.

    Langsam beruhigt sich die Energie: die tote Stille, dieses Stillhalten kenne ich gut. Hier ist sicherer Boden, hier kenne ich mich gut aus, auf dem Parkett meines Misstrauens. Meine Unsicherheit und die aufkommenden diffusen Ängste, die die vibrierende, vitale Lebensenergie sofort ruhig stellen."

    „Das ist dir gut bekannt, nicht wahr, Annabelle?" hörte sie die weiche Frauenstimme hinter sich.

    „Wo warst du?" erschrak sich Annabelle, eingetaucht in Verunsicherung und Angst.

    „Ich wollte dich alleine den Genüssen der Töne überlassen. So kann deren volle Energie deine Zellen am einfachsten aufladen und in Schwingung bringen. Übrigens, ich heiße Ihlore", antwortete die Frau und kam in einem mit goldenen Fäden durchwirkten Kleid auf Annabelle zu.

    „Ihlore, ich hatte Angst, dass ich hier verloren und allein gelassen worden bin, und es ist mir nicht mehr gelungen, mich gegen diese immer stärker werdenden Gedankenkräfte zu wehren. „Und dieser Seinszustand hat dich an früher erinnert, fuhr Ihlore fort.

    „Stimmt. Aber ganz genau erinnere ich es nicht mehr. Es fühlte sich wie ein schleichendes Gift an, das mehr und mehr in meine Zellen eindringt."

    „Annabelle, du hast gerade noch einmal Kontakt zur uralten Wunde des Weiblichen bekommen. Es ist die Wunde der unterdrückten weiblichen Macht. Der Macht über Leben und Tod. Leben und Tod, Tod und Leben sind eins und wir Frauen haben einen natürlichen und unmittelbaren Zugang zu diesen Kräften, die alles bewegen. Wir sind mehrmals in der Geschichte daran gehindert worden, diese Macht zum Wohle aller Wesen einzusetzen. Macht wurde oft missbraucht. Frauen waren durch ihr Blut immer ein wenig „unfassbar und fremd. Leider konnten nur wenige Männer diese Macht der Frauen wirklich ehren. Viele werteten sie ab und hatten insgeheim Angst vor dem Fremden im Weib. Das Weibliche schien sich zu einfach mit der Natur und deren Rhythmen zu verbinden und so wurde mehr und mehr dafür gesorgt, dass Frauen ihre Macht nur noch im Geheimen – und vor allen Dingen – STILL lebten. Doch so wie du es eben in der Schwingung der Musik erlebt hast, Annabelle: Energie will sich bewegen, sich verströmen, sich mit anderen verbinden, sich anderen mitteilen.

    „Oh, ja, Ihlore! Das habe ich ganz intensiv erlebt. Es macht mich glücklich und traurig zugleich, was du über die Macht der Weiblichkeit sagst. Und ich erinnere mich wieder an meine Großmutter Anna, die mir ganz oft von den Festen, Ritualen und Zusammenkünften im Kreise der Frauen erzählt hat. Sie hat ganz leibhaftig erlebt, wie sie von der offenen Begeisterung immer mehr in den Rückzug, in die eigene Zurücknahme und das „auf-der-Hut-sein gedrängt wurde. Viele Frauen haben die Macht über sich und ihr Leben und erst recht die Macht über Leben und Tod abgegeben und tief in sich vergraben.

    Annabelles Augen wurden feucht und Ihlore blickte sehr ernst bei der Erinnerung an diese Entwicklung.

    „Komm, Annabelle, ich zeige Dir etwas, das Du jetzt gut durchschauen kannst."

    Ihlore nahm Annabelles Hand, und die beiden Frauen verließen die Glaskuppel durch eine Öffnung, die in den Bauch der Erde führte. Es war dunkel, kühl und es roch nach Pilzen und Kräutern. Annabelle war dieser Geruch aus dem Kellergewölbe ihrer Großmama vertraut und sie fühlte sich sofort wohl. Schweigend gingen sie den langen Gang entlang, der nur von einigen Kerzen links und rechts erhellt wurde. Erst jetzt bemerkte Annabelle, dass sich das Gewand von Ihlore verändert hatte. Erdige Grün- und Brauntöne zeigten sich auf dem groben Stoff. Das Gewand hatte sich dem Ort unter der Erde angepasst. Und dann entdeckt sie es auch bei sich selbst. Sie trug ein Gewand, das dem von Ihlore sehr ähnlich war. Viel zu sehr mit den neuen Eindrücken beschäftigt, nahm sich Annabelle vor, Ihlore später nach dieser eigenartigen Verwandlung der Gewänder zu befragen.

    „Ich kann dir deine Frage auch sofort beantworten, wenn du es wünscht, Annabelle, antwortete Ihlore ungefragt. „Doch ich bin mir ganz sicher, dass sich dir die Antwort zum geheimnisvollen Wandel der Gewänder ganz natürlich erschließt. Annabelle war wieder einmal höchst erstaunt über die feine Kommunikation in dieser Welt. Erneut hatte Ihlore ihre Gedanken wahrgenommen, auch wenn sie vor ihr her ging und es keinen Blickkontakt gab. Doch noch erstaunter stellte die junge Frau nun fest, dass Ihlore kein einziges Wort gesprochen hatte, einzig ihre tastenden Schritte waren im Bauch der Höhle zu hören. Wie war das möglich? Wie hatte sie die Stimme der vorausgehenden Frau so deutlich vernehmen können? Halluzinierte sie? War sie nicht mehr Frau ihrer Sinne? Die Fragen verwirrten Annabelle noch mehr, rückten die Antworten in weitere Ferne als zuvor. „Die feine Energieschwingung hat sich auch bereits in dir ausgesät, Annabelle", hörte sie Ihlores Stimmer erneute. Nun blieb sie abrupt stehen. Sie wollte ganz sicher sein. Bildete sie sich ein, dass Ihlore mit ihr sprach?

    „Was hast du gesagt, Ihlore? frage Annabelle nun laut. „Ich habe nicht gesprochen, antwortete Ihlore und blieb ebenfalls stehen. Sie drehte sich um und ging einen Schritt auf Annabelle zu. „Jedoch haben wir in den letzten Minuten einen intensiven Austausch. Ich spürte sogar deine Verwirrung und Irritation in meinen zittrigen Händen."

    Annabelle entspannte sich etwas. Wenn sie auch noch nicht sicher war, was das alles zu bedeuten hatte, wagte sie eine Frage: „Meinst du, ich kann auch deine Gedankenenergie lesen? „Aber natürlich, antwortete Ihlore. „Ich dachte nicht, dass dich das so verwirren würde. Wie ich dir schon sagte, dies ist hier ganz natürlich. Du musst gar nichts dazu tun, um in diesen Seins Zustand zu gelangen. Mit jeder Minute hier in der AndersWelt tauchst du leichter hinein ins Feld der Verbundenheit. Ich hätte dir wohl doch zuvor ein paar Hinweise dazu geben sollen. So hast du nun diese zunehmende Wandlung direkt erfahren."

    „Danke für deine Worte. Ich fühle mich nun schon viel wacher und klarer. Ich lasse mir einfach Zeit, mich an diesen neuen Zustand zu gewöhnen. Lass uns nun den Weg weiter gehen." Die beiden Frauen umarmten sich herzlich und Ihlore drehte sich wieder um, ging voraus, ihrem Ziel entgegen.

    Plötzlich blieb Ihlore unvermittelt stehen. Fast wäre Annabelle gegen sie gelaufen, doch im letzten Moment konnte sie sich fangen.

    „Wir sind da, erklärte Ihlore. „Mach es dir bequem hier und dann öffne dich dem, was du hier sehen und erleben wirst. Annabelle, ich gehe nun und überlasse dich dem Geschehen. Du wirst einem wesentlichen Geheimnis des weiblichen Wissens begegnen. Es wird Gefühle, Erinnerungen, Gedanken und anderes bei dir auslösen. Lass es geschehen! Halte nichts fest! Alles darf sein! Das weißt du ja inzwischen. Doch achte darauf: du bist Beobachterin dieser Situation und das Wissen wird dir dann geschenkt, wenn du ganz bei dir bleibst. Sei präsent, klar und in Verbindung mit der Quelle in dir. Dann kannst du gut hindurchgehen.

    Ohne auf eine Antwort von Annabelle zu warten, drehte sich Ihlore um und ging ihres Weges. Was sie wohl damit meinte: „Dann kannst du gut hindurchgehen? Nun ja, dass würde sich zeigen. Auf jeden Fall fühlte sich Annabelle hier recht wohl, und Ihlore hatte sich nicht plötzlich in Luft aufgelöst wie zuvor auf dem Weg zum Glaskuppelbau. In leichter Anspannung richtete sich Annabelle in diesem Erdgewölbe ein, neugierig, was ihr hier begegnen würde. Ihlore hatte ja gemeint, dass sie jetzt dazu bereit sei. „Ob ich?...

    Plötzlich!

    Totale Dunkelheit, absolute Stille. Dann dunkle Töne, zähe Klänge, modrig, ekliger Geruch. Immer mehr verwandelte sich der eben noch angenehme Platz in einen Ort voller Unbehagen, Enge und Ohnmacht. Annabelle spürte wie Kälte und Übelkeit sie in Besitz nahmen. Sie schloss die Augen, legte die Hände auf ihren Bauch und konzentrierte sich auf die Bewegungen ihres Atems im Körper. So konnte sie den Zugang zu ihrer Lebendigkeit in jeder Situation herstellen. Sie spürte ihren Atemstrom durch Nase und Brust in den Bauch einströmen und mit jedem Atemzug fühlte sie sich sicherer in ihrer Mitte ankommen. Es gelang ihr, ihre unangenehmen Gefühle, Sinneseindrücke und Gedanken mehr und mehr loszulassen. Annabelle spürte nun sogar, wie es ein wenig heller in ihr wurde und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Die Göttin in mir, die Göttin ist in mir und ich bin ein Ausdruck der Göttin.

    Sie hielt die Hände weiter auf ihrem Bauch und öffnete wieder die Augen. Das Äußere hatte sich nicht positiv verändert – im Gegenteil. Der Boden unter ihr war jetzt glitschig und es hingen wabernde Nebelschwaden in der Luft.

    Doch Annabelle hatte etwas verändert! Sie hatte sich mit der göttlichen Quelle verbunden und dadurch fühlte sie sich jetzt als Beobachterin der Situation, wie in einem Theaterstück. Genau diesen Rat hatte ihr Ihlore doch zum Abschied gegeben. Sei Beobachterin! Also das hatte sie damit gemeint! Innerlich der älteren Frau noch einmal dankend, wandte Annabelle sich der veränderten Szenerie zu.

    Durch die Nebelschwaden hindurch waren die Umrisse einer höhlenähnlichen Felsvertiefung in der Finsternis zu erkennen. Zwei apfelgroße Lichtpunkte bewegten sich träge hin und her. Was war das? Schmatzende und grunzende Laute waren zu hören und man hätte meinen können, Hunderte von Menschen stampften durch sumpfigen Morast. Es stank ekelhaft nach Verfaultem und nach Verwesung.

    „Oh, riecht das gut. Wie wohltuend dieser Duft nach Totem, Abgestorbenem und Vergessenem. Ich habe so unendlich viel Nahrung gesaugt aus dem Vergessen des Lebendigen.

    Großartig! So gut genährt wie in den letzten Jahrhunderten war ich schon lange nicht mehr. Als saugende Kröte gefällt es mir gut, dass so viele Frauen ihr Leben als Opfer führen. Sie opfern mir ihre Lebendigkeit. Ich sauge ihnen ihr Wissen aus den Zellen – ganz besonders ihr Wissen um die Macht über Leben und Tod. Ich sauge so lange, bis sie selbst glauben, ein Opferdasein führen zu müssen, weil es schon immer so war. Das habe ich über die Jahrhunderte richtig gut gemacht. Ich bin dick, fett, gefräßig, bewegungslos und unendlich hässlich geworden.

    Mich nähren besonders gut die schlechten Gefühle, die Frauen so oft und gerne über sich selbst haben. Sie fühlen sich nie gut genug und das trifft auf alle Lebensbereiche zu: keine gute Mutter, keine Idealfigur, keine aufregende Geliebte, keine perfekte Ehefrau, um nur ein paar der Stachel zu nennen, die den Frauenleib martern.

    Ich weiß genau, womit das zusammenhängt. Doch werde ich dies niemals öffentlich äußern, denn damit würde meine Nahrungsquelle versiegen. Nur hier im geschützten Reich meines Morastes kann ich mich lauthals daran ergötzen. Ja, wenn die Frauen wüssten, dass sie sich einfach nur mit der natürlichen Quelle verbinden müssen, der unendlichen Nahrungsquelle, dann würde ich, die hockende Kröte, elendig verhungern. Und wenn sie weiter wüssten, dass der einfachste Weg dorthin die Ehrung und der Gebrauch ihres Blutes ist und schließlich das Schwingen mit dem Mondrhythmus - ja das wäre unausweichlich tödlich für mich. Für mich, die ich der manifestierte Unterdrückungsschlamm bin, der sich im Körper jeder Frau niedergelassen hat, sie quält, behindert, sabotiert und klein hält.

    Zum Glück wissen nur sehr wenige Frauen um dieses Geheimnis der Weiblichkeit und den unermesslichen Reichtum, der daraus geschöpft werden kann. Zum Glück für mich! Es hat ja auch viel Ausdauer und Beharrlichkeit gekostet, mich immerzu auf die aufkeimende Frauenkraft zu hocken. Immer wieder musste ich Zweifel am Selbstwert säen. Die Sorge, nicht zu genügen musste ich hüten und bewachen mit meinen Glubschaugen. Denn immer häufiger haben sich Frauen in den letzten Jahrzehnten zusammengefunden und angefangen von ihren Fähigkeiten und Talenten zu erzählen. Das hat mir überhaupt nicht gefallen und ich hatte viel Arbeit damit, gerade diese bewegten Frauen zu dämpfen. Ich habe sie gut beobachtet und dann eine ideale Schwachstelle gefunden. Perfektionismus! Hier sind vor allem die Frauen zu lähmen und zu blockieren, die es tatsächlich gewagt haben, ihren Selbstwert zu erforschen und zu stabilisieren. Die Frage „Bin ich denn wirklich schon gut genug, dass ich mich zeigen kann, mit meinem ganzen Wissen?" wirkt hier zu meinem Glück wie ein Betäubungsmittel. Ich kann mich am köstlichen Nektar ihres zermürbenden Selbstzweifels laben. Das geht immer noch ganz gut.

    Obwohl – oh, oh. Da gibt es jetzt schon einige Frauen – sie nennen sich „die Frauen der Neuen Zeit – die so stark mit der Quelle verbunden sind, dass sie mich nicht mehr saugen lassen. Ich habe hier keine Chance mehr. Aber ich verzage nicht, ich bin so gut genährt und kenne noch so viele Tricks, wie ich meine Vampirgelüste ausleben kann, dass mich die „Neue-Zeit-Frauen unberührt lassen. Nun ja, nicht so ganz, muss ich mir eingestehen. Irgendwie ist es auch reizvoll so aus der Ferne anzusehen, wie die sich denn nähren – im Kontakt mit ihrer Mitte, aus der viel beschworenen göttlichen Quelle."

    Stille.

    Annabelle war hier einem Symbol für das Unerlöste, das Gebunden-Sein begegnet: der Erdkröte, die ein Leben ohne Liebe führen muss, damit sie sich unsichtbar unter den Menschen bewegen und sich die Nicht-Wissenden zum Opfer ihrer Machtphantasien wählen kann. Doch der Preis dafür ist hoch: ein Leben ohne Liebe, im Dunkeln. Und die erlöste Energie der Kröte? Ahnte Annabelle, dass es eine freie, verwandelte Kraft gab; der Geist der Kröte, der Nahrung gab statt sie von Frauen abzusaugen?

    „Ob ich ..., ob ich das alles träume?" fragte sich Annabelle zögerlich.

    Alles erschien ihr so unwirklich, fern ab von allem bisherigen Leben. Doch der eklige Gestank, das grunzende Schmatzen und Rülpsen dieses hässlichen Wesens und der schlammige Boden unter ihren Füßen holten ihre Sinne und damit ihre ganze Aufmerksamkeit in diesen Moment zurück. Das war also kein Traum! Sie hatte den erschütternden und demütigenden Monolog der Erdkröte tatsächlich mit ihren eigenen Ohren gehört und war sich der erschreckenden Wahrheit des Gehörten vollkommen bewusst. Trotz ihres Entsetzens fühlte sich Annabelle sehr zentriert und schaute auf ihre Hände, die immer noch auf ihrem Bauch ruhten und das stetige Auf und Ab des Atems empfingen. So war sie also hindurchgegangen. Die ganze Zeit über hatte Annabelle die Verbindung zu ihrem Lebensrhythmus gehalten, die Verbindung zu ihrem Atem, dem Puls des Lebens. Das hatte sie gestärkt und an die Verbindung mit der umfassenden Quelle erinnert, der Quelle der Schöpfung allen Seins. Daran hatte Ihlore sie ja erinnern wollen: klar, präsent und in Verbindung mit der Quelle zu sein. Dieser Zustand hatte es ihr auch ermöglicht, die krassen Eindrücke ihrer Sinne sozusagen durch sich hindurchfließen zu lassen und ganz in sich zu ruhen, während sie dem Moloch zugehört hatte.

    Diese Erfahrung war neu für Annabelle. Oft hatte sie sich beeindrucken lassen von äußeren Einflüssen gedanklicher und auch sinnlicher Natur, ebenso wie von Verhaltens- und Reaktionsmustern in ihrer unmittelbaren Umwelt. So, als würde sie ausgetretenen Fußspuren folgen, hatte sie häufig automatisch reagiert. Immer war sie auf der Flucht vor sich selbst, auf der Flucht vor der Inanspruchnahme der eigenen weiblichen Macht. Entweder folgte sie dem starken Drang zu helfen und für die andere Person da zu sein oder aus Angst vor zu viel Nähe legte sie einen Mantel der Unnahbarkeit

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