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Zeitweise verreist: - Ein Zeitreiseroman -
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Zeitweise verreist: - Ein Zeitreiseroman -
eBook614 Seiten8 Stunden

Zeitweise verreist: - Ein Zeitreiseroman -

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Über dieses E-Book

ZEITWEISE VERREIST - Ein Zeitreiseroman -

Schnell mal die Menschheit vor dem baldigen Untergang zu bewahren, hatte Decker bestimmt nicht im Sinn, als er sich im beschaulichen Klosterburg vor der Polizei versteckt. Aber dann nötigt ihn dieser nervige Petersen zu einer Zeitreise in die Vergangenheit, um den verschollenen Professor Meinhard aufzuspüren, der für dieses Dilemma verantwortlich sein soll. Zunächst ohne Erfolg, erhält er bei weiteren Zeitreisen in verschiedene Epochen aber unerwartet Hilfe von der impulsiven Studentin Mila. Während sich in ihrem Umfeld die Gegenwart zunehmend verändert, müssen sie erkennen, dass sie womöglich einer falschen Spur gefolgt sind und eine apokalyptische Version der Zukunft beunruhigend näher rückt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum8. Mai 2015
ISBN9783734788925
Zeitweise verreist: - Ein Zeitreiseroman -
Autor

Uwe Schädlich

Autor: Uwe Schädlich Autorenkontakt: zeitweiseverreist@web.de

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    Buchvorschau

    Zeitweise verreist - Uwe Schädlich

    war.

    Kapitel 1

    Die giftigsten Zeitlosen sind bei Hofe.

    (Sprichwort)

    Falls Decker jemals vorgehabt hätte, künftig seinen Lebensunterhalt auf ehrliche Weise zu verdienen, hätte ihn das lärmerfüllte Großraumbüro vermutlich schnell wieder davon abgebracht. Die abgestandene Luft war von diversen Gerüchen durchdrungen, nach Kaffee und Reinigungsmitteln ebenso wie nach Schweiß und verstaubten Akten. Zwischen klingelnden Telefonen und ratternden Druckern saßen Polizisten in Zivil und Uniform an überladenen Schreibtischen, starrten auf ihre Computerbildschirme oder befragten die verschiedensten Personen: gepflegte oder heruntergekommene Männer und Frauen, manche schluchzten, wirkten hektisch, genervt oder betont gelangweilt. Polizisten, Opfer und Täter eng zusammen auf wenigen Quadratmetern, meist nur getrennt von niedrigen Schränken. Nicht unbedingt die Art von Arbeitsatmosphäre, die man sich vorstellt, wenn man sich einen neuen Job suchen muss. Oder überhaupt einen Job, so wie Decker. Er wich zur Seite, um die Berührung mit einem schwankenden Individuum zu vermeiden, das an ihm vorbeistolperte.

    „Herr Decker! bellte es laut hinter ihm. Unwillkürlich zuckte er leicht zusammen. „Sie haben noch was vergessen. Die stämmige Polizistin, nach deren gelegentlichen Anweisungen er sich in der letzten Viertelstunde durch einen Packen Formulare gearbeitet hatte, drückte ihm einige weitere Blätter in die Hand. „Die erste Seite müssen Sie selbst ausfüllen, den Rest können Sie Ihrem Bewährungshelfer überlassen. Da steht die Adresse."

    Die Lautstärke, mit der sie sprach, hätte gut zu einem Feldwebel auf dem Kasernenhof gepasst. Aus den Augenwinkeln nahm Decker wahr, wie sich bei den letzten Worten mehrere Köpfe neugierig in seine Richtung drehten.

    „Eine Privatanschrift?", fragte er verwundert.

    Die Polizistin zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Jedenfalls sollen Sie um 14.00 Uhr dort sein. Kommen Sie besser nicht zu spät, das macht einen schlechten Eindruck", ermahnte Sie ihn.

    Er bedankte sich und hatte gerade den Ausgang des Büros erreicht, als die Tür derart schwungvoll aufflog, dass sie krachend gegen die Wand prallte. Ein durchtrainierter Typ mit weit nach hinten gebogener Sonnenbrille und eng anliegendem, neonfarbenen Radfahrertrikot drängte herein. Mit einer Hand schob er sein Rennrad lässig am Sattel neben sich her und stieß dabei mit seiner dicken Umhängetasche Decker so unsanft in die Rippen, dass ihm seine Papiere aus der Hand rutschten.

    Statt einer Entschuldigung grunzte der Mann nur: „Nicht im Weg stehen Opa, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!"

    Da schaltete sich aber schon die Polizistin mit der Feldwebelstimme ein und nach einem kurzen Disput schob der Kerl im Sportdress sein Rad wieder nach draußen, direkt über das letzte der heruntergefallenen Formulare, nach dem Decker gerade greifen wollte. Er hob es auf und wandte sich endgültig zum Gehen. Prompt bekam er von dem jetzt ohne Rad zurückkommenden Fahrradboten noch einmal dessen schwere Tasche ab und als Zugabe noch einen flockigen Spruch: „Bist ja immer noch hier, Opa!"

    Decker hatte bei seinen zahlreichen Gefängnisaufenthalten gelernt, bei Provokationen ruhig zu bleiben. So schloss er nur still die Tür von außen und sah sich stattdessen im Halbdunkel des Treppenhauses um. Das Rennrad stand gleich rechts von ihm und war mit einer dicken, plastikummantelten Kette an das Geländer angeschlossen. Im Handumdrehen hatte Decker das Schloss geöffnet und das unscheinbare kleine Werkzeug, welches er dazu verwendet hatte, wieder in seine Tasche gleiten lassen.

    „Entschuldige Jungchen, Opa ist nicht mehr so gut zu Fuß", knurrte er halblaut in den leeren Flur hinein. Sekunden später war von ihm und dem Rad nichts mehr zu sehen.

    Die Tür, an die Decker am Nachmittag desselben Tages klopfte, weil die Klingel nicht funktionierte, wirkte genauso protzig wie das große, villenartige Gebäude, in das ihn sein Bewährungshelfer bestellt hatte. Ein Termin in einer Privatwohnung war unüblich und passierte Decker zum ersten Mal.

    Die Gegend hier, eines der großstädtischen Viertel, in dem normalerweise nur Leute wohnten, die genügend Geld übrig hatten und dies auch zeigen wollten, war ihm durchaus bekannt. Allein schon beim Anblick der zahlreichen, teuren Wagen in den Einfahrten musste sich nicht nur einem Profi-Einbrecher der Gedanke aufdrängen, dass man aus diesen Häusern allerhand heraustragen könnte und genau das hatte Decker vor einigen Jahren auch in die Tat umgesetzt.

    Dass sein Bewährungshelfer sich hier ein Haus leisten konnte, war jedenfalls ungewöhnlich. Noch weniger ins Bild passte der vernachlässigte Zustand des ganzen Anwesens. Unkraut wucherte auf einem Beet zwischen Plastikmüll, Schlingpflanzen wanden sich über den Weg und aus zwei riesigen Tonkübeln hingen vertrocknete Pflanzenreste heraus.

    Decker fuhr sich ungeduldig mit den Fingern durch die stoppligen, hier und da grau schimmernden Haare, aber endlich wurde die Tür geöffnet und eine kleine, unrasierte Gestalt im Jogginganzug blinzelte seinen Besucher aus zusammengekniffenen Augen an.

    „Los reinkommen", sagte der Mann mit unangenehm hoher Fistelstimme, ohne Decker nach seinen Namen gefragt zu haben. Die Einrichtung im Innern passte gut zu ihrem Bewohner; sie wirkte schmuddelig und ungepflegt, obwohl sie vermutlich einmal nicht wenig Geld gekostet hatte. In der halbdunklen Küche roch es muffig und unter Deckers Schuhen knirschte auf dem Parkett der Schmutz. Er setzte sich nur widerwillig auf den am wenigsten fleckig aussehenden Stuhl, da er für seinen einzigen ordentlichen Anzug das Schlimmste befürchtete.

    Sein Bewährungshelfer hatte sich mittlerweile auf der andern Tischseite niedergelassen. Mit zittrigen Fingern legte er zwischen das schmutzige Geschirr einen überraschend sauberen, dünnen Aktenordner. Dann starrte er aus blutunterlaufenen, unruhig hin und her huschenden Augen wortlos auf Decker. Dem war längst klar geworden, dass er es mit einem Drogensüchtigem zu tun hatte.

    Volltreffer, dachte er, ein Junkie hat mir gerade noch gefehlt. Er räusperte sich und brummte lustlos: „Hab mich heute Morgen schon bei der Aufsichtsstelle gemeldet, danach beim Arbeitsamt. Wenn Sie ..."

    Weiter kam er nicht, da ihn sein Gegenüber barsch unterbrach: „Spar dir den Mist! Glaubst wohl, ich wüsste nicht, was du für einer bist? Vielfachstraftäter, Führungsaufsicht angeordnet! Du bist sowieso bald wieder im Knast."

    Die Stimme des Mannes war bei den letzten Worten noch etwas schriller geworden. Gleichzeitig hatte er den Ordner aufgeschlagen und Decker bemerkte, dass es sich definitiv nicht um Unterlagen der Polizei oder des Strafvollzugs handelte. Gleich oben an das erste Blatt geheftet, erkannte er ein größeres Bild von sich selbst, an dessen Aufnahme er sich jedoch nicht erinnern konnte.

    „Also ich wollte wirklich ...", versuchte es Decker halbherzig.

    Der kleine Giftzwerg ließ ihn jedoch nicht ausreden sondern keifte: „Quatsch! Glaubst du, ich fall auf diese reumütige Besserungstour rein? Ich kenn deine Sorte, du gehst sowieso gleich wieder klauen. Bevor sie dich wieder ins Loch stecken, wo du hingehörst, wirst du allerdings noch eine Kleinigkeit für mich erledigen: dein Spezialgebiet, ein simpler Bruch, kommende Nacht."

    Decker lehnte sich verblüfft zurück, das hatte er nun wirklich nicht erwartet. Bisher hatte er allerdings meist allein gearbeitet und dabei sollte es möglichst auch bleiben. Außerdem würde ein Drogensüchtiger ganz bestimmt keinen verlässlichen Partner abgeben. Mit erzwungener Ruhe entgegnete er: „Such dir dafür einen anderen. Ich saß schon zu lange im Bau und habe nicht vor, ausgerechnet für dich dahin zurück zu gehen." Er beugte sich dabei leicht über den Tisch und bemühte sich um einen drohenden Klang.

    Der andere lachte schrill und sein Speichel spritzte dabei über den Tisch. „Na eben, du Trottel, hast du gedacht, die guten Jobs warten hier draußen auf dich? Kein Beruf, viel zu alt und gerade aus dem Knast entlassen. Sei froh, dass du bei mir was verdienen kannst."

    Das stimmte nicht so ganz. Decker hatte einen Beruf und war als Schlosser sogar besonders geschickt. Nur hatte er sein Talent zu wenig für Tätigkeiten eingesetzt, die Recht und Gesetz entsprachen, sondern eher für solche, die ihm Spaß machten. Schlösser zu knacken und fremde Türen zu öffnen, bescherte ihm schon in seiner Jugend einen enormen Nervenkitzel, die winkende Beute natürlich nicht zu vergessen. Inzwischen hatte dieser Reiz zwar nachgelassen, weil ihn die immer stärker zunehmenden elektronischen Sicherungen nicht interessierten und er deswegen auch nur oberflächliche Kenntnisse davon hatte. Zu alt für eine ehrliche Arbeit fühlte er sich schon gar nicht, wenngleich er sie in den vergangenen Jahrzehnten in der Regel nur angenommen hatte, um den nächsten Coup vorzubereiten. Für sein Alter war er durchaus in Form, im Vergleich zu dem verlotterten Wrack auf der anderen Tischseite hätte er geradezu als Leistungssportler durchgehen können. Besonders rosig waren seine Aussichten natürlich tatsächlich nicht. Er hoffte allerdings auf die Unterstützung seines Kumpels Freddy, der ihm noch einen größeren Gefallen schuldete. Davon abgesehen hatte er ohnehin nicht vor, sich auf einen normalen Broterwerb zu beschränken.

    „Auf keinen Fall. Kommt nicht in Frage", sagte er dumpf und hoffte, dass es sich möglichst endgültig anhörte.

    Der kleine Mann kicherte gehässig und erwiderte: „Doch, doch, du wirst deine Meinung gleich ändern. Das ist nämlich deine einzige Chance, sonst sitzt du spätestens morgen wieder ein." Dabei schob er grinsend das Foto aus dem Ordner über den Tisch.

    Decker griff nach der Aufnahme, er fühlte eine vage Erinnerung in sich aufsteigen. Schon landeten weitere Bilder vor ihm. Darauf erkannte er sein eigenes Gesicht, dann auch das seines alten Freundes Freddy. Die Bilder zeigten sie in einem hellen Raum mit einem riesigen Firmenlogo an der Wand. Dasselbe halbrunde Logo wie auf dem Deckel des Schnellhefters vor ihm.

    „Der Bruch bei DeuBiCon!", schoss es ihm durch den Kopf. Das Ganze war eine Schnapsidee gewesen - sogar wortwörtlich. Sein Kumpel Freddy, eigentlich eine furchtbar ehrliche Haut und engagierter Reporter mit besten Karriereaussichten, hatte ihm zu vorgerückter Stunde während eines ausführlichen Kneipenbummels erzählt, dass er Informationen über unsaubere Aktiengeschäfte aufgeschnappt habe. Demnach würden die Kurse von DeuBiCon in die Höhe getrieben, indem man absichtlich Details über eine angeblich dort entwickelte und natürlich noch streng geheim gehaltene Technologie durchsickern lässt. Nachdem sich dieser neue wissenschaftliche Durchbruch dann als Schwindel herausgestellt hätte, würden die Kleinanleger ihr mühsam erspartes Geld verloren haben und dafür einige Spekulanten horrende Gewinne einstreichen.

    Die Details dieser Geschichte hatte Decker nie ganz verstanden. Er witterte jedoch sofort seine Chance, von diesen Machenschaften zu profitieren. Freddy, eigentlich nur interessiert an einer Sensationsstory, vermutete damals zumindest schon, dass der mehrfach vorbestrafte Decker seine Schlosserkenntnisse auch weiterhin nicht ausschließlich legal nutzte und ließ sich überraschend schnell zu einem Raubzug nach verräterischen Unterlagen überreden.

    Schon eine Stunde später standen sie vor der DeuBiCon-Firmenzentrale, erfüllt von Tatendrang und reichlich Alkohol. Die einfachen Schlösser eines Nebeneingangs waren im Handumdrehen überwunden und fast genauso schnell wurde ihnen bewusst, dass ihre Glückssträhne damit schon vorüber war. Schlecht vorbereitet, wie sie waren, kamen sie nicht sehr weit. Eine stabile Glastür versperrte ihnen den Weg zu den Büros der leitenden Manager, die in den Wertpapierschwindel verwickelt sein sollten. Als Decker willkürliche Ziffernfolgen in das Zahlenschloss eintippte, schwenkte lediglich eine Überwachungskamera in ihre Richtung und um das Maß voll zu machen, erschien auf der anderen Seite der Scheibe ein Mann im grünen Laborkittel. Er balancierte einen ganzen Stapel Akten auf seinen Armen und glotzte sie verblüfft an. Dies ernüchterte Freddy zumindest soweit, dass er Decker erschreckt zum Ausgang zerrte.

    Einziges Ergebnis dieses gründlich misslungenen Coups blieb eine dauerhafte Freundschaft zwischen ihnen, auch nachdem Decker später für andere Delikte verurteilt wurde. Aus unsauberen Angelegenheiten hatte sich Freddy seitdem allerdings konsequent herausgehalten und möglichst sogar jede entsprechende Andeutung Deckers überhört.

    „Wenn du dich weigerst, brauchst du deinen Koffer gar nicht erst auspacken. Die Sache ist noch nicht verjährt, unterbrach eine kreischende Stimme seine Gedanken. „Außerdem wird das ein Spaziergang, du warst ja schon mal da drin. Hier sind die Sicherheitscodes und mit dem Rest wirst du wohl fertig werden. Du gehst ins Hauptgebäude von DeuBiCon und holst aus der obersten Etage zwei rot eingewickelte Päckchen. Ganz einfach also. Du kannst deiner Wege gehen und zweitausend Euro einsacken. Fünfhundert davon gleich.

    Zögernd griff Decker nach dem Umschlag, den der Bewährungshelfer bei seinen letzten Worten in die Mitte des Tisches gelegt hatte. Was blieb ihm auch anderes übrig. „Na schön, knurrte er, „aber versuch das nicht noch mal bei mir.

    Ein gehässiges Kichern antwortete ihm: „Keine Sorge, danach hast du für immer deine Ruhe."

    Kleine Revanche, du kiffender Widerling, dachte Decker. Voller Genugtuung entsorgte er das Beutelchen mit weißem Pulver, das er aus der Küche seines Bewährungshelfers entwendet hatte, in einem Abfalleimer. Wenigstens konnte er so diesem ekelhaften Erpresser einen Denkzettel verpassen.

    Am Bahnhof angekommen, zerrte er seine alte Reisetasche aus einem Schließfach. Den Weg dahin hatte er zu Fuß hinter sich bringen müssen, weil ihm das gestohlene Rennrad selbst schon wieder geklaut worden war, als er es vor dem Haus seines Bewährungshelfers abgestellt hatte. Die Gegend war vielleicht auch nicht mehr das, was sie früher mal war.

    Inzwischen war es später Nachmittag und Freddy würde ihn schon erwarten. Da er glücklicherweise nicht weit vom Bahnhof entfernt wohnte, klingelte Decker schon nach einer Viertelstunde an dessen Tür. Leider ohne Ergebnis. Stattdessen trat aus der gegenüberliegenden Wohnung eine ältere Dame mit stahlgrauem, im Nacken zu einem festen Knoten gebundenem Haar ins Treppenhaus. „Sind Sie der Bekannte von Herrn Osterkamp?", fragte sie in einem Ton, der den Verhörspezialisten der Polizei alle Ehre gemacht hätte. Dabei funkelte sie ihn über ihre Brille hinweg an.

    „Ja, ich heiße Decker, antwortete er und setzte ein möglichst freundliches Lächeln auf, in der Hoffnung, die Frau könne ihm weiterhelfen. „Haben Sie vielleicht eine Nachricht für mich?

    „Allerdings, Herr Osterkamp gab mir einen Schlüssel, antwortete sie, ohne dass ihre Stimme dabei an Schärfe verlor. „Können Sie sich ausweisen?

    Decker nickte gelinde überrascht und kramte seine Papiere hervor. Die grauhaarige Dame inspizierte sie sorgfältig wie ein Zollinspektor und zog danach beinah widerwillig einen einzelnen Schlüssel hervor.

    „Herr Osterkamp musste dringend weg. Er hat Ihnen aber eine Botschaft auf seinem Computer hinterlassen." Sie drückte Decker den Schlüssel in die Hand, machte dann auf dem Absatz kehrt und verschwand ohne ein weiteres Wort in ihrer Wohnung.

    Diese wenig erfreuliche Begegnung war nach der Auseinandersetzung mit dem Bewährungshelfer auch nicht dazu geeignet, seine Laune zu verbessern. Er schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin: „Wenn ich bloß noch solche Leute treffe, gehe ich freiwillig zurück in den Knast."

    Tapfer widerstand Decker den verlockenden Bierflaschen in Freddys Kühlschrank und nahm sich nur eine Dose Cola. In der kommenden Nacht würde er seine volle Konzentration brauchen. Die Kühlschranktür schloss sich schmatzend und Decker öffnete das Laptop, welches auf dem schmalen Küchentresen lag. „Gib FROST ein, stand auf einem gelben Zettel, der auf der Tastatur klebte. Decker schmunzelte, ihm fiel jetzt zum ersten Mal auf, dass sich aus den Anfangsbuchstaben des Namens Fred Osterkamp das Wort Frost bilden ließ. Während er in kleinen Schlucken von der eiskalten Cola trank, tippte er mit einem Finger das Passwort und schaute neugierig auf das Fenster, welches sich auf dem Bildschirm öffnete. Freddys Gesicht erschien darin, er grinste und kam gleich zur Sache: „Willkommen in der Freiheit - wieder einmal! Schön, dass du endlich draußen bist. Ich kann leider nicht auf dich warten, weil ich ein unglaubliches Angebot bekommen habe. In letzter Zeit sah es nicht so rosig aus, aber damit scheint meine kleine Flaute beendet zu sein. Die Einzelheiten kann ich dir später erzählen. Eins allerdings schon vorweg: du kannst in den nächsten Monaten meine Wohnung haben. Also dann, ich muss jetzt los, hab noch tausend Dinge zu erledigen. Ach ja, dein alter Koffer steht in der Abstellkammer. Tschüss, bis später.

    Durch die Nachricht Freddys hatte sich nun jedenfalls vorläufig Deckers Überlegung erübrigt, ihm die vertrackte Situation zu erklären. Er faltete den Bogen Papier auseinander, den ihm sein Bewährungshelfer gegeben hatte. Das Blatt enthielt eine Skizze mit mehreren Zahlenkombinationen, ordentlich verschiedenen Türen zugeordnet. Auch der Code zur Deaktivierung von Alarm- und Überwachungseinrichtungen fehlte nicht. Zum Abschluss die genaue Beschreibung des Ortes, wo er die zwei roten Kartons finden würde.

    Decker war längst zu der Erkenntnis gelangt, dass es sich nur um den Auftrag eines Insiders handeln konnte und der Bewährungshelfer lediglich die Rolle eines Strohmanns spielte. Nun fühlte er sich in dieser Vermutung noch bestätigt. Die Fotos, der Aktenordner mit dem Emblem von DeuBiCon, und schließlich die präzisen Hinweise. Alles deutete darauf hin, dass ein Mitarbeiter dieser Firma etwas zur Seite schaffen wollte.

    Mit den erhaltenen Informationen würde das Unternehmen wahrscheinlich wirklich nicht viel anstrengender werden, als ein gemütlicher kleiner Abendspaziergang. Decker sah keine andere Möglichkeit, diesem schmierigen Erpresser zu entkommen. Die zweitausend Euro würden ihm wenigstens etwas Luft verschaffen, um in Ruhe einen Job zu suchen, der ihm wiederum genügend Zeit lassen würde, eine lohnenswertere Aktion auf eigene Rechnung vorzubereiten. Eine Aktion, die ihm hoffentlich seinem Ziel ein Stück näher bringen würde, sich eines Tages in einer ruhigen, komfortablen Bleibe zur Ruhe setzen zu können.

    Er leerte seine Cola, ohne dabei den Blick von dem Papier zu wenden. Etwas störte ihn bei der Sache: Als er den Bewährungshelfer nach der Übergabe der Kartons gefragt hatte, hieß es als Antwort nur, er solle die „Ware" anschließend zu einer bestimmten Bushaltestelle bringen. Dort werde er auch sein Geld erhalten. Diese Auskunft wirkte seltsam ungeplant und passte deshalb überhaupt nicht zu den präzisen schriftlichen Anweisungen. Nachdenklich faltete Decker den Bogen wieder zusammen und steckte ihn ein.

    Der unauffällige Lieferwagen des Wachdienstes, der zur Nachtzeit unter anderem auch das am Stadtrand gelegene DeuBiCon-Gebäude betreute, war noch nicht außer Sichtweite, als sich ein dunkler Schemen aus dem Schatten eines Gebüschs löste. Die Gestalt huschte über den Rasen und an der riesigen, gläsernen Eingangsfront vorbei, bis sie vor einer unauffälligen Aluminiumtür am äußersten Ende des Hauses stehen blieb. Die Bewegungsmelder schalteten mehrere Lampen in diesen Bereich ein, die einem zufälligen Beobachter nun Deckers Gesicht hätten zeigen können, wenn er es nicht unter einer schwarzen Schimaske verborgen hätte.

    Ohne zu zögern machte er sich mit seinem Lieblingswerkzeug am Schloss zu schaffen, einem von ihm selbst angefertigten, mehrteiligen Instrument, das ihn fast noch nie im Stich gelassen hatte. Innerhalb von Sekunden war ein leises metallisches Klicken zu vernehmen, dann ließ sich die Tür auch schon öffnen. Decker schlüpfte hinein und rieb zufrieden seine Hände in den dünnen Handschuhen aneinander. Anscheinend bin ich noch ganz gut in Form, ging es ihm durch den Kopf. Er grinste unter seiner Maske, seit seiner Entlassung war dies bisher für ihn der angenehmste Augenblick.

    Während der gerade beendeten Haftstrafe hatte man ihn nicht in der Gefängnisschlosserei arbeiten lassen, sondern in die Gärtnerei gesteckt, um seine nach mehreren Verurteilungen sattsam bekannten Neigungen nicht weiter zu fördern. Trotzdem hatte er ab und zu Gelegenheit zum Üben gefunden. Immer dann nämlich, wenn irgendwo Schlüssel für Werkzeugschränke oder Abstellräume abhanden kamen, gab es keinen Besseren als ihn, um das Problem zu lösen.

    Ein schneller Blick auf seine Uhr, dann eilte Decker den schmalen Gang hinunter zur Eingangshalle. Er hatte nur noch knapp sechzig Sekunden, danach würde die beim Öffnen der Tür aktivierte Alarmanlage den Rest der Sicherheitseinrichtungen in Gang setzen und einen automatischen Notruf an die nächste Polizeidienststelle senden. Auch der Lieferwagen des Wachdiensts wäre dann wahrscheinlich schnell wieder hier. Als er das Foyer durchquerte, musste er sich eingestehen, dass diese nächtliche Aktion ihm einen wohligen Adrenalinschub versetzte, obwohl er sich diesmal gegen seinen Willen auf Raubzug befand.

    Hinter dem protzigen Empfangstresen tippte er auf eine kaum erkennbare Wölbung der Wand, worauf sich gemächlich ein flaches Bedienpaneel nach außen neigte. Decker wartete nicht ab, bis es seine Endposition erreicht hatte, sondern begann schon vorher den Code zur Unterbrechung des Countdowns einzutippen. Schnell war mit ein paar weiteren Einstellungen die Alarm- und Überwachungstechnik im ganzen Haus außer Funktion gesetzt. Die vorher rot glimmenden Leuchtdioden auf dem Paneel leuchteten jetzt in beruhigendem Grün. Wenigstens scheinen die Informationen zu stimmen, dachte Decker, während er sich die lästige schwarze Haube vom Kopf zog.

    Die nächsten Schritte waren einfach. Decker benutzte lieber die Treppe statt des Fahrstuhls und gelangte zügig bis zum vierten Stock. Dort wurde der Aufgang durch eine Wand aus Milchglas unterbrochen, die es zur Zeit seines gemeinsamen Einbruchs mit Freddy noch nicht gegeben hatte, wenn ihn seine Erinnerung nicht trog. Das inzwischen schon vernichtete Blatt Papier des Bewährungshelfers hatte auch für diese Sperre die passende Ziffernfolge enthalten. Decker tippte sie sorgfältig ein und sofort schwenkten bereitwillig zwei breite Türflügel zur Seite. Dahinter wurde die Ausstattung wesentlich gediegener, wie Decker im grünlichen Schimmer der Notbeleuchtung wahrnahm. Die Treppenstufen waren hier mit Teppich belegt, die Wände mit poliertem Marmor verkleidet und geschmückt mit ein paar großformatigen, gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos.

    Auch die nächste Glastür, die den Zugang zur obersten Etage bildete, ließ sich mit Hilfe der Codes, die sich Decker eingeprägt hatte, problemlos öffnen. Genau an dieser Stelle war er damals mit Freddy umgedreht, als sie durch die Scheibe der Mitarbeiter mit dem grünen Laborkittel angestarrt hatte. Nahezu lautlos eilte Decker über den dicken Teppichboden an das Ende des breiten Ganges und verharrte vor einer dunklen Holztür. Sie hatte ein herkömmliches Sicherheitsschloss und er zückte sein bevorzugtes Werkzeug. Auch diesmal versagte es nicht und schon stand Decker in dem Zimmer, aus dem er die Päckchen stehlen sollte.

    Wie in der Chefetage nicht anders zu erwarten, war der Raum besonders üppig ausgestattet. Auf der tonnenschweren Granitplatte eines überdimensionierten Schreibtischs prangte eine ganze Sammlung von Sportpokalen und auch die übrigen Möbel schienen eher danach ausgesucht worden zu sein, Besucher zu beeindrucken, als der Erfüllung ihres eigentlichen Zweckes zu dienen.

    Decker schaute sich um und fand schnell den ihm beschriebenen Schrank. Der war allerdings von aufgestapelten Akten und gefüllten Transportkisten regelrecht umbaut, so als wäre gerade ein Umzug im Gange. Zu allem Überfluss ragten dazwischen auch noch zwei blaue Plastiktonnen von fast einem halben Meter Höhe auf.

    Das unerwartete Durcheinander wirkte irritierend und Decker zögerte für einige Sekunden. Der bisher reibungslose Ablauf hatte ihn regelrecht in gute Laune versetzt, die nun aber verflog. Er hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl im Bauch und ging nur unwillig daran, über das Sammelsurium von Büromaterial hinweg zu steigen, um dann das Schrankschloss zu öffnen. Die einfache Konstruktion kapitulierte beinah sofort. Decker zog beide Türen gleichzeitig auf und erkannte trotz der dämmrigen Beleuchtung auf Anhieb die roten Päckchen.

    Schon wollte er danach greifen, als ihm auffiel, dass sich irgendetwas verändert hatte. Er fuhr herum und suchte nach Anzeichen für eine Gefahr, sah jedoch nichts. Forschend schlich er durch den Raum und blieb hinter dem großen Schreibtisch stehen. Plötzlich riss er die Augen auf und hob reflexartig die rechte Hand vor sein Gesicht. Das Objektiv der Kamera oben an der Zimmerdecke war genau auf ihn gerichtet. Dicht daneben zeigte eine winzige, rot glimmende Leuchtdiode an, dass das Gerät in Betrieb war. Ungläubig streckte Decker den linken Arm aus. Er war sich ganz sicher, dass diese Überwachungskamera bei seinem Eintreten nicht eingeschaltet war, genau wie alle anderen, die er vorher im Gebäude registriert hatte. Jetzt aber folgte sie, kaum hörbar summend, auf der Stelle seiner Armbewegung.

    Decker ließ sich hinter den Schreibtisch auf die Knie sinken. Vorübergehend brachte ihn das wenigstens aus dem Erfassungsbereich der Kamera. Er geriet zwar nicht in Panik, sein Puls hatte sich jedoch fühlbar beschleunigt.

    Zuerst die Kamera zerstören und die Ware holen, legte er sich gedanklich einen Notfallplan zurecht. Danach muss ich rauskriegen, wo die Aufnahmen gespeichert werden. Hoffentlich funktionieren die anderen Kameras noch nicht wieder. Wegen dieser verdammten Dinger musste ich heute überhaupt hierher kommen und jetzt wiederholt sich der ganze Mist! Er tastete in seiner Hosentasche nach der schwarzen Schimaske.

    Dabei beugte er sich weiter herab, um unter dem Tisch hindurchblicken zu können. Was er sah, ließ ihn verblüfft die Augen aufreißen. In dem geöffneten Schrank gegenüber waren die beiden rot eingewickelten Päckchen von züngelnden Flammen umgeben und die daneben liegenden Akten fingen soeben Feuer. „Verdammt!", stieß er hervor. Dann wurde er von einem grellen Lichtblitz geblendet, begleitet vom ohrenbetäubenden Krachen einer Explosion. Die Druckwelle warf ihn zu Boden. Irgendetwas flog fauchend über ihn hinweg und ließ die Glasfront einer Vitrine klirrend zerspringen. Unwillkürlich riss Decker die Hände vor sein Gesicht, während auch schon ein Hagel scharfkantiger Scherben auf ihn herabregnete.

    Eine zweite Detonation erschütterte den Raum. Mit lautem Knirschen wurde ein Bücherregal aus der Verankerung gerissen und kippte nach vorn auf einen Bürostuhl, dessen Metallstreben sich kreischend verbogen. Die Geräusche brechender Möbel mischten sich mit denen splitternder Fensterscheiben. Quer durch den Raum flogen die Bruchstücke verschiedenster Einrichtungsgegenstände und auf der steinernen Tischplatte, unter der Decker zusammengekrümmt lag, zerbarst eine der Transportkisten.

    Dann wurde es relativ still, hauptsächlich hörte Decker noch das Prasseln eines rasch um sich greifenden Feuers. Er öffnete die Augen und kroch vorsichtig aus seiner Deckung heraus. Um ihn herum lagen angekohlte Papierfetzen und beißender Rauch drang ihm in die Nase. Von dem Schrank mit den zwei Päckchen war kaum etwas übrig geblieben. Zwischen qualmenden Trümmern und brennenden Akten eine Suche anzufangen, hatte er aber ohnehin nicht vor.

    Wie zum Hohn hatte die Kamera an der Decke das Inferno unbeschadet überstanden. Durch den dichter werdenden Qualm war noch immer das blinkende rote Lämpchen zu erkennen. „Ganz toll, nun wird man mich auch noch für einen Brandstifter halten", stieß Decker wütend hervor und wurde sofort von einem Hustenanfall gepackt.

    Einer der Sportpokale, auffällig verziert mit der Figur eines Handballers auf der Spitze, stand noch immer aufrecht auf dem Schreibtisch. Decker griff danach, es war ein besonders schweres Stück aus massiver Bronze, wog es kurz in der Hand und warf es dann schwungvoll nach oben. Der Pokal zermalmte die Kamera, ein trauriger Rest blieb am Kabel hängen und dem Handballer fehlte der rechte Arm. Decker gönnte sich ein bissiges Grinsen. „Pokale konnte ich noch nie ausstehen", brachte er hustend hervor und hockte sich dann schnell wieder hin, um den stärkeren Rauchschwaden zu entkommen.

    Ihm entging dadurch, dass die Flammen inzwischen die blauen Kunststofftonnen erreicht hatten. Die beiden Behälter waren von der ersten Druckwelle weggeschleudert worden und bis zur Fensterseite gerollt. Jetzt lagen sie dicht beisammen zwischen angesengten Holzstücken und auseinander gerissenen, schwelenden Dokumenten. Unmittelbar darüber hing ein zerfetzter Vorhang, der zunächst nur an einer kleinen Stelle Feuer gefangen hatte. Der durch die kaputten Fenster hereinwehende Wind sorgte aber für eine zügige Ausbreitung der Flammen, bis der Stoff in seiner gesamten Länge loderte wie eine Fackel.

    Leises Sirenengeheul ließ Decker gleich wieder aus seiner geschützten Position auftauchen. Mit Mühe spähte er durch den Rauch nach draußen und entdeckte zwischen weit entfernten Baumreihen blinkende Lichter. Er machte sich nicht die Mühe herauszufinden, ob es sich um Polizei- oder Feuerwehrfahrzeuge handelte. Egal wer da anrückte, er würde in jedem Fall Uniform tragen und von Decker eine Erklärung für diesen Schlamassel verlangen. „Zeit für Plan B, knurrte er grimmig, „schnellstens verschwinden!

    Er wandte sich zur Tür und dabei fielen ihm die blauen Tonnen ins Auge, genauer gesagt, deren grellfarbige Piktogramme: mit roten Balken durchgestrichene Flammen und das Symbol einer Explosion. In diesem Moment lösten sich die Reste des brennenden Vorhangs aus ihrer Halterung und verhüllten die Plastikbehälter mit einer Flammendecke.

    Für eine Sekunde erstarrte Decker in Erwartung einer sofortigen Detonation. Dann stieß er sich von der Wand ab und spurtete ohne Rücksicht auf die überall herumliegenden, qualmenden Bruchstücke in Richtung Ausgang. Kurz davor rutschte er auf einem losen Aktenbündel aus und verlor das Gleichgewicht. Er rettete sich in eine Judorolle, die ihn hinaus auf den Flur katapultierte. Noch im Aufstehen warf er die schwere Holztür zu und rannte den Gang hinunter. Bevor er dessen Ende erreichte, riss ihn jedoch eine Druckwelle von den Füßen. Ein mörderischer Explosionsknall ließ ihn die Hände an seine Ohren reißen. Aus dem Büro, das er gerade verlassen hatte, brandete ein riesiger Feuerschwall heraus und füllte den Flur in diesem Bereich für einige Sekunden in voller Höhe aus. Eine Woge flirrender Hitze flutete über Decker hinweg und zwang ihn, die Augen zusammenkneifen. Dann rappelte er sich hastig auf und setzte hustend seine Flucht fort, ohne sich noch einmal umzusehen.

    Ein großer, orangefarbener Lastwagen rumpelte durch die sonst völlig unbelebte, nächtliche Straße und tauchte seine Umgebung vorübergehend in helleres Licht. Decker hatte gerade Freddys Haus erreicht und drückte sich hastig in die schützende Eingangsnische. Glücklicherweise war um diese Zeit kaum jemand unterwegs und er konnte hoffen, ungesehen hierher gelangt zu sein. Mit trägen Schritten schleppte er sich mühsam die Treppe hinauf. Seit seiner Entlassung hatte er noch nicht eine Minute geschlafen und schon einiges verkraften müssen. Dazu kam, dass er die gesamte Strecke gelaufen war, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Auf dem Hinweg war er einfach mit dem Bus gefahren, jetzt aber wies sein Ohr eine blutverkrustete Schramme auf und sein Gesicht war rußverschmiert. Seine Kleidung hatte einige Risse abbekommen und war verdreckt, weil er eine ganze Weile in einem Straßengraben gelegen hatte, während in kurzen Abständen zahlreiche Einsatzfahrzeuge zum DeuBiCon-Gelände gerast waren.

    In der Wohnung registrierte er auf dem Weg zum Badezimmer, dass Freddy wieder nicht da war.

    „Auch gut, stieß Decker erschöpft hervor. Sein einziger Gedanke galt nur noch dem Bett. Unliebsame Fragen würde er sicher früh genug beantworten müssen. Dann sah er den gelben Klebezettel mit dem Wort „FROST, gefolgt von drei dicken Ausrufezeichen. Zuerst wollte er den Hinweis ignorieren, überlegte es sich dann aber anders.

    „Also halt dich gut fest, ich habe es tatsächlich geschafft!, sprudelte Freddys Stimme fröhlich aus dem kleinen Computer. „Ich habe den ultimativen Job bekommen, der helle Wahnsinn. Eigentlich hatte ich ja schon bei so einem Provinzblatt zugesagt, aber einmal muss man ja auch so richtig Schwein haben. Schade nur, dass wir uns jetzt nicht mehr ordentlich ausquatschen können.

    Decker gähnte verhalten und ließ sich auf die Couch fallen. Er wurde nicht schlau aus dem Gerede und wollte endlich schlafen.

    „Du kannst hier solange wohnen, wie du willst, ich lasse alles weiterlaufen. Meine Zelte werde ich erst endgültig abbrechen, wenn es da unten gut läuft, also frühestens in sechs Monaten, plärrte es weiter aus dem Laptop. „Mann, war das ein Hetzerei: Visum, Reiseschecks, Impfungen und der ganze Behördenkram. Ich war den ganzen Tag unterwegs, damit ich den Flieger heute noch schaffe. Mein Auto kannst du ruhig nehmen, aber sieh zu, dass die Karre bei dir nicht noch mehr Beulen bekommt. Schlüssel und Papiere hat die Nachbarin, die kennst du ja schon. Ach, eins noch, sag bitte meine Stelle bei dieser Kleinstadtzeitung ab, das hatte ich total verschwitzt in der Aufregung. Also dann, die nächste Nachricht von mir kriegst du aus dem sonnigen Australien!

    Die letzten Sätze hörte Decker allerdings genauso wenig wie den Rest der kurzen Rede. Leise schnarchend lag er auf dem Sofa, während über der Stadt allmählich die Morgendämmerung einsetzte.

    Kapitel 2

    Der beste Prediger ist die Zeit.

    (Sprichwort)

    Mit einem Ruck zog Decker die Türen von Freddys Kleiderschrank auseinander. In der Küche lief vor dem Hintergrundgeräusch der blubbernden Kaffeemaschine schon zum zweiten Mal hintereinander die aufgezeichnete Nachricht, während der Decker gestern eingeschlafen war: „Nimm dir was du brauchst, ließ sich gerade aufgekratzt die Stimme Freddys vernehmen, „ich hab´ nicht vergessen, dass ich in deiner Schuld stehe.

    „Darauf kannst du Gift nehmen", murmelte Decker gedankenverloren und sichtete im Licht der schon hochstehenden Sonne das breite Angebot an Hemden, die sorgfältig gebügelt vor ihm hingen. Er zog mehrere helle Hemden heraus, die seiner Meinung nach helfen könnten, einen möglichst seriösen Eindruck zu vermitteln. Da Freddy ihm früher schon manchmal ausgeholfen hatte, war er sich sicher, dass sie passen würden. Als nächstes nahm er sich ein graublaues, auf gepflegte Art lässig wirkendes Sakko, weil sein eigener Anzug, zu seiner Zeit ein wirklich edles Stück, inzwischen eher fadenscheinig wirkte. Zwei Tassen Kaffee später enthielt der auf dem Bett liegende Koffer eine komplette Garderobe und Decker drehte sich zufrieden vor dem Schlafzimmerspiegel: Mit den Klamotten könnte ich glatt als Bankangestellter durchgehen, ging es ihm durch den Kopf, und außerdem riechen sie nicht nach Rauch.

    Mit Widerwillen dachte er an die gestrige Nacht zurück. Die Luft war von Sirenengeheul und Brandgeruch erfüllt gewesen, während die feuchte Kälte des Straßengrabens seine Kleider durchdrungen hatte. Obwohl er sich zu dieser Zeit schon in einer Entfernung von mehreren hundert Metern befand, hatte er doch spontan den Kopf eingezogen, als das ohrenbetäubende Krachen einer weiteren Explosion die Nachtluft erschüttert hatte.

    Decker erschauerte unwillkürlich, als ihm bei dieser Erinnerung eine Gänsehaut über den Rücken lief. In was war da nur hineingeraten? Sicher schien ihm nur, dass er schon am Tag seiner Haftentlassung bei einem Einbruch ertappt worden war. Er ging nämlich davon aus, dass die Aufzeichnungen der Überwachungskameras nicht in der zerstörten Chefetage, sondern wahrscheinlich an einem zentralen Ort, beispielsweise im Keller, gespeichert wurden.

    Ihn plagten zwar keine Gewissensbisse, umso mehr dagegen die Sorge, demnächst wieder im wenig malerischen Grau einer Gefängniszelle zu erwachen. Er gedachte allerdings nicht, hier herumzusitzen und grübelnd auf seine Verhaftung zu warten. Beim Anhören von Freddys Nachricht war ihm ein Einfall durch den Kopf geschossen, der ihm zunächst selbst absurd vorkam. Je länger er darüber nachgedacht hatte, desto mehr sah er ihn als einzige Möglichkeit, wenigstens vorläufig nicht in den Knast zurück zu müssen.

    Decker hatte inzwischen das Radio eingeschaltet und die Nachrichten eines lokalen Senders ließen wenig Zweifel daran, dass die Polizei bereits nach ihm fahndete. Obwohl in der Meldung nur allgemein von einer „heißen Spur" die Rede war, fiel es nicht schwer zu erraten, dass man mittlerweile die Aufzeichnungen der Videoüberwachung ausgewertet hatte. Soweit sich Decker erinnerte, hatte er bisher noch nie Freddys Namen gegenüber der Polizei erwähnt. Trotzdem war es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis es gebieterisch an die Wohnungstür klopfen würde. Ohne jeden Zweifel würde die energische, grauhaarige Nachbarin dann die Gesetzeshüter mit den neuesten Informationen vom plötzlichen Auftauchen eines dubiosen Bekannten des sonst doch so netten Herrn Osterkamp versorgen.

    Seufzend schloss Decker den Kofferdeckel, und zog die dezent gemusterte Krawatte zurecht. „Was soll’s, es kann nur besser werden", brummte er fatalistisch sein Spiegelbild an und griff energisch nach dem Koffer. Hierher würde er so schnell nicht zurückkehren können.

    „Interessiert mich nicht, interessiert mich überhaupt nicht, dröhnte es laut und deutlich durch die geschlossene Tür. „Interessiert mich absolut nicht auch nur ein Stück! Die Lautstärke steigerte sich sogar noch, dann wurde die Tür geöffnet und ein Mann, der eine lange Papprolle unter den Arm geklemmt hatte, trat rückwärts einen Schritt heraus.

    Der im Vorzimmer bereits eine Weile wartende Decker registrierte beeindruckt, dass das Türblatt auf der anderen Seite ein dickes Lederpolster aufwies. Die Stimme, die damit so spielend leicht fertig wurde, musste einem wahren Hünen gehören.

    „Von mir aus können Sie in der Nacht jeden Buchstaben einzeln auf die Bögen pinseln, brüllte es von drinnen, „aber die Ausgabe wird auf jeden Fall pünktlich ausgeliefert!

    Mit hochrotem Kopf schloss der Mann mit der Papprolle die Tür und lief dann im Eilschritt davon.

    Die Decker gegenübersitzende Sekretärin schien an Auftritte dieser Art durchaus gewöhnt zu sein. Gelassen nahm sie die Visitenkarte, die Decker ihr vor einer Viertelstunde überreicht hatte und meinte beiläufig: „So, dann kann ich Sie ja jetzt beim Chef melden."

    Decker hob zweifelnd die Augenbrauen und rutschte auf seinem Stuhl ein wenig nach vorn. „Ich kann auch später wiederkommen. Ist wohl nicht gerade der glücklichste Zeitpunkt", grummelte er verunsichert.

    „Ach was, er wird Sie schon nicht gleich fressen. Sie winkte ihm auffordernd zu und drückte eine Taste ihrer Wechselsprechanlage: „Ich schicke jetzt Herrn Osterkamp rein; der blaue Ordner liegt neben dem Telefon.

    Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch trat Decker durch die gepolsterte Tür. Die Idee, sich möglichst weit abzusetzen und mit der Identität seines Kumpels Freddy dessen Jobangebot bei dieser Kleinstadtzeitung anzunehmen, war ihm noch heute Morgen wie eine geniale Eingebung vorgekommen. Inzwischen plagten ihn jedoch arge Zweifel. Womöglich war Fred Osterkamp hier persönlich bekannt, angesichts dessen langjähriger Arbeit für renommierte Magazine gar nicht unwahrscheinlich. Bei der Sekretärin hatte er zwar keine Zweifel erkennen können, aber die eigentliche Feuertaufe stand ihm erst jetzt bevor.

    „Guten Tag. Ich bin Fred Osterkamp." Decker bemühte sich um ein forsches, selbstbewusstes Auftreten, als er sich mit diesen knappen Worten vorstellte und eine von Freddys Visitenkarten zückte.

    „Ach und Sie meinen, deshalb können Sie hier mit einer Woche Verspätung auftauchen?" Der breitschultrige Mann hinter dem Schreibtisch erhob sich zu seiner vollständigen, wirklich imposanten Größe und bewegte sich auf Decker zu. Die Visitenkarte ignorierte er.

    Was für eine Dampfwalze, dachte der beeindruckt und schüttelte die ihm dargebotene Hand, in der seine eigene völlig verschwand.

    „Mein Name ist Westphal, verkündete der Koloss dröhnend und fuhr, ohne Deckers Hand loszulassen, fort: „Passen Sie auf, die Stelle, die ich Ihnen angeboten hatte, ist schon vergeben. So lange konnte ich nicht warten. Stattdessen könnte ich Sie als freien Mitarbeiter beschäftigen. Im Moment gibt es eine ganze Menge zu tun. Wenn Sie pünktlich hier gewesen wären, sähe es anders aus, aber jetzt ist einfach nicht mehr drin!

    Der würde staunen, wenn er wüsste, wo ich vor einer Woche war, ging es Decker durch den Kopf, während er vorsichtig, wenngleich erfolglos versuchte, seine Hand wieder in Besitz zu nehmen. Er hatte keine konkrete Vorstellung, wie Fred auf diesen Vorschlag reagiert hätte. Immerhin wurde ihm hier der sprichwörtliche Spatz in der Hand offeriert, den er nicht gewillt war, fliegen zu lassen.

    Westphal deutete Deckers kurzes Zögern offenbar anders, denn er sagte brüsk: „Wenn es Ihnen nicht passt - Ihr Pech. Weiter kann ich Ihnen auf keinen Fall entgegenkommen. Dann setzte er gedämpft hinzu: „Außerdem ist hier allgemein bekannt, dass Sie ziemlich heftig ins Fettnäpfchen getreten sind. Was glauben Sie, was ich mir von meinen Leuten anhören muss, wenn ich Ihnen eine Extrawurst brate. Dann heißt es gleich: Für die großen Zeitschriften war er nicht mehr gut genug, aber in der Provinz ist er immer noch was Besseres.

    Decker horchte auf. Dass Osterkamp in Ungnade gefallen sein sollte, war ihm völlig neu, erklärte allerdings, wieso er sich überhaupt bei diesem drittklassigen Blättchen beworben hatte. Aus den überschwänglichen Ansprachen Freddys hatte er nicht entnommen, dass dessen Umzug nach Australien eher notgedrungen stattfand. „Schon kapiert, entgegnete er flapsig „ich würde beinah alles unterschreiben, wenn Sie nur nicht länger meine Hand zerquetschen.

    Westphal löste seinen Schraubstockgriff, lachte laut auf und ließ dann seine Pranke wuchtig auf Deckers Schulter fallen: „Prima, dann sind wir im Geschäft. Willkommen beim Klosterburger Tageblatt!"

    Im nächsten Augenblick saß er schon wieder hinter seinem Schreibtisch und wirbelte mit der linken Hand einen dicken schwarzen Füllfederhalter mit auffälligen, goldenen Verzierungen herum. Dabei gab er der Sekretärin Anweisungen über die Wechselsprechanlage: „Okay Sylvia, Osterkamp bekommt den Standardvertrag für Freie, danach soll er sich bei Arnold melden, der kann ihn kurz einweisen. Er ließ die Sprechtaste los und fügte erklärend in Deckers Richtung hinzu: „Bei dem sind Sie gut aufgehoben, der gute Arnold ist erst seit ein paar Monaten bei uns und hat sich schon unentbehrlich gemacht, sozusagen als die Seele der Redaktion. Viel Erfolg!

    Bei den letzten Worten nahm er den blauen Plastikordner, bei dem es sich um Freddys Bewerbungsmappe handelte, von seinem Schreibtisch und ließ ihn wie ein Frisbee quer durch das Büro segeln. Decker konnte ihn gerade noch auffangen und begriff, dass sein Einstellungsgespräch damit beendet war.

    „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass mich Ihr Chef gerade mächtig über den Tisch gezogen hat", sagte er im Vorzimmer zu der Sekretärin.

    „Ja, das kann gut sein, bestätigte diese mit einem Anteil nehmenden Blick in Deckers Richtung, der sich seine malträtierte Hand rieb. Dann tippte sie emsig weiter. „Ich habe die meisten Daten aus Ihren Unterlagen entnommen, Ihre Anschrift, die Bankverbindung usw. Sind die Angaben alle noch aktuell?

    Decker zögerte kurz und beschloss dann, dass Mitgefühl der Frau für seine Zwecke auszunutzen. „Sicher. Könnten wir aber vorläufig eine Barauszahlung vereinbaren, bis ich hier ein neues Konto habe?"

    Die Sekretärin hob zwar erstaunt die Augenbrauen, meinte dann jedoch schulterzuckend: „In Ordnung, ich ändere das entsprechend." Schon tanzten ihre Finger flink über die Tastatur.

    Mit einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es einigermaßen charmant ausfallen mochte, setzte Decker hinzu: „Sie kriegen doch deswegen hoffentlich keinen Ärger mit dem Chef?"

    Sie erwiderte das Lächeln, zeigte kurz auf einen breiten, goldenen Ring an ihrer rechten Hand und entgegnete nachsichtig spottend: „Kein Problem, Herr Osterkamp, mit meinen eigenen Mann sollte ich schon noch fertig werden."

    Sie hatte den letzten Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als die Tür zu Westphals Büro aufgerissen wurde und dieser mit einem Notizblock in der Hand herausgestürmt kam. „Ach, Osterkamp, gut dass Sie noch da sind", rief er so erleichtert, als läge das Einstellungsgespräch schon seit Stunden hinter ihnen.

    „Wenn Sie hier fertig sind, fahren Sie zum Altenheim in der Jakobstraße, da soll irgendwas los sein, Feueralarm oder so ähnlich. Schnüffeln Sie rum, ob jemand was verbockt hat. Falls nicht, schreiben Sie ein Loblied auf das Pflegepersonal oder von mir aus auch über die Jungs von der Feuerwehr. Sie dürfen es ruhig auswalzen, in einem Lokalblatt wollen die Leute lieber über städtische Ereignisse als über Weltpolitik lesen. Lassen Sie sich von Arnold sagen, wie viel Platz auf Seite drei noch übrig ist. Er gibt Ihnen auch eine Kamera und ein Firmenhandy. Ich hab’s gern, wenn meine Leute erreichbar sind!"

    Dann riss er das oberste Blatt von seinem Block und drückte es Decker in die Hand. Der überflog die wenigen handschriftlichen Zeilen, nachdem sein neuer Boss wieder hinter der Polstertür verschwunden war, ohne daraus mehr zu erfahren. Gedankenverloren murmelte er: „Sieht ganz so aus, als würde ich mir erst später ein Zimmer suchen".

    Die Sekretärin nickte und schob ihm seinen Vertrag hin. In der Annahme, den bisher so erfolgreichen Journalisten Osterkamp wegen dieses Lückenfüllerauftrages aufmuntern zu müssen, fügte sie hinzu: „Sehen Sie es ruhig mal positiv, immerhin schickt Sie mein Mann gleich mit einer brauchbaren Sache los. Arnold hätte Sie frühestens nächste Woche über die Hühnerzüchter berichten lasen. Sie können wirklich froh sein, dass es gleich so gut anläuft."

    „Da haben Sie wohl recht", antwortete Decker und fügte gedanklich hinzu: So schnell wie diesmal bin ich schon seit zwanzig Jahren nicht mehr zu einem bürgerlichen Job gekommen.

    Um das Altenheim zu erreichen, brauchte Decker nur knapp zehn Minuten, obwohl er zu Fuß ging. Freddys Auto hatte er gar nicht benutzt, um der Polizei die Suche nach ihm nicht unnötig zu vereinfachen. Ausgeruht und unter dem Namen seines Freundes zumindest zeitweilig in Sicherheit, sah die Welt für ihn schon wieder viel freundlicher aus. Beschwingt eilte er durch eine gepflegte Gasse Klosterburgs, in der etliche der Geschäfte für gutbetuchte Kunden ein hochwertiges oder wenigstens teures Warenangebot bereithielten. Genau die Art von Sortiment, die einem Mann seines Berufsstandes zu nächtlichen Besuchen inspirieren konnte.

    Die Straße mündete in einen ansehnlichen Platz mit der breiten, weißen Fassade des Altersheims auf der anderen Seite. Dazwischen, unter einer Gruppe hoher Kastanien, hatten sich zahlreiche ältere Menschen versammelt, anscheinend die vorübergehend evakuierten Heimbewohner. Weiter hinten an einem großen Löschfahrzeug sorgten Feuerwehrleute gerade dafür, dass ein paar Schaulustige dem geräumten Gebäude nicht zu nahe kamen.

    Decker mischte sich unter die Leute und versuchte ein paar Gesprächsfetzen aufzuschnappen. Nach dem was er hörte, schien kaum jemand ernsthaft beunruhigt zu sein. Vier grauhaarige Männer, einer davon in Filzlatschen und Bademantel, hatten es sich auf den Parkbänken gemütlich gemacht und spielten seelenruhig Karten. Andere schauten zu und ein Mann mit einer altmodischen Hornbrille, der seinen Körper auf eine lange Krücke stützte, versorgte die Spieler lautstark mit Ratschlägen.

    „Hallo, junger Mann", wurde Decker plötzlich energisch von hinten angesprochen, „Sie versperren mir

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