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Leukoplastbomber und Gelati
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eBook356 Seiten4 Stunden

Leukoplastbomber und Gelati

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Über dieses E-Book

Das Buch „Leukoplastbomber und Gelati“ handelt in den „Fünfzigern“ als es fast schon ein Abenteuer war, mit dem Auto oder dem Motorrad über den Brenner zu fahren, um in einem Zweimannzelt, den lang ersehnten Campingurlaub in Italien zu verbringen.

Das Buch erzählt die Geschichte von Schule, Freundschaft, Lausbubereien und einer unvergessenen und wundervollen Kindheit.

Otto Witte hat in seinem dritten Buch, wiederum mit viel Humor sowie einer kräftigen Portion Selbstironie - aber auch mit Teilen sentimentaler Beschaulichkeit, einen weiteren Teil seines Lebens niedergeschrieben.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum16. März 2013
ISBN9783848291526
Leukoplastbomber und Gelati
Autor

Otto Witte

Otto Witte, 1943 in Augsburg geboren, war fast vierzig Jahre Beamter einer Berufsfeuerwehr. Inspiriert von seinen Erinnerungen, sowie durch Ermunterung von Freunden und Kollegen, schrieb er nach einigen Kurzgeschichten sein erstes Buch –„ Feuerwehrleute - ...jeder Mann eine Glanznummer.“ Otto Witte ist Vater von zwei Kindern und lebt mit seiner Frau im Rheingau-Taunus-Kreis.

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    Buchvorschau

    Leukoplastbomber und Gelati - Otto Witte

    Witte

    1

    …..Pecos Bill hetzte auf seinem Schimmel am Ufer des Yukon entlang und Marco Polo kämpfte in Knickerbockerhosen und mit einem karierten Barett auf dem Kopf todesmutig mit einem einbeinigen Piraten. Ich selbst ritt auf einem Maulesel in wildem Galopp über eine angelegte Gangway, direkt auf das Deck eines wurmstichigen Schaufelraddampfers und versteckte mich hinter einer, mit Goldnuggets vollgepackten Holzkiste. Im Krähennest des Schiffes stand Alaska Kid und kratzte herzerweichend auf einer ebenfalls leicht wurmstichigen Fidel herum. Kurz bevor der schießwütige Schurke das Ufer erreicht hatte, begann sich das Schaufelrad des Dampfers langsam zu drehen und das Schiff verlies unter zurücklassen von schmutzigem, schäumendem und aufgewühltem Flusswasser die Anlegestelle von Dawson City.

    Mit einer schwarzen Klappe über dem rechten Auge, einem Dreispitz auf dem Kopf und einem rostigen Eisenhaken am Unterarm stand mein Klassenlehrer „Scholli an dem riesigen hölzernen Steuerrad und fuchtelte mit meinem Zeugnisheft in der Luft herum. Dabei schrie er ständig: „Witte du elender Hohlkopf, alles Vierer, alles Vierer. Dann zog er an einer Leine, und mit einem schaurigen „Tuut, Tuut, Tuut" aus dem Nebelhorn, entschwand das Schiff in dem, über dem Strom liegenden, morgendlichen Dunst …

    Pitschnass geschwitzt schreckte ich auf und sah mich erst einmal verwirrt um. Zu meiner Erleichterung lag ich sicher und wohlbehalten in meinem engen Patentklappbett und dachte nur noch erleichtert: „Was für ein Glück - ich habe alles nur geträumt"

    Seltsamerweise hörte ich jedoch noch immer das unheimliche „Tuut, Tuut, Tuut" des Nebelhorns und das durchdringende Gekrächze der angefaulten Fidel.

    Das Schiff musste in der Zwischenzeit unsere Küche erreicht haben, denn diese Geräusche kamen eindeutig aus diesem Bereich unserer Wohnung.

    Ich sprang eilig aus meinem Bett und raste, verschwitzt, wie ich war, in die Küche.

    Der Anblick, der sich mir bot, war überwältigend.

    Mein Vater hatte das etwa fünfzig Zentimeter lange Rohr – das zum trocknen von Handtüchern, am Küchenherd angebracht war – abmontiert und blies darauf - mitten in der Küche stehend, in langen Unterhosen – die von mir bereits im Traum gehörten schauderhaften Töne. Meine Mutter saß am Küchentisch und hielt sich mit entsetztem Gesicht die Ohren zu.

    „Was ist denn hier los? fragte ich wiehernd. Mein Vater setzte das Rohr ab und grinste. „Ich blase zum Gegenangriff. Jetzt wusste ich prompt, was los war. Zuverlässig wie jeden Sonntagmorgen hatte der mit seinen Eltern unter uns wohnende Peter Schlupp pünktlich um 8:15 Uhr begonnen, seine Geige zu foltern.

    Die dünne Decke zwischen den zwei Neubauwohnungen konnte nicht verhindern, dass das fürchterliche Gekratze von Peters „Kolophonium gestütztem" Katzengejammer laut in unsere Wohnräume vordrang. Mein Vater behauptete sogar, unsere Wohnung wäre so hellhörig, dass man deutlich wahrnehmen könnte, wenn Frau Schlupp gerade einen Zwieback kauen würde.

    Nachdem von unten, wiederholt erfolglose Versuchsballons gestartet wurden, der „Stradivari für Unbegabte" wenigstens einige annehmbare Töne zu entlocken, setzte mein Vater erneut seine stählerne Rohrposaune an den Mund und blies mit dicken Backen und hochrotem Kopf erneut zum Angriff.

    Als meine Schwester jetzt mit verschlafenen Augen in der Küche anrückte, hatte Peter Schlupp - anscheinend gelähmt von der ungeheueren akustischen Attacke meines Vaters - seine Streicherübungen eingestellt. Meine Schwester behauptete die „Trompeten von Jericho" wären gegen das gewaltige Getöse unseres Vaters wie das Flötenkonzert von Sanssouci gewesen.

    *

    Nach dem Mittagessen ging ich mit meinem Freund Jürgen Bubler in unser Stammkino „Silva und sah mir- auf einem der zehn ausklappbaren, knochenharten Notsitze, für fünfzig Pfennig Eintrittsgeld - den Film „Dick und Doof in der Fremdenlegion an. Als ich Jürgen vorjammerte, dass mir auf dem harten Sperrholzstuhl fürchterlich der Hintern wehtäte, meinte der nur gelassen: „Für fünf Groschen kannst du für deinen dürren Arsch keinen Ohrensessel verlangen."

    Nach der Vorstellung raste ich mit Jürgen und dem Rest meines Taschengeldes in Höhe 1.50 DM in die Bleichstraße, um mir im Astoria mit Jürgen noch den Film „Herr des Wilden Westens" mit Errol Flynn anzusehen.

    Als wir am Kino ankamen, konnten wir an der Anzeige über der Kasse erkennen, dass der Hauptfilm noch nicht angefangen hatte. Wir erstanden für je 1.25 DM zwei Eintrittskarten. Von dem mir noch verbleibenden Rest von fünfundzwanzig Pfennigen, kaufte ich noch eine Rolle Drops und zwei bereits knochenharte Karamellriegel. Damit hatte ich mein gesamtes wöchentliches Betriebskapital total auf den Kopf gehauen.

    Unter lautstarkem Protest der bereits sitzenden Zuschauer stolperten wir im dunklen Kinosaal über etliche Beine, zu unseren Sitzplätzen.

    „Eh du Blödmann, zieh ganz schnell deinen Nischel ein, ich sehe sonst nichts röhrte Jürgen seinem Vordermann ins Ohr. Der war über den verbalen rückwärtigen Angriff so erschrocken, dass er schlagartig in seinem Sitz nach unten rutschte und nun nur noch seine Haarspitzen über der Rückenlehne zu sehen waren. „Siehst du, es geht doch du Armleuchter knurrte Jürgen und machte es sich in seinem Sitz bequem.

    Jetzt zeterte ein älterer Westernfreund, der hinter Jürgen saß, stinksauer: „Nimm deinen Eierkopf aus der Richtung, oder meinst du ich hätte Eintrittsgeld bezahlt, um mir deine Glühbirne von hinten anzugucken".

    Nachdem Jürgen kleinlaut nach unten gerutscht war, gab es endlich Ruhe auf den billigen Plätzen.

    Nach dem Rest des „spannenden" Vorprogrammes über die „Käseherstellung in Holland begann mit einem dreifachen Gong und einem allgemeinen „Aaah und Oooh endlich der Hauptfilm.

    Die Rolle Drops und die zwei karamellisierten Plompenzieher hatten wir bereits vernichtet, ehe Errol Flynn überhaupt nur einen Schuss abgefeuert hatte.

    *

    Bevor ich mit Jürgen Bubler und Volker Poppel am Montagmorgen zur Schule trabte, kupferte ich unter der Kellertreppe noch schnell die Hausaufgaben aus Volkers Rechenheft ab.

    Als wir kurze Zeit später durch die Kastanienallee, in Richtung Aßmannshäuser Straße stromerten, kam gerade unser Klassenlehrer - genannt Scholli – wie immer begleitet, von Friedrich Hundt, unserem Klassenbesten, die Niederwaldstraße hochgelatscht. Friedrich schleppte auch heute wieder mit hochrotem Kopf, die mit achtundvierzig, übers Wochenende korrigierten Schulheften und zahlreichen Lehrbüchern vollgepackte Aktentasche, unseres Lehrers.

    „Kein Wunder das dieser Liebediener immer die besten Noten bekommt maulte Jürgen leise vor sich hin. „Außerdem lässt sich der Scholli im Friseurladen von Friedrichs Vater alle drei Wochen kostenlos die Haare von der Rübe scheren. Da kann man leicht Klassenerster werden fügte ich gehässig hinzu.

    Eigentlich hieß unser Klassenlehrer „Georgi. Da er, wenn er aufgebracht war, oder wenn ein Schüler nicht so funktionierte, wie er das wollte, laut herumschrie: „Mein lieber Scholli, mein lieber Scholli hatte er schnell seinen Spitznamen weg.

    Scholli war mittelgroß und von kräftiger Figur, hatte störrige, grau melierte – mit viel Pomade glatt nach hinten gebändigte Haare - einen sorgfältig gezogenen Mittelscheitel und durch seine herabhängenden Augenlieder, einen extrem ausgebildeten Schlafzimmerblick. Am meisten faszinierten mich jedoch, die grauen Haarborsten, die ihm wild aus seinen Ohren und Nasenlöscher wuchsen.

    Um Scholli und Friedrich Hundt an uns vorbei zu lassen, ohne von ihnen gesehen zu werden, verdrückten wir uns vorsichtshalber hinter einer dicken Kastanie und warteten ab, bis die zwei außer Sichtweite waren.

    „Ehe ich diesem Arschpauker die bleischwere Aktentasche schleppe, hacke ich lieber Holz fürs Altersheim" belferte Volker Poppel und tippte sich vielsagend an die Stirn.

    Am Schreibwarenkiosk kaufte sich Jürgen, für zwanzig Pfennige noch das neue „Akim Heftchen" und sicherte mir, mit den imitatorisch galligen Worten von Scholli zu: „Wenn ich das „Schundheft" ausgelesen habe, können wir gegen dein Sigurdheftchen tauschen. „Klar doch grinste ich erfreut und hoffte darauf, dass Jürgen das Heft wie immer, während des Unterrichts unter der Bank lesen würde. Umso schneller käme ich nämlich in den Genuss dieser dramatischen Bildergeschichte aus dem Dschungeldasein des druckfrischen Tarzanersatzes „Akim.

    Da „Zuspätkommen" meist unangenehme Konsequenzen nach sich zogen, strömten jetzt, aus allen Himmelsrichtungen die letzten Schüler und Schülerinnen im Sturmschritt der „Knaben - und Mädchenschule zu.

    „Guten Morgen Herr Lehrer Wie auf Kommando waren alle Schüler beim Eintreten von „Scholli von ihren Stühlen aufgesprungen, und hatten ihren Morgengruß dem Lehrer entgegengeschmettert.

    Scholli knallte seine Aktentasche auf das Pult und brüllte: „Setzen, um eine Minute später zu befehlen: „Aufstehen Mit jetzt leiser und süffisanter Stimme säuselte er: „Wir singen zu Beginn des Unterrichtes das „Westerwaldlied Die erste Strophe singt uns Witte vor.

    Ich dachte noch: „Komisch, den Friedrich Hundt nennt er immer beim Vornamen". Dann trällerte ich aber sogleich los:

    „O du schöner Westerwald!

    Über deinen Höhen pfeift der Wind so kalt….."

    Beim Refrain blökte mir Horst Bredeberg so lauthals ins Ohr, dass es auch Scholli noch hörte:

    „O du schöner Westerwald,

    wo der Furz im Hemde knallt"

    Scholli raste wie von einer Tarantel gestochen durch die Bankreihe, und scheuerte Horst Bredeberg gewaltig eine gegen die Backe und schrie „So du unflätiges Früchtchen jetzt spürst du, wem im Westerwald etwas im Hemde knallt".

    Nachdem die Klasse mich bei den restlichen zwei Strophen, artig unterstützt hatte, donnerte Scholli: „Setzen - Rechenhefte raus" Demonstrativ legte er seinen dünnen Rohrstock vor sich auf den Tisch und fragte aalglatt grinsend: „Na, wer von euch Faulpelze gibt freiwillig zu, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat?"

    Diesen Trick kannten wir schon zu genüge.

    Derjenige, der sich aus „freien Stücken" meldete, bekam mit dem Bambusrohr nur zwei kräftige Schläge aufs Hinterteil. Wehe aber dem, der bei den anschließenden Stichproben als Nichtstuer erwischt wurde. Über die Bank gelegt, bekam der Delinquent sechs äußerst schmerzhafte Hiebe über den stramm gespannten Hosenboden gezogen.

    Nachdem sich wie so oft, keiner freiwillig gemeldet hatte, ging Scholli zielstrebig auf Herbert Reh zu: „Reh, Heft raus. Zeig mal her, was du übers Wochenende so verzapft hast."

    Herbert Reh der käseweiß und bibbernd in seiner Bank saß, stotterte leise: „Herr Lehrer, ich habe leider mein Heft versehendlich zu Hause vergessen."

    Mit starrer Miene zerrte Scholli den zitternden Herbert aus der Bank und zog im die üblichen sechs Schläge über den Hintern. Als Herbert mit den Händen versuchte, die Hiebe abzumildern, gab es als portofreie Zugabe, noch zwei Schläge extra. „Ich beschwere mich beim Bundeskanzler Adenauer" heulte Herbert Reh und verdrückte sich, nachdem er noch eine kräftige Kopfnuss einkassiert hatte, schnell auf seinen Platz.

    Trotz intensiver Nachforschung erwischte Scholli an diesem Tag keinen Schüler mehr, der seine Aufgaben nicht vorweisen konnte.

    Ich war heilfroh, dass ich die Rechenaufgaben morgens noch schnell bei Volker Poppel abgeschrieben hatte.

    2

    Mama, Maamaa" Ich stand an den Mülltonnen und schaute zu unserer Wohnung hoch und wartete darauf, dass meine Mutter auf mein Rufen reagieren und sich am Fenster zeigen würde. Aber erst, als ich unser Familienerkennungssignal – die Anfangstakte von dem Lied „Am Brunnen vor dem Tore" pfiff, erschien meine Mutter auf dem Balkon. „Was gibt denn? Ich deutete auf meinen Bauch und rief: „Ich habe Hunger. Wirf mir doch bitte ein doppeltes Senfbrot runter. (Senfbrot war schlicht und einfach, eine mit Margarine und Senf bestrichene Scheibe Brot.)

    Meine Mutter nickte ergeben, und verschwand wieder in der Wohnung.

    Fünf Minuten später stand sie mit dem dick in Zeitungspapier eingepackten Brot wieder am Balkongeländer. „Ottochen fang auf" und schon segelte das Senfbrot aus dem dritten Stock in Richtung Mülltonne.

    „Pass auf, ich habe dir noch fünfzig Pfennige mit beigelegt. Gehe zum Kannengieser und lass dir die Haare schneiden." rief sie hinterher.

    „Ooch, wieso denn, die sind doch noch kurz genug" maulte ich und packte Brot und Geld aus dem Zeitungspapier aus.

    „Keine Widerrede, du machst jetzt, was ich dir sage. Du siehst ja am Kopf aus wie der alte Tulpenstiel." (Tulpenstiel war angeblich ein Künstler aus den zwanziger Jahren, der seine Haare aus Protest gegen die sogenannten Spießbürger lang wachsen lies.)

    Missmutig trottete ich also in die Hallstraße und setzte mich im Friseurladen, auf einen der harten und unbequemen Holzstühle, und wartete, bis der „Kannengieser" über mich herfiel.

    Da außer ein paar uralten, zerflederten Zeitungen aus dem Lesezirkel, nichts zur Ablenkung da war, wartete ich geduldig, bis ich an die Reihe kam.

    Ich beobachtete misstrauisch, wie der Friseurmeister Kannengieser den Kopf eines älteren Mannes bearbeitete.

    Alle paar Minuten hielt er die Schere in die Höhe und schnippelte dabei unentwegt weiter, so als wolle er die Luft um ihn herum gleich mitschneiden.

    Ich hoffte inständig, dass ihm bei seiner Arbeit vielleicht der Kamm oder die Schere abbrechen würde und ich somit, sprichwörtlich „ungeschoren" wieder abhauen könnte.

    Zu meinem Bedauern, blieben Kamm und Schere heil und mit einem galanten: „Der Nächste bitte" komplimentierte er mich auf seinen Folterstuhl. Zuvor hatte er jedoch noch schnell das vom Vorgänger warm – und durchgesessene lederne Sitzpolster umgedreht. Ich schaute mich vorsichtshalber doch noch einmal um, ob vielleicht ein anderer Kunde meinen Platz einnehmen könnte – aber leider war außer dem alten Kannengieser und seinem in der Mauser befindlichen Wellensittich, kein anderes Lebewesen in dem Laden zu entdecken.

    Nachdem der unheimliche „Barbier von Sevilla mir schwungvoll ein schwarz – weiß gewürfeltes Handtuch umgehängt hatte, fragte er: „Na Kurzer, wie soll’s denn sein?

    „Für fünfzig Pfennig. Aber nicht so, dass ich anschließend aussehe, wie Ihr federloser Wellensittich" knurrte ich leise und zog ängstlich das Genick ein.

    Herr Kannengieser setze seine handbetriebene Haarschneidemaschine an und scherte mir vom Hals aufwärts, rücksichtslos und oft schmerzhaft zwickend die Haare ab, sodass nur noch ganz oben der Bewuchs stehen blieb.

    Dieser Haarkünstler nannte es eine „Rasur bis zur Baumgrenze. Sie müssen Ihren Glatzenhobel endlich einmal zum Scherenschleifer bringen. Sie reißen mir mit dem Mistding ja die ganzen Haare aus moserte ich verzweifelt. Meister Kannengieser lies sich von meinem Gejammer jedoch nicht im geringsten beeindrucken und schnippelte unbarmherzig weiter. Zum krönenden Abschluss sprühte er mir noch ein fürchterlich stinkendes und unangenehm beißendes Haarwasser auf meinen, gewissermaßen baumlosen Kürbis. Danach hielt er mir von hinten einen Spiegel zur Begutachtung hin. „Recht so? fragte er in bester Laune. Ich sah erschrocken auf das Resultat seiner Arbeit und schimpfte schrill: „Das ist ja eine Totalabholzung. Waren Sie früher mal Wanderschäfer? Ich sehe ja an der Glocke aus wie Karl der Kahle Ich knallte ihm die fünfzig Pfennige auf den Frisiertisch und verlies stinksauer den Ort meiner Verunstaltung.

    „Halt rief der „Glatzenschneider hinter mir her, „mein Umhang ist nicht im Preis inbegriffen, den brauche ich noch."

    Ich riss mir, das immer noch um meine Schulter hängende Handtuch herunter, und schleuderte es wütend in den Laden. „So ein Holzkopf, der wäre besser Bäcker geworden, da könnte er den Knorz, den er verzapft wenigstens auffressen" nuschelte ich zornig, und trabte eilig nach Hause.

    Als mir, in der Niederwaldstraße dann noch Onkel Paul begegnete und mich fragte, ob sie mich in der Schlosserei Menkes in die Drehbank eingespannt und mir den Kolektor sauber abgedreht hätten, war ich endgültig bedient.

    *

    „Ottochen komm zum Nachtessen rief meine Mutter aus der Küche. Da ich richtig Kohldampf hatte, legte ich mein Buch Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer" zur Seite setzte meine Skimütze auf und marschierte in die Kombüse.

    Seit ich die Lesebekanntschaft mit Kapitän Nemo und seinem Unterseeboot Nautilus gemacht hatte, schlief ich nicht mehr im Bett sondern in meiner Koje. Wenn ich vom Spielen nach Hause musste, ging ich auf die Brücke und zum Abendessen suchte ich infolgedessen nicht die Küche, sondern die Kombüse auf.

    Meine Schwester Ursula meinte zwar, ich hätte einen Dachschaden, aber ich lies mich dadurch nicht beirren.

    Als ich mich auf meinen Platz setzte, fragte mein Vater: „Hast du Spatzen unterm Filz? und deutete auf meine Skimütze. „Ich gehe doch so nicht unter die Leute antwortete ich griesgrämig und zog meine Mütze vom Kopf.

    „Bist du aus Versehen unter einen Mähdrescher geraten fragte mein Vater entgeistert, als er meinen Haarschnitt sah. „Wer hat dich denn so zugerichtet?

    „Frag Mama, die hat mich ja schließlich zu dem bematschten Kannengieser geschickt."

    „Sieht wirklich Klasse aus, gab meine Schwester ihren Senf dazu. „Jetzt wo deine Ohren frei sind, kannst du ja von der Nautilus auf einen Dreimastschoner wechseln, dann können die sich nämlich die Segel sparen. Ich tippte mir an die Stirn: „Ha, ha sehr geistreich."

    Mein Vater blödelte. „Der Kannengieser hat 1914/18 sicher als Friseur beim Kommiss gearbeitet. Da war so ein Kahlschlag der allerneueste Schrei".

    „Der Blödmann kann sich ja beim Bundeskanzler melden. Der will ja bald wieder Soldaten einführen. Da kann er dem alten Conrad ja schon mal probeweise die Haare abkrotzen." moserte ich noch immer aufgebracht.

    Nach dem Abendessen verdrückte ich mich wieder in das Zimmer, das ich mir mit meiner Schwester teilte, und erkundete erneut mit der Nautilus die unendlichen Weiten der Weltmeere.

    Mit Bammel dachte ich vor dem Einschlafen, an die Frotzeleien meiner Klassenkameraden, wenn ich am nächsten Morgen mit meiner neuen Haartracht in der Schule einlief.

    Es war dann aber gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Es war sogar ein recht angenehmer Schultag.

    Erstens war ich nicht der einzige der am Vortag bei Kannengieser war, zweitens hatte sich Scholli wegen eines üblen Durchfalls kränklich gemeldet und drittens, war ab der dritten Stunde ein Film angesagt.

    Hinsichtlich von Schollis Durchfallerkrankung, hielt sich unantastbar das Gerücht, Herbert Reh hätte ihm am Vortag während der großen Pause ein Abführmittel in die Thermosflasche geschüttet.

    Herbert Reh beteuerte inständig, er hätte mit Schollis „Dünnschiss" nichts zu tun. Trotz dieser Unschuldsbeteuerungen klopfte jeder aus unserer Klasse, Herbert immer wieder wohlwollend auf die Schulter - und das solange, bis der selbst glaubte, er wäre es gewesen.

    Die ersten zwei Stunden hatten wir bei Frau Kluck „Sozialkunde und Rechnen Nach der Pause ging es dann in die Aula zur angesagten Filmvorführung „Unterwegs in Afrika - von und mit Helmut Knorr.

    Als unser Rektor, wie immer in dunkelblauem Anzug, weißem Hemd und gestreifter Krawatte, die Aula betrat, wurde es schlagartig still im Raum.

    Rektor Graf stolzierte kerzengerade durch den Mittelgang und stellte sich direkt vor die Kinoleinwand. „Ich darf den Afrikareisenden Herrn Helmut Knorr recht herzlich in unserer Lehranstalt begrüßen. Herr Knorr wird uns in einem, von ihm selbst gedrehten Film seine ereignisreiche Expetition ins Innere des schwarzen Kontinents vorführen. Ich erwarte, dass äußerste Ruhe im Saal herrscht und jeder Schüler diesen Film aufmerksam verfolgt. Ich habe die Klassenlehrer bereits angewiesen, über diesen Film einen Aufsatz schreiben zu lassen. Herr Knorr wird vor Beginn noch einige Worte an euch richten. Ich wünsche viel Vergnügen."

    Helmut Knorr trat nun vor die Leinwand, bedankte sich bei Rektor Graf für die einleitenden Worte und klärte uns schon einmal, in gekürzter Form, über das bevorstehende Filmereignis auf.

    Herr Knorr war ein großer, braungebrannter, breitschultriger Mann mit langen schwarzen welligen Haaren und einem säuberlich gestutzten Kinn – und Oberlippenbart. Ein bisschen erinnerte er mich an Hans Hass den bekannten Taucher und Unterwasserforscher. Ich dachte: „Hat der ein Glück, das er nicht dem ollen Kannengieser in die Hände gefallen ist."

    Nachdem der Afrikareisende Knorr seinem Mitarbeiter am Filmprojektor ein Zeichen gegeben hatte, wurde das Licht in der Aula abgedunkelt und ratternd lief das Vorführgerät an. Der Film begann in Südfrankreich - im verschneiten Hafen von Marseille. Der Geländewagen von Helmut Knorr wurde auf einen Trawler verladen und an Deck ordentlich festgezurrt.

    Nachdem die Expetitionsteilnehmer an Bord waren, stach das weiße Frachtschiff mit Sirenengeheul und aufschäumenden Heckwasser – mit Kurs auf den Atlantik - ins winterliche Mittelmeer.

    Über Tanger und Casablanca, vorbei an den Kanarischen Inseln, pflügte der Trawler durch die aufgewühlte See Richtung Dakar an der westafrikanischen Küste.

    Von Dakar aus fuhr Helmut Knorr dann mit dem Jeep durch die Wüste und Steppe Westafrikas, mitten hinein ins Herz des schwarzen Kontinents. Auf seiner Fahrt überquerte er auf altersschwachen Fähren und über hinfällige Holzbrücken, Bäche und Flüsse, besuchte Eingeborenendörfer, beschenkte dort die Kinder mit kleinen mitgebrachten Gaben und schlich sich zum Filmen, todesmutig an so manches wilde Tier heran. Als an einem morastigen Flussufer dann noch der Vorderreifen von Helmut Knorrs Auto, von einem Pfeil durchbohrt wurde, entwickelte sich im Filmvorführraum eine beachtliche Unruhe.

    Ich dachte für mich; „Spätestens jetzt müsste eigentlich Jonny Weißmüller im Lendenschurz und mit Äffchen Cheeta auf dem Buckel durch den Bambus flitzen, um Herrn Knorr, vor dem Angriff erbarmungsloser Watussikrieger zu schützen."

    Nichts von alledem passierte. Nicht einmal John Wayne und die Kavallerie kamen mit Trompetengeschmetter und flatternden Fahnen am Horizont angaloppiert.

    Wer den Pfeil in den Reifen des Geländewagens geschossen hatte, blieb unaufgeklärt. Helmut Knorr wechselte lediglich, mittels Wagenheber und Radkreuz den defekten Reifen, und gondelte dann schwitzend, und ohne weitere nennenswerte Ereignisse weiter – bis nach Timbuktu.

    Auf welchem Weg der Forscher wieder nach Deutschland zurückkam, blieb in dem Film offen.

    Der Projektor ratterte, wurde auf einmal lauter, auf der Leinwand erschienen plötzlich Punkte, Sterne und Striche und mit einem klatschenden Geräusch verließen die letzten Zentimeter Filmmaterial das Vorführgerät.

    Die Mahnung unseres Rektors, den Film aufmerksam zu verfolgen, wäre gar nicht nötig gewesen.

    Alle Schüler hatten gebannt diesem wirklich spannenden und bemerkenswerten Film zugeschaut – außer Herbert Reh – der war eingeschlafen.

    Herr Löwenstern, der neben Herbert saß, räusperte sich leise und schüttelte den Schläfer sanft an der Schulter.

    Herbert riss die Augen auf und sah den Lehrer erschrocken an. Der tat aber so als habe er gar nichts bemerkt, und sah in eine andere Richtung. Der von allen Schülern geliebte und geachtete Lehrer wusste, dass Herbert nicht aus Langeweile oder Interesselosigkeit eingenickt war.

    Herberts Vater war ein „Kriegsblinder" der mühsam versuchte mit seiner kleinen Rente, die vierköpfige Familie mehr schlecht, wie recht, über die Runden zu bringen.

    Herbert trug morgens, schon lange vor Schulbeginn, Zeitungen und Brötchen aus und begleitete seinen Vater, wenn dieser – um die Haushaltskasse der Familie etwas aufzubessern - mit einer alten auf einem Kinderwagenchassis montierten Drehorgel durch die Wiesbadener Hinterhöfe zog.

    „Da darf so ein elfjähriger Bub ruhig schon mal müde sein" murmelte Herr Löwenstern leise und betrübt vor sich hin."

    Ich hatte es trotzdem gehört, und dachte für mich: „Der Scholli hätte sicher wieder seinen Rohrstock tanzen lassen."

    Als ich die Aula mit den anderen verlassen wollte, hielt mich Herr Löwenstern zurück, nahm mich um die Schulter und sagte mit gedämpfter Stimme: „Otto, ich würde mich freuen, wenn du dem Herbert beim Nacherzählen des Filmes behilflich sein könntest – so und jetzt zittere ab."

    Eine Woche später bekamen wir vom „Löwen die Aufsätze korrigiert und benotet zurück. Obwohl Herberts Arbeit – einschließlich diverser Fehler – der meinen fast aufs Haar glich, hatten wir beide eine glatte „Zwei bekommen.

    Beim Verteilen der Hefte hatte mir Herr Löwenstern schmunzelnd zugeflüstert: „Gut gemacht Otto. Das geht aber nicht immer so, Ihr zwei Heringsbändiger".

    Seit diesem Erfolgserlebnis wollten Herbert und ich, nach der Schulzeit, so schnell wie möglich „Entdecker" werden und mit einem Kanu wagemutig den Blauen Nil und den Sambesifluss bis zu den Quellen erkunden.

    Leider erstreckte sich unser angestrebtes Abenteurerleben vorerst nur auf vertraute Gewässer wie Rhein, Lahn und das Becken des städtischen Schwimmbades.

    (Herbert Reh wurde später Augenoptiker und ich Feuerwehrmann.)

    Den Nil und den Sambesi haben wir beide nie gesehen.

    3

    Ich gehe mal auf die Schnelle zu Bleistein`s, ob die was Neues reinbekommen haben" sagte ich meiner Mutter nach dem Mittagessen.

    „Da kannst du dir noch zwei Stunden Zeit lassen, die öffnen erst um fünfzehn Uhr" klärte mich meine Mutter auf.

    Herr und Frau Bleistein betrieben in den Souterrainräumen eines Altbaues in der Erbacher Straße eine kleine Leihbücherei, in der es für dreißig Pfennige aufwärts pro Woche interessante Bücher zum ausborgen gab.

    Das Ehepaar waren zwei sehr freundliche und liebenswerte Menschen. Sie amüsierten sich immer köstlich, wenn ich nach langem stöbern in den Regalen, doch nicht das passende Buch fand, oder ich innerhalb von einer Woche, zum zehnten Mal nach der angekündigten Neuerscheinung der „Fünf Freunde" von Enid Blyton fragte.

    Herr Bleistein empfahl mir dann – meistens zu meiner Zufriedenheit – vergleichbaren Ersatzlesestoff.

    Wenn ich – was häufig passierte – die Ausleihfrist überschritten hatte, spekulierte ich immer darauf, dass Herr

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