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Die Hexe von Rodenbach
Die Hexe von Rodenbach
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eBook321 Seiten4 Stunden

Die Hexe von Rodenbach

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Über dieses E-Book

Rodenbach in den Jahren 1605 bis 1628. Das Dorf leidet unter der großen Pest und den Auswirkungen des 30jährigen Krieges mit Tod und Verwüstung. Außerdem ist es die hohe Zeit des Hexenwahns, von dem auch Rodenbach nicht verschont bleibt. Ein Dorf kämpft ums Überleben. Der spannende Roman spielt in dieser Zeit und basiert auf der wahren Geschichte Rodenbachs, des kleinen Dorfes im Kinzigtal in der Nähe der Festung Hanau.

Alle Gegebenheiten entsprechen den Tatsachen, wie sie von Historikern an Hand der Kirchenunterlagen zusammengetragen und veröffentlicht wurden.

Der Autor schildert das Leben von Agnes, der Schustertochter, vor diesem Hintergrund. Agnes ist die Heilerin von Rodenbach und kämpft hier gegen die große Pestepidemie, rettet viele Menschen und hat auch große Verluste. Sie selbst ist unglücklich verliebt und widersteht allein allen Schwierigkeiten. Sie erlebt die Flucht der Rodenbacher nach Hanau, den Beginn des 30jährigen Krieges sowie die Intrigen eines grausamen Widersachers. Agnes hat wirklich in Rodenbach gelebt. Die geschilderten Örtlichkeiten wie Hanau, Oberrodenbach, Somborn, Hof Trages entsprechen den Tatsachen.

Lassen Sie sich in Rodenbachs echte Vergangenheit entführen. Sie werden gefesselt sein. Das große Sterben, Mord, Vergewaltigung, Vertreibung, Liebe und Verzweiflung werden Sie in ihren Bann ziehen.

Agnes, die Heilerin, wird Ihnen ans Herz wachsen und Sie werden mit ihr leben, lieben und leiden. Ein Buch, das Sie nicht mehr aus der Hand legen wollen, bis Sie Agnes’ ganzes Leben erfahren haben.

Ein historischer Roman aus der Dunkelheit des beginnenden 17. Jahrhunderts mit Pest, Krieg und Hexenwahn.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum15. Aug. 2014
ISBN9783735768247
Die Hexe von Rodenbach
Autor

Ignatz Basile

Ignatz Basile, geb. 1951, beschäftigte sich schon früh mit der Fotografie. Er veröffentlichte zwei Bildbände über die Schildkröten der Welt, die europaweit verkauft wurden. Weiterhin war er in den Jahren 2003 und 2004 zusammen mit seinem Sohn Herausgeber des ersten deutschen Schildkröten-Fachmagazins. Zwei Kalender mit seinen Fotos erschienen in verschiedenen Verlagen. Im Jahre 1996 erschien dann sein erstes Kinderbuch „Testudo und Fennek“. Das zweite folgte 2007 „Testudo und Funny“. Im Jahre 2013 erschien sein drittes Kinderbuch „Celina und Alessa“ mit Bezug zu seinem Heimatort Rodenbach. 2014 erschien sein erster Roman „Die Hexe von Rodenbach“. Nach dessen großem Erfolg liegt nun die Fortsetzung vor: „Margaratha (die Tochter der Hexe) und der schwarze Reiter“.

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    Buchvorschau

    Die Hexe von Rodenbach - Ignatz Basile

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 1

    Rodenbach im Kinzigtal im Jahre 1601

    Es war Juli und es war ein sehr heißer Tag. Agnes, die Tochter des Schusters Conradt Bast, schlenderte die Hauptstraße entlang zum Obertor, dem oberen Ausgang aus dem Dorf, vorbei am Hirtenhäuschen, wo die Hirten des Dorfes wohnten und heute offenbar zu Hause waren, was Agnes nur unschwer überhören konnte.

    Am Ende der Straße hatte der Bauer Rießel seinen Hof. Der Sohn vom Bauern, der junge Hans, der eigentlich Johannes hieß, aber nur Hannes oder Hans gerufen wurde, war Agnes’ Freund. Er war im 17. Lebensjahr und ein großer, schlanker Junge mit langen braunen Haaren und braunen Augen. Agnes half ihm des Öfteren bei der Arbeit auf dem Hof. Hauptsächlich beim Hüten der Gänse. Die Familie des Bauern Rießel verband eine Freundschaft mit der Familie des Schusters Bast. Sie bildeten eine kleine Gemeinschaft, die sich gegenseitig bei der Bewirtschaftung der Höfe unterstützte, etwa bei der Heuernte oder bei der Beschickung des Hanauer Marktes mit den landwirtschaftlichen Erzeugnissen, wie Obst, Gemüse, Samen, Geflügel, Eiern und sonstiges. So hatte Schuster Bast auch nichts dagegen, dass seine Tochter Agnes den Rießels half, wenn sie am eigenen Hof entbehrlich war.

    Agnes war ein hübsches Mädchen mit langen, wilden, blonden Locken und hellblauen Augen. Sie war groß für ihr Alter und sehr dünn. Sie war im 15. Lebensjahr und ihre Figur zeigte bereits unübersehbare weibliche Formen. Trotzdem war sie noch sehr kindlich und half Hans gerne beim Gänsehüten. Da die Mädchen ansonsten immer im Haushalt helfen mussten, war dies eine willkommene Abwechslung im arbeitsreichen Alltag.

    Bauer Rießel hatte die Gänsemast vom Grafen von Hanau, Graf Philipp Ludwig II. gepachtet. Es war für den armen Bauern eine wichtige Einnahmequelle. Die Pacht war gering, nur wenige Gulden im Jahr. Das Gänsehüten war keine große Arbeit und konnte von Hans, seit er etwa 10 Jahre alt war, alleine neben der Schule ausgeführt werden. Der Bauer hatte keine weiteren Kinder.

    Die gemästeten Gänse konnten mit Gewinn verkauft werden, sowohl im Dorf als auch auf dem Markt. Auch das Gänserupfen mit dem Verkauf der Federn brachte etwas ein. Die Gänse wurden zweimal im Jahr gerupft und die Federn reichten für den Bedarf im Ort und es blieben noch genug über, um sie auf dem Markt anzubieten.

    An den meisten Tagen weideten die Gänse auf den Wiesen vor dem Dorf, nahe der Lehr, den gräflichen Waldungen in Richtung Buchberg. Dort und am Rodenbach fanden die Tiere Futter und Wasser und verursachten keine weiteren Unterhaltungskosten.

    Agnes drückte das schwere Holztor zum Rießel-Hof auf. Drinnen erwartete sie schon ein Riesenlärm der schnatternden Gänse. Hans lief wild gestikulierend durch die Gänseschar und versuchte, sie in den angrenzenden kleinen Garten zu treiben. Einige kleine Gruppen entkamen ihm immer wieder. Kreischend und flügelschlagend liefen sie auf Agnes zu.

    „Hallo Hans!, rief sie, „schaffst du es nicht alleine?

    „Die Viecher sind heute besonders aufsässig. Du kommst gerade richtig. Zu zweit schaffen wir es schneller."

    Agnes breitete die Arme aus und trieb die Gänse mit lauten Rufen vor sich her. Es dauerte eine ganze Weile, bis alle hinter dem Gatter im Garten waren und Hans dieses mit einem Seufzer der Erleichterung schließen konnte.

    „Warum treiben wir sie heute nicht auf die Wiese vor der Wehrmauer?", fragte Agnes.

    „Vater sagt, dass Plünderer in der Umgebung ihr Unwesen treiben. Keiner soll das Dorf alleine verlassen. Die Tiere müssen in den Ställen bleiben."

    „Woher weiß dein Vater das?", fragte Agnes.

    „Es waren wohl zwei Durchreisende gestern in der Gemeindeherberge, die berichteten von einer Gruppe von Plünderern, die in Meerholz und Somborn großen Schaden angerichtet haben. Es sollen sogar Bauern ermordet worden sein."

    „Das ist ja schrecklich", stöhnte Agnes erschrocken.

    „Ja, sagte Hans, „deshalb hat der Kirchenrat festgelegt, dass die großen Tore bis auf Weiteres geschlossen bleiben und die Wehrtürme sind Tag und Nacht mit unseren Schützen besetzt.

    „Ach deshalb sind die Hirten zu Hause und nicht auf den Feldern. Ich habe sie gerade lautstark palavern gehört, als ich am Hirtenhaus vorbeikam."

    „Ja, die haben es gut und müssen heute nicht arbeiten."

    „Wir aber auch nicht, was machen wir denn jetzt?", fragte Agnes.

    „Wir könnten rüber zur kleinen Mühle am Rodenbach gehen und dem Müller zusehen, oder wir hängen die Beine in den Bach und kühlen uns ein wenig ab. Wollen wir?"

    „Ja, zu Hause gibt es eh nur neue Arbeit für uns. Aber wie kommen wir durch die Wehrmauer?"

    „Das ist kein Problem. Solange sich draußen nichts tut, lassen uns die Torwächter am Obertor sicher durch", antwortete Hans.

    Beide gingen zum Obertor. Hans kannte einen der beiden Schützen und bat um Durchlass.

    „Aber passt auf euch auf. Geht nicht zu weit vom Dorf weg. Falls Gesindel auftaucht, kommt ihr sofort zurück", sagte einer der Wächter und ließ die beiden durch das kleine Tor neben dem großen Obertor.

    Die beiden gingen über die Brücke, die über den Wassergraben führte, in Richtung der kleinen Mühle. Übermütig rannten sie über die Wiesen und Weiden, wo sie normalerweise die Gänse hintrieben. Heute war hier niemand zu sehen. Auch die Schweine waren heute nicht nach draußen getrieben worden. Schafe waren auch nicht zu sehen. Die Lehr-Wiesen in Richtung Buchberg waren völlig verwaist.

    Hans und Agnes waren an ihrer Lieblingsstelle am Bach angekommen. Hier war der Rodenbach leicht versandet und breit und flach und gut begehbar. Überhitzt und abgetobt vom Rennen blieben die beiden stehen und rangen schwer atmend nach Luft.

    „Komm Agnes, wir setzen uns hin und hängen die Füße ins Wasser!"

    Beide zogen ihre derben Schuhe aus, setzten sich nebeneinander und streckten ihre Füße ins kalte Wasser. Hans hatte ohnehin kurze Hosen an und Agnes wickelte ihr Kleid hoch und entblößte ihre weißen langen Beine. Hans betrachtete sie ungeniert.

    „Du hast schöne Beine."

    „Ich weiß, sehr lang und sehr dünn und viel zu weiß", neckte Agnes.

    „Quatsch, sie sind wirklich schön, sie gefallen mir. Du gefällst mir."

    „Hör auf damit!", antwortete Agnes und errötete.

    „Es ist aber die Wahrheit", protestierte Hans und zog Agnes an den Schultern an sich heran.

    Agnes entwand sich seinem Griff und sprang lachend auf und rannte los in Richtung Wald. Hans rannte lachend hinterher. Agnes war allerdings sehr schnell mit ihren langen Beinen und Hans konnte sie nicht einholen.

    Bald hatte Agnes die ersten Bäume erreicht und plötzlich sah sie es! Eine Gruppe von Männern lagerte am Waldrand. Sie sahen verdreckt und wild aus, der Weinkrug wanderte von Hand zu Hand. Gerade hatte Agnes die Situation erfasst, da wurde sie von einem der Männer entdeckt. Dieser stand etwas abseits von der Gruppe und näher an Agnes als die anderen.

    Agnes war wie erstarrt.

    „Lauf los, komm zurück!", rief Hans, der inzwischen näher gekommen war und sah, was passierte.

    „Lauf endlich los!", rief er nochmals.

    Endlich wachte Agnes aus ihrer Erstarrung auf und lief los. Doch es war schon zu spät! Nach einigen Metern hatte sie der Mann eingeholt und riss sie zu Boden.

    „Ha, was haben wir denn da für ein Vögelchen?"

    Agnes schlug wild um sich und trat mit den Beinen und kreischte laut.

    „Au, hör auf, du Biest, du entkommst mir doch nicht", stöhnte der Widerling. Tatsächlich konnte sich Agnes nicht losreißen. Der Wilde war groß und hässlich mit einem struppigen Bart, langen wirren Haaren und Zahnlücken. Er roch nach Schweiß und stank aus dem Mund. Ein Albtraum! Agnes wurde es ganz schwindelig und sie versuchte, sich immer wieder loszureißen.

    Vergeblich.

    Der Bärtige riss sie hoch und zog die widerstrebende Agnes hinter sich her.

    „Stell dich nicht so an! Du bist doch schon alt genug. Wir werden viel Spaß mit dir haben. Es wird dir gefallen. Ha, ha, ha!" Er lachte widerlich.

    Hans sah alles mit an und auch er erwachte von seinem Schreck. Er hatte sich inzwischen hinter den ersten Bäumen versteckt. Er schlich sich näher ran. Sein Herz pochte wild und schlug bis zum Hals. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er musste etwas tun!

    Er sah direkt vor sich am Boden einen Ast liegen. Groß und schwer, geeignet als Knüppel! Hans konnte an nichts anderes denken, als dass seine Agnes in Gefahr war. Er hob den Knüppel auf und versuchte, ohne Geräusch an die biden ranzukommen. Agnes und der Große machten gottlob genug Lärm, so dass sich Hans heranschleichen konnte.

    Mit einer Mischung aus Angst und Wut holte er mit dem Knüppel aus und hieb dem Mann mit aller Kraft auf den Kopf!

    Es gab ein hässliches Geräusch, als ob der Ast auseinanderbrach, oder war es der Schädel, der brach? Der Geschlagene sackte zusammen, ohne noch irgendeinen Ton von sich zu geben.

    Agnes war frei.

    „Los, lauf, zurück zum Dorf!", rief Hans Agnes zu und zog sie an der Hand mit. Beide liefen los.

    Inzwischen hatten die anderen Männer gemerkt, dass etwas los war und kamen angelaufen. Aber Agnes und Hans liefen, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre. Die Männer gaben schnell auf. Die biden liefen immer weiter. Über den Bach, zum Dorf, zum Obertor.

    Kurz vor dem Tor hielten sie an und schauten sich um. Es war weit und breit niemand zu sehen. Ausgepumpt warfen sie sich ins Gras. Es dauerte lange, bis sie Worte fanden.

    „Ist dir was passiert? Bist du verletzt?", fragte Hans.

    „Nein, alles ist gut."

    „Hab ich ihn totgeschlagen?", fragte Hans nach einer Weile.

    „Nein, das glaube ich nicht. Dieses Gesindel, das sind zähe Kerle. Außerdem wäre es nicht schade um ihn."

    „Du hast recht, sagte Hans. „Ich möchte mir nicht vorstellen, was diese Bande mit dir gemacht hätte, wenn sie dich in ihre Gewalt bekommen hätte!

    Hans legte seinen Arm um Agnes und diesmal ließ sie es geschehen.

    „Danke, sagte sie leise, „du hast mich gerettet, ich werde dir das nie vergessen.

    Hans schwieg zunächst dann sagte er: „Lass uns ins Dorf gehen, ich fühle mich erst sicher, wenn wir wieder hinter der Wehrmauer sind."

    Sie zwangen sich zum langsamen Gehen. Als sie das Obertor erreichten, wurde das kleine Tor bereits vom Schützen geöffnet.

    „Na, ihr Turteltäubchen, war es schön?", fragte dieser grinsend.

    Agnes errötete und beide wussten, was der Schütze über sie gedacht hatte. Aber das war ihnen im Moment egal.

    „Am Waldrand zum Buchberg lagern einige finster aussehende Gesellen, deswegen sind wir so schnell wie wir konnten zurück gerannt", sagte Hans aufgeregt.

    „Gut zu wissen, sagte der Schütze, „wie viele sind es?

    „Ungefähr acht bis zehn Männer", antwortete Agnes.

    „Na, die werden es nicht wagen, ein ganzes Dorf zu überfallen. Wir werden jedenfalls noch wachsamer sein. Unsere Gewehre sind geladen. Sollen sie es ruhig mal versuchen. Wir werden es auch an die Schützen in den anderen Wehrtürmen weitergeben."

    Hans und Agnes gingen schweigend und in Gedanken versunken nach Hause. Sie versprachen sich noch gegenseitig, über die ganze schreckliche Angelegenheit gegenüber jedermann zu schweigen.

    Kapitel 2

    Der Schuster Conradt Bast war ärgerlich.

    „Wo warst du den ganzen Mittag?", fragte er Agnes barsch.

    „Ich war wie meistens beim alten Pfarrer Acker zum Lernen."

    „Immer bist du beim Pfarrer! Du hättest sicher deiner Mutter bei ihrer Arbeit helfen können", knurrte der Schuster.

    Auch Agnes war jetzt etwas störrisch. Sie war immerhin schon im 19. Lebensjahr und wusste, was sie wollte. Sie antwortete dem Vater trotz allem mit der gebotenen Höflichkeit: „Ich hatte es mit der Mutter abgesprochen. Heute gab es keine besonderen Arbeiten und die Mutter und unsere Magd Maria wollten die Wäsche am Bach waschen, wofür sie keine weitere Hilfe brauchten."

    „Hm, hm", brummte Conradt vor sich hin. Eigentlich war er nicht wirklich auf Agnes sauer, vielmehr hatte er schlechte Laune, weil es mit der Arbeit nicht voran ging. Es war Sommer, die Kinder und Mädchen und auch die Jungen gingen barfuss, selbst die Frauen und Mägde hatten nur leichtes Schuhwerk an, das nur selten zu Reparaturarbeiten führte. So hatte er nur die derben Schuhe der Bauern zur Reparatur. Dies war eine schwere und schweißtreibende Arbeit. Meist waren nur Näharbeiten notwendig, die viel Kraft erforderten. Ein Faden musste gewachst werden, damit er stabil und langlebig wurde und gut durch die Löcher gleiten konnte. Eingefädelt in eine lange, dicke Nadel musste das derbe Leder mit der Hand durchstochen und der Faden durchgezogen werden. Eine schmerzhafte Prozedur, die Blasen und Schwielen mit sich brachte. Mittlerweile war die Haut des Schusters aber hart wie Leder und das Ganze schon erträglicher. Trotzdem machte diese Arbeit wenig Freude und es konnte dafür auch kein großer Lohn verlangt werden.

    Viel lieber waren Conradt natürlich größere Reparaturen, wie das Austauschen der Sohlen oder der Absätze oder auch der Spitzen. Bei einer Besohlung musste zuerst die alte Sohle abgerissen werden und dann das derbe Sohlenleder zugeschnitten werden. Der Schuh wurde dazu auf das große Stück Leder gestellt und die Umrisse mit einem Stift nachgezogen, danach wurde die künftige Sohle mit einem scharfen Schustermesser ausgeschnitten. Das teure Leder kaufte Conradt ein- oder zweimal im Jahr auf dem Markt in Hanau.

    Die zugeschnittene Sohle musste dann mit Kleber auf die Brandsohle aufgeklebt werden. Damit die Klebung auch lange hielt, wurden die Schuhe in eine Art Presse gesteckt. Dazu wurde eine passende Leiste aus Holz in die Schuhe gesteckt und das Ganze in ein lederbezogenes Wasserbett gestellt, welches mittels einer Spindel von oben zusammengepresst wurde. So standen die Schuhe dann einen ganzen Tag in der Presse, bis der Kleber getrocknet war. Danach wurden noch diverse Nägel zur Sicherheit eingeschlagen und der überstehende Sohlenrand mit dem scharfen Messer abgeschnitten. Diverse Schnitte und Narben in des Schusters Handballen zeugten von etlichen Ausrutschern mit dem Messer.

    Oftmals musste der Schuhrahmen vor der Besohlung noch aufgearbeitet werden. Der Rahmen wurde dann von Hand vernäht. Hierzu mussten Löcher mit der Ahle vorgebohrt werden und wieder ein gewachster Faden durchgezogen werden. Alles in allem eine große Arbeit. Ganz zum Schluss wurde meist noch ein gebogenes Eisen auf die neue Sohle genagelt, damit diese länger hielt. Beim Kirchgang am Sonntag konnte man dann auf dem steinigen Kirchenboden deutlich hören, wessen Schuhe neu besohlt waren. Das Eisen wurde meist nach einiger Zeit verloren.

    Die Entlohnung für diese große Arbeit war dem Aufwand angemessen, erfolgte aber jetzt im Sommer nur zögerlich. Die Bauern hatten wenig Geld, bevor die Ernte eingebracht und ein Verkauf einzelner landwirtschaftlicher Produkte auf dem Markt stattfinden konnte. So blieb so mancher Bauer den Betrag bis zum Herbst schuldig oder versuchte, ihn in Naturalien zu bezahlen, was dem Schuster gar nicht so recht war, da er ja ebenfalls eine Landwirtschaft betrieb und er eigentlich keinen Mangel an Eiern, Obst, Gemüse, Kraut und Käse und ähnlichem hatte. Grund genug also für den Schuster Bast, heute etwas grimmig zu sein.

    Agnes war inzwischen in die große Stube gegangen und Mutter Elisabeth kam in die Schusterwerkstatt neben dem Stall.

    „Was macht sie ständig beim Pfarrer?", fragte Conradt nach kurzem Schweigen.

    „Du weißt doch, dass sie beim alten Pfarrer Acker alles über Krankheiten, Kräuter und Heilkunde lernt. Sie liest alles in seinen alten Büchern und lernt von dem Wissen des Pfarrers, damit sie einmal eine gute Heilerin wird."

    „Was hat sie davon? Was haben wir davon?"

    „Sie will doch eine Heilerin werden, wie es sie in Hanau und anderswo gibt. Wir haben in Rodenbach keinen Medicus, nur den Pfarrer, die Amme und die Wehenmutter und sonst niemanden, der sich mit Krankheiten und Verletzungen auskennt. Eine echte Heilerin könnten wir gut gebrauchen und Agnes ist begabt, sie hat dem Pfarrer auch schon oft geholfen, Verletzungen zu behandeln, das weißt du doch!"

    „So, so", murmelte Conradt.

    „Ja, und ich habe gehört, sie weiß alles über Kräuter, die bei Krankheiten helfen, und sie erkennt schon viele Krankheiten. Eine gute Heilerin kann damit ihren Lebensunterhalt bestreiten."

    „Das muss sie ja nicht. Sie sollte sich einen guten Bauern suchen und heiraten und ihm den Haushalt führen."

    „Das kann sie ja immer noch", antwortete Mutter Bast.

    „Das Lernen ist ihr heute sehr wichtig und sie erfüllt ihre Pflichten im Hause trotzdem zu meiner Zufriedenheit."

    „Na gut, brummte Conradt schon ein wenig friedlicher. „Wer weiß, sprach Elisabeth weiter, „vielleicht brauchen wir bald ihre Hilfe. Ich habe beim Waschen am Bach heute gehört, dass die Pest in Hanau ausgebrochen ist. Wenn die Seuche auch nach Rodenbach kommt, dann Gnade uns Gott, dann könnten wir eine gute Heilerin hier gebrauchen."

    Der Schuster wurde nachdenklich.

    „Ich habe am Sonntag in der Gemeindeherberge auch schon das Gerücht über die Pest gehört. Aber die Pest kann man doch nicht heilen. Daran stirbt bisher jeder, der an ihr erkrankt. Da hilft nur noch Beten und Buße tun."

    „Nein, nicht jeder. Es gab Fälle, wo ein Medicus oder auch eine Heilerin einige Kranken gerettet hat."

    „Wie dem auch sei, sagte Conradt, „wir sollten beten, dass uns die Pest verschont. Wir werden das im Kirchenrat mit dem Pfarrer besprechen. Vielleicht können wir etwas tun. Beten, Buße tun oder etwas ähnliches.

    Ratlos und ernst schauten die beiden sich an.

    „Gott sei uns gnädig", murmelte Elisabeth.

    Agnes saß mit ihrer Familie in der großen Stube. Es war Abend und die Familie traf sich wie immer zum gemeinsamen Mahl. Mit dabei waren die Großmutter Margaretha, die Magd Maria und der Knecht Adam.

    In der Ecke, im gemauerten Kamin, glühten noch die Holzscheite, die zuvor mit lodernden Flammen den über dem Feuer hängenden Kupfertopf erhitzt hatten. Die darin gekochte Gemüsesuppe war längst mit dem selbst gebackenen Brot verzehrt worden. Die glimmenden Holzscheite verbreiteten jetzt noch wohlige Wärme und spendeten etwas Licht in der direkten Umgebung des Feuers.

    Schuster Bast saß mit seinen Söhnen Georg und Paul am großen grob gezimmerten Holztisch. Die Söhne waren fast schon erwachsen. Zusammen mit dem Knecht Adam frönten sie dem abendlichen Kartenspiel. Der Krug mit dem Wein aus der Herberge stand griffbereit, um die schnell leer werdenden Becher wieder zu füllen.

    Mutter Elisabeth war mit dem Ausbessern einiger Gewänder beschäftigt. Eine leichtere Arbeit nach dem harten Tagwerk. Löcher stopfen mit Nadel und Faden bei schlechtem Licht.

    Maria, die Magd, wollte eigentlich helfen. Maria war schon im 6. Jahrzehnt und die Alltagsarbeit fiel ihr zunehmend schwerer. Maria war inzwischen auf der großen Holzbank eingeschlafen. Ihr Kopf sank an die Schulter von Oma Margaretha, die dies amüsiert hinnahm.

    Agnes nutzte die friedliche Stimmung, um ihr Anliegen mit der Mutter zu besprechen.

    „Mutter, ich möchte mit dir etwas besprechen", begann Agnes.

    „Ja, was denn?"

    „Ich möchte noch mehr über die Kunst des Heilens lernen."

    „Ja, warum nicht", antwortete Elisabeth.

    „Ich müsste dazu zu einem Medicus, nur von einem Medicus kann ich noch etwas Neues lernen. Die alten Bücher vom Pfarrer helfen mir nicht mehr weiter, sie sind auch meistens schon überholt und ich weiß, dass es neuere Heilmethoden gibt. Und ich muss auch praktische Erfahrung sammeln."

    „Wie soll das gehen?", fragte die Mutter.

    „Ich kann beim Medicus von Hanau, dem Medicus Michael Becker lernen. Pfarrer Acker hat schon mit ihm gesprochen."

    „Aha", murmelte Elisabeth und schaute ihre Tochter ratlos an.

    „Ich könnte ihn einige Zeit begleiten und ihm bei seiner Arbeit zusehen."

    „Aber wir haben kein Geld dafür übrig", wandte die Mutter ein.

    „Es wird uns nichts kosten, sagte Agnes. „Ich könnte beim Medicus Michael wohnen und ihm bei der Arbeit helfen, dafür bekäme ich keinen Lohn, dürfte umsonst dort wohnen und würde verköstigt werden.

    „Ist das etwa alles schon geklärt?", fragte die Mutter.

    „Na ja, eigentlich schon, aber ich konnte bisher nicht zusagen, da ich unbedingt eure Zustimmung dazu haben möchte."

    „So, unsere Zustimmung. Da müssen wir aber erst noch deinen Vater überzeugen", meinte Elisabeth.

    Schuster Bast hatte schon eine kurze Zeit zugehört und schaltete sich wie auf ein Stichwort ein: „Du willst mich also überzeugen, aus dem Haus zu gehen, in Hanau zu wohnen und bei einem uns fremden Medicus zu lernen? „Ja, Vater.

    „Und ich bitte dich, es mir zu erlauben."

    Conradt überlegte eine Weile. Er war kein Mann für schnelle Entscheidungen, doch er liebte seine Tochter. Im Geiste wägte er das Für und Wider ab, während in der Stube ein gespanntes Schweigen herrschte.

    „Wie lange soll das dauern und wirst du deiner Mutter bei der Hausarbeit nicht fehlen?"

    „Es sind nur ein paar Wochen und Mutter müsste natürlich auch noch zustimmen."

    Elisabeth fiel es auch nicht leicht, dem Vorhaben zuzustimmen. Letztendlich hatte sie aber ihre Tochter immer unterstützt, deswegen sagte sie zögerlich: „Ich glaube, wir sollten Agnes ihren Wunsch erfüllen, wenn es ihr so wichtig ist, ich könnte sie schweren Herzens entbehren."

    „Hm, hm", murmelte Conradt nicht zum ersten Mal.

    „Mir wäre es lieber, du bliebest am Ort und suchst dir einen Bauern, mit dem du eine Familie gründen kannst. Der Hans Rießel mag dich doch und stellt dir ein wenig nach. Ich hätte nichts gegen eine Verbindung und Bauer Rießel auch nicht, wir könnten mit deinen Brüdern und mit Hans beide Höfe zusammen bewirtschaften."

    „Lieber Vater, eine Familie gründen habe ich doch gar nicht ausgeschlossen und ich mag den Hans auch, aber im Augenblick ist mir die Heilkunst wichtiger, bitte erlaube mir, nach Hanau zu gehen."

    „Hm, hm", murmelte der Schuster wieder.

    „Und es kostet uns wirklich keinen Gulden?"

    „Nein, Vater, ich helfe ihm ja bei seiner Arbeit, der Medicus ist auch schon sehr alt und kann Hilfe gebrauchen. So helfen wir uns gegenseitig."

    Wieder war es still im Raum.

    „Na gut, sagte Conradt, „aber ich möchte den Medicus zuerst persönlich kennen lernen.

    „Ja sicher, antwortete Agnes. „Der Medicus ist immer am Markttag in Hanau auf dem Markt. Dort können wir ihn am nächsten Markttag treffen.

    „Gut, dann soll es so sein", sagte der Schuster und stöhnte leicht gequält auf. Offenbar hatte der abendliche Weingenuss ihn etwas milde gestimmt. Gleichzeitig fühlte er sich aber doch etwas überrumpelt, aber er war auch ein wenig stolz auf die Zielstrebigkeit von Agnes. Auch die Mutter war erleichtert, hatte sie doch eine größere Gegenwehr von ihrem Gatten erwartet.

    Kapitel 3

    Agnes war aufgeregt. Heute war Markttag in Hanau. Am Vorabend hatte Vater Conradt mit seinen beiden Söhnen Georg und Paul und dem Knecht Adam den großen Wagen beladen. Die Ernte war gut ausgefallen und man konnte leicht die Vorräte für den kommenden Winter auffüllen. Das Weißkraut war abgeerntet, von den Frauen geschnitten und die Fässer gefüllt zur Sauerkrautherstellung. Die Gurken waren in Sud eingekocht, der Kartoffelkeller aufgefüllt, Äpfel und Birnen lagerten im

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